geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil IV: Cod. Guelf. 462 bis 615 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 483.1 Helmst.

Antiphonale officii

Pergament — 146 Bl. — 28 × 20 cm — Helmstedt, Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg — 14. Jh., 3. Viertel

Lagen: 14 V (140). III (146). Kustoden in römischen Zahlen auf dem Fußsteg der letzten Versoseite der Lagen (mit Ausnahme der letzten): IXIIII. Bleistiftfoliierung modern: 1146. An den Seitensteg von Bl. 21v angenähter trapezförmiger Schaltzettel aus Pergament, misst ca. 6–10,5 x 15 cm. Schriftraum: 21 × 15 cm, einspaltig, 11 Zeilen. Sehr regelmäßige Textualis von einer Hand. Über jeder Textzeile ein vierliniges Notensystem, f-Linie rot, c- und f-Schlüssel, mit gotischer Choralnotation. Rubriziert, am Beginn der einzelnen Antiphonen, Responsorien und Versikel rote und blaue Lombarden sowie jeweils im Wechsel sorgfältig gezeichnete rot-schwarze cadellenartige Satzmajuskeln mit filigranen Ornamenten als Konturbegleitung oder im Binnenfeld. Am Beginn des Textes (1v,) sowie zu den Herrenfesten (19v, und 38v) qualitätvolle Fleuronnéeinitialen in Unzialform über 4–6 Text- und Notenzeilen, Buchstabenkörper von Rot und Blau im Kopfstempelschnitt geteilt, mit konturbegleitendem Fleuronnée jeweils in der Gegenfarbe, das aus parallelen Fadenbündeln mit Besatz aus gereihten gekernten Perlen und Fibrillen besteht. Die Binnenfelder sind mit ebenfalls rot-blauen, meist axialsymmetrisch angeordneten Knospenähren und -büscheln oder mit spiraligem Rankenwerk gefüllt. Weitgehend identischer Buchschmuck in den ebenfalls aus Marienberg stammenden Antiphonalia Cod. Guelf. 485 Helmst., 309 Novi und 310 Novi.

Gotischer Holzdeckelband mit Halbbezug aus rotgefärbtem, unverziertem Schafsleder, stark beschädigt, Deckel gebrochen. Vier Doppelbünde. Reste von zwei Langriemenschließen. Der Einband wurde im August/September 1976 vollständig restauriert. Der Codex erhielt zwei neue Buchenholzdeckel mit Halbbezug aus braungefärbtem Ziegenleder, zwei aus dem gleichen Material gefertigte Langriemenschließen und einen Schuber. Die abgelösten Spiegelbl. und Rückenhinterklebungen werden in einer Tasche am HD aufbewahrt, die Reste der originalen Deckel und des Rückenbezugs befinden sich in der Einbandrestesammlung.

Fragmente, 1. VS und HS (bei Restaurierung abgelöst): Pergament, je ein Bl., 26–27 × 17–18 cm. Schriftraum: 23 × 12 cm, einspaltig, 44 Zeilen. Karolingische Minuskel, 12. Jh., 1. Hälfte. Notation über den in kleinerer Schrift abgesetzten Textzeilen der Gesangsteile mit adiastematischen, sog. „frühdeutschen“ Neumen, Corbin, 3.59–66. Rubriziert, rote Satzmajuskeln in Capitalis. Breviarium (Proprium de tempore). Antiphonen (CAO 2428, 2827 und 4982), Responsorien (CAO 7559), Versikel und Lesungen zu feria III und IV primae hebdomadae XL (VS) sowie zu dominica III in XL (HS). — 2. Fünf Rückenhinterklebungen aus Pergament, zusammengesetzt ein Bl., 14 × 23 cm. Schriftraum: 9 × 21 cm, einspaltig, 17 Zeilen. Jüngere gotische Kursive, 1360–1366. Schreibsprache mittelniederdeutsch (ostfälisch). Urkunde des Augustiner-Chorfrauenstifts Marienberg. [We] her Meynard prouest [Lu]ckard priorisse vnde de gancze samnunge to [vn]ser Vrowen berghe [to] Helmstede … oplicken in dissen breue dat we hebbet vorkoft vor ses vnde t[we]ntich mark stendel[sch]es suluers … — … Johannes auende to mydden. Hauptteil und Schluss des Textes mit der Datierung durch Leimspuren nicht mehr lesbar. Die genannten Personen sind der Marienberger Propst Meynhard von Bahrdorf (nachgewiesen 1360–1367) und die Priorin Luckardis von Warberg (nachgewiesen 1344–1366), vgl. Niedersächsisches Klosterbuch 2, 642. Die Datierung des Dokuments ergibt sich aus der gemeinsamen Amtszeit.

Herkunft: Der Codex wurde nach der Mitte des 14. Jh.s im Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg geschrieben, worauf die Übereinstimmungen in Text und Ausstattung mit den sicher nach Marienberg lokalisierten Antiphonalien Cod. Guelf. 309 Novi und 310 Novi sowie die als Rückenhinterklebung des Einbands verwendete Urkunde des Konvents hindeuten. — Der Codex wurde am 15.4.1572 mit einem Teil der Buchbestände des Stifts in die Wolfenbütteler Hofbibliothek transferiert; im 1614 angefertigten Gesamtkatalog von Liborius Otho ist er unter den nur sehr summarisch erfassten Liturgica nicht eindeutig identifizierbar. 1618 aus Wolfenbüttel nach Helmstedt überführt, wo Iv auf dem Kopfsteg ein Titelvermerk (s. unten) angebracht wurde. 1644 im Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 8r) als Ein Chorall buch in bretter mit 2 riemen unter den Theologici MSSti in folio nachgewiesen; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) vermutlich unter Nr. 1226 aufgeführt, die der Bibliothekar Langer 1815 als verloren vermerkte (Lesser Geschichte, LXIII und XCII). Tatsächlich war der Codex aber in Helmstedt verblieben, von wo ihn der Wolfenbütteler Bibliothekar K. P. C. Schönemann am 10.9.1844 zusammen mit Cod. Guelf. 145.1 Helmst., 145.2 Helmst. und Cod. Guelf. 499.1 Helmst. in die Herzogliche Bibliothek bringen ließ, vgl. BA III, 151, Faszikel: "Ergänzungen der Herzoglichen Bibliothek aus der Helmstedter Bibliothek 1832.33.35.38.44", ad ann. 1844, ungez.: Ferner von den schon früher herausgesuchten Manuscripta: Nro. 3 Quart [!] Breviarium cum Responsoriis et Notis ad Montem beate Mariae prope Helmst. 2 Bände. Nro. 5: Anth. super ps. Letzteres zitiert die Eingangsrubrik dieser Hs. (s. unten) und wurde von dem Bibliotheksregistrator T. Thies im Helmstedter Numeralkatalog folgendermaßen nachgetragen (BA I, 400, 65v): 483.1. Anthologia [!] super Psalmos cum notis musicis. Cod. membr. in fol. Saec. XIV.

Heinemann Nr. 520.

1r leer.

1v144r Antiphonale officii Halberstadense (pars hiemalis).
(1v96r) Proprium de tempore. ›Antiphona super psalmum‹. Veni domine visitare nos in pace ut letemur coram te corde perfecto (CAO 5321) … — … Mulieres sedentes ad monumentum lamentabantur flentes dominum Evovae (CAO 3826). Enthält die Invitatorien, Antiphonen, Responsorien, Versikel und die Initien der Psalmen und Hymnen (letztere nicht notiert) der Sonn- und Ferialtage und der Herrenfeste von Dominica I adventus bis zur Vigilia resurrectionis domini sowie, jeweils an der entsprechenden Stelle eingefügt, die Heiligenfeste zwischen Weihnachten und Circumcisio domini – Stephanus (26.12.), Johannes Evangelista (27.12.) und Innocentes (28.12.) – mit ihren Oktaven. Im einzelnen: (1v5r) Dominica I adventus mit Ferialtagen, (5r8r) ›Dominica secunda‹, (8r10v) ›Dominica III‹ mit Ferialtagen, (10v17r) ›Dominica quarta‹ mit Ferialtagen, dazu 16v17r zu ›Sabbato‹ 8 Antiphonae maiores (O-Antiphonen, CAO 4081, 3988, 4075, 4010, 4050, 4078, 4025, 4095), (17rv) ›In vigilia vigilie nativitatis Christi‹, (17v18v) ›In vigilia‹, (18v24r) ›In vigilia domini nostri Ihesu Christi‹ mit Offizium der Geburt Christi, auf dem an Bl. 21v angenähten Schaltzettel ist von späterer Hand die Antiphon CAO 4048 zu nativitas Charisti nachgetragen, (24r26v) ›De sancto Stephano‹, (26v29v) ›De sancto Johanne apostolo et ewangelista‹, (29v31v) ›De Innocentibus‹, (31v34v) ›Dominica infra octavam [nativitatis domini]‹, (34v35v) ›In vigilia circumcisionis‹, (35v37r) ›In octava sancti Stephani‹, (37r38r) ›In octava sancti Johannis apostoli et ewangeliste‹, (38r42r) ›In vigilia epiphanie domini‹ mit den Antiphonen ›per ebdomadam‹, (42r53r) ›Dominica infra octavam [epiphaniae domini]‹ mit den Offizien für die Wochentage und den veränderlichen Antiphonen für Dominica II–V post epiphaniam domini, (53r56r) ›Dominica in septuagesima‹ mit den Antiphonen ›per ebdomadam‹, (56r59r) ›Dominica in sexagesima‹, (59r61r) ›Dominica in quinquagesima‹, (61rv) ›Feria IIII in capite ieiunii‹ mit den Antiphonen für feria V bis Sabbato, (61v65v) ›Dominica prima in quadragesima‹ mit Ferialtagen, (65v69r) ›Dominica secunda quadragesime‹ mit Ferialtagen, (69r73r) ›Dominica III [quadragesimae]‹ mit Ferialtagen, (73r77r) ›Dominica IIII [quadragesimae]‹ mit Ferialtagen, (77r81v) ›[Dominica] in passione domini‹ mit Ferialtagen, (81v87v) ›Dominica in palmis‹ mit feria I–IV, (87v91r) ›In cena domini‹, (91r93v) ›In parasceve‹, (93v96r) ›In sabbato sancto‹.
(96r127v) Proprium de sanctis. Enthält die Invitatorien, Antiphonen, Responsorien und Versikel, außerdem die unnotierten Initien der Psalmen und Hymnen (letztere nicht notiert) und die erläuternden Rubriken zu den Heiligenfesten von sancti Nicolai (6.12.) bis Annuntiationis BMV (25.3.). Im einzelnen sind enthalten: (96r99r) ›De sancto Nicolao episcopo‹. (99rv) ›De concepcione beate virginis‹. (99v100v) ›De sancta Lucia‹. (100v) ›De sancto Thoma‹. (100v103v) ›Fabiani et Sebastiani‹. (103v105v) ›In festivitate sancte Agnetis virginis‹. (105v108v) ›In octava Agnetis‹. (108v) ›De sancto Epiphanio‹. (108v109r) ›De sancto Paulo‹. (109r112v) ›In vigilia purificationis‹. (112v115r) ›De sancta Agatha‹. (115r) ›In cathedra sancti Petri‹. (115v118v) ›De sancto Mathia apostolo‹. (118v121v) ›De sancto Gregorio‹. (121v124v) ›In annunciatione [BMV]‹. (124v125r) ›De sancto Luthgero‹. Die verwendeten Antiphonen (CANTUS 206660 und 206677) sowie das bislang nur hier nachgewiesene und sicher für eine weibliche Gemeinschaft bestimmte Responsorium mit Versikel (R. Sancte Luthgere Christi sacerdos audi precantes servulas et impetratam celitus tu defer indulgentiam. V. O sancte Luthgere sydus aureum domini gratia famularum gemitus solita suscipe clementia) sind typisch für die Marienberger Ludgerusoffizien und finden sich auch in den übrigen Marienberger Antiphonalien, vgl. Cod. Guelf. 145.2 Helmst., 166va–b; 319 Helmst., 209ra–vbr; 485 Helmst., 168r, und 310 Novi, 120v–121r. (125r127v) ›De domina nostra‹. Enthält Invitatorium, Psalmverse, Antiphonen, Responsorien und Hymnen für diverse Marienoffizien, so auch in Cod. Guelf. 310 Novi, 121r–123v.
(127v144r) Commune sanctorum. Enthält die Invitatorien, Antiphonen, Responsorien und Versikel, außerdem die unnotierten Initien der Psalmen und Hymnen (letztere nicht notiert) für: (127v131r) ›De sanctis apostolis‹. (131r135r) ›De martyribus‹. (135r138r) ›De uno martyre‹. (138rv) ›De pluribus confessoribus‹. (138v141v) ›De uno confessore‹. (142r144r) ›De una virgine‹. Weitere Marienberger Antiphonalia in Cod. Guelf. 39 Helmst. (pars aestivalis), 485 Helmst. (pars hiemalis, weitgehend identisch mit dieser Hs.), 309 Novi (per circulum anni) und 310 Novi (pars hiemalis, weitgehend identisch mit dieser Hs.). – 144v146v leer.


Abgekürzt zitierte Literatur

CANTUS CANTUS: A Database for Latin Ecclesiastical Chant. Indices of chants in selected manuscripts and early printed sources of the liturgical Office (http://cantus.uwaterloo.ca//)
CAO R.-J. Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 1–6, Rom 1963–1979 (Rerum ecclesiasticarum documenta. Series maior 7–12)
Corbin S. Corbin, Die Neumen, in: Palaeographie der Musik, Bd. 1,3, hrsg. von W. Arlt, Köln 1979
Heinemann O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
Lesser Geschichte B. Lesser, Zur Geschichte und Katalogisierung der Helmstedter Handschriften, in: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil I: Cod. Guelf. 1 Helmst. – Cod. Guelf. 276 Helmst., bearbeitet von H. Härtel, C. Heitzmann, D. Merzbacher und Dems., Wiesbaden 2012, XII–XCII
Niedersächsisches Klosterbuch Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, Bd. 1–4, hrsg. von J. Dolle und D. Knochenhauer, Bielefeld 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 56,1–4)