Rupertus Tuitiensis, De divinis officiis
Lamspringe — 12. Jh., 3. Viertel
Provenienz: Besitzeintrag: 1v Liber sancti Adriani in Lamesprigge (12./13. Jh.). Inhaltsangabe (15. Jh.). Vermerke von diesen Händen auch in 145 Helmst., VS; 204 Helmst., 1r; 443 Helmst., 1r; 447 Helmst., 5r; 475 Helmst., 1r; 480 Helmst., 1r; 482a Helmst., 1r; 504 Helmst., VS; 511 Helmst., 1r; 519 Helmst., 1r; 553 Helmst., 1r; 650 Helmst., 1r; 723 Helmst., 1r; 943 Helmst., 1r; 1012 Helmst., 1r; 1030 Helmst., 1r; 1034 Helmst., 1r; 1113 Helmst., 1r und 1196 Helmst., 1r. 1572 mit den übrigen Lamspringer Codices in die Bibliotheca Julia in Wolfenbüttel überführt. 1588 im Verzeichnis der Pergamenthandschriften als Tractatus de divinis officiis per anni circulum 11 libris distributus auff Pergamein geschrieben in quarto vnd bretter gebunden erwähnt (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v, hier 28r). 1614 von Liborius Otho im Gesamtkatalog (Cod. Guelf. A Extrav., p. 289 [284]) unter der den Papalia Miscellanea als De divinis officiis per anni cirulum libri undecim. In membrana unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben. Auf dem VS die Helmstedter Signatur T 4° 3. Im Handschriftenverzeichnis (1797; BA III, 52) unter der Nr. 471 genannt.
Pergament — 174 Bl. — 24,5 × 15 cm
Lagen: 21 IV (168). III (174). Lagensignaturen: a (8v) bis x (168v), y (169r). Fragmente (VS und HS, jetzt abgelöst): Karolingische Minuskel (10. Jh., Corvey) mit adiastematischen, sog. "paläofränkischen" Neumen (zum Text vgl. ausführlich [in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB].). Schriftraum: 19,5 × 10,0 cm, einspaltig, 38-43 Zeilen. Carolino-Gothica von einer Hand der Scriptrix-Gruppe (zur Gruppe gehörig: 443 Helmst., 447 Helmst., 482a [1r-81v], 519 Helmst., 511 Helmst., 519 Helmst., 718 Helmst. [10v-97r], 723 Helmst., 903 Helmst. [1r-75r], 943 Helmst., 1030 Helmst.). Rubrizierte Textüberschriften. Satzmajuskeln mit roten Begleitstrichen, 2-4zeilige rote Initialmajuskeln. Marginale Ergänzungen durch teilweise verzierte Rahmungen umrandet (Knospen und Blüten, vgl. 34v). Rubrizierte Zeilenfüller und als Füllung für beschädigte Pergamentflächen in Wellenlinien, Balken und Strichen.
Romanischer Holzdeckelband mit einfachem Schafslederbezug. Blattgröße bündig mit Buchblock. Riemenschließen mit Befestigungen verloren. Überzug im späten Mittelalter durch einen Halbbezug aus dunkelbraunem Kalbsleder ergänzt.
INHALT
1v-137r : De divinis officiis (. , 11-331; 7, 5-418 [Handschrift genannt, Sigle C 2]; , Die Überlieferung der Schriften Ruperts von Deutz, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 16 [1960] 339–436 [416 Hs. genannt])
AUSSTATTUNG
Verzierte Satzmajuskeln. 7 Rankenitialen. 4 Historisierte Initialen.Verzierte Satzmajuskeln: Einige Sätze mit rubrizierten Satzmajuskeln, die im Endbesatz oder als Buchstabenersatz mit federartig gebogenen Blättern (Profilblättern) verziert sind (vgl. 13r).
Initialen: Zu den Textabschnitten Spaltleisteninitialen mit blüten- oder kreuzsternförmigen Spangen. 1v (lib. I), 10v (lib. II), 21v (lib. III), 52v (lib. V), 69v (lib. VI), 90v (lib. VII, 13), 119r (lib. IX); 4,2-5,0 cm. Die Initialstämme gefüllt mit Punktreihen. Von den Spangen ausgehend spiralförmig Ranken, die frei bewegt die Binnenräume der Initialen füllen. Als Endbesatz dienen Trifolien sowie Knollen- und umgeschlagene Palmettenblätter, teils mit Rückenschraffuren und Blattäderung. Zudem kommen das Muschelblatt und perlbandverzierte Palmettenblätter vor (vgl. beide 119r). Die Rankengabelungen mit plastisch angedeuteten Stauchungen. Die Caudae und den Buchstabenstamm ersetzen geflügelte Drachen mit schlaufig gedrehten Schwänzen, kreisverzierten Hälsen und Palmettenbestaz am Schwanzende (52v, 119r, 133r). Auf 90v in den Rankenverlauf eingefügt ein Vierfüßer, auf 69v ein Vogel. 52v ein beigefügter Löwe.
Historisierte Initialen:
Spaltleisten (der Initialaufbau wie bei den Rankeninitialen).84r lib. VI, recte lib. VII. Auferstandener Christus mit Siegesfahne. 4,6 × 3,7 cm.
99r lib. VIII. Christus im Segensgestus, ihm gegenüber Maria mit Lilienzepter. Zwischen ihnen ein aufsteigender Vierbeiner (Hund?). 4,9 × 4,0 cm.
133r lib. X. Acht Apostel in zwei Reihen gereiht. Im Hintergrund zwei Kirchenfronten, dazwischen, über den Köpfen der Apostel die Taube des heiligen Geistes (Pfingsten). 4,5 × 4,5 cm.
164r lib. XI, recte lib. XII. Im Binnenfeld der Initiale eine baumähnliche Staude, in deren Ranken sich paarweise die Büsten von Mann und Frau, sowie zwei an den Ranken fressende Vögel befinden (Lebensbaum). Aus der Cauda des Buchstabens schaut ein weiterer jugendlicher Kopf hervor. 4,5 × 4,5 cm.
Farben: Die Initialen mit roter Feder gezeichnet. Die Figuren als Zeichnungen mit lavierendem, teils unvollständigem Farbauftrag. Details und Gewandränder in der Initialfarbe. Die Gewänder in Grün, die Haare in Dunkelbraun.
STIL UND EINORDNUNG
Die vorliegenden Ausführungen des Rupert von Deutz zur Liturgie im Gottesdienst sind nachweislich von einer Hand der sogenanten Scriptrix-Gruppe geschrieben worden (zur Gruppenzusammenstellun vgl. 943 Helmst.; , 21f.). Dem paläographischen Befund entsprechen auch die Ausführung der Spaltleisteninitialen. Ähnliche Ranken, mit knollenförmig umgeschlagenen Palmetten, schlanken Rankenverläufen und nur geringem Farbauftrag finden sich in 943 Helmst., 1030 Helmst. und 519 Helmst. Die prägnanten Drachencauden mit in Doppelschlaufen verlaufenden Leibern (119r und 133r) liegen ebenfalls in 519 Helmst. vor (1v, hier plastischer und aufwendiger gestaltet). Auch die verzierten Initialmajuskeln sind Bestandteil des Ausstattungsrepertoires dieser Gruppe (vgl. 943 Helmst., 519 Helmst. und 723 Helmst. (Abb. vgl. , 23, Marg. 1-3), wobei in 943 Helmst. nur wenig vegetabile Verzierungen vorliegen. Die im Initialzusammenhang stehenden figürlichen Darstellungen besitzen ihr Pendant in der Augustinushandschrift 511 Helmst., wobei in letzterer deutlich mehr Farbauftrag verwendet wurde. Die Grundstrukur der Spaltleisteninitialen, sowie das Rankenornament mit den Dreierblättern und den knollenartig umgeschlagenen Enden, sowie die federartig geschmückten Auszeichnungsschriften (vgl. 13r) gehören zum Ausstattungsrepertoire der Handschriften aus dem Benediktinerinnenkloster Lippoldsberg (zu Lippoldsberg und seiner Vorbildfunktion für Lamspringe vgl. 943 Helmst.). Auch in den Handschriften aus dem Augustinerchorherrenstift Georgenberg bei Goslar, das wie Lippodsberg derm Hamerslebener-Halberstädter Reformkreis angehörte, finden sich Parallelen, wie u.a. länglich ausgeführte Gesichtsformen (vgl. 99r mit der Blindzeichnung in Cod. Guelf. 100 Helmst., hier auf 5r) und ähnliche Drachen mit nach oben gebogenen Flügelenden (vgl. 133r mit Cod. Guelf. 100 Helmst., hier auf 55v). Die darüber hinaus vorkommenden, in den Initialzusammenhang gestellten Tiere, vor allen Dingen die Vierbeiner/Löwen (vgl. 52v, 99r), das Muschelblatt und das perlbandverzierte Palmettenblatt begegnen in Kölner bzw. mittelrheinischen Handschriften aus der Zeit vor 1150, deren Ausstattung ausschließlich in Federzeichnung erfolgte. Es handelt sich um einen Transferprozess, der ebenso für die Hildesheimer Buchmalerei nachzuweisen ist (zuletzt , 322-329, 339ff.). Besonders enge Parallelen zeigt die in Frankenthal um 1148, vermutlich von Kölner Wanderkünstlern geschriebene und gemalte Wormser Bibel, hier besonders die Hand des Red Outline Masters in Bd. II, 90v, 228v (London, BL, Harley MS 2803 und London, BL, Harley MS 2804; Lit. , bes. 74-83). Im regionalen Umfeld ist es die in St. Pancratius in Hamersleben unter Propst Bernhard (1170-1175) oder kurz danach (um 1180) entstandene Hamerslebener Bibel Halberstadt, Domschatz, Inv.-Nr. 472 (olim M 1); deren im Initialszusammenhang stehende figürliche Darstellungen zeigen dieselbe Farbwahl und in kräftigen Strichen gesetzte Gewandfältelung, wie in 510 Helmst. und in den Initialranken finden sich die integrierten Vogeldarstellungen (vgl. 99r, 69v; zur Hamerslebener Bibel vgl. ; , Bd. 1, Kat.-Nr. G 47 [B. Braun-Niehr]; zum Hamerslebener Skriptorium vgl. 1075 Helmst.). Die Lamspringer Kontakte zum Augustiner-Chorherrenstift in Hamersleben dürften sich in den Jahren (1182-1202), als Hermann, der Bruder Gerhards, dem Stift als Propst vorstand, intensiviert haben.vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, 70 Nr. 3.11. — Nr. 557. — , 473. — , 468, 476. — , 84. — , 239. — , 138. — , 119, 123, 125f., 130, 138f. mit Abb. 8 und 9. — , Neues zu Ebstorfer Handschriftenfragmenten, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und Dems, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218, Studien zur Germania sacra 28), 471–496, hier 484. — , 46f., 78f. Kat.Nr. 8. — , 90, 93f., Abb. 3. — , 30. — , 73f., Abb. 4. — , 68, 85. — , 332, 334, 337, 344, Abb. 11. — (in Vorb.,Abgekürzt zitierte Literatur
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Geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil IV: Cod. Guelf. 462 bis 615 , beschrieben von Bertram Lesser | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
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E. Schlotheuber, Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter, in: Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter. Mit einer Einführung von H. Härtel, hrsg. von H. Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 2008 (Wolfenbütteler Hefte 22), 39–81 | |
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil II (12. Jh.).