Marcus Annaeus Lucanus, De bello civili
Montecassino, Benediktinerabtei — 11. Jh., 3. Viertel
Provenienz: Zur mittelalterlichen Provenienz der Handschrift fehlen verlässliche Quellen, doch sie muss sich im 13. Jh. noch in Montecassino befunden haben, da fehlender Text dort ersetzt wurde (s.o.). Wahrscheinlich handelt es sich um eine Lukanhandschrift, die im Inventar des Klosters Montecassino mit dem Eintrag Item liber Lucani in versibus parum glos. inc. Bella in littera longob. verzeichnet ist (1464–1471; , Catalogi codicum Casinensium antiqui [saec. VIII-XV], Montecassino 1941, 37; , 109 Anm. 97). Der Eintrag auf 102v Antonii Seripandi et amicorum verweist anschließend auf den Vorbesitzer Antonio Seripando (1486–1539). Dieser war bis 1519 Sekretär des Kardinals Luigi d'Aragona (1474–1519) und besaß im Kloster San Giovanni a Carbonara in Neapel eine Büchersammlung, welche nach seinem Tod im Besitz des Klosters verblieb. Die Bücher, mit ihnen vermutlich die vorliegende Handschrift, gelangten in den Besitz seines Bruders, Kardinal Girolamo Seripando (vgl. , 25f.). Im 17. Jh. gehörte die Handschrift, wie auch Cod. Guelf. 18.27 Aug. 4°, dem Esslinger Prediger Johann Deckinger (1625–1678; von 1667–1678 als Archidiakon, von 1654–1663 als dritter Diakon in Esslingen am Neckar tätig; Pfarrerbuch innerwürttembergische Reichsstädte, berab. von M.-A. Cramer, Stuttgart 1991 [Baden-Württembergisches Pfarrerbuch, Bd. 3], 108–120) und gelangte über den Augsburger Agenten Johann Georg Anckel schließlich in den Besitz Herzog Augusts (Briefwechsel 8./18.3. und 14./24.6.1660; Cod. Guelf. 83 Novi, 579r, 599r–601v; vielen Dank W. Arnold für die freundliche Auskunft; Druck des Briefwechsel vgl. , 31f.). Der Eintrag im Bücherradkatalog gehört in die Jahre 1663/64 (Eintrag im Bücherradkatalog auf pag. 5745; , 134).
Pergament — 102 Bl. — 18,5 × 11 cm
Lagen: Vor- und Nachsatzblatt Pergament. IV-1 (7). 11 IV (95). IV-1 (102). Reklamanten. Bl. 35–36 und 40–47 ersetzt mit Text von einer Hand des 13. Jh., die auch in weiteren Handschriften aus Montecassino nachzuweisen ist (vgl.
, 109). Neuere Tintenfoliierung. Einige Schadstellen im Pergament mit Papier ausgebessert. Schriftraum: 14,5 × 6,5 cm, einspaltig, 31 Zeilen. Littera Beneventana (ausführliche Schriftanalyse vgl. , 391; , 27ff.). Jede Zeile eingeleitet mit einer zum Rand abgerückten Majuskel oder Minuskel. Diese mit Orange-Rot und Grün (von Beginn bis 9r) oder ausschließlich Grün (9r–13r) hinterlegt.Pergamenteinband mit grünen Bindebändern (Bänder zum Teil abgerissen). Butzmann geht davon aus, dass die Handschrift den vorhandenen Einband unter Herzog August erhielt und davor ungebunden war (
, 30).INHALT
1r–102v De bello civili. Libri I-IX ( , 76–84; , Bd. 4,1, 83–87). Fehlstellen aufgrund von Blattverlusten: liber I, 1–60; liber VIII, 423–872; liber IX, 479–1108 und liber X.
:AUSSTATTUNG
4 Initialen. Eine Radkarte.Initialen: Zu zwei Büchern (11r Buch II; 23r Buch III) und zwei weiteren Textabschnitten aus Buch III (25v III, 169 Intera totum …; 27v III, 298 Ille urbi …) kleine Initialen in den Text eingerückt (2,0–4,5 cm). Eine davon als Spaltleisteninitiale mit durch den Initialstamm geflochtener Knospenranke (11r). Eine weitere als Randleisteninitiale mit Endgeflechten und Augenverzierung (25v). Die I-Initiale auf 27v als Pfau.
Radkarte: Auf 102r auf dem äußeren Blattrand zu Buch IX, 411–421 eine Radkarte (TO-Karte). Sie zeigt das Schema nach Isidor von Sevilla; in der Wolfenbütteler Handschrift mit den Abweichungen, dass die lateinischen Bezeichnungen der Koordinaten zusätzlich in Griechisch angegeben werden. In Lukan-Handschriften ist das Schema seit dem 9. Jh. bekannt (
, 39 Nr. 16.5, 74 - hier fälschlich ins 12. Jh. datiert, Karte vom Typ A3). 2,9 cm.Farben: Initialen in feiner Federzeichnung, partiell mit zartem Grünauftrag.
STIL UND EINORDNUNG
Die vorliegende Lukanhandschrift, geschrieben in Beneventa, wird von Newton paläographisch in das süditalienische Benediktinerkloster Montecassino lokalisiert und dürfte unter Abt Desiderius (amt. 1058–1087; später Victor III papa) entstanden sein, wobei die Schrift in die Frühzeit dieser Periode verweist ( , 109, 262). Insgesamt 98 Handschriften haben sich aus dieser Periode erhalten, von denen sich der Hauptanteil noch in der Abtei Montecassino vort Ort befindet (nur 23 Handschriften werden heute in auswärtigen Bibliotheken aufbewahrt; , 67, 68 Anm. 3; Handschrift hier fälschlich als unverziert gelistet). Bereits unter Abt Theobald (1022–1035) setzt in Montecassino eine rege Buchproduktion ein. Unter Abt Desiderius wird diese weiter fortgeführt. In der Schrift und Bildausstattung orientierte man sich an älteren Stilen des Frühmittelalters aus dem nordalpinen Raum. So werden noch Vögel und Pfaue als Buchstabenersatz eingesetzt (vgl. 27v), wie es bereits in der vorkarolingischen Buchmalerei üblich war (vgl. Augustinus-Handschrift aus Luxeuil, 1. Viertel 8. Jh., Cod. Guelf. 99 Weiss., 81r). Die Initiale auf 25v zeigt die für Montecassino typischen Randbandgeflechte mit eingefügten Augenverzierungen. Die eher helle Farbigkeit mit dem dunklen Grün entspricht dem Farbspektrum des Skriptoriums (vgl. W. Augustyn, Italien, in: , Bd. 2, 42; zum Buchschmuck vgl. ). Mit dem Regensburger Evangeliar, das Kaiser Heinrich II. im Anschluss an seinen Besuch im Jahr 1022 der Abtei als Geschenk übergab und das hier als Vorlage und Inspirationsquelle genutzt wurde, begann man, den Initialen die für Regensburg typischen Knollenblattranken hinzuzufügen (Rom, BAV, Ott. lat. 74, Regensburg vor 1024, Nachträge des 11. Jh. in Beneventa; zur Handschrift und ihrer Bedeutung für Montecassino vgl. , 13, 57, 198, 200, 204). Erstmals finden sich diese komponierten Initialen im sogenannten Codex Benedictus, einem Lektionar mit Szenen aus dem Leben des hl. Benedikt, das 1071 in Montecassino entstand (Rom, BAV, Vat .lat. 1202; , 42, Taf. 1). Dieser Initialform zugehörig ist auch die in der Wollfenbütteler Handschrift auf 11r vorhandene I-Initiale., Nr. 3561 (Heinemann Nr.). — . — , 39 Nr. 16.5. — , 52f. — , 98, 109–11, 124, 149, 149 Anm. 115, 150, 150 Anm. 119, 170, 262, 273, 308, 391, Taf. 212. — , 68 Anm. 3 und 6.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).