geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil IV: Cod. Guelf. 462 bis 615 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung (Vorläufige Beschreibung)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 536 Helmst.
Breviarium Hildeshemense
Pergament — 178 Bl. — 23,5 × 17,5 cm — Goslar — 13. Jh., 2. Hälfte
Lagen: 3 V (30). VI (42). 12 V (162). 2 IV (178). Kustoden in römischen Zahlen jeweils auf dem Fußsteg der ersten Recto- und letzten Versoseite jeder Lage: I–XVIII. Bleistiftfoliierung modern: 1–178. Schriftraum: 17,5 × 13,5 cm, einspaltig, je nach Hand 27–30 Zeilen, Tintenliniierung, Punkturen an den Blatträndern sichtbar. Haupttext in regelmäßiger Textualis von zwei Händen, Hand 1: 1v–102v (Gesangsteile in kleinerer Schrift abgesetzt); Hand 2: 103v–178r Schenkungsvermerk (1r) und Nachträge (103r, 178v ) von mehreren späteren Händen in Textualis und Bastarda. Zahlreiche marginale Ergänzungen von mehreren Händen des 15. Jh. Rubrizierung nicht durchgehend, fehlt z. B. im Sanctorale 87v–92v, und 97v–103v. Am Beginn der einzelnen Gesangsteile Satzmajuskeln in Unzialform, abwechselnd rot, grün, blau oder hellrot; am Beginn der Lesungen Lombarden über 2–3 Zeilen in den gleichen Farben, meist mit vegetabilen Silhouettenornamenten an geschwungenen Ausläufern. 1v, Fleuronnéeinitiale M über 10 Zeilen in insgesamt roh wirkender Gestaltung. Der Buchstabenkörper ist aus zwei getrennten blauen Segmenten zusammengesetzt, die an den Enden dreifach gelappt sind. Der senkrechte Mittelteil in Rot ist zu einem vielfach axialsymmetrisch geschwungenen Zierelement mit blauen Kreuzen und Linien ausgestaltet. Der gesamte Buchstabe ist von rotem und blauem Palmettenfleuronnée jeweils in der Gegenfarbe zum entsprechenden Element begleitet, dessen geschwungene Fadenausläufer über den gesamten Seitensteg reichen und in Fibrillen auslaufen. 5v, Initiale I über 7 Zeilen, der Buchstabenkörper besteht aus einem blauen Scherengitter mit gelappten Dreiblättern als Silhouettenormanten, die Innenflächen des Scherengitters sind rot gekernt, dazu konturbegleitendes rotes Palmettenfleuronnée. 103v Fleuronnéeinitiale F über 5 Zeilen, Buchstabenkörper von Blau und Rot im Wellenschnitt geteilt, dazu konturbegleitendes rotes und grünes Palmettenfleuronnée. Der Buchschmuck ist sehr ähnlich wie in einigen gleichzeitigen Codices aus dem nahegelegenen Zisterzienserinnenkloster Wöltingerode, vgl. z. B. Cod. Guelf. 1424 Helmst., 1430 Helmst. oder Cod. Guelf. 1147.1 Novi.
Gotischer Holzdeckelband, mit braungefärbtem Kalbsleder überzogen. Streicheisenlinien. Einzelstempel Lilie, Mittelblatt rhombisch, unterer Abschluss lilienförmig: s006068, s006658. Der bislang nur von dieser Hs. nachgewiesenen und nicht näher lokalisierbaren Werkstatt "Wolfenbüttel 536 Helmst.*" ( w0001586) zugeordnet. 5 Doppelbünde. Zwei Langriemenschließen aus starken Schweinslederbändern; die Schließenöse befindet sich 7 cm vor dem durch ein aufgenietetes Endstück geschützten Riemenende und ist mit zwei vernieteten Gegenblechen verstärkt. Die Dornen bestehen aus massiven runden Eisenstiften (∅ 0,6 cm). Der beschädigte Einband wurde vermutlich im 19. oder zu Beginn des 20. Jh. an den Ecken und am Rücken mit einem neuem Lederüberzug ausgestattet; Werkstatt und Datum der Restaurierung gehen jedoch aus den erhaltenen Akten nicht hervor.
Herkunft: Der Codex wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jh. wahrscheinlich in Goslar geschrieben und illuminiert. Für diese Zuschreibung sprechen nicht nur die familiäre Herkunft des Vorbesitzers Henningus Stolterhere (vgl. 1r, allerdings ist unbekannt, ob er den Band auch in Auftrag gegeben hat bzw. ob es noch weitere Vorbesitzer gab), sondern auch der Buchschmuck und das charakteristische Annenoffizium (77v–78v). — Vermutlich im frühen 15. Jh. gelangte der Codex als Schenkung ins Augustiner-Chorfrauenstift Dorstadt; vgl. den entsprechenden Vermerk 1r. — Er wurde am 12.4.1572 mit den übrigen Codices aus Dorstadt in die Hofbibliothek nach Wolfenbüttel gebracht; im 1614 angefertigten Gesamtkatalog von Liborius Otho ist er unter den nur sehr summarisch erfassten Liturgica nicht eindeutig identifizierbar. 1618 aus Wolfenbüttel nach Helmstedt überführt. 1644 im Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 19r) in einem Sammeleintrag unter den Sechs vnd zwanzig Breviaria, worunter 13 vf pergamen vnd 13 vf papier geschrieben unter den Theologici MSSti in quarto nachgewiesen; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 740 aufgeführt.
, 84 Nr. 14.3. — Nr. 583. — , 169. — 1, 355. — , 138, 142.
1r Nota donationis (15. Jh.)Iste liber pie oblatus est conventui in Dorstat ob memoriam domini Henningi Stolterheren presbyteri pie defuncti eiusque fratris carnalis Hinrici laici et Fien sue legitime uxoris ut dicti in Christo defuncti fraternitatis et oracionum ad Deum dicti conventus sororum singularius fiant participes pro refrigeria [!] suarum animarum. Die Familie Stolterhere ist seit dem 14. Jh. in Goslar nachgewiesen, z. B. wird Egbrecht Stolterhere zwischen 1380 und 1397 als Bürger und Ratsmitglied genannt, vgl. Urkundenbuch der Stadt Goslar und der in und bei Goslar belegenen geistlichen Stiftungen, Teil 5 (1366–1400) bearb. von und , Halle/S. 1922 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 45), 162 Nr. 395 vom 25.4.1380, 452 Nr. 938 und 939 vom 5.1. bzw. 8.4.1394, 463 Nr. 954 vom 16.10.1394, 475f. Nr. 980 vom 7.6.1395 und 528–530 Nr. 1048 vom 30.4.1397.
1v–178v Breviarium Hildeshemense (pars aestivalis). Nokturnen zu 3, 6 und 9 Lesungen. Im einzelnen sind enthalten:
(1v–71v) Proprium de tempore (pars I). ›Secundum Marcum‹. In illo tempore Maria Magdalena et Maria Jacobi et Salome emerunt aromata ut venientes ungerent Jesum [Mc 16,1] et reliqua … — … Avertatur furor tuus a populo tuo et a civitate sancta tua. Exaudi (6291a). Enthält die Offizien zu den Sonn- und Wochentagen sowie zu den Herrenfesten von vigilia Paschae bis dominica XXV post pentecosten in folgender, für die Breviere der Diözese Hildesheim typischer Gestaltung und Abfolge: (1v–10r) Officium in vigilia paschae mit dominica resurrectionis und Ferialtagen, (10r–18v) ›Octava pasche‹ mit Ferialtagen, (18v–19v) Responsorientafel (historia) für die Lesungen der Nokturnen von dominica in albis bis ascensio domini, (19v–35r) Lesungen der ersten und zweiten Nokturn (Apc 1,1–22,21) für Sonn- und Wochentage (an den Sonntagen auch die der dritten Nokturn) von dominica in albis bis sabbato ante dominica IV post pascha, (35r–43r) ›Dominica IIII post pascha‹ mit dem Lesungen der ersten und zweiten Nokturn (Iac 1,1–5,20; I Pt 1,1–5,24; I Io 1,1–5,14) für Sonn- und Wochentage (an den Sonntagen auch die der dritten Nokturn) von dominica IV post pascha bis vigilia ascensionis domini, (43r–46r) ›In ascensione domini‹, (46r–52r) Antiphonentafel und Lesungen (Act 1,1–5,16) von feria VI post ascensionem bis vigilia pentecostes, (52r–57r) Officium in festo pentecostes mit Ferialtagen, (57r–61v) Officium in festo sanctissimae trinitatis mit Lektionen ›per ebdomadam‹, (61v–65v) ›De corpore Christi‹ mit Hymnen: (62r) Ad vesperas: 50 Nr. 386, (62r–v) Ad nocturnum: 50 Nr. 388, (64v–65r) ›Laudes‹: 50 Nr. 387, (65v–71v) Antiphonen- und Responsorientafel (historia) für die Offizien zu ›dominica prima post pentecosten‹ bis dominica XXV post pentecosten; die zugehörigen Lesungen der Nokturnen unten, 103v–178r.
(71v–102v) Proprium de sanctis et Commune sanctorum exceptis lectionibus. Sanctorale und Commune sanctorum sind ohne Rubrik oder Absatz unmittelbar an das Temporale angefügt und enthalten die vielfach nur durch Lombarden voneinander abgegrenzten Gesangsteile der Offizien (ohne Capitula, Collecten und Lesungen der drei Nokturnen) zu ausgewählten Heiligenfesten von sancti Johannis Baptistae (24.6.) bis sancti Andreae apostoli (30.11.), zur dedicatio ecclesiae und zum commune sanctorum in dieser Abfolge: (71v–72v) Officium in festo sancti Johannis Baptistae. (72v–73r) Officium in festo sanctorum Johannis et Pauli. (73r–75r) Officium in festo sanctorum apostolorum Petri et Pauli. (75v) Officium in festo sanctae Margarethae. (75v–77v) Officium in festo sanctae Mariae Magdalenae. (77v–78v) Officium in festo sanctae Annae matris BMV. Weitgehend identisch mit dem 1522 gedruckten Offizium aus dem Brevier von St. Simon und Judas in Goslar, Druck: 25 Nr. 25 im Apparat. Vgl. zum sehr seltenen Brevierdruck 2250; (78v–79r) , Die Dauer der Stiftung. Eine diachronisch vergleichende Geschichte des weltlichen Kollegiatstifts St. Simon und Judas in Goslar, Berlin 2011 (Stiftungsgeschichten 7), 469–497.Officium in festo ad vincula sancti Petri apostoli. (79r–80v) Officium in festo transfigurationis domini. Die Antiphonen zu diesem Fest entsprechen weder dem aus dem 15. Jh. stammenden Offizium des Hildesheimer Breviers noch der frühen Sonderüberlieferung aus Goslar, vgl. dazu , 232–238 zur Geschichte, 250–253 Anhang 2. (80v–81v) Officium in festo sancti Laurentii martyris. (81v) Officium in festo sancti Tiburtii martyris. Wie im Hildesheimer Brevier nur Antiphon 3324
. (81v–82r) Officium in festo sancti Hippolyti martyris. (82r–83v) Officium in festo assumptionis BMV. (83v–84r) Officium in festo decollationis sancti Johannis Baptistae. (84r–85r) Officium in festo nativitatis BMV. (85r) Officium in festo exaltationis sanctae crucis. (85r–87r) Officium in festo sancti Mauritii martyris et sociorum eius. (87r–88r) ›De sancto Michaele‹. (88r) Officium in festo sancti Dionysii martyris. (88v–89v) Officium in festo sanctarum XI milium virginum. (89v–90v) Officium in festo omnium sanctorum. (90v–91v) Officium in festo sancti Martini episcopi. (91v–92v) Officium in festo sanctae Caeciliae virginis. (92v–93r) Officium in festo sancti Clementis papae. (93r–94r) Officium in festo sanctae Catharinae virginis. (94v–95v) Officium in festo sancti Andreae apostoli. (95v–96v) Officium in dedicatione ecclesiae. (96v–98r) Commune apostolorum. (98r–99v) Commune plurimorum martyrum. (99v–100v) Commune unius martyris. (100v–102r) Commune confessoris. (102r–v) Commune virginum.
(103r) Von den 43 dem Papst Gregor offenbarten Seelenmessen. De hilghe gheyst de openbarde 〈vnde〉 deme hilghen heren Gregorio drye vnde vertich missen to troste allen cristen selen in deme veghe vure … — … dre von vnser vrowen eyne Salve sancta parens de andre Rorate de dridde Suscepimus. Von späterer Hand auf einem zunächst freien Bl. nachgetragen. Genannt werden drei Messen für die Trinität, fünf für die Wunden Christi, neun für die Engelschöre, sieben für die sieben Gaben des Heiligen Geistes, vier für die Evangelisten, zwölf für die Apostel und drei für Maria. Eine identische Reihe von 43 Gregorsmessen in München, BSB, Cgm 4568, 230r–231v ( , 204), ähnliche Messreihen vgl. bei , 250–253.
(103v–178r) Proprium de tempore (pars II). Fuit vir unus de Ramatha nomine Sophim de monte Effraim et nomen eius Ehelana [!] filius Ieroboam [I Sm 1,1] … — … porro illos qui perditionis eius causa fuerant intromisit et devorati sunt in momento coram eo [Dn 14,41]. Enthält die Schriftlesungen, Evangelienperikopen und Kommentarhomilien der Nokturnen an den Sonn- und Wochentagen von dominica I–XXV post pentecosten. Die Auswahl der Lesungen aus den biblischen Büchern entspricht den Usancen des Hildesheimer Breviers (vergl. 5362, s VIva – & IIIvb), allerdings sind hier die Lesungen der dritten Nokturn der Sonntage nicht separiert, sondern chronologisch eingefügt. Die zugehörigen Antiphonen und Responsorien vgl. oben, 65v–71v.
(178v) Oratio ad sanctum Sebastianum contra pestem. Omnipotens sempiterne deus qui meritis sancti Sebastiani martiris tui gloriosissimi quandam generalem pestem ypydymie [!] hominibus mortiferam revocasti … — … peste et morbo ypydymie [!] et ab omnibus in corpore liberemur. Per dominum. Von späterer Hand nachgetragen, häufig und variant überliefert, sehr ähnlich z. B. in Dillingen, Studienbibliothek, XV 128, 231r (Die mittelalterlichen Handschriften der Studienbibliothek Dillingen, beschrieben von ). Vgl. auch , Wiesbaden 2006, 217f. 2, 81 und 116. Zu Parallelüberlieferung und Druckausgaben des Hildesheimer Breviers vgl. bei Cod. Guelf. 505 Helmst.
Abgekürzt zitierte Literatur
Analecta hymnica medii aevi, hrsg. von G. M. Dreves und C. Blume, Bd. 1–55, Leipzig 1886–1922, Registerbd. 1–3, hrsg. von M. Lütolf, Bern u. a. 1978 | |
H. Bohatta, Bibliographie der Breviere 1501–1850, Leipzig 1937 | |
R.-J. Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 1–6, Rom 1963–1979 (Rerum ecclesiasticarum documenta. Series maior 7–12) | |
Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel) | |
A. Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volkslebens, Freiburg/Br. 1902, ND Darmstadt 1963 | |
A. Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volkslebens, Freiburg/Br. 1902, ND Darmstadt 1963 | |
Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1–, Leipzig 1925–1938, Stuttgart 1978– | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
V. Leroquais, Les livres d’heures manuscrits de la Bibliothèque Nationale, 2 Bde., Paris 1927, Suppl.Bd., Macon 1943 | |
T. Lohse, Stand und Perspektiven der Liber ordinarius-Forschung, in: Liturgie in mittelalterlichen Frauenstiften. Forschungen zum Liber ordinarius, hrsg. von K. G. Beuckers, Essen 2012 (Essener Forschungen zum Frauenstift 10), 215–255 | |
Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Bd. 7: Cgm 4001–5247, neu beschrieben von K. Schneider, Wiesbaden, 1996 (Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Monacensis 5,7) | |
Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, Bd. 1–4, hrsg. von J. Dolle und D. Knochenhauer, Bielefeld 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 56,1–4) | |
K. Schnabel, Ein Zeugnis der Marienfrömmigkeit im 14. Jahrhundert. Das Dorstädter Mariale Cod. Guelf. 617 Helmst., in: , 137–146 | |
K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107 |