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Beschreibung von Cod. Guelf. 558 Helmst.
geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil IV: Cod. Guelf. 462 bis 615 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung

Godeschalcus. Raimundus de Pennaforti. Sententiae sanctorum patrum

Pergament — 87 Bl. — 22,5 x 15,5 cm — Nordddeutschland und Nordostfrankreich / Belgien (?) — 12.–13. Jh.

Aus zwei Teilen zusammengesetzt: I 1r24v, II 25r87v. Lagen: 11 IV (87)! Tintenfoliierung modern: 187. Das letzte, leere Bl. ist als HS mit dem Buchdeckel verklebt und ungez.

Die beiden Teile wurden im 14. Jh. in einen gotischen Holzdeckelband mit braungefärbtem Schafslederüberzug gebunden. Streicheisenlinien. Fünf Doppelbünde, Kapital an Kopf und Schwanz mit ungefärbten Lederstreifen umflochten. Zwei Riemenschließen mit Messingösen und Dornen in der Vorderkante des Buchdeckels; Schließenriemen und -öse unten verloren. Auf VD und HD jeweils fünf aus einer rechteckigen Messingplatte getriebene Hohlbuckel; der mittlere auf dem VD verloren. Auf den unteren Teil des HD ist senkrecht eine flache, ca. 6 cm lange Leiste aus Eisen aufgenagelt, deren Enden zu flachen Befestigungsösen in Form einer fünfblättrigen Blume ausgeschmiedet sind. Die Funktion dieses Beschlages ist nicht ersichtlich; aufgrund der Anbringung und der Gestaltung kann es sich nicht um eine Kettenöse handeln, zumal der Deckel keine Spuren einer Kette aufweist. Der Rückenüberzug wurde nachträglich erneuert; Art und Ausführung der Reparatur lassen vermuten, dass sie ähnlich wie bei Cod. Guelf. 213 Helmst., 318 Helmst. oder 612 Helmst. während des 18. Jh. in Helmstedt vorgenommen wurde.

Fragment: VS. Norddeutschland. 14. Jh., 2. Hälfte. Pergament. 1 Bl. 22,5 × 15,5 cm. Schriftraum: 14 × 11,5 cm (beschnitten), einspaltig, noch 13 tintenliniierte Zeilen des Haupttextes erhalten. Haupttext in regelmäßiger Textualis von einer Hand; Nachtrag auf dem Fußsteg in Bastarda mit Schlaufen von einer weiteren Hand.Rubriziert, rote Lombarden. VS Collectarium. Das Bl. enthält zunächst die Capitula ›Ad sextam‹ (I Cor 11,26) und ›Ad nonam‹ (I Cor 11,27) aus dem Thomas von Aquin zugeschriebenen Offizium in festo Corporis Christi; Druck: C. Lambot, L'office de la Fête-Dieu. Aperçus nouveaux sur ses origines, in: Revue Bénédictine 56 (1942), 61–123, bes. 95–97. Anschließend ›In festo decem milium martyrum‹ mit dem nur anzitierten Capitulum Sir 44,10 und der Collecta: Deus qui ad imitandum passionis [tue exem]plum decem milia martyrum crucis [patibulum] subire fecisti … veneramur passionis tue premia consequamur. Per (länger und mit abweichendem Schluss auch in Cod. Guelf. 543 Helmst., 4r). Auf dem Fußsteg zu diesem Offizium nachträgliche Ergänzungen; zunächst die ausgeschriebene Lesung Sir 44,10–13, darunter die Antiphona super Magnificat (CAO 3449). Folgt Super Benedictus (Antiphon durch Beschnitt verloren).

Herkunft: Die beiden Teile des Codex wurden im 14. Jh. im gegenwärtigen Überlieferungsverbund zusammengebunden; nach Ansicht der Forschung geschah dies in Minden, möglicherweise im Dominikanerkloster (vgl. Hartmann, 108; Westfälisches Klosterbuch 1, 629–632). Dies wird jedoch allein aus dem Besitzvermerk des Mindener Edelvogts Gerhard vom Berge (s. unten) gefolgert; einen direkten Beleg für diese Provenienz gibt es nicht. Die Herren vom Berge verfügten über enge Beziehungen zum Mindener Dominikanerkonvent, da dieser die geistliche Aufsicht über das 1265 von Gerhards Vater Wedekind III vom Berge († 1268) gegründete Dominikanerinnenkloster Lahde innehatte, das 1306 nach Lemgo verlegt wurde (vgl. Westfälisches Klosterbuch 1, 499–505). Ob die in dieser Hs. nachgetragenen Abschnitte (86v) zu den Nonnengelübden einen Bezug zu dieser Situation haben, ist spekulativ. Problematisch ist vor allem, dass in dieser Hs. sowohl ein Besitzvermerk des Mindener Dominikanerkonvents als auch die charakteristische Kettenöse fehlen, wie sie etwa an Cod. Guelf. 1027 Helmst. zu finden sind. — Sofern diese Hypothese zutrifft, gelangte der Codex zusammen mit Cod. Guelf. 11a Helmst., 1008 Helmst., 1044 Helmst. und 1151 Helmst. im Juli oder August 1555 in den Besitz von Matthias Flacius Illyricus, der sich dort anlässlich einer Bibliotheksreise aufhielt, vgl. Hartmann, 107f. Auf Bl. 1r befindet sich ein Inhaltsvermerk von der Hand eines Mitarbeiters oder Sekretärs der Centuriatoren (gleiche Hand wie Cod. Guelf. 462 Helmst., 1r): 1. Historia Godeschalci. 2. Loci communes ex patribus. Darüber eine Notiz des Wolfenbütteler Bibliothekars K. P. C. Schönemann: Exscripta ex visionibus Godesch. dedit Leibn. in S S Rer. Br. I p. 870–875. CS (vgl. auch die weitgehend identische Formulierung in seinem Katalog der Helmstedter Handschriften, NLA – StA Wolfenbüttel, VI Hs 15 Nr. 134, 93v). — Am 20.4.1597 erwarb Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg den Codex zusammen mit der übrigen Bibliothek des Matthias Flacius für die Wolfenbütteler Hofbibliothek. Er ist 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 290 [285]) unter den Papalia Miscellanea gemäß dem Titeleintrag der Centuriatoren als Historia Godescalci. Et Loci Communes ex patribus mit der Signatur W 46 nachgewiesen. 1618 in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt, 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 13v) unter den Theologici MSSti in quarto ebenfalls entsprechend dem Inhaltsvermerk als Vita Godescalci Novimonasteriensis. Fragmentum de Simonia. Loci communes ex Patribus collecti. Omnia in membrana beschrieben; auf dem VS die entsprechende Helmstedter Signatur T. 4to. 15. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 459 aufgeführt.

Pertz Handschriften, 222 Nr. 459. — Schönemann, 69f. Nr. 2. — Heinemann Nr. 606. — Eckert, 122. — Hartmann, 108 und 236. — K. Schnabel, "Liber sanctae Mariae virginis in Bordesholm …". Geschichte einer holsteinischen Stiftsbibliothek, Wiesbaden 2018 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 33), 248–250 mit Abb. 4.

I

Pergament — 24 Bl. — 22,5 × 15,5 cm — Neumünster, Augustiner-Chorherrenstift — 1190

Lagen: 3 IV (24). Kustoden in Minuskelbuchstaben auf dem Fußsteg der letzten Versoseite der ersten beiden Lagen: a und b. Schriftraum: 18 × 12 cm, einspaltig, 31 blindliniierte Zeilen, Punkturen z. T. an den Blatträndern sichtbar. Regelmäßige Carolino-Gothica von einer Hand; die Federproben 24v in verschiedenen Bastarden stammen von drei weiteren Händen des 14. Jh. Marginal wurde von einer Hand des 18. oder 19. Jh. die Kapitelzählung nach der Teilausgabe von Leibniz (s. unten) nachgetragen. Rubriziert; am Beginn der einzelnen Kapitel schlichte rote Initialmajuskeln in Capitalis- bzw. Unzialformen, z. T. mit Punktverdickungen und vegetabilen Silhouettenornamenten.

Herkunft: Der Faszikel wurde nach Ausweis der paläographischen Merkmale um 1200 im Augustiner-Chorherrenstift Neumünster angefertigt; den Terminus post quem liefert die im Herbst 1190 erfolgte Aufzeichnung des Visionsberichts. Nach einhelliger Ansicht der Forschung (zusammengefasst bei Schnabel "Liber sanctae Mariae virginis in Bordesholm …", s. oben, 248) liegt hier das Autograph des Chorherren aus dem Stift Neumünster vor, der Gottschalks Visionsbericht niederschrieb. Ein Schriftvergleich ergibt, dass es sich dabei nicht um den Propst Sido von Neumünster gehandelt hat, da die Schriftmerkmale nicht mit seinen Autographen (Kopenhagen, KB, GKS 156 2° und GKS 3560 8°, vgl. Munk Olsen, 2, 326f. und 3/1, 171f.) übereinstimmen. Sehr ähnlich ist jedoch die Hand eines Schreibers, der mit weiteren Konventualen um 1200 das Kopialbuch des Stifts anfertigte, vgl. E. Bünz, Das älteste Güterverzeichnis des Augustiner-Chorherrenstiftes Neumünster. Untersuchungen zur Grundherrschaft am Ende des 12. Jahrhunderts, in: Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 112 (1987), 27–122, hier 37, 47, 63f.; Schnabel "Liber sanctae Mariae virginis in Bordesholm …" (s. oben), 250f. mit Abb. 5. — Zumindest dieser Faszikel befand sich im späten 13. oder 14. Jh. im Besitz Gerhards I vom Berge (Schalksberg), vgl. den Besitzeintrag 1r: Liber iste Godeschalcus est Gerhardi nobilis advocati de Monte. Gerhard tritt erstmals 1265 und 1268 an der Seite seines Vaters als noch nicht siegelführend in Erscheinung (Die Urkunden des Bisthums Minden vom J. 1201–1300, bearb. von H. Hoogeweg, Münster 1898 [Westfälisches Urkundenbuch 6], 249 Nr. 823 und 278f. Nr. 912). Nach dem Tode seines ältesten Bruders urkundete er am 10.8.1285 erstmals in eigener Person als Edelvogt des Bistums Minden (vgl. ebd., 420 Nr. 1318 sowie s. v. "Schalksberg, nobiles advocati, Gerhard I."); die letzte vom ihm ausgestellte Urkunde datiert vom 22.6.1321, vgl. Die Urkunden des Bistums Minden 1301/1325, bearb. von R. Krumbholtz, 2. verb. und erg. Aufl. besorgt von J. Prinz, Münster 1977 [Westfälisches Urkundenbuch 10], 275 Nr. 758, vgl. auch s. v. "Berge, Gerhard I."; E. F. Mooyer, Regesta nobilium dominorum de Monte seu de Scalkesberge, in: Westphälische Provinzial-Blätter. Verhandlungen der Westphälischen Gesellschaft zur Beförderung der vaterländischen Cultur 2 (1893), H. 4, 3–231, bes. die Stammtafel nach p. 231. Wie Gerhard in den Besitz des Faszikels kam, sei es über Kontakte des Stiftes Neumünster nach Westfalen oder durch die Vermittlung der Holsteiner Grafen aus dem Hause Schauenburg, ist unbekannt.

1r Besitz- und Inhaltsvermerke (s. oben). Darunter von einer hand des 15. (?) Jh. eine nur teilweise lesbare Federprobe: Dominus ab … adversum s… steteru…

1v24r Godeschalcus. ›Prologus‹. Licet ad signandam visionem quam deus nostris temporibus nostris in partibus nobis noto parrochiano puta nostro revelare dignatus est sufficiens causa religiosorum sit peticio … — … possidere nondum merui ipso provehente inveniatis et possideatis per omnia secula futura presentium subsecutiva seculorum Amen. Die zuletzt von H. Braunschweig (s. unten) vermutete Verfasserschaft des Propstes Sido von Neumünster ist nicht gesichert. Für die Ausgabe in seinen ‘Scriptores rerum Brunsvicensium’ (s. unten) bat Gottfried Wilhelm Leibniz am 26.2.1704 Hermann von der Hardt, die entsprechende Hs. in Helmstedt zu prüfen, auf die er bei der Konsultation des Helmstedter Handschriftenkatalogs von 1644 gestoßen war, vgl. Leibniz Briefwechsel XXIII, 124f. Nr. 90 (125 Nr. 6 Hs. genannt). Der Helmstedter Gelehrte lieferte am 7.3.1704 eine knappe Inhaltszusammenfassung (vgl. ebd., 152f. Nr. 110), worauf Leibniz am 24.3.1704 um eine Abschrift des gesamten Textes bat, da dieser Informationen über die Zeit Heinrichs des Löwen versprach (ebd., 196 Nr. 138). Wie schon im Falle des 'Compendium vitae s. Bernwardi', des Gervasius von Tilbury, der 'Gandersheimer Reimchronik' und des Poeta Saxo (vgl. bei Cod. Guelf. 419 Helmst., 481 Helmst., 503 Helmst. und 553 Helmst.) war auch hier Johann Augustin Fasch mit der Kopiertätigkeit betraut. Am 16.5.1704 sandte von der Hardt die von ihm selbst nach dem Original korrigierte Abschrift Faschs nach Hannover zu Leibniz, der vier Tage später den Eingang dankend bestätigte (s. ebd., 375 Nr. 265 und 384 Nr. 272). Das von Leibniz eigenhändig mit kommentierenden Marginalien versehene Manuskript, das sein Mitarbeiter Johann Georg von Eckhart der gedruckten Teilausgabe zugrundelegte, wird heute in Hannover, GWLB, Ms XXIII 165, aufbewahrt. Vgl. dazu auch Eckert, 37f., 56, 97–99 und 122 (Hs. genannt) sowie in der Ausgabe von Assmann (s. unten), 20–22 (mit Beschreibung der Hs.). Ausgaben: Leibniz Scriptores 1, 870875 Nr. LXI (nach der von dieser Hs. genommenen Abschrift, siehe oben); Excerpta quaedam e visionibus Godeschalci, in: Analecta medii aevi ad illustranda iura et res Germanicas edidit, praefatus est, summaria praefixit et notulas adspersit D. F. D. Häberlin, Nürnberg und Leipzig 1764, 569–608 Nr. IIII (nach dieser Hs.); Visio Godeschalci, hrsg. von R. Usinger, in: Scriptores minores rerum Slesvico-Holtsatensium. Erste Sammlung, Kiel 1875 (Quellensammlung der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Gesellschaft für Vaterländische Geschichte 4), 75–126 (Text ab 89 in Auszügen nach dieser Hs., VIII und 83–86 genannt und beschrieben); Godeschalcus und Visio Godeschalci. Mit deutscher Übersetzung hrsg. von E. Assmann, Neumünster 1979 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 74), 46–159 (kritischer Text nach dieser Hs., Sigle W, 17–20 beschrieben, 23–35 und 41f. genannt); Visio Godeschalci. Il mondo e l’altro mondo di un contadino tedesco del XII secolo, a cura di R. E. Guglielmetti e G. Puleio, Firenze 2021(Per Verba. Test mediolatini con traduzione 37), 2–109 (kritischer Text mit ital. Übers. nach dieser Hs., Sigle W, CIX–CXIII beschrieben, pass. genannt). Literatur: Rep. font. 11, 371 (Hs. genannt); F. Rädle, Rezension zu: Godeschalcus und Visio Godeschalci. Mit deutscher Übersetzung hrsg. von E. Assmann (s. oben), in: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur 92 (1981) 19–25 (19 und 21 Hs. genannt); P. G. Schmidt, Rezension zu: Godeschalcus und Visio Godeschalci. Mit deutscher Übersetzung hrsg. von E. Assmann (s. oben), in: DA 39 (1983), 647f. (648 Hs. genannt); H. Röckelein, Otloh, Gottschalk, Tnugdal: Individuelle und kollektive Visionsmuster des Hochmittelalters, Frankfurt am Main u.a. 1987 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, 319), 124–138 (126 Hs. genannt); P. Dinzelbacher, Verba hec tam mistica ex ore tam ydiote glebonis. Selbstaussagen des Volkes über seinen Glauben – unter besonderer Berücksichtigung der Offenbarungsliteratur und der Vision Gottschalks, in: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von dems. und D. R. Bauer, Paderborn 1990 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte NF 13), 57–99; E. Bünz, Neue Forschungen zur Vision des Bauern Gottschalk (1189), in: Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 120 (1995), 77–111 (79 Hs. genannt); H. Braunschweig, Bauer Gottschalk und seine Vision im Wirkungsfeld der Augustiner von Neumünster. Beobachtungen zu einer Wechselbeziehung, in: Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 128 (2003), 7–43 (17–20, 29–31 und 41 zur Autorschaft Sidos von Neumünster); 2VL 10, 404–408 (406 Hs. genannt).

24v Probationes pennae. Auf dem Kopfsteg der Seite findet sich zunächst von einer Hand des 14. Jh. ein aufgrund des Erhaltungszustandes nicht mehr vollständig zu entziffernder Rechtssatz: Provida fuit deliberacione statutum ut persone certe et discrete ad iudicantis sumantur officium coram quibus controversie varie finem sortirentur. Nam si quis sibi in causa propria ius … sed pocius augerentur. Die Quelle, möglicherweise ein Konzils- oder Synodalstatut, konnte bislang anhand des erhaltenen Materials nicht genauer bestimmt werden. Darunter die Umrisszeichnung einer weiblichen, mit einem langen gegürteten Obergewand bekleideten Gestalt als Kniestück in Dreiviertelansicht, die möglicherweise aufgrund der daneben von zwei Händen des 14. Jh. in Bastarda ergänzten Mariengebete – Invokation O pia mater dei da michi bonum sensum ad doctrinam. Oremus mit den Collectae Bruylants II, 320 und 122 – als Gestalt der Gottesmutter zu deuten ist. Die Initiale O der Invokation ist als stilisierte menschliche Halbfigur, davor der Kopf eines kleinen Fabelwesens, ausgeführt. Weitere einzelne, nicht mehr lesbare Worte sind über den leeren Raum der Seite verstreut.

II

Pergament — 63 Bl. — 22,5 × 15,5 cm — Nordostfrankreich (?) / Belgien (?) — 13. Jh., Mitte

Lagen: 8 IV (87)! Kustoden in Minuskelbuchstaben auf dem Fußsteg der ersten Rectsoseite der Lagen: ah. Auf Bl. 28r86r Tintenfoliierung des späten 14. oder 15. Jh. in römischen Zahlen: ILVI, Zählfehler: Die Bll. 29 und 30 doppelt als II, die Bll. 31 und 32 doppelt als III und die Bll. 56 und 57 doppelt als XXVII gez. Das letzte Bl. der letzten Lage ist als HS an den Deckel geklebt. (25r–27v) Schriftraum: 15–15,5 × 9 cm, einspaltig, 32 bleiliniierte Zeilen; (28r–86v) Schriftraum: 17,5 × 11 cm, einspaltig, 51 bleiliniierte Zeilen; (Nachtrag 87r–v) Schriftraum: 19 × 11,5 cm, einspaltig, 9 bzw. 10 tintenliniierte Textzeilen. Insgesamt fünf Hände mit unterschiedlichen Schriften: Hand 1 (frühe Textualis): 25r27v; Hand 2 (frühe Textualis): 28r86r; Hand 3 (Semitextualis, 13./14. Jh.): 86v; Hand 4 (voll ausgebildete Textualis des 14. Jh.): 87rv. Die marginal auf Bl. 26r27v eingetragene Inhaltsübersicht sowie die zugehörige Foliierung auf dem Kopfsteg der Bll. 28r–86r wurden von einer weiteren Hand in jüngerer gotischer Kursive im späten 14. oder frühen 15. Jh. hinzugefügt. 87rv über jeder Textzeile der nachgetragenen Sequenz ein Notensystem aus vier Linien mit c- und f-Schlüssel in gotischer Choralnotation. Bl. 28r86r rubriziert; am Beginn der einzelnen Kapitel schlichte rote Initial- und Satzmajuskeln in Capitalis- bzw. Unzialformen, z. T. mit Punktverdickungen. 87rv am Beginn der einzelnen Verse federgezeichnete cadellenartige Satzmajuskeln. Bl. 25r27v und 86v sind nicht rubriziert, Raum für Lombarden oder Initialmajuskeln ausgespart.

Herkunft: Sowohl die paläographischen Merkmale als auch die enthaltenen Texte, insbesondere die patristische Exzerptsammlung, machen eine Entstehung des Faszikels um die Mitte des 13. Jh. im nordostfranzösischen Raum bzw. im angrenzenden heutigen Belgien oder den südlichen Niederlanden wahrscheinlich. Wann und über welche Vorbesitzer der Faszikel in den Mindener Raum gelangte, ist unbekannt.

25r27v Summa Raimundi de paenitentia abbreviata. [S]ymonia inter crimina ecclesiastica primum obtinet locum. Est autem symonia studiosa voluntas emendi vel vendendi aliquod spirituale vel annexum spirituali … — … propter quod alius competens beneficium eis in ipsa ecclesia assignaretur. Idem etiam in aliis locis nisi posset. Item quod metropolis … (Text bricht ab). Die unvollständige Abschrift enthält lediglich die ersten beiden und den Beginn des dritten Kapitels einer gekürzten Fassung der ersten Redaktion von Raimunds "Summa de paenitentia" (noch in drei Büchern), der zu den ältesten bekannten Abbreviationen von Raimunds Werk gehört, vgl. K. J. Pennington, Summae on Raymond de Pennaforts Summa de casibus in the Bayerische Staatsbibliothek, Munich, in: Traditio 27 (1971), 471–480. hier 473f. Nr. I.A. Weitgehend identisch mit der Abschrift in München, BSB, Clm 14094, 110r137r, hier bis 112r (vergl., dazu auch München BSB 4,2,1, 226f.). Vgl. zum zugrundeliegenden Originaltext die Ausgaben und Literatur bei Cod. Guelf. 526 Helmst., 9r–356v. Die vorliegende Fassung ist ungedruckt.

26r27v Tabula sententiarum sanctorum patrum. Contenta in libello sequenti de diversis sanctorum patrum voluminibus excerpto. Primo de fide. De spe. Folio I. De amore dei II. De Caritate III … — … De Resurrexione. De die Judicii LV. De qualitate glorificatorum corporum. Resurrexione sanctorum. De retribucione Justorum LVI. Das Inhaltsverzeichnis zum nachstehenden Text wurde im späten 14. oder 15. Jh. auf den Kopf- und Seitenstegen der gen. Bll. nachgetragen; die ausführende Hand fügte auch die den Einträgen entsprechende Foliierung hinzu.

28r86r Sententiae sanctorum patrum. ›In nomine sancte et individue trinitatis incipit libellus de variis sanctorum patrum voluminibus excerptus. In primis de fide. Ambrosius‹. In omnibus igitur certaminibus fide muniamur quia scutum ipsarum animarum defensio est et sine hac omnis armatus inermis est [Pelag. in Eph 6,16] … — … honora uti nos domine deus noster dignis premiis quibus sancti cum ipso perpetualiter colletantur ipsi gloria cum eterno patri et sancto spiritu in secula seculorum [Greg. Tur. in Ps 57] Amen. Mit identischem Initium auch nachgewiesen in Besançon, BM, Ms. 185, 20r24v (10. Jh., nur Textbeginn, fragmentiert, der laut einer angefügten Notiz des 17. Jh. in einer anderen Hs. befindliche Hauptteil des Textes konnte bislang nicht identifiziert werden, vgl. Besançon 1, 127); Chartres, BM, Ms. 106 (118), 156r–228v (8./9. Jh., Kriegsverlust, vgl. Chartres, 57; CLA Nr. 748). Die in den drei bislang bekannten Textzeugen (s. unten) anonym überlieferte, nach Ausweis der o. g. Parallelüberlieferung vermutlich im 8. Jh. angefertigte Kompilation beinhaltet in 123 Kapiteln patristische Exzerpte zu theologischen und asketisch-monastischen Themen. Nach Form und Inhalt besonders nahe steht neben den auch ausgiebig zitierten "Sententiae" Isidors von Sevilla vor allem der etwa gleichzeitig entstandene "Liber scintillarum" des Defensor Locogiacensis (vgl. in Cod. Guelf. 532 Helmst., 2r–54r). Der Text ist ungedruckt und bislang unbeachtet geblieben; er fehlt auch in der Übersicht bei Falmangne, 135–176.

86v De votis nota. [S]ciendum vero quod votum aliud est commune aliud singulare … — … usquequo obediant episcopis suis et ad bonum quod ceperunt invite aut voluntarie revertantur. Weitgehend wörtlich entnommen aus: Petrus Lombardus: Sententiae 4,38,2,1–5. In marg. von anlegender Hand eine ausführliche kanonistische Anmerkung mit mehreren Autoritäten, darunter C.17 qu.1 c.4 sowie am Schluss vollständig ausgeschrieben X 3.31.4 mit den zusätzlichen Allegationen D.27 c.6 und C.27 q.1 c.2. Edition: PL 192, 932; Petrus Lombardus 2, 478–480.

86v De virginibus nota. [D]e virginibus non velatis si deviaverint a predecessore nostro Innocencio tale decretum habemus … — … cum ab eorum concupiscentia istae se alienant quem sensum subdita similitudo declarat et confirmat. Weitgehend wörtlich entnommen aus: Petrus Lombardus: Sententiae 4,38,2,6–9. nach Ausweis der Schrift wurden beide Stücke im späteren 13. oder frühen 14. Jh. nachgetragen. Edition: PL 192, 932f.; Petrus Lombardus 2, 480f.

87rv Sequentia in festo nativitatis domini. Lux est orta gentibus | In umbra sedentibus | Et mortis caligine … — … Tue proli nos commenda | Ne nos brevi et tremenda | Feriat sentencia. Die Sequenz besteht aus den auch sonst zusammengehörigen Strophenfolgen AH 54 Nr. 98a (mit dieser Hs., 152 genannt) mit AH 54 Nr. 98 Str. 17–22.


Abgekürzt zitierte Literatur

AH Analecta hymnica medii aevi, hrsg. von G. M. Dreves und C. Blume, Bd. 1–55, Leipzig 1886–1922, Registerbd. 1–3, hrsg. von M. Lütolf, Bern u. a. 1978
Besançon 1 Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. Départements, Bd. 32: Besançon 1.2, Paris 1897
Bruylants II D. P. Bruylants, Les oraisons du Missel Romain. Texte et histoire, Bd. 2: Orationum textus et usus juxta fontes, Louvain 1952, ND ebd. 1965 (Études liturgiques 1,2)
CAO R.-J. Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 1–6, Rom 1963–1979 (Rerum ecclesiasticarum documenta. Series maior 7–12)
Chartres Catalogue général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. Départements, Bd. 11: Chartres, Paris 1890
CLA Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971
DA Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters namens der Monumenta Germaniae Historica 1 (1937) –
Eckert H. Eckert, Gottfried Wilhelm Leibniz’ Scriptores rerum Brunsvicensium. Entstehung und historiographische Bedeutung, Frankfurt/M. 1971 (Veröffentlichungen des Leibniz-Archivs 3)
Hartmann M. Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19)
Heinemann O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
Leibniz Briefwechsel XXIII Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, Reihe 1: Allgemeiner politischer und historischer Briefwechsel, hrsg. von der Leibniz-Forschungsstelle Hannover… beim Leibniz-Archiv der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Bibliothek Hannover, Bd. 23: Januar – September 1704, bearbeitet von M.-L. Babin, Berlin 2013
Leibniz Scriptores Scriptores rerum Brunsvicensium illustrationi inservientes antiqui omnes et religionis reformatione priores…, Bd. 1–3, hrsg. von G. W. Leibniz, Hannover 1707–1711
München BSB 4,2,1 Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Bd. 4,2,1: Die Handschriften aus St. Emmeram in Regensburg, Teil 1: Clm 14000–14130, beschrieben von E. Wunderle, Wiesbaden 1995 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 4,2,1)
Munk Olsen B. Munk Olsen, L'étude des auteurs classiques latins aux XIe et XIIe siècles, Bd. 1–4, 1982–2014
Pertz Handschriften G. H. Pertz, Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, ein Nachtrag zum Archiv VI, 3 ff., in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtkunde 7 (1839), 221–226
Petrus Lombardus Magistri Petri Lombardi Parisiensis Episcopi Sententiae in IV libris distinctae, 2 Bde., Editiones Collegii S. Bonaventurae ad Claras Aquas, Grottaferrata 31972–1981 (Spicilegium Bonaventurianum 4, 5)
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Rep. font. Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 1–12, hrsg. vom Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Rom 1962–2007
Schönemann K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107
2VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1–12, hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin, New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin, New York 2005–2015
Westfälisches Klosterbuch Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, hrsg. von K. Hengst, Bd. 1–3, Münster/Westf. 1992–2003 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 44 = Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte 2)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil IV.
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