Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung) (Vorläufige Beschreibung)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 64 Weiss.
Isidorus Hispalensis, Etymologiae. Palimpsestierte Fragmente (Codex Carolinus)
Bobbio (?) — 8. Jh., 1. Hälfte
Provenienz: 1r oberer Blattrand Weißenburger Signaturenbuchstabe: .f. (14. Jh.). Darunter Ysydrus etimoloyarum (15. Jh.). Im Benediktinerkloster Weißenburg eingetragene Korrekturen. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. 2°60 (zur Wiener Liste, ihrem Aufbau und den gebrauchten Abkürzungen sowie zu Notizen Blums über diese Handschrift vgl. , 9–18).
Pergament — 330 Bl. — 26,5 × 21 cm
Lagen: gezähltes Vorblatt + 4 (3). V+1 (14). IX (19). X-3 (26). 6 IV (74). III (42). 5 IV (121). IX (129). 17 IV (275). IV-2 (281). 2 IV (289). VII-6 (304). IV (311). III (317). 2 IV (333). III-1 (339) (zur Anordnung der Lagen und den Fehlstellen, vgl. ausführlich
, 207–210). Der Text ist, mit Ausnahme der Blätter 1–42, 75–81, 106–113, 138–145, 170–177, 202–209, 234–241, 260–267, 271, 334–338 auf Palimpsest-Pergament geschrieben. Lagenübersicht bei , 208–210. Restaurierungen: Blätter geglättet und mit Lanolin eingerieben. Risse und Fehlstellen mit Japanpapier ausgebessert; durchlöcherte Schriftzeichen der Palimpsestblätter mit Papierbrei aufgefüllt. Schriftraum: 20 × 17 cm, zweispaltig, 26 Zeilen (bis Bl. 32 und in den letzten Lagen häufig 24 Zeilen). Italienische Halbkursive. Rubrizierte Zählungen und Kapitelüberschriften. Einzelne Textanfänge betont durch aus den Spalten gezogene, einzeilige, rot kolorierte Initialmajuskeln.Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1966).
INHALT
1r–338v : Etymologiae sive Origines. ( ). 110r–115v : Indiculus de haeresibus. 210r–217v, 276r–281r, 318r–325v : Commentarius in Epistulam Paulinam ad Romano (Fragment). Palimpsest I. 43r–58v, 67r–74v, 82r–89v, 98r–105v, 114r–137v, 146r–153v, 162r–169v, 186r–193v, 218r–225v, 268r–270v, 273r–275v, 305r–310v : επὶ τῶν ἐν ταῖς τροφαῖς δυνάμεων Palimpsest II. 90r–97v, 154r–161v, 178r–185v, 226r–233v, 242r–244v, 257r–259v, 271r–272v, 278r–278v, 298r–298v, 300r–301v Codex Guelferbytanus A: Gregory-Aland Pe(024). Die vier Evangelien Matthäus 1,11–1,21; 3,13–4,19; 10,7–10,19; 10,42–11,11; 13,40–13,50; 14,15–15,3; 3,29–3,39. Markus 1,2–1,11; 3,5–3,17-, 14,13–24,48–4,61; 15,12–15,37. Lukas 1,1–1,13; 2,9–2,20; 6,21–6,42; 7,32–8,2; 8,31–8,50; 9,26–9,36; 10,36–11,4; 12,34–12,45; 14,14–14,25; 15,13–16,22; 18,13–18,39; 20,21–21,3; 22,3–22,16; 23,20–23,33; 23,45–24,1; 24,14–24,37. Johannes 1,29–1,40; 2,13–2,25; 21,1–21,11. Text in folgender Reihenfolge: 231v, 228r–v, 301r–v, 226r–v, 233r–v, 158r–v, 96r–v, 91r–v, 157r–v, 93r–v, 94r–v, 181r–v, 182r–v, 278r–v, 300r–v, 92r–v, 95r–v, 160r–v, 242r–v, 259r–v, 155r–v, 97r–v, 90r–v, 258r–v, 243r–v, 180r–v,183r–v, 227r–v, 184r–v, 179r–v,232r–v, 185r–v, 178r–v, 244r–v, 257r–v, 161r–v, 154r–v, 298r–v, 230r–v, 229r–v, 156r–v, 159r–v, 272r–v, 271r–v. Palimpsest III. 194r–201v, 299r–299v, 302r–304v, 311r–311v Codex Guelferbytanus B: Gregory-Aland Q(026). Lukas- und Johannesevangelium Lukas 4,34–5,4; 6,10–6,26; 12,6–12,43; 14,14–15,31; 16,34–18,15; 18,34–19,11; 19,47–20,17; 20,34–21,8; 22,27–46,2323,30–23,49. Johannes 12,3–12,20; 14,3–14,22. Text in folgender Reihenfolge: 299r–v, 304r–v, 200r–v, 195r–v, 302r–v, 194r–v, 196r–v, 199r–v, 201r–v, 303r–v, 311r–v, 198r–v, 197r–v. Palimpsest IV. 284r–287v, 288r–297v, 312r–317v, 328r–331v : Liber Iob (Fragment), Text in folgender Reihenfolge: 285r–v, 287r–v, 326r–v, 332r–v, 327r–v, 333r–v, 284r–v, 286r–v. Palimpsest V. 282r–283v, 288r–297v, 312r–317v, 328r–331v : Liber Iudicum (Fragment), Text in der folgenden Reihenfolge: 296r–v, 314r–v, 288r–v, 283r–v, 315r–v, 291r–v, 282r–v, 317r–v, 313r–v, 297r–v, 290r–v, 316r–v, 312r–v, 289r–v, 293r–v, 295r–v, 329r–v, 331r–v, 328r–v, 330r–v, 292r–v, 294r–v. Palimpsest VI. 279r–v Κατὰ Μαθθαῖον: τίτλοι (Fragment) Palimpsest VII. 255r–256v, 277r–277v, 280r–280v : Epistula Pauli ad Romanos (Fragment), Text in der folgenden Reihenfolge: 277r–v, 256r–v, 255r–v, 280r–v. Palimpsest VIII.
AUSSTATTUNG
Zahlreiche Schemata und Zeichnungen. 1 Rota. 1 Stemma. Verziertes Explicit.Schemata und Zeichnungen, Rota und Stemma:
Liber III, 7. De Mathematica, de tertia divisione totius numeri:
35v Rechteck mit der Bez. aaa, darüber ein kleiner Kreis mit horizontaler Linie. Text: Linealis numerus est, qui inchoans a monade linealiter scribitur usque ad infinitum. Unde alpha ponitur pro desigantione linearum, quoniam haec littera unum significat apud Graecos (Linear ist eine Zahl, die, beginnend bei 1, als Linie aufgeschrieben wird bis zu ihrem Ende, weshalb auch Alpha gesetzt wird zur Bezeichnug von Linien, weil dieser Buchstabe bei den Griechen 1 bedeutet). Text: , Bd. 1, Liber III, 7, 3. Deutsche Übersetzung , 129. 1,4 × 1,2 cm. Vgl. Abb. 35v+.
35v drei Zeichnungen untereinander. Ein Rechteck mit dreieckiger/zylindrischer Zeichnung (1,2 × 1,8 cm), ein Rechteck (1,5 × 2,2 cm), ein Rechteck mit doppelt gezogener Außenlinie (1,5 × 2,8 cm). Alle drei Formen bez. mit mehreren Alpha. Text: Superficialis numerus … Quinqueangulus ist (flächenhaft ist eine Zahl, die nicht nur eine Länge, sondern ein Breite ausmacht, wie Dreieck, Quadrat, ein Fünfeck oder ein Kreis usw., immer in einer Ebene, das heißt, sie beschreibt eine Oberfläche. Die Zahl des Dreiecks ist so: [Abbildung]. Die Zahl des Quadrats ist so: [Abbildung]. Die Zahl des Fünfecks ist so: [Abbildung]) . , Bd. 1, Liber III, 7, 4. Deutsche Übersetzung , 129.
35v Rechteck mit gedoppelter Randung. Im Inneren eine fünffach gezackte Spitze mit griffähnlichem Fortsatz. Text: Circularis numerus … quini XXV, ita (die Zahl des Kreises ist so, dass sie, wenn sie einmal vervielfältigt wird und bei sich selbst beginnend zu sich zurückkehrt, so dass beispielsweise fünfmal fünf 25 so [aussieht]: [Abbildung]). , Bd. 1, Liber III, 7, 5. Deutsche Übersetzung , 129. 1,6 × 2,5 cm.
35v Quadrat mit nach oben weisendem, spitzwinkligem Abschluss. Im Inneren, auf der unteren Linien stehend ein Dreieck. An den Ecken viermal die Bez. Alpha. Links oben, am spitzwinkligen Abschluss ein mit der Spitze angefügtes Dreieck. Text: Solidus numerus … flammae consurgunt, ita (eine körperliche Zahl ist eine, die eine Länge, eine Breite und eine Höhe beschreibt, wie es z.B. Pyramiden sind, die sich in der Weise einer Flamme erheben, so: [Abbildung]). , Bd. 1, Liber III, 7, 5. Deutsche Übersetzung , 129. 2,8 × 1,4 cm.
35v Aufgerichtete Rombe mit doppelter Randung. In der Mitte ein Kreuz. An den unteren Ecken und der linken unteren Seite jeweils ein Alpha. Text: Cubus, ut sunt tesserae, ita (oder ein Kubus, so dass es vier sind, so: [Abbildung]). , Bd. 1, Liber III, 7, 6. Deutsche Übersetzung , 129. 2,5 × 1,5 cm.
Liber III, 12. De Mathematica, de figuris Geometriae:
36v Abgeflachter Kreis, seitlich mit gedoppelter Randung. Innen die Bez. ita est Cubus. Text: Figurae solidae … in plano (körperlich sind die Figuren, die eine Länge, eine Breite und eine Höhe enthalten, wie z. B: ein Kubus, von dessen Unterarten es in der Ebene fünf gibt). , Bd. 1, Liber III, 10,1. Deutsche Übersetzung , 131. 1,4 × 1,7 cm.
36v Kreis, innen mit Schrägkreuz. Text: Quarum prima … circuli nucupant (Deren erste ist der Kreis in der Ebene, welcher circumducta (herumgeführt) genannt wird; in dessen Mitte ist ein Punkt, in dem alles zusammenläuft, den die Wissenschaftler Zentrum nennen, die Lateiner aber Kreispunkt). , Bd. 1, Liber III, 12,1. Deutsche Übersetzung , 131. 2,1 cm.
36v Rechteck mit der Bez. quadratus. Text: Quadrilatera figura est in plano quadrata; quae sub quattor rectis lineis iacet, ita (eine vierseitige Figur in der Ebene ist ein Viereck, das zwischen vier geraden Linien liegt). , Bd. 1, Liber III, 12,2. Deutsche Übersetzung , 131. 0,8 × 1,5 cm.
36v Rechteck mit Einrollungen an den Ecken und doppelt gezogenen Seitenbegrenzungen. Innen die Bez. dianatheton grammon. Text: dianatheton grammon figura plana ita (das dianatheton grammon (?) sieht in der Ebene so aus). , Bd. 1, Liber III, 12,2. Deutsche Übersetzung , 131. 1,5 × 2,7 cm.
36v Dreieck mit innen liegender Beschriftung (unleserlich). Text: Orthogonium … rectum (das Orthogonium ist eine rechtwinklige Figur in der Ebene, es ist nämlich ein Dreieck, das einen rechten Winkel besitzt). , Bd. 1, Liber III, 12,2. Deutsche Übersetzung , 131. 2,3 × 2,0 cm.
36v In die Höhe gezogenes Dreieck mit der Bez. Isopleuros, darunter die Bez. insolidum (unbeständig). Text: Isopleuros figura … constituta (der Isopleuros (gleichschenkliges Dreieck?) ist eine Figur in der Ebene, gerade und nach konstruiert). , Bd. 1, Liber III, 12,2. Deutsche Übersetzung , 131. 2,0 × 1,0 cm.
36v Kreis, auf der rechten Seite mit gedoppelter Außenlinie. Innen die Bez. sphaera. Text: Sphaera est … aequalis (die Sphära ist eine Figur in Kreisform, deren Teile alle gleich sind). , Bd. 1, Liber III, 12,3. Deutsche Übersetzung, vgl. , 131. 1,0 cm.
36v Ein aufgerichtetes Rechteck, innen mit der Bez. cubus. Oben und unten mit der Bez. insolidum (unbeständig). In der unteren rechten Ecke eine nach innen weisende Linie. Text: Cubus est … continetur (der Kubus ist eine eigene, körperliche Figur, die Länge, Breite und Höhe aufweist). , Bd. 1, Liber III, 12,3. Deutsche Übersetzung , 131. 2,0 × 1,7 cm.36v Zylinder mit der Bez. cylindrus. Text: Cylindrus est … semicirculum (der Zylinder ist eine quadratische Figur, die einen Halbkreis oberhalb hat). , Bd. 1, Liber III, 12,4. Deutsche Übersetzung , 131. 1,9 × 1,1 cm.
36v Kegel mit der Bez. conon. Text: Conon, figura … orthogonium (der Konus ist eine Figur, die vom Breiten in eine schmale Seite mündet, wie ein Orthogonium). , Bd. 1, Liber III, 12,5. Deutsche Übersetzung, vgl. , 131. 2,0 × 0,9 cm.
36v Pyramide mit einer stumpfen Spitze, bez. mit pyramis. Text: Pyramis est …appellatur (die Pyramide ist eine Figur, die in der Weise des Feuers sich von einer großen (Basis) zu einem spitzen Punkt erhebt. Feuer (ignis) wird nämlich bei den Griechen πυρ genannt). , Bd. 1, Liber III, 12,6. Deutsche Übersetzung, vgl. , 131. 1,3 × 1,0 cm.
36v Kreis, im Inneren eine Form bestehend aus unterschiedlichen geometrischen Figuren (Rechtecke und Kegel) und Linien. Sicut autem … ambitus (wie unterhalb von 10 nämlich jede Zahl, so wird innerhalb dieses Kreises der Umfang jeder Figur eingeschlossen). , Bd. 1, Liber III, 12,7. Deutsche Übersetzung, vgl. , 131. 2,7 cm.
Liber III. De Astronomia:
42v Liber III, 51. De effectus solis (von der Wirkung der Sonne). Rota medium mundi (Mittelpunkt der Welt). Rot gerandeter Kreis, in der Mitte die Bez. medium mundi. Innen rund laufend, entlang des roten Kreises die Angaben zu Sonnenauf- und untergang. Texte: hic ortus solis in natale Domini, sexta hora diei, occasus in natale Domini, occasus in aequinoctio, occasus solis in natale Iohannis, semper media nox, ortus solis in natale Iohannis, hic ortus solis in aequinoctio. Text: Sol oriens … , Bd. 1, Liber III, 51, 2. Deutsche Übersetzung , 145, 146. 6,0 cm.
42v Liber III, 53. De lumine lunae (vom Licht des Mondes). Mondzeichnung. Ein Kreis, mittig vertikal geteilt. Linke Hälfte pergamentfarben, rechte Hälfte tintenfarbig gefüllt. Text: Lunam quidam philosophi dicunt proprium lumen habere, globique eius unam partem esse lucifluam, aliam vero obscuram, et paulatim se vertendo diversas formas efficere (manche Philosophen sagen, dass der Mond ein eigenes Licht habe, seine Kugel sei zum Teil lichtstrahlend und zum Teil dunkel). , Bd. 1, Liber III, 53. Deutsche Übersetzung , 146. 4,6 cm.
42v und 43r Liber III, 54. De formis lunae (von den Formen des Mondes). Untereinander angeordnet 7 Mondformen (2x sichelförmig, halb, voll - mit breitem roten Rand, 3x sichelförmig). Text: Prima figura … , Bd. 1, Liber III, 54. Deutsche Übersetzung , 146. Halbmonde: 3,0–3,5 × 0,3–1,8 cm. Vollmond: 4,0 cm.
Liber IX, 6, De agnatis et cognatis:
141r Stemma consanguinitatis I. Trapezschema, als Krone auf einem Stamm mit unten angedeutetem Wurzelwerk. Dieses mit seitlich abzweigen Wellenlinien (Wurzelverläufe) und dicht gefüllt mit gereihten, in Diagonalbahnen verlaufenden Achterschlingen (Wurzelwerk). Am Stamm seitlich beidseits ansetzende kurze Äste (zum Baummotiv der Stemma, vgl. , 79–85). 24,0 × 17,4 cm.
Verziertes Explicit:
338v achtzeiliges Explicit, bestehend aus wechselnd kolorierten Hohlbuchstaben. Die Stammenden der Buchstaben und die eingefügten Paragraphenzeichen als trichterförmige Dreiecke mit kurzen, fadenförmigen Ausläufern. Schriftfeld: 13,5 × 10,7 cm. Oberhalb des Schriftfeldes ein koloriertes Seilband mit kleinen flankierenden Vogelköpfen 7,9 cm.
Farben: Schemata/Zeichnungen, Rota und Stemma ausgeführt in Tinte (Schriftfarbe). Details (Füllungen von Kreisbahnen) in Menninge (42v, 43r). Explicit: als Füllfarben Menninge, grünliches Gelb.
STIL UND EINORDNUNG
Die Handschrift 64 Weiss. enthält die Etymologien des Isidor von Sevilla, die in der 1. Hälfte des 8. Jh. in Norditalien (Bobbio, Benediktinerkloster San Colombano ?) geschrieben wurden und zählt somit zu den ältesten Exemplaren dieses Texttypus. Für die Herstellung benutzte man Palimpsest-Pergament (ca. ein Drittel der Handschrift wurde auf unbenutztem Pergament geschrieben). Die Bildausstattung beschränkt sich auf Schemata, Zeichnungen, ein Rota und ein Stemma, sowie ein verziertes Explicit. Mit Rom, BAV, Vat. lat. 5763 ( ) liegt eine Schwesterhandschrift vor, die in demselben Skriptorium (Bobbio?) unter Verwendung derselben Textvorlage und der Verwendung bereits benutzter Blätter aus denselben Handschriften angefertigt wurde. Sie besitzt im Gegensatz zur Wolfenbütteler Handschrift Initialschmuck, der für die regionale Einordnung beider Codices wertvolle Hinweise liefert (s.u.). Zwei weitere Isidor-Handschriften greifen auf dieselbe Textvorlage zurück und beinhalten teils auch dieselben Zeichnungen (Modena, Archivio Capitolare, Cod. 0.I.17, geschrieben zwischen 760 und 778 - vgl. III, Nr. 370 und Cava dei Tirreni, Biblioteca Statale del Monumento Nazionale Badia di Cava, Cod. 2 (XXIII) - vgl. III, Nr. 284). Bei den wiederverwendeten Pergamentblättern handelt es sich um Blätter aus insgesamt 8 Handschriften aus dem 5. und 6. Jh. (u.a. zwei griechische Evangelienhandschriften und ein gotisch-lateinischer Apostolos-Codex). Bezüglich der Lokalisierung der Handschrift (des Isidor-Textes) verweist die Wiederverwertung von alten, abgeschabten Textblättern auf ein Skriptorium mit nicht geringem Altbestand. Die Tatsache, dass man auf die Wiederverwendung von Pergament angewiesen war, kann von fehlenden Mitteln zeugen, wie es in Bobbio aufgrund der fehlenden Patronage des Königshauses wohl der Fall gewesen ist (zur möglichen Lokalisierung der Handschriften nach Bobbio vgl. ausführlich , Nr. 1 [ ]). Die für die Lokalisierung der beiden Schwesterhandschriften aus Wolfenbüttel und dem Vatikan richtungsweisende Initialausstattung (Rom, BAV, Vat. lat. 5763) zeichnet sich aus durch eingerollte Serifen, die Verwendung von Sichelfischen als Buchstabenersatz oder Füllmotiv (Zirkelzeichnung) und drachen- bzw. delphinartige Vögel. Als Füllmotive liegen u.a. das Seilband, das Rautenmuster und Schlangen (Füllmotiv der Fische, vgl. 7r) vor. Im Besatz dominieren die Profilpalmette mit geradem Rücken sowie fächerförmig angelegte Blätter. Die Handschrift wurde von einem gewissen, nicht näher zu identifizierenden Boniprandus dem Kloster Bobbio geschenkt (Widmung auf 3r, 10. Jh., I, Nr. 39; , 20–23). Schrift und Abkürzungen von 64 Weiss. sowie von Rom, BAV, Vat. lat. 5763 legen nahe, dass es sich bei dem Herstellungsort um ein norditalienisches Schreibzentrum gehandelt hat ( , 28). Es liegen merowingische und insulare Einflüsse vor, wie sie in der Schriftausstattung mehrerer norditalienischer Handschriften bezeugt sind (vgl. , Influenze straniere nella scrittura italiana dei secoli VIII e IX. Note paleografiche, Rom 1927 (Studi e testi 47); , 139, 142). Das Kloster Bobbio kann aufgrund der Quellenlage nicht zweifelsfrei als Entstehungsort angenommen werden. Ähnlich verhält es sich mit der kunsthistorischen Einordnung. Für das Kloster Bobbio ist auch hier die Quellenlage dürftig. Lediglich , 94, 95 nennt, unter Vorbehalt, eine Gruppe von Handschriften mit Anknüpfungspunkten für Bobbio (Handschriften aus dem 8. Jh.: Mailand, Biblioteca Ambrosiana, D 23 inf. - III, Nr. 328; Mailand, Biblioteca Ambrosiana, B 159 sup. - III, Nr. 309; Mailand, Biblioteca Ambrosiana, F 84 sup. - III, Nr. 341; Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 77 sup., fol. 1–152 - III, Nr. 317; , 6 und Rom, BAV, Vat. lat. 5765 - I, Nr. 43). Desweiteren nennt er Handschriften, die im oberitalienischen Umfeld/Verona entstanden sind (u.a München, BSB, Clm 6329 - IX, Nr. 1276, , Nr. 264; München, BSB, Clm 18036 - , Nr. 265). Die Vergleiche der Initialausstattung von Rom, BAV, Vat. lat. 5763 ergeben hauptsächlich Parallelen zu Mailand, Biblioteca Ambrosiana, C 77 sup., fol. 1–152, wo dieselben Fischformen mit Schlangenfüllungen vorkommen. Ebenfalls ähnliche Initialformen zeigt Rom, BAV, Vat. lat. 5765. Bei beiden Handschriften handelt es sich um Codices, die für Bobbio vorgeschlagen werden und in das frühe 8. Jh. datieren. Allgemeinere Vergleiche bieten sich an zu München, BSB, Clm 6329, einer Sammelhandschrift, die nach , 95 Veroneser Anklänge zeigt (auffälliger Zirkelschlag bei den Fischformen). , Der Wulfila der Bibliotheca Augusta zu Wolfenbüttel (Codex Carolinus), Hamburg 1913. — , Nr. 4148 (Heinemann Nr.). — , The early Iconography of the Tree of Jesse, Oxford 1934, 40. — , Die europäische Verbreitung der Werke Isidors von Sevilla, in: Scriptorium 19 (1965), 302–303. — IX, Nr. 1386. — , Codices rescripti. A list of the oldest Latin Palimpsests, in: Mélanges Eugène Tisserant V = Studi e Testi 235 (1964), 67–113. — , 204–210. — , Nr. 6. — , 33. — , Bibeltext und Bibelreform unter Karl dem Großen, in: , Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 2: Das geistige Leben, Düsseldorf 1965, 156–216, hier 166. — , La diffusion des origines d'Isidore de Séville au haut moyen âge, in: Mélanges d'archéologie et d'histoire 78 (1966) 383–436. — , Bd. 1, 176, 182, 191, Bd. 3, 245, 303. — , 17 Anm. 109. — , Nr. 7409a. — , 151. — , 27, 243. — , Nr. 1 ( ). — , 79. — . —Abgekürzt zitierte Literatur
Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, 2 Bde., bearbeitet von K. Bierbrauer, Wiesbaden 1990 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1) | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
B. Bischoff, Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, hrsg. und übersetzt von M. Gorman, Cambridge 1994 (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology 1) | |
B. Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, 3 Bde., Stuttgart 1966/1967/1981 | |
B. Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, Berlin 2009 (4. durchgesehene und erweiterte Auflage) (Grundlagen der Germanistik 24) | |
B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, Leipzig/Wiesbaden 1940-1980 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971 | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. und mit Anmerkungen versehen von L. Möller, Wiesbaden 2008 | |
C. Falluomini, Der sogenannte Codex Carolinus von Wolfenbüttel (Codex Guelferbytanus 64 Weissenburgensis). Mit besonderer Berücksichtigung der gotisch-lateinischen Blätter (255, 256, 277, 280), Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 13) | |
M. L. Gengaro, G. V. Guglielmetti, Inventario dei codici decorati e miniati (secc. VII-XIII) della Biblioteca Ambrosiana, Florenz 1968 (Storia della miniatura. Studi e documenti 3) | |
K. Holter, Der Buchschmuck in Süddeutschland und Oberitalien, in: Karolingische Kunst, hrsg. von W. Braunfels/H. Schnitzler, Düsseldorf 1965 (Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 3), 76-114 | |
W. Lindsay, Isidori Hispalensis episcopi etymologiarum sive originum libri XX, 2 Bde., Oxford 1911, ND 1971 (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis) | |
Mittelalterliche Handschriften der Herzog August Bibliothek, ausgewählt und erläutert von W. Milde, Frankfurt/M. 1972 (Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sonderbd. 1) | |
H. Schadt, Die Darstellungen der Arbores consanguinitatis und der Arbores affinitatis. Bildschemata in juristischen Handschriften, Tübingen 1982 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Wolfenbütteler Cimelien. Das Evangeliar Heinrichs des Löwen in der Herzog-August-Bibliothek. Konzeption von Ausstellung und Katalog: P. Ganz, H. Härtel und W. Milde, Weinheim 1989 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 58) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |