Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung
Chronica
Pergament — 216 Bl. — 21,5 × 16 cm — Norddeutschland — 14. Jh., 1. Hälfte
Lagen: 27 IV (214)! Reklamanten, dazu Kustoden (Bleistift bzw. Griffelritzung, möglicherweise nachträglich) in römischen Zahlen auf dem Fußsteg der letzten Versoseite jeder Lage: I–XXVII. Zeitgenössische Tintenfoliierung in arabischen Ziffern: 1–214 (auf den ersten Bll. stark verblasst), letztes Bl. ungez., Zählfehler: Bl. 189 doppelt gez. Schriftraum: 16 × 12 cm, zweispaltig (Spalten jeweils ca. 5–5,5 cm breit), 28 meist tintenliniierte Zeilen. Regelmäßige Textualis von einer Hand. Keinerlei Buchschmuck, Raum für Initialen bzw. Lombarden ausgespart.
Der ursprüngliche gotische Einband ist verloren. Gegenwärtig in einen Pappdeckelband mit durchgezogenen Bünden aus der Werkstatt des Buchbinders Anton Friedrich Wirck in Helmstedt gebunden. Rücken und Ecken sind mit ungefärbtem Pergament überzogen; die Deckel selbst wurden mit hellrotbraunem, fein marmoriertem Kiebitzpapier kaschiert. Auf dem Rücken befindet sich eine stark verblasste Titelaufschrift (18./19. Jh.): Chronica a mundo condito ad annum 1245. Fragmentum ex Fretello de locis quibusdam terre. S. Burchardi descriptio terrrae sanctae. Johannis presbyteri epistola de Abyssinia sive Aethiopia.
Herkunft: Nach den paläographischen Merkmalen und den wenigen inhaltlichen Kriterien wurde der Codex in der ersten Hälfte des 14. Jh. im norddeutschen Raum, vermutlich im Umkreis des Dominikanerordens, geschrieben. Eine genauere Lokalisierung ist nicht möglich, da der Buchschmuck, der originale Einband und konkrete Besitzvermerke fehlen. — Der Codex gelangte zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Besitz von Matthias Flacius Illyricus, auf dem Kopfsteg von Bl. 1r Inhaltsangabe: Chronica (dieselbe Hand wie Cod. Guelf. 616 Helmst., Ir, nicht von Flacius, sondern von einem Mitarbeiter oder Sekretär der Centuriatoren). — Zusammen mit der übrigen Bibliothek des Matthias Flacius Illyricus am 20.4.1597 von Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg erworben, 1614 im Gesamtkatalog der Bibliotheca Julia in Wolfenbüttel von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 114 [110]) unter Nr. K 29 der Libri historici nachgewiesen: Chronica in gros Quart pergamen manuscripta. — 1618 aus Wolfenbüttel in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt; 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 31v) unter den Miscellanei MSSti in quarto als Chronicon anonymi desinens in Friderico II. Fragmentum descriptionis Terrae Sanctae. In membrana ohne band beschrieben; auf dem Fußsteg von Bl. 1r die zugehörige Helmstedter Signatur Misc. 4to. 72. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 583 aufgeführt. Aus welchem Grunde nach 1805 auf Bl. I*v der sonst nur bei Drucken verwendete Besitzstempel der UB Helmstedt mit der Aufschrift: EX BIBILIOTHECA ACADEMIAE IVLIAE CAROLINAE HELMSTADII angebracht wurde, ist unbekannt. Vgl. dazu , 114 Nr. 75.
, 10. — Nr. 693. — , 238.
1ra–215ra Chronica variis ex fontibus hausta. [S]icut sex diebus opera sua consummavit deus et in septimo requievit ita sex etatibus humanum genus in hoc seculo per successionem temporum operibus suis insignivit … — … in altera vero parte nemo potest scire quantum nostri dominii immensitas et spaciositas protendatur. ›Sit nomen domini nostri Ihesu Christi benedictum ex hoc nunc et semper‹. Bei dem in dieser Form unikal überlieferten Text handelt es sich um ein bearbeitetes, in Kapitel und Abschnitte gegliedertes, fortlaufendes Exzerpt aus folgenden Stücken: (1ra–2va) Allgemeine Zeitalterlehre und Weltgeschichte I bis zur Sintflut: Vincentius Bellovacensis: Memoriale omnium temporum cap. 2 und 3 (= Speculum naturale 32,26 und 27, beide Kapitel fast vollständig). Alle übrigen Abschnitte bis Bl. 196r sind entnommen aus Vincentius Bellovacensis: Speculum historiale, wobei die stark gekürzten Exzerpte historische Ereignisse nur in Auswahl präsentieren und bis auf wenige Ausnahmen die umfangreichen Schriftstellerauszüge weglassen: (2va–14vb) Erdteile, Völkertafel und Geschichte bis zu Moses (Buch 1); (14vb–20va) Geschichte bis zur babylonischen Gefangenschaft Israels (Buch 2); (20va–30vb) Perserreich und Israel (Buch 3); (30vb–41va) Alexander der Große (Buch 4); (41va–52va) Tod Alexanders bis Caesar (Buch 5); (52va–59vb) Caesar und Augustus, Geburt Christi (Buch 6); (59vb–79vb) Römische Imperatoren von Tiberius bis Valens (Bücher 7–14, besonders knapp gehaltene Auswahl ohne biblische Geschichte); (79vb–85va) Gratian und spätantike Reiche in Asien und Europa (Buch 16); (79vb–92ra) (West- und Ost-)Römische Kaiser von Theodosius I. bis Zeno und Odoaker, Franken und Briten (Bücher 17–20); (92ra–97vb) Oströmische Kaiser von Anastasius I. bis Phokas, Merowinger bis Chlothar II. (Bücher 21 und 22); (97vb–123va) Oströmische Kaiser von Herakleios bis Konstantin V., Franken bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen (Buch 23, besonders ausführlich 98ra–105vb aus den Kapiteln 39–57 zur Lebensgeschichte Mohammeds, vgl. dazu ); ( , The pseudo-historical image of the Prophet Muḥammad in medieval Latin literature. A repertory, Berlin, Boston 2012 [Studien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients NF 26], 316–336 Nr. 40123va–149va) Kaiser von Karl dem Großen bis Otto III., Frankreich (Buch 24, ausführlich die Rolandsgeschichte, 141va aufgrund durchschlagender Tinte freigelassen); (149va–179va) Kaiser von Heinrich II. bis Heinrich IV. (Buch 25, bes. umfangreiche Auszüge aus den Kapiteln 91–105 zum ersten Kreuzzug und den Kapiteln 118–145 mit dem "Dialogus contra Iudaeos" des Petrus Alfonsi); (179va–183vb) Heinrich V. (Buch 26, am Schluss Hugo von St. Victor mit folgendem, bei Vinzenz fehlenden Satz: Hic fertur oriundus de quadam villa Saxonie que vocatur Hamersleue); (183vb–185vb) Lothar III. und Konrad III. (Buch 27); (185vb–191va) Kaiser von Friedrich I. bis Otto IV., staufisch-welfischer Thronstreit (Buch 29, bemerkenswert 186vb–187ra zu Elisabeth von Schönau und ihrem Werk "Liber viarum dei": Eodem tempore in villa Saxonie Scinomalis [!] Elizabeth mirabiles vidit visiones inter quas et angelus ei familiaris librum viarum dei annunciavit. Has visiones licet pulcherrimas auctor speculorum hic obmittit utpote gallicus qui gesta theutonicorum quantocumque memorabilia aut obmittere aut minus plene prosequi in suo opere a curiose [!] lectore poterit deprehendi nichil de theutonicis posuit nisi ea sine quibus gesta Gallicorum explanare non potuit unde ibi vicem in hoc opusculo reddidi, dazu Sondertext zum dritten Kreuzzug, vgl. MGH SS 24, 158 im Apparat, außerdem 188vb–189ra zur Absetzung Heinrich des Löwen, die bei Vinzenz fehlt: Eodem anno [sc. 1182] dux Saxonie ab imperatore Frederico convictus et universorum imperii baronum iudicio condempnatur atque a ducatu in perpetuum deiectus vel deiciendus optinet graciam imperatoris et iurat se Saxoniam non intraturum nisi exiliaverit per septennium). (191va–196ra) Friedrich II. bis 1244 (Buch 30, 192vb der Schluss des Kapitels 66 [Anno itaque domini 1216 confirmatus est fratrum praedicatorum ordo] modifiziert: Anno Frederici V qui fuit ab incarnacione M CC XVI scilicet sequenti anno post concilium Lateranensem generale confirmatus est ordo praedicatorum omnium ordinum preclarissimus, Schwerpunkt auf dem 5. Kreuzzug von 1217). Druck (kurze Ausschnitte, darunter der Schluss dieses Abschnitts): 24, 154–162 (mit dieser Hs., 156 genannt); 1, Sp. 2419B–2420C (Speculum naturale, vergl.); 4, Sp. 24–1285 (Speculum historiale, vergl.). Literatur: 11, 356–359; , Histoire ecclésiastique et histoire universelle: le Memoriale temporum, in: Vincent de Beauvais. Intentions et réceptions d'une oeuvre encyclopédie au Moyen-Âge, hrsg. von , und , Montréal, Paris 1990 (Cahiers d'études médiévales. Cahier spécial 4), 87–110; Zum bereits in den Vinzenz-Auszügen erkennbaren Interesse des anonymen, aufgrund des zitierten Sonderguts vermutlich in einem norddeutschen Dominikanerkonvent zu suchenden Kompilators am Heiligen Land passen auch die ohne Binnengliederung direkt anschließenden Exzerpte: , Vinzenz von Beauvais. Scholastische Universalchronistik als Quelle volkssprachiger Geschichtsschreibung, Hildesheim 1991 (Germanistische Texte und Studien 36), 112f. Nr. 10 und 11 (Hs. genannt).
(196ra–211ra) Descriptio Terrae Sanctae ex descriptione Terrae Sancta Burchardi de Monte Sion deprompta. Der Auszug umfasst neben dem Prolog in z. T. abweichender Anordnung die Kapitel 8 (Jerusalem) und 9 (Umgebung Jerusalems), wobei insbesondere in letzterem Abschnitte aus den Kapiteln 6 und 7 aufgenommen wurden, wenn im laufenden Text auf diese verwiesen wird. Die auf dem Rückentext der Hs. vorgenommene Identifikation des Textes (inbesondere des dem eigentlichen Prolog vorangestellten Abschnitts 196ra–va) mit dem "Liber locorum sanctorum Terrae Jerusalem" des Rorgo Fretellus ist daher nicht zutreffend. Der vollständige Text der Langfassung in Cod. Guelf. 354 Helmst., 132va–167rb; eine abweichende Abschrift in Cod. Guelf. 41 Weiss., 179va–197rb. Druck: Liber de descriptione terrae sanctae, Textus conferendus, hrsg. von , Peregrinatores medii aevi quatuor: Burchardus de Monte Sion, Ricoldus de Monte Crucis, Odoricus de Foro Julii, Wilbrandus de Oldenburg, Leipzig 21873, 19–94, hier 19–21, 63–76 und 78–82; , Genf 1880. Literatur: 56–60 Nr. 143 (57 Nr. 49 Hs. genannt); 1, 177; , 308.9; 2, 609; 707 (Hs. genannt); 2, 519f. Nr. 1; , Reiseberichte, Karten und Diagramme. Burchard von Monte Sion und das Heilige Land, in: Geschichtsvorstellungen. Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, hrsg. von , und , Wien, Köln, Weimar 2012, 460–507; , Burchard of Mount Sion and the Holy Land, in: Peregrinations. Journal of medieval art and architecture 4 (2013), 5–41; , The manuscript tradition of Burchard of Mount Sion’s Descriptio Terre Sancte, in: The Journal of Medieval Latin 30 (2020), 257–286 (286 Hs. genannt, Sigle Wo3).
(211rb–I*ra) Epistola presbyteri Johannis (recensio prima, partim). Der lückenhafte, ohne Übergang an das Vorhergehende anschließende Text enthält als bearbeitete Auswahl aus dem Text der Urfassung die Abschnitte § 1–7, 9–14, 21–321, 38–40, 42, 43, 452, 46–49, 51–68, 71–75, 972, 98 und 99 (Zählung nach der Ausgabe von Brewer, vgl. unten). Ein weiterer Textzeuge der Urfassung auch in Cod. Guelf. 42.3 Aug. 2°, 292v–294v; andere Redaktionen in Cod. Guelf. 205 Helmst., 103ra–104vb (Redaktion B, unvollständig); 420 Helmst., 2ra–6ra (Redaktion C, vollständig); 11 Aug. 4°, 205v–207v (Redaktion C, unvollständig); 13.6 Aug. 4°, 13ra–14ra (Redaktion E, unvollständig). Druck: , Der Priester Johannes, in: Abhandlungen der Philologisch-Historischen Classe der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 7/8, Leipzig 1879, 830–1030, hier 909–924 (ohne Kenntnis dieser Hs.); , Prester John. The legend and its sources, Farnham u.a. 2015 (Crusade texts in translation 27), 46–66 (Text), 309 Nr. 191 (Hs. genannt).Literatur: – , Die "Epistola presbiteri Johannis" lateinisch und deutsch. Überlieferung, Textgeschichte, Rezeption und Übertragungen im Mittelalter; mit bisher unedierten Texten, München 2000 ( 115), 127 Nr. 193 (diese Hs., Sigle Wo2), 163–166.I*v leer.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil IV.