Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung) (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 69 Weiss.

Paulinus Aquileiensis, Liber exhortationis. Vita et regula Pachomii

Tholey — 11. Jh., 1. Hälfte

Provenienz: Besitz- und Schreibereinträge: Benediktinerkloster St. Mauritius in Tholey (Saarland): 1r Liber sancti Mauritii et sancti Thietberti; darunter Liber sancti Martini et sancti Thietberti (Thiet radiert; Verweis auf Tholey und Trier, Bendiktinerkloster St. Martin). 68v Codex sancti Mauricii. Si quis abstulerit vel furaverit anathema sit (Schreiberhand der zugehörigen Seite und 67v Z. 2868v; Hoffmann Schreibschulen Südwesten, Bd. 1, 314). Bendiktinerkloster Weißenburg: 1r Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli apostolorum in Wissenburg (Ende 15. Jh.). Wiener Liste 4°16 (Butzmann Weißenburg, 3–18).

Pergament — 72 Bl. — 25,5 × 16 cm

Lagen: I. 7 IV (56). III+2 (64). IV (72). Neuere Tintenfoliierung, Vorsatzblatt nicht mitgezählt. Schriftraum: 21,5 × 12 cm, einspaltig, 35 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Butzmann erkennt in den ausführenden Händen dieselbe Schule (Butzmann Weißenburg, 216). Das ungezählte Vorblatt (Brevierfragment) stammt von einer Weißenburger Hand des frühen 11. Jh. (zugehörig: Schlettstadt, Bibliothèque Humaniste, Ms. 14; Hoffmann Schreibschulen Südwesten, Bd. 1, 302, 314). Rubrizierte Incipits und Explicits in Minuskel oder Capitalis Rustica, 24v in Capitalis Quadrata. einleitend zu den Texten rubrizierte 2–7zeilige Initialmajuskeln und leicht verzierte, etwas nachlässig nachgetragene tintenfarbige Initialmajuskeln (12. Jh.?; 25r, 25v, 57r und 58r - mit Gesicht im Binnenfeld). Im Text Satz- und Versmajuskeln, die Buchstaben der Textanfänge gelegentlich mit roten Begleitstrichen.

Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1968). Alter Einband und Reste aufbewahrt.

INHALT

1r Interrogatio Damasi pape de missarum celebratione (PL 13, 441). 1r24v Paulinus Aquileiensis: Liber exhortationis (PL 99, 197–282 und 40, 1047–1078 [Ps.-Augustinus]; ed. A. de Nicola, Sancti Paulini Patriarchae Aquileiensis Liber exhortationis, Trier 2005 ()). 24v57r Vita sancti Pachomi interprete Dionysio Exiguo (BHL 6410; La Vie latine de saint Pachome traduit du grec par Denys le Petit, ed. H. van Cranenburgh, Bruxelles 1969; PL 73, 227–272). 57r68v Regula sancti Pachomi interprete Hieronymo (PL 23, 61–86; ohne den Abschnitt cap. 142–159; Pachomiana latina. Règle et Épitres de S. Pachome, ed. A. Boon, Louvain 1932; PL 23, 61–77 und 82–86; ohne cap. 143–159). 69r71v Vita Alexii (BHL 288). 71v72r Contra paralysin (Rezept gegen die Gicht mit althochdeutschen Glossen; Druck: Butzmann Althochdeutsche Glossen, 429; Lit.: Butzmann Weißenburg, 217). 72rv Orationes sancti Augustini. 72v Nachträge (13. Jh.; vgl. Butzmann Weißenburg, 217, darunter Walther I, 15603).

AUSSTATTUNG

1 Initiale.

Initiale: Zu Beginn des Liber exhortationis auf 1v eine rubrizierte Spaltleisteninitiale mit Rankenverzierung im Binnenfeld. Vom Initialstamm ausgehende, durch eine Spange gebündelte, axialsymmetrisch angelegte Knospentriebe mit Punktverzierungen und eingerollten Seitentrieben. 2,4 cm.

STIL UND EINORDNUNG

Der Schreibervermerk auf 68v erlaubt eine Lokalisierung der Handschrift in das saarländische Benediktinerkloster Tholey mit seinen Patronen dem Hl. Mauritius und dem Lokalheiligen Thietbert (Theobert). Bestätigt wird diese Zuordnung durch den Besitzeintrag auf 1r. Paläographisch liegen zwei Datierungsvorschläge vor. Butzmann datiert die Handschrift in die Mitte des 11. Jahrhunderts (Butzmann Althochdeutsche Glossen, 432), während Hoffmann als Enstehungszeitraum das 10. Jahrhundert favorisiert (Hoffmann Schreibschulen Südwesten, Bd. 1, 314). Hoffmann gelang auch die Zuordnung des Vorsatzblattes (Brevierfragment) zu einem Brevierfragment heute in Schlettstadt (Schlettstadt, Bibliothèque Humaniste, Ms. 14; Hoffmann Schreibschulen Südwesten, Bd. 1, 302), welches er nach Weißenburg in das frühe 11. Jh. gibt. Die Handschrift ist für das 15. Jh. in Weißenburg belegt (Besitzeintrag), wo ihr im Verbund das Vorblatt hinzugefügt wurde (Zeitpunkt unbestimmt). Der zweite, zeitgleiche Eintrag wie der erste auf 1r nennt neben dem Lokalheiligen Thietbert den Hl. Martin, Patron des Trierer Martinsklosters, ein Umstand, der sich aus der Personalunion der Klöster St. Mauritius in Tholey und St. Martin in Trier unter Abt Eberwin (für Tholey belegt als Eberwin III.: um 1018 - nach 1036; für Trier belegt: 995 - 1040) erschließt (vgl. hierzu Butzmann Althochdeutsche Glossen, 430ff.; Haubrich Tholeyer Abtslisten, 170f.). Für Tholey ist kein Skriptorium belegt. Die Bestände des Klosterarchivs und der Klosterbibliothek fielen 1792/93 der französischen Revolution zum Opfer (vgl. Haubrich Tholeyer Abtslisten, 11f.), so dass keine direkten Vergleichshandschriften vorliegen. Der Stil der einzigen, enthaltenen Initiale auf 1v mit seinem axial angelegten, durch Spange gebündelten Knospenmotiv, den großen Mittelknospen und den starken seitlichen Einrollungen, begegnen in Handschriften aus Trier, die um 1000/ins erste Viertel des 11. Jh. datieren (vgl. Berlin, SBBPK, Ms. lat. qu. 683, Trier, St. Maximin, 10./11. Jh. - Lit. Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh., Nr. 87, Abb. 287, 288; Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. fol. 34, Trier, 10. Jh., 4. Viertel - Lit. Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh., Nr. 90, Abb. 295–297, 302–304).

Wolfenbüttel Weiss., Nr. 4153 (Heinemann Nr.). — Butzmann Althochdeutsche Glossen. — Butzmann Weißenburg, 216f. — Haubrich Tholeyer Abtslisten, 170f. — Hoffmann Schreibschulen Südwesten, Bd. 1, 314. — Bergmann/Stricker Glossenhandschriften, Nr. 962.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bergmann/Stricker Glossenhandschriften Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften, bearbeitet von R. Bergmann und S. Stricker, Bd. 4, Teil C. Katalog Nr. 780–1070, Berlin 2005
BHL Bibliotheca hagiographica Latina antiquae et mediae aetatis, 2 Bde., ed. Socii Bollandini, Bruxelles 1898 und 1901 (Subsidia hagiographica 6), Bd. 3: Supplementi editio altera, Bruxelles 1911 (Subsidia hagiographica 12)
Butzmann Althochdeutsche Glossen H. Butzmann, Althochdeutsche Glossen aus dem Kloster Tholey im Saarland, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 81 (1959), 428-435
Butzmann Weißenburg H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10)
Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh. Die illuminierten lateinischen Handschriften deutscher Provenienz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin: 8.–12. Jahrhundert, 2 Bde., beschrieben von A. Fingernagel, Wiesbaden 1991 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung, Reihe 3: Illuminierte Handschriften 1)
Haubrich Tholeyer Abtslisten W. Haubrich, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomastische und chronologische Untersuchungen, Saarbrücken 1986 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 15)
Hoffmann Schreibschulen Südwesten H. Hoffmann, Schreibschulen des 10. und 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs, 2 Bde., Hannover 2004 (MGH Schriften 53)
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Walther I H. Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum, Göttingen 1959 (Carmina medii aevi posterioris Latina 1)
Wiener Liste Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6)
Wolfenbüttel Weiss. Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443