Evangelium secundum Lucam cum glossis
Weißenburg, Benediktinerkloster — 12. Jh., Anfang
Provenienz: Iv Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerk: Codex sanctorum Petri apostolorum(!) in Wissenburg. 2r Weißenburger Signaturenbuchstabe: .D. (14.Jh.). 132r alter Weißenburger Signaturenbuchstabe .F. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. 4°4 ( , 3–18).
Pergament — 132 Bl. — 24 × 16 cm
Lagen: I (1). I (3). IV+2 (13). 5 IV (53). IV+1 (62). 3 IV (86). IV+1 (94). 4 IV (127). IV+1 (132). Vorsatzblatt mitgebunden, nicht mitgezählt, Nachsatzblatt mitgezählt. Neuere Tintenfoliierung. Ab Bl. 65 ersetzt durch Bleistiftzählung, da Bl. 64 doppelt gezählt. Guter Zustand. Einige Blatt unten und an den Seiten mit Verlusten. Haupttext: Schriftraum: 17,4 × 6,3 cm, mit Glosse 21,5 × 13,0. Karolingische Minuskel von einer Hand.
, Bd. 1, 314, 315, Bd. 2, Abb. 214b erkennt eine Weißenburger Hand des beginnenden 12. Jh. und verweist auf das Weißenburger N in der Capitalis Rustica der Auszeichnungsschriften. Textanfänge rubriziert. Überschriften in Capitalis Rustica.Roter Ledereinband (Neubindung 1968).
INHALT
2r–128v Evangelium secundum Lucam. I und 1r leer. 1v Zeichnung. 2r–4r Praefatio. 4r Beginn der Marginal- und Interlinearglossen. 129–131 leer. 131v Rota. 132r Federproben (zum Text vgl. ausführlich , 217–219.).
AUSSTATTUNG
3 Initialen. Eine ganzseitige Federzeichnung. Eine Rota.Initialen: Einleitend zur Praefatio (2r) und zum Haupttext (4r, 4v) Spaltleisteninitialen in roter Federzeichnung vor farbigen Gründen. Die Initialstämme mit breiten, vergoldeten (2r) und genagelten (4r, 4v) Spangen. Auf 4r als Caudaersatz ein Drache. In den Binnenfeldern locker geführtes Rankenwerk, zum Teil mit wulstigen Stauchungen an den Zweigstellen (4r; 2r - teilvergoldet). Als Endmotive Zungenblätter mit umgeschlagenen Blattspitzen und rückgebogenen Palmetten (4v mit spiralförmig aufgerollter Spitze). Die äußeren Seiten der umgeschlagenen Blattspitzen und Palmetten mit Schraffuren. 4r ein Profilgesicht. 4,4–10,5 cm.
Ganzseitige Federzeichnung: 1v der Evangelist Lukas sitzend, nach rechts zu einem Pult gewandt und schreibend unter einer Arkade. In den Händen Schreibwerkzeuge. In der Linken die Schreibfeder, in der Rechten das Messer, mit dem er das Pergament glättet. Das locker fallende Gewand mit breiten Goldborten an Brust und Oberschenkeln. Faltentäler angedeutet durch feine Parallellinien. Im Umhang und entlang der Taille auffällig runde, plastische Faltenschläge. Der große Goldnimbus von einer Punktreihe umgeben. Die Säulen der Arkade mit Girlanden umwunden. Über dem Bogen eine Architektur (Stadtmauer - Andeutung des Himmlischen Jerusalem?) mit insgesamt fünf Türmen und vier Toren. 17,5 × 10,4 cm.
Rota: 131v eine Rota zur Vaterunser-Erklärung. Der Kreis zeigt einen äußeren und einen inneren Reif. Diese und die dazwischen liegenden Kreisbahnen mit den Beschriftungen: Äußerer Reif subscriptus patrie reditum docet ordo figure, innerer Reif beatitudo, äußere Kreisbahn pe/ti/ci/o/n/e/s, mittlere Kreisbahn san/cti spi/ri/tus do/na (Lesefolge im Uhrzeigersinn, beginnend oben rechts). In den Kreisbahnen zusätzlich 7x speichenförmig angelegte Inschriften: In der äußeren Bahn die sieben Bitten des Vaterunser in umgekehrter Reihenfolge nach dem ordo ascensionis; in der mittleren Bahn die sieben Gaben des Heiligen Geistes in Kombination mit den septem bona Christi; in der inneren Bahn die sieben Tugenden der Bergpredigt in Kombination mit den in der Bergpredigt verheißenden Seligkeiten (zu den Texten vgl. , 56). 14,6 cm.
Farben: Miniatur: Die Figur in roter Federzeichnung. Details (Architektur, Pult, Schemel und Gewand) in Gold. Der Hintergrund der Architektur, sowie Flächen der Arkade, des Schemels und des Pultständers in laviertem, blassen Grün. Die Initialen gezeichnet hauptsächlich mit roter Feder (der Drache auf 4r in der Tintenfarbe der Glosse). Die Gründe mehrfarbig in Hellgelb, Dunkelblau und Blassgrün.
STIL UND EINORDNUNG
Hoffmann gibt das vorliegende Lukasevangelium paläographisch nach Weißenburg und datiert die Handschrift ins frühe 12. Jh. ( , Bd. 1, 314). Sie enthält neben der ganzseitigen Federzeichnung und dem Initialschmuck mit dem Rota auf 131v die älteste bekannte in graphische Form umgesetzte Darstellung des Vaterunsers ( , Nr. 3.3.1, Abb. 6). Der längliche Gesichtstypus des schreibenden Evangelisten Lukas, mit den großen, betonten Augen, gerader Nase und betonten Wangen findet seine Parallelen im Figurenstil des Weißenburger Martyrologiums 45 Weiss. (vgl. hier bes. 103r). Auch der vorhandene Initialstil mit den großen genagelten Spangen und den plastisch wiedergegebenen Triebansätze ist hier zu finden (vgl. 45 Weiss., 150v und 20v). Die umgeschlagenen Blattenenden sprechen für eine etwas spätere Zeitstellung. Mit 70 Weiss. liegt die späteste erhaltene Handschrift aus Weissenburg vor. Für zwei reich ausgestattete Evangelistare aus der Zeit um 1200 (Karlsruhe, BLB, Cod. St. Peter perg. 7) und dem frühen 13. Jh. (Karlsruhe, BLB, Cod. Bruchsal 1) heute in Karlsruhe wurde zwar Weissenburg als Entstehungsort vorgeschlagen, jedoch kontrovers diskutiert (zu beiden Karlsruher Handschriften vgl. Initial und Miniatur. Buchmalerei aus neun Jahrhunderten in den Handschriften der Badischen Landesbibliothek, Basel 1965, Nr. 28 und 29 [E. J. Beer]; Faks. Das Speyerer Evangelistar. Codex Bruchsal 1, Badische Landesbibliothek, Karlsruhe, mit einem Kommentar von H. W.- von dem Knesebeck und U. Obhof, Luzern 2012, hier 56–60)., Nr. 4154 (Heinemann Nr.). — , 217–219. — , 707. — , 17, 37. — , Nr. 3.3.1, Abb. 6. — , 19, 20. — , Bd. 1,1.2, 824. — , Nr. 6 ( ). — , Bd. 1, 314, Bd. 2, Abb. 214b. — , 369.
Abgekürzt zitierte Literatur
Bibliothèque monastique (IXe-XIIe s.). Le scriptorium oublié de Wissembourg. Exposition de photos des manuscrits de Wissembourg conservés à la Herzog-August-Bibliothek de Wolfenbüttel (R.F.A.), organisée par la Mission Historique Française en Allemagne et le Cercle d'histoire de l'Alsace du nord avec la collaboration de la Bibliothèque de Wolfenbüttel et de la Société Thierry Alix de Nancy, Wissembourg du 15 septembre au 8 octobre 1991, Wissembourg 1991 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
G. Cames, Dix siècles d'enluminure en Alsace, Contades 1989 | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
H. Hoffmann, Schreibschulen des 10. und 11. Jahrhunderts im Südwesten des Deutschen Reichs, 2 Bde., Hannover 2004 (MGH Schriften 53) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938 | |
U. Rehm, Bebilderte Vaterunser-Erklärungen des Mittelalters, Baden-Baden 1994 | |
S. Westphal, Karolingische Buchmalerei aus dem elsässischen Kloster Weißenburg, in: Die Handschriften der Hofschule Karls des Großen. Individuelle Gestalt und Europäisches Kulturerbe, Tagung Trier 2018, Trier 2019, 357–391 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).