geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil V: Cod. Guelf. 616 bis 927 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser.
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms "Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung" (Vorläufige Beschreibung)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 719 Helmst.
Innocentius III papa
Pergament — I, 78 Bl. — 21,5 × 15 cm — Hildesheim, Augustiner-Chorherrenstift Sülte (?) — 13. Jh., 2. Viertel
Lagen: IV+1 (8)! 3 IV (32). II (36). 4 IV (68). V (78). Reklamanten. Bleistiftfoliierung modern: 1–78, vorderes Vorsatzbl. (s. Fragment) ungez. Schriftraum: 16,5 × 10,5 cm, zweispaltig (Spalten 4,5 bis max. 5 cm breit), 31 blind- und tintenliniierte Zeilen, Punkturen an den Blatträndern sichtbar. Regelmäßige frühe Textualis von einer Hand. Rubriziert, rote, sorgfältig ausgeführte Lombarden mit Punktverdickungen und filigranen Silhouettenornamenten.
Spätgotischer Holzdeckelband, mit mittelbraun gefärbtem Kalbsleder überzogen. Streicheisenlinien. Einzelstempel Adler, heraldisch, einköpfig: s000003. Agnus Dei stehend, ohne Kelch, Kreuzstab schräg: s005485. Blattwerk: s000846. Eichelzweig mit Eichenblättern: s004254. Lilie, Mittelblatt rhombisch, unterer Abschluss lilienförmig: s002655. Pegasus: s003454. Rosette, ein Blattkranz, fünfblättrig: s006256 . Schrift Maria: s008604. Sämtlich der Werkstatt "Sülte-Kloster" in Hildesheim ( w000203) zugeschrieben. Drei Doppelbünde. Eine mittig angebrachte Riemenschließe mit Stiftlager in einfach geschwungener Gabelform, Schließenriemen und -haken verloren, nur noch das halbrunde Gegenblech am HD erhalten. Auf dem VD ist ein Titelschild (Pergament, 3 x 5,5 cm) mit der Aufschrift in Textualis: Innocencius de officio misse, links daneben die mit Tinte direkt auf den Deckel geschriebene Signatur B 8, die vermutlich wie bei den meisten Bänden Heininger Provenienz (vgl. bei Cod. Guelf. 693 Helmst.) die Einordnung der Hs. in die Propsteibibliothek signalisiert. In den Rückenfeldern ein zweigeteiltes weiteres Titelschild wie vorn (Pergament, jeweils 2 x 4 cm), mit der Aufschrift in Textualis: Innocencius super officium misse. Weitgehend identisch gestaltete Einbände an den in der gleichen Werkstatt gebundenen Cod. Guelf. 807 Helmst., 83.3 Aug. 2° (mit identisch gestaltetem Rückenschild) und 35.1 Aug. 4°.
Herkunft: Der Codex wurde nach Ausweis der paläographischen Merkmale im 2. Viertel des 13. Jh. im südöstlichen Niedersachsen im Grenzgebiet der Diözesen Hildesheim und Halberstadt geschrieben; dort befindet sich in der Hs. Halberstadt, Historisches Stadtarchiv, M 37, 47r–94v (Cod. Guelf. 541 Helmst. (Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg ?) und Cod. Guelf. 70.1 Aug. 2° (Zisterzienserkloster Mariental, datiert 1226). Mit ziemlicher Sicherheit geschah dies im Hildesheimer Augustiner-Chorherrenstift auf der Sülte, wo der Codex im 15. Jh. neu gebunden und für den Gebrauch in der Konventsbibliothek mit den charakteristischen Titel- und Rückenschildern versehen worden ist. Da jedoch gleichzeitige datierte und loaklisierte Vergleichsstücke fehlen, bleibt diese Annahme hypothetisch. — Die Hs. gelangte nach der Windesheimer Reform 1451 ins Augustiner-Chorfrauenstift Heiningen, vgl. die Besitzvermerke auf dem Kopfsteg des hinzugebundenen Vorsatzbl. Ir (Liber sancti Petri apostoli claustri virginum in Heyninghe) und auf dem Kopfsteg 1r (Liber sancti Petri in Heynihe). Da die Heininger Chorfrauen 1451–1476 von den beiden Pröpsten des Sültestifts, Berthold Ziegenmeier und Johannes Busch, nicht nur reformiert, sondern auch seelsorgerisch betreut wurden, dürfte einer der beiden den Codex für den Gebrauch der Propsteibibliothek (deren Signatur auf dem VD hinzugefügt wurde) ins Stift mitgebracht haben. — Der Codex wurde am 12.4.1572 mit der übrigen Konventsbibliothek in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt, 1588 im Verzeichnis der Pergamenthandschriften (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v) nicht eindeutig identifizierbar. 1614 im Gesamtkatalog der Hofbibliothek von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 302 [297]) unter Nr. Z 36 der Papalia miscellanea als Innocentius de officio missæ manuscr. in membrana nachgewiesen. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 17v) als Innocentius super officium missæ in membrana unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben, auf dem VS die zugehörige Helmstedter Signatur T. 4to 106. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 473 genannt.
, 19f.), die dritte und älteste aus Norddeutschland bekannte Abschrift des Textes. Vergleichbar sind etwa das Brevier, 75 Nr. 6.1. — Nr. 783. — , 116. — , 25. — , 341 und 351. — , 89. — , 58, 181, 199. — , 271–273 Nr. IV.16 ( ). — , 171f. — , 282, 291, 428.
1ra–77va De missarum mysteriis. ›Innocencius super officium misse‹. Tria sunt in quibus precipue lex divina consistit: Mandata promissa et sacramenta … — … ut legentibus ipsius exposicionis plenior pateat intellectus totum continue censui subscribendum. Amen. Der in den Ausgaben vorangestellte Ordo missae fehlt; der nur in Kapitel, nicht in Bücher (particulae) untergliederte Text umfasst: (1ra–vb) Prolog; (1vb–15vb) Liber I mit folgenden Modifikationen gegenüber der Ausgabe: Kapitel 5 und 10 jeweils zweigeteilt, die Kapitel 13–16, 17–27, 28–30, 31 und 32, 33 und 34, 47 und 48 sind zusammengefasst, Kapitel 53 folgt direkt auf Kapitel 50. (15vb–36rb) Liber II mit folgenden Modifikationen gegenüber der Ausgabe: Kapitel 1–4, 5–11, 12 und 13, 23 und 24, 25 und 26 sowie 60 und 61 sind zusammengefasst, Kapitel 32 ist zweigeteilt. (36rb–43va) Liber III mit folgenden Modifikationen gegenüber der Ausgabe: Kapitel 1 ist zweigeteilt und der zweite Teil ist mit Kapitel 2 kontrahiert, die Kapitel 4 und 5 sowie 9 und 10 sind zusammengefasst. (43va–62vb) Liber IV mit folgenden Modifikationen gegenüber der Ausgabe: Die Kapitel 9–11, 15 und 16, 22–24 sowie 39 und 40 sind zusammengefasst, Kapitel 30 ist nach dem ersten Absatz in Kapitel 29 integriert. (62vb–73ra) Liber V mit folgenden Modifikationen gegenüber der Ausgabe: Kapitel 2 ist zweigeteilt, Kapitel 5 ist dreigeteilt und der letzte Teil ist mit Kapitel 6 kontrahiert, Kapitel 7 ist zweigeteilt und der zweite Teil ist mit den Kapiteln 8–13 kontrahiert, die Kapitel 17 und 18, 19 und 20, 22 und 23 sowie 26 und 27 sind zusammengefasst. (73ra–77va) Liber VI. Auch in Cod. Guelf. 871 Helmst., 2r–112v (Text ungeachtet kleinerer Abweichungen in der Kapitelgliederung weitgehend identisch, vermutlich von der gleichen Vorlage kopiert, Schluss fehlt durch Lagenverlust); ein auf dem Text basierender Auszug (jeweils mit identischem Initium) in Cod. Guelf. 269 Helmst., 66rb–67rb; 729 Helmst., 126v–132r; 909 Helmst., 179v–180v; kürzere Auszüge in Cod. Guelf. 710 Helmst., 133v; eine volkssprachliche Bearbeitung in Cod. Guelf. 29.4 Aug. 4°, 127r–195v. Ausgaben: 217, 763C–916A, hier ab 773B; , A medieval commentary on the mass. Particulae 2–3 and 5–6 of the De missarum mysteriis (ca. 1195) of Cardinal Lothar of Segni, Ann Arbor (Diss.) 1980, 91–276 (teilweise); , 2–418, hier ab 30 (lat. Text nach PL mit ital. Übersetzung). Literatur: 6, 244; 4, 388–395, hier 392–394 Nr. II; , Studi su Innocenzo III, Padova 1972 (Italia sacra 17), 344–431 (431 Nr. 142 Hs. genannt); , I manoscritti del De missarum mysteriis di Innocenzo III, in: Rivista di storia della chiesa in Italia 29 (1975), 444–452 (449 Nr. 192 Hs. genannt); , Papst Innocenz III., De missarum mysteriis. Studien und Vorarbeiten zu einer kritischen Edition, mit besonderer Berücksichtigung der schriftstellerischen Persönlichkeit des Papstes, Phil. Diss. Wien 1996, 149–224 (184 Nr. 187 Hs. genannt). – 77vb–78vb leer.
:Abgekürzt zitierte Literatur
R.-J. Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 1–6, Rom 1963–1979 (Rerum ecclesiasticarum documenta. Series maior 7–12) | |
P. Carmassi, Johannes Teutonicus. Rechtsgelehrter und Handschriftenstifter in der Halberstädter Kirche, in: Rechtshandschriften des deutschen Mittelalters. Produktionsorte und Importwege, hrsg. von Ders. und G. Drossbach, Wiesbaden 2015 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 29), 167–188 | |
Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel) | |
M. M. Foot, Some Bookbindings in the Herzog August Bibliothek. In: Treasures of the Herzog August Library. Rare books and manuscripts, Wolfenbüttel, 1984, 87–130 | |
Katalog der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften in Halberstadt. Verzeichnis der Bestände der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Domschatz zu Halberstadt, und des Historischen Archivs der Stadt Halberstadt, bearbeitet von P. Carmassi, Wiesbaden 2018 | |
H. Härtel, Lamspringe. Ein mittelalterliches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und J. Wilke, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218 = Studien zur Germania sacra 28), 115–153 | |
H. Härtel, Untersuchungen zur Bibliotheksgeschichte in Niedersachsen an der Wende vom 15. und 16. Jahrhundert, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 11 (1986), 1–32 | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
Innocenzo III: Il sacrosanto mistero dell'altare (De sacro altaris mysterio). Romani pontificis mysteriorum evangelicae legis et sacramenti eucharistiae libri sex, hrsg. von S. Fioramonti, Città del Vaticano 2002 (Monumenta, studia, instrumenta liturgica 15) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
B.-J. Kruse, Stiftsbibliotheken und Kirchenschätze. Materielle Kultur in den Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 28) | |
Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865 | |
Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 1–12, hrsg. vom Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Rom 1962–2007 | |
Rosenkränze und Seelengärten – Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern, hrsg. von B.-J. Kruse, Wiesbaden 2013 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 96) | |
K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107 | |
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 12 Bde., hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin/New York 2005–2015 |