Hieronymus, Epistulae
Weißenburg, Benediktinerkloster — 9. Jh., 2. Jahrzehnt
Provenienz: 1r Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzeintrag. 1r Codex sanctorum Petri et Pauli apostolorum in Wissenburg. Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. 4°6 ( , 3–18).
Pergament — 99 Bl. — 25,8 × 16,5 cm
Lagen: 3 IV (24). V (34). 8 IV+1 (99). Lagenbezeichnungen: B - N in roten Majuskeln mittig auf dem unteren Rand des letzten Lagenblattes. 1–10 neue Tintenfoliierung. 11–99 neue Bleistiftfoliierung. Guter Zustand. 8v neun Zeilen zu Beginn des neuen Textabschnittes unkenntlich gemacht. Schriftraum: 21,5 × 13,5 cm, einspaltig, 39 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen, Schrift mit zahlreichen insularen Abkürzungen sowie gleichzeitigen und jüngeren Korrekturen ( , 219). Textanfänge in kolorierten Hohlbuchstaben (1r) und in roter oder schwarzer Unzialis (ungleichmäßig verteilt). 37v in schwarzer Capitalis.
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1968).
INHALT
Epistulae ( , 221–223; 54–56; 620).
:AUSSTATTUNG
Zahlreiche Initialen. Eine Federprobe.Initialen: Zu den Textanfängen zahlreiche verzierte und kolorierte Initialen (1,5–6,0 cm). Davon 9 ohne Besatz und Füllmotive (6r, 33r, 54v, 56v, 65r, 65v, 54r, 84v, 86v). 5 Initialen von einer zweiten, schwächeren Hand im gleichen Stil (57r, 57v, 59r, 63r, 72r). Die Buchstabenstämme als kolorierte Hohlbuchstaben mit Schnallen oder als farbig grundierte Initialen (bei Flechtbandfüllung). Einige Initialen mit ausgesparten Randleisten. Als Füllmotive dienen das Flechtband (1r, 1v, 2v, 8v, 12r, 22v - als Motiv im Binnenfeld, 58v, 74v), die Seilschlinge (5r), Achterschlingen (10v, 14v), ein Flammenmuster (72r), der Mäander (10v) sowie mehrbahniges und einbahniges Zickzackband (12r, 15v, 37v, 54v, 61v). Häufiger eingefügt, einzelne gekernte Kreise (Augen; 10v). Im Besatz Vogelköpfe mit auffällig großen Augen (11v, 54v, 81v), Halbpalmetten oder einfache, palmettenartige Lappungen (49v, 66v - konturierte Lappungen, 76r, 2x 82r, 2x 84v, 85v, 92v) und fadenförmige, angehängte Verflechtungen (54v). Als Initialstammendungen einfach gestufte Blüten (37v), als Bogenersatz Fische (5r, 10v, 2x 58v, 61v, 76r). Von den unverzierten Initialen eine Q-Initiale als rechteckiger Rahmen mit Vogelkopf - in kolorierten Hohlbuchstaben: (Q)uid sit… (64r), eine M-Initiale als rahmende Kolonnade - (M)agnas… (65v) und eine Q-initiale mit unverzierten Fischen, deren Ende perspektivisch umgeschlagen erscheint (58v). 6 Initialen als Federinitialen (22v, 24r, 60r - mit einbeschriebener Raute, 82r, 78r und 79v - mit roter Punktrandung). 25r Federprobe am unteren Blattrand (D-Buchstabe und Flechtband).
Farben: Orange, Gelb und ausgespartes Pergament. Schwarze Grundierung.
STIL UND EINORDNUNG
Die Handschrift wird paläographisch von Bischoff nach Weißenburg lokalisiert und in das frühe 9. Jh. gegeben. Butzmann hingegen favorisiert, bei gleicher Datierung, als Entstehungsort Süddeutschland (?) oder Norditalien (?). Der Buchschmuck spricht eindeutig für eine Lokalisierung nach Weißenburg. Äußerst enge Parallelen ergeben sich zu 3 Weiss. (u.a. sehr ähnliche Farbwahl und -auftrag, Verwendung von einzelnen gekernten Kreisen/Augen, Initialen in geometrischen Grundformen und architektonisch aufgefasst - vgl. 3 Weiss., 47r und 72 Weiss., 60r, 64r, 65v). Für eine etwas frühere Zeitstellung spricht die noch vorhandene Verwendung von Fischen und Federinitialen, die gestückelt wirkenden Palmetten und die volumigen, etwas unförmigen Fische (vgl. 10v, 49v und 66v), wie sie in 17 Weiss. vorkommen. Eine ähnliche Variante des Flammenmusters (72r) bietet 74 Weiss. (vgl. 123r). Über die Weißenburger Handschriften hinaus tritt das im Elsässischen (vgl. München, BSB, Clm 14082, Murbach, um 800; , Nr. 212) und im Bodenseeraum (vgl. Berlin, SBBPK, Fragm. 139, Voll-Lektionar, Südwestdeutschland - Bodenseegebiet ?, um 800; , Nr. 126) bekannte Motiv des Mäanders auf (vgl. 10v). Das Motiv ist in bayerischen, süddeutschen Handschriften unbekannt (vgl. , 480) und ist sicherlich über Frankreich vermittelt worden (vgl. Evangeliar aus Fleury, Autun, BM, Ms. 4, 10r, Flavigny (?), Bl. 6–24 - um 800, Bl. 25–247 - 2. Hälfte 8. Jh.; , 13–16; , Nr. 10).
, Nr. 4156 (Heinemann Nr.). — , 706. — , 221–223. — , 127. — , 530. — , Bd. 1,1.2, 824. — , Nr. 7417. — 416. — , 362.
Abgekürzt zitierte Literatur
Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, 2 Bde., bearbeitet von K. Bierbrauer, Wiesbaden 1990 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1) | |
K. und V. Bierbrauer, Schuttern in der Karolingerzeit. Das Evangeliar in London, British Library, Add. 47673, in: Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag, hrsg. von G. Jenal, Stuttgart 1993, 449-491 | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
P. Carmassi, Übergänge. Ornamente und Diagramme zwischen Text, Buchstabe und Bild in Handschriften des Frühmittelalters, in: Das Mittelalter 22,2 (2017), 408-430 | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Bd. 1–, Wien 1866– | |
Die illuminierten lateinischen Handschriften süd-, west- und nordeuropäischer Provenienzen der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz: 4.–12. Jahrhundert, beschrieben von A. Fingernagel, Teil 1: Textband, Teil 2: Abbildungen, Wiesbaden 1999 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung, Reihe 3: Illuminierte Handschriften 2) | |
L. Nees, Frankish Manuscripts. The Seventh to the Tenth Century, 2 Bde., London 2022 (A Survey of Manuscripts illuminated in France 2) | |
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung und Studien zum Aufbau des Evangelienbuches, Bern/München 1971 (Bibliotheca Germanica 14) | |
S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1) | |
R. Kurz, Die handschriftliche Überlieferung der Werke des heiligen Augustinus, Bd. 5/2: Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, Verzeichnis nach Bibliotheken, Wien 1979 (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der lateinischen Kirchenväter 10 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 350) | |
E. Lesne, Histoire de la proprieté ecclésiastique en France, Lille 1938 | |
Catalogue des manuscrits d'Autun, Bibliothèque municipale et Société Éduenne, hrsg. von C. Maître, Brepols 2004 | |
S. Westphal, Karolingische Buchmalerei aus dem elsässischen Kloster Weißenburg, in: Die Handschriften der Hofschule Karls des Großen. Individuelle Gestalt und Europäisches Kulturerbe, Tagung Trier 2018, Trier 2019, 357–391 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).