Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms "Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung"
Vincentius Gruner. Ps.-Petrus Helias
Papier — 191 Bl. — 21 × 14 cm — Südniedersachsen — 1430–1440
Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern, darüber einkonturige Stange, darüber Stern: DE1185-S326_122 (1435), NL0360-PO-76229 (1438, ein weiterer Typ nicht nachweisbar). Traube mit zweikonturigem Stiel: DE1185-S326_80, DE1185-S326_81 (beide um 1440, zwei weitere Typen nicht nachweisbar). Zwei Schlüssel, gekreuzt, zweikonturiger Schaft, runder Griff: DE6255-PO-120894 (1437). Lagen: VI+1 (12)! VI (24). VII (38). 2 VIII (70). VI+1 (82)! 8 VI (178). VI–2+1 (188)! Zwei getrennte Lagenzählungen auf dem Fußsteg der ersten Rectoseite jeder Lage; für den ersten Text Kustoden in arabischen Ziffern (1us–3us) und für den zweiten in römischen Zahlen (I–XII). Bleistiftfoliierung modern: 1–188, vorderes und hinteres Vorsatzbl. und Schaltzettel nach Bl. 80 ungez. In den letzten vier Lagen des Codex erheblicher Wasserschaden, Text z. T. stark verblasst. Ein ungez. Schaltzettel zwischen den Bll. 80 und 81 mit Kommentarnachtrag, misst 3,5 x 14 cm. 1r–38r Schriftraum: 17–18 × 8–10 cm, einspaltig (Mise-en-page im Marginalglossentyp, vgl. , 86), 21–25 Zeilen. 39r–188r Schriftraum: 17,5–18 × 10,5–11 cm, Prolog einspaltig, sonst auch bei nicht ausgeführtem Kommentar Zwei-Spalten-Grundform und -Klammerform (vgl. , 81–83), Text je nach Spaltenhöhe 10–22 Zeilen, Marginalkommentar bis 52 Zeilen. Jüngere gotische Kursive von einer Hand; im Kommentar für die erläuterten Lemmata z. T. eine schlichte Textualis als Auszeichnungsschrift. Am Beginn der meisten Abschnitte, zumindest insoweit auch der Kommentar ausgeführt wurde (sonst Raum für Initialen bzw. Lombarden ausgespart), finden sich teils schlichte unverzierte Lombarden in tintenfarbiger Umrisszeichnung, teils kunstvoll ausgeführte Fleuronnéelombarden mit vegetabilen und arabeskenähnlichen, häufig schraubenförmig gewundenen Zierelementen in den Buchstabenstämmen; 113v auch mit regelmäßigen Knospenbüscheln im Binnenfeld und einer konturbegleitenden Reihe ungekernter Perlen.
Spätgotischer Holzdeckelband, mit ungefärbtem und unverziertem Schafsleder überzogen. Drei Doppelbünde, Kapital an Kopf und Schwanz mit rot gefärbten (jetzt verblassten) Lederstreifen umflochten. Eine Langriemenschließe, Schließenriemen und -öse sowie Dorn auf dem VD verloren bzw. entfernt. Auf dem VD verblasste Titelaufschrift in regelmäßiger Bastarda: Grammatica Vincencii. Petrus Helye.
- VS und HS. Rom. 1410–1415. Pergament. 1 Bl. 20,5 × 13 cm. Die zur Bedeckung der Spiegel dienende Urkunde wurde in mehrere Längsstreifen zerschnitten, so dass die ursprüngliche Breite nicht mehr zu ermitteln ist. Zwei Streifen wurden mitgeheftet und um die erste bzw. letzte Lage gehängt. Ein Teil des VS ist abgelöst; ein weiterer ist zusätzlich mit Papier überklebt, auf dem als Hinterklebung zum Korrosionsschutz des Schließendorns ein in Textualis beschriebenes Pergamentstück (ca. 2 x 3 cm, aufgrund der fragmentarischen Erhaltung keine genauere Identifizierung mehr möglich) befestigt ist. Schriftraum: 10 × 9 cm, einspaltig (in der Mitte und am rechten Rand beschnitten), 17 Zeilen. Bastarda von einer Hand. Am Textbeginn der Rest einer Initiale in Umrisszeichnung. VS, HS Urkunde. (Text setzt ein) … Episcopus Tusculanus … patri dei gracia episcopo Hildensemensi … nobis oblatam … sinceram in domino caritatem. Ex parte … — … Rome apud [Sanctum Petrum] XV kal. Aprilis pontificatus domini Johannis … (Text bricht ab). Die erhaltenen Bruchstücke der Datumszeile legen nahe, dass die Urkunde an einem 18. März während der Amtszeit des Gegenpapstes Johannes XXIII. (1410–1415) ausgestellt wurde. Sofern dies zutrifft, handelt es sich beim Aussteller um Petrus Gerardi, seit 1402 Kardinalbischof von Tusculum römischer Obödienz († 1417, 1, 28 Nr. 31) und beim Empfänger um Bischof Johannes III. von Hildesheim (1399–1424, 1, 288).
- Vorsatz. 15. Jh., Mitte. Papier. Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern, darüber einkonturige Stange, darüber Stern: DE1935-Mscr_Dresd_M_66_338 (1445–1450). 1 Bl. 21 × 25 cm. Das fragmentarisch erhaltene Bl. ist in zwei Teile zerschnitten, die vorn und hinten als mitgeheftetes und um die erste bzw. letzte Lage gehängtes Vorsatzbl. dienten; das hintere Fragment ist kopfständig befestigt. Schriftraum: 21 × 14 cm, einspaltig (beschnitten), max. 28 Zeilen erhalten. Haupttext in Bastarda von einer Hand; Interlinearglossen in jüngerer gotischer Kursive von einer weiteren Hand. Keinerlei Buchschmuck. Insbesondere auf den Bll. Ir und I*v wurden interlinear zahlreiche lat. Worte und Satzfragmente eingefügt; ob dies zum Zweck einer Übersetzung des mnd. Grundtextes, zu Unterrichtszwecken o. ä. geschehen ist, muss offenbleiben. Ir finden sich als nachträgliche Federproben noch die Invokationen Maria und Ihesus in Textualis, die offenbar erst nach der Zweitverwendung des Bl. als Vorsatz hinzugefügt wurden. Schreibsprache: Mittelniederdeutsch, Glossierung lat. Ir–v I*r–v Testament. (Text setzt ein) … jwferlike to rechte tode lende wen myn boele … an den vertich gulden gheldes … liffetucht vnde morghenghaue jarliker … — … vnder mynen Inges… Anno domini … (Text bricht ab). Bei der testierenden Person handelt es sich zweifellos um eine wohlhabende Witwe.
Herkunft: Der Codex entstand nach Ausweis der paläographischen Merkmale, der Wasserzeichen und des Buchschmucks im vierten Jahrzehnt des 15. Jh., wahrscheinlich im südniedersächsischen Raum um Hildesheim und Braunschweig. — Wann und über welche Vorbesitzer der Codex in die Bibliotheca Julia nach Wolfenbüttel gelangte, ist unbekannt. Der nachträgliche Registraturvermerk deutet darauf hin, dass der Band aus einer der 1572 nach Wolfenbüttel abtransportierten Klosterbibliotheken der Region stammt – möglicherweise aus der zahlreiche weitere Grammatik- und Schultexte enthaltenden des Augustiner-Chorfrauenstifts Dorstadt; aufgrund fehlender Besitz- und Einkunftsvermerke bleibt dies jedoch hypothetisch. — Die Hs. ist erstmals 1602 in der Wolfenbütteler Hofbibliothek nachgewiesen, vgl. den Inhalts- und Registrierungsvermerk des Bibliothekars J. A. Lonicerus auf dem VS: Ex illustri Guelphorum Bibliotheca Hinric-Julia [!] quae est Wulferbyti. Grammatica Vincentii msc. Registratus 1602 per Lonicerum. 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 2 [6]) unter Nr. A 25 der Libri Grammatici als Grammatica manuscripta Vincentii. Ibidem Grammatica manuscripta Carminibus nachgewiesen. — 1618 aus Wolfenbüttel in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt; 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 31r) unter den Miscellanei MSSti in quarto als Grammatica Vincentii beschrieben; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 657 aufgeführt.
Nr. 788. — , 281 Nr. 310.15.
1r–38r Tractatus de IV speciebus grammaticae cum commento marginali et interlineari.
(1r–38r) Textus. Grammatica est recte loquendi sciencia huius autem quatuor sunt partes scilicet ortographia ethimologia diasinthetica et prosodya … — … vel potest fieri punctus planus ita quod pausans nec vocem erigat nec deprimat sed sustineat eam equaliter. ›Et sic est finis‹.
(1r–38r) Commentum interlineare et marginale. 'Grammatica'-lis est ars liberalis. 'Recte loquendi" id est congrue exprimendi mentis conceptum. 'Sciencia' id est habitus scientificus … — … 'Vocatur' scilicet apud latinos. 'Integram' id est perfectam. 'Separavit' id est distincte protulit. Die möglicherweise im schulischen oder akademischen Rahmen entstandene Kommentierung ist nicht durchgehend mit gleicher Dichte durchgeführt, insbesondere die Marginalien werde zum Ende hin spärlicher. Bei den Interlinearglossen handelt es sich meist um Worterklärungen oder inhaltliche Ergänzungen. Literatur: , 128 Nr. 17; , 536; , 472 (Hs. genannt); 11, 661–567 (563 Nr. I.1 Hs. genannt).
38v Tabula de compositione pronominum. Pronomina componuntur proprie dicta composicione cum pronominibus: 'Illo' cum 'hic' ut illic … — … Cum 'cine' componuntur hic per casus in 'c' desinentes preter dictum ut hiccine hunccine hoccine heccine hanccine similiter de eorum compositis ut illuccine isticcine. Die verschiedenen Kompositionsformen von Pronomina sind in einer Übersicht zusammengefasst; da der präsentierte Stoff zum grammatischen Grundwisssen gehört, ist eine direkte Quelle kaum auszumachen. In dieser Form ungedruckt.
39r–188r Priscianus metricus cum commento.
(39r–v) Praefatio commenti. [O] quam pulchre sunt mamme tue [Ct 4,10]. Hec verba scripta sunt a sapientissimo Salomone canthicorum secundo [!] capitulo et licet ipsa sunt theologica et imperatrici seu rectrici supernorum annectenda possunt tamen ipsa quam digne pro recommendacione sciencie grammaticalis acceptari … — … sciencia presentis libri attribuitur lacti quod est dulcissimum nutrimentum patet circa quod sciencia grammaticalis habet mammas pulchras et dulcifluas et per consequens est fructosa in effectu.
(40r–188r) Textus. [S]icut abesse rei soliti rem promere dicunt | Philosophi vox est aer tenuissimus ictus … — … Proferri velut infandum proprie tamen huius | Particule voces sunt omnes primiciales. ›Et sic est finis sit laus et gloria trinis‹. Der Text enthält tr. I (40r–48v), tr. II (49r–61r), tr. III (61r–71r), tr. IV (71v–77r), tr. V (77r–98r), tr. VI (98r–113r), tr. VII (113v–127r), tr. VIII (127r–133v), tr. IX (133v–147v), tr. X (147v–152v), tr. XI (152v–167v), tr. XII (167v–176v) und tr. XIII (176v–188r); der abschließende tr. XIV fehlt wie in der unten gen. Parallelüberlieferung. Bl. 76v und 164v sind für den hier nicht ausgeführten Kommentar freigelassen, es liegt kein Textverlust vor. Mit identischem Explicit auch in Erfurt, UFB Erfurt/Gotha – UB Erfurt, Dep. Erf. CA 4° 30, 1r–101r ( , 310); Hildesheim, DB, St. God. Nr. 33, 1r–116v ( , 141).
(77r–188r) Commentum interlineare et marginale. 'Participalia'. Hic autor ponit significacionem aliorum nominum denominativorum … — … infandum pro interiectione posuit … licet dictum sit alias partes … (Text bricht ab). Bl. 188r am Schluss des Kommentars Textverlust durch Wasserschaden, Text fast gänzlich verblasst, nur noch fragmentarisch lesbar. Aus welchem Grunde der Kommentar in tr. I–IV völlig fehlt und auch anschließend nicht durchgehend ausgeführt ist (so fehlt er auch auf Bl. 120v–128r zu tr. VII, 137v–138v, 141v–142r und 144v–146r zu tr. IX, 160r–169r zu tr. XI und zum Beginn von tr. XII), ist nicht mehr feststellbar; offenbar lagen bereits in der Vorlage größere Lücken vor, vgl. z. B. 81v vor einer Kommentarlücke der Schreibervermerk Hic nichil deficit. Druck (mit anderem Kommentar): M32277, Ir–CCCCXVIIv, hier bis CCCCVv. Literatur (Hs. genannt): 18146; , On the metrical Priscian Major. A methodological dilemma, in: History of linguistics 1996. Selected papers from the seventh international conference on the history of the language sciences (ICHoLS VII), Bd. 2: From classical to contemporary linguistics, hrsg. von , und , Amsterdam 1999 (Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science. Series 3, 95), 79–85 (81 Hs. genannt). – 188v leer.
Abgekürzt zitierte Literatur
G. L. Bursill-Hall, A census of medieval latin grammatical manuscripts, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981 (Grammatica speculativa 4) | |
Beschreibendes Verzeichniss der amplonianischen Handschriften-Sammlung zu Erfurt, bearb. und hrsg. mit einem Vorwort über Amplonius und die Geschichte seiner Sammlung von W. Schum, Berlin 1887 | |
C. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi sive summorum pontificum, S. R. E. cardinalium, ecclesiarum antistitum series…, Bd. 1: Ab anno 1198 usque ad annum 1431; Bd. 2: Ab anno 1431 usque ad annum 1503, Münster/Westf. 1898–1914 | |
Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1–, Leipzig 1925–1938, Stuttgart 1978– | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
Handschriften der Dombibliothek zu Hildesheim, Bd. 2: Hs 700–1050, St. God. Nr. 1–51, Ps 1–6, J 23–95, beschrieben von R. Giermann und H. Härtel unter Mitarbeit von M. Arnold, Wiesbaden 1993 (Mittelalterliche Handschriften in Niedersachsen 9) | |
G. Powitz, Textus cum commento, in: Codices manuscripti. Zeitschrift für Handschriftenkunde 5 (1979), 80–89, ND in Ders., Handschriften und frühe Drucke. Ausgewählte Aufsätze zur mittelalterlichen Buch- und Bibliotheksgeschichte, Frankfurt/M. 2005 (Frankfurter Bibliotheksschriften 12), 57–81 | |
J. Tříška, Literární činnost předhusitské university, Prag 1967 (Sbírka pramenů a příruček k dějinám University Karlovy 5) | |
J. Tříška, Repertorium biographicum Universitatis Pragensis praehussiticae 1348–1409, Prag 1981 (Knižnice archívu Univerzity Karlovy 12) | |
Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 12 Bde., hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin/New York 2005–2015 | |
H. Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum, Göttingen 1959 (Carmina medii aevi posterioris Latina 1) | |
Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil IV.