Martinellus
Tours, Benediktinerkloster Saint Martin — 9. Jh., frühes 2. Viertel (vor 834)
Provenienz: 1r Bendiktinerkloster Weißenburg, Besitzvermerk: Oberer Rand Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli apostolorum in Wissenburg. Darunter Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli in Wisßenburg ordinis sancti Benedicti Spirensis diocesis. 2r Signaturenbuchstabe: .F. (14. Jh.). Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig ( , 3–18).
Pergament — 145 Bl. — 22,7 × 17 cm
Lagen: 10 IV (80). III (86). IV (94). III (100). 5 IV (140). III-1 (145). Lagenbezeichnungen auf dem letzten Blatt der Lage unten Mitte (zum Teil Verluste durch Beschnitt) q II (16v), q VII (56v), q XIII (100v). Römische Zahlen, daneben stets in tironischen Noten requisitum est (vgl. hierzu , Tironische Noten in der Karolingerzeit am Beispiel eines Persius-Kommentars aus der Schule von Tours, Hannover 2000, hier insb. 22–37). 3 Vor- und 3 Nachsatzblätter Pergament, von einem Sakramentar aus dem 2. Viertel des 11. Jh., geschrieben von einem Weißenburger Schreiber (zum Sakramentarfragment vgl. Cod. Guelf. 404.8 (11) Novi; , Bd. 1, 306, 307). Weitere Fragmente dieser Handschrift befinden sich in 71 Weiss. und 84 Weiss. Neuere Tintenfoliierung. Fehlende Blattteile (erste Blätter mit altem Mäusefraß) mit Japanpapier ergänzt und Blätter geglättet (1964). Schriftraum: 16 × 11 cm, einspaltig, 18 Zeilen. Karolingische Minuskel und touronische Halbunziale von einer Hand. Ab Dialogus III, 11 (118r) in den Textanfängen zusätzlich touronische Halbunziale (vgl. hierzu , 247). Eine Schriftzierseite (1v) in roter und schwarzer Capitalis, zeilenweise wechselnd. Zu den Buchanfängen rote und goldene oder silberne Capitalis auf Purpurgrundzeilen (7r, 52v, 53r, 88r, 109r). Überschriften und Textanfänge in roter oder rot/schwarzer, zeilenweise alternierender Unzialis. Explicits und einige Textpassagen in schwarzer Capitalis Rustica. Zu den Kapiteln 3–5zeilige rote Capitalis Quadrata-Überschriften und Zählung in römischen Ziffern (ausführlich zu den Auszeichnungsschriften und der Textstruktur, vgl. , 243–262).
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1964). Alter Einband und Reste aufbewahrt.
INHALT
1r–50v : Vita s. Martini (mit epist. 1–3; 475; 20, 159–176; 1, 138–151; Sulpice Sévère. Vie de Saint Martin, bearb. von J. Fontaine, Bd. 2, Paris 2004 [Neudruck der ersten Auflage von 1967; Sources chrétiennes 133]). 51r–129r : Dialogi III de vita s. Martini ( 477; 20, 183–222; 1, 152–216; Sulpice Sévère. Gallus. Dialogues sur les "vertus" de saint Martin, bearb. von J. Fontaine, Paris 2006 [Sources chrétiennes 510]). 129v–135r >Beschreibung der Basilica sancti Martini in Tours (Inschriften Nr. 1–21; 478; , Nr. 166–180, 181, 182sq, 245sq). 135r–137r : Historia Francorum (Lib. 1, cap. 48; 5619sq). 137r–142r : De virtutibus s. Martini (Lib. 1, cap. 4–6; 5621–5623). 142r–145v : Historia Francorum (Lib. 2, cap. 1; 1452).
AUSSTATTUNG
4 Zierinitialen.Initialen: Zum Beginn der Vita s. Martini (7r; 13,4 cm), zu den Briefen 3,6–21 (53r; 3,5 cm), zu Dial. II,1 (88r; 4,8 cm - ohne Cauda) und zu Dial. III,1 (109r; 9,5 cm) Zierinitialen. Die Initialen auf 7r, 88r und 109r als Randbandinitialen in Metall (7r und 88r Gold; 109r Silber auf Purpurgrund ). Hier die Initialstämme eingefasst von einem metallenen, rot konturierten Randband, das in Gelenk und Endstellen in Verflechtungen übergeht. In den Endgeflechten der ersten Initiale auf 7r im Band eine dunkle Mittellinie, so dass ein geädertes Band zu erkennen ist. Diese Äderung anschließend mit Gold übermalt. Als Stammfüllung dienen dunkelblaue, unverzierte Paneelen. Auf 88r tritt das metallene Randband als solches deutlich hervor, setzt sich in der Initialstruktur ab und geht nahtlos in die gliedernden Geflechte über. Die auf 7r angewandte Technik ist auch hier zu erkennen. Im Binnenfeld ein goldenes, vollständig hinterlegtes, rautenförmiges Flechtbandmotiv. Die Silberinitiale auf Purpurgrund (109r) ebenfalls mit durchgängigem Randband. In den Paneelen des Initialstammes nahezu unkenntlich, stark oxydiertes Ornament. Als Füllmotiv eine spitzblättrige Blüte mit flankierendem Blattwerk. Auf 53r eine einfache, unverzierte Silberinitiale.
Farben:
Hellblau, Gold, Silber und Purpurgrund.STIL UND EINORDNUNG
, 247 datiert die Handschrift aufgrund der noch nicht vollständig eingesetzten, für Tours typischen Halbunziale, die in der Weißenburger Handschrift erst ab Dial. III, 11 einsetzt, in die ersten Jahre des Abtes Fridugisus (807–834). , Nr. 7423 setzt die Handschrift in das 2. Viertel 9. Jh. Aus kunsthistorischer Sicht ist die in der Martinellus-Handschrift vorhandene frühe Form der metallenen Randbandinitiale aussagekräftig. Nach Koehler, löst diese Initialform den Typus der sogenannten Aderbandinitiale ab. Letztere liegt noch den Initialen auf 7r und 88r zugrunde (dunkles Randband mit zwei begleitenden Konturlinien). Die Zierinitiale auf 109r wurde bereits als metallene Randbandinitiale angelegt. Dieser Übergang vom Aderbandtypus zum Randbandtypus vollzog sich, laut Koehler, in der Amtszeit des Fridugisus und wird in den Handschriften London, BL, Add MS 11848 und Paris, BnF, lat. 250 manifest ( , Bd. 1, 146–163, Taf. 24–27 und 28, 29). Ebenfalls dort anzutreffen ist die zunehmende Verwendung des Metalls überhaupt (auch in den Auszeichnungschriften), sowie die Hinterlegung der in den Incipits gebrauchten Capitalis-Buchstaben mit Purpurstreifen (erstmalig in der Bibel Zürich, ZB, Ms. Car. C 1; , Bd. 1, 127–146, Taf. 15–19). Das Füllornament der spitzblättrigen Blüte (vgl. 109r) tritt in London, BL, Add MS 11848, 110v auf ( , Taf. 26,d). Aufgrund des Abgleichs mit der von Koehler erstellten relativen Chronologie und unter Berücksichtigung der paläographischen Einordnung, erscheint eine Datierung der Handschrift in das frühe 2. Viertel des 9. Jh. (vor 834 - Beginn der Amtszeit des Abtes Adalhard) plausibel., Nr. 4166 (Heinemann Nr.). — , 707. — , 244, 245. — , Bd. 3, 303. — , Bd. 1,1.2, 824. — , 262. — , 243–262. — , Bd. 1, 316, 317. — , Nr. 7423.
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).