Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung) (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 84 Gud. lat.

Flavius Vegetius Renatus, Epitoma rei militaris. Ps.-Sextus Aurelius Victor, Epitome de Caesaribus

Saint Amand, Benediktinerkloster (?) — 9. Jh., 1. Viertel

Provenienz: Auf den Innenseiten des Hinterdeckels der Vermerk Hic liber pertinet domino preposito item habet petrum de Cressencia (15. Jh.). Von Marquard Gude 1686 erworben, vgl. Eintrag auf der Innenseite des Vorderdeckels von Gudes Hand Censeo codicem hunc annorum septigentorum et magni pretii esse. Marq. Gudius. Ano MCIC DIC C LXXXVI.

Pergament — 93 Bl. — 29 × 21 cm

Lagen: 2 IV (16). III (22). 5 IV (62). II-1 (65). IV-1 (72). 2 IV (88). II-1 (91). II-1 (94). Ungezähltes Vor- und Nachsatzblatt (das hintere mit gebunden). Neuere Tintenfoliierung. Bl. 20 untere Blatthälfte eingerissen, Bl. 41 zu 3/4 abgeschnitten, Bl. 66–80 durch Feuchtigkeit verblasst. Schriftraum: 22,4 × 14,8 cm, einspaltig, 28 Zeilen. Karolingische Minuskel von drei Händen. Hand 1: Bl. 1–22; Hand 2: Bl. 23–65; Hand 3: Bl. 66–93 (vgl. Bischoff Katalog 3, Nr. 7310, 7311, 7312.). Buch- und Kapitelüberschriften in roter und schwarzer Unzialis oder Capitalis (ab Bl. 22 schwarz).

Roter Schafledereinband (15. Jh.). Rautenförmig angeordnete Streicheisenlinien mit rechteckigen und rautenförmigen Stempelverzierungen mit Vogelmotiven. Sämtliche Nägel, Beschläge und Spangen fehlen.

INHALT

1r65v Flavius Vegetius Renatus: Epitoma rei militaris. 1r11v liber I; 11v22r liber II; 23r48v liber III; 48v65v liber IV (Edition: M. Reeve, Epitoma rei militaris, Oxford 2010 [Scriptorvm classicorvm bibliotheca Oxoniensis. Oxford classical texts]). Die Bücher mit vorangestellten Capitula (Capitula zu Buch 2 noch auf 22r). 22v leer. 66r93v Sextus Aurelius Victor: Epitome de Caesaribus (Abrégé des Césars, ed. M. Festy, Paris 2002).

AUSSTATTUNG

Zahlreiche geringfügig verzierte Initialmajuskeln. Eine Zierinitiale.

Initialen: Zu den Buch- oder Kapitelanfängen vergrößerte schlichte Initialmajuskeln oder einfache unverzierte Federinitialen (teils auch als Hohlbuchstaben). Einige von ihnen geringfügig verziert (1,5–3 cm). Die Serifen als dünne Fadenausläufer mit kugelförmigen Abschlüssen und horizontal gestaffelten, eingefügten Linien (vgl. 21v). Auf 12r im Initialstamm eine ausgesparte Wellenlinie (Schlange). Der Hohlbuchstabe auf 18v mit eingefügtem Segmentband und dreieckiger Verzierung. 52r im Besatz eine einfache Profilpalmette. 66r eine größere Zierinitiale als verzierter Hohlbuchstabe (4,1 cm). Als Stammfüllung mit Flechtbandansätzen kombinierte Blasen- oder Blattformen, als unteres Stammende eine einfache kleine Knospe. An Fäden oder verlängerten Serifen hängend kleine Herzblätter, ein blasenförmiges Blatt, eine Profilpalmette und eine Vollpalmette. Die Initialmajuskel auf 1r und 59v nachträglich verziert mit Knospenfleuronnée (14. Jh.).

Farben: Ausschließlich Tintenfarbe. Stammfüllungen auch im Aussparungstypus.

STIL UND EINORDNUNG

Die Handschrift wird von Bischoff in das 1./2. Viertel des 9. Jh. datiert und nach Nordfrankreich lokalisiert (Bischoff Katalog 3, Nr. 7310, 7311, 7312). Aussagekräftige Ausstattung enthält mit der Initiale auf 66r nur der Sextus Aurelius Victor. Die blasenartigen Blattformen und der Gebrauch von angehängten Herzblättern bestätigen den Lokalisierungsvorschlag von Bischoff. Ähnliche Formen finden sich in Handschriften, die um 800 oder im 1. Viertel im nordostfranzösischen Benediktinerkloster Saint Amand entstanden sind (vgl. München, BSB, Clm 208; Bierbrauer Ill. Hss., Nr. 239, Abb. 502–504 und Troyes, BM, Ms. 581; CLA VI, Nr. 839).

Wolfenbüttel Gud., Nr. 4388. — Bischoff Katalog 3, Nr. 7310, 7311, 7312.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bierbrauer Ill. Hss. K. Bierbrauer, Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1), Wiesbaden 1990
Bischoff Katalog 3 B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014
CLA Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971
Wolfenbüttel Gud. Die Gudischen Handschriften, beschrieben von F. Köhler und G. Milchsack, Wolfenbüttel 1913, ND 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 9)