Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms "Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung"
Processionale
Papier — 28 Bl. — 21,5 × 14,5 cm — Heiningen, Augustiner-Chorfrauenstift — 1450–1460
Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern, darüber einkonturige Stange, darüber Stern: DE3270-jurid385_1, DE3270-jurid385_8 (beide 15. Jh., 2. Hälfte), DE8100-CodTheol2311_999 (1450–1453), DE4860-Ms1510_181_a (um 1455), DE2580-PO-76650 (1460, ein weiterer Typ nicht nachweisbar). Lagen: VI–2 (10). VII (24). II (28). Lagenmitte jeweils mit Pergamentfalzen als Heftverstärkung. Bleistiftfoliierung modern: 1–28. Der Buchblock zeigt an der vorderen oberen Ecke Schwemmränder und Papierverfärbungen aufgrund eines Wasserschadens; das verlorene Papiermaterial wurde restauratorisch ergänzt. Schriftraum: 16–17 × 9,5–10,5 cm, einspaltig, 7 Textzeilen (mit Ausnahme des letzen Bl. mit nicht notierten Nachträgen). Insgesamt zehn Hände; der Haupttext des Processionales in einer unregelmäßig wirkenden Textualis stammt von fünf Händen: Hand 1: 1r–10v; Hand 2: 11r–20v; Hand 3: 21r–24v; Hand 4: 25r–26v; Hand 5: 27r–v; Hand 6 (Textualis, erster Nachtrag): 27v; Hand 7 (Bastarda, zweiter Nachtrag): 28r; Hand 8 (Bastarda, dritter Nachtrag): 28r; Hand 9 (Bastarda, vierter Nachtrag): 28v; Hand 10 (Bastarda mit Merkmalen der Kursive, fünfter Nachtrag): 28v. Über jeder Textzeile ein Notensystem in schwarzer Choral(Hufnagel-)notation auf vier Notenlinien mit c- und f-Schlüsseln, Zäsurstrichen, Weisern (Kustoden) und teilweise nachgetragenen b-Vorzeichen. 17v–18r und 27v sind allein die Notenlinien vorgezeichnet, die Notation selbst fehlt. Stellenweise, besonders im letzten Teil der Hs., wurde die Notation von anderer Hand korrigiert und mit Zäsurstrichen und b-Vorzeichen ergänzt; 26r–v finden sich außerdem Anmerkungen zur Sangweise, z. B. chor[us]. Bl. 1r–17r und 18v–27r rubriziert. Am Beginn der Antiphonen, Responsorien und Hymnenstrophen rote Lombarden, am Beginn der Versikel Satzmajuskeln in Gestalt schlichter rot-schwarzer Cadellen oder roter und schwarzer Majuskeln in Umrisszeichnung.
Koperteinband aus Pergamentmakulatur, ohne Rückenverstärkungen. Lagen mit Langstichheftung aus gedrehten Schnüren direkt durch den an der Ober- und Unterkante zur Stabilisierung gefalteten und eingeschlagenen Umschlag geheftet. Der verlängerte hintere Umschlag dient als Klappe, Spuren eines Verschlusses sind nicht zu erkennen.
Herkunft: Der Codex wurde zwischen 1450 und 1460 im Augustiner-Chorfrauenstift Heiningen für den persönlichen Gebrauch der Liturginnen im Konvent geschrieben; einen sicheren terminus post quem bildet die Einführung der Windesheimer Gewohnheiten im Jahre 1451. 1r auf dem Kopfsteg ein entsprechender Besitzvermerk: Liber apostolorum Petri et Pauli in Henighen. — Der Band wurde am 12.4.1572 mit der übrigen Konventsbibliothek in die Wolfenbütteler Hofbibliothek transportiert; 1614 in deren Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 305 [300]) unter den Papalia Miscellanea mit der Signatur Z 110 als Quaedam Responsoria manuscr. a passione domini usque ad assumtionem Mariae virginis nachgewiesen, entsprechend dem von Otho selbst hinzugefügten Inhaltsvermerk 1r auf dem Kopfsteg: Responsoria manuscripta a passione domini. — 1618 aus Wolfenbüttel in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt; 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 19v) in einem Sammeleintrag bei den Acht und Zwanzig Choral- und Processionalbücher worunter 6 vf pergamen geschrieben unter den Theologici MSSti in quarto nachgewiesen; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 1004 aufgeführt.
— , Les manuscrits du processionnal, Vol. 1: Autriche à Espagne, München 1999 (RISM 14/1), 273 Nr. D-248. , 337–339 Nr. 67 ( ). — , 106. — , 264–266 Nr. IV.13 ( ). — , 64, 97, . — , 308, 429. — , 46 und 53.
Nr. 977. —1r–27v Processionale secundum usum congregationis Windeshemensis CanAug. Im einzelnen sind nach Blattverlust folgende Stücke enthalten:
(1r–6r) Antiphonae ad mandatum in coena domini (T25). Im einzelnen handelt es sich um folgende Antiphonen mit Versikeln zur Fußwaschung: 1780 mit 1780a, 4340 mit 3688za, 2393 mit 2393a, 2413 mit 1952a, 5504 mit 2231b, 4889 mit 4889zc, 3688 mit 2413za, 3239 mit 5261zc, 2231 mit 2231zc, 3224 mit 3224zc und 200317. Vgl. dazu im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 20r–21r (Antiphonen nicht im einzelnen aufgeführt); mit z. T. abweichenden Melodien und durch Blattverlust fragmentiert auch in Cod. Guelf. 501 Helmst., 2v–4v Edition (Initien verkürzt): , 213, zum Mandatum selbst ebd., 52–57.
(6r–10v) Responsoria cum versiculis suis ad lotionem altariorum. Folgende Responsorien mit Versikeln zur Altarwaschung; die Altarpatrozinien entsprechen den 1466 in Heiningen urkundl. erwähnten (vgl. , 109 und Erg.Bd., 46): 6287 mit 6287a (wohl wie in Steterburg Hochaltar, vgl. Cod. Guelf. 1028 Helmst., 7v–8r), 7484 mit 7484za (Apostel bzw. Petrus und Paulus, Hauptpatrone, und Altarpatrozinium), 6725 mit 6725a (BMV, Hauptpatronin und Altarpatrozinium), 6979 mit 6979a (Johannes Baptista, Altarpatrozinium), 7675 mit 7675a (Commune plurimorum Confessorum bzw. Martyrum), 601409 mit 601409a (Corpus Christi, Altarpatrozinium), 7266 (Inventio bzw. Exaltatio Crucis, ohne Versikel), 7524 mit 7524a (Commune Virginum), 7023 mit 7023zd (Philippi et Jacobi, Altarpatrozinium) und 7899 mit 7899a (Andreas, bricht aufgrund des Verlustes eines Bl. ab). Vgl. auch die Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 19r–20r.
Edition der (z. T. identischen) Steterburger Responsorien: , 211f.
(11r–12r) Antiphonae in festo Purificationis BMV (S21). Folgende Antiphonen zur Prozession sind nach Blattverlust erhalten: g00068 (nur Schluss), g00069 und 2011. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 11r–12r.
(12r–17r) Antiphonae responsoriaque in dominica Palmarum (T24). Im einzelnen handelt es sich um folgende Stücke: Versikel 1852a (der, wie im Ordinarius beschrieben, in der Mitte der zugehörigen, hier aber nicht aufgenommenen Antiphon CAO 1852 von zwei Schwestern intoniert wird) und Antiphonen 1976, 1437, 1983 und 1543 mit den ersten beiden Zeilen des Prozessionshymnus 50 Nr. 117. Es folgen das Responsorium mit Versikel 6961 mit 6961a. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 15r–16v.
(17r–v) Hymnus in feria VI in Parasceve (T26). Nur erste Strophe des Hymnus, vgl. dazu die Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 21r–22v. 1 Nr. 101; , 248 (Abdruck der Melodie nach dieser Hs.).
(17v–19r) ›Circa sepulchrum responsoria‹ (T27). Im einzelnen handelt es sich um folgende Stücke: Responsorien mit Versikel 6605 mit 6605a und 7640 mit 7640a, anschließend (18v–19r) der Hymnus zur Einholung des Osterfeuers 50 Nr. 31 Str. 1. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 22v–23v.
(19r–21v) Ad processionem in sacra nocte paschae (T28). Zur processio ad sepulchrum die Antiphon 201042 (20r) ›Finita antiphona due ad hoc ordinate procedant in medio contra vexillum et cantent ymnum chore [!] respondente‹ (sc. 50 Nr. 69 Str. 1). Es folgt das Responsorium a00246.1 mit gemäß den Angaben des Ordinarius in der Mitte eingeschobenem Versikel a00246a, bei letzterem Anweisung: ›Due ad hoc ordinate canunt‹, danach für den Rest des Responsoriums: ›Chorus cantat‹; im Anschluss singen ›Due ad hoc ordiante [!]‹ den Versikel a00246b. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 24r–v.
(21v–23r) Ad processionem in litaniis maioribus (T34). Zur processio die Antiphon mit Versikeln 2822 mit 2822b und mit 909000, nach letzterem Anweisung: ›Deinde cantentur letanie maiores. Require in fine a duabus ad hoc deputatis. Deinde antiphone sequentes‹: 204825, ›Item a cantrice‹: 4689, ›Si opus fuerit cantetur antiphona 'Salve regina celi' [204367]. Ad introitum ecclesie antiphona ‹: 3653. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 25v–26r.
(23r–24v) Ad processionem in festo Corporis domini nostri (T41/5). ›Sequitur versiculus cum collecta in festo venerabilis sacramenti. 'Asperges' [1494] cum versiculo et collecta consueta. Deinde ‹ das Responsorium mit Versikeln 601068 mit 601068a und 909000. ›Si opus fuerit cantatur sequens antiphona‹ 203554, ›Ad introitum ecclesie antiphona sequens‹: 203576. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 28v.
(24v–26r) Ad processionem in festo Assumptionis BMV (S59). ›In assumpcione beate Marie virginis post Aspersionem ad processionem responsorium‹ 6725 mit den Versikeln 6725a und 909000. Es folgt die Antiphon 5162.
(26r–27v) Ad processionem in festo dedicationis ecclesiae (C11). Enthält die Responsorien mit Versikeln 600280 mit 600280a und 909000 sowie 7763 mit 7763a. Übereinstimmend mit den Anweisungen im Ordinarius Cod. Guelf. 649 Helmst., 29v–30r. Aus welchem Grund die Textabfolge nicht dem liturgischen und chronologischen Ablauf entspricht, ist unbekannt. Zwei weitere Windesheimer Processionalien in Cod. Guelf. 1028 Helmst., 1r–49v, aus dem Augustiner-Chorfrauenstift Steterburg, und Cod. Guelf. 1379 Helmst., 1r–55r, möglicherweise aus dem Augustiner-Chorfrauenstift Marienberg. Als Ganzes ungedruckt.
27v–28r Versiculi III ex forma investiendi sanctimoniales deprompti. Der von drei (!) Händen flüchtig geschriebene Abschnitt enthält drei zu dem Responsorium 7524 – das direkt nach der Einkleidung der Novizin intoniert wird, aber hier nicht mit angeführt ist – gehörende Versikel, und zwar 7524a, den in den Datenbanken fehlenden Vers Elegi abiecta esse in domo domini mei Ihesu Christi und 909000. Die drei Stücke stehen zunächst mit unvollständiger Notation auf Bl. 27v und werden auf Bl. 28r von zwei anderen Händen mit vollständiger Notation wiederholt. Text, Notation und Melodien stimmen überein mit der ebenfalls im Augustiner-Chorfrauenstift Heiningen geschriebenen "Forma investiendi sanctimoniales" in Cod. Guelf. 1271 Helmst., 13r–14r, und mit der Steterburger Abschrift in Cod. Guelf. 1028 Helmst., 60v–61v, vgl. auch die kommentierte Edition dieses Textes bei , 136–175, hier 151 (Text), 169 Nr. M 13 H (Melodien) und 277f. mit Abb. 28 und 29.
28v Antiphonae III ex forma investiendi sanctimoniales depromptae. Der von einer weiteren Hand geschriebene Abschnitt enthält drei Antiphonen aus dem Commune virginum, die gesungen werden, wenn die eingekleidete Novizin in die Klausur geführt wird. Auf dem Kopfsteg ist ohne Notation und nur mit den ersten beiden Worten anzitiert die Antiphon 5251, es folgt ausgeschrieben und mit Notation 2715 und schließlich, wiederum unnotiert und nur anzitiert, 5328. Text, Notation und Melodien stimmen wiederum überein mit Cod. Guelf. 1028 Helmst., 64v–65r, und mit Cod. Guelf. 1271 Helmst., 18r–19r, vgl. auch die kommentierte Edition dieses Textes bei (wie oben), 153 (Text), 171 Nr. M 18 H (Melodie) und 282f. mit Abb. 33 und 34.
28v Notae liturgicae. Der von einer weiteren, unregelmäßig wirkenden Hand geschriebene Abschnitt enthält aneinandergereiht die Antiphon 1303 in Epiphania domini, das Responsorium mit Versikel 600283 mit 600283a in dominica Sexagesimae, eine Collecta ad poscendam serenitatem aeris ( 1372 mit modifiziertem Beginn: Salvos fac servos tuos et ancillas ad te nos domine clamantes exaudi et aeris serenitatem nobis tribue supplicantibus ut qui pro peccatis nostris iuste affligimur misericordia tua preveniente clemenciam senciamus) sowie der Anfang einer weiteren Collecta: Omnipotens sempiterne deus mestorum … (Text bricht ab, entspricht 349). Darunter von dieser oder einer weiteren, ungeübten (Schülerinnen?)-Hand die Namen Maria, Hans und Michgele sowie eine roh gezeichnete armlose menschliche Gestalt.
Abgekürzt zitierte Literatur
Analecta hymnica medii aevi, hrsg. von G. M. Dreves und C. Blume, Bd. 1–55, Leipzig 1886–1922, Registerbd. 1–3, hrsg. von M. Lütolf, Bern u. a. 1978 | |
CANTUS: A Database for Latin Ecclesiastical Chant. Indices of chants in selected manuscripts and early printed sources of the liturgical Office (http://cantus.uwaterloo.ca//) | |
R.-J. Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 1–6, Rom 1963–1979 (Rerum ecclesiasticarum documenta. Series maior 7–12) | |
J. Deshusses, Le sacramentaire Grégorien. Ses principales formes d'après les plus anciens manuscrits, Bd. 1–3, Fribourg 1971–1982 (Spicilegium Friburgense 16, 24, 28) | |
U. Hascher-Burger und H. Lähnemann, Liturgie und Reform im Kloster Medingen. Edition und Untersuchung des Propst-Handbuchs Oxford, Bodleian Library, MS. Lat. liturg. e. 18, unter Mitarbeit von B. Braun-Niehr, Tübingen 2013 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 76) | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
H.-W. Krumwiede, Die mittelalterlichen Kirchen- und Altarpatrozinien Niedersachsens, Bd. 1–3, Göttingen 1960–1988 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 11) | |
B.-J. Kruse, B. Lesser, Virtuelle und erhaltene Büchersammlungen aus den Augustiner-Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, in: Sammler und Bibliotheken im Wandel der Zeiten, hrsg. von S. Graef, S. Prühlen und H.-W. Stork, Frankfurt/M. 2010 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderbd. 100), 95–113 | |
B.-J. Kruse, Stiftsbibliotheken und Kirchenschätze. Materielle Kultur in den Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 28) | |
E. C. Lutz, Arbeiten an der Identität. Zur Medialität der cura monialium im Kompendium des Rektors eines reformierten Chorfrauenstifts, Berlin, New York 2010 (Scrinium Friburgense 27) | |
Lateinische Hymnen des Mittelalters. Aus Handschriften hrsg. und erklärt von F. J. Mone, Bd. 1–3, Freiburg/Br. 1853–1855 | |
Rosenkränze und Seelengärten — Bildung und Frömmigkeit in niedersächsischen Frauenklöstern, hrsg. von B.-J. Kruse, Wiesbaden 2013 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 96) | |
K. Schnabel, Frauenwelten – Bücherwelten, in: Frauenwelten. Die Klöster Heiningen und Dorstadt, hrsg. von C. Höhl, Regensburg 2021, 34–54 | |
Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil IV.