Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil V: Cod. Guelf. 616 bis 927 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser (in Vorbereitung).
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms "Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung" (Vorläufige Beschreibung)

Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 879 Helmst.

Guilelmus de Lancea

Papier — 65 Bl. — 21 × 15 cm — Südniedersachsen — 1377

Wasserzeichen: Zwei Kreise übereinander, dazwischen Stern: WZIS DE8085-PO-161796 (1372), WZMA AT8500-3989_265, AT8500-3989_266 (beide 1374). Ochsenkopf mit Augen, darüber einkonturige Stange, darüber Stern: WZIS DE5925-PO-66860, DE5925-PO-66861 (beide 1375). Lagen: V (9). 2 VI (33). V (43). VI+1 (54). V (64). Reklamanten. Lagen z. T. mit Pergamentfalzen als Heftverstärkung, jetzt abgelöst (vgl. Fragmente). Bleistiftfoliierung modern: 164, erstes Bl. ungez. Bl. 51 gez. Schaltzettel mit Textnachtrag, misst 8 x 15 cm. Der Buchblock weist am Kopfsteg Schwemmränder eines Wasserschadens auf, im ersten Teil auch Beschädigungen des Papiers, 1974 geglättet und restauriert. Schriftraum: 16,5 × 11,5 cm, einspaltig, nur 57v–64r zweispaltig (Spalten jeweils ca. 5–5,5 cm breit), je nach Hand 36–46 Zeilen. Ältere gotische Kursive von drei Händen, Hand 1: Ir–v; Hand 2 (Johannes Landwerdingh): 1r–64rb; Hand 3: 64v. Rubriziert, rote Lombarden in Unzial- und Textualisform, erstere z. T. mit Punktverdickungen, sowie Seitentitel. Am Beginn der einzelnen Distinktionen rote vergrößerte Fleuronnéelombarden mit schlichten Schaftaussparungen und Besatzmotiven wie Dreiblättern und Fibrillen sowie vegetabilen und geometrischen Elemente.

Koperteinband aus einer makulierten und zweitverwendeten Urkunde (vgl. Fragmente). Die Lagen sind mit Kettenstichheftung aus gedrehten Schnüren direkt durch eine zusätzliche Rückenhinterklebung aus Gewebe und durch den Umschlag auf drei Rückenverstärkungen aus Horn geheftet. Die vom hinteren Umschlag als Verlängerung nach vorn reichende Klappe ist ebenso verloren wie der vermutlich daran befestigte Wickelverschluss. Auf dem VD eine Titelaufschrift (14./15. Jh.): Dieta salutis, darüber und darunter zahlreiche, selbst mit Hilfsmitteln nicht mehr lesbare, stark abgeriebene Federproben. Im Zuge der Restaurierung im März 1974 wurde der originale Umschlag abgelöst und hinter dem Buchblock eingeheftet, ebenso ein zusätzliches Blatt, auf dem die Reste der Heftverstärkungen und die originalen Heftfäden befestigt wurden. Der ebenfalls restaurierte Buchblock erhielt anschließend einen neuen Koperteinband aus Ziegenpergament mit Kettenstichheftung; die Rückhinterklebung und die originalen Rückenverstärkungen wurden erneut verwendet (vgl. den Restaurierungsbericht).

Fragmente:
  1. Umschlag. Südniedersachsen. 1370–1380. Pergament. 1 Bl. 20 × 32 cm. Durch das Fehlen des rechten Randes (Umschlagklappe) ist der Text erheblich fragmentiert. Am unteren Rand des Umschlages (der ehemaligen Plica der Urkunde) sind die Einschnitte von insgesamt noch sieben ehemals an Pergamentstreifen anhängenden Siegeln der Aussteller und der Zeugen zu erkennen. Schriftraum: 13,5 × 27 cm, einspaltig (am rechten Rand abgerissen), 23 blindliniierte Zeilen, Punkturen am linken Blattrand sichtbar. Kanzleikursive von einer Hand. Am Textbeginn eine federgezeichnete Cadelle als Satzmajuskel, in der ersten Zeile litterae elongatae. Schreibsprache: Mittelniederdeutsch. VS–HS Urkunde. We her Syuerd edele here to Homborch vnde her Henrik… openbare an dusseme breue da we vnde vnse rechten eruen vnde vnsen … Borcharde van CrammeAlheyde siner eliken vrowen … van Besekendorpe[Sanc]mestere to sunte Alexandre to Embeke Seuentich mark lodighen suluers Embekescher wichte vnde witte … — … vnsere ingesegele an dussen bref ghe hanghen de ghe gheuen is na godes bord vnses heren dritteynhundert jar in … iare an sinte Georgius hilighen auende des werden martelers etc. Die Aussteller Siegfrid (1380) und sein Sohn Heinrich von Homburg († 1409) sind vielfach urkundlich erwähnt, vgl. H. Dürre, Regesten der Edelherren von Homburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 45 (1880), 1–168; Ders., Nachträge zu den Regesten der Edelherren von Homburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 46 (1881), 1–21; Ders., Stammbaum der Edelherren von Homburg, in: ebd., 22–38, hier S. 34f. Nr. 41 und 36f. Nr. 47. Der Empfänger, Burkhard von Cramm, ist u. a. in einer Urkunde vom 16.9.1372 bezeugt (Doebner UB Hildesheim 2, 208–210 Nr. 350, weitere Stücke im Register). Heinrich von Besekendorf wird 1381 als Scholaster im Alexanderstift genannt, vgl. H. L. Harland, Geschichte der Stadt Einbeck nebst geschichtlichen Nachrichten über die Stadt und ehemalige Grafschaft Dassel, die um Einbeck liegenden Dörfer, Kirchen, Kapellen, Klöster, Burgen und adeligen Sitze Bd. 1, Einbeck 1854, 113 Nr. 4. Obwohl die genaue Jahreszahl der Datierung mit dem gesamten rechten Rand der Urkunde verloren ist, dürfte aufgrund dieser Daten die ungedruckte Urkunde am 22.4. eines Jahres zwischen ca. 1370 und 1377 ausgestellt worden sein.
  2. Falze. Südniedersachsen. 1370–1377. Pergament. Die vier einzelnen, jetzt abgelösten Streifen messen jeweils 1,5 x 20 cm. Kanzleikursive von vier Händen. Schreibsprache: Mittelniederdeutsch. Ir Urkundenfragmente. Die vier als Heftfalze dienenden Streifen bestehen aus den Resten von vier Urkunden, darunter zwei datierten, erkennbar ist: Na goddes bord … dritteinhunderd iar in deme twe vnde seuenteghesten … sowie … heren Ihesu Christi ghe bord dritteynhundert iar in deme vif vnde seuentighesten iare … Aussteller, Empfänger und Inhalt der Rechtsgeschäfte sind anhand des erhaltenen Materials nicht mehr erkennbar.

Herkunft: Der Codex wurde 1377 im südlichen Niedersachsen von dem bislang nicht näher identifizierbaren Johannes Landwerdingh aus Gehrden (unklar ob Gehrden bei Hannover oder Gehrden bei Brakel) geschrieben. — Wann und auf welchem Wege er in die Universitätsbibliothek Helmstedt gelangte, ist mangels weiterer Vorbesitzeinträge unbekannt. Er wird erstmals 1644 im Handschriftenkatalog der Universitätsbibliothek (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 18r) entsprechend der Titelaufschrift Dieta salutis unter den Theologici [MSSti] in quarto nachgewiesen; auf dem VS die entsprechende Helmstedter Signatur T. 4to 132. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 488 genannt.

Heinemann Nr. 981.

Ir–v De conditione humana collatio sive sermo. Homo natus de muliere brevi vivens tempore … [Iob 14,1]. Nota de hac vita … eius ingressus lamentabilis progressus miserabilis egressus horribilis … — … aliud terriblie verbum: Ite malidicti in ignem eternum [Mt 25,41] a quo nos preservat qui vivit. Ungedruckt; eine Predigt mit ähnlichen Incipit vgl. bei Schneyer 9, 510 Nr. 113.

Iv De septuplici casu et resurrectione hominis nota. Nota quod homo per VII cadit et per VII resurgit unde dicitur in Proverbiis XXIIII[,16]: Sepcies cadit iustus et resurgit sepcies. Cadit enim per VII principalia vicia … — … cadit homo per avariciam et boni operis pigriciam sed resurgit per spiritum fortitudinis. In anderer Abfolge der Geistesgaben, aber sonst weitgehend wörtlich entnommen aus: Ps.-Albertus Magnus: Sermo X in dominica infra octavam nativitatis domini (T7). Edition: Beati Alberti magni Ratisponensis episcopi ordinis Praedicatorum Sermones, recogniti per P. Jammy, editio novissima, Toulouse 1883, 42–46, hier 43f. Literatur: Schneyer 1, 115 Nr. 294; Glorieux Répertoire 1, 66 Nr. 6x; CALMA 1, 130 Nr. 76.

1r–57r Guilelmus de Lancea: Diaeta salutis. ›Incipit dieta salutis. Prologus‹. Hec est via ambulate in ea … [Is 30,21]. Magnam misericordiam facit qui erranti viam demonstrat maxime de nocte in terra hostium et tempore gwerrarum … — … et participes efficiat ductor illius choree Ihesus virginis filius cui cum deo patre et spiritu sancto uni solo deo vivo et vero est honor imperium et maiestas per infinita secula seculorum Amen. Expletus est iste liber diete salutis a Johanne Landwerdingh de Gherden sub anno domini Mo CCCo LXX septimo. Hec dieta est edita de fratre Guillelmo de Lancea Aquitaneto ordinis fratrum Minorum et lector oret deum pro editore libri et pro scriptore (Colophons 10227). Obwohl im Prolog die üblichen zehn diaetae aufgezählt werden, ist der Text nur in neun diaetae (gez. in Rubriken und lebenden Seitentiteln) gegliedert, ebenso das zugehörige Register (s. unten), da diaeta IX und X zusammengefasst sind. Die Kapitel sind über die Buchgrenzen hinweg durchgezählt (150); die Kapitelgliederung entspricht der Ausgabe und weicht nur an folgenden Stellen ab: die Kapitel III,3–10 und IX [sc. X],2–6 sind jeweils zu einem Kapitel zusammengefasst. Vgl. zu Text, Parallelüberlieferung und Literatur Cod. Guelf. 646 Helmst., 103v–123v. Druck: Bonaventurae opera Peltier 8, 247–347.

57va–62va Guilelmus de Lancea: Themata dominicalia super Diaetam salutis. ›Incipiunt themata epistolarum. De epistola prima adventus domini. Dominica prima‹. Abiciamus opera tenebrarum Rom. XIII[,12]. In adventu magni regis et principis expiantur sordes et parantur vestes … — … Secundo debemus absque corrupcione esse decori. Require de castitate et luxuria per contrarium. Tercio debemus esse splendidi. Require de caritate et gloria paradisi. ›Expliciunt aliqua themata et divisiones eorum que remittuntur ad librum prehabitum scilicet dietam salutis‹. Enthält nach Schneyer 2, 472–475 Nr. 1–11, 13, 12 und 14–63, nach Nr. 48 ein Zusatzstück. Vgl. zu Text, Parallelüberlieferung und Literatur Cod. Guelf. 646 Helmst., 98r–103r. Druck (mit dem Gesamtwerk): Bonaventurae opera Peltier 8, 347–358.

62vb De VII res odibiles domino nota. Septem sunt que odit deus: Oculos sublimes mendacem linguam … — … qui seminat inter fratres discordias. Der kurze Text besteht weitgehend wörtlich aus Prv 6,16–19.

63ra–b ›Registrum diete salutis. Dieta prima‹. De peccato in communi capitulum 1. De peccato in speciali capitulum 2. De superbia capitulum 3 … — … De penis inferni capitulum 49. De gloria paradisi capitulum 50. Ungedruckt.

63va–64rb ›Incipit tabula divisionum membrorum prime diete salutis cuiuslibet capituli. Dieta prima. De peccato in communi‹. Peccatum est [vitandum]. Capitulum primum: Deformitas quam dominus destestatur. Iniquitas quam demon amplexatur. Iinfirmitas quam mundus dissipatur … — … Filie luxurie sunt quinque: Fornicacio Adulterium Stuprum Incestus Peccatum contra naturam. Ungedruckt.

64v De plantibus diversis nota allegorica ex Honorii Augustodunensis expositione in Ct deprompta. Osculetur me osculo oris sui [Ct 1,1]. Filius regis Iherusalem desponsavit sibi filiam regis Babilonie per internuncios … — … Cynamomum brevis arbor sed odorifera. De Galaad id est de Christo qui est acervus testimonii. Der Text wurde modifiziert übernommen aus Honorius Augustodunensis: Expositio in Cantica canticorum und enthält neben dem vollständigen Beginn des ersten Traktats die aus dem laufenden Kommentartext entnommenen, meist kurzen Erläuterungspassagen zu Cedar, Botrus Cipri, Engaddi, Mandragora, Malogranatum, Emissiones, Nardus, Ciprus, Cynamomus und Galaad. Der vollständige Text in Cod. Guelf. 511 Helmst., 73r–150r, teilweise (Textverlust) in 586 Helmst., 1r–46r; ein Auszug in 993 Helmst., 132ra–161va. Druck: PL 172, 347–496 (hier teilweise). Literatur zum Ausgangstext: Stegmüller RB 3573; 2VL 4, 122–132, hier 127f.; Garrigues I, 61–70 und 123–125; V. I. J. Flint, Honorius Augustodunensis of Regensburg, in: Authors of the Middle Ages. Historical and Religious Writers of the Latin West, hrsg. von P. J. Geary, Bd. 2 Nr. 6, Aldershot 1995, 89–183, hier 147 und 167–169; Sharpe, 180 Nr. 494.16; CALMA 6, 235f. Nr. 15.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bonaventurae opera Peltier S. R. E. Cardinalis S. Bonaventurae ex ordine minorum episcopi Albanensis eximii ecclesiae doctoris opera omnia … cura et studio A. C. Peltier, Bd. 1–15, Paris 1864–1871
CALMA C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999–
Colophons Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle, Bd. 1–6, ed. par les Bénédictins du Bouveret, Fribourg/Schweiz 1965–1982 (Spicilegii Friburgensis Subsidia 2–7)
Doebner UB Hildesheim Urkundenbuch der Stadt Hildesheim, Bd. 1–8, hrsg. von R. Doebner und H. Brandes, Hildesheim 1881–1901, ND Aalen 1980
Garrigues M.-O. Garrigues, L’œuvre d’Honorius Augustodunensis. Inventaire critique, in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 38 (1986), 7–136 (= I); 39 (1987), 123–228 (= II) und 40 (1988), 129–190 (= III)
Glorieux Répertoire P. Glorieux, Répertoire des maîtres en théologie de Paris au XIIIe siècle, 2 Bde., Paris 1933 und 1934 (Études de philosophie médiévale 17, 18)
Heinemann O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Schneyer J. B. Schneyer, Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters für die Zeit von 1150–1350, Bd. 1–11, Münster/Westf. 1969–1990, Bd. 1–4 ebd. 21973–1974 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 43,1–11)
Sharpe R. Sharpe, A Handlist of the Latin Writers of Great Britain and Ireland before 1540, Turnhout 1997, Additions and corrections (1997–2001), Turnhout 2001 (Publications of the Journal of medieval Latin 1)
Stegmüller RB F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980
2VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 12 Bde., hrsg. von K. Ruh u. a., 2., völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin/New York 1978–2005, Ergänzungsbde.: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon, Bd. 1–3, hrsg. von F. J. Worstbrock, Berlin/New York 2005–2015
WZIS Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php)
WZMA Wasserzeichen des Mittelalters (WZMA). Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien (http://www.ksbm.oeaw.ac.at/wz/wzma.php)