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Beschreibung von Cod. Guelf. 903 Helmst.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 2: 12. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Augustinus, In Iohannis epistulam ad Parthos tractatus. Gregorius I., Expositio in canticis canticorum

Lamspringe — 12. Jh., 4. Viertel

Provenienz: Im Innendeckel (VD) die alte Helmstedter Signatur T 4° 62. 1572 mit den übrigen Lamspringer Handschrift in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt. 1588 von Eberhard Eggelinck unter den Pergamenthandschriften der Hofbibliothek (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v, hier 27v), als Expositio Augustini super Epistolam Johannis Apostoli vff Pergamein geschrieben, in quarto vnd bretern mit Pergamein [!] vbertzogen genannt. 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 305 [300]) unter den Papalia Miscellanea als S. Augustini Expositio super Epistolam Johannis Apostoli De Caritate Sermo primus sunt X omiliae manuscriptae in membrana optime. Ibidem Expositio in Cantica Canticorum Gregorii papae mit der Signatur Z 121 nachgewiesen. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 16r) als Augustini in Epistolam Johannis Homiliae decem In membrana. Gregorius Papa in Canticum Canticorum In membrana unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben; auf dem Kopfsteg des VS die entsprechende Helmstedter Signatur T 4° 62. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 436 verzeichnet.

Pergament — 150 Bl. — 21 × 12 cm

Lagen: III+1 (7). 8 IV (71). III+1 (78). 8 IV (142). Lagenbezeichnungen: a (15v) bis i (71v); Ius (79r) bis VIII (135r). Als Spiegel die Blätter eines Antiphonars (11. Jh.). Schriftraum: 15,5 × 10 cm, einspaltig, 31 Zeilen. Carolino-Gothico von zwei Händen. Hand 1 (Scriptrix-Gruppe): 1r-75r, Hand 2 (Hamersleben-Gruppe): 75v-142v. Zur Scriptrix-Gruppe (Hand 1) gehörig: 443 Helmst., 447 Helmst., 482a Helmst. [1r-81v], 510 Helmst., 511 Helmst., 519 Helmst., 718 Helmst. [10v-97r], 723 Helmst., 943 Helmst., 1030 Helmst.). Zu Hand 2 besteht, laut Cohen-Mushlin, große Ähnlichkeit mit den Handschriften der Hamersleben-Gruppe: 204 Helmst. (beide Hände) und 475 Helmst., 1v-4 (Hand 2) und 480 Helmst., 1v (Cohen-Mushlin, 165). Zu den Textabschnitten 2-5zeilige rote Initialmajuskeln mit Punktverdickungen (gelegentlich sternförmig eingefasst von Strichen). Ab 75v rubrizierte Textüberschriften, teils in Capitalis Rustica, und Satzmajuskeln im Text, rubriziert oder mit roten Begleitstrichen. Zitate am Rand durch ss gekennzeichnet (zum Teil begleitet von roten Pünktchen). Marginale Texte rot umrandet.

Romanischer Holzdeckeleinband mit hellem Lederbezug (unverziert). Der Einband ist identisch mit denen von folgenden Lamspringer Handschriften: Cod. Guelf. 443 Helmst., 475 Helmst., 480 Helmst., 553 Helmst., 982 Helmst., 943 Helmst., 1113 Helmst. und 1196 Helmst.

INHALT

1r-75r Augustinus: In Iohannis epistulam ad Parthos tractatus (PL 35, 1977-2062; CPL 279; Stegmüller RB 1477; Kurz 5/1 136-138). 75v-142r Ps.-Gregorius I., papa: Expositio in Cantica canticorum (PL 79, 471A-548B; CCSL, 144, 3-46; CPL 1709; CPPM 2290; Stegmüller RB 2639; CALMA 4, 415 Nr. 2; zum Text vgl. Kat. Helmstedt 5 in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB). 142v Probatio pennae.

AUSSTATTUNG

Eine Zierinitiale. Zwei historisierte Initialen.

Zierinitiale: Einleitend zu Text auf 1r eine Spaltleisteninitiale. Die Spangen vierfach genagelt und mit Kreuzblütenverzierung versehen. Spange und Initialstamm verziert mit einem Fabelwesenkopf. Von einer Spange ausgehend, eine spiralförmige Ranke, die das Binnenfeld füllt und die Spalten des Stammes durchdringt. An den bewegten Rankenenden befinden sich plastisch aufgerollte Palmetten- und Knospenformen, sowie eine Blattblüte. Die Blätter mit Äderung und Rückenschraffur. Blattkerne und Stauchungen der Rankengabelungen strichförmig angedeutet. (5,9 cm).

Historisierte Initialen: 75v Hl. Gregor. P-Spaltleistenitiale eingefasst von einem Leistenrahmen (Initiale überschneidet den Rahmen). Im Binnenfeld en face der hl. Gregor in bischöflichem Ornat. Die Rechte zum Segensgestus erhoben, in der Linken ein Buch. Auf seiner rechten Schulter sitzend, die ihn inspirierende Taube des heiligen Geistes. Aus der Spaltleiste der Initiale schaut ein beobachtender Kleriker mit Bischofsstab in der Hand hervor. Initialaufbau und Ornament wie auf 1v. 7,9 cm. 80r Sponsus und Sponsa. O-Spaltleisteninitiale eingefasst von einem einfachen Leistenrahmen (s.o). Im Binnenfeld Sponsus (Sponsus/Christus) und Sponsa (Sponsa/Maria/Ecclesia) in Umarmung. Initialaufbau wie auf 1v. 5,0 cm

Farben: Die Initialen mit roter Feder gezeichnet, die historisierten an den Rändern zusätzlich rot laviert. Grüne Leistenrahmen mit blauen Gründen, letztere auf 80r mit roten Sternen. Die Gewänder in leuchtendem Blau und Rot, Faltentäler abgedunkelt in kräftigen Strichen der Lokalfarbe. Details in Dunkelgrün. Die Gesichter hautfarben mit laviertem rot, Sponsa und Sponsus (80r) mit kräftigen roten Wangen und partiellem Grünauftrag.

STIL UND EINORDNUNG

Die vorliegende Handschrift beinhaltet zwei Texte, von denen einer von einer Hand der Scriptrix-Gruppe (Teil 1, 1r-75r; zur Scriptrix-Gruppe vgl. 943 Helmst.; 1r-75r; Härtel Geschrieben und gemalt, 21), der andere von einer Hand der Hamersleben-Gruppe (Teil 2, 75v-142r, zur Hamersleben-Gruppe vgl. 204 Helmst.) geschrieben wurde. Teil 1 besitzt ausschließlich eine Initiale zum Textbeginn (1r) als Buchschmuck. Sie entspricht in der Anlage dem für die Scriptrix-Gruppe typischen Initialschmuck (zur Scriptrix-Gruppe vgl. 943 Helmst.). Die in den Initialstamm integrierten Tierköpfe liegen ebenfalls in der Handschrift 510 Helmst., 99r vor. Das als Rankenendbesatz verwendete Muschelblatt begegnet in der klassischen, vorliegenden Variante das erste Mal im Lamspringer Skriptorium (eine Vorform ist bereits in 511 Helmst., 22r) zu finden. Das Blatt wird zum festen Bestandteil der Initialornamentik, wie weitere Handschriften aus dem 4. Viertel des 12. Jh. belegen (vgl. 447 Helmst., 443 Helmst. und 1113 Helmst.). Die beiden historisierten Initialen der Handschrift (75v und 80r) sind im Stil einheitlich und stammen von einer Hand. In der Anlage (Farbwahl, Initialaufbau und Stil), findet sich mit der historisierten Initiale von 204 Helmst., 3v (Augustinusdarstellung) eine äußerst ähnliche Darstellung im Vergleich zur Gregordarstellung der vorliegenden Handschrift (75v). Unterschiede zeigen sich in der hier verwendeten, etwas helleren Farbpalette und der schlankeren Gestalt (Körper und Gesicht), wie sie auch in der Sponsus/Sponsadarstellung (80r) vorkommen. Sehr ähnlich in der Ausführung zeigt sich die zweite Hand in 475 Helmst., 164r. Das Initialornament basiert auf den für die frühen Lamspringer Handschriften vorbildhaften Lippoldsberger Ausführungen (zu Lippoldsberg vgl. 943 Helmst.). Das Muschelblatt und die Tiere (hier Tierköpfe) im Initialzusammenhang gehen, wie in 510 Helmst., auf Kölner und mittelrheinische Vorbilder zurück (vgl. Wormser Bibel, hier besonders die Hand des Red Outline Masters in Bd. II, 90v, 228v; London, BL, Harley MS 2803 und London, BL, Harley MS 2804; Lit. Cohen-Mushlin Worms Bible, bes. 74-83). Die Bild-, bzw. Initialausstattung von 903 Helmst. stellt wie auch 475 Helmst. eine Besonderheit dar und bildet innerhalb des Lamspringer Skriptoriums einen wichtigen Anhaltspunkt. Beide Handschriften besitzen paläographische Nähe zur sogenannten Scriptrix-Gruppe des 3. Viertels 12. Jh., die sich im Initialabgleich bestätigen lässt (s.u.) und gleichzeitigt historisierte Initialen im Stil der Hamersleben-Gruppe (Miniaturen). Sie zeugen davon, dass im frühen 4. Viertel des 12. Jhs. (80er Jahre, vgl. die Kontakte nach Hamersleben zur Zeit des Propstes Hermann; 204 Helmst.), also in der frühen Amtszeit des Abtes Gerhard, Künstler- und Schreiber beider Gruppierungen im Kloster parallel gearbeitet haben müssen.

Schönemann, 70. — Wolfenbüttel Helmst., Nr. 1005 (Heinemann Nr.). — El-Kholi Lektüre, 40, 108, 225, 232. — Wolter-von dem Knesebeck Lamspringe, 476. — Cohen-Mushlin, 165, Abb. 142-144. — Härtel Geschrieben und gemalt, Kat.Nr. 14. — Hotchin Women's reading, 169 Anm. 109. — Bertelsmeier-Kierst Handschriften, Anm. 22. — Schlotheuber Bräute, Abb. 1 (fälschlich als Cod. Guelf. 963 Helmst. angegeben), Anm. 33. — Schätze im Himmel, Kat.Nr. 25,3 (M. Müller). — Bertelsmeier-Kierst Audi filia, 263 Anm. 28, 265 Anm. 38. — Müller Einflüsse, 332f. — Kat. Helmstedt 5 (in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).


Abgekürzt zitierte Literatur

Bertelsmeier-Kierst Audi filia C. Bertelsmeier-Kierst, Audi filia et vide. Frauenkonvente nach der monastischen Reform, in: Zwischen Vernunft und Gefühl. Weibliche Religiosität von der Antike bis heute, hrsg. von Ders., Frankfurt/M. u.a. 2010 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 3), 61–90, hier nach dem ND in: Dies., Buchkultur und Überlieferung im kulturellen Kontext, hrsg. von T. Terrahe, R. Toepfer und J. Wolf, Berlin 2017 (Philologische Studien und Quellen 17), 255–286
Bertelsmeier-Kierst Handschriften C. Bertelsmeier-Kierst, Handschriften für Frauen und von Frauen. Buchkultur aus norddeutschen Frauenklöstern im 13. Jahrhundert, in: Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter. Mit einer Einführung von H. Härtel, hrsg. von H. Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 2008 (Wolfenbütteler Hefte 22), 83–122
CALMA C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999–
Cohen-Mushlin Worms Bible A. Cohen-Mushlin, The making of a manuscript. The Worms Bible of 1148 (British Library, Harley 2803-2804), Wiesbaden 1993 (Wolfenbütteler Forschungen 25)
CPL Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina)
CPPM Clavis patristica pseudepigraphorum medii aevi, hrsg. von I. Machielsen, Turnhout 1990– (Corpus Christianorum. Series Latina)
El-Kholi Lektüre S. El-Kholi, Lektüre in Frauenkonventen des ostfränkisch-deutschen Reiches vom 8. Jahrhundert bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Würzburg 1997 (Epistemata 203)
Härtel Geschrieben und gemalt H. Härtel, Geschrieben und gemalt. Gelehrte Bücher aus Frauenhand. Eine Klosterbibliothek sächsischer Benediktinerinnen des 12. Jahrhunderts, Wiesbaden 2006 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 86)
Hotchin Women's reading J. Hotchin, Women’s reading and monastic reform in twelfth-century Germany. The library of the nuns of Lippoldsberg, in: Manuscripts and monastic culture. Reform and renewal in twelfth-century Germany. Working conference in August 2002 at the Benedictine monastery of Admont in Steiermark, hrsg. von A. I. Beach, Turnhout 2007 (Medieval church studies 13), 139–189
Kat. Helmstedt 5 Geplant: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil V: Cod. Guelf. 616 bis 927 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser
Kurz 5/1 R. Kurz, Die handschriftliche Überlieferung der Werke des heiligen Augustinus, Bd. 5/1: Bundesrepublik Deutschland und Westberlin, Werkverzeichnis, Wien 1976 (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der lateinischen Kirchenväter 9 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 306)
Müller Einflüsse M. E. Müller, Einflüsse aus West und Ost in der Hildesheimer und in der thüringisch-sächsischen Buchmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zentrum oder Peripherie? Kulturtransfer in Hildesheim und im Raum Niedersachsen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von ders. und J. Reiche, Wiesbaden 2017 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 32), 305–366
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Schätze im Himmel Schätze im Himmel – Bücher auf Erden. Mittelalterliche Handschriften aus Hildesheim, hrsg. von M. E. Müller, Wolfenbüttel 2010 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 93)
Schlotheuber Bräute E. Schlotheuber, Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter, in: Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter. Mit einer Einführung von H. Härtel, hrsg. von H. Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 2008 (Wolfenbütteler Hefte 22), 39–81
Schönemann K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107
Stegmüller RB F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980
Wolfenbüttel Helmst. O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
Wolter-von dem Knesebeck Lamspringe H. Wolter-von dem Knesebeck, Lamspringe, ein unbekanntes Scriptorium des Hamersleben–Halberstädter Reformkreises zur Zeit Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. 2: Essays, hrsg. von J. Luckhardt und F. Niehoff, München 1995, 468–477

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil II (12. Jh.).
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