Sammelhandschrift
Weißenburg, Benediktinerkloster / Südwestdeutschland — 9. Jh., 1. Drittel (nach 813)
Provenienz: 1r Benediktinerkloster Weißenburg, Besitzeinträge: Codex monasterii sanctorum Petri et Pauli in Wissenburg. Darüber Itinerarium Clementis pape praedicationis sancti Petri apostoli. 2r Weißenburger Signaturenbuchstabe: .f. (14. Jh.). Die Handschrift gelangte über Heinrich Julius von Blum 1690 in den Besitz des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. 8°4 ( , 3–18).
Pergament — 176 Bl. — 21 × 12,2 cm
Aus fünf Teilen zusammengesetzt: A Bl. 1–24, B Bl. 25–88, C Bl. 89–103 und Bl. 161–176, D Bl. 104–126, E Bl. 127–160. Auf einem Papiervorsatzblatt ein Inhaltsverzeichnis von der Hand Lauterbachs. Lagen: Papiervorsatzblätter. 11 IV (88). V (98). III-1 (103). 2 IV (119). IV-1 (126). V-1 (135). IV (143). V-1 (152). 3 IV (176). Neuere Tintenfoliierung.
Roter Ledereinband (Nigerziegenleder; Neubindung 1963).
STIL UND EINORDNUNG
Die Sammelhandschrift 91 Weiss. beinhaltet eine Zusammenstellung sehr heterogener Schriften von unterschiedlichen Händen und teils unterschiedlicher Herkunft (Weißenburg - Teile A-D und südwestdeutscher Raum - Teil E). Inhaltlich umfassen sie sowohl Beiträge zum Ablauf von Riten, deren Ausführung und die mit ihnen verbundenen Ämter (vgl. hierzu ausführlich , in: , Nr. 44), als auch Texte zur Zeitbestimmung (Teil C), die mit Schemata ergänzt wurden (89r und 101v). Die Handschrift war nachweislich im Kloster Weißenburg in Gebrauch, ihre Texte datieren in das 1. Drittel des 9. Jahrhunderts und wurden nach 813 als Sammelband zusammengestellt (der Terminus post quem 813 ergibt sich aus dem Epitaph des Erzbischofs Richulf von Mainz [gest. 813], das auf 126v im Verbund mit aufgenommen ist). Der Weißenburger Buchschmuck (Teile A, B und C) ist sehr sparsam gehalten, es dominieren für Weißenburg bekannte, aufwendig angelegte und ausgewogen gestaltete Auszeichnungsschriften (vgl. Teil B: 25v; Teil D 111v), wie sie auch aus anderen Weißenbuger Codices aus dem 1. Drittel des 9. Jahrhunderts bekannt sind (vgl. 10 Weiss., 2v; 71 Weiss., 74v; 3 Weiss., 5v und 13 Weiss., 1v). Die Hand des Incipits in Teil D (111v) zeigt besonders große Ähnlichkeit zu den Incipits in 3 Weiss., 5v. Auch die an Fäden hängenden Trifolien (in den Teilen B und C) begegnen in Weißenburger Handschriften aus diesem Zeitraum (vgl. 3 Weiss., 28r und 49 Weiss., 1v). Die Teile A, B und C wurden von B. Bischoff paläographisch Weißenburg abgesprochen, eine alternative Zuordnung erfolgte von ihm jedoch nicht ( , 117f.). Die Auszeichnungsschriften und der Buchschmuck sprechen für Weißenburg. Teil E (Bl. 127–160) ist paläographisch und kunsthistorisch nicht nach Weißenburg zu lokalisieren. Vermutlich bezieht sich die paläographische Einordnung der Handschrift von B. Bischoff mit "Westdeutschland (Oberrhein), IX. Jh. Anfang" auf diesen Teil des Sammelbandes ( , Nr. 7427 - hier nicht näher differenziert). Die südwestdeutsche Lokalisierung lässt sich aufgrund des Buchschmucks bestätigen. Einen aussagekräftigen Vergleich, mit sehr ähnlichem Füllmuster und vergleichbaren Knospenmotiven gibt die Murbacher Hieronymus-Handschrift München, BSB, Clm 14082, 137v, Murbach, um 800 ( , Nr. 212, Abb. 434). Auch die in der Initiale verwendeten insularen Fabelwesenköpfe verweisen auf dieses Skriptorium, das nachweislich stark unter insularem Einfluss stand (vgl. das Spiegelfragment in Cod. Guelf. 41.1 Aug. 2°).. — , Nr. 4175 (Heinemann Nr.). — , 257–268. — , Bd. 1, 64. — , 117f. — , Karolingische Renovatio in Wissenschaften und Literatur, in: 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Karls der Große und Papst Leo III. in Paderborn, hrsg. von und , Bd. 3 (Beitragsband), Mainz 1999, 662–680, hier Abb. 6. — , Das althochdeutsch-lateinische Textensemble des Cod. Weiss. 91 ("Weißenburger Katechismus") und das Bistum Worms im frühen neunten Jahrhundert, in: , Volkssprachig-lateinische Mischtexte und Textensembles in der althochdeutschen, altsächsischen und altenglischen Überlieferung, Mediävistisches Kolloquium des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg am 16. und 17. November 2001, Heidelberg 2003 (Germanistische Bibliothek 17), 131–173. — , 63. — , Nr. 7427. — , Nr. 44.
A
Weißenburg, Benediktinerkloster — 9. Jh., 1. Viertel
Schriftraum: 18 × 9,4 cm, einspaltig, 26 Zeilen. Karolingische Minuskel von 2 Händen. Hand 1: 1v–22r, Hand 2: 22v–23r und 24v. 1v–22r rubrizierte Incipts und Explicits in Capitalis Quadrata, zu den Versanfängen vergrößerte Initialmajuskeln. 22v–23r und 24v Incipit in Capitalis Rustica, die Anfangsbuchstaben mit rotem Begleitstrich bzw. rotem Binnenfeld. Im Text vergrößerte Satzmajuskeln.
INHALT
1v–22r Canones Eusebiani, Libri I-X ( 22, 1278). 22v–23r : Oratio de mortalitate ( 76, 1311–1314; 2, 365–367, Nr. 13,2). 23v–24r leer. 24v Carmen de Petri apostoli liberatione e carcere ( 4, Fasz. 2/3, 10787). 24v Versus de cruce ( 4, Fasz. 2/3, 10787; unter Berücksichtgung der Handschrift).
B
Weißenburg, Benediktinerkloster — 9. Jh., 1. Viertel
Schriftraum: 18 × 9,4 cm, einspaltig, 26 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Incipits (vgl. 35r und 38v) in Capitalis Rustica oder Capitalis Quadrata, nach Wort bzw. Silben rot und schwarz alternierend oder einfach rubriziert. Gelegentlich vorangestellt eine Kreuzverzierung (vgl. 62v). Textanfänge teils rubrizierte Capitalis Rustica (vgl. 42v) oder Unzialis mit teils rot hinterlegten Buchstaben (vgl. 77r). Initial- und Satzmajuskeln, zum Teil rubriziert oder als kolorierte Hohlbuchstaben. Zum Textbeginn (26r) 1–3 zeilige Hohlbuchstaben, koloriert.
INHALT
25r leer. 25v–37v : Epistulae ad Jacobum fratrem domini (aus Pseudo-Isidorus, decretalium collectio, Ep. 1, cap. 1–19; 130, 19–27, 37–44; , 30–36, 46–52). 37v–38r Vita Clementis I., papae aus dem Liber Pontificalis ( 127, 1077–1080; MGH, Gesta pontificum Romanorum 1,1, 7 ). 38v Hieronymus ad Damasum papam de Missarum solemnis. 42r : Decretum vom 5. 7. 595 ( 77, 1334–39; 1, 362–67, Nr. 5, 57a). 42v–88v Oridines Romani (zum Inhalt vgl. , 257–268).
AUSSTATTUNG
Verzierte Initialmajuskeln. 1 Textzierseite.25v Textzierseite: Acht Zeilen Capitalis Quadrata in Hohlbuchstaben, zeilenweise rot und schwarz alternierend. Vor dem Beginn eine Kreuzverzierung. Am unteren Blattrand direkt im Anschluss eine Zeile rubrizierte Unzialis. Vgl. Abb. 25v+.
Verzierte Initialmajuskeln: Zu einzelnen Textabschnitten (62v, 63r, 77r, 80v und 84v) einfache, rot gefüllte Hohlbuchstaben mit an Fäden hängenden Trifolien (vgl. 62v) und knospenartig gespaltenen Initialstammendungen (vgl. 63r).
C
Weißenburg, Benediktinerkloster — 9. Jh., 1. Drittel
Schriftraum: 18 × 9,4 cm, einspaltig, 38 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Rubrizierte Incipits und Überschriften in Capitalis Rustica. Tintenfarbige Initialmajuskeln, einige davon als Hohlbuchstaben. Ab 94v die Initialmajuskeln mit roten Begleitstrichen und roten Binnenfeldern.
INHALT
89r–103r Computus I. 89r Zeichnung einer Windrose; 89v–99v Computus; 99v–100r Mondtafeln; 100v leer; 101r Computus; 101v Darstellung des Sonnenverlaufs im Jahr (Zeichnung); 102r leer; 102v–103r Kalendarie. 103v–104r leer. 161r–175r Computus II (zu den Texten vgl. ausführlich , 257–268; Blatt unten: Federprobe). 175v–176v leer.
AUSSTATTUNG
Verzierte Initialmajuskeln. 2 Schemata. 1 Windrose.Verzierte Initialmajuskeln: Zu den Textanfängen tintenfarbige Initialmajuskeln mit an Fäden hängenden Trifolien und Herzblättern (89v, 164v, 165v).
Schema und Windrose:
101v Schema. Obere Blatthälfte, eine stufenförmige Pyramide mit einem Kreis (bez. SOL) als Spitze, darauf ein Kreuz mit angedeutetem Strahlenkranz. Die Stufen beschriftet mit der der jeweiligen Tagesanzahl eines Monats (Sonnenverlauf im Jahr; 11,5 × 16,9 cm). Auf der unteren Blatthälfte ein Kreis mit drei beschrifteten Bahnen (Sonnenverlauf im Jahr; 10,7 cm).
89r ganze Seite, eine kreuzförmige Windrose mit insg. 12 Bahnen, auf denen die Winde eingetragen sind (14,5 × 10,3 cm).
D
Weißenburg, Benediktinerkloster — 9. Jh., 1. Drittel
Schriftraum: 18 × 9,4 cm, einspaltig, 26 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Rubrizierte Überschiften und rubrizierte 2–3zeilige Initial- und Satzmajuskel, letztere auch tintenfarbig; auf 121v mit einfacher Palmette; 125v im Binnenfeld mit einfacher Blattverzierung. Auf 111v und 114v, 115v vergrößerte tintenfarbige Incipits in Capitalis Rustica.
INHALT
104v–106r Sermo de symbolo et virtutibus. 106r Zitat aus einem Capitulare (vgl. W. Scherer, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 13 (1865), 443; , 3). 106v–111r De symbolo et oratione, Sermo de Symbolo (Zeitschrift für Kirchengeschichte 19 (1899), 186–190). 111r–114r : Libellus fidei ad Innocentium papam ( 45, 1716–18; 98, 1113–15). 114r–115v : Expositio de fide catholica (Zeitschrift für Kirchengeschichte 19 (1899), 180–186, unter Berücksichtigung vorliegender Handschrift). 115v–120v Commentarius Fortunati in symbolum Athanasianum (A. E. Burn, the Athanasian Creed, Cambridge 1896 (Text and Studies 4,1), 28–39). 120v Oratio de Maria virgine. 120v–121v Expositio orationis dominicae ( , 8–9). 121v–122v Expositio orationis dominicae ( , 9–10). 122v–124v Expositio orationis dominicae ( , 11–13). 125r leer. 125v–126v Oratio pro aeris temperie. 126v Epitaphium Riculphi archiepiscopi Moguntinensis (Epitaph des Erzbischofs Richulf von Mainz; gest. 813; Zeitschrift für deutsches Altertum 12, 1865, 443f.; 1, 432).
E
Südwestdeutschland — 9. Jh., 1. Drittel
Schriftraum: 18 × 9,4 cm, einspaltig, Bl. 127–152 28 Zeilen, Bl. 153–160 26 Zeilen. Karolingische Minuskel. Rubrizierte und tintenfarbige Incipits und Explicits meist in Unzialis, gelegentlich in Capitalis Rustica. Rubrizierte Zählungen im Text und Initial- und Satzmajuskeln. 148v ein mit Knospen verziertes Explicit (s.u.).
INHALT
127r–160v Breviarium der Paulusbriefe, Katechismus, Breviarium der Gregor-Homilien: 127r Loci Novi Testamenti (auf überschriebener Initiale). 127v : Epigramma in Paulum ( 13, 379–81). 127v–130r Canones concordantiarum de omnibus epistolis apostoli Pauli. 130r–148v Capitula et Initia epistularum Pauli et Epistulae ad Hebraeos (zu den Texten vgl. ausführlich , 257–268). 148v–149r : Georgica (1, 231–44; , 4 nach G. Milchsacks Abschrift). 149r Nota de plagis Aegyptiacis ( , 4). 149r De septem gradibus ecclesiae ( , 13–14). 149r–v De Officiis presbyteri de missa et baptismate ( , 14–15). 149v–160v Weißenburger Katechismus (zu den Texten vgl. ausführlich , 257–268; , Das althochdeutsch-lateinische Textensemble des Cod. Weiss. 91 ("Weißenburger Katechismus") und das Bistum Worms im frühen neunten Jarhundert, in: , Volkssprachig-lateinische Mischtexte und Textensembles in der althochdeutschen, altsächsischen und altenglischen Überlieferung, Mediävistisches Kolloquium des Zentrums für Mittelalterstudien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg am 16. und 17. November 2001, Heidelberg 2003 (Germanistische Bibliothek 17), 131–173).
AUSSTATTUNG
1 verziertes Explicit. 1 Initiale.Initiale: Auf 127r eine nahezu seitengroße, nachträglich überschriebene Initiale als gefüllter Hohlbuchstabe. Im Initialstamm als Füllmotiv ein Rautenmuster mit eingefügten Knospen- und Kreisverzierungen; im oberen Abschluss ein Kreuz. Als Besatz zwei Fabelwesenköpfe. 17,5 cm.
Verziertes Explicit: 148v ein vierzeiliges Explicit, bestehend aus unkolorierten Hohlbuchstaben mit Knospenverzierungen.
Abgekürzt zitierte Literatur
Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, 2 Bde., bearbeitet von K. Bierbrauer, Wiesbaden 1990 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1) | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
B. Bischoff, Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, 3 Bde., Stuttgart 1966/1967/1981 | |
B. Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, Berlin 2009 (4. durchgesehene und erweiterte Auflage) (Grundlagen der Germanistik 24) | |
B. Bischoff, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, in: Frühmittelalterliche Studien 5 (1971), 101–134, ND in: Ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1981, 73–111 | |
H. Butzmann, Die Weissenburger Handschriften, Frankfurt/M. 1964 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die Neue Reihe 10) | |
Divina officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, Wolfenbüttel 28. November - 31. Juli 2005, Konzeption von Ausstellung und Katalog P. Carmassi, Wiesbaden 2004 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 83) | |
P. Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, Leipzig 1863 | |
Monumenta Germaniae Historica. Epistolae in Quarto, Bd. 1–8, Berlin 1887–1939 | |
Monumenta Germaniae Historica. Poetae Latini aevi Carolini, Bd. 1–4, Berlin 1880–1923 | |
Patrologiae cursus completus. Series Graeca, Bd. 1–161, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1857–1866 | |
Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865 | |
R. Schnurr, Katechetisches in vulgärlateinischer und rheinfränkischer Sprache aus der Weissenburger Handschrift 91 in Wolfenbüttel, Greifswald 1894 | |
Liste der von H. J. Blum im Jahre 1673 der Wiener Hofbibliothek angebotenen Handschriften meist Weissenburger Herkunft, in: T. Gottlieb, Die Weissenburger Handschriften in Wolfenbüttel, Wien 1910 (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 163,6) | |
Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 3: Die Weissenburger Handschriften, beschrieben von O. von Heinemann, in: Die Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, Abt. 2 Teil 5, Wolfenbüttel 1903, 268–443 |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).