Florilegium
Lamspringe — 12. Jh., 3. Viertel
Provenienz: 1v Besitzvermerk Sancti Adriani martiris in Lamespringe. Vermerke von dieser Hand auch in 145 Helmst., VS; 204 Helmst.,1r; 443 Helmst., 1v; 447 Helmst., 5r; 475 Helmst., 1r; 480 Helmst., 1r; 482a Helmst., 1r; 504 Helmst., VS; 510 Helmst., 1r; 511 Helmst., 1r; 519 Helmst., 1r; 553 Helmst., 1r; 650 Helmst., 1r; 723 Helmst., 1r; 1012 Helmst., 1r; 1030 Helmst., 1r; 1034 Helmst., 1r; 1113 Helmst., 1r und 1196 Helmst., 1r. 1r Notiz: Excerpta ex Augustino (18. Jh.). 1r alte Helmstedter Signatur T 4° 60. 1572 mit den übrigen Lamspringer Codices in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt, 1588 von Eberhard Eggelinck unter den Pergamenthandschriften der Hofbibliothek (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v, hier 27v), als Divus Augustinus in diversis materiis vff pergamein geschrieben in quarto vnd bretern mit pergamen vbertzogen verzeichnet. 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 305 [300]) unter den Papalia Miscellanea als Augustini scripta de diversis materiis in membrana mit der Signatur Z 126 genannt. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 16r) als Excerpta ex Augustino In membrana unter den Theologici MSSti in quarto beschrieben; auf dem Kopfsteg des VS und auf Bl. 1r die entsprechende Helmstedter Signatur T 4° 60. Im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 437 verzeichnet.
Pergament — 165 Bl. — 20,0 × 14,0 cm
Pergament. Ab Bl. 8 Palimpsest (Bl. 8-49 angelsächsische Schrift; ab Bl. 50 karolingische Minuskel mit unzialen Auszeichnungsschriften, Psaltertext erkennbar (Bl. 118v Ende von Psalm 45 und Beginn von Psalm 46). Auf 38 ist noch eine insulare Federinitiale mit Fabelwesenkopf erkennbar. Lagen: IV (8). III+2 (16). IV (24). III+2 (32). III+2 (40). III+2 (48). III+2 (56). IV (64). III+2 (72). 4 IV (104). III+2 (112). III+2 (120). IV (128). III+1 (135). 3 IV (159). III (165). . Palimpsestiertes Pergament und Verwendung von Einzelblättern. Erhaltene Lagenbezeichnungen: Vus-VIIus, XIIIus-XVIIIIus auf dem Fußsteg der letzten Versoseite. 2 Palimpseste: I: 1r-49v Hildesheim (?)/Corvey (?), 9./10. Jh.; II: 50r-165v Insulares Zentrum (?), 9. Jh. (zu den Texten vgl. [in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB]). Bei Palimsest I handelt es sich um einen Text in kleiner, regelmäßig wirkender, insularer Minuskel. Zu Textanfängen sind auf dem Blattrand zum Teil verzierte Initialmajuskeln sichtbar (Bl. 5v, 6v, 7v, 17v, 21r, 22v, 25v, 29v, 35v und 38v). 35v und 38v. Neuere Tintenfoliierung. Schriftraum: 15,0 × 9,5 cm, einspaltig, 24 Zeilen. Carolino-Gothica von der Hand der Scriptrix (zur Gruppe gehörig: 443 Helmst., 447 Helmst., 482a [1r-81v], 510 Helmst., 511 Helmst., 519 Helmst., 718 Helmst. [10v-97r], 723 Helmst., 903 Helmst. [1r-75r], 1030 Helmst.). Eintrag: 164v Haustus librorum pelago liber iste modorum. Istic finitur. Iam scriptrix laude potitur. Rubrizierte Textüberschriften, einige in Capitalis Rustica. Rot umrandete Marginalien.
Romanischer Holzdeckeleinband. Innendeckel und 1r alte Helmstedter Signatur A 95. Der Einband ist identisch mit denen von folgenden Lamspringer Handschriften: Cod. Guelf. 443 Helmst., 475 Helmst., 480 Helmst., 553 Helmst., 903 Helmst., 982 Helmst., 1113 Helmst. und 1196 Helmst.
INHALT
1v-164v Liber modorum (zu den Texten vgl. ausführlich Kassel, LB, 8° Ms. theol. 4). , Kat.Nr. 16; Parallelüberlieferung: Bl. 165 leer.
AUSSTATTUNG
Verzierte Satz- und Initialmajuskeln. Eine Initiale. Eine marginale Zeichnung. Verzierte Rahmungen der marginalen Texthinzufügungen.Verzierte Satz- und Initialmajuskeln: Die 2-5zeilligen Majuskeln besitzen Punktverdickungen. Als Endmotive sind häufig Vögelköpfe mit angedeutetem Gefieder (vgl. 90v) zu finden, oder Vögel sind beigefügt (vgl. 16v). Einige Lombarden mit ausgespartem Wellenmuster als Füllmotiv (vgl. 114v) und angefügten Blütenmotiven (vgl. 125v).
Initiale: Zum Textbeginn eine Spaltleisteninitiale mit vierfach genagelten Spangen (3,4 cm - ohne Cauda). Im Binnenfeld von den Spangen ausgehende, locker geschwungene Spiralranken. Im Endbesatz umgeschlagene Palmetten und Knollen. Die Cauda mittig gegliedert durch eine Blüte.
Marginale Zeichnung und verzierte Rahmungen: Auf dem unteren Blattrand von 34v zwei im Kampf gegeneinander gerichtete Löwen oder Hunde. Die Zeichnungen im Kopfbereich schwarz nachgezogen, die Körper mit leicht lavierendem Farbauftrag (3,1 × 9,5 cm). Einige marginale Texthinzufügungen mit perlartig verzierten Rahmungen (122v, 125v, 132r, 136v) und figürlichen Darstellungen (Büsten/Köpfen, vgl. 125v) sowie Tierdarstellungen (Vögel/Vögelköpfe - 132r, 122v und gegenständige Vierbeiner - 132r). Auf 38v eine vierköpfige Phantasiedarstellung.
STIL UND EINORDNUNG
Das vorliegende Florilegium entstand nachweislich in Lamspringe von der Hand einer Schreiberin, die sich Scriptrix nennt (164v Haustus librorum pelago liber iste modorum. Istic finitur. Iam scriptrix laude potitur). Ihre eigenen, oder Hände aus ihrem direkten Umfeld, können in insgesamt 10 weiteren Lamspringer Codices nachgewiesen werden: 443 Helmst., 447 Helmst., 482a Helmst. (1r-81v), 510 Helmst., 511 Helmst., 519 Helmst., 718 Helmst. (10v-97r), 723 Helmst., 903 Helmst. (1r-75r), 943 Helmst. und 1030 Helmst. (zur Händescheidung und Gruppe vgl. , 21f.). Die Initialausstattung der Handschrift beschränkt sich auf eine den Text einleitende, unkolorierte Spaltleisteninitiale mit Rankenverzierung (1v). Initialaufbau und Rankenwerk decken sich mit Handschriften der paläographisch zusammengestellten, sogenannten Scriptrix-Gruppe. Ähnliche Ranken, mit knollenförmig umgeschlagenen Palmetten, schlanken Rankenverläufen und nur geringem Farbauftrag finden sich in 510 Helmst., 1030 Helmst. und 519 Helmst. Während 511 Helmst. ungefähr zeitgleich mit 943 Helmst. entstanden sein dürfte, zeigen 1030 Helmst. und 519 Helmst. mit ihren bereits plastisch angelegten Rankengabelungen und die den Initialstamm überschneidenden oder umschlingenden Abläufen und Blättern eine etwas spätere Stilstufe. Beide Vergleichsstücke sind, wie 943 Helmst auch, unkoloriert, besitzen jedoch gelb lavierte Initialdetails (1030 Helmst.) und orange lavierte Hintergrundfelder (519 Helmst.). Die als Gliederungsmotiv der Cauda verwendete Blüte findet sich in gleicher Funktion in der etwas später anzusetzenden 443 Helmst., 114v. Charakteristisch für die Scriptrix-Gruppe sind die in der vorliegende Handschrift außerordenlich zahlreich und vielfältig vorkommenden meist punktverzierten Initialmajuskeln, die im Besatz federartige Palmetten, Fabelwesenköpfen, Knospen-, Blatt- und Blütenmotive aufweisen und gelegentlich mit einfachen Wellenlinien gefüllt sind. Als Auszeichungsschriften sind sie eng mit der schreibenden Hand verbunden und liegen in den Codices 510 Helmst., 519 Helmst. und 723 Helmst. vor (Abb. vgl. , 23, Marg. 1-3). In 943 Helmst. bot das für die Handschrift verwendete Palimpsest Bl. 8-49 die Möglichkeit, die noch erkenntliche, insulare Initiale (38v) als Vorlage zu benutzen. Dieses Vorgehen spiegelt sich in den mit Vögel- und Fabelwesenköpfen verzierten Initialmajuskeln (vgl. 90v). Zusätzlich finden sich, wie auch in anderen Handschriften der Scriptrix-Gruppe (1030 Helmst. und 447 Helmst.) figürliche, zum teil textbezogene, marginale Darstellungen, wobei die Darstellung in 1030 Helmst., 139r dieselbe Art der Vogeldarstellung aufweist, wie sie in 943 Helmst. zu finden ist (vgl. 16v, 132r). Das Motiv des springenden Löwen (in 943 Helmst., 34v auf dem unteren Blattrand gegenständig gezeichnet), ist ein beliebtes Lamspringer Motiv, das in anderen Handschriften in den Initialzusammenhang integriert wurde (vgl. 510 Helmst., 52v, 99r; 511 Helmst., 22r). Wie bereits nachgewiesen werden konnte, gelten für den Initialschmuck der Handschriften aus der Scriptrix-Gruppe enge Verbindungen zu den romanischen Handschriften aus dem Benediktinerinnenkloster Lippoldsberg ( , 331-338; zu Lippoldsberg und den Beständen der Bibliothek vgl. , 3-8; ; , Erg.-Bd. 1/2, 494; , 178-19; , 61-81; , 63-71). Lippoldsberg, gegründet unter der Rägide des Mainzer Erzbischofs Lippold von Mainz und ausgebaut unter seinem Nachfolger Siegfried von Mainz (1060-84), wurde unter dem Mainzer Erzbischof Ruthard (gest. 1109) der Hirsauer Reformbewegung angeschlossen. Ein Benediktinerinnenkloster wird unter der Leitung der aus dem Hirsauer Reform-Doppelkloster Schaffhausen stammenden Priorin Immida greifbar. Der aus Hamersleben stammende Propst und Augustiner-Chorherr Gunther (amt. in Lippoldsberg 1130-1161) verankerte das Kloster im Kulturkreis der Hamersleben-Halberstädter Regularkanoniker und Lippoldsberg übernahm, laut Schlotheuber, im sächsischen Raum eine Vorreiterolle ( , 63f.; zur Hamerslebener-Halberstädter Kirchenreform vgl. , 237-241). Beide Skriptorien, Lippoldsberg und Lamspringe, standen in einem engen Austausch und besaßen ähnliche Buchbestände, so lag in Lippoldsberg u.a., ebenso wie Lamspringe mit 943 Helmst., eine Handschrift mit dem Florileg des Liber modorum vor (Kassel, LB, 8° Ms. theol. 4, 77v-212r). Schlotheuber konnte direkten Buchaustausch beider Skriptorien nachweisen (vgl. 718 Helmst.; , 75f.). Ein Katalog aus dem 12. Jahrhundert (Marburg, Hessisches Staatsarchiv, H77) weist für die Bibliothek in Lippoldsberg 61 Bände auf, nur 4 davon sind erhalten (Kassel, LB, 4° Ms. theol. 14, Kassel, LB, 8° Ms. theol. 4, Kassel, LB, 8° Ms. theol. 2 und Kassel, LB, 8° Ms. theol. 3; , 175f.). Der Buchschmuck, bestehend aus mit roter Feder gezeichneten Spaltleisteninitialen (weitestgehend unkoloriert), ist einheitlich, jedoch bisher kunsthistorisch nicht erschlossen. Direkte Parallelen zeigen die Handschriften der paläographisch gefassten Scriptrix-Gruppe aus dem 3. Viertel des 12. Jhs. Für die Spaltleisteninitiale von 943 Helmst. auf 1v besteht große Ähnlchkeit zur Ausstattung der Rupert von Deutz-Abschrift Kassel, LB, 4° Ms. theol. 14, die als Endbesatz der Ranken dieselben knollenartig geschwungenen Knospen und Palmettenendungen zeigt (vgl. 42v). Auch die dem Text beigefügten Tierdarstellungen ohne Initialbezug (943 Helmst, 16v, 36v - Vögel) finden sich in der Lippolstädter Handschrift in Form von einem Drachen (79r) und Fischen (65r). Abschließend und ergänzend liegen in Lippoldsberg auch die für die Scriptrix-Gruppe so typischen, federartig verzierten Auszeichnungschriften vor (vgl. Kassel, LB, 4° Ms. theol. 14, 31v), so dass nicht auszuschließen ist, dass die erste in Lamspringe fassbare Schreiber-, bzw. Künstlergeneration in Lippoldstadt oder von einem Lippoldsberger Schreiber/Buchmaler ausgebildet wurde.vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, 70. — , Nr. 1045 (Heinemann Nr.). — , 45, 328. — , 476. — , Kat.Nr. 16. — , 75 Anm. 78. — , 262 Anm. 22. — (in Vorb.,Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.