Honoré Bonet, L'arbre des batailles – Ordonnanzen zu den Gages de bataille in Frankreich.
Papier, Pergament — I, 87, I Bl. — 28-28,3 × 20,5-20,8 cm — Flandern (?) — 1464
Wasserzeichen: Wappen (
DE3270-hist839_II); Wappen ( DE3270-hist839_76); Wappen ( DE3270-hist839_78); Wappen ( DE3270-hist839_80); auf neuerem Vorsatzbl.: Monogramm ( DE3270-hist839_VSB; Lagen: neben einem Vorsatzbl. aus Papier (wohl 18.) und einem Nachsatzbl. aus Pergament besteht die Handschrift aus folgenden Lagen: III-2 (IV; Bl. I u. IV Pergament). 8 IV (64). IV-1+I (72!). V (82). Tinten-Foliierung (alt, einsetzend mit dem ersten beschriebenen Bl. des Buchblocks nach vier unbeschriebenen): I-LXXIIII; Zählung dann in arabischer Ziffer weitergeführt bis 75 (zwischen Bl. 69 und 70 blieb ein Bl. zuerst ungezählt, nun als Bl. 69a in die Foliierung einbezogen); auf Bl. 76-82 moderne Bleistiftfoliierung; mittig am oberen Seitenrand Buchzählung, zudem am Rand verlaufend Kapitelzählung – beides in normaler Tinte und arabischen Ziffern; der Buchblock nach der ersten Bindung wohl noch einmal beschnitten; auf Bl. I-III am unteren Rand größere (Wasser)Flecken. Schriftraum: 19,8-20,3 × 14,8-15,5 cm, einspaltig, 45-49 Zeilen; Haupttext in ebenso geübter wie regelmäßiger, leicht rechtsgeneigter Bastarda; nur das Ende des Arbre des batailles auf 69r und der Besitzvermerk auf 74v von der Hand des Jehan le Monnier (s. unter Herkunft); an mehreren Stellen Korrekturen bzw. Streichungen in normaler oder roter Tinte; durchgehend rubriziert; Paragraphenzeichen in Rot, ebenso Überschriften. Am Beginn des Textes auf 1r eine 7-zeilige Fleuronnée-Initiale (in roter und normaler Tinte ausgeführt und dann laviert in Gelb, Grün und Braun); zudem zahlreiche Fleuronnée-Initialen in roter und normaler Tinte sowie unterschiedlicher Größe (2- bis 16-zeilig). Drei Illustrationen (je eine zu Beginn der beiden enthaltenen Texte, zudem eine dritte am Ende der Gages de Bataille bzw. viell. auch vor einem weiteren, ursprünglich eingeplanten, aber nicht ausgeführten Text oder Textteil auf den leeren, aber mit Linierung versehenen Bl. 76 ff.); die Illustrationen befinden sich auf Doppelbl., die extra eingefügt wurden (Bl. II/III, Bl. 69/69a und Bl. 75/80; jeweils beide Hälften dieser Doppelbl. nicht liniert); lavierte Federzeichnungen, von sehr geübter Hand bzw. zweifellos von einem professionellen Illuminator/Maler angefertigt, dabei jedoch flüchtig, beinahe skizzenhaft ausgeführt; I: ganzseitige Darstellung des l'Arbre de deuil, von Rahmung aus zwei Tintenlinien gefasst: Das Geäst des Baumes bildet drei Ebenen, auf der obersten stehen sich die Lager zweier (Gegen)Päpste gegenüber, auf der mittleren ein König (heraldisch rechts) und ein/der Kaiser (heraldisch links); naheliegend wäre eine Deutung als König von Frankreich und Kaiser des Reichs; auf der untersten Ebene stehen sich die Lager eines nicht genauer identifizierten Gerüsteten (heraldisch rechts; viell. Herzog von Burgund?) und eines Fürsten gegenüber (heraldisch links; Erzherzog von Österreich? Sicher nicht zutreffend ist hingegen die Annahme von RICHTER-BERGMEIER, Honoré Bovet, dass es sich hier um einen Bischof handle). Auf dem Boden darunter werden auf der heraldisch rechten Seite gefallene Ritter von Engeln in den Himmel geführt, auf der linken von Teufeln/Höllenbewohnern gequält und vom Höllenrachen verschlungen; im Wipfel des Baumes Fortuna mit Rad. Die Darstellung weist starke Ähnlichkeiten auf mit jener in der Prachthandschrift für Ludwig I. von Luxembourg (1418-1475, Graf von Saint-Pol, Connétable von Frankreich zwischen 1465 und 1475), die aus Brüssel stammt, gleichfalls den Arbre des batailles enthält und sich heute in Chantilly befindet: Chantilly, Musée Condé, 0346 (1561); die Illustrationen derselben sind zugeschrieben dem ‚Maître de Johannes Gielemans’ (siehe zu der Handschrift etwa BOUSMANNE – DELCOURT – SCHANDEL – HANS-COLLAS, Miniatures flamandes, S. 202). Aufgrund mehrerer Gestaltungsdetails ist ein enger Zusammenhang zwischen beiden Illustrationen sehr wahrscheinlich. II: Darstellung einer Gerichtsversammlung bzw. eines Rechtsstreits vor dem fürstlichen Richterstuhl; vor dem Fürsten (Philipp der Gute?), der unter einem Baldachin thront, auf einem Schemel sitzend der Träger des Richtschwerts; vor diesem wiederum an einem Tisch ein Schreiber/Notar, Schriftstücke/Urkunden ausfertigend (die Darstellung ähnelt vom Motiv – nicht in der Ausführung – mehreren in der Prachthandschrift, die Herzog Franz II. von der Bretagne gehörte: Bibliothèque nationale de France, ms fr. 2258; MONKS, The master, schreibt deren Illuminationen dem ‚master of Jean Rolin II‘ zu). III: Darstellung eines gerichtlichen Zweikampfs, der von zwei voll gerüsteten Rittern, die von ihren Pferden abgestiegen sind, im dargestellten Moment mit Lanzen ausgetragen wird. Der Zweikampf findet auf einem städtischen Platz statt, wobei die beiden Kontrahenten auf einem eingehegten Kampfplatz, an dessen Rand zwei Zelte stehen, gegen einander antreten; am Rand der Einhegung stehend weitere Gerüstete sowie – zu beiden Seiten eines Altars stehend – ein Geistlicher und ein weiterer Unbewaffneter (wohl ein Amtsträger); der genannte Altar steht dabei an der Außenwand eines Turmes, auf dessen Balustrade der Fürst (wohl wieder der Herzog von Burgund) im Kreis von Großen und Amtsträgern dem Geschehen zusieht. Auf der heraldisch linken Bildseite verfolgt und kommentiert ein Herold, auf dem Zaun der Einhegung sitzend, das Geschehen (Auch diese Darstellung ähnelt vom Motiv her mehreren in: Bibliothèque nationale de France, ms fr. 2258; s. dazu oben bei Abb. II). Da die Darstellungen – wie dargelegt – enge Verbindungen zu höfischen Prachthandschriften des 15. Jahrhunderts aufweisen, wäre in Anbetracht der skizzenhaften Ausführung der Miniaturen entweder an flüchtige Kopien entsprechender Werke zu denken, andererseits könnten die Darstellungen der Göttinger Handschrift auch Entwürfe für die Ausstattung erst anzufertigender Prunkhandschriften gewesen sein.Brauner neuer Ledereinband (18./19. Jh.); an zahlreichen Stellen durch Abreibungen oder Kratzer beschädigt; am Rücken Goldprägung (über einander, durch die Bünde getrennt Blumenstrauß-Ornamente, jeweils in rechteckigen, gleichfalls floral verziertem Rahmen); auf dem Rücken zudem ein ockerfarbenes Titelschildchen aus Papier mit der Titelangabe L'arbre de Bataille aufgeklebt (Titel später kreuzförmig gestrichen); am unteren Rand dieses Titelschildchens ist mittig auch noch die Zahl 32 eingetragen; auf dem Rücken zudem Papierschildchen mit moderner Göttinger Signatur; diese mit Bleistift auch eingetragen am oberen Rand des VS (Cod. Ms. hist. 839); ebd. ist auch eingeklebt die Beschreibung von W. Meyer; darunter überdies mit Bleistift vermerkt E Bibl. I. F. Christii (?); am Rand rechts daneben – ebenfalls in Bleistift – zudem die Zahl 16 eingetragen.
Herkunft: Das Kolophon auf 74v gibt an, dass die Handschrift am 16. Juli 1464 vollendet wurde. Der Name des Schreibers, von dem – abgesehen vom Ende des Arbre des batailles auf 69r und dem Besitzvermerk des Jehan le Monnier auf 74v – die gesamte Handschrift geschrieben wurde, ist in diesem Kolophon leider radiert; falls im Eintrag neben den vier Zeilen ebd. sein Name vermerkt gewesen sein sollte, dürfte er mit T begonnen haben. Seine Schrift ist in ihren Formen eher an Formen der Bastarda orientiert, wie sie im niederländisch-deutschen Raum verbreitet waren (schleifenlose Bastarda), als an den französischen Bastarden jener Zeit. Letztere vertritt hingegen der erste nachweisbare Besitzer der Handschrift, Jehan le Monnier/Multoris aus Flandern, der sich mit einem Kolophon auf 69r sowie einem Besitzvermerk samt zwei Monogrammen auf 74v eingetragen hat, aber bislang nicht zu identifizieren ist. Da sich seine Hand auf den wohl später, aber noch vor der Bindung der Handschrift, hinzugefügten Doppelblättern mit den Illustrationen befindet, wäre zu vermuten, dass die Handschrift von jemand anderem geschrieben und dann von Jehan le Monnier um die Illustrationen ergänzt wurde – wobei unklar bleibt, ob das von Beginn an eingeplant war oder nicht. Sowohl die Herkunft des Jehan le Monnier aus Flandern als auch die am burgundischen Hofstil orientierten Illustrationen, die wohl auch den burgundischen Herzog und einen burgundischen Herold zeigen, sprechen dafür, dass sich die Handschrift spätestens zur Zeit der Einfügung der Abbildungen in flandrisch-burgundischem Umfeld befand. Die bereits linierten, aber leeren Seiten nach Bl. 75 deuten an, dass ursprünglich eine Fortführung der Textzusammenstellung geplant war, dann aber nicht erfolgte. Auch die Bildausstattung der Handschrift könnte für eine solche Planung sprechen. Den Beginn jedes inhaltlichen Abschnitts hätte dann eine Illustration gebildet. Trifft diese Deutung zu, wäre anzunehmen, dass – entsprechend der Abbildung auf 75r – noch ein Abschnitt zur Umsetzung des Gerichtskampfes angedacht war. Sowohl die Illustrationen als auch der Inhalt der Handschrift verweisen auf den höfischen Bereich; der Arbre des batailles und die Odonnanzen zu den Gages de bataille sind häufig zusammen überliefert und kommen in diesem Verbund sowohl im adeligen Kontext als auch spezieller im Bereich der Heroldskompendien vor (vgl. HILTMANN, Spätmittelalterliche Heroldskompendien, S. 75-76); inwieweit die Darstellung des Herolds in der Illustration III auf 75r für eine Einordnung in letzteren Zusammenhang sprechen könnte, wäre zu fragen. — Die weitere mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte der Handschrift ist bis ins 18. Jahrhundert nicht nachweisbar. Damals befand sie sich im Besitz des Helmstedter Philosophie-Professors Rudolf Anton Frabricii (geb. 1701, gest. 1772). — Aus seiner nachgelassenen Bibliothek wurde sie am 1. Sept. 1778 in Helmstedt für die Bibliothek der Georgia Augusta angekauft; vgl. dazu den Eintrag in SUB Göttingen, Bibliotheksarchiv, Manuale zum Jahr 1778: L'arbre des Batailles. s. l. 1464. MS; vermerkt sind bei dem Eintrag auch die Seite und Nummer des Auktionskatalogs (S. 5, Nr. 1554); in diesem Katalog ist die Handschrift unter der entsprechenden Nr. genannt als: Liber Msptus, sub tit. L´arbre des Batailles, s. l. 1464. c. uariis picturis. (durchaus sauber.) Frb. (Bibliotheca Rudolphi Antonii Fabricii historiae litterariae Prof. Ord. Philosophorum ordinis et totius Academiae senioris Libros ad omne literarum genus spectantes rariores et rarissimos complectens…, Bd. 3, Helmstedt 1777, S. 5).
, S. 279-280. — .
Ir-v leer, abgesehen von der Titelangabe LARBRE DES BATAILLES am oberen Rand von 1r, einem nicht lesbaren Vermerk am rechten oberen Rand von 2r sowie Resten eines Exlibris, das auf 2v eingeklebt war, aber entfernt wurde und von dem nur mehr im Bereich der vier Ecken gewisse Papierreste vorhanden sind.
IIIIr-IIIv die Rectoseite ist leer (allerdings könnten regelmäßig auf der Seite verteilte Flecken Klebespuren eines früher vorhandenen Exlibris darstellen), während sich auf der Versoseite die ganzseitige Darstellung des l'Arbre de deuil befindet (s. unter Illustrationen).
IVr-IVv leer.
1r-69r L'Arbre des batailles. ›Chi comence le prologe du liure appelle larbre des batailles‹. A la sainte coronne de France en la quelle au iour dhuy par lordonance de dieu regne Charles le VIe en ce lui … — … apres la fin il vous amaine et perduise a la sainte gloire de paradis. Amen. Explicit Deo gratias. J. Multoris. Die letzte (Halb)Seite des Textes (69r), die sich – so wie die Illustration auf 69av – auf einem eigens eingefügten Doppelblatt befindet, ist von anderer Hand geschrieben als der Rest der Handschrift; ihr Schreiber gibt sich durch das Kolophon ebd. als J. Multoris/Jehan le Monnier zu erkennen, der der erste nachweisbare Besitzer der Handschrift ist (s. unter Herkunft). Zum Arbre des batailles siehe etwa RICHTER-BERGMEIER, Honoré Bovet; Edition: ebd.; zudem s. HILTMANN, Spätmittelalterliche Heroldskompendien (passim). (69v-69br) leer.
:69av–75r Ordonnanzen zu den Gages de bataille in Frankreich. ›Sensient la chartre de gaige de bataille‹. Charles par la grace de dieu roy de France a tous ceulx qui ce presentes lettres veront salut … — … qui sont faittes a Paris en la cousture saint Martin eussent altrement les six vings pieds proporcionnez, car il deuoit que vint quatre pas de le et de long quatrevings et seze, car testoit a mon aduis laduantage du demandeur cest assauoir de carrouge. Danach folgen auf 74r die vier Verse: Si paribus vel disparibus constant elementis/ Nomina pugnancium pars vincatur agredientis/ Inparitas autem paritas si societur/ Hec tibi norma datur quod defensor superatur (WALTHER I, Nr. 17832). Diese werden dann kommentiert mit: cest adire que se les lettres des noms de bateillans quilz apporterent de baptesme prins en latin se remennent pares en per ou en non per le demandeur sera vaincu. Im Anschluss daran auf 74v das – im ersten Teil radierte - fünfzeilige Kolophon: (...) scripsy cestui livre/ de tout pecciet Dieu le delivre./ Commenchant l'an 1464 le xvj jour/ du mois de julle et partfinant le/ darrain jour dudit mois. Diese Zeilen waren durch rote Linien verbunden mit bzw. bezogen auf einen (Namens?)Eintrag daneben, der jedoch radiert ist und von dem nur noch das große T zu Beginn erhalten ist. Zwischen zwei im Aufbau parallel gestalteten Monogrammen von Jehan le Monnier/Multoris, in denen auf der linken Seite der Name in lateinischer Form (Multoris) und auf der rechten in französischer (Monier) genannt ist, steht der Besitzvermerk Le present livre appartient a Jehan Le Monnier de ... Flandres. Die Ordonnanzen zu den Gages de bataille werden in dieser Handschrift statt auf König Philipp den Schönen, wie sonst üblich, auf Karl VI. von Frankreich zurückgeführt – wohl aufgrund des Umstandes, dass der vorangehende Arbre de batailles für diesen verfasst ist. Zu den verschiedenen Fassungen dieses Textes, der gerade in Heroldskompendien Eingang fand, siehe insbesondere Hiltmann, Spätmittelalterliche Heroldskompendien (hier speziell S. 300-320). Gedruckt sind verschiedene – andere – Fassungen der Ordonnanzen zu den Gages de bataille bei ROLAND, Parties inédites, S. 128–145; CRAPELET, Cérémonies; Ordonnances des rois, Bd. 1, S. 435–441; DECRUSY – ISAMBERT – JOURDAN, Recueil général, Bd. 2, Nr. 417, S. 831–843; zur Bedeutung und Praxis der Gages de Bataille s. zudem HILTMANN – ISRAEL, Laissez-les aller; HILTMANN, Heroldskompendien, S. 320-331. (75r-82v) leer, abgesehen von der Darstellung eines gerichtlichen Zweikampes auf 75r (s. unter Illustrationen).
Abgekürzt zitierte Literatur
Die Handschriften in Göttingen, Bd. 2: Universitäts-Bibliothek: Geschichte, Karten, Naturwissenschaften, Theologie, Handschriften aus Lüneburg, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 2) | |
Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der abendländischen mittelalterlichen Handschriften der SUB Göttingen Volkssprachige Handschriften.