Lukas Wolfinger: In Vorbereitung: Katalog der mittelalterlichen volkssprachigen Handschriften der SUB Göttingen, beschrieben von Lukas Wolfinger. (Vorläufige Beschreibung)

Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, 8° Cod. Ms. Luneb. 24a

Dat Boec van den Houte

Pergament — 2 Bl. (Fragm.) — ca. 14-15,5 × 10 (Schätzung) cm — Holland (?) — 14. Jh. (1. H.)

Lagen: Die 6 etwa gleich großen Pergamentstreifen, die jeweils die Breite eines Doppelblattes umfassen, gehörten ursprünglich wohl zu zwei Doppelblättern einer Lage. Im Zuge der Erschließung und Restaurierung an der UB Göttingen wurden sie gemeinsam so zwischen kleine gefaltete Kartonbögen eingebunden, dass alle Fragmentteile aus der ersten Lagenhälfte zwischen zwei Kartonblättern vereint sind und ebenso alle aus der zweiten Lagenhälfte (die direkt zusammengehörigen Fragmente bzw. Pergamentstreifen I-II und V-VI wurden mit Textilstreifen zusammengeklebt); Fragmentstreifen V enthält die jeweils letzte Zeile von vier Textseiten; da im Gesamtwerk zwischen dem letzten Vers auf der linken Versoseite dieses Fragments und dem letzten Vers auf der rechten Rectoseite desselben nur 23 Verse stehen, muss dieses Fragment ursprünglich zum innersten Doppelblatt einer Lage gehört haben. Daraus sowie aus dem bekannten Text des Werkes lässt sich überdies ableiten, dass die ursprünglich von einem Doppelblatt stammenden Fragmente I-III wohl zum - von innen nach außen gezählt - dritten Blatt einer Lage gehörten (die Anzahl der Verse zwischen Fragment III und Fragment IV beträgt in der Textedition 61 Verse; das ergibt bei 23-24 Verszeilen pro Seite etwas mehr als ein Blatt). Während Hermodsson Dat Boec, S. 30, 45-48 davon sprach, dass die beiden Doppelblätter, aus denen die Fragmente stammen, ursprünglich zu einem Septernio gehörten, meint Kienhorst Lering 2, S. 121, dass es sich um zwei Doppelblätter eines Quinio gehandelt habe. Beide Aussagen basieren offenkundig auf einem mittig auf der linken Rectoseite von Fragment V - und damit wohl am ehemaligen unteren Seitenrand des Blattes, zu dem Fragment IV und V gehörten - eingetragenen Vermerk, den Hermodsson wie Lering durchaus plausibel als Foliierung deuten. Während Letzterer diesen Eintrag als b5 liest, versteht ihn Hermodsson jedoch als vii. Beide Lesarten ergeben allerdings Probleme für die Interpretation, denn tatsächlich hat der Eintrag weder Ähnlichkeit mit einer VII noch mit b5, sondern ließe sich am Einfachsten als bii lesen. Auch der Umstand, dass bei lageninterner Foliierung häufig noch eine Lagensignatur hinzutrittin, mag als Indiz gegen die These von Hermodsson zu werten sein, es habe sich um die Blattsignatur VII gehandelt und demnach um das siebente Blatt eines Septernio. Somit erschiene das von Lering vorgeschlagene b5 plausibler, es hätte sich bei dem Blatt dann wohl um das innerste eines Quinio gehandelt, der die zweite Lage einer Handschrift oder wenigstens einer buchbinderischen Einheit gebildet hätte. Da an der besagten Stelle jedoch viel eher bii als b5 zu lesen ist, wirkt auch diese These problematisch. Und bii wiederum wirkt als lageninterne Foliierung an dieser Stelle nicht allzu plausibel, da es sich um das innerste Blatt einer Lage gehandelt haben muss, somit wäre bei bii nur ein Binio anzunehmen - eine nicht allzu häufige Konstellation. Die Deutung des besagten Eintrags bleit also fraglich. Falls Fragment V nicht ursprünglich doch zu einem anderen Blatt gehörte als Fragment IV, erscheinen die geschilderten Thesen ebenso möglich wie eine ganz andere Deutung des besagten Vermerks - etwa als Schreibprobe. Schriftraum: 10,5-11 (Schätzung) × 6,3-6,6 cm, einspaltig, ca. 23-25 Zeilen; von einer Hand des 14. Jhs. in Textualis geschrieben; die Verse abgesetzt in je einer Zeile geschrieben; rubriziert - speziell die Anfangsbuchstaben der Verse; schlichte Lombarden bzw. Initialen in Rot (zweizeilig).

Die Fragmente sind in ein gefaltetes Kartonblatt eingebunden; auf der Vorderseite desselben außen in Bleistift eingetragen die Göttinger Signatur Luneb. 24a, innen am oberen Rand der Bleistifteintrag 12 Pergamentstriefen, davon 4x2 zusammengeklebt; rechts, direkt darunter zudem der Vermerk 24.4.78 Schulz (?).

Herkunft: Der Schreibsprache nach zu schließen, stammte die Handschrift aus dem küstenmittelniederländischen bzw. holländischen Raum. — Nach der Makulierung derselben wurden die in Göttingen erhaltenen Fragmente bzw. Pergamentstreifen im 15. Jh. - ebenso wie die Pergamentstreifen der Göttinger Fragmente-Handschrift 8° Cod. Ms. Luneb. 24b - zur Falzverstärkung bei der Bindung einer Handschrift verwendet, die Nikolaus' von Lyra 'Expositio super Genesim, Exodum, Leviticum, Numeros, Deuteronomium' enthält (Göttingen, SUB, 4° Cod. Ms. Luneb. 24) und hinsichtlich ihres Inhalts wie ihrer Entstehung wohl mit zwei weiteren Handschriften zusammenhängt, die mit ihr gemeinsam aus dem Michaeliskloster in Lüneburg nach Göttingen gelangten (Göttingen, SUB, 4° Cod. Ms. Luneb. 25; Göttingen, SUB, 4° Cod. Ms. Luneb. 26). Auf dem Einband von 4° Cod. Ms. Luneb. 25 sind in das Hornplättchen, welches das Titelschildchen auf dem Vorderdeckel schützt, zwei Sterne sowie der Name Ludolphus eingeritzt (vielleicht von einem Vorbesitzer?). Mit ihrem Trägerband sowie insgesamt dem Großteil der Bibliothek von St. Michaelis kamen die Fragmente nach der Auflösung der Ritterakademie zu St. Michaelis im Jahr 1853 nach Göttingen (vgl. dazu und zu weiterer Literatur nun Wolfinger Hort). Hier wurden sie bereits in der 2. H. des 19. Jhs. aus der Handschrift ausgelöst (vgl. Göttingen 2, S. 509-510).

Göttingen 2, S. 509. — Hermodsson Dat Boec, S. 30, 45-48. — Kienhorst Lering 1, S. 228 (Abb. 30). — Kienhorst Lering 2, S. 120-126 (N19) (mit Abdruck). — Handschriftencensus.

1r-2v Dat Boec van den Houte. doert lant van rafadijn/ Ende si quamen met haren scaren/ Omtrent enen berch gheuaren … — … also riep si ende sprac/ O boem heilich vol/ ho was ic mijn sins so dul Druck (nach den Göttinger Fragmenten): Kienhorst Lering 2, S. 124-126; Edition des Gesamtwerkes (unter Berücksichtigung der Göttinger Fragmente): Hermodsson Dat Boec (die in den Göttinger Fragmenten enthaltenen Textpassagen hier S. 136-147, V. 390-396, V. 400-403, V. 412-419, V. 422-426, V. 487-490, V. 501-503, V. 510-513, V. 525-527, V. 534-537, V. 548-550, V. 557-560, V. 571-573, V. 622-629, V. 632-636, V. 645-652, V. 655-658).


Abgekürzt zitierte Literatur

Göttingen 2 Die Handschriften in Göttingen, Bd. 2: Universitäts-Bibliothek: Geschichte, Karten, Naturwissenschaften, Theologie, Handschriften aus Lüneburg, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 2)
Handschriftencensus Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters. Online-Datenbank: https://handschriftencensus.de/