'Graf Rudolf'
Pergament — 10 Bl. (Fragm.) — 20-20,2 × 14,3-14,5 cm — hessisch / thüringisch — um 1200 / oder 13. Jh., 1. V.
Pergament. Lagen: Die Bll. der Fragmente sind in folgender Form in den Umschlag eingeheftet bzw. -geklebt: 3 I (6). II (10). Tintenfoliierung (modern): 1-10; überdies: 1.) noch eine ältere Bleistiftfoliierung, bei der abweichend 9 als 7, und 7 als 9 gezählt ist; 2.) ältere Foliierung mittels Buchstaben (A-I; wohl von Spangenberg oder W. Grimm stammend; vgl. Y. z E (?). Keine Rubrizierung; Initialen/Lombarden nicht ausgeführt.
, S. 1, der angibt: "Zehn [...] blätter, A-I, erhielt ich vor fünfzehn jahren von dem oberappellationsrath Spangenberg in Celle, aus dessen nachlass sie späterhin (1833) mit einer Sammlung von andern bruchstücken in die bibliothek zu Göttingen gelangt sind"). Sehr unterschiedlich stark beschnitten, mehrfach auch große Teile der Bll. fehlend (die Einzelbll. sind ca. zwischen 11,5 x 10 und 20 x 14,5 groß); teilweise durch Zweitverwendung für Einbände (dadurch Knicke/Faltungen, Risse, Klebungen und/oder Abreibung) sowie durch die Behandlung mit Reagenzien im 19. Jh. stark in Mitleidenschaft gezogen, deshalb vielfach nur bedingt oder gar nicht mehr lesbar. Auf 9r Reste einer früheren Verklebung mit beschriebenem (oder bedrucktem) Papier. Schriftraum: 15,5-16 × 11-12 cm; einspaltig, 26-29 Zeilen; die Verse sind nicht abgesetzt. In kleiner und regelmäßiger frühgotischer Minuskel von zwei oder drei Händen. Kaum Fehler. Hand 1: schrieb sicher die Braunschweiger Fragmente (α-δ) sowie die Göttinger Fragmente A-D der Handschrift. W. Grimm und andere weisen diesem Schreiber auch die Göttinger Fragmente E-F zu (vgl. , S. 3; , S. 10; , S. 214). Hingegen nahm , S. 37-38 an, dass E-F entweder von Hand 2 oder einer dritten Hand geschrieben seien. Hand 2: schrieb auf jeden Fall die Göttinger Fragmente G-K und vielleicht auch E-F (s. dazu bei Hand 1; zur Frage der Hände überdies , S. 116-118). Auf 7v am freien oberen Seitenrand ein blasser Eintrag erkennbar (Signatur eines früheren Trägerbandes?):Beilagen: Blatt mit aufgeklebter Beschreibung von W. Meyer sowie der Signatur Philol. 184, n.o VII (mit Bleistift eingetragen) und Angaben und Notizen zum folgenden Inhalt der Mappe: 10 Blatt Pergament; 1 Brief von Benecke; 2 Briefe von Wilhelm Grimm. Darunter von weiterer Hand mit blauem Stift eingetragen: Grave Rudolf (in der Folge gestrichen); darunter von anderer Hand in Tinte vermerkt: Grave Rudolf hsg. v Wilh. Grimm. Gött. 1828. Graf Rudolf von Wilh. Grimm, zweite Ausg. Gött. 1844. Zudem unter der gedruckten Beschreibung von W. Meyer als Ergänzung eingetragen und mittels Verweiszeichen eingefügt: Mittelhochdeutsches Übungsbuch hrsg. v. Carl v. Kraus, Heidelberg 1912 S. 54-75; Verzeichnis d. Literatur nebst Anmerkungen S. 242-244; VII,a: Notiz- bzw. ehemaliges Umschlagbl. mit der Angabe: IV. Aus einem unbekannten Gedichte des 12ten Jahrhunderts (wohl früherer Umschlag des Fragments). VII,b: Brief von Benecke an Spangenberg; Göttingen, 15. Jan. 1826: Mit dem herzlichsten Danke schicke ich Ihnen, mein verehrter freund, die mir gütigst mithgetheilten blätter zurück. Daß sie durch Anwendung des Widerherstellungsmittels lesbarer geworden sind, wird ihnen nicht unwillkommen seyn. Diese blätter gehören zu einem ganz unbekannten Gedicht. Es folgen eine Erläuterung des Inhalts sowie Angaben zur richtigen Reihenfolge der Bll. und zur Sprache; zudem die Darlegung Beneckes, dass er vor Kurzem durch Celle gereist sei, aber aufgrund mangelnder Zeit nicht zu Spangenberg habe kommen können. VII,c: Brief von Wilhelm Grimm an Spangenberg (Celle); Kassel, 12. Nov 1826 (samt Briefhülle mit aufgedrucktem Siegel und Poststempel vom 13. Nov.): Ew. Wohlgebornen geehrtes Schreiben vom 22.ten September habe ich bei der Rückkehr von einer Reise vorgefunden ... . W. Grimm schreibt Spangenberg darin unter anderem wegen bereits zuvor (1823) entdeckter Bll. des Graf Rudolf und bittet insbesondere um die Mitteilung der genannten Fragmente sowie um die Erlaubnis, diese insgesamt herausgeben zu dürfen. VII,d: Brief von Wilh. Grimm an Spangenberg; Kassel 26. Apr. 1827: Gewiß erscheine ich in Ihren Augen undankbar, daß ich die so gütig mitgetheilten Pergamentblätter erst ietzt zurücksende. Allein der Geruch des Reagens wirkte so heftig, dass ich diesen Winter abbrechen und warten mußte, bis gelindere Witterung erlaubte, bei offenem Fenster zu arbeiten [...] Bis auf wenige Worte habe ich alles herausgebracht und meine Erwartung nicht getäuscht gefunden. Es folgen in diesem Brief Darlegungen zum Entstehungskontext des 'Graf Rudolf'; zudem richtet W. Grimm richtet Empfehlungen seines Bruders Jacob aus.
Herkunft: Nach der Schreibsprache ist die Handschrift, aus der diese und die in Braunschweig erhaltenen Fragmente stammen (zu letzteren s. im Folgenden), im mitteldeutschen bzw. hessisch-thüringischen Raum entstanden. Karin Schneider ordnet sie paläographisch in das 1. V. des 13. Jh.s (Braunschweig, Stadtbibliothek, Fragm. 36; zu E. Volger, seinen Fragementefunden und -schenkungen s. , S. 5 sowie die entsprechenden Angaben zu (SUB Göttingen, 8° Cod. Ms. philol. 189b, dem von ihm entdeckten Fragment von 'Barlaam und Josaphat'). Bereits wenig später edierte (1844) edierte dann W. Grimm, den Volger kontaktiert hatte, die gesammelten Göttinger und Braunschweiger Fragmente des 'Graf Rudolf'. Beim Trägerband der Braunschweiger Fragmente handelt es sich um eine Inkunabel, die um 1478 bei Friedrich Creussner in Nürnberg gedruckt wurde, sich dann im Besitz des bekannten Braunschweiger Stadtschreibers Gerwin von Hameln befand und von diesem der Braunschweiger Stadtbiblothek übereignet wurde. "Der von Wilhelm Grimm beschriebene Wiegendruck aus dem Besitz Gerwins von Hameln kann mit Kat. Nr. 96 identifiziert werden. Die Druckjahre der in diesem Band vereinigten Inkunabeln und das Todesjahr Gerwins grenzen zugleich den Makulierungszeitraum dieser einzigen Graf-Rudolf-Handschrift auf die Jahre 1478-1496 ein. Da alle Fragmente des Graf Rudolf paläographisch und kodikologisch einer Handschrift zugeordnet werden können, ist es durchaus denkbar, daß auch die Celler Fragmente A-K einem oder mehreren Bänden aus Gerwins Besitz entnommen worden sind. Die Durchsicht der Handschriften und Inkunabeln aus der Bibliothek des Oberlandesgerichts in Celle konnte jedoch keinen Band des Stadtschreibers nachweisen." ( , S. 128; zur Entdeckung der Braunschweiger Fragmente und dem Trägerband derselben s. auch , S. 10).
, Textband, S. 117-118; hingegen setzt 3, Sp. 212 die Schrift ins "Ende des 12. Jh.s"). Aufgrund der unterschiedlichen Datierungsvorschläge für die Handschrift, ist bislang offen, "ob es sich dabei um ein Manuskript im zeitlichen Umkreis des Originals oder um eine zeitdifferente Abschrift handelt." ( , S. 214). — Von der weiteren spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Göttinger Fragmente ist bislang nichts bekannt, außer dass sie bereits im Spätmittelalter makuliert wurden (s. dazu im Folgenden) und - wie entsprechende Verklebungen zeigen - für Bucheinbände zweitverwendet wurden. Im Jahr 1823 wurden sie von E. P. J. Spangenberg in Celle entdeckt, von dem jedoch leider keine genaueren Angaben zur Herkunft bzw. zu den Trägerbänden der Blätter bekannt sind. Spangenberg schickte sie zur Begutachtung durch G. F. Benecke nach Göttingen, der sie durch den Einsatz eines "Widerherstellungsmittels" lesbarer machte. "Später wurden die Blätter dann Wilhelm Grimm überlassen, der sie im Jahre 1828 herausgab. Auch er benutzte ein Reagens [...], das die Schrift zwar für kurze Zeit sichtbar machte, auf die Dauer aber zur Folge hatte, daß sich der Zustand der Handschrift immer mehr verschlechterte." ( , S. 10). 1842 wurden dann von Ernst Volger, einem Schüler der Gebrüder Grimm, von dessen Suche nach Fragmenten auch die Bibliothek der Georgia Augsta profitierte, in Braunschweig weitere Fragmente derselben Handschrift entdeckt (, S. 46. — . — . — , S. 54-71 (Abdruck sowohl der Göttinger als auch der Braunschweiger Fragmente), S. 242-244. — . — , S. 116-118. — , S. 55-56, Nr. IV.11. — , speziell S. 214-215. — , S. 128-129 und S. 247, Nr. 96. — , S. 94, Nr. 19. — .
1r-10v 'Graf Rudolf'. (1r-v) Der Text setzt auf 1r ein mit ... al der genoz, die ie man hiezen sine tu[gende in]/ nicht en liezen tvn nicheine dorperich[eit] ... und endet auf 1v mit [... schellen cl]eine, die waren alle golt rot, alse der ... (= Fragm. A). (2r-v) Der Text setzt auf 2r ein mit ... [ker]ten, wir vingen einen gefertin, der vurte an/ siner hant, ein schone ros, sin hat daz lant ... und endet auf 2v mit ... daz [wil] ich mit v ane gan, die wile daz ich daz leben han ... (= Fragm. B). (3r-v) Der Text setzt auf 3r ein mit ... doch sluch er Gai[ol] Gruwinen dot, sine sellen wrden/ geuangen vnde dar nach vil schire irhangen, ... und endet auf 3v mit ... daz er sprach/ ich ne weiz ob ich ez geschaffen mach, dise rede sagich deme kvnige ... (= Fragm. C). (4r-v) Der Text setzt auf 4r ein mit ... geuellet sie ime wol oder vbele, daz laze ich dir sch[iere] sagen ... und endet auf 4v mit ... din lant were allez virlorn, doch gebe ich dir guten rat. ... (= Fragm. D). (5r-v) Der Text setzt auf 5r ein mit ... daz wir icht mugen gesagen, alles des wir g[edagen], so wesitiz, abe ich ensage v nicht ... und endet auf 5v mit ... stunt, lesterliche uahen, vf einen boum hahen ... (= Fragm. E). (6r-v) Der Text setzt auf 6r ein mit ... mir wider gesenden, mit gesundeme libe, nv wis des ane zviuel ... und endet auf 6v mit ... er nemochte/ nicht si dannen kůmen, Girobabe hatte in so uůr genůmen ... (= Fragm. F). (7r-v) Der Text setzt auf 7r ein mit ... der juncherre nicht ne liez, des in der kvnic tůn hiez, do lief her/ harte drate ... und endet auf 7v mit ... daz duchte in ein harte gut gewin, daz her ... (= Fragm. G). (8r-v) Der Text setzt auf 8r ein mit ... her alden tach, ime was manich vnsenf[ter...] vnde manic stoz, tiefe wunden harte ... und endet auf 8v mit ... zv/ eime dorne der was dicke, da wart ime inme rucke ... (= Fragm. H). (9r-v) Der Text setzt auf 9r ein mit ... wolde des got geruchen, sprach Bonifait der gůte, mit vrolicheme/ můte ... und endet auf 9v mit ... her wolde gerne wider heim, mit der kuniginnen wart her des inein, daz sie sich darnach schufen ... (= Fragm. I). (10r-v) Der Text setzt auf 10r ein mit ... Beatrisen hiez sie do svchen, daz edele gesteine, groz vnde cleine ... und endet auf 10v mit ... do dv/ Bonifaiten neme, den tu[wer]en vnde den guten, den senf[t]en gemůten ... (= Fragm. K). Die Handschrift, aus der die Göttinger und Braunschweiger Fragmente stammen, stellt den bislang einzigen bekannten Textzeugen des Graf Rudolf dar. Dabei handelt es sich bereits um eine Kopie dieses Werkes. "Die Schreiber scheinen aber sehr sorgfältig gewesen zu sein. Grobe Fehler sind ihnen kaum unterlaufen, so daß die Manuskripttradition als gut zu bezeichnen ist." ( , S. 11) Allerdings sind die Fragment-Blätter im aktuellen Zustand durch den intensiven Einsatz von chemischen Mitteln im 19. Jh. in sehr schlechtem Zustand und dementsprechend schlechter lesbar als zuvor. Allgemein zu diesem Werk, das "das einzige erhaltene frühmittelhochdeutsche Kreuzzugsepos" ist ( , S. 26), siehe 3, Sp. 212-216 und 11, Sp. 553. Zur Sprache und Metrik des Graf Rudolf s. Johannes Bethmann, Untersuchungen über die mhd. Dichtung vom Grafen Rudolf, Berlin 1904 (Palaestra, Bd. 30). Edition: ; , S. 54-71, A-K; .
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der abendländischen mittelalterlichen Handschriften der SUB Göttingen Volkssprachige Handschriften.