Lukas Wolfinger: In Vorbereitung: Katalog der mittelalterlichen volkssprachigen Handschriften der SUB Göttingen, beschrieben von Lukas Wolfinger. (Vorläufige Beschreibung)

Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, 2° Cod. Ms. philos. 98

Jean de Lannoy

Papier — II, 63 Bl. — 28-28,2 × 19,2-19,4 cm — Nordfrankreich / Flandern (?) — 16. Jh., Mitte (?)

Papier. Wasserzeichen: Hand (WZIS DE3270-philos98_2); Hand (WZIS DE3270-philos98_16); Hand (WZIS DE3270-philos98_II); diese Wasserzeichen sind sonst nicht nachgewiesen; zwei Wasserzeichen der Motivgruppe, die sich von den vorliegenden zwar deutlich unterscheiden, aber ebenfalls die Buchstaben IP aufweisen und somit vielleicht als andere (frühere?) Wasserzeichen-Version desselben Papierherstellers zu verstehen sein könnten, sind für die 1540er Jahre bezeugt (1542, Brüssel und 1543, Cambrai). Lagen: Nach zwei alten Vorsatzbl. folgen 7 IV (56; das erste Bl. dieser Lage ist von derselben abgetrennt und an die Versoseite des zweiten Vorsatzbl. angeklebt). IV-1 (63); das fehlende letzte Bl. der letzten Lage ist viell. identisch mit dem HS; auf dem jeweils ersten Bl. der Lagen Kustoden ([a], b, c, d, ... h; zumeist nur zum Teil erhalten, in der 6. Lage zur Gänze dem Beschnitt zum Opfer gefallen). Bleistiftfoliierung (modern): 1-63; in dieselbe jedoch nicht einbezogen die zwei Vorsatzblätter. Unterschiedlich großer Schriftraum: 21-22,7 × 12-12,2 cm, 25-35 Zeilen; gesamter Text von einer Hand geschrieben; nur wenige Korrekturen (bzw. auf 36r, 38r und 48r am Seitenrand von der Hand des Haupttextes fehlende Worte oder Satzteile nachgetragen). In Finançiere (16. Jh.) geschrieben. Keine besondere Ausstattung, nicht rubriziert; die Überschriften allerdings in größerer Auszeichnungsschrift, zudem teilweise Versalien, vergrößerte Oberlängen und cadellenartige Elemente am Beginn von Textabschnitten oder in der ersten Zeile einzelner Seiten.

Originaler Einband aus unbekannter Werkstatt (EBDB w007820); braunes Leder über Pappe, verziert mit Rollen, Stempeln und Streicheisenlinien; Rollen: I) Bogen - Rundbogenfries - mit Lilien Rolle, 17 x 0 mm (EBDB r005172); II) Kandelaber, 142 x 14 mm (EBDB r005171); Stempel: III) Staude - Knospenstaude, Knospe spitz zulaufend - ohne Krause, 23 x 0 (EBDB s037783; je zwei an einander gesetzte Abdrücke des Stempels sind zu einer größeren Staude zusammengesetzt); ursprünglich offenbar nicht mit metallenen Schließen, sondern mit Lederbändern verschließbar, von denen auf dem VD wie HD jeweils eines mittig am oberen und unteren Rand sowie zwei an der Seite angebracht waren (nun abgeschnitten, die Reste jedoch deutlich sichtbar); Buchrücken beim unteren Kapital beschädigt und später ergänzt; auf dem Rücken aufgeklebt das Signaturenschildchen der Göttinger Bibliothek, darunter schwarzes Titelschildchen mit goldgeprägter Aufschrift Lannoy/ Lettres/ à son fils/ Louis; seitlich auf mittlerer Höhe des Rückens Reste eines älteren, weißen Signaturen- oder Titelschildchens aus Papier; auf dem VS eingeklebt die Beschreibung von W. Meyer; HS leer.

Herkunft: Bereits die Schrift (Finançiere) und die Sprache des Werkes/der Handschrift sprechen für eine Entstehung im französischen oder burgundisch-flandrischen Raum; auch der Inhalt und der vorrangige Verbreitungsraum bzw. die Überlieferungsgeschichte von Jean de Lannoy's Werk stützen diese Annahme; sollten jene Wasserzeichen, die denen der vorliegenden Handschrift am meisten ähneln, tatsächlich aus der selben Papiermühle stammen, wäre deren nachgewiesener Verbreitungsraum (1542, Brüssel und 1543, Cambrai) ein weiteres - wenn auch nur schwaches - Indiz. Die zeitliche Verortung dieser Wasserzeichen (Mitte 16. Jh.) würde ebenfalls gut zu den Charakteristika der vorliegenden Handschrift, ihrer Schrift und zur Gestaltung des Einbandes passen. — Die weitere Geschichte der Handschrift ist bis in das 18. Jh. hinein unbekannt. Nachweisbar ist sie erst wieder in der Bibliothek des letzten bekannten Vorbesitzers, Rudolf von Gustedt (1714–1783), Oberappellationsgerichtsrat in Celle, Herr auf Deersheim, Bexheim und Eilenstedt, ab 1743 verheiratet mit Anna Rebecca von Münchhausen (1724–1775). — Nach dessen Tod wurde die Handschrift (zusammen mit zahlreichen weiteren Büchern, darunter auch mehreren Handschriften) am 28. Juni 1784 auf der Nachlass-Auktion in Celle von der Bibliothek der Georgia Augusta erworben (s. dazu den entsprechenden Eintrag im Manuale der SUB Göttingen zum Jahr 1784, S. 163 ff., hier S. 167 unter den Bänden in folio und mit dem Verweis auf S. 367, Nr. 100 im I. Bd. des Auktionskatalogs: Les lettres de Jean Leaunoy a son fils Louis. Msct.).

Göttingen 1, S. 198-199. — Sterchi Über den Umgang, S. 59, Anm. 89

Ir-IIv leer, abgesehen von der Inhalts- zw. Titelangabe Les lettres de Jean Leaunoy a son fils Louis auf Ir und dem Erwerbungsvermerk Aus Hn Oberappellations Rath von Gustedt bibliothek zu Celle. d. 1. Nov. 1784 (const. 2 gGr.) auf IIv.

1r-61r Jean seigneur de Lannoy: Lettres envoyés a Loys son filz. (1r-2r) Prolog. Copie des lettres envoyes par Jehan seigneur de Lanoy a Loys son filz; prologue. Considerant notre humanite et fragilite et que sans estre aprins corrige et reprins nostre fason de viure selon notre desir seullement se pourroit assez comparer a vie de Innocent et a maniere de follastre et quil soit vray … — … aimans par amours quant ensamble ne pe parler. (2v) leer. (3r-14r) 1. Cap. Treschier et tresamie filz jay aujourdhuy XXIe jour doctobre en cest an mil quatre cens soixante et quatre … — … sans ce quil schaisent la verite filz de telz gens resambler te doibs bien garder ne aussy de le croyre. (14v-17v) 2. Cap. Second chappitre. En oultre treschier et tresamie filz garde toy de mal aller comme dict est au premier … — … aussy peult bien aller que fault a la voye de paradis trouuer et en scelle continuer et perseuerer. (17v-56r) 3. Cap. Tiers chappitre. Filz apres ce que par la grace de notre seigneur tu sauras bien parler et bien aller … — … et a tous tes amis honeur joie et plaisir, et dieu ten veulle par sa grace donner vray vouloir et entier pouoir. Auf 35r-44v ist - wie üblich in diesem Kapitel des Werkes - eingeschoben Alain Chartier, Le Curial: Sensuilt la coppie des lettres escriptes par maistre Alain Chartier a son frere. Tu me admoneste et exhorte souuent homme eloquent et mon frere tresaime ad ce que je te prepare lieu et entree curiable ... par escript et a dieu commandees qui ten donist la grace. Amen. Explicit. Edition: Alain Chartier; zum Autor und seinem Werk siehe überdies Sterchi Über den Umgang, speziell S. 92 f. (56r-61r) 4. Cap. IIIIe chappitre. Filz apres que par la grace de nostre seigneur tu mettras toutte paine et diligence a tresbien viure … — … et faire priere pour moy et pour tous tes amis qui ensemble nous puist valloir. Escript de ma main le IIIe jour du mois de may lan de grace de snostre seigneur Jhesu Crist mil IIIIc LXe. Votre pere Jehan seigneur de Lanoy de Rume et de Sebourg conseillier et chambellan du Roy et de mon s(eigneu)r de Bourgoingne bailli et cappitaine d' Amiens et gouuerneur de Lille, Douay, Orchies, etc. Edition: Jean de Lannoy (allerdings ohne Kenntnis der vorliegenden Handschrift); zu dem Werk und seinem Verfasser siehe auch: Sterchi Über den Umgang, hier speziell S. 57-59 (nicht zutreffend ist allerdings die Angabe ebd., S. 59, Anm. 89 dass die vorliegende Handschrift 1704 von der Göttinger Universitätsbibliothek angekauft worden sei); Sterchi The importance of Reputation. (61v-63v) leer, abgesehen von der mit Bleistift eingetragenen älteren Göttinger Signatur Cod. Philos. 108 rechts unten auf 63v.


Abgekürzt zitierte Literatur

EBDB Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel)
Göttingen 1 Die Handschriften in Göttingen, Bd. 1: Universitäts-Bibliothek: Philologie, Literärgeschichte, Philosophie, Jurisprudenz, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 1)
WZIS Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php)