Lukas Wolfinger: In Vorbereitung: Katalog der mittelalterlichen volkssprachigen Handschriften der SUB Göttingen, beschrieben von Lukas Wolfinger. (Vorläufige Beschreibung)

Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, 8° Cod. Ms. theol. 165 Cim.

Michael de Massa

Papier — II, 229, I Bl. — 20-20,3 × 13,9-14,2 cm — Boppard (Augustiner-Eremiten-Nonnenkloster St. Maria zu Kamp) — 15. Jh. (wohl 3. V.)

Wasserzeichen: Traube (fragmentiert; WZIS DE3270-theol165_1a; Trauben mit ähnlicher Gestaltung im oberen Teil sind für die 1450/60er-Jahre nachweisbar), Traube (WZIS DE3270-theol165_1), Traube (WZIS DE3270-theol165_8), Traube (WZIS DE3270-theol165_78; sehr ähnliche Formen sind im Zeitraum 1450-1460 nachweisbar, etwa WZIS DE8370-PO-128951, 1455), Traube (WZIS DE3270-theol165_113; sehr ähnliche Formen sind im Zeitraum 1450-1460 nachweisbar, etwa WZIS DE8370-PO-128951, 1455), Traube (WZIS DE3270-theol165_14), Ochsenkopf (WZIS DE3270-theol165_220), Ochsenkopf (WZIS DE3270-theol165_224), Ochsenkopf (WZIS DE3270-theol165_181), Ochsenkopf (WZIS DE3270-theol165_163). Lagen: Neben zwei modernen Vorsatzbl. und einem modernen Nachsatzbl. setzt sich die Handschrift wie folgt zusammen: 15 V (149!). V-1 (158). 7 V (228); nach Bl. 1 ein leeres Bl., ursprünglich nicht foliiert, nun als Bl. 1a gezählt; zudem zw. Bl. 155 und Bl. 156 ein Bl. herausgeschnitten (wohl ohne Textverlust); letzter Teil der Hs. - mindestens eine Lage - fehlt (Textabbruch); am Ende der Lagen durchgehend Reklamanten. Bleistiftfoliierung modern: 1-228. Schriftraum: 12,7-14 × 9,7-10,2 cm, 22-27 Zeilen; Textualis; gesamter Text von einer Hand, sorgfältig und relativ großzügig geschrieben (breiter Rand); verschiedentlich Korrekturen, die v.a. gemeinsam mit der Rubrizierung bzw. in roter Tinte erfolgten (vielleicht von selber Hand wie der Haupttext und in jedem Fall vor der Bindung der Handschrift; s. dazu den Reklamanten auf 89v); typische Einfügungszeichen bei Korrekturen (drei Punkte in Dreiecksform und Rot; s. etwa 53v, 78v, 156r) sowie gelegentlich Worttrennungszeichen am Zeilenende in Form einer kleinen 2 (z.B. auf 15r); mit einiger Wahrscheinlichkeit von derselben Hand, die auch 8° Cod. Ms. theol. 200 und sowie fol. 58r-200v in 8° Cod. Ms. theol. 201 schrieb; einfache, aber sorgfältige Ausstattung: durchgehend rubriziert; rote Paragraphenzeichen, zudem sind nomina sacra, Namen von Heiligen sowie teilw. allgemein Personennamen rot unterstrichen; am Anfang der einzelnen Kapitel einfache Zierinitialen, zumeist in Blau und Rot, mit charakteristischem Fleuronnée (20v, 26r; 29r; 33v, 40v, 42r, 45r, 47r, 49r, 55v, 57v, 61v, 68r, 74v, 87v, 98r, 102v, 108v, 114v, 130r, 136r, 138r, 145r, 152r, 165r, 170r, 177r, 180v, 183r, 192r, 198r, 201r, 203r, 210v, 212v, 213v, 215r, 217r, 218r, 218v, 219r, 221v, 223r, 224v, 227r), sowie zusätzlich rote, blaue und gelb-grüne Seidenschnüre als Blattweiser (an den Seitenrändern mit aufgeklebten Pergamentblättchen befestigt); zu Beginn der Vorrede und des Haupttextes aufwändigere Fleuronnée-Initialen (von anderer Hand als die übrigen Initialen, da sorgfältiger gestaltet und stilistisch verschieden?) mit blütengeschmücktem, die ganze Seite rahmendem Laub- und Rankenwerk: 2r (in Rot, Blau und Purpurrot); 14v (in Rot, Blau und Purpurrot; von Vögeln bewohnt).

Spätmittelalterlicher Einband aus der im 15. Jh. tätigen Werkstatt 'Boppard Kloster Marienberg' (EBDB w004227); braunes Leder auf Holzdeckeln (restauriert; alter Einband auf neues Leder aufgezogen); ehemals zwei Metallschließen; Streicheisenlinien und Blindstempel (1.: Rosette - mit einem Blattkranz - sechsblättrig - Blätter kreisförmig, EBDB s032390; 2.: Löwe - schreitend - steigend - springend, EBDB s032388; 3.: Form: Quadrat, umrandet – mit nicht mehr identifizierbarer Aufschrift und bildlicher Darstellung; 4.: aufgesetzt in Stempel Nr. 3: Ornamente, geometrische - Punkte); als Blattweiser am Seitenrand kurze bunte Seidenschnüre eingeklebt (s. unter Ausstattung); zudem als Lesezeichen vier lange, rot-weiß-blaue Seidenschnüre; am neuen VS des restaurierten Einbandes eingeklebt ein großes Stück des alten VSs, worauf mehrere Vermerke: erstens am oberen Rand vom gelehrten Vorbesitzer, dem Büchersammler, Schriftsteller und Staatsmann Johann Michael von Loen, eingetragen: Ex musao Hiegliano ML 1724; darunter die Wert- bzw. Preisangabe estimat. 2 R f; zudem moderner Bleistifteintrag mit der Göttinger Signatur Cod. Ms. theol. 165 (Cim.); außerdem eingeklebt das Exlibris J. M. v. Loens (EX BIBLIOTHECA IOHANN. MICHAELIS A LOEN).

Herkunft: Der Codex ist in ripuarisch-moselfränkischer Schreibsprache geschrieben und weist dieselbe Einbandgestaltung und dieselben späteren Besitzer auf wie mehrere Handschriften, die nachweislich aus dem Augustiner-Eremiten-Nonnenkloster St. Maria zu Kamp bei Boppard stammen (s. zu diesem Konvent insbesondere Monschauer Das Augustiner-Eremiten-Nonnenkloster St. Maria, hier speziell S. 112-134 zur Bibliothek). Bereits das deutet auf eine Herkunft aus diesem Konvent hin; mehrere Elemente, die analog zu anderen Handschriften dieses Klosters gestaltet sind, sprechen außerdem dafür, dass er in demselben wohl auch geschrieben wurde. Die Wasserzeichen weisen dabei auf eine Entstehung ca. in den 1450er-Jahren. — Gemeinsam mit anderen Handschriften des Konvents wurde er um 1700 vom Arzt und gelehrten Sammler Johann Kraft Hiegell (1658-1736) erworben, der zuerst in Mainz und dann als kurtrierischer Leibarzt in Koblenz tätig war und neben zahlreichen anderen Sammlungen auch eine umfangreiche Bibliothek besaß (vgl. zu ihm etwa Jöcher Allgemeines Gelehrten Lexicon, Ergbd. 2, Sp. 1998); im Jahr 1724 kaufte Johann Michael von Loen (1694-1776; zu ihm s. etwa Elschenbroich Loën, Johann Michael von, S. 47-49) die Handschrift und mehrere andere des Bopparder Konvents von J. K. Hiegell (vgl. den entsprechenden Eintrag am VS). — Ob die Handschrift(en) direkt über ihn oder erst aus einem weiteren Vorbesitz an die Universität Göttingen gelangten, ist unklar; auf 2v jedenfalls der älteste Bibliotheksstempel der Georgia Augusta.

Geith Die Leben Jesu-Übersetzung, S. 27. — Göttingen 2, S. 397. — Handschriftencensus.

Ir–IIv leer, auf IIv die Handschriftenbeschreibung von Meyer sowie das übliche Bearbeitungs-Formular der Preuß. Akademie der Wissenschaften in Berlin eingeklebt (Bearbeiterin: Dr. Marie-Louise Dittrich; Nov. 1939).

1–1a leer, abgesehen von einem neuzeitlichen Eintrag mit der Titelangabe Dat bouch des levens unseres lieven herrn Jesu Christi auf 1r (geschrieben von Johann Michael von Loen; vgl. dazu seinen Eintrag auf dem VS).

2r–228v Michael de Massa: Vita Christi (erste bzw. mndl. Übersetzung). ›He begynnet dat bouch dz leuens vnsers lieuen heren Ihesu Cristi.Keyn ander fundament in mach nyemant seczen dan dat gesast is, dat is Ihesus Christus als der apostel scryuet vnd als sente Augustynus sprichet … — … He asz vnd dranck mit in noch dant dat der geisteliche licham dez uoitsels nit in bedorrfte. De spise de vnser here . Mit diesen Worten (inklusive Reklamant) bricht der Text auf 228v ab. Von dem Werk fehlen hier ein Teil des Prologs und das Ende bzw. der letzte Teil von Kap. 51, zudem Kap. 52-53 sowie die Schlussteile (Schlusskapitel und Epilog; vgl. dazu die Edition bei de Bruin, Tleven ons heren Ihesu Cristi; der Text der Göttinger Handschrift setzt ebd. ein auf S. 4 und endet auf S. 211); verloren sind also wohl nicht mehr als ein oder zwei Lagen am Ende der Handschrift. Allgemeiner zu dieser Übersetzung, ihrer lateinischen Vorlage und deren Autor bzw. auch zu weiterer Lit. s. Geith Lateinische und deutschsprachige Leben Jesu-Texte, hier speziell ab S. 281; Foidl, Art. Michael de Massa; Kemper, Die Kreuzigung Christi, S. 116-133, hier speziell S. 118 zur mndl. Übersetzung.


Abgekürzt zitierte Literatur

EBDB Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel)
Göttingen 2 Die Handschriften in Göttingen, Bd. 2: Universitäts-Bibliothek: Geschichte, Karten, Naturwissenschaften, Theologie, Handschriften aus Lüneburg, beschrieben von W. Meyer, Berlin 1893 (Verzeichniss der Handschriften im Preussischen Staate, Abt. 1: Hannover. Bd. 1: Die Handschriften in Göttingen 2)
Handschriftencensus Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters. Online-Datenbank: https://handschriftencensus.de/
WZIS Wasserzeichen-Informationssystem. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (http://www.wasserzeichen-online.de/wzis/index.php)