ABC- bzw. Gebetbuch
Pergament — 12 Bl. — 12-12,3 × 9,3-9,6 cm — Kloster Medingen (?) — 15. Jh., 4. V. (?)
Pergament; Lagen: VI (12). Bleistiftfoliierung (modern): 1-12. Schriftraum: 6,6-7,7 × 5,6-6,3 cm, einspaltig, 7-9 Zeilen; gesamter Text von einer Hand bzw. Schreiberin in vergleichsweise raumgreifender und regelmäßiger Textualis geschrieben. Einfache aber ansprechende Ausstattung: Rubrizierung, Lombarden oder Initialen in Rot, zudem Fleuronnée-Initialen auf 1v,, 2v,, 6r (blau und hellbraun); zur Schrift und Ausstattung der Handschrift s. auch aufgerichtete Maus - so , S. 215, allerdings scheinen die Größe des betreffenden Tieres sowie die deutlich erkennbaren großen Klauen eher für einen Bären zu sprechen -, Ziege?, Schaf oder Hund?, Eichhörnchen oder Fuchs?; dargestellt sein könnte ein Sangwettstreit zwischen Kuckuck und Nachtigall vor einer Versammlung der Tiere; zu weiteren Deutungsansätzen s. , S. 215-216); III.: Engel, stehend mit Laute (5r,); IV.: Heiliger bzw. Apostel Matthäus mit Attributen (Schwert und Kelch mit Hostie; 6r,); V.: Anna selbdritt (7r,; zu einer fast identischen Darstellung der Anna selbdritt in einer weiteren Medinger Handschrift siehe , S. 49); VI.: zwei Bäume, von denen der eine ein Nest mit zwei weißen Vögeln trägt; dazwischen vor einer Sonnendarstellung ein größerer Raubvogel, im Flug einen dritten weißen Vogel packend (8v; es handelt sich vielleicht um die bildliche Umsetzung einer Passage aus Hieronymus' Brief an Demetrias, in welcher der Kirchenvater Nonnen davor warnt, das Kloster alleine bzw. ohne die Vorsteherin zu verlassen. Andernfalls sondere der Habicht eine Taube vom Schwarm ab, stürze sich auf sie und zerreiße sie; vgl. , Bd. 56,1, Epistula 130, S. 175-201, hier cap. 19, S. 199: quae uiuunt in monasterio et quarum simul magnus est numerus, numquam solae, numquam sine matre procedant. De agmine columbarum crebro accipiter unam separat, quam statim inuadat et laceret et cuius carnibus et cruore saturetur. Wohl nicht zutreffend ist hingegen die Angabe bei , S. 214, dass ein Adler zu sehen sei, der der Sonne entgegenfliegt).
, S. 129-130 und S. 137; am unteren Rand mehrerer Seiten kleine Federzeichnungen, koloriert in Rot, Grün, Blau, Gelb und - wenigstens zum Großteil - auf den Text der Gebete Bezug nehmend; jeweils auf grünem Untergrund I.: Pfau, stehend und in Frontalansicht (3r,); II.: Nachtigall und Kuckuck, mittels Beischrift in roter Tinte identifiziert, jeweils auf einem Baum sitzend und von weiteren Tieren am Boden darunter umringt (auf 4r,; dargestellt sind: Krebs?, Bär oderDie Handschrift trug noch zur Zeit W. Meyers einen alten Pergamentumschlag bzw. Koperteinband (vgl. , S. 449), der in der Folge jedoch abgelöst und in die Fragmentesammlung der UB eingeordnet wurde (nun Signatur 'Fragm. Ms. 01587'), da er einen im 14. Jh. geschriebenen Text enthält; es handelt sich dabei um cap. 13 der 'Acta Sebastiani auctore S. Ambrosio episc.' (Druck: , Jan., Bd. 2, zum 20. Jan. bzw. auf S. 642); aktuell trägt die Handschrift einen hellen, melierten Pappeinband (um 1900?) mit Verstärkungen aus rotbraunem Leinen auf dem Rücken und an den Ecken; auf dem VD aufgeklebt ein Papierschildchen mit moderner Signatur der UB Göttingen. Auf dem VS mit Bleistift eingetragen der Göttinger Signaturenvermerk kl. 8 Cod MS theol. 243; eingeklebt sind ebd. die Beschreibung von W. Meyer sowie ein Papierschildchen mit dem gedruckten Vermerk digitalisiert: 2016 (daneben handschriftlich mit Bleistift ergänzt: 28).
Herkunft: Die Handschrift enthält keine expliziten Nachrichten über ihren Entstehungsort; anhand stilistischer Merkmale der enthaltenen Miniaturen lässt sie sich jedoch wohl der größeren Gruppe von Handschriften vom Ende des 15./Anfang des 16. Jhs. zuordnen, die sich aus dem Zisterzienserinnenkloster Medingen erhalten haben (vgl. etwa
, S. 138 sowie S. 139, Nr. 9. oder ). Sie dürfte im Konvent für eine junge, lesen lernende Nonne oder Laienschwester namens Anna angefertigt worden sein (ggf. auch für eine junge Laiin dieses Namens außerhalb des Klosters; zu denken wäre etwa an Anna Elebeke bzw. Tobing, deren Schwestern als Schreiberinnen und Mitglieder des Medinger Konvents belegt sind und für sie wohl zumindest eine Handschrift tatsächlich anfertigten; vgl. dazu , S. 39-40 und S. 42). Die These, dass die Handschrift ursprünglich einer Anna gehörte bzw. zumindest für eine Person dieses Namens gedacht war, beruht auf der Beobachtung, dass in dem Büchlein sowohl ein Gebet an den Schutz- bzw. Eigenengel als auch an Matthäus als Eigenapostel enthalten sind (zur Verehrung der Eigenapostel in den Lüneburger Klöstern, speziell Medingen, siehe , hier S. 42, S. 48-49, S. 60 zur vorliegenden Handschrift). Von den zentralen Anrufungsinstanzen, die für eine Person individuell wichtig waren, fehlt in der Reihe der Gebete also noch eines an den Namenspatron bzw. die Namenspatronin - das zur Hl. Anna dürfte genau diese Funktion erfüllt haben. Mit seiner großen, regelmäßigen Schrift und dem ABC samt Kürzungen zu Beginn diente das Büchlein zum einen wohl als Fibel und somit dem Lesen- und Schreiben-Lernen; zum anderen stellte es eine kurze Sammlung der für eine Einzelperson wichtigsten Gebete bereit: erstens die für jeden Christen grundlegendsten (Gebets-)Texte (Vaterunser, Ave-Maria, Glaubensbekenntnis), zweitens Gebete an die wichtigsten persönlichen Schutzinstanzen (Eigenengel, Eigenapostel, Namenspatron). Somit bietet es eine mit Bedacht zusammengestellte, basale Sammlung sowohl didaktischen als auch frömmigkeitspraktischen Charakters. — Die Handschrift wurde am 30. Sept. 1799 für die UB Göttingen auf einer Auktion in Hannover angekauft (vgl. dazu den Eintrag auf 1r mit dem Verweis auf das Manuale, S. 127 aus diesem Jahr; der Eintrag im Manuale des Archivs der Göttinger Bibliothek verweist auf eine S. 35, Nr. 134 - wohl im Katalog der entsprechenden Auktion, der sich jedoch nicht erhalten zu haben scheint; bei derselben Gelegenheit wurde noch eine weitere aus Medingen stammende ma. Handschrift erworben: 8° Cod. Ms. theol. 217 Cim.).— , S. 449. — , S. 42, S. 48-49, S. 60. — , S. 138-139, Nr. 9. — S. 360 — , S. 201-202, Nr. II.1. — — , S. 62. — . — .
1r leer, abgesehen von dem Eintrag In Hannover d. 30 Sept./ 1799 erkauft/ vid. Manuale 1799, p. 127; darunter der älteste große Bibliotheksstempel der UB Göttingen.
1v Alphabet ; darauf folgend noch die Kürzungszeichen für et, us, est und con.
1v-2v Vaterunser (dt.). Uader vnse de du bist in dem hemmele … — … sunder loze vs van deme ouele. Amen. Den Text bietet die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
2v-3r Ave Maria (dt.). Grotet sistu Maria vul gnade de here is myt dy … — … vnde benediet is de vrucht dynes lyues Jehsus Christus. Amen. Dem Ave Maria oder dem nachfolgenden Glaubensbekenntnis ist eine Pfauen-Darstellung beigefügt (s. Illustrationen, Nr. I); den Text bietet die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
3r-5r Apostolisches Glaubensbekenntnis (dt.). Ik loue in god vader alwoldich dede is en schipper hemmelrikes vnde ertrikes … — … vnde dat ewyghe leuent. Amen. Dem Glaubensbekenntnis ist eine Darstellung von Kuckuck und Nachtigall beigefügt (s. Illustrationen, Nr. II); den Text bietet die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
5r-5v Gebet an den (Schutz)Engel. ›van dy engele.‹ Ghegrotet sistu hilge enghel de du bist en hoder myn … — … vnn komet my tho helpe in myner lesten not. Amen. Zu Beginn ist eine Engels-Darstellung beigefügt (s. Illustrationen, Nr. III); Druck: , S. 49; den Text bietet auch die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
6r-v Gebet an den Apostel Matthäus. ›van sunthe Matheus‹. O werdighe apostel godes vnde myn sunte Matheus bydde god dat he … — … vnn kump my to helpe an myner lesten stunde. Amen. Zu Beginn ist eine Matthäus-Darstellung beigefügt (s. Illustrationen, Nr. IV); Druck: , S. 49; den Text bietet auch die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
6v-7r Gebet an die Hl. Anna. ›van sunte Annen‹. O du werdighe vrouwe sancta Anna de du bist alles loues werdich … — … help vns sulff drudde. Amen. Zu Beginn ist eine Darstellung der Anna selbdritt beigefügt (s. Illustrationen, Nr. V); Druck: , S. 49; den Text bietet auch die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts'.
7v-12v Psalm 50 (dt.). God vorbarme dy ouer my na dyner groten barmherticheit … — … dene schollen se leggen vp dyn alter de kaluere. Ere sy …. Dem Text, den die Online-Sammlung 'Medingen Manuscripts' bietet, ist die Darstellung eines Beute schlagenden Raubvogels beigegeben (s. Illustrationen, Nr. VI).
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der abendländischen mittelalterlichen Handschriften der SUB Göttingen Volkssprachige Handschriften.