Katalog der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften in Halberstadt. Verzeichnis der Bestände der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Domschatz zu Halberstadt, und des Historischen Archivs der Stadt Halberstadt, bearbeitet von P. Carmassi, Wiesbaden 2018 (Vorläufige Beschreibung)

Halberstadt, Domschatz, Inv.-Nr. 465-466

Ps.-Apuleius. Palimpsest (obere Schrift). Codex Theodosianus (untere Schrift)

Pergament — 2 lose Blätter — Blatt I: 27,5 × 21,8 cm. Blatt II: 27,8 × 22,2 cm — Italien — 7./8. Jh. (obere Schrift)

Die Blätter sind heute einzeln auf weißem Karton montiert. Flecken aus der Benutzung von Reagenzien, Spuren von Wurmfraß und Knicken im Pergament. Schriftraum: 23,5 × 19 cm. 20 Zeilen. Halbunziale (Text). Unziale (Rubriken). Um den neuen Text zu schreiben wurden die Blätter umgedreht. Rubriziert. Zu Beginn einiger Kapitel 4 bis 10 cm hohe kolorierte Zeichnungen von Pflanzen und Tieren. Farben: Rot, Grün, Braun, Weiß. Ir: Pflanze mit Blättern und Wurzeln. Eine spätere Hand (13./14. Jh.) hat über die Zeichnung persterion geschrieben. Iv: Pflanze mit Blättern, Wurzeln und Blüte. Die gleiche Hand wie bei Ir hat neben der Pflanze in brauner Tinte den Namen peonia geschrieben. Iv: Greif. Vierbeiniges Tier mit Flügeln, Drachenpfoten und in einem Schlangenkopf endendem Schwanz. Nach Dold handelt es sich eher um die Abbildung eines Dämons. IIv: Schlange. IIv: Skorpion. Sowohl Schlange aus auch Skorpion werden beim Absondern des Giftes aus dem Mund gezeigt, wenngleich dies im Fall des Skorpions der Realität nicht entspricht. Generell zur Bildusstattung vgl. Collins, Minta, Medieval Herbals. The Illustrative Traditions (London 2000), besonders S. 148-238.

Herkunft: Als Ort der Palimpsestierung vermutet Lowe aus paläographischen Grunden Norditalien. — Die Blätter befanden sich ursprünglich in der Handschrift M 22, einem medizinischen Sammelband aus dem 14. Jh., als "Collegienhefte von Montpellier und Collectaneen eines Mediziners" von Schmidt bezeichnet: Schmidt (1878), 22, S. 16-17. Der Codex ist heute in St. Petersburg, Russische Nationalbibliothek, F. 955, op. 2, Nr. 76. 1921 war er noch in der Bibliothek des Domgymnasiums zu Halberstadt: Vgl. die Dokumentation in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: http://www.bbaw.de/forschung/dtm/HSA/Halberstadt_700349100000.html. Drei Papierblätter mit der Unterschrift von Dr. H. Walther, nach Einsichtnahme vor Ort im September 1921. In der Handschrift F. 955 op. 2 Nr. 76 befindet sich heute auf der innerern Seite des VD ein geklebter Papierzettel: Handschrift im Besitz Halberstadt Dom-Gymn. Cod; 22 ist nach den Grundsätzen der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Herrn Dr. H. Walther. im Sept. 1921. aufgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Blätter vom Codex getrennt worden. Spuren von Leim sind auf den Innenseiten von VD und HD zu sehen. Im VD auch Reste von Pergament. Schmidt (1881), S. 22 beschreibt die Blätter als "aus Cod. 22 abgelöst".

Schmidt (1881), 1, S. 22-23, mit Beschreibung von W. Schum. — Schum, W., Über das Halberstädter Bruchstück einer Handschrift des Codex Theodosianus, in Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung 9 (1888), S. 365-375. — Diepgen, Paul, Zur Tradition des Pseudoapuleius, in Janus 29 (1925), S. 55-70. 140-160. — Lowe, Elias Avery, Codices Latini Antiquiores 8 (Oxford 1959), 1211, mit einer Abbildung. — Lowe, Elias Avery, Codices Rescripti. A List of the Oldest Latin Palimpsest with Stray Observation on Their Origin, in Bieler, Ludwig (ed.), E. A. Lowe. Palaeographical Papers. 1907 - 1965. (Oxford 1972), 2, XXVII, S. 499. — Richter, Jörg, Kat.-Nr. II.2, in Maseberg, Günter – Schulze, Armin (Hgg.), Halberstadt. Das erste Bistum Mitteldeutschlands (Halberstadt 2004), S. 185-187. — Carmassi, Patrizia, Kat.-Nr. 46, in Der heilige Schatz, S. 166-169, mit drei Abbildungen. — Carmassi, Neue Ergebnisse, S. 10-11.

fol. Ir-IIv Ps.-Apuleius: Herbarius. (Ir-Iv) Ed. Howald - Sigerist, I, 1-12. (Ir) Herbae plantaginis radix in collo …Ad ventris dolorem‹. Auf dem rechten Seitensteg in schwarzer Tinte (19. Jh.) der Vermerk: Aus Mscr 22. ›Ad dolorem interaneorum‹. ›Ad dysintericos‹. ›Item qui purulentum excreat cum sanguine‹. ›Ad vulnera‹. ›Ad ventrem stringendum‹. (Iv) ›Ad morsum serpentes [!]‹. ›Ad morsum scorpionis‹. ›Ad lumbricos‹. ›Si qua duritia in corpore fuerit‹. ›Ad quartanas‹. Endet mit Ad quartanas. Herbae plantaginis (IIr-v) Ed. Howald - Sigerist, LXV,1-2. LXVI. (IIr) dacta et das bibere cum vino obtimo. Pflanzenbild ›LXV Nomen herbae persterion‹. Der Teil über Namen der Pflanze ist zu Beginn vorgezogen und stark gekürzt worden. Während die curae von Peonia sprechen, wird die Pflanze als Persterion eingeführt. ›Ad lumbricos‹. ›Ad sciaticos‹. ›LXV (?) De grevone medicamen ad demonia‹. Bild des Greifen. Abschnitt nur hier überliefert. (IIv) B Pflanzenbild. ›LXVI Nomen herbae simtum (?) est‹. Nomen et cura in umgekehrter Ordnung. ›Ad omnia venina [!]‹. Edition: Pseudoapuleius, Herbarius, edd. Ernestus Howald - Henricus E. Sigerist = Corpus medicorum latinorum 4 (Lipsiae - Berolini 1927). Beschreibung, S. VII. Transkription: Dold, Halberstädter Palimpsestblätter, S. 312-317. Allgemein zur Textüberlieferung vgl. Maggiulli, Gigliola – Buffa Giolito, M. Franca, L’altro Apuleio. Problemi aperti per una nuova edizione dell’Herbarius = Studi latini 17 (Napoli 1996).

untere Schrift

Italien (Nord-Ost) — 5. Jh. Zweite Hälfte

Schriftraum: 18,5 × 22 cm. 28 Zeilen. Halbunziale. Eine Überschrift in Unziale (braune Tinte).

Herkunft: Lowe vermutet aus paläographischen Gründen eine Herkunft aus Norditalien. Nach freundlicher Auskunft von Guglielmo Cavallo wurde der Text des Codex Theodosianus in Nordostitalien geschrieben (Ravenna?). Vgl. Campana, Augusto, Il codice ravennate di S. Ambrogio, in Italia medioevale e umanistica 1 (1958), S. 15-68, mit XII Tafeln. — Bevor das Pergament neu geschrieben wurde, aber schon nachdem der frühere Text abradiert worden war, hat eine Hand (6. Jh.?) einen neuen Text geschrieben, heute nur auf Kopf- und Fußsteg erkennbar, in derselben Richtung wie der Codex Theodosianus. Die Schrift ist eine Kursive, aber ein Titel in Unziale ist noch sichtbar fol. IIv. Terminus post quem ist die Veröffentlichung des Codex Iustiniani (534), auf deren Kapitel der Text verweist. Vgl. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus sirmondianis, ed. Theodor Mommsen adsumpto apparatu P. Krueger (Berlin 1905. ND 1970), 1,1, S. LVII-LVIII; Dold, Halberstädter Palimpsestblätter, S. 310-311, mit Transkription der lesbaren Bruchstücke.

Schmidt (1881), 1, S. 22-23. — Theodosiani libri XVI cum constitutionibus sirmondianis, ed. Mommsen, 1,1 (siehe oben), Beschreibung S. LVII-LVIII. — Dold, Halberstädter Palimpsestblätter, besonders S. 307-311. — Lowe, Elias Avery, Codici Latini Antiquiores 8 (Oxford 1959), 1212, mit einer Abbildung. — Lowe, Elias Avery, Codices rescripti, in Bieler, Ludwig (ed.), Palaeographical papers. 1907 - 1965. E. A. Lowe (Oxford 1972), 2, XXVII, 55, S. 499. — Codex Theodosianus, in Lülfing, Hans – Teigte, Hans-Erich, Handschriften und alte Drucke. Kostbarkeiten aus Bibliotheken der DDR (Leipzig 1981), S. 55, mit einer Abbildung. — Dolezalek (unter der Hs.). — Coma Fort, José María, Codex Theodosianus: historia de un texto (Madrid 2014), S. 55-56, mit weiterer Literatur.

Ir-IIv Codex Theodosianus. XII,1,179-183. XIV,3,22-4,2. Edition: Theodosiani libri XVI cum constitutionibus sirmondianis, ed. Theodor Mommsen adsumpto apparatu P. Krueger (Berlin 1904. ND 1971), 1,2, S. 706-707; 778-779. Transkription: Dold, Halberstädter Palimpsestblätter, S. 312-315.


Abgekürzt zitierte Literatur

Dolezalek G. Dolezalek, Verzeichnis der Handschriften zum Römischen Recht bis 1600, Bd. 1–4, Frankfurt/M. 1972