Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil II: Cod. Guelf. 277 bis 370 Helmst. Mit einem Anhang: Die mittelalterlichen Handschriften und Fragmente der Ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt, beschrieben von Bertram Lesser (im Erscheinen).
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Programms Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung (Vorläufige Beschreibung)

Helmstedt, Ehemalige Universitätsbibliothek, Pgt. Frgm. 26

Decretum Gratiani

Pergament — 1 Doppelbl. — 27,5 × 45,5 cm — Nordfrankreich — 12. Jh., 4. Viertel

Der untere Teil eines Doppelbl. (die ursprüngliche Maße eines Einzelbl. betrugen ca. 36 x 25 cm, ähnliches Format wie Cod. Guelf. 33 Helmst.) ist für die Verwendung als Einbanddecke gefaltet, in der Blattmitte (ehemaliger Rückenüberzug) erheblicher Textverlust, da der größte Teil des Rückenüberzugs fehlt oder zerstört ist. Schriftraum: 20 × 14 cm, zweispaltig (beschnitten, Spalten jeweils 6 cm breit), noch max. 54 blindliniierte Zeilen erhalten. Regelmäßige, in der Marginal- und Interlinearglosse kleinere Textualis von einer Hand. Rubriziert, am Beginn der einzelnen Canones rote Lombarden über zwei Zeilen, Quaestionenzählung in Unzialmajuskeln und römischen Zahlen in marg. ausgestellt. Am Beginn der Causae Raum für Initialen und Majuskelblöcke ausgespart; 1rb schlichte blaue Fleuronnéeinitiale Q über 6 Zeilen mit rotem rechteckigem Rahmen und und roten Tütenblättern im Binnenfeld.

Herkunft: Der makulierte Codex, aus dem das Fragment stammt, dürfte aufgrund der Schriftmerkmale um 1200 in Nordfrankreich entstanden sein; paläographisch gut vergleichbar ist der wenig jüngere Cod. Guelf. 33 Helmst. — Das spätestens zu Beginn des 16. Jh. aus dem ursprünglichen Überlieferungsverbund gelöste Bl. diente als Einband für den Band S 187.4° der Helmstedter Universitätsbibliothek mit dem Druck VD16 C 4189, beschrieben im Katalog HAB, BA III, 96, p. 131. Auf den erhaltenen Fragmenten des ehemaligen Buchrückens ist deutlich die Signaturnummer № 61 der Bibliothek des Matthias Flacius Illyricus zu erkennen. — Den mit dem Fragment eingebundenen Druck erwarb Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg zusammen mit der übrigen Bibliothek des Matthias Flacius Illyricus am 20.4.1597. Er ist 1614 im Gesamtkatalog der Wolfenbütteler Hofbibliothek von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 291 [286]) unter den Papalia Miscellanea als Antilutherus Judoci Clichtovei Neoportuensis Doct. Parrhisiensis tres libros continens. Colon. 1525 mit der Signatur X 10 nachgewiesen. 1618 wurde er aus Wolfenbüttel in die Universitätsbibliothek Helmstedt überführt, wo Trägerband und Fragment bis heute aufbewahrt werden.

1r–v Decretum Gratiani cum glossis marginalibus et interlinearibus. Das Doppelbl. enthält (1ra–vb) den Text C.16 qu.7 c.31 – C.17 qu.4 c.5 sowie (2ra–vb) C.21 qu.4 c.1 – C.22 qu.1 c.14. Die Textfassung und die von den späteren Hss. und Drucken abweichende Quaestionengliederung entsprechen den ältesten bekannten Abschriften, vgl. Friedberg 1, 813. Der Text ist von mindestens drei Händen in verschiedenen Schichten marginal und vereinzelt auch interlinear glossiert; die Glossen konnten bislang nicht näher identifiziert werden, entstammen jedoch nicht der Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus. Druck: GW 11351–11390; PL 187, 29A–1870B; Friedberg 1, 2–1424, hier 809–816 und 858–864. Literatur: Schulte 2, 83–88; Kuttner 103–115; Coing 835–846, hier 836–839; Rep. font. 2, 453f.; DDC 2, 216f.; HQL 1 371 Nr. 1a.


Abgekürzt zitierte Literatur

Coing H. Coing, Römisches Recht in Deutschland, Milano 1964 (Ius Romanum Medii Aevi 5,6)
DDC Dictionnaire de droit canonique, Bd. 1–7, hrsg. von R. Naz, Paris 1935–1965
Friedberg E. Friedberg, Corpus iuris canonici, 2 Bde., Leipzig 1879 und 1881
GW Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1–, Leipzig 1925–1938, Stuttgart 1978–
HQL 1 Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter (1100–1500): Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung, hrsg. von H. Coing, München 1973 (Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte)
Kuttner S. Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140–1234), Città del Vaticano 1937 (Studi e testi 71)
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Rep. font. Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 1–12, hrsg. vom Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Rom 1962–2007
Schulte J. F. von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts…, Bd. 1: … von Gratian bis auf Papst Gregor IX. Stuttgart 1875; Bd. 2: … von Papst Gregor IX. bis zum Concil von Trient, Stuttgart 1877
VD16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts, Online-Ressource: http://gateway-bayern.bib-bvb.de/aleph-cgi/bvb_suche?sid=VD16