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Brief 173

Elisabeth Garleghes im Kloster Lüne an eine ältere Verwandte

vor 16. Mai 1527

Kondolenzbrief — Letter of consolation after the death of a husband

Kloster Lüne, Hs. 15, Lage 14, fol. 13r

Niederdeutsch

Die Absenderin hat erfahren, dass ihre Verwandte den Tod ihres Ehemannes betrauert. Doch auch wenn ihre Trauer verständlich sei, solle sie nicht allzu wehmütig sein. Sie selbst würde sie gern trösten, so gut sie könne. Da sie dies aber kaum vollbringen könne, sendet sie ihr Christus im Symbol eines Granatapfels. Diesen dreifach segenspendenden Apfel möge sie betrachten, pflücken und in ihr Herz drücken. Christus habe ihr den Liebsten genommen, weil er allein von ihr geliebt werden wolle. Sie setzt den Granatapfelbaum mit dem Gekreuzigten gleich und wünscht erneut den Segen Christi.

A nun of Lüne writes to a female relative on the death of her husband and provides comfort. She writes that, even though she can understand her sadness, the recipient should not be too upset. The sender states that she herself would like to comfort the recipient as much as she can. Since she claims that she can hardly do this task justice, she sends a ‘pomegranata’ as a gift, the allegorical and spiritual significance of which is explained. It is not clear what material form this ‘pomegranata’ might have taken; however, it is unlikely that this would have been a piece of jewellery. Instead, it is more probable that it would have been a painted image of a pomegranate. She instructs the recipient to look at and pick the pomegranate which will bring her a threefold blessing and to press it to her heart. She writes that Christ took the recipient’s husband away from her because He wanted her to love Him alone. She compares the pomegranate tree to the crucified Christ and wishes His blessing upon the recipient once again. The letter contains many quotations from the Song of Songs all employing the image of sweet fruits and/or pomegranates, which are combined in the letter with images of apples, embraces and other images from works of bridal mysticism. This technique of combining such images has been the subject of some recent scholarly discussion.

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[Lage 14, fol. 13r]


1 E Ga
2

Jesumb Christum den lusteghen vnde bloyghenden rosen garden dar inne
3 wasset aller dat wolrukende krude. dar to alle blomen vnde
4 vrucht der wunnichliken soticheyt. de dar vor drift aller
5 bedroueden, lydent vnde jamericheyt de sende ik juk vor enen
6 fruntliken grod to vorn in kyntliker leue

Alder leueste N vter
7 koren vrundinne Jesu Christi so ik leyder vor uoren hebbe dat gy
8 bedrouet synt dar vmme dat de leue God na synem wolbehage
9 juwen husheren mynen leuen N zeligher dechtnisse ghe esket
10 heft van desser bedroueden werlt. vnde alze dat wol to louende
11 steytc is dat juk dat sur vnde swar wert van groter in wendigher
12 leue. doch bidde ik juwe moderken truwe in kyntliker leue
13 dat gy nicht willen alto wemodich wesen. Gode to loue vnde
14 juwer macht to gude. vnde juwen leuen kynderen to troste. Vnde
15 konde ik juk wor mede to hulpe komen efte trosten. so ik juk
16 wol plichtich byn dat dede ik van herten gherne. vnde wol dat
17 ik des in den werken so wol nicht vullenbringhen kan. so ik ger
18 ne dede. hir vmme so legghe ik myne vnmoghelicheyt in de
19 grundelosen gude vnde barmherticheyt Godes Jesu Christi mynes
20 alder leuestend brudegammes. vnde den sende ik juk nu in myne
21 stede vor eyn selsen clenade alze enene roden maal granath appel1
22 de wol mach ghe likenet werden sodanem roden appele vmme=
23 drier leye willen de de appel in sik heft. Wente in dat erste bescher
24 met he den mynschen myd deme scheme syner hoghede. To dem
25 anderen male spiset he ene myd der lusticheyt syner soticheyt.2
26 To dem drudden male vor qwicket he ene mit der wunne syns
27 wolrukenden rokes3 alzo de hilge vader Bernardus srift O du ynni
28 ghe sele begherestu dattu rouwest etc4

Alder leueste N dessen lusti
29 ghen roden appelken den holdet vor juwe oghen dat he juwe sichte=
30 vrolik make. vnde wiscke van juwen oghenf wanghen de tranen=

[Lage 14, fol. 13v]
31 aller bedrofnisse. Ruket dar to uppe dat juwe bedrouede
32 herte moghe dar uan vor qwicket werden. vnde dat houet
33 juwer redelicheyt vnde uor nuft dar uan ghe sterket werde.
34 Plucket den soten appel van dem bome myd der hant vnde leg
35 ghet den in juwen schot.5 dat is vanghet den soten vmme myd den
36 wyden armen juwer begheringhe. vnde drucket ene in juwe her
37 teken. wente he kan vnde mach dar nicht lengher vthe wesen
38 bliuen. sunder he wel dar ghanselken in ghe senket werden
39 vor myddest vurigher begheringhe vnde bernender leue de he
40 nu sunderken to juk hebben wel. vnde dar vmme heft he juk
41 ghenamen juwen alder leuesten in en teken dat he juwe leueken
42 allene welen wel. Ock is de granath appelbom der nature
43 dat he bloyet winters vnde sommers.6 na der wise bloyet ok de
44 bom des hilgen cruces in vrouden vnde in drofnissen. vnde dar scal
45 eyn juwelk vrucht inne vynden beyde in dem leuende vnde in dem
46 dode. Vnde de blomen de he heft de syn van drier leye hande varwe
47 alze wyd. bruwg vnde roth. alzo h. Christus Jesus ok wesen wente he was
48 in syner hilgen mynscheit wit. vnde brun in syner bitteren martere
49 rosen varich rod in syner vroliken vpstandinghe. up dat he synen
50 hemmelschen vadere mochte vul don vnde betalen vor allent wes in us
51 en brikt. vnde mochte use spise wesen in dessem leuende. use be
52 scherminghe in dem dode. vnde use lon vnde vroude in der ewigen
53 zalicheit.

Alder leueste N desse rode granad appel de mote juk
54 sterken vrouwen vnde trosten. in der sele vnde in dem liue. vnde ma
55 ke juk drichtlik vnde sote allent wat juk sur vnde swar wert
56 uan mynschliker krancheyth. up dat gy in dessem jamerdale der tranen
57 syner gnade so bruken moten. dat gy na dessem leuende dar komen
58 dar gy der soticheit syner frucht syner honnich. myns verein. mit dem blanken
59 wyne syner claren gotheit. sunder ende bruken moten vor dem speyel der Hil=
60 Dreual Des help juk vnde us etc


Kritischer Apparat

a Überschrift in Kasten

b J in mg. als figürliche Initiale

c hier gestrichen steyt

d davor Streichung eines Buchstabens

e zu korrigieren in enen

f hier gestrichen oghen

g zu korrigieren in brun

h zu korrigieren in krancheyt


Sachapparat

1 Welche materielle Form der Granatapfel, den die Schreiberin hier als Geschenk mitgeschickt hat, gehabt haben kann, lässt sich nicht eindeutig sagen. Ein kostbares Schmuckstück ist eher unwahrscheinlich, eher wird die Nonne ein gemaltes Bildchen der dann ausgedeuteten Frucht beigelegt haben.

2 Ct 2,3: [Sponsa.] Sicut malus inter ligna silvarum, sic dilectus meus inter filios. Sub umbra illius quem desideraveram sedi, et fructus ejus dulcis gutturi meo.

3 Ct 7,8: Dixi: Ascendam in palmam, et apprehendam fructus ejus; et erunt ubera tua sicut botri vineae, et odor oris tui sicut malorum.

4 Nicht identifiziertes Zitat.

5 Zu dieser Mischung von Bildfeldern des Hohenlieds mit Äpfeln, Umarmen, Zeichen und weiteren brautmystischen Ausführungen vgl. die Spruchbänder auf dem Wichmannsburger Antependium aus dem Kloster Medingen, vor allem FF2 (An dessen bom wil ik stighen vnde de vrucht) in Anspielung auf Ct 7,8 und FF3 (Wan ik in dessen gharden mach rowen vnde min lef an / dessem bome schowen de rosen / in minen schot lesen), DI 76, Lüneburger Klöster, Nr. 62 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di076g013k0006205; Lähnemann, Die Ikonographie (2005), S. 33-34; Linden, Konvent (2000), S. 44-58.

6 Ct 6,10: [Sponsa] Descendi in hortum nucum, ut viderem poma convallium, et inspicerem si floruisset vinea, et germinassent mala punica; Ct 7,12: Mane surgamus ad vineas: videamus si floruit vinea, si flores fructus parturiunt, si floruerunt mala punica; ibi dabo tibi ubera mea.

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