Einführung

Matthias Kramer: Allgemeiner Schau-Platz/ auf welchem [...] vorgestellet wird die Teutsche und Italiänische Benennung aller Haupt-Dinge der Welt
Nikola Roßbach

1. Titel
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Allgemeiner Schau-Platz/ auf welchem vermittelst einer kurtzen Frag-Ordnung vorgestellet wird die Teutsche und Italiänische Benennung aller Haupt-Dinge der Welt / gantz neu gestellt/ vor die Liebhaber beyder Sprachen/ von Matthia Krämer/ Italianischen/ Frantzösischen und Hispanischen Sprachmeister. Nürnberg/ In Verlegung Johann Andreæ/ und Wolfgang Endter deß Jüngern Sel. Erben. ANNO M. DC. LXXII. Teatro Universale, Dove per via d’una Succinta Metodo, vien spiegata, La Nomenclatura, Todesca e Toscana, di tutte le Cose ed Attioni del Mondo, Aperto nuovamente, per beneficio de’ Curiosi dell’una e l’altra Lingua, Da Mattia Cremero, Maestro della Lingua Toscana, Francese e Spagnuola. Norimberga, Appresso gli Heredi di Giouan Adrea, e Wolfgango Ender il più giovane. M. DC. LXXII Nürnberg: Endter, Wolfgang, 1672. - Titelblatt (Kupfertafel), 296 pag. S., 12°. [opac ↗536715858] [vd17 ↗23:241329B]

2. Verfasser und Verleger
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Matthias Kramer (zahlreiche Namensvarianten und Pseudonyme: Matt(h)ia Krämer/Cramer(o)/Cremero/Vorbergen) (1640- um 1727/1730) war ein deutscher Sprachlehrer und Lexikograph. Er wurde in Köln geboren und wirkte nach einem geisteswissenschaftlichen Studium seit 1670 hauptsächlich in Nürnberg. Zeitweilig unterrichtete er in Regensburg die Söhne eines brandenburgischen Adligen und Reichstagsgesandten und lehrte darüber hinaus wahrscheinlich an der Universität Altdorf. Kramer, als Familienvater zeitlebens mit Geldsorgen belastet, lebte von der Unterrichtstätigkeit (Ising, S. 12f.). Er beklagt seinen Zeitmangel, „dieweil ich der würcklichen information meiner Herren Scholarium, von welchen ich/ ohne andere Bestallung/ lebe/ abwarten müssen“ – was seine immense schriftstellerische Produktivität umso erstaunlicher erscheinen lässt. Der Sprachlehrer verfasste Grammatiken, Wörterbücher, Sprachlehrbücher, Gebetbücher, Briefsteller und Konversationslehren in italienischer, französischer, spanischer, niederländischer und deutscher Sprache und verfertigte Übersetzungen. Die meisten seiner Werke erschienen bei Endter in Nürnberg. Noch mit 86 Jahren erhielt er in Erlangen eine Anstellung an der Ritterakademie. Kramer war ein herausragender Lexikograph. Sein berühmtestes Werk Das herrlich Grosse Deutsch-Italiänische Dictionarium oder Wort- und Red-Arten-Schatz (1700/1702), berücksichtigt am umfassendsten die deutsche Lexik des ausgehenden 17. Jahrhunderts (Besch, S. 657). Kramer verfügte über außerordentliche Fremdsprachenkenntnisse, die er seinen Schülern weitervermitteln wollte; bemerkenswert ist zudem sein Engagement im Bereich der Didaktik des Deutschen als einer Fremdsprache (dazu Miehling), zu dem er etliche Werke beisteuerte: Le Parfait Guidon De la Langue Alemande (1678); I Veri Fondamenti della lingua tedesca o germanica (Die richtige Grund-Festen Der Teutschen Sprache Hauptsächlich eröffnet Der Italiänischen Nation) (1694); Il Gran Dittionario Reale, Tedesco-Italiano cioè Tesora Della Lingua Originale ed Imperiale Teutonica, ò Alta-Germanica (Das herrlich Grosse Teutsch-Italiänische Dictionarium, Oder Wort- und Red-Arten-Schatz Der unvergleichen Hoch-teutschen Grund- und Haupt-Sprache) (1700/02).

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1672 bei Johann Andreas und Wolfgang Endter dem Jüngeren in Nürnberg.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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1679 erschien bei Wolfgang Moritz Endter und Johann Andreae Endter S. Erben Die zweyte Edition von vielen Fehlern gebessert.

1692 erschien bei Wolfgang Moritz Endter und Johann Andreae Endter die dritte Auflage mit dem fehlerhaften Vermerk „Die zweyte Edition“.

3.2.1. Digitale Ausgabe
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4. Inhalt
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Matthias Kramer geriert sich in erster Linie als ambitionierter Lehrer, der dem Mangel an „Wörter-Vorrath“ bei Italienischschülern abhelfen und „zu diesem Sprachen-Bau die Steine herbey“ (S. 4) schaffen möchte. Auch wenn der Sprachmeister sein Werk „ Allen Italiänisch-liebenden Teutschen/ und Teutsch-gesinnten Italiänern“ (unpag. [S. 1]) widmet und wiederholt den Nutzen für beide Zielgruppen betont, handelt es sich doch hauptsächlich um ein Italienisch-Wörterbuch für Deutsche. Das zeigt sich beispielsweise dann, wenn italienische Vokabeln durch erklärende Umschreibungen übersetzt werden, deren Verwendung durch italienische Zeitgenossen sicherlich zu komischen Situationen geführt hätte: „o Fréga, Fóga“ wird übersetzt mit „ das grosse Verlangen eines fleischlichen Dings“ (S. 50); neben „Ah, Ah, Ah“ steht nicht etwa konsequent „Ha ha ha“, sondern „zum Lachen“ (S. 262).

Kramer unterscheidet vier Arten von Wörterbüchern: „Nomenclatura, Dictionarium, Lexicon und Phraseologia“ (Vorrede, unpag. [S. 5]). Genau jene programmatisch-theoretischen Reflexionen, die Laurent Bray als „méta-lexicographie“ (Bray 2000) bezeichnet, lassen Kramers Werk aus der Lexikographie seiner Zeit herausragen. Werner Besch vermisst folglich eine angemessene Würdigung des Gelehrten und lobt „Kramers lexikographisches Gesamtwerk und sein Nachdenken über Wörterbücher, das schon in seinem Werk Allgemeiner Schauplatz/ auf welchen vermittelst einer kurtzen Frag-Ordnung vorgestellet wird die Teutsche und Italiänische Benennung aller Haupt-Dinge der Welt aus dem Jahre 1672 greifbar wird, wo er eine Wörterbuchtypologie entwickelte“ (Besch, S. 658). Zugleich liefert Kramer hier ein Wörterbuch der ersten Art, von ihm selbst wie folgt definiert: „Eine Nomenclatura ist/ darinn die Wort/ nach einer gewissen doch nicht alphabetischen Ordnung/ ohne ein Particular-Register zu dem End ausgeführt seyn/ damit der Schüler sich darinnen belesen/ und sich allgemach dero angeregten Wörter bemächtigen solle/ diese aber müssen/ so viel möglich ist/ einfache/ unabgeleitete und ungedoppelte Stamm-Wörter seyn“ (Vorrede, unpag. [S. 5]). Der Verfasser benennt ausführlich die Vorzüge seines Wörterbuchs: Nahezu jedes Hauptwort sei erfasst und mit Artikeln versehen (diese seien „ein harter Bissen““ (Vorrede, unpag. [S. 7]) für Deutschlernende!); darüber hinaus seien weitere Wortarten zu finden. Kramer konzentriert sich – entsprechend der Stammwortprogrammatik der zeitgenössischen Lexikographie – auf die Stammwörter. Ableitungen, Diminutiva, Feminina, Plural etc. lässt er ebenso aus wie reine lateinische Wörter und Dialektwörter. Anstelle von Vollständigkeit geht es dem Sprachlehrer vor allem um didaktische Ziele; damit distanziert er sich von den dem Lateinischen verpflichteten Humanisten, die „in ihren Lexika einen zum Teil veralteten Wortschatz weiterschleppten. Auch bei K. wird viel Altes weitergetragen, etwa die Hälfte der deutschen Lemmata sind aus früheren Wörterbüchern entlehnt“ (Renner-Braakman, S. 668). Trotz jener pragmatisch-didaktischen Ausrichtung Kramers, die auch das vorliegende Sprachwörterbuch charakterisiert, teilt jenes mit anderen Werken der Theatrum-Literatur den universalen Anspruch: Alle Haupt-Dinge der Welt“ sollen auf einem „Theatro Universale“ systematisch vorgeführt werden, und zwar nicht „durcheinander“ (womit er die alphabetische Ordnung meint), sondern in einer systematischen Ordnung. Eine derartige systematische Ordnung prägt zahlreiche philosophische und enzyklopädische Werke des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (Kramer orientiert sich speziell an Comenius und Pomey, siehe Kontext und Klassifizierung).

„GOTT. und ohne ihn ist erschaffen Nichts. Ja Er hat nicht erschaffen allein alle Dinge. Sondern auch dero Weise und Bewegung“ (S. 1)

Gelistet werden zum Zweck des Fremdsprachenlernens die basalen Koordinaten der Welt und des Wissens von ihr – Ganzes/Teil, Raum/Zeit, Körper/Geist, die vier Elemente. Es folgen Mineralien, Flora und Fauna. Dabei liegt ein mit stupender Sprachkenntnis verbundener botanischer Schwerpunkt auf Heilkräutern (S. 16), aber auch Bäume werden skrupulös in Obstbäume, beeren-, eichel- und zapfentragende Bäume unterteilt (S. 24ff.). Der größte Teil des Vokabulars jedoch betrifft den Menschen (ab S. 39): Körperteile, Sinnesorgane, Krankheiten, Kleidung, Essen, Wohnen, Zusammenleben, Stadt, Kirche und Geistlichkeit, Politik, Justiz, Regierung, Schule. Immer wieder wird deutlich, dass Kramers Nomenklatura selbstredend keine bloße, thematisch gruppierte Wörtersammlung ist, sondern auf Implikationen beruht, philosophischen, religiösen und auch pädagogischen: Knapp und unmissverständlich wird erklärt, welche sieben Wörter den Schlüssel zum Erziehungserfolg darstellen – und welche vier Wörter für Misslingen stehen

„Was gehört zur Kinderzucht? Die Wiege Der Kinderbrey Dockenwerck. Die Puppe/Docke. Die Ruthe/Gerte. Der Zuchtmeister Die Arbeit “

„Was widrigẽ Falls verdirbt sie? die Aergerniß. die Zulässigkeit die Freyheit/Ausgelassenheit. Der Müssiggang“ (S. 75)

In sachlogischem Anschluss an das Thema Schule folgt eine ausführliche Auflistung verschiedener Wissenschaften und Künste; eine Orientierung des Curriculums an artes liberales und artes mechanicae ist nurmehr zu erahnen: Philosophie, Medizin, Arithmetik, Astronomie, Geographie, Architektur, Malerei, Maschinenbau, Historie, Sprach- und Dicht-, Sing- und Schauspielkunst, Jagen, Fechten, Kriegs- und Kaufmannskunst. Es folgen Handwerke, Landwirtschaft und Spiele sowie eine kleine lexikographische Klugheitslehre, welche die prudentia in „Haushalterische“, „Statische“ (gemeint ist Staatspolitik), „Kriegs-Verständige“, „Rechtsgelehrte“ und „Sittliche“ (S. 214) unterteilt. Dem systematisch geordneten Hauptteil folgen mehrere Tabellen (Eigennamen, Adjektive, Pronomina, Verben, Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, Interjektionen), deren zweite, italienische Spalte jeweils alphabetisiert ist, sowie einige Register, die das Nachschlagen insbesondere der Nomina ermöglichen sollen (S. 263-295).

5. Kontext und Klassifizierung
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Der Allgemeine Schau-Platz/ auf welchem [...] vorgestellet wird die Teutsche und Italiänische Benennung aller Haupt-Dinge der Welt steht zunächst im Kontext der zahlreichen Sprachlehrwerke des Verfassers selbst. Kramer publizierte ihn 1672 als eines seiner ersten Werke, voraus ging eine im Eigenverlag gedruckte andere „Nomenklatur“, die Nomenclatura Toscana, Tedesca, e Spagnuola (1670). Die in Aussicht gestellten weiteren Wörterbücher und Grammatiken für romanische Sprachen (Vorrede, unpag. [S. 7, 12] realisierte Kramer tatsächlich. So verfasste er für Italienischschüler unter anderem eine erfolgreiche Grammatik (Vollständige Italiänische Grammatica das ist: Toscanisch-Romanische Sprach-Lehre, 1674, 1689, 1694), umfangreiche Wörterbücher (Das neue Dictionarium Oder Wort-Buch In Italiänisch-Teutscher und Teutsch-Italiänischer Sprach, 1676; Neu-ausgefertigtes Herrlich-grosses und allgemeines Italiänisch-Teutsches Sprach- und Wörter-Buch, 1693; Das herrlich Grosse Deutsch-Italiänische Dictionarium oder Wort- und Red-Arten-Schatz (1700/1702) (dazu Besch, S. 657) und ein Lehrbuch zu Deklination und Konjugation (Toscanische Rudimenta, Oder Haupt-Pforte Zu Matthiae Krämers Grösseren Italiänischen Grammatica und Dictionario. Das ist: Ausführlichere Vorstellung aller Declination- und Conjugationen, 1680, 1691, 1695). Bei Kramer steht laut Renner-Braakman weniger „wissenschaftlicher Ehrgeiz“ im Vordergrund als „das praktische Bedürfnis, fremdsprachige Wörterbücher für die Verständigung der Reisenden zu schaffen“ (Renner-Braakman, S. 668); dagegen nennt Ising Kramers „Arbeit an der Sprache eine echte Berufung“ (Ising, S. 11), erwachsen nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern aus religiös-sittlicher Motivation. Kramer zeichnet sich durch eine gute Beobachtung der lebendigen Sprache, ein differenziertes Bemühen um Bedeutungsunterschiede und die Berücksichtigung und Reflexion der Benutzungssituation (Besch, S. 657) vor anderen Lexikographen aus. Seine lexikographische Arbeit bestand zu einem großen Teil darin, existierende Wörterbücher auszuschreiben, abzuändern und um den eigenen Wortschatz zu ergänzen; die Forschung verweist auf Kaspar Stieler (Der Deutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs, oder Teutscher Sprachschatz, 1691) und Nathanael Duez (Dictionnaire François-Alemand-Latin Et Alemand-François-Latein, 1693). Kramers eigene Wörterbücher wurden wiederum von anderen Lexikographen wie Johann Rädlein (Europäischer Sprachschatz, 1711), Christian Ludwig (Teutsch-Englisches Lexikon, 1716), Johann Leonhard Frisch (Teutsch-lateinisches Wörterbuch, 1741), Johann Christoph Adelung (Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart, 1774-1786) und Joachim Heinrich Campe (Wörterbuch der Deutschen Sprache, 1807-1811) verwendet. In der vorliegenden italienisch-deutschen Nomenklatur beklagt Kramer den Mangel an „rechtschaffenen Teutsch-Welschen und Welsch-Teutschen Wörter-Buch“ (Vorrede, unpag. [S. 1]) und distanziert sich von seinem qualitativ und quantitativ ungenügenden Vorgänger Levinus Hulsius (Dictionarium Teutsch-Italiänisch und Italiänisch-Teutsch, 1605, dazu Bray/Bruna/Hausmann, S. 3013). Kramer gesteht, selbst „die Ordnungen Joh. Amos Comenii, und dessen Nachfolgers N. Rhedingeri, item P. Francisc. Pomey Soc. Jes.“ (Vorrede, unpag. [S. 11]) übernommen, überarbeitet und verändert zu haben (ein Blick in die Systematiken des Comenius und Pomeys bestätigt dies). Der berühmte Orbis Sensualium Pictus. Hoc est, Omnium fundamentalium in Mundo Rerum & in Vita Actionum Pictura & Nomenclatura von Johann Amos Comenius erschien 1658 bei Kramers Hausverlag Endter in Nürnberg und wurde dort bis 1672 etliche Male wiederaufgelegt; ebenfalls bei Endter, und zwar ein Jahr vor Kramers Nomenklatur, erschien François Pomeys Indiculus Universalis Latino-Gallicus, Rerum fere omnium, quae in Mundo sunt, Scientiarium item, Artiumq[ue] Nomina apte breviterque exhibens (1671).

6. Rezeption
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Kramer, „ein berühmter Sprachmeister aus Cöln am Rhein“ (Jöcher, S. 801), präsentierte mit dem Allgemeinen Schau-Platz/ auf welchem [...] vorgestellet wird die Teutsche und Italiänische Benennung aller Haupt-Dinge der Welt ein „geschmeidige[s] Taschen-Büchlein“ (Vorrede, unpag. [S. 10]), das mehrere Auflagen erreichte. Dennoch wurde es durch weitere, erfolgreichere und bekanntere Sprachlehrwerke des Verfassers in den Schatten gestellt. Kramer, im Alter ein bekannter und geschätzter Lexikograph, fand bei den wissenschaftlichen Autoritäten der Zeit keine volle Anerkennung und Beachtung (Ising, S. 13-16). Nichtsdestoweniger wurden seine Wörterbücher nachweislich von anderen Lexikographen verwendet und rezipiert. Eine Gesamtdarstellung seines Werks, das für die Sprachgeschichte von herausragender Bedeutung ist, existiert trotz der umfangreichen Forschungen Laurent Brays bis heute nicht (Besch, S. 658).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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