1. Titel
2. Verfasser
Der evangelische Theologe Johann Gerhard Meuschen (1680-1743) stammt aus Osnabrück; nach Studium in Jena und Leipzig und Philosophieprofessur in Kiel kehrte er 1704 dorthin zurück, um wie sein Vater an der St. Katharinenkirche das Predigeramt zu versehen. Aufgrund von Auseinandersetzungen mit den von ihm polemisch bekämpften Jesuiten verließ er seine Heimatstadt wieder, um an weiteren Wirkungsstätten – Den Haag, Hanau und Coburg – zu predigen und zu lehren. Franck bezeichnet Meuschen, der selbst geschrieben, aber vor allem Schriften anderer kompiliert und herausgegeben hat, als „Polyhistor nach Art der alten Gelehrten“ (Franck, S. 539). Lateinische und deutschsprachige Titel, die unter Meuschens Namen erschienen, sind unter anderem sein Christliches Bedencken Von der Reformation Der Universitäten und Schulen (1707), De Vana Librorum Pompa (1711) sowie das vierbändige biographische Werk Vitae Summorum Dignitate Et Ervditione Virorum Ex Rarissimis Monumentis Literato Orbi Restitutae (1735-1741).
3. Publikation
3.1. Erstdruck
Erstmals 1706 bei Johann Bielcke erschienen.
Standorte des Erstdrucks
- Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, Sign. 16, 9 : 85
- Det Kongelige Bibliotek Kopenhagen, Sign. 183:1, 31 00394
- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 8 H L BI I, 4010
- Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sign. BE.6.Y.46.(3)
- Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sign. Biogr.erud.C.603
- Staatsbibliothek zu Berlin, Sign. 1 an: Am 3942, 3 an: Cs 1610
- Thüringer Landes- und Universitätsbibliothek Jena, Sign. 8 Bud.Hist.un.81(4)
- Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Sign. H00/LTG-III 10
- Universitätsbibliothek Greifswald, Sign. 523/Aa 210 adn3
- Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilian-Universität München, Sign. 0001/8 Vetus 218
3.2. Weitere Ausgaben
3.2.1. Neuedition
Facsimile-Druck in:Elisabeth Gössmann (Hg.): Kennt der Geist kein Geschlecht? München 1994.
3.2.2. Mikroform-Ausgabe
Weimar: Herzogin Anna Amalia Bibliothek 1999. Vorlage: Exemplar der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Sign. 16, 9 : 85.
3.2.3. Digitale Ausgabe
- Dresden: Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek digitale Kollektionen (= Drucke des 18. Jahrhunderts). Vorlage: Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sign. Biogr.erud.C.603.
4. Inhalt
Meuschen behauptet, seine Courieuse Schau-Bühne Durchläuchtigst-Gelahrter Dames in kurzer Zeit verfasst zu haben. Erst „vor wenig Wochen“ (Widmung, unpag. [S. 5]) habe er der Widmungsempfängerin, „Der Durchläuchtigsten Chur-Fürstin und Frauen Fr: Sophien/ Gebohrner aus Churfürstl. Stamme der Pfaltz-Graffen bey Rhein [...]“ (Widmung, unpag. [S. 1]) „die unterthänigste Reverence“ gemacht: Dadurch sei er „ausser mir selbst gesetzet/ und bewogen worden/ diese wenige Bogen mit eilender Feder auffzusetzen“ (Widmung, unpag. [S. 5f.]). Ob reale Entstehungsgeschichte oder schmeichelhaft-galante Anekdote: Es ist glaubhaft, dass der Verfasser sich nicht allzu viel Zeit für die recht flüchtig und wenig gründlich anmutende Zusammenstellung genommen hat. Seine Quellen hat er redlich in Anmerkungen belegt – antike wie Plutarch und Herodot, aber auch etliche zeitgenössische Gelehrte wie David Nerreter, auf dessen Bearbeitung und Übersetzung von Alexander Ross’ Wunderwürdigem Juden- und Heiden-Tempel (1701) (S. 18) er referiert.
Die Erwartungen, die der drei Erdteile zitierende Titel weckt, werden in gewisser Weise enttäuscht: Zwar findet man tatsächlich berühmte Frauen aus Asien, Afrika und Europa, jedoch sind die Damenriegen äußerst kärglich besetzt. Beschreibungen gehen häufig nicht über Namensnennung und wenige stereotype Sätze zu berühmten Gelehrten hinaus; zudem verzichtet Meuschen ohne nachvollziehbaren Grund (stand er wegen der Leipziger Frühjahrsmesse unter Zeitdruck?) immer wieder ausdrücklich auf die Darstellung weiterer berühmter Frauengestalten.
Die Widmung, eine genretypische Lobeshymne auf die „Hellgläntzende Science und him[m]lische Tugend“ (Widmung, unpag. [S. 2]) der fürstlichen Adressatin, nimmt die Theatrummetapher ernst: Das „Durchläuchtigste Theatrum“ zeige die „Preißwürdige Gelahrsamkeit und prudence“ der „Durchläuchtigsten Dames, so darauff aus allen Ländern/ nach dero situation und connexion, wie auch der Zeiten-Folge sind auffgeführet“ (Widmung, unpag. [S. 3]). Auch im nach Paragraphen unterteilten Haupttext wird die Metapher des Schauplatzes konsequent fortgeführt: „So öffnet sich demnach der Schauplatz der Durchläuchtigst-gelahrten Dames, und præsentiren sich zu erst auff selbigen diejenigen/ derer der Geist Gottes in seinem H. Worte selbst gedencket.“ (S. 1; weiter unten S. 58: „Es mag diese Frantzösische Scene auff unsern Durchläuchtigsten Schau-Platz schliessen die Marquisin d’Aunoy [...].“) Meuschen belässt es indessen bei einer einzigen biblischen Frauenfigur: Er könne ihr weitere an die Seite stellen – „alleine ich lasse sölche mit Palæstina und Arabien fahren/ und eile nach Assyrien, die grosse Königin Semiramis wegen ihrer Gelahrsahmkeit zu bewundern“ (S. 5). Das Ich inszeniert sich – in gewisser Schieflage zur Schaubühnenmetapher – als Reisender, der transkontinental von einer gelehrten Frau zur nächsten eilt: „Ich übergehe ihre andere Tugenden/ und gehe aus Syrien nach den wilden Scyten“ (S. 11). Seine Reiseroute führt ihn von Asien über Afrika – der ägyptischen Königin Kleopatra räumt er hier den meisten Platz ein (S. 19ff.) – nach Europa: „Aus Africa schiffe ich in das kluge und gelahrte Europa, und zwar zu erst nach den Sitz der Musen, ich meine dem vortrefflichen Griechenlande“ (S. 24). Von Ost- nach Westeuropa fortschreitend beginnt Meuschen mit den „gelahrten Orientalischen Princessinnen“ (S. 27) in Konstantinopel und wendet sich dann dem „Occident“ zu: Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, England, Dänemark und Schweden sind jeweils höchstens wenige Seiten gewidmet; Polen wird ausdrücklich als Negativbefund erwähnt: „Ich solte woll/ nachdem ich hiemit Schweden verlasse/ bey dem itzigen glorwürdigen allertapffersten und klügesten Carolo XII. auch in Pohlen mich ein wenig auffhalten/ aber weil ich wenig gelahrte Princessinnen darinnen antreffe/ will ich weiter in Hungarn rücken/ und schauen/ ob solches Reich nicht etwa für unsere Schau-Bühne möchte einiges darreichen.“ (S. 78f.)
Mit seiner Darstellung berühmter Gelehrter – meist Herrscherinnen, Herrschergattinnen, Fürstinnen, Prinzessinnen (dazu auch Brokmann-Norren, S. 61), seltener auch geistliche Frauen – reiht Meuschen sich ein in die Tradition des barocken Frauenlobs, das weibliche Gelehrsamkeit als Ausnahmefall schätzte und rühmte. Sie äußert sich in Verstandesschärfe, mathematischer Begabung sowie vielfältigen Sprachkenntnissen und kumuliert wiederholt im Wissen nicht nur über die Gegenwart, sondern auch über „(zu)künfftige Dinge“ (S. 1, S. 19).
Zuguterletzt kommt Meuschen „zu unserm Alleredelsten Teutschlande/ einem Lande so sich vor allen andern vieler grund-gelahrten Dames zu rühmen hat“ (S. 79f.; siehe Merkel/Wunder, S. 7, zum patriotischen Impetus des Genres Frauenzimmerlexikon bzw. -katalog). Der verheißungsvollen Ankündigung folgt keine wirklicher Höhepunkt der Darstellung: Meuschens Präsentation der deutschen Damen reduziert sich erneut auf stereotype Nennung und nicht inhaltlich begründete Auslassung etlicher, um seine schmale Sammlung schließlich in ein demütiges Herrscherlob münden zu lassen: „Ich übergehe noch viel andere gelahrte Fürstinnen [...] und eile endlich dieses Durchläuchtigste Theatrum zu schliessen. Und weil bey öffentlichen Schauspielen man in dem letzten Aufzuge die qualificirteste Persohn aufftretten lässet/ will ich auch in dieser letzten Scene noch aufführen die Durchläuchtigste und schönste Princessin Mariam Elisabeth, eine Tochter des höchstseeligsten Christian Albrechts Hertzogen zu Schleßwig-Hollstein/ und Schwester Christian Augusti meines gnädigsten Fürsten und Herrn; eine Princessin wie ich ohne flatterie schreiben kan/ aus deren hellgläntzenden Augen/ nechst der Annehmligkeit/ nichts als Klugheit und grosser Verstand mit hellen Schimmer herfürstrahlet/ und welche in ihren zarten Jahren nebst der Lateinischen Sprache auch die Hebräische […] mit glücklichen und zwar baldigen succes gelernet hat.“ (S. 98-100)
Es folgt ein vierseitiges paginiertes „Register Der Durchläuchtigst-Gelahrten Dames“.
6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
- Bettina Baumgärtel: Zum Bilderstreit um die Frau im 17. Jahrhundert. Inszenierungen französischer Regentinnen, in: Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 2 (1997), S. 147-182
- Christiane Brokmann-Norren: Weibliche Bildung im 18. Jahrhundert: „gelehrtes Frauenzimmer“ und „gefällige Gattin“. Oldenburg 1994, bes. S. 60-63
- J. Franck: Art. „Meuschen: Johann Gerhard“, in: Allgemeine Deutsche Biographie. Hg. durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 56 Bde., Leipzig 1875-1912, Bd. 21 (1885), S. 538f.
- Kerstin Merkel, Heide Wunder: „Das eröffnete Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers“. Dichterinnen, Malerinnen und Mäzeninnen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: dies. (Hg.): Deutsche Frauen der frühen Neuzeit. Darmstadt 2000, S. 71-7
- Nikola Roßbach: „C’est une femme qui parle.“ Das literarische Porträt als Ort femininer Selbstinszenierung im ‚Grand Siècle‘, in: Petra Leutner, Ulrike Erichsen (Hg.): Das verortete Geschlecht. Literarische Räume sexueller und kultureller Differenz. Tübingen: Attempto 2003, S. 155-174
- Nikola Roßbach: Der böse Frau. Wissenspoetik und Geschlecht in der Frühen Neuzeit. Sulzbach/Ts. 2009
- Nikola Roßbach: Theatermetaphorik in Wissenschaft und Wissenschaftstheorie um 1700: Gottfried Wilhelm Leibniz, in: Ariane Martin, Nikola Roßbach (Hg.): Begegnungen: Bühne und Berufe in der Kulturgeschichte des Theaters. Tübingen 2005, S. 15-29
- Nikola Roßbach: Gynaeceum, sive theatrum mulierum. Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern. In: Flemming Schock, Oswald Bauer, Ariane Koller, metaphorik.de (Hg.): Ordnung und Repräsentation von Wissen. Dimensionen der Theatrum-Metapher in der frühen Neuzeit. Hannover: Wehrhahn 2008, S. 151-176 [online: metaphorik.de 14 (2008)]
- Jean M. Woods: Das „Gelahrte Frauenzimmer“ und die deutschen Frauenlexika 1631-1743, in: Sebastian Neumeister, Conrad Wiedemann (Hg.): Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1987, Teil II, S. 577-587
- Jean M. Woods, Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon. Stuttgart 1984