Übersetzung

Rede über die Julische Bibliothek
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Rede über die Julische Bibliothek, mit der Christoph Heidmann, öffentlicher Professor der Beredsamkeit, auf Beschluss des Senates der Akademie dem durchlauchtigsten Fürsten Friedrich Ulrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, für das so bedeutende, seiner Akademie gewährte Geschenk Dank abstattete und in der er sie ausführlich behandelte. Hinzu traten Gedichte einiger hochberühmter Männer über dasselbe Thema.false1

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Justus Lipsius über den lobenswerten Eifer der Fürsten im Aufbau von Bibliotheken

Und dass man solche in vortrefflichen und hohen Plänen bestärkt und anfeuert, gereicht nach meiner Meinung zum allgemeinen Besten. Wie wenige der Großen widmen sich dieser Sache! Wie scheint alles in frühere Verächtlichkeit und Dunkelheit zurückzufallen!false2

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Dem Durchlauchtigen Fürsten und Herrn Friedrich Ulrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, meinem gnädigsten Herrn.

Durchlauchtigster Fürst, gnädigster Herr, von den Tugenden, die euch, die ihr von so hoher Abstammung seid und eurer Leben ständig in der herrscherlichen Höhe und im Glanze verbringt, allen empfehlen, verehrungswürdig, ja beinahe unsterblich machen, ist die Großzügigkeit als nicht die geringste zu achten. Wer sie in höchstem Maße übt, nähert sich eben so in höchstem Maße der Vortrefflichkeit der göttlichen Güte an. Mag es auch billig sein, dass alle Menschen nach ihrem Stand handeln, so ziemt es doch niemandem mehr als denen, die bestrebt sind die übrigen Sterblichen zu übertreffen. Zu diesen zählt ihr, ihr Fürsten, und deswegen seid ihr glücklich vor den meisten anderen. Was nämlich viele oft vergeblich wünschen, das könnt ihr mühelos vollbringen, dass ihr euch um möglichst viele höchst verdient macht und eurer Obhut anvertraute Völker nicht nur vor vielen Widrigkeiten unversehrt bewahrt - wie es einem Menschen in diesem Leben nicht besser widerfahren kann -, sondern dass ihr diese glücklich macht, soweit es jedenfalls mit dem Elend dieses Lebens vereinbar ist. Freilich, damit man öffentlich und privat ehrenvoll lebt,

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damit die Gerechtigkeit vor Gericht, die Klugheit im Rat, die Frömmigkeit in den Kirchen und Privathäusern, damit die freien Künste und hohen Studien in den Schulen gedeihen, aufblühen und tagtäglich sich mehren, damit die Bescheidenheit, die Genügsamkeit, der Gleichmut und der Anstand, schließlich die guten Sitten von allen gepflegt werden, damit alle ihre Pflicht erfüllen, damit Habgier, Luxus, Feigheit, Ehrsucht und schändliche Begierden, die fürchterlichsten und immer wieder kehrenden Krankheiten des Herzens und des Staates
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ausgemerzt oder gleichsam mit der scharfen Sichel eurer verlässlichen Strenge abgeschnitten werden, eben diese und dieserart Dinge, so meine ich, könnt ihr, dem vom Schöpfer und Lenker dieses Ganzen jener Anteil anvertraut wurde, in der Form schönster Werke und hochbedeutender Wohltaten den Geschlechtern, Völkern und Nationen weitergeben. Wie sehr entspricht es eurem Stand, wie herausragend ist eure Gabe, Kriege, und was mit Ihnen fast immer verbunden ist, die Verwüstung von Landschaften und die Not von Armen und Unschuldigen oder sogar ihren Untergang, soweit es möglich ist, vorausschauend zu meiden und abzuwenden, oder wenn ein solches Unheil ausgebrochen ist, ihm schnellstmöglich mit den dafür am besten geeigneten Mitteln Einhalt zu gebieten! Wenn dagegen Eintracht und Frieden geschlossen sind, sie zu festigen und zu schützen, oder wenn sie gestört sind, sie wiederherzustellen und neu zu schließen! Sicherlich sind das geradezu göttliche Verdienste um die Menschheit und sie zeigen klar, dass ihr billigerweise der wirkliche und rechtmäßige Statthalter jener ewigen und wohltätigen Macht seid. Denn jene sorgt für alle gleichermaßen, ihr für die meisten. Daher erwerbt ihr euch auch wahrhaftiges, großes, beständiges Lob, das jenem, welches wir Gott zollen, am nächsten steht. Wie dieser niemals genug von uns gelobt werden kann, selbst wenn wir es wollten, so könnt auch ihr kaum genug gelobt werden,
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die ihr euch so, wie ich es gesagt habe, um eure Völker verdient gemacht habt oder entschlossen seid, euch um sie verdient zu machen. Ihr erweckt einzigartige Verehrung für euch in den Herzen aller Einsichtigen und vermittelt sie an die ganze Nachwelt. Wer nämlich von uns verehrt nicht im Stillen die wohltätigen Helden, wann und wo auch immer sie gelebt haben mögen, von deren Ruhm wir über Mittelsmänner erfahren haben? Um nicht von anderen zu reden, wer verehrt nicht bis auf den heutigen Tag in dieser Weise Euren Großvater, den göttlichen Julius, wer Euren Vater, den göttlichen Heinrich Julius, beide große, weise und vor allem gütige Fürsten? Diese haben sich um uns, also um ihre Mitbürger, in ausgezeichnter, ja sogar göttlicher Weise dadurch verdient gemacht - um von ihren sonstigen zahlreichen und bedeutenden Wohltaten ihren Untertanen gegenüber zu schweigen -, dass sie diese Universität vor 46 Jahren gegründet und seither bewahrt haben. Aus ihr sind derweil der Kirche und dem ganzen Staat reiche Früchte erwachsen, so dass nicht nur wir, denen jenes Geschenk allem Anschein nach eigentlich gelten konnte, sondern auch unzählige andere Menschen sich deswegen mit Recht
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freuen und beglückwünschen und diesen beiden heldenhaften Herrschern unsterblichen Dank wissen. Und gewiss kann es nicht sein, dass nur diese eine Form der königlichen Wohltätigkeit, die an sich schon hochberühmten Namen dieser Heroen auf immer dem Unrecht des Vergessens und dem Zahn der Zeit entreißt. Auch Eure Güte, durchlauchtigster Fürst, wird nicht im Dunkeln bleiben, solange sich Menschen daran erinnern, mit welcher Zuneigung Ihr Euch bisher Eurer vom Vater und Großvater ererbten Universität angenommen habt und bis auf den heutigen Tage annehmt. Weder die hiesigen noch die auswärtigen können umhin sich daran zu erinnern, wann immer sie Eure Julische Bibliothek in
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diesem neuen Juleumfalse3 - das die Verehrer der freien Künste und der Weisheit Eurem Vater verdanken - sehen. An dem Tag, an dem Ihr sie der Universität zum Nutzen und Gebrauch überlassen habt, habt Ihr nicht nur uns, sondern mehr noch Eurem erlauchten Namen und Ruhm gedient. Diejenigen, die Eurer Geschenk nutzen, werden es später rühmen, die meisten aber, die es nur betrachten, werden es bewundern. Vor drei Jahren habe ich auf Geheiß des Senats der Universität jene königliche Großzügigkeit in einer öffentlichen Rede vor einer recht zahlreichen akademischen Versammlung in aller Bescheidenheit, so gut ich konnte, zu preisen und Eurer Güte in unser aller Namen zu danken gesucht, auch wenn Ihr dies, wie ich meine, weder wünschtest noch erwartetet. Wie dies einem königlichen Sinn, also einem hohen und erhabenen, ziemt, so ist es freilich an uns, nicht zu vernachlässigen, was solchen Verdiensten gebührt. Diese Rede, wie auch immer sie geartet sein mag, hielt ich bis jetzt bei mir verborgen, weil niemand, wie ich jedenfalls dachte, nach ihr verlangte. Jetzt, da ich einsehe, dass es einflussreichen und klugen Männern gefällt, habe ich mich nicht lange bitten lassen, ihrer Veröffentlichung zuzustimmen. Wenn sie zu wenig beredt und ausgeschmückt ist, welcherart die meinige ist, wie ich wohl weiß und nicht bestreite, vertraue ich dennoch darauf, dass sie bei den Lesern jetzt und in Zukunft Zeugnis ablegen kann für meine Erkenntlichkeit, Dankbarkeit und Verbundenheit, d.h. meine Ergebenheit eurer erlauchten Familie gegenüber sowie meinem großen Eifer für diese eure Universität: wenn sie denn so geschrieben ist, dass sie die Zeiten überdauern kann.
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Dies wünsche ich mir auch aus dem Grund, dass hernach auch für die meisten feststeht, dass ich mit meinem Lob auf dich und Eure
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Vorfahren, denen ich so viel schulde, wie ich zu keiner Zeit leichthin erstatten kann, wenigstens auf irgendeine Weise dienen und Euren Sinn, wie es schicklich und recht ist, preisen wollte. Mit diesem Entschluss wollte ich diese Rede Eurer Durchlauchtigsten Hoheit, der sie einzig gebührt, zuschreiben, widmen und weihen, selbst wenn sie Ihrer Hoheit und Ihrem Glanz keineswegs würdig und angesichts dieser herausragenden Freigiebigkeit in keiner Hinsicht angemessen ist. Wenn aber jemand mein Handeln der Unwissenheit oder Leichtfertigkeit anlasten wollte, dann möge er sich dessen erinnern, dass vom Menschengeschlecht auch dem unsterblichen Gott und denen, die ihm auf Grund der Größe ihrer Wohltaten am nächsten stehen, meistens nicht dies dargebracht zu werden pflegt, was ihnen eigentlich zukommt, sondern was ein jeder nach seiner Befähigung und seinem Vermögen vermag. Dich jedoch, Durchlauchtigster Fürst, bitte ich mit der dir schuldigen Untertänigkeit zu erlauben, dass ich die mir auferlegte Aufgabe aufrechten und pflichtbewussten Sinnes erfülle, auch wenn mein Können ihr nicht an jeder Stelle gerecht wird. Dann bitte ich, dass Ihr diese Eure Julische Universität, die Zierde und das Schmuckstück dieser Lande, gleichsam eine Quelle des Gemeinwohls oder ein lieblicher und vor allem fruchtbarer Garten, nach dem Vorbild deines Vaters und Großvater auch weiterhin in Eure Obhut nehmt und dafür Sorge tragt, dass nicht in dieser schweren Zeit, um nicht von ihrer Unbill zu reden, ein so preiswürdiges Werk Eurer altvorderen Vorfahren Schaden nehme.false4 Wie ich hoffe, werdet Ihr nicht zögern auch mich, wenn ich nicht gänzlich unwürdig bin, Euch dies zu bitten, mit einem Anhauch oder einem Strahl Eurer Gunst zu beglücken. Lebe wohl, Durchlauchtigster Fürst, und fahre fort unter dem Schutz des Königs der Könige,
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mit Euren heilsamen Ratschlüssen die Angelegenheiten des Vaterlandes, die durch die Schuld einiger auf Schwerste durcheinander gebracht und in Mitleidenschaft gezogen wurden, glücklich zu richten und zu festigen. So werden das Vaterland selbst und alle Guten in ihm durch Eurer Werk wieder Hoffnung schöpfen und diese so bedeutende Wohltat wird mit dem ewigen Ruhm Eures Namens im Gedächtnis aller weiterleben.

Dargereicht in Eurer berühmten Julischen Universität, 27. Mai 1622.
Eurer Durchlauchtigen Hoheit ergebenster Christoph Heidmann, Professor der Beredsamkeit.
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Rede über die Julische Bibliothek

Der allmächtige Gott möge es zum Guten wenden, dass es uns allen, Eure Magnifizienz, Herr Prorektor, ehrwürdige, hochgelehrte und berühmte Herren, Studenten der vortrefflichsten Künste und auch allen anderen Menschen zum Wohle gereichen werde, dass ihr die berühmte Julische Bibliothek seht, die ihr wolltet und nun betrachten könnt, die Bibliothek, die bisher am Hof der Welfen aufbewahrt, dann aber in den vorangegangenen Monaten auf Befehl unseres erlauchtesten Fürsten hierher überführt und heute hier an jenem Standort und in einem eigenen Domizil wohlgeordnet aufgestellt wurde.false5 Wie viel Freude ihr Herren Professoren daraus jetzt schöpft, als auch künftig schöpfen werdet, kann nur der wissen, der vor Augen hat, wie sehr es euch nach ihr verlangte. Sie ist nicht nur mit stummen Wünschen, sondern auch mit deutlichen Worten und zahlreichen Briefen fast schon gefordert worden, von denen, die, wie wie man meinte, die Wünsche aller, und zwar die ehrenwertesten, unterstützen können. Denn je länger ihr ihrer entbehrtet und je häufiger ihr sie zu gebrauchen und nutzen wünschtet, mit desto größerem Eifer betrachtet ihr sie jetzt, nachdem sie hier angekommen ist und in die Bücherschränke eingestellt wurde. Ja, noch begieriger werdet ihr sie mustern und die Werke der Gelehrten und Weisen mit verlangenden Augen, Händen, Herz und

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Verstand in Besitz nehmen wollen, wenn ich mich nicht täusche. Dies könnt ihr freilich nicht tun, ohne selbst von echter Freude erfüllt zu werden, und ihr könnt nicht die Julische Universität und die, die hernach darin leben werden, zu dieser glanzvollen Zierde, zu diesem ebenso notwendigen wie edlen Werkzeug schweigend beglückwünschen und werdet schließlich dem Geber eines so bedeutenden Geschenkes, dem erlauchtesten Fürsten, Friedrich Ulrich, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, unserem allergnädigsten Herrn, dafür unsterblichen Dank abstatten. Um auch in dieser Hinsicht nicht geringer als sein Vater und Großvater, diese überaus weisen und großartigen Heroen, zu erscheinen, wollte er eine
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Wohltat auf die Universität übertragen, die ewig Bestand haben und die für alle Nachwelt Zeugnis ablegen sollte von seiner Zuneigung zu den Gelehrten und zur Förderung der Wissenschaft. Er erinnerte sich daran, dass diese Universität von seinem Großvater, dem göttlichen Julius, gegründet und mit seinem ehrhabenen und in der ganzen Welt berühmten Namen versehen ward. Er sah, dass sie von seinem Vater, dem göttlichen Heinrich Julius, einem in unserem Zeitalter ganz und gar unvergleichlichen Fürsten, nicht nur erhalten, sondern auch vermehrt und vergrößert wurde, indem sie vor allem durch einen Tempel der Weiheit geschmückt wurde. Da beschloss er, es ihnen gleichzutun und in einen höchst ehrenvollen Wettstreit einzutreten. Nicht nur, weil er sah, dass dies ihm und jenen zum ewigen Ruhme gereichen, sondern weil
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er erkannte, dass es überreiche Früchte für die Kirche, die Schulen, den Staat und das ganze Vaterland tragen werde. Er war nämlich wie jene davon überzeugt, dass die Universität gleichsam ein Garten des gemeinen Nutzens und ein Quell des öffentlichen Wohls sei. Daher hatte er nicht so sehr seinen eigenen Ruhm als vielmehr den größtmöglichen Vorteil der seinem Schutz und seiner Obhut anvertrauten Bürger, Völker und auch der meisten anderen im Blick, als er diese Universität mit diesem höchst ansehnlichen Geschenk ausstattette, etwas, was sein Vater, Großvater oder weise und den Ihren liebevoll zugetane Fürsten ebenso getan hätten. Wie sie den rechten und gedeihlichen Plan fassten, diese Julische Universität zu gründen, zu hegen, auszustatten und zu erweitern, davon legt die Sache selbst beredt Zeugnis ab. Denn in dreiundvierzig Jahrenfalse6 , in denen diese Heimstatt der Musen am Elm blühte, gingen unzählige Männer, herausragend an Gelehrsamkeit und Tugend, wie aus einem Trojanischen Pferd hervor, die in Kirchen, Schulen und verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens zu Führungspositionen aufstiegen und bis heute aufsteigen. Darüber dürfte nun genug geredet sein, es kann nämlich für den Moment nicht eingehender erläutert werden, und ich könnte dies vielleicht nicht tun, ohne den Verdacht der Prahlerei zu erregen. Es liegt ja auch so auf der Hand und niemand wird es, selbst wenn er übel will, leugenfalse7 ,
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dass der Nutzen dieses ehrenvollen Beschlusses bis heute für unsere Fürsten
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deutlich feststeht. Und auch ihr Lobpreis wird niemals enden können, obwohl sie, wovon man sich leicht überzeugen kann, nicht diesen, sondern das Gemeinwohl vor Augen hatten. So lebt auch jetzt der Ruhm des göttlichen Julius fort und wird für ewig fortleben. An seine Verdienste um Kirche und Staat denkt heute niemand, ohne die von ihm gegründete und nach ihm benannte Universität mitzudenken, an der er sich, wie wir hörten, zu erfreuen und auf die er stolz zu sein pflegte. So lebt auch jetzt und wird in Ewigkeit leben, der Name und der Ruhm Heinrich Julius', des hochherzigen und weisen Heroen. Und dies haftet nicht nur in unserem Gedächtnis und unseren Gedanken, sondern liegt auch vor unseren Augen und Sinnen, und wird auch der ganzen Nachwelt vor Augen und Sinnen liegen, solange dieser Prachtbau, das neue Juleum, eine Schule der Gelehrsamkeit, der Beredsamkeit, der Tugend, der Klugheit und aller lobenswerten Künste diese Stadt mit Glanz erfüllt. Mit deren Lob wird die Erinnerung an Friedrich Ulrich leben und im gleichen Grade zur Unsterblichkeit voranschreiten. Und keine Zeitdauer wird sie jemals verdunkeln oder über sie die Nacht des Vergessenes breiten können, solange es Menschen gibt, die sich daran erinnern und, was dankbaren Menschen eigentümlich ist, diese Wohltat, von der wir gerade handeln, von Herzen preisen. Indessen kann es an solchen, solange die Wissenschaften gepflegt werden und die Bibliothek benutzt wird, nicht fehlen. Ja diese selbst wird, selbst wenn alle verstummen, was
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aber meiner Meinung nach nicht geschehen kann, ja diese Bibliotheca Julia wird, solange sie in diesem ihrem Heiligtum zu sehen ist, nicht zulassen, dass die Wohltätigkeit unseres Fürsten unerkannt bleibt. Wie nämlich der Name selbst der Julischen Akademie, von ihrem Gründer, dem göttlichen Julius, wie der Anblick dieser heiligen Halle von seinem Vater, dem göttlichen Heinrich Julius, so wird auch die Bibliotheca Julia, die in diesem Musentempel dem öffentlichen Nutzen geweiht ist, wiewohl schweigend, allen, die sie mit eigenen Augen betrachtet haben, vom Urheber dieser Gabe, Friedrich Ulrich, künden. Und sie wird von seiner Freigiebigkeit für die Wissenschaft, von seinem Wohlwollen für seine Universität und ihre Angehörigen, von seinem eifrigen Bemühen um den Staat und das Vaterland in aller Klarheit sprechen. Für euch nämlich, akademische Väter, und durch euch für die Jugend, die sich um die schönen Künste bemühen, und für viele andere, ja für unseres ganzes Vaterland sollte sie nach dem Willen unseres besten Fürsten Früchte tragen. Aus diesem Grund hat er diese Büchermenge, die zuerst sein Großvater nicht nur aus seinen Ländern zusammengeführt, sondern von überall her, auch von weit verstreuten Orten zusammengetragen hat, die daraufhin der Vater ob seines hohen und wahrlich königlichen Sinnes auf wundersame Art und Weise um kostbarste Bücher und um anderen einer solchen Bibliothek würdigen Schmuck vermehrt hat, vollständig dieser seiner Universität zu Nutzen und Frommen übereignet. Bei welcher Gelegenheit, zu welcher Zeit und auf wessen Initiative es erwirkt, versprochen und endlich auch vollendet
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wurde, ist niemandem von euch, ihr hochberühmten Männer, unbekannt. Denn obwohl unser hochgebildeter Fürst schon früher immer mit ganzem Herzen dieser seiner Umiversität zugetan war und dies nicht nur einmal und im Verborgen gezeigt hatte, brachte er es vor fünf Jahren, wenige Tage nachdem er Anna Sophia, die Tochter des Brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund, von den besten Wünsche unsererseits und aller Guten begleitet, geehelicht hattefalse8 , so deutlich zum Ausdruck, dass meines Erachtens niemand mehr daran zweifeln konnte. Denn um jetzt nichts von anderen, und zwar keineswegs zweifelhaften Anzeichen seiner Freigiebigkeit uns gegenüber zu sprechen, was ich gewiss könnte und vielleicht müsste, so kann und darf ich doch jenes eine nicht stillschweigend übergehen, um dessentwillen ich diese Rede übernommen und mir zurechtgelegt habe. Da er nämlich zu der Zeit, die ich schon angedeutet habe, in diese Stadt eingezogen war und zu seinem Mahl, wie es bei unseren allerbesten und hochgebildeten Fürsten Sitte ist, viele von euch, akademische Väter, eingeladen hatte, näherte er sich euch mit vollkommener Leutseligkeit, wie wir wissen. In zahlreichen und mannigfaltigen Gesprächen, durchaus auch ernsten, die teils der Fürst, teils die Neuvermählte, teils seine durchlauchtigste Mutter geführt haben, - diese waren nämlich damals hierher gekommen, um, wie ich glaube, bei dieser Gelegenheit
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die durch ihre Universität berühmte Stadt zu sehen - wurde hier von dir, Cornelius Martinus, verehrungswürdiger Kollege und
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Freund, wie ich tags darauf von anderen, wenig später aber von dir selbst hörte, gelegenerweise die Rede auf die Bibliothek gebracht. Als nämlich das von den fürstlichen Personen begonnene Gespräch eine willkommende Gelegenheit bot, sagtest Du, dass die Julische Universität bislang eines ausgesprochen notwendigen Werkzeuges entbehre, nämlich einer Bibliothek, mit der sie der allerbeste Fürst jedoch mühelos beglücken könne, wo er doch eine solche verschlossen und so gut wie zu niemandes Nutzen an seinem Hof habe. Da du dies mit gewichtigen, aus der Sache selbst und aus dem gegenwärtigen Geschäft abgeleiteten Gründen darlegtest, bewegtest Du leicht mit der dir eigenen Redegabe den Sinne des gnädigen und dieser seiner Universität zugeneigten Fürsten dazu, dass er ihr dies bereitwilligst zugestehe, von dem er einsah, dass sie es nicht ohne großen Nachteil und Schaden für viele entbehren könne und dürfe. Das war für dich im Ganzen leichter zu erreichen, als für irgend jemanden unseres Standes, weil du dem der Bildung zugetanen Fürsten nicht weniger lieb bist wegen deiner Bildung, deiner Lauterkeit und deiner Verdienste um diese unsere Julia, als du es dem großen Heroen warst, dem genauesten und gerechtesten Kenner menschlicher Begabungen, Heinrich Julius, dem du, wie wir wissen, immer besonders teuer warst. Er hat nicht gelitten, dass seine Großzügigkeit, die er keinem, bisweilen nicht einmal den Unwürdigen verweigert hatte,
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und die ihm, wie er leicht erkannte, durch die Stimme der Universität entlockt wurde, umsonst angerufen oder zu lange ersehnt werde. Sogleich nämlich hat er wider Erwarten, wie ich für meinen Teil glaube, gesagt, dass er seine Bibliothek dieser Julischen Universität, die ebenfalls die seine ist, überlasse, damit ihr nichts an ihrer Ausstattung fehle. Und dies hat er am Folgetag, als er schon von hier aufbrach, eben dir, dem er es tags zuvor versprochen hatte, von sich aus nochmals vor zahlreichen Zuhörern bestätigt. Wenn ich hier sage, dass durch dieses hochherzige Versprechen sowohl du, der du dies erwirktest, als auch wir alle, die wir, wie es billig ist, diese Universität so gut wie möglich ausgestattet wissen wollen, ja sicher wollen müssen, in Kenntnis dieser Sache von Freude durchströmt sind, dann ist das sicher nichts Falsches; aber
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damit würde ich gewiss viel weniger sagen, als ich sollte. Denn was wir alle schon zuvor sehnlichst gewünscht hatten, was, wie manche mutmaßten, dass eines Tages geschehen könne und werde, an dessen Verwirklichung aber einige verzweifelten und das auch vor sich hertrugen und öffentlich verkündeten, was aber nur wenige von uns hofften, dies sahen wir alle an jenem Tage erreicht. Wir freuten uns daher über alle Maßen, besonders beglückwünschten wir unsere Universität, jeder nach seinem Sinn und Vermögen. Auch der Großzügigkeit des Fürsten galt der stille Dank in unserem Herzen. Und nicht nur wir, sondern auch die meisten unserer Studenten freuten sich über das erhabene Geschenk, denn schnell hatte sich die freudige,
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allen so hochwillkommene Kunde über die lobenswerte Gabe des Fürsten verbreitet. Und als selbst da einige kleinmütige Menschen, um nicht zu sagen solche, die von unserem Fürsten unangemessen dachten, noch zu zweifeln, zu zaudern, zu zögern, und ich weiss nicht was zu argwöhnen schienen hinsichtlich der Gesinnung einiger Leute uns gegenüber, da zerstreute der Fürst gleichsam auf göttliche Eingebung alle Zweifel und brachte alle kritischen Stimmen zum Schweigen. Durch einen Brief an den Senat der Universitätfalse9 versprach er der ganzen Universität öffentlich, zu was er sich privat einzig dem Cornelius gegenüber verpflchtet hatte. Und er bezeichnete, wie es ihm richtig dünkte, die Personen, durch die sie übergeben werden sollte und die sie einer Prüfung unterziehen solltenfalse10 . Später kamen einige Zeitumstände und Geschäfte dazwischen, die die Übergabe länger, als es uns lieb sein konnte, verzögerten. In der Zwischenzeit zweifelten wir nicht am gegebenen Versprechen, ebenso hielt auch der Fürst selbst an seinem Versprechen fest. Er wiederholte in der Folge sein Versprechen mehrfach und bekräftigte, dass die Bibliothek überführt werde, sobald es geschehen könne und angesichts anderer gewichtiger Geschäfte möglich sei. Dass es so kam, wisst ihr alle. Denn im Oktober des vergangenen Jahres wurden wir brieflich durch die Räte zu einem festgelegten Termin an den Hof gerufen,
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und wir wurden von der Universität geschickt,
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um die Bibliothek von denen in Empfang zu nehmen, denen es der Fürst aufgetragen hatte. Dabei glauben wir so sorgfältig vorgegangen zu sein, dass es die Universität nicht gereuen muss. Die Übergabe begann am 20. Oktoberfalse11 und nahm beinahe die folgenden 10 Tage in Anspruch. Begleitet wurde sie durch die berühmten und erfahrenen Männer, Joannes Peparinus, Doktor beider Rechte und langjähriger welfischer Hofrat, und Theodor Bloccius, Kammersekretär des Fürsten. Von ihnen ist jener nicht so sehr durch den Titel des Rechtsgelehrten und seine Hofratswürde, als vielmehr durch seinen Eifer für die freie und schöne Kunst und seine Ergebenheit für unseren Fürsten bekannt. Er hat ihn nämlich als jungen Mann in früheren Jahren auf Geheiß des heroischen Heinrich Julius, dem er sich und seine Beflissenheit nachdrücklich empfohlen hatte, mit Eifer zur Tugend und zu jeder Art der Pflichterfüllung eines guten Fürsten erzogen, was man nicht verschweigen darf und nicht den geringsten Teil seines Ruhmes ausmacht, zumal er dieses Amt nicht zu Hause versah, sondern ihm durch Deutschland, Frankreich, England und die Niederlande gefolgt ist und nicht nur die Anstrengungen mit Gleichmut ertrug, sondern bisweilen sich auch nicht scheute, Mißfallen auf sich zu ziehen, wenn er denn damit den Fürsten für das Vaterland so formte, wie es ihn brauchte und wünschte. Diesem Mann also und dem Theodor Bloccius hatte unser Fürst den Auftrag erteilt,
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die Übergabe seiner Bibliothek an die Julische Akademie zu regeln. Ihr uns entgegen gebrachtes Wohlwollen und ihren außerordentlichen Eifer - auch wenn er vorher keineswegs im Dunkeln lag - haben wir damals und bei dieser Aufgabe so deutlich wahrgenommen, dass wir bei anderen den Anschein der Unbilligkeit und Undankbarkeit erwecken könnten, wenn wir es nicht bei dieser gebotenen Gelegenheit bekunden wollten. Ich jedenfalls freue mich über die sich hier bietende Gelegenheit, ihnen wenigstens irgendwie Dank abstatten zu können, und zwar von dieser Stelle aus. Es scheint nun aber das Nächstliegende, dass ich euch, geneigte Zuhörer, die Bibliothek mit dieser Rede gleichsam eröffne, denn das erwarten zweifellos die meisten von euch, die ihr als Heranwachsende die besten Künste mit Eifer studiert. So nämlich könnt auch ihr selbst erfahren und beurteilen, welch bedeutendes,
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welch erhabenes, welch wahrhaft königliches Geschenk die Julische Akademie von ihrem durchlauchtigsten Fürsten und Ernährer heute empfangen hat. Dies ein wenig sorgfältiger und genauer darzulegen würde mir nicht beschwerlich fallen, wenn nicht die Zeit dafür zu knapp und alles für diesen Zweck sorgfältiger zu entfalten wäre. Dies jedoch kann ich wahrlich sagen und darüber wird meines Erachtens niemand im Zweifel sein, dass das, was andere Bibliotheken schmückt und empfiehlt, auch dieser unserer entweder größtenteils zu Verfügung steht oder sicherlich nicht viel
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zu wünschen übrig lässt. Manches ist ihr sogar zu eigen, was man vielleicht bei den meisten, zumindest aber bei manch anderen vergeblich sucht. Es gibt nämlich, verehrte Zuhörer, in der Tat in dieser Bbliotheca Julia, die ihr vor Augen habt, nicht nur bekannte Bücher aller Disziplinen, über die, wie ich denke, ich jetzt nichts sagen muss, weil es bereits so viele Lobreden über sie von hochgelehrten Männern gibt, sondern auch sehr viele seltene Bücher, die nicht jedem, der in der Wissenschaft nur halbwegs bewandert ist, bekannt oder zu Gesicht gekommen sind. Diese sind teils jünger oder neu, teils auch derart, dass ihr Alter sie empfiehlt: die meisten sind, wie zu erwarten, gedruckt, einige jedoch auch handgeschrieben. Und sie sind, wie wir hoffen (denn es war bislang nicht möglich, sie hinreichend zu erforschen), nicht von schlechtester Qualität. Unter diesen Handschriften bilden nach meiner Einschätzung drei Rollen eine Familie, die das göttliche Gesetz enthalten und in hebräischer Schrift auf Pergament geschrieben sind. Ein kleiner Zettel, der einer von ihnen beigefügt ist, bezeugt, dass vor einigen Jahren einige Juden bereit gewesen wären, sie für viel Geld zurück zu kaufen, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten. false12 Es gibt auch Bücher in anderen Sprachen, besonders den orientalischen. Es gibt auch in alten und fremdartigen Schriften verfertigte Tafeln, die denen, die sich dafür interessieren, wie ich denke, Vergnügen bereiten werden. Besonders sehenswert scheinen mir jene beiden prächtigen und schön anzuschauenden Globen,
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wetteifernd mit diesem Universum. Auf einem von diesen sind der Himmel selbst, die Lage der Sterne und die verschiedenen Sternbilder, auf dem anderen die Länder, Meere, Flüsse, Inseln, Berge,
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und dieserlei dargestellt, und man kann verschiedene andere oftmals zu bestaunende Teile der Natur gleichsam aus der Nähe betrachten. Diese beiden Globen scheinen mir nicht nur aufgrund ihrer Größe und Schönheit, hinsichtlich derer sie anderen vielleicht noch existierenden von dieser Art nicht nachstehen, sondern deswegen bewundernswert, weil sie nicht wie die meisten mit Kupferplatten auf Papier gedruckt, sondern mit unglaublicher Mühe, wie jeder leicht sehen kann, in Handarbeit gezeichnet wurden. Daher nimmt es nicht wunder, dass sie für viel Geld von unserem Heroen, dem prächtigen Herzog Heinrich Julius, vor einigen Jahren in Prag zur ewigen Zierde seiner herrlichen Bibliothek gekauft und an den Hof geschickt wurden. Durch dieserart Schmuck oder Ausstattung überragt unsere Bibliothek die meisten anderen oder steht ihnen gewiss nicht nach. Auch weiß ich, dass dies sicher von mir gesagt werden kann, dass in dieser Bibliothek die Liebhaber aller Literatur, aller Künste und Wissenschaften dasjenige finden werden, was einem jeden in seinem Vorhaben nicht wenig nützt. Hier haben die Vertreter der Philosphie und alle ihre Fachrichtungen und Untergliederungen Gelegenheit zu lernen und Fortschritte zu machen. Das haben auch die Vertreter der Medizin und der Rechtswissenschaft, und letztere haben bei weitem
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die größte Fülle an den besten Büchern ihres Fachs. Die Theologen schließlich haben überaus herrliche und glanzvolle Denkmäler ihrer erhabenen und göttlichen Wissenschaft. Jeder schließlich, der sich darum bemüht, sein Herz mit wissenschaftlicher Bildung zu füllen oder seinen Geist durch Streben nach Tugend für ein ehrenhaftes Leben zu rüsten oder sich Wissen aus der Kenntnis der politischen Verhältnisse anzueignen, der sich durch Wissenschaft und die Herrin aller Dinge, die Weisheit, auszeichnen oder seinen Ausdruck durch erlesene Rede verfeinern will, wird im diesem, euch vor Augen stehenden Heiligtum der Musen, der Bildung und Wissenschaft reichlich Hilfe finden. Denn die Bibliothek ist gut ausgestattet, wie jeder von uns weiß, ein universelles Werkzeug für alle Gelehrten. Daher kann die Akademie ihrer nicht ohne großen Schaden entbehren, wie ein Haushalt des Geschirrs, wie ein Schiff der Ausrüstung,
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wie ein Heer der Waffen, wie endlich jeder Künstler, der ein bedeutendes Werk schaffen will, geeigneter Werkzeuge nicht entbehren kann. Weil unser hochgelehrter Fürst das klar erkannte, stattete er uns bereitwillig aus mit dieser Bücherfülle, von der ich sprach. Wer auch immer sich dieses glänzenden Hilfsmittels jetzt oder künftig bedienen wird, um sich jene göttlichen Güter des Geistes zu verschaffen, wird nicht umhin können, den Sinn unserer Fürsten
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im Stillen zu bewundern, von denen ein so umfängliches, mannigfaltiges, edles Werkzeug von Büchern aller Art gesammelt und mit großem Aufwand an einem Ort zusammengeführt worden ist. Und ihnen, deren Größzügigkeit sie ihre Bildung verdanken, werden sie bei sich und bei anderen übergroßen und unsterblichen Dank abstatten. Wenn sich hier jemand wundert, was die Ursache dafür war, dass unsere Fürsten, die doch durch andere Sorgen und schwerwiegende Geschäfte, wie wohl jeder leicht einsieht, in Anspruch genommen sind, den Vorsatz fassten, eine so bedeutende Fülle der besten Bücher zu sammeln, dann gibt er eben dadurch zu erkennen, dass er noch nicht hinlänglich über ihre Geisteshaltung im Bilde ist. Denn sie hielten nicht, wie einst Kaiser Liciniusfalse13 , die Literatur für ein Gift und eine öffentliche Seuche. Und sie ähnelten nicht Caracalla,false14 der keinen guten Gedanken fasste, denn das hatte er nicht gelernt, wie er nach Cassius Dio selbst bekannte.false15 Denn von diesen unterschieden sich unsere Heroen ganz und gar in Gesinnung, Sprache, Sitte und Grundsätzen. Sie stimmen überein mit dem Urteil eines bedeutend besseren und klügeren Königs, der sagte, dass die Stimme eines Ochsen und nicht eines Menschen spreche, wenn manche die Wissenschaft verachteten und nicht eines Fürsten für würdig hielten. Weil sie davon überzeugt waren, was bei Vegetius geschrieben ist, einem seinerzeit nicht unverständigen Autor: dass es niemanden gebe, dem es besser anstehe, entweder besser
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oder mehr zu wissen, als den Fürsten, dessen Gelehrsamkeit allen Untergebenen nützen kann
false16 (man darf zurecht hinzufügen "muss"), deshalb eigneten sie sich die schöne Literatur und heilsame Lehre nicht oberflächlich an. Außerdem wussten sie sehr wohl, dass, wenn schon einst die großen und herausragenden Könige selbst auf die Pflege der Wissenschaften
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viel Zeit und Mühen verwandten, auch die Heerführer und bedeutenen Feldherren sich meist durch das Lob der Bildung oder selbst durch Bildung auszeichneten oder Männer von höherer Bildung und Wissenschaft nicht nur zu Hause, sondern auch auf Kriegszügen in der Ferne um sich hatten und so vertraut mit ihnen waren, dass sie einige von ihnen beinahe in ihre Hausgemeinschaft aufnahmen. Denn sie konnten nicht verkennen, dass diejenigen Bücher nötig haben, die sich an diesen Studien erfreuen, was sogar das ungebildete Volk genau weiß. Hinzu kommt, dass sie die treuesten und freimütigsten Ratgeber sind und nicht um einer Gunst willen etwas verschweigen oder verhehlen oder vortäuschen, weder dem Hass, noch der Liebe, noch der Missgunst, noch der Furcht oder irgendeinem anderen Affekt unterworfen sind, eine Lehre, die man auch aus den Mahnungen des Demetrius Phalereus, eines höchst klugen Mannes, der einst die Geschicke Athens lenkte, ziehen kann: Dieser nämlich pflegte den König Ptolemäus von Ägypten, zu dem er geflohen war, vertrieben von der undankbaren Vaterstadt,zu ermahnen, die Schriften kluger Autoren über die Ausübung der Herrschaft
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gründlich zu lesen. Denn in ihnen werde er finden, was zu tun nötig sei, um seine erhabene Aufgabe in jeder Hinsicht vollkommener zu erfüllen. Denn dies würden die Ratgeber aus Furcht oft nicht frei auszusprechen wagen.
Dies hatten unsere Fürsten in ihrer Jugend von denen, die sie mit Eifer erzogen, oft (wer würde es bezweifeln?) gehört. Und auch dies, dass sie stumme oder tote Lehrer seien, wie bekanntermaßen Bücher nach der Stimme des Orakels genannt werden, und dass sie die besten und treuesten Führer und Ratgeber für ein pflichtgemäßes Leben sind. Und man kann nicht verkennen, dass die Werkzeuge des Friedens einem guten und wohltätigen Fürsten nicht weniger, sondern manchmal vielleicht sogar mehr zur Zierde gereichen, als die des Krieges, da der Krieg um des Friedens willen begonnen und geführt wird und gewiss begonnen und geführt werden muss. Wenn also ein Zeughaus mit allen Arten von Geschossen und Kriegsgerät gefüllt und mit unterschiedlichen Waffen ausgestattet, nicht weniger auf einen vorausschauenden wie tapferen Fürsten schließen lässt - und ihn ebenso furchteinflößend wie
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verehrenswürdig macht, weil es verdeutlicht, dass er im Frieden über die Möglichkeit des Krieges nachdenkt false17 und die dafür notwendige Ausstattung beschafft, dann besteht kein Zweifel, dass auch ein hervorragender Schatz an Büchern, wie er in diesem Saal zu sehen ist, ihn zu einem bewundernswerten Fürsten macht.

Ein Hinweis dafür ist nämlich sein Wissen, dass Waffen klug und gerecht eingesetzt werden müssen; damit dies aber geschehen kann, ist nötig, dass man niemals die Werke der Weisen

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aus den Hände legt. Denn folglich ist so ein Schatz an Büchern wie an Waffen eine Zierde für Könige und Herrscher, da es ihnen gut ansteht nicht nur Diener des Mars, sondern auch Verehrer der Musen zu sein. Und dieser Hof ist glänzend und lobenswert, an dem Pallas in Waffen wohnt. Denn es steht hinlänglich fest, dass dies eine feste Überzeugung nicht weniger Herrscher und sogar der besten Feldherren war. Mit derselben Hand also, mit der sie den Speer schwangen und das Schwert kreisen ließen, griffen sie, sooft es die Mühen und Sorgen des Krieges erlaubten, zu den Büchern, ihrerseits Werkzeuge der Minerva. Ja sogar reiche Könige und wohlhabende Städte, wohl wissend, dass nicht nur Bildung, sondern auch die Kenntnis der Klugheit, Gerechtigkeit und jedweder Tugend von jenen stummen Lehrern in rechter Weise erlangt wird, richteten höchst ansehnliche Bibliotheken ein, zumal die Fürsten erkannten, dass sie den Reichtum, den sie durch göttliche Gabe im Übermaß erlangt haben, nicht leichthin für eine andere Sache ehrenvoller verwenden könnten als auf diese königlichen Gegenstände und Schätze des Königreichs. Denn in der Tat sind ja ihre Schätze gerade die besten und nützlichsten Bücher. Aus diesen können alle Lebensregeln schöpfen, woraus die Bürger den Gehorsam gegen die die Gesetze und die Fürsten das Regieren erlernen können. Niemand möge sich also wundern, dass die Könige Ägyptens und Asiens einst eine so große Anzahl erlesenster Bücher mit großem Eifer und gewaltigem Aufwand
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gesammelt haben. In Alexandria soll die des Philadelphusfalse18 nämlich 700.000 Bände umfasst haben. Und nicht zu Unrecht scheint Livius diese ein herausragendes Werk königlicher Bildung und Fürsorge genannt zu haben, der, wie mich dünkt, von Seneca zu Unrecht dafür kritisiert wurdefalse19 , was ich gesagt haben möchte, ohne diesem überaus weisen Mann zu nahe treten zu wollen, der mir
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und allen Verständigen nicht nur teuer, sondern sogar verehrungswürdig ist. Nicht nämlich zur Zurschaustellung, wie jener sagt, will sie angesehen werden, sondern zum Nutzen der wissbegierigen Menschen und zu vieler Vorteil hatten sie dieses Hilfsmittel der besten Bücher geschaffen. Unter ihnen nehmen die Bände des göttlichen Gesetzes ohne weiteres die erste Stelle ein, die nach dem frommen Geheiß des Königs in die griechische Sprache übersetzt wurdenfalse20 . Aber sie wurde gänzlich, sicher aber zum Großteil, ein Raub der Flammen, als Julius Caesar gegen den letzten König von Ägypten kämpfte. Über diese Katastrophe für die Wissenschaft schreibt Seneca: 40.000 Bücher (400.000, wie manche Gelehrte meinen) verbrannten in Alexandriafalse21 . Und dies war damals die Alexandrinische Bibliothek. Ihre Konkurrentin, die Pergamenische oder Attalische befand sich in Asien, älter als beide aber waren die der Athener und zweifelsohne der anderen Städte Griechenlands und selbst der Könige von Persien. Wer wüsste denn nicht aus der heiligen Schrift, dass auch sie Bücherliebhaber waren? Wir sehen, dass sie diese in schwierigen Geschäften zu konsultieren, Vergangenes zu vergegenwärtigen und die Geschicke des Reiches
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und die Taten der Könige in Erinnerung zu rufen pflegten. Und obwohl er Athen eroberte und niederbrannte, bewahrte Xerxes die Bibliotheken und führte sie mit sich in sein Reich fort. Das hätte er jedenfalls nicht getan, wenn er gemeint hätte, dass Bücher mit ihm, mit dem Erhalt oder der Würde des Königreiches und dem Vorteil seiner Völker nichts oder wenig zu tun hätten. Wir wissen, dass Alexander, der Bezwinger Persiens und des Orients, die Werke herausragender Geister so hoch schätzte, dass er für den durch Edelsteine und Gold kostbaren Schrein, den er unter den Schätzen des besiegten Darius gefunden hatte, als jeder eine andere Verwendung dafür vorschlug, bestimmte, dass er für die Aufbewahrung der göttlichen Gesänge Homers vorzusehen sei. Von dieser Ansicht wichen in der Folge auch die meisten Könige und Fürsten der Griechen nicht ab, so dass es auf der Hand liegt, woher den besagten Königen Asiens und Ägyptens eine so große Bücherliebe erwuchs. Denn sie waren Nachfolger Alexanders und einige trachteten ihn zu übertreffen. Daher schickte der König von Syrien, Seleucus Nicanor, die von Xerxes entführte Bibliothek nach Athen zurück. Und nachdem die Römer feinere
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Bildung erlangt hatten, verschmähten auch sie Bibliotheken nicht. Ja, sie verschafften sie sich sogar mit größerem Aufwand als die übrigen Völker. L. Cornelius Sulla und später Lucullus haben im Mithridatischen Krieg eine außerordentlich große Menge von Büchern aus Griechenland nach Rom gebracht. Vor diesen hat jedoch schon Aemilius Paulus, nachdem er den letzten König Makedoniens, Perseus,
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besiegt hatte, seinen Söhnen gestattet dessen Bücher nach Rom zu schaffen. Später aber haben die Kaiser dies nicht nur mit Eifer, sondern, fast möchte ich sagen, aus dem Verlangen zu glänzen, getan, um entweder den Liebhabern der Künste möglichst reiche Bibliotheken zu bieten, sie den Bürgern in der Stadt zur Schau zu stellen oder ihr Bedürfnis nach Luxus zu befriedigen. Die meisten jedoch hatten meines Erachtens jenes erste und ehrenvollste Ziel vor Augen. Denn auch C. Julius Caesar hatte nach dem Zeugnis des Sueton möglichst umfangreiche griechische und lateinische Biliotheken für die Öffentlichkeit bestimmt und Octavius Augustus hat entweder eigene Bibliotheken oder die von anderen der Bürgerschaft gestiftet. Zumindest verdankt sich die Palatinische, die nicht nur von einem allein und nicht in den Schriften weniger gefeiert wird, einzig ihm. Und keinem anderen als eben diesem ist die zu verdanken, die Asinus Pollio als erste öffentliche Bibliothek in Rom im Atrium der Libertas aufstellte; wie auch jene, die nach der Schwester des Augustus Octavia genannt wurde; in ihrer Säulenhalle wurde die Bibliothek eingeweiht, die eher den Kaiser als jene Frau zum wirklichen Urheber hatte, wie Dio berichtet, von dem Plutarch in dieser Sache abweicht.false22 Und bis zu dieser Zeit gab es diese Bibliotheken in Rom. Von ihnen waren die früheren im Besitz von Privatleuten wie Aemilius Paulus, Sulla und Lucullus, jedoch so, dass deren Nutzung auch anderen Gelehrten zugestanden wurde; die späteren waren öffentlich und standen allen offen, die des Asinius, der Octavia und die Palatinsche. Es sei mir mit eurer Erlaubnis gestattet, verehrte Zuhörer,
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nicht nur die zu übergehen, die bekanntlich von Tiberius, Vespasian, Trajan, Tacitus und den übrigen römischen Kaisern gesammelt wurden, sondern auch die, die sich im Besitz von anderen Städten in unterschiedlichen Teilen der Welt befanden. Denn die Schriftsteller erwähnen solche in Jerusalem,
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Caesarea, Como, Tivoli und in Rom selbst auf dem Kapitol und viele andere in der Stadt und außerhalb ihrer, so dass P. Victor seinerzeit allein in Rom 29 öffentliche Bibliotheken zähltefalse23 . Nach der Einnahme Karthagos sind, wie Plinus berichtet, afrikanischen Königen Bibliotheken geschenkt worden. Einem indessen, dem Mago, wurde vom römischen Senat die Ehre zuteil, dass er dessen 28 Bücher über den Ackerbau einer Übersetzung ins Lateinische für würdig befand. Und nicht nur den Gemeinwesen oder Königen lag es am Herzen, sondern auch zahlreichen Privatleuten. Denn auch in Griechenland und Italien gab es viele Sammler von bedeutenden Bibliotheken. Unter denen aber ragten Folgende heraus: die des Appellikon aus Teos, in der sich die Bücher des Aristoteles und Theophrast befanden, die, wie man sagt, Sulla von Athen nach Rom verbrachte; die des Lucullus, die er allen Gelehrten und besonders den Griechen zur Verfügung stellte, nachdem er sie unter hohen Kosten erworben hatte; die des Epaphroditus von Chäronea und Sammonicus Serenus, in denen sich nach Aussage von Suidas und Capitolinus in jener ungefähr 30.000, in dieser 62.000 Bücher befanden.false24
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Von jener des Lucullus, die nach seinem Tode an seinem Sohn überging und sich auf seinem Gut in Tusculum befand, machten nicht nur viele Griechen, sondern auch unser Cicero und Cato, sein Altersgenosse, Gebrauch - jener gestrenge und unbeugsame Tugendwächter, vor dem Rom, nicht ohne zu erröten, Fehltritte begehen konnte. Cicero pflegte dorthin zu kommen und die Bücher, die ihm von Nutzen waren, auszuleihen. Auch Cato pflegte dort zu sitzen und mit den Augen, dem Geist und dem Herzen begierig seine Stoiker zu verschlingen und die Erkenntnisse, Urteile und Vorschriften jener göttlichen Denker zu bewundern, von deren Büchern er allseits umgeben war. Hiervon legt Cicero umfänglich Zeugnis ab, der auch selbst von unglaublicher Liebe zu den Büchern entbrannt war. Daher lesen wir noch heute in einem seiner Briefe an Atticus: Bewahre deine Bücher, und fürchte nicht, dass ich sie nicht erwerben kann; denn wenn ich dies erreiche, dann übertreffe ich Crassus an Reichtum und schätze die Gehöfte und Wiesen aller anderen gering .false25 An einer anderen Stelle: Denk bitte an das, was Du mir versprochen hast, wie du mir eine Bibliothek zusammenstellen kannst.false26
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Und an einer weiteren Stelle: Achte darauf, wem du deine Bibliothek versprichst, selbst wenn du einen glühenden Verehrer gefunden hast, denn ich halte alle meine kleinen Einkünfte zusammen, um mir mit ihr eine Stütze für das Alter zu erwerben.false27 Und derselbe weidete sich an der Bibliothek von Sullas Sohn Faustus, entweder auf seinem Gut in Pompei oder in Pozzuoli, wie er Atticus in einem anderen Brief berichtetfalse28 . Obwohl er gewiss viele besaß, konnten ihm seine eigenen Bücher nicht genügen und
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seinen Wissensdurst stillen. Von Lucullus also, wie ich ich sagte, oder Sulla, verschaffte er sich, was er benötigte. Als daher Cato ihn antraf, wie er in einer Bibliothek saß und die Lehren der Weisen begierig aufsog, sprach er ihn wie folgt an: Was suchst du denn hier für Bücher, der du selbst so viele besitzt? Ich kam her, um einige Aristoteleskommentare mitzunehmen, die meines Wissens hier vorhanden sind, erwiderte Cicero. Ich möchte sie in einer müßigen Stunde lesen, die mir, wie du weißt , nicht sehr oft zuteil wird.false29 Soweit er über sich. Doch bei ihm ist es wohl weniger verwunderlich, da er ja in seinem Leben jede Wissenschaft, die zur menschlichen Bildung gehört, mit allem Eifer verfolgte, jedenfalls soweit es seine gewichtigen politischen Pflichten erlaubten. Wie aber steht es mit seinen Zeitgenossen und den ihm unmittelbar Nachfolgenden? Teils ist es sehr wahrscheinlich, teils steht es zweifelsfrei fest, dass sie mit dem gleichen Verlangen nach Büchern strebten. Denn wer wüsste nicht, dass diejenigen, die die Bildung, die Tugend, die Klugheit, die Weisheit selbst und die Beredsamkeit, deren Studium gerade die Edelsten hochhielten, besonders wertschätzten und die sie sich anzueignen trachteten, die Instrumente dazu nicht verschmähten, nämlich die Bücher. Oder wer würde nicht das Votum des Horaz für alle Gelehrten gültig erachten, das jener auf sich selbst bezogen vorbringt: So oft Digentia, der kühle Fluss, mich erfrischt, den Mandela trinkt, ein Dorf runzelig vor Kälte,
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was meinst du, dass mir in den Sinn kommt? Was glaubst du, Freund, worum ich bitte? Es sei mir, was ich habe, und wäre es auch weniger, und dass, was an Lebenszeit übrig ist, ich für mich selber lebe. Dass ich eine gute Menge Bücher und Vorrat habe, was für ein Jahr nötig ist: damit die ungewisse Zukunft im Genuss des Gegenwärt'gen mich nicht stören müsse!
false30
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Er zeigt, wie ich meine, ganz deutlich, wofür er eine Bibliothek benötigt, nämlich für die Dinge, durch die das Leben lebenswert wird. Und an erster Stelle wünscht er sich Bücher und an nächster und zweiter Stelle Nahrung. Denn das bedeutet es meiner Meinung nach, dass für einen einsichtigen Menschen die Sorge um den Geist wichtiger ist als um den Körper. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass viele derselben Ansicht waren, die, wie ich meine, nicht nur die Süße der Wissenschaft gekostet, sondern auch deren großen Nutzen und außerordentliche Bedeutung erkannt hatten. Denn sie schätzen diese Bücher wert und zögerten nicht, wenige auch mit großen Kosten zu erwerben, und dies nicht nur aus Ehrgeiz oder gemeiner Anbiederung, durch die einst mancher angestachelt wurde, die irdene Leuchte des Epiktet für dreitausend Drachmen zu kaufen, wie Lucian schreibtfalse31 , sondern mit einer Gesinnung, die weisen Männern würdig ist, nämlich voller Wissensdrang. Keiner von euch, verehrte Zuhörer, wüsste das nicht, wie ich meine. Denn es handelt sich nicht um irgendwelche obskuren Leute, sondern um hochmögende und ob ihrer Weisheit berühmte Männer. Denn wessen
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Name ist unter den Philosophen berühmter als der von Plato und Aristoteles? Doch bei denen, von denen ich spreche, gebührt jenen der erste Rang. Denn Aulus Gellius schreibt: Berichten zufolge soll der Philosoph Plato von Haus aus zwar nicht sehr reich gewesen sein und doch drei Bücher des Pythagoräers Philolaus für 10.000 Denare käuflich an sich gebracht haben. Diese erhielt er nach Angabe einiger von seinem Freunde Dio, dem Herrscher von Syrakus, geschenkt. Und: Nach der Überlieferung soll auch Aristoteles einige wenige Bücher des Philosophen Speusippus nach dessen Tode für drei attische Talente käuflich an sich gebracht haben. Dieser Kaufpreis beträgt, Gellius zufolge, im Ganzen genommen nach unserer Berechnung 72.000 Sesterzen.false32 Aber das ist, denke ich, bei gelehrten und wissbegierigen Menschen nicht weiter verwunderlich. Nicht nämlich hielten sie es für wert, sich Sklaven, Edelsteine, kostbare Kleidung, Hunde, Pferde, Kleinodien oder Dinge, die niedrigen Trieben oder Prahlsucht dienen, zu erwerben, sondern sie hielten es für richtig, sich mit diesem Geld Instruktoren und Lehrer der Weisheit, Tugend und Allgemeinbildung zu verschaffen.
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Haben sie für diese etwa irgendeinen Aufwand rasch, um nicht zu sagen begierig, getrieben, da sie sahen, dass sehr viele nicht nur für die Dinge, von denen ich sprach, sondern auch für Schmeichler, Köche, Narren oder Huren einen Haufen Geld oder sogar ihr ganzes Erbe verschleuderten? Es verwundert, dass
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sogar ungelehrte und unerfahrene Menschen sich um den Aufbau von Bibliotheken bemühten. Aber diese stellten auf diese Weise ihren Reichtum zur Schau oder jagten dem Anschein von Gelehrsamkeit nach, die deswegen Seneca, der strenge Sittenwächter, nicht zu unrecht tadelt bei sehr vielen Menschen, unkundig sogar der Elementarbildung33 , dienen Bücher nicht als Rüstzeug wissenschaftlicher Arbeit, sondern als der Esszimmer Ausstattung.. Und um einem stillschweigenden Vorwurf zu begegnen, führt er ein Argument an, das diesen Ehrgeiz wie folgt verteidigt: Anständiger könnte sich hierin Aufwand als für korinthisches Silbergeschirr und für Gemälde verströmen. Was aber erwidert er? Fehlerhaft ist überall, was zuviel ist. Welchen Grund hast du, nachzusehen einem Menschen, wenn er nach Bücherschränken aus Zitrusholz und Elfenbein giert, die gesammelten Werke zusammensucht von unbekannten oder zweitrangigen Schriftstellern und unter soviel Tausenden von Büchern gähnt, er, dem von seinen Bücherrollen der Schnitt am meisten gefallen und die Titel? Bei den trägsten Menschen also wirst du sehen, was immer an Reden und Geschichtswerken es gibt, bis ans Dach aufgerichtet Regale: jetzt nämlich, neben Baderäumen und Thermen, richtet man auch eine gepflegte Bibliothek als unentbehrliches Schmuckstück des Hauses ein. Verständnis hätte ich durchaus, wenn man aus übergroßer Leidenschaft zu wissenschaftlicher Arbeit in die Irre ginge; so aber schafft man diese erlesenen, mit ihren Porträts ausgestatteten Werke der ehrwürdigsten Autoren zum Schmuck und zur Ausstattung der Wände an.false34 Ihr Studenten erkennt schon aus dieser einen Stelle (denn euch Dozenten ist dies alles schon längst bekannt), dass einst auch Ungelehrte und
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von der Wissenschaft Unbeleckte sich reiche Bibliotheken verschafft haben und beträchtliche Mengen von Büchern ohne Sinn und Verstand aufgehäuft haben, bloß als Schmuck und zur Schaustellung oder zur Zierde der Wände. Dorthin gehörten auch prahlerische Kataloge und Autorenbilder ,
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die eitle Menschen ihren Büchersammlungen beigaben, um deren Glanz zu vermehren und die Augen der Betrachter zu fesseln. Gleichwohl ist es nicht glaublich, dass gelehrte und ehrenwerte Menschen Bildnisse guter Autoren gänzlich mißachteten. Ja, es kann als sicher gelten, dass sie sie vor allem in jenen Musentempeln besaßen, und dass sie in ihnen die herausragende Tugend derer vereehrten, die nicht mehr unter den Menschen weilten. Sie hatten gemalte, gemeißelte, geformte, gegossene oder anderweitig hergestellte Bildnisse jedoch nicht nur in Bibliotheken, sondern auch in Gymnasien, in Atrien oder in Tempeln, - und nicht nur um sich am stillen Anblick und der Erinnerung an bedeutende Männer zu weiden, sondern um die deutlich erkannte Tugend zu verehren und damit ihnen und ihren Verdiensten um die Menschheit jedwede Art von Ehre zu erweisen. Schließlich auch, damit ein jeder nach seinem Vermögen an seiner Stelle diesen nacheifere. Über die nicht gemeine Lust, die aus deren Anblick und Andenken im Herzen eines nicht gänzlich barbarischen Menschen entsteht, schreibt Justus Lipsius, einer der herausragensten Männer unserer Zeit und wie nur wenige zu bewundern, in seiner gelehrten Abhandlung Über die Bibliotheken,
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deren ich mich bei Abfassung dieser Rede vielfach bedient zu haben freimütig gestehe. In seinen Worten: War dies nicht den Augen und dem Gedanken wohlgefällig und angenehm? Von Natur aus werden wir zu den Darstellungen und Abbildungen großer Männer hingezogen und zu jenen Körpern oder Herbergen, in die sich der himmliche Geist einschloss: Siehe, hier war er! Man könnte die Schriften des Homer, Hippokrates, Aristoteles, Pindar, Vergil, Cicero lesen oder mit den Augen genießen, und dies zusammen mit dem Portrait des Autors.false35 Für die Verehrung der Tugend und der Verdienste ist Seneca der umfassendste Zeuge. Denn über sich selbst sagt er: Ich verehre die Erfindungen der Weisheit und die Erfinder. Und wenig später heißt es über dieselben: achten muss man sie und wie Götter verehren(vor diesem Richter). Warum sollte ich nicht großer Männer Bilder besitzen als Ansporn für meinen Geist und ihre Geburtstage feiern? Warum sollte ich sie nicht, sie zu ehren, nennen? Wie ich Verehrung meinen Lehrern schulde, ebenso jenen Lehrern des Menschengeschlechtes, von denen so vieles Guten Ursprünge ausgegangen sind. Wenn ich einen Konsul sehe oder Prätor
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, so werde ich alles, womit man ihrer Stellung Ehre zu erweisen pflegt, tun: vom Pferde werde ich springen , das Haupt werde ich entblößen, vom Wege werde ich treten. Was also? Den Marcus Cato, Vater und Sohn, den weisen Laelius und Sokrates mit Platon, Zenon und Kleanthes werde ich in meine Seele ohne Achtung aufnehmen? Nein, ich verehre sie und richte mich an so großen Namen stets auf.
false36 Wer wäre wohl hinsichtlich des Wettstreites im Zweifel? Denn sie sahen die vor sich gleich wie Anwesende, die sie bewunderten
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und denen sie ähnlich zu sein wünschten. E ist jedem wohlbekannt, wie sehr dies die Herzen zu bedeutenden Taten anzustacheln pflegt. Und man kann davon ausgehen, dass dies nicht weniger für die Wissenschaft, als für die Kriegskunst oder irgendeine andere Fähigkeit gilt. Ich jedenfalls glaube, dass Thukydides durch den Ruhm Herodots für die Geschichtsschreibung und aus dieser zu gewinnenden Anerkennung nicht weniger entflammt wurde als Themistokles durch die Siegeszeichen des Miltiades oder als Caesar, der zu den größten Taten angestachelt wurde, als er das Bildnis Alexanders des Großen im Herkulestempel zu Gades betrachtete. Das, was Sallust über das Entflammen der Tugenden in einem großen Herzen schreibt, bezieht sich in Gänze sowohl auf unseren Studien der friedlicheren, als auch kriegerischen Künste: Denn oft habe ich gehört, Q. Maximus, Publius Scipio, außerdem sonst berühmte Männer unseres Staates pflegten so zu sprechen: wenn sie auf die Bilder der Vorfahren schauten, werde ihnen aufs heftigste der Mut zum Streben nach Vollkommenheit entzündet. Natürlich hat nicht jenes Wachs noch das Bild so große Kraft in sich, sondern durch das Gedächtnis an die Taten wächst diese Flamme hervorragenden Männern im Herzen und erlischt nicht eher, ehe nicht ihre Leistung dem Ruf und Ruhm jener gleichgekommen ist.(Sall. Jug. 4,5-6. Übersetzung nach Büchner [Nachweis im GBV] .) Ihr seht die überreiche Frucht der Bildnisse, und niemand zweifelt daran, so meine ich, dass sie den Bibliotheken, ja auch anderen Orten hinzugefügt wurden, um Körper und Geist zu ertüchtigen.
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Diese Einrichtung erfuhr auch die Billigung und das Lob der Verständigen, wie in dem bereits zitierten Buch von Lipsius und bei Plinius, dem scharfsinnigen Naturforscher. Warum sollte ich seine Worte nicht wiedergeben? Wenigstens meiner Ansicht nach gibt es keinen größeren Beweis von Glückseligkeit,
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als wenn alle stets zu erfahren trachten, wie jemand ausgesehen hat. Und er verschweigt den Erfinder nicht: Diese Neuerung schuf in Rom Asinius Pollio, der als erster durch Stiftung einer Bibliothek die Schöpfung des menschlichen Geistes zum Gemeinbesitz machte. Ob die Könige von Alexandria und Pergamon, die mit großem Wetteifer Bibliotheken einrichteten, früher anfingen, dies zu tun, kann ich nicht leicht sagen.
false37 Und es ist unerheblich, dass, wie man sagt, sie nicht wirklichkeitsgetreu von den Künstlern wiedergegeben wurden, denn er meint, dass diese lobenswerte Sitte selbst dann, wenn die Abbildungen nicht wahrheitsgetreu sein sollten, dennoch nicht zu verachten sei: Es war aber auch eine Art Liebe zu den Heldentaten, sich die Bilder berühmter Männer fälschlich anzueignen, und weit ehrenvoller als zu verdienen, dass niemand die eigenen Porträts begehrte.false38 Man stellte aber nicht nur besagte gemalte, sondern auch Bildnisse und Statuen aus anderem kostbarerem Material auf, wie Plinius bezeugt: Es darf auch eine neue Erfindung nicht übergangen werden, nach der in den Bibliotheken die Bildnisse derjenigen, deren unsterblicher Geist an diesen Orten spricht, wenn nicht in Gold oder Silber, so doch gewiss in Bronze gestiftet werden; sind keine Bildnisse vorhanden, so werden solche sogar erdacht und erwecken das Verlangen nach nicht überlieferten Gesichtszügen, wie es bei Homer der Fall ist.false39 Wenn dies aber von manchen verachtet oder gering geschätzt wird, so ist nicht das verwunderlich. Im Bewusstsein ihrer Nichtsnutzigkeit und Tatenlosigkeit
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bemerken sie, dass es keinen Grund gibt, warum sich die Nachwelt darum kümmern sollte, wie ihr Antlitz, ihr Blick, ihr Körper beschaffen war. Denn nach dem Urteil des Plinius ist es in der Tat so: die Gleichgültigkeit hat die Künste verdorben, und weil es an Bildern des Geistes fehlt, vernachlässigt man auch die des Körpers false40 . Anders urteilten die Römer, jene scharfsinnigen Liebhaber der Wissenschaften und Künste: Sie brachten ihre eigenen Bildnisse und die anderer an anderen geeigneten, insbesondere ehrenvollen Orten, aber auch in Büchern an, wodurch sie auch das Antlitz von Lebenden und Verstorbenen bekannt machten und wirklichkeitsgetreu der Nachwelt überlieferten. Um nicht von demselben Autor abzuweichen, der besonders zuverlässig und reich ist, sei es erlaubt euch geneigten Zuhörern eine Stelle von ihm vorzutragen, die wert ist, zur Kenntnis genommen, ja sogar nachgeahmt zu werden: Dass die Vorliebe für Porträts einst sehr stark war, bezeugen Atticus, jener Freund Ciceros, durch ein darüber verfasstes Buch, und M. Varro durch den recht ansprechenden Einfall, dass er der reichen Fülle seiner Bücher auch die Bilder von siebenhundert irgendwie berühmten Männern beigab; er wollte nicht, dass ihre Gestalten verloren gingen und die Vergänglichkeit der Zeit etwas gegen Menschen vermöge, und so wurde er der Erfinder auch einer für Götter beneidenswerten Gabe, indem er den Menschen nicht nur Unsterblichkeit schenkte, sondern sie auch in alle Länder sandte, damit sie, wie die Götter, überall gegenwärtig sein könnten.false41
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Niemand möge sich ich wundern, dass unser Cicero beschloss, die Akademie, die er auf seinem Gut in Tusculum errichtet hatte, nicht nur mit sonstigem
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Zierat - der seiner und des Ortes, für den er beschafft worden war, sicher würdig war - , sondern auch mit Statuen und Bildnissen der Minerva, Merkurs und ähnlichem auszuschmücken. Darauf bezieht sich die Stelle in den Briefen an Atticus: Deine Hermathena macht mir viel Freude, steht außerdem so hübsch, dass das ganze Gymnasium gleichsam der Sonne geweiht zu sein scheint; ich bin Dir sehr dankbar. 42 . Und in einem anderen Brief schreibt er: Was Du mir von der Hermathena schreibst, ist mir sehr lieb; sie wäre gerade das rechte Schmuckstück für meine Akademie : Hermes gilt ja allgemein als das Symbol jenes Gymnasiums; Minerva wäre dann das charakteristische für das meinige. So statte mir denn, wie du es vorschlägst, diesen Platz auch mit möglichst vielen anderen Gegenständen aus!43 Von dieser Art war ihm vieles zur Hand. Aber warum sollte ich euch das vielleicht zum Verdruss aufzählen? Ich mäßige mich und schone euch. Es erhellt aber, dass gelehrte Männer Standbilder, Statuen und Bildnisse der Weisheitspriester an verschiedenen Orten aufstellten, besonders aber in Bibliotheken, dem Sitz und der ureigensten Heimstatt der Bildung und so sogar in den heiligen Hallen der Minerva. Es ist nicht dunkel, was Cicero mit diesen Worten an Atticus sagen wollte: Ich weide mich hier an Faustus' Bücherschätzen Und darauf:Ich halte mich an die Wissenschaften und erhole mich bei ihnen; säße viel lieber im Lehnstuhl, der bei Dir unter dem Aristotelesbilde steht, als auf ihrem Amtssessel.44 In der Bibliothek hatte Atticus, wie es scheint, ein Abbild des großen Philosophen, aber auch von anderen (denn wer zweifelte daran?). Denn sie hielten so große Stücke auf sie, dass sie nicht nur ihre Schriften, d.h. die Abbilder ihres Geistes,
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sondern auch die Umrisse ihres Körpers möglichst oft vor Augen und Geist führen wollten; besonders diejenigen, die durch den Lauf der Natur zuvor den Augen entrissen wurden, schienen für die dankbare Nachwelt durch Kunst und Fleiß dem gänzlichen Untergang entwunden werden zu müssen. Denn den Lebenden, die es noch mit eigenen Augen sehen,
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wird diese Ehre um ihrer Bildung willen recht selten zuteil, eine Ehre, die dem M. Varro sicher widerfuhr: Nur in dessen Bibliothek, die als erste in Rom von Asinius Pollio öffentlich zugänglich gemacht wurde, findet sich ein Bildnis eines noch Lebenden, nämlich des Marcus Varro, aufgestelltfalse45 , wie Plinus bezeugt. Dasselbe widerfuhr einige Zeit später auch dem Dichter Martial durch Stertinius, den jener Avitus nennt, außerdem wüßte ich aber nicht, ob noch jemandem. Mehr werde ich nicht über Bildnisse, den herausragenden Schmuck der Bibliotheken, in Erinnerung rufen. Doch es gab noch weiteres, was ich im Bemühen um Kürze jetzt beiseite lasse. Ich meine Pulte, Regale, Schränke, Repositorien, Wände auch, die von Glas und Elfenbein funkeln; vergoldete Kassettendecken, Fußböden vor allem aus karystischem Marmor. Von denen das eine wegen der frischen grünen Farbe zur Erholung der Augen, das übrige zur Mehrung von Schmuck und Glanz, höchst kostbaren Dingen, nämlich den Büchern hinzugefügt wurde, wie jeder leicht erkennt. So hoch schätzten also jene Alten als Menschen von höchster Bildung und Kunstverstand ihre Bibliotheken. Sogar diejenigen, die nicht wussten, wie man sie richtig nutzt. Was? Hat sich etwa in den folgenden Jahrhunderten, da die Gelehrsamkeit allmählich nachließ und da die Musen unter dem Eindruck der hereinbrechenden Barbarei, die bereits alles fest in ihren Griff nahm, aus Italien vertrieben worden und
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geflohen waren, keiner mehr um diese gekümmert? Im Gegenteil, nie sind sie von denen, die die Macht übernahmen und nicht gänzlich den Musen und Grazien unhold waren, abgetan worden. Daher sind die Bibliotheken, obwohl die Herrschaft Italiens bereits nicht nur schwach und obenhin erschüttert und ins Wanken gebracht wurde, sondern von Grund auf zerrüttet und dem Untergang geweiht war, dennoch nicht verachtet worden, vielleicht auch andernorts, mit Sicherheit aber in Byzanz, das damals schon seit einiger Zeit Konstantinopel hieß. Denn in der Zeit des Basiliscus oder Zeno Isauricus, der in dieser Zeit die Macht errang, brach in jener kaiserlichen Stadt ein Brand aus und verzehrte ihren größten Teil und die Bibliothek, in der nach schriftlichen Zeugnissen 120.000 Bücher aufbewahrt gewesen sein sollen. Darunter war der 120 Fuß lange Drachendarm, auf den mit goldenen Lettern die Ilias und die Odyssee des Homer geschrieben waren. O unsterblicher Gott, welche große Menge bester Bücher verschlang damals jenes Feuer! Das war eine geradezu kannensische oder noch schlimmere
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Niederlage für die gelehrte Welt. Denn weder konnte dieser Verlust ausgeglichen oder eine so große Unbill ungeschehen gemacht werden, weil in Italien und in den übrigen westlichen Provinzen damals die Bildung ausgelöscht und durch die Einfälle zahlreicher barbarischer Stämme gleichsam in einer Flut untergegangen und zerstreut worden war. Daher konnte diese, was einst der Bibliothek von Alexandria in
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einem ähnlichen Fall zuerst zum Trost und kurz darauf zum Heil gereichte, nicht erhoffen, dass sie von anderswoher wieder aufgebaut würde. Denn was auch immer es in Italien, Frankreich, Spanien, England und vielleicht auch in unserem Deuschland an Büchern gab, das konnte gleichsam wie Planken erscheinen aus einer reichen und wohlausgestatteten Flotte alter Bibliotheken, die es hier- und dothin verschlagen und in irgendwelche entlegenen Ecken getrieben hat. Und dennoch verachtete eine dankbare Nachwelt diese Überreste der Bibliotheken und alten Gemäuer des ehrwürdigen Bauwerks und die Ruinen der königlichen Burg nicht gänzlich. Wer nämlich glaubte, dass die von Karl dem Großen in der Folgezeit in Italien und Frankreich gegründeten Akademien, Schulen gleicherweise wie Domherrenkollegien, aus durchaus weisem und lobenswertem Entschluss gegründet, gänzlich des Hilfsmittels der Bibliothek entraten und sich nicht für sich und den eigenen Gebrauch des höchst bedeutenden Erbes ihrer Vorfahren versichert hätten, obwohl es bereits verschüttet und dem Vergessen anheimgefallen war? Ich bin fest überzeugt, dass dieses nicht hätte geschehen können, obwohl ich nicht bestreiten kann, dass es nur Geringes war, was auf sie gekommen ist und nur ein geringer Fetzen eines prächtigen Gewandes, was jedoch auch von den Menschen jenes Zeitalters und noch mehr der folgenden Generationen so gering geachtet oder von Unkundigen so schlecht beurteilt und behandelt wurde, dass es jegliche Würde einbüßte und unter fremdem Schmutz gänzlich an Ansehen verlor. Indes,
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Konstantinopel sammelte nach jenem traurigen Verlust neue Bücherschätze, so dass es seinen besagten Untergang auf eine gewisse Weise wett und ungeschehen machte. Es ist glaubhaft, dass es aus dem nahegelegenen Griechenland sehr viel an Hilfe und Unterstützung erhielt, auch wenn es nicht nur einen Einfall von Barbaren erlitten hat. Es gab dort zahlreiche
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hochberühmte Gelehrte und auch ausgezeichnete Bibliotheken, bis zu der Zeit, da die Stadt in die Gewalt des türkischen Tyrannen Mechmet II. geriet. So wie Europa ihnen höhere Bildung und schöne Literatur und die übrigen Studien der Weisheit und Beredsamkeit verdankt, so bedeutete die Einbuße dieses herausragenden Bücherschatzes einen schweren und niemals wiedergutzumachenden Verlust an Gelehrsamkeit, den Eneas Sylviusfalse46 schmerzvoll in einigen seiner Briefe beklagt, da er Kirche und Staat in ihrer Gesamtheit betraf. Und gleichwohl - eine einzigartige Gabe der göttlichen Güte - konnte nicht einmal auf diese Weise die Gelehrsamkeit durch die türkische Barbarei unterdrückt oder ausgelöscht werden. Denn als in jener Zeit jene Brut der Skythen in Thrakien wütete und bald auch den Griechen und Ungarn eher Grausamkeit und Unmenschlichkeit als eine kriegerische Niederlage brachte, da rief Gott viele hervor, die teils auf eigene Kosten, teils durch ihre Begabung, durch Fleiß und Eifer, gerade die besten
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lateinischen und griechischen Schriftseller der schmählichen Finsternis entrissen, vor dem nahen Untergang bewahrten und ans Licht führten. Nachdem sie sie von Staub, Moder und Schmutz gereinigt hatten, ließen sie sie in ihrem alten Glanz wiedererstehen, soweit dies in den widrigen Zeitumständen möglich war. Doch sie wurden auch durch die Sorge der Nachwelt in ihre Ehre und ihr wahrhaftiges Ansehen wieder eingesetzt; und nicht nur Leben und Geist, sondern auch Farbe, Schönheit und frühere Würde erlangten sie zurück durch die Mühe von Gelehrten, obwohl sie all dies durch Unrecht früherer Zeiten und Menschen verloren hatten und zu ewiger Finsternis verdammt und verurteilt zu sein schienen. Zu dieser Sache trug nicht wenig die höchst erfinderische Kunst der Buchdruckerei bei, die als niemals hoch genug zu schätzendes Geschenk der göttlichen Vorsehung jenen letzten Jahrhunderten gewährt, zuvörderst unserem Vaterland Deutschland als erstem von allen gezeigt und von ihm in Gebrauch genommen wurde. Durch die Wohltat dieser Kunst wurden in kurzer Zeit und ohne großen Aufwand die Denkmäler der alten Autoren, soweit der Fleiß der Gelehrten sie ermitteln oder ans Licht bringen konnte,
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in schönster Typographie auf feinstes Papier gebracht und bis heute ließen zahlreiche Drucker die Liebhaber der schönen Künste daran teilhaben. Welche davon die herausragendsten waren und nicht so sehr ihren Vorteil und Gewinn nach der Art niedriger Menschen
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als das öffentliche Wohl und die Würde gediegenerer Literatur im Blick hatten, ist denen nicht unbekannt, die sprachliche Schönheit und gediegenere Bücher lieben. So also geschah es aufs Neue, dass damals, als die Studien der schönen Künste und Wissenschaften wieder in Gebrauch kamen und in Schulen, Kirchen, vor Gericht, im Rathaus und schließlich in aller Öffentlichkeit zutage traten, auch die Bibliotheken reich ausgestattet wurden, - und diese heute nicht nur in den beengten Räumlichkeiten von Müßiggängern oder in Mönchszellen, wie in einem Kerker oder Zuchthaus, gefesselt scheinen, sondern in würdigem Gewande in Universitäten, Königspalästen und sozusagen Rathäusern, gewiss an höchst ehrenwerten Orten erblickt werden. Denn - was zurecht unserer Zeit zum Ruhme gereicht - es ist kaum eine größere Stadt, die sich etwas auf Bildung und Schönheit zugute hält und nicht völlig mittellos ist, und meines Erachtens kaum ein christlicher Fürst oder König zu finden, der sich nicht eine möglichst prachtvolle und mit guten Büchern ausgestattete Bibliothek entweder schon beschafft hat oder beschafft. Über Kanonikerkollegien und Universitäten müssen wir nicht sprechen, da es offensichtlich ist, dass weder diese noch jene ohne großen Schaden dieses Zugangs zu Wissenschaft und Weisheit entbehren können, besonders dann, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden und ihr Ansehen
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und ihre Würde bewahren müssen. Ja, dieses Engagement und der Aufwand, der dafür getrieben wird, ist so ehrenvoll, so löblich, so ertragreich, dass nicht wenige der vom Glück Begünstigten auch als Privatleute nach dem Vorbild jener Alten seit einiger Zeit überall in Europa Bibliotheken errichteten und bis heute nicht ablassen, es zu tun. Es ist also klar,
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mit welchem Recht und in welch lobenswerter Absicht unsere schon erwähnten Fürsten jene Menge an Büchern, die ihr seht, von Anfang an gesammelt haben, da dieses Interesse und dieser Eifer so königlich sind. Und niemand wird bezweifeln, dass Friedrich Ulrich, unser allerbester Herrscher und Förderer, dieser seiner Akadmie und allen, die in ihr das Studium der Literatur und schönen Künste betreiben, zurecht hat diese und seinen eigenen Ruhm sich angelegen sein lassen, an dem Tag, an dem wider Erwarten der meisten von uns und mehr als zu hoffen und ohne dass jemand darüber unwillig war, er seine von Vater und Großvater ererbte Bibliothek seiner ebenfalls von Vater und Großvater ererbten Akademie zum Gebrauch überließ und endlich mit allem Mobiliar in diese Stadt übersandte. Welche bis dahin am Welfenhof verwahrt worden war, ist folglich heute die Julische und kann in diesem Heiligtum betrachtet werden. Dass der große Heros Heinrich Julius, der diesen Raum im Ostteil des neuen Juleums für die Aufnahme seiner Bibliothek bauen ließ,
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die nämliche dieser seiner Akadamie zugedacht hat, darf man glauben. Wir wissen, dass er selbst dazu wegen Abwesenheit infolge dringender Geschäfte keine Gelegenheit hatte. Das Schicksal hinderte ihn daran, dass er jenes Heiligtum mit ausreichenden und für die Akademie notwendigen Büchern ausstattete. Göttliche Fügung hat unserem Fürsten, Friedrich Ulrich, beiderlei Lob vorbehalten. So seht ihr, verehrungswürdige akademische Väter, wie mit den Verdiensten der zuvor erwähnten Heroen folglich auch dieses neue Verdienst unseres allerbesten Fürsten zusammenhängt. So wie sie werdet ihr mit euren Augen, Sinnen und Verstand dessen gedenken: nicht nur, sooft ihr diese Bände in Händen halten werdet, die durch seine Gunst euch zur Lektüre überlassen sind, sondern auch, sooft ihr den Fuß in diesen erhabenen Tempel der Weisheit und aller lobenswerten Künste setzt, sooft, sage ich, ihr in diesen Hörsaal eintreten werdet, um zu lehren oder zu disputieren oder etwas vorzutragen bei öffentlichen Veranstaltungen und an Festtagen, an denen ihr wie heute auf den Bänken sitzt. Dann werdet ihr nicht ohne einzigartige Freude im Herzen diesen Ort, am dem sich bekanntlich jene heilige
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Zusammenkunft der höchsten Geister ereignet, betrachten können, dann werdet ihr für jene Freigiebigkeit unseres geneigten Fürsten höchst dankbar sein, dann werdet ihr euch schließlich zu so einem bedeutenden Geschenk an die Akadamie, das aus einem wahrhaft königlichen und euch geneigten Herzen hervorgegangen ist, beglückwünschen. Das werdet ihr meiner Meinung nach niemals
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mehr tun, als wenn ihr in jenes Gemach der Musen eindringt und die Werke jener göttlichen Geister aus der Nähe betrachtet. Es ist überliefert, dass Cineasfalse47 , der als Gesandter des Königs Pyrrhus nach Rom kam, von der Majestät des Senats bestürtzt, sagte, er habe eine Zusammenkunft von Königen gesehen. Nicht wird, denke ich, irgendeiner diese stummen Gelehrten, die Priester der Weistheit und Lehrer von Tugend und Pflicht, die hervorragenden Ratgeber und auch Richter von Königen gering achten, der sie kennt. Denn auch damals soll jener blinde Appius(Zu Appius Claudius Caecus s. Wikipedia) alle anderen nicht zum Geringsten an Tugend und Klugheit überragt haben. Wenn ihr aber näher zu ihnen hintreten wollt und auf die Stimme merkt, die die Zeiten euch bis heute von weither schicken, wenn ihr die Lehre, die sie euch neidlos im Übermaß schenken, schöpft, wenn ihr die Ratschläge, wodurch jene hervorragen, euch zu eigen macht, wenn ihr die Gesinnung und den edlen Geist mancher ergründen wollt, dann verspreche ich euch, verehrte Zuhörer, dass es keinen von euch geben wird, der nicht gelehrter, klüger, besser, lebenstüchtiger und pflichtbewusster, schließlich weiser aus jenem Tempel der Bildung und aller Wissenschaft scheiden wird. Wenn ihr das erkennt und dem besten Fürsten deswegen entweder untereinander oder bei anderen billigen Dank abstattet, und noch mehr, wenn ihr die von hier erhofften geistigen Hilfsgüter mit anderen freigiebig teilt, dann erst
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werdet ihr ihm den Dank wissen, den er erwartet. Denn nicht, wie jener Makedone Alexander große Taten vollbrachte und sich auf Leben und Tod vielen Gefahren aussetzte, um in Athen Lob zu finden, hat sich unser Fürst gnädig oder eher ganz und gar rühmlich erwiesen, um von mir oder jedem von euch gepriesen zu werden. Die Güte seiner Natur, die Liebe zu seiner Akademie
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und die Sorge um das öffentliche Wohl hat ihn zu jener königlichen Freigibigkeit angetrieben. Und ich, der ich auf eure Veranlassung hin, akademische Väter, mit einer wie auch immer gearteten Rede, im Namen aller, dem allgnädigsten Fürsten Dank für diese große Wohltat sozusagen nicht abstattete, sondern abstatten musste und wollte, weiß sehr wohl, dass diese Großtat eines großzügigen Herzens bedeutender ist, als dass ihr dieser schwache Versuch irgendwie entsprechen könnte. Daher bitte ich ihre Hoheit in eurer Anwesenheit mit der gehörigen Ehrerbietung, dass ihr mich milde richten möget, dass ich mit Beflissenheit meine Pflicht in einer hochwichtigen Angelegenheit und die mir auferlegte Aufgabe hinlänglich erfüllt habe und dass ihr, akademische Väter, mir nicht meinen Mangel an Fähigkeit zum Vorwurf zu machen meint oder glaubt, dass es mir mehr an gutem Willen als an Fähigkeit gebrach. Mir ist bewusst, dass ihr und alle anderen in dieser meiner Rede vieles vermissen werdet, da sie selbst mir in fast keiner Hinsicht genügte. Und da ich im übrigen sehr wohl wusste, als ich mich auf euer Geheiß und euren Beschluss hin an die Erfüllung dieser Aufgabe machte
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, dass ich beinahe aller Mittel zu deren Erfüllung ermangelte false48 , die von jemanden, der von so bedeutenden Dingen sprechen soll, zu verlangen sind. Aber da gerade ich für diese Aufgabe geeignet zu sein schien, musste ich eurem Geheiß willfahren. Und ich war immer der Überzeugung, dass es mir in einer Angelegenheit dieser Art, die meines Amtes ist, lieber ist, dass eher das Ergebnis und der Erfolg als als die Beflissenheit zu gehorchen fehlt. Doch warum entschuldige ich mich so wortreich und bediene mich nicht in dieser höchst ehrenvollen Angelegenheit eher eurer Hilfe, berühmte Herren, hochzuverehrende Kollegen und verbinde mich mit euch? Ihr seid mir durch das gleiche Band verbunden, euch wurde nicht weniger als mir oder irgendwem diese Wohltat, von der ich spreche, erwiesen und euch wurden diese Teile der Rede und Niederschrift gleichermaßen übertragen oder zumindest verstattet. Ihr möget also dasjenige, woran es offensichtlich meiner Rede mangelt, aus der Fülle eurer Begabung und Bildung ergänzen. Wohlan, erweckt eure mir und den anderen nicht unbekannte Geisteskraft, jeder erwecke seine Musen
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und jeder lasse seine Fähigkeit zu schreiben hervortreten. Legt schuldiges Zeugnis ab von der einzigartigen Tugend und Großzügigkeit des besten aller Fürsten, anempfehlt der Nachwelt seinen Namen und Ruhm und beschenkt ihn, soweit es in eurer Macht liegt, mit Unsterblichkeit, ja, zeichnet ihn so lebendig wie möglich und entreißt ihn der Nacht des Vergessens.
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Dies ziemt euren Studien, entspricht eurer Frömmigkeit, eurer Pflicht, eurer Gesinnung und Tugend; alle Guten werden dies billigen; viele herausragende Männer bei Hofe und in diesen Landen erwarten und fordern es geradezu; alle Stände des Vaterlandes werden es anerkennen. Der Fürst selbst, dem es erwiesen wird, wiewohl er es nicht fordert und meines Erachtens nicht einmal erwartet, wird es gewiss nicht zurückweisen. Ja, durch dieses euer frommes Amt angespornt, wird er sogar wollen, dass nicht nur über seine früheren euch erwiesenen Wohltaten Rechenschaft abgelegt wird, sondern er wird auch nicht ablassen, auf die Vermehrung, Bereicherung und den weiteren Zuwachs zu dieser jüngsten Wohlttat, schließlich auf unser aller Vorteil und Unversehrtheit dieser ganzen Akademie, ihre Aussatttung und auf Dauer zu wahrende Würde bedacht zu sein. Aber auch von anderen werden, wie ich hoffe, die Bemühungen nicht fehlen, wenn anders sie einsehen, dass sie sich dankbaren Menschen empfehlen und ihre Dienste und Wohltaten angemessen erbringen. Diesen also werdet ihr unser Andenken und unsere Dankbarkeit erklären, von denen ihr wisst, dass sie die Übertragung dieser Bibliothek zum Wohle der Universität und des öffentlichen Wohls gefördert haben und ihr werdet nicht zögern diesen das schuldige Lob zu erweisen. Zu diesen gehört, außer denen, die ich zuvor erwähnt habe, zuvörderst und zweifelsohne der großzügige und freigiebige Herr Anton von der Streithorst(Zu Streithorst s. ADB) , unseres durchlauchten Fürsten Statthalter in der Verwaltung dieser Lande
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und Vorsitzender des Landgerichts. Durch dessen Rat und einflussreiche Persönlichkeit wurde dieses Geschäft zweifelsfrei befördert. Und wir werden nicht dulden, dass die der Akademie erwiesene Freigiebigkeit und Einsatz derjenigen im Dunkeln bleibt, die befanden, dass die Julische Bibliothek durch ihre Mittel vermehrt und durch bedeutende Schenkungen bereichert werden müsse. Von diesen gibt es heute
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nicht wenige, worüber wir uns zurecht freuen, und wir sind nicht im Zweifel, dass, durch deren so lobenswertes Beispiel angeregt, auch viele andere dazukommen werden. Wiewohl nicht einmal die, bei denen es hinreichend feststeht, von mir jetzt und hier genannt werden möchten, so wird doch ihr Eifer und hoher Sinn nicht im Dunkeln bleiben können, solange es diese Bücher geben wird, die auf den ersten Blick dem Leser anzeigen werden, wem sie die Akademie zu verdanken hat. Ja, an euch wird es liegen, akademische Väter, oder liegt es vielmehr schon, dass es in ehrenwerter Weise möglichst vielen bekannt werde, wer der Julischen Akademie vor allen anderen zugetan ist und sie auch aus eigenen Mitteln zu unterstützen wünscht. Selbst wenn ich sie alle, wie man sagt, auf leisen Sohlen false49 übergehe, so vertraue ich darauf, dass ich es ihrem Willen gemäß tue. Die Wohltat eines einzelnen gegenüber der Akademie aber ist so groß, dass sie nicht nach den Maßstäben der anderen beurteilt werden darf, sondern gerade jetzt besonders zu rühmen ist. Denn
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wie ihr, verehrte Zuhörer, wohl wisst, hat Georg Eberlinfalse50 , der oberste Rechtsgelehrte und seit einigen Jahren Hofrat unserer Fürsten, schon zuvor von untadeligem Ruf, kurz vor seinem Tod seine gesamte reiche Bibliothek der Julischen Akademie vermacht. Denn zu einer Zeit, die jede Täuschung ausschließt, die Liebe, Hass, Feindschaft, Gunst, ja jede Leidenschaft fernzuhalten und dem Ehrenwerten, Frommen, Rechten und Billigen nachzuordnen heißt oder vielmehr es erzwingt, hat er durch eine herausragende Tat deutlich gemacht, dass seine Bücher, die er für viel Geld erworben hatte, nirgendwo besser aufgehoben seien als vor den Augen, in den Händen und im Schoß der Akademie und ihrer Angehörigen, zumal er, bis dahin ehelos, keinen Erben hinterlassen hatte. Für diesen insbesondere lege ich daher auch gerne und verdientermaßen öffentlich Zeugnis ab für seine kluge Entscheidung und hehren Willen. Viele unter den vom Glück Begünstigten werden diesem schönen Beispiel, wie ich hoffe, nacheifern. Und diese hier nun bereitstehende Fülle an Büchern, die ihr seht, werden sie auch, nach ihren Kräften angereichert und vermehrt,
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der Nachwelt übermitteln wollen. Daher zeigen sie durch die Sache selbst, wie sehr sie diese berühmte Akademie wertschätzen und wie sehr ihnen die ihre Entwicklung und die der Studien, die in ihr mit Fleiß und Glück beständig gepflegt werden, am Herzen liegen. Dass dies auch künftig
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und auf Dauer geschehe, wird nicht nur jeder von uns an seiner Stelle eifrig Sorge tragen, sondern wir werden den höchsten Gott inständig bitten, dass er unseren Anstrengungen und ehrenvollen Bemühungen weiterhin gewogen sei. Er bewahre diese Akademie und ihre Heimstatt, diese Stadt; er bewahre das gesamte Vaterland, und erweise allen Ständen in ihm Unversehrtheit und Gedeihen, und zuvörderst unserem Fürsten, dem allerwohltätigsten Schutzherrn unserer Akademie und heute großmütigsten Rektor zusammen mit dem ganzen Haus der durchlauchtesten Braunschweiger Herzöge. Er bewahre in diesen elenden und unheilvollen Zeiten die Kirchen, die Schulen und den gesamten Staat. Er festige Frieden und Eintracht im Öffentlichen und Privaten, wenn sie wanken, oder er richte sie auf, wenn sie gefallen sind, er bringe sie zurück, wenn sie geflohen sind. Er halte Krieg, Zwietracht, Hunger, wütende Krankheit und alles, was es dieserart an schlimmen Fährnissen gibt, weit von uns und allen Guten fern. Schließlich spende er Heilsames; Schädliches und Gefährliches verhindere er. Er schütze das Leben, Vermögen und Ansehen eines jeden von uns und fördere die Wissenschaften zum Ruhme seines Namens und zum öffentlichen Wohl. Er behüte die Genannten und außerdem diesen bedeutenden Musentempel, nämlich dieses neue Juleum, dieses heilige Haus der Weisheit und die Julische Bibliothek in ihm. Solange dies alles in dieser Stadt und im lieben Vaterland unversehrt erhalten bleibt,
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- ich hoffe aber oder vertraue eher darauf, dass dies für immer sein wird, und dies werden wir von Gott durch beständige Gebete zweifellos erlangen - wird in diesem Tempel, in diesen Mauern, auf diesem glanzvolen Lehrstuhl, die Erinnerung an die besten Fürsten niemals verstummen: Weder an den Gründervater dieser Akademie, den verewigten Julius noch an den großmütigsten Bewahrer, den verewigten Heinrich Julius, oder an Friedrich Ulrich, ihren Ernährer und verlässlichsten Schutzherrn, den Stifterfalse51 dieses neuen Geschenkes, über das ich vortrug.

[Es folgen die carmina von Georg Calixt, Johann Wolfius, Rudolph Diephold und Conrad Horneius]


1Die Widmungsgedichte von Georg Calixt, Johann Wolfius, Rudolph Diephold, und Conrad Horneius fehlen in der Ausgabe von Mader/Schmidt.
2Vgl. Lipsius, Justus: De Bibliothecis. Antwerpen 1602, S. 8.
3Heinrich Julius ließ im Oktober 1592 den Baumeister Paul Francke das neue Hörsaalgebäude, das so genannte Juleum novum, errichten. Vgl. Wikipedia. Heidmann hielt ebenfalls die Dankesrede, s. Orationes Duae.
4Heidmann spielt vermutlich auf die kriegerischen Entwicklungen des dreißigjährigen Krieges an. Der Bruder Friedrich Ulrichs, Chistian, genannt der tolle Halberstädter, hatte ohne Not in den Pfälzer Krieg eingegriffen und damit auch das Herzogtum in Gefahr gebracht. Vgl. Jarck, Horst-Rüdiger: Der Dreißigjährige Krieg. In: Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region. Hrsg. Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt. Braunschweig 2000, S. 513-534, hier S. 516-517.
5Die Universitätsbibliothek befand sich ein einem großen Raum neben der Aula im neu errichteten Juleum.
6Die Universität wurde 1576 gegründet, die Rede also 1619 gehalten.
7In der Mader/Schmidtschen Ausgabe (B) findet sich hier fälschlich regaverit, statt negaverit.
8Die Hochzeit zwischen Anna Sophia und Friedrich Ulrich fand am 4. September 1614 in Wolfenbüttel statt.
9Schreiben vom 26. September 1614 (HAB BA, III). vgl. Lesser, Einleitung, S. XXVII; Arnold, Werner: Die Wanderung der Bücher. In: Athen der Welfen, S.248-257.
10Hier liegt vermutlich der Entstehungszusammenhang mit dem Katalog von Liborius Otho.
11D.h. am 30. Oktober nach dem gregorianischen Kalender.
12Der Zettel ist erhalten und findet sich in der Handschrift: Cod. Guelf. 148 Noviss. 2°.
13Licinius (Adoptivsohn Diocletians, Valerius Licinianus Licinius; * um 265; † 325) war von 308 bis 324 römischer Kaiser. In der Literatur der Zeit mit Bezug auf christliche Quellen als Christenverfoger und Feind der Literatur dargestellt, Vgl. z.B. Hofmann, Johann Jacob: Lexicon Universale [...]. - Leiden, 1698, S. 812.
14Caracalla (188 - 217), von 211 bis zu seinem Tod römischer Kaiser. Wird wegen der Brutalität seiner Herrschaft und rücksichtslosen Unterdrückung der Opposition sowie seiner angeblichen sexuellen Beziehung zu seiner Mutter bzw. Stiefmutter in der antiken Geschichtsschreibung sehr negativ beurteilt.
15Cassius Dio 78.11.2.
16Vegetius, Epitoma I, Prooemium.
17In der Mader/Schmidtschen Ausgabe (B) findet sich hier fälschlich cogitari.
18Ptolemaius II Philadelphus (308 v. Chr.-246 v. Chr.).
19Vgl. Sen. De Tranq. 9.5.
20Gemeint ist die Septuaginta.
21Sen. De Tranq. 9.5.
22Vgl. Dio Cassius 49,43,8 und Plut. Marc. 30,6. Vgl. a Lipsius, Syntagma, cap. 6.
23In: Publius Victor, Descriptio Urbis Romae.
24Vgl. Lipsius, Syntagma, cap. 8; H.A. Gord. 18,2.
25Cic. Att. 1,9(4),3.
26Cic. Att. 1,3(7)
27Cic. Att. 1,6(10),4.
28Cic. Att. 4,11(10),1.
29Cic. Fin. 3.10.
30Hor. Ep. 1.18.104.
31Luc. Ind. 13.
32Übersetzung von Fritz Weiss. [Nachweis im OPAC] Gel. 3,17,1-3.
33Moderne Ausgaben haben hier puerilium statt servilium.
34Sen. Tranq. 9,5-7; Übersetzung nach Manfred Rosenbach [Nachweis im OPAC] .
35Justus Lipsius: Syntagma de Bibliothecis. Löwen 1602, S. 31 (cap. X). Übersetzung von Thomas Stäcker und Christian Heitzmann s. Thomas Stäcker (Hrsg.): Justus Lipsius' De Bibliothecis Syntagma. Wolfenbüttel 2012. (Editiones Electronicae Guelferbytanae 1). [Link] .
36Sen. Ep. 64,7-10. Übersetzung nach Rosenbach [Nachweis im OPAC] .
37Plin. Nat. Hist. 35,10 (cap.II). Hier und im Folgenden Übersetzung nach König/Winkler [Nachweis im OPAC] .
38Plin. Nat. Hist. 35,8 (cap. II).
39Plin. Nat. Hist. 35,9 (cap. II).
40Plin. Nat. Hist. 35,5 (cap. II).
41Plin. Nat. Hist. 35,11 (cap. II) .
42Cic. Att. 1,10 (1),5; Übersetzung nach Helmut Kasten [Nachweis im OPAC] .
43Cic. Att. 1,9 (4),3; Übersetzung nach Helmut Kasten [Nachweis im OPAC] .
44Cic. Att. 4,11 (10); Übersetzung nach Helmut Kasten [Nachweis im OPAC] .
45Vgl. Plin. Nat.Hist. 7,51(114) (cap. XXXI); Text weicht von modernen Ausgaben ab.
46Zu Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), dem späteren Papst Pius II. s. Wikipedia
47Zum Gesandten des Königs Pyrrhus Kineas († nach 278 v. Chr) s. Wikipedia
48Druckfehler bei Schmidt: destituti statt destitui.
49Ovidius, Tristia 4,6,17.
50Zu Georg Eberlin, Jurist und Hofrat, gestorben 1616 vgl. den Artikel von Steffenhagen in ADB . Seine Abhandlung De elocutione legali und weitere Schriften sind handschriftlich in Cod. Guelf. 789 Helmst. überliefert.
51Druckfehler bei Schmidt: auctores statt auctoris.

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