Einführung

Friedrich Eberhard Collin: Wunder-voller Schauplatz Der Heiligen Märtyrer
Nikola Roßbach

1. Titel
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Wunder-voller Schauplatz Der Heiligen Märtyrer, Und zwar vornemlich Der um der Wahrheit und des Namens Christi willen auf allerley grausame Weise Getödteten Kinder/ Von Unmündigen an, bis auf Fünffzehn-jährige, Nebst einem kurtzen Anhang von den Trübsalen und Verfolgungen der Glaubigen durch alle Secula N. Testaments; So wohl denen Erwachsenen als auch insonderheit der lieben Jugend in Häusern und Schulen zur Seelen-Erbauung eröffnet Von Friedrich Eberhard Collin, Weyland Hochgräf. Reuß-Plauischen Hof-Predigern in Lobenstein. Franckfurt am Mayn, verlegts Dominicus von Sand, MDCCXXIX. Frankfurt/Main: Dominikus von Sande, 1729. - Frontispiz (Kupfertafel), Titelseite (Kupfertafel), Widmung (30 unpag. S.), Vorbericht (3 unpag. S.), Einleitung (22 unpag. S.), Haupttext (664 S.), Anhang (184 neu pag. S.), 8°. [vd18 ↗10317295]

2. Verfasser
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Friedrich Eberhard Collin (1684-1727) war ein pietistischer Hofprediger zu Lobenstein. In seinem postum erschienenen Werk Der Sieg der ersten Blut-Zeugen Jesu Christi, durch Glauben und Gedult, Nach Alphabetischer Ordnung entworffen, Und In Kupffern vorgestellet (Frankfurt, Leipzig 1738) ist auf S. 381-465 eine ausführliche, pietistisch geprägte Modellbiographie des verstorbenen Verfassers eingebunden: „Lebens-Beschreibung Des sel. Auctoris, HERRN Friedrich Eberhard Collins“. Laut dieser Biographie wurde Collin 1684 in Worms geboren. Er verließ die Stadt mit seinen Eltern, als die Franzosen im Jahr 1689 Worms belagerten und zerstörten; nach einem kurzen Aufenthalt in Sachsenhausen zog die Familie nach Wertheim, wo der junge Collin eine Schulausbildung erhielt. 1704-1708 studierte er in Gießen und Jena Theologie und wurde danach Prediger dreier Gemeinden bei Wertheim (Lebens-Beschreibung Des sel. Auctoris, HERRN Friedrich Eberhard Collins, S. 386). Die Lebensbeschreibung bietet sodann unzählige anekdotische Beispiele dafür, wie „unsträfflich und exemplarisch“ (ebd., S. 391) Collins Leben hinsichtlich Gottesfurcht, Predigten, Schriften, Seelsorge und Lehre war. Collins muss ein strenger Geistlicher gewesen sein, der seine ‚Schäfchen’ rigide überwachte: „Er besuchte seine Zuhörer von Haus zu Haus, schrieb ihre Nahmen, ihre Kinder, und ihre geistliche Bücher, die sie hatten, in ein eigen Buch, so er ein Seelen-Register nennte, und ermahnte sie zu allein guten. Er ließ bald diesen, bald jenen zu sich ruffen, und fragte ihn nach seinem Christenthum.“ (ebd., S. 399)

Wegen seiner pietistischen Orientierung war Collin vielen Feindseligkeiten ausgesetzt und wurde 1723 sogar vom Dienst suspendiert. Ab 1724 wirkte er jedoch schon wieder als Prediger und Schulinspekter in Zeulenroda im ostthüringischen Vogtland. 1725 wurde Collin vom Grafen Heinrich XV. Reuß zu Lobenstein nach Lobenstein berufen, wo er bis zu seinem Tod als Hofprediger tätig war.

Der pietistische Theologe verfasste weitere Schriften aus dem Bereich der theoretischen und vor allem praktischen Moraltheologie, zunächt auf lateinisch – Quatuor Prima Capita Geneseos Samaritana (1704), Qôlîn Seu Rabbini Ex Tenebris Talmudicis Vocantes, Suisque Nervosis Apophtegmatibus Redivivi (1705) –, dann nur noch auf deutsch: Die eigentliche Gestalt eines wahren Christen, sowohl in als nach der Belehrung (1711, 1731), Der grosse Ernst des thätigen Christenthums, Aller vergänglichen Welt-Spiel- und Tantz-Lust auch andern Eitelkeiten der Welt entgegen gesetzet (1719), Das Werck Des Glaubens in der Krafft (1719), Das Grosse Geheimnuss der Liebe Jesu im Heiligen Abendmahl (1720, 1731), Die hertzliche und zu dieser Zeit allernöthigste Warnung Christi vor falschen Propheten (1723), Schrifftmässige Vorstellung Von denen Privat-Versammlungen, Oder von denen Besondern Erbauungen glaubiger Christen untereinander (1726), Christliche Gedancken von guter Kinder-Zucht (1732, 1738) und etliche mehr. Am erfolgreichsten war Collins Schrift Das Gewaltige Eindringen ins Reich Gottes Oder Der wichtige Kampff des geistlichen Israels (1722, 1732, 1734), von der ein separater Teildruck erschien: Herrn Friedrich Eberhard Collins Kurtzgefaßte Lebens-Regeln Wie sie in seinem Gewaltigen Eindringen ins Reich Gottes befindlich (1741).

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1729 bei Dominikus von Sande in Frankfurt/Main.

Entstanden ist der Wunder-volle Schauplatz Der Heiligen Märtyrer offenbar vier Jahre früher: Collin unterzeichnet die Widmung am 2.5.1725 und gibt als Schreibort noch Zeulenroda an, das er im gleichen Jahr in Richtung Lobenstein verließ. Dem Grafen Heinrich XV Reuß zu Lobenstein dankt er demütig für dessen „Vormundschaffts-Herrschaft“ und Berufung „in Dero Dienst und Land“ (Widmung, unpag. [S. 29f.]).

Ein in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart aufbewahrtes Exemplar (Sign. Kirch.G.oct.1431) weist ein abweichendes Titelblatt ohne Jahreszahl auf und wird von der besitzenden Bibliothek auf 1725 datiert, wahrscheinlich eine Schätzung aufgrund des Widmungsdatums.

Abb.: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sign. Kirch.G.oct.1431.

Die Hessische Landesbibliothek Wiesbaden (Sign. MS 942) datiert ihr Exemplar (ebenfalls ohne Impressum) auf 1730. Beide Zahlen können auch auf die gängige bibliothekarische Praxis zurückzuführen sein, bei Datumsschätzungen in Fünferschritten (1725, 1730 etc.) fortzuschreiten.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Schleitz: Weichberger und Reißmann 1734.

Hof/Bayreuth 1737.

3.2.1. Digitale Ausgabe
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4. Inhalt
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Collin eröffnet seinen Wunder-vollen Schauplatz Der Heiligen Märtyrer mit einem drastischen Frontispiz. Eingerahmt von der Oberzeile „Dort Jubilieren wir in Ewigkeit“ und der Unterzeile „Hier weinten wir nur eine kurtze Zeit“ sieht man im Vordergrund zwei Soldaten, die genüsslich Kinderherzen verspeisen und in der Hand ein aufgeschnittenes Kind, am Speer ein weiteres aufgespießtes mit sich tragen. Im Mittelgrund verüben andere Soldaten verschiedenste Grausamkeiten an Kindern, der Boden ist mit unzähligen kleinen Leichen bedeckt. Den Hintergrund bildet eine Häuser- und Gebirgslandschaft. Das obere Bilddrittel zeigt einen umwölkten Himmel, in dessen Zentrum der göttliche Schöpfer thront, umgeben vom jubilierenden Engelschor. Borgards sieht zwei Möglichkeiten der Bilddeutung, abhängig vom Standpunkt des Betrachters: „In der Figur des Märtyrers, das zeigt dieses Bild, wird das Jenseits schon im Diesseits vorweggenommen. Dieses Jenseits im Diesseits läßt sich nun entweder mit festem Glauben betrachten, oder aber es läßt sich mit flirrender Skepsis in die Aporie führen.“ (Borgards, S. 188)

Dem Haupttext ist eine ungewöhnlich umfangreiche Widmung vorgeschaltet, zugeeignet „Dem Hochgebohrnen Grafen und Herrn/ Herrn Heinrich dem XI. älteren Reussen/ Grafen und Herrn von Plauen, Herrn zu Graitz, Cranichfeld, Gera, Schläitz, Lobenstein etc. Meinem Gnädigsten Grafen und Herrn“ (Widmung unpag. [S. 1]). Der erste Satz führt programmatisch ins Thema ein: „Daß die gröste Weisheit in der lebendigen Erkänntnuß des gecreutzigten JESU, und die Haupt-Summa des thätigen Christenthums in der Nachfolge Christi und willigen Auffnehmung seines Creutzes bestehe, solches ist wohl bey denen, die GOttes Wort annehmen, eine ausgemachte und unstreitige Sache.“ (Widmung, unpag. [S. 2])

Anhand zahlreicher biblischer Zitate macht der Verfasser die göttliche Aufforderung zur menschlichen Nachfolge dingfest. Die routinierte Stützung seiner Aussagen durch Zitatbelege ist eine wissenschaftliche Methode, die der Gelehrte sich offenbar aus der Not heraus angeeignet hatte: Angefeindet wegen seiner pietistischen, scheinbar von der kirchlichen Dogmatik abweichenden Lehre, gewöhnte Collin sich offenbar ab 1715 an, „daß er durchs gantze Jahr seine vorgebrachte Lehre allezeit bewieß, 1) aus der Bibel, 2) aus dem Catechismo Lutheri, 3) aus dem Gesang-Buch, 4) aus einem andern geistreichen Buch, z.E. dem sel. Arnd, oder D. Müllern“ (Lebens-Beschreibung Des sel. Auctoris, HERRN Friedrich Eberhard Collins, S. 388).

Die Nachfolge Jesu, laut Collin höchstes Ziel eines jedes Christen, wird unmissverständlich als Nachfolge im Leiden, im Martyrium profiliert: Man solle keinen anderen Weg anstreben, da es „die gröste Ehre ist, mit Christo dem Ehren-König, und um seines Nahmens willen etwas zu leiden“ –„Ach es ist doch so gar eine Ehrwürdige Sache um das Creutz, und um die Gemeinschafft der Leiden Christi!“ (Widmung, unpag. [S. 4]).

Es folgt ein Panorama märtyrerhafter, zum Teil heilig gesprochener Herrscherpersönlichkeiten. Neben dem Kurfürst Johannes von Sachsen, der für seinen Glauben gestorben sei, gibt Collin zahlreiche weitere „erbauliche Exempel von Obrigkeitlichen Personen, welche das Creutz Christi für ihre gröste Ehre und Seligkeit gehalten“ (Widmung, unpag. [S. 10]), darunter auch Vorfahren des Widmungsempfängers. Sie alle werden dem Grafen von seinem Hofprediger als Vorbilder angepriesen: „Aus diesem allen erkennen nun E. Hochgräfl. Gnaden zur Gnüge, und werden vollkommen versichert, daß das Creutz und die Schmach Christi allerdings eine Sache seyn müsse, deren man sich nicht allein gar nicht zu schähmen, sondern, welche man über Cronen und Scepter hochzuachten habe […].“ (Widmung, unpag. [S. 17])

In einem dreiseitigen „Kurtzer Vorbericht. In GOTT geliebter Leser!“ (S. 1) legitimiert der Verfasser seine Textauswahl, etwa die Entscheidung, über Grausamkeiten gegenüber Schwangeren, jungen Müttern und Kindern zu berichten, da diese eng mit den anderen Märtyrergeschichten zusammenhingen: „die Erzehlung des mannigfaltigen Marter-Todes auch der kleinsten Kinderlein/ vor/ in und nach der Geburt/“ sei „in dieser Kinder-Historie mit einzubringen“ (Vorbericht, unpag. [S. 2]) gewesen. Unnötig seien hingegen Details, die oft nur von „diesem oder jenem Fabelhansen“ hinzugedichtet worden seien; sie verleiteten sonst dazu, allen möglichen Unsinn zu glauben – oder umgekehrt das Kind mit dem Bade auszuschütten, das heißt „das Wahre mit dem Falschen“ (Vorbericht, unpag. [S. 2]) zu verwerfen und gar das Zeugnis Gottes durch die Heiligen zu bezweifeln.

Ein dritter Paratext, die 22-seitige „Einleitung Von der Hochachtung und fleissigen Ubung der Marter-Geschichte in der ersten Kirch, auch rechtem Gebrauch derselben.“ (unpag. [S. 1]), geht dem Haupttext voran. Collin erläutert den Begriff des Märtyrers und verweist auf die opferbereiten Urchristen: „Allein von dergleichen muthigen Streitern Christi findet man in der heutigen/ in aller Wollust des Fleisches schier gantz ersoffenen Welt/ auch bey denen/ die sich von dem gekreutzigten JEsu und seinem Evangelio nennen und rühmen/ gar wenige […].“ (Einleitung, unpag. [S. 3f.]) In der Frühzeit des Christentums seien Märtyrer verehrt, ihre Taten mündlich auf Versammlungen vorgetragen und schriftlich aufgezeichnet, gesammelt und den Nachkommen zur Erbauung tradiert worden. Im Kontrast dazu sei die Gegenwart vergesslich: „Wie wenig aber jetziger Zeit an die Märtyrer und ihr H. Leben in den Häusern/ Schulen und Gemeinden gedacht werde/ und wie wenig man des Jahrs durch ihr Exempel zur Erweckung des Glaubens und Ermunderung im Kampff anzuwenden begehre/ solches ist vorhin schon beklagt worden […].“ (Einleitung, unpag. [S. 13]) Collins Intention ist ausdrücklich nicht historiographisch-deskriptiv, sondern appellativ-missionarisch. Er will seine Leser, Hausväter und mütter, Männer und Frauen, dazu bewegen, aus dem „so grossen verderbten Hauffen“ heraus in „die Fußstapffen der alten Heiligen“ (Einleitung, unpag. [S. 14]) zu treten.

Der 664 Seiten umfassende Hauptteil des Werks versammelt dreißig „Außerlesene Historien Von dem erbaulichen Leidens-Kampf glaubiger Kinder.“ Er beginnt – nicht unerwartet – mit einer Erzählung vom neutestamentarisch dokumentierten bethlehemitischen Kindermord durch Herodes: „Die Erste Geschicht Von Dem schmertzlichen Marter-Tod unmündiger Kinder und Säuglinge, welche vermuthlich meistentheils 1. 2. oder 3. Jahr alt gewesen sind, Sonderlich Von den Bethlehemitischen Knäblein, und vielen andern aus den alten und neuen Zeiten.“ (S. 1)

Die weiteren Abschnitte, geordnet nach dem aufsteigenden Alter der jungen Märtyrer, sind wie folgt überschrieben:

„Die Andre Geschicht Von Noch mehrern dergleichen ein- zwey- und dreyjährigen Kindern.“ (S. 13)

„Die Dritte Geschicht Von Cyrco einem Kind, von 3. Jahren, und seiner Mutter Julitta; Wie auch etlichen andern gleiches oder geringern Alters“ (S. 29)

„Die Vierte Geschicht Von Isaac einem vierjährigen Knaben und etlichen andern, die ohngefehr eben desselben Alters gewesen sind.“ (S. 46)

„Die Fünffte Geschicht Von Einem fünffjährigen Knaben in Arabien und seiner Mutter, auch andern Kindern aus den neuern Zeiten.“ (S. 63)

„Die Sechste Geschicht Von Vielen sechsjährigen und andern Kindern verschiedenes Alters.“ (S. 74)

„Die Siebente Geschicht Von Barula, einem siebenjährigen Knaben, und etlichen andern Kindern gleiches und geringern Alters.“ (S. 82)

„Die Achte Geschicht Von Einem achtjährigen Knaben, und vielen andern Kindern, wobey zugleich von der Vielheit und grossen Menge der Märtyrer Neuen Testaments gehandelt wird.“ (S. 107)

„Die Neunte Geschicht Von Basilissa, einem neunjährigen Mägdgen, und vielen andern Kindern aus den neuern Zeiten gleiches Alters.“ (S. 132)

„Die Zehente Geschicht Von Etlichen zehenjährigen Knaben, und noch einigen andern Kindern, die ohngefehr oder bey nahe eben desselben Alters gewesen sind.“ (S. 143)

„Die Eilffte Geschicht Von Cyrillo, einem jungen Knaben, wie auch etlichen 10 und 11 jährigen Kindern.“ (S. 156)

„Die Zwölffte Geschicht Von Evlalia, einem zwölffjährigen Mägdgen, auch andern Kindern von 12. und weniger Jahren.“ (S. 176)

„Die Dreyzehente Geschicht Von Majorico, einem kleinen Knaben, und noch einem andern, aus den neuern Zeiten.“ (S. 204)

„Die Vierzehente Geschicht Von Zwölff jungen Knaben, und noch einigen andern.“ (S. 220)

„Die Fünffzehente Geschicht Von Zween Schul-Knaben, welche leibliche Brüder gewesen, wie auch von verschiedenen andern aus den neuern Zeiten.“ (S. 246)

„Die Sechszehnte Geschicht Von Dem Märtyrer Veit, einem Knaben von zwölff Jahren, wie auch einem Mägdgen gleiches Alters, und etlichen andern Kindern.“ (S. 271)

„Die Siebenzehente Geschicht Von Agnete, einem dreyzehen-jährigen Mägdgen, und einem Knaben von zwölff Jahren.“ (S. 289)

„Die Achtzehente Geschicht Von Einem Priesters-Sohn, und einigen andern.“ (S. 316)

„Die Neunzehente Geschicht Von Einem jungen Knaben, dreyen zwölffjährigen Mägdgen und einigen andern.“ (S. 340)

„Die Zwantzigste Geschicht Von Drey jungen Knaben, zwey Mägdgen, und einigen aus den neuern Zeiten.“ (S. 369)

„Die ein- und zwantzigste Geschicht Von Hilariano einem frommen Pfarrkind, wie auch zugleich von seinem Vatter, Geschwistern und vielen andern Zeugen Christi.“ (S. 395)

„Die zwey- und zwantzigste Geschicht Von Sieben Brüdern, und ihrer Mutter, darunter die drey jüngste noch kleine Knaben waren; auch einigen Trübsahlen der neuern Zeiten.“ (S. 495)

„Die drey- und zwantzigste Geschicht Von Sieben andern Brüdern, und ihrer Mutter Symphorosa [et]c.“ (S. 489)

„Die vier- und zwantzigste Geschicht Von sieben geistlichen Brüdern, deren der jüngste, Nahmens Maximus, ein kleiner Knabe war, auch zwo Schwestern aus den neuern Zeiten.“ (S. 514)

„Die fünff-und zwantzigste Geschicht Von Dem Knaben Dioscoro und seinen Mitstreitern, auch einigen Kindern aus den neuern Zeiten.“ (S. 534)

„Die sechs- und zwantzigste Geschicht/ Von Agapito einem Knaben von 15. Jahren, und Anysia einem jungen Mägdgen, wie auch einem Knaben und seiner Mutter aus den neuern Zeiten.“ (S. 560)

„Die sieben- und zwantzigste Geschicht Von Droside einem Mägdgen und vielen jungen Knaben, auch verschiedenen aus den neuern Zeiten.“ (S. 590)

„Die acht- und zwantzigste Geschicht/ Von Margaretha einem Mägdgen von 15. Jahren, und Sotere einer gleichfalls zarten Jungfrau, wie auch einigen aus den neuern Zeiten.“ (S. 612)

„Die neun- und zwantzigste Geschicht Von Dem Knaben Marcellino und einigen andern.“ (S. 628)

„Die Dreyßigste Geschicht/ Von Pontico, einem Knaben von 15. Jahren, welcher mit der tapffern Märerin Blandina getödtet worden, auch vielen Kindern aus den neuern Zeiten.“ (S. 644)

Collin war ein Praktiker der religiösen Morallehre. Das zeigen auch und vor allem die Fragenkataloge, die den Wunder-vollen Schauplatz Der Heiligen Märtyrer auszeichnen. Am Ende jeder Seite befinden sich mit Ziffern versehene Fragen, die auf entsprechend nummerierte Zeilen im Fließtext referieren. Wir lesen unten also: „Welches waren die erste Märtyrer Neuen Testaments?“ und erhalten beim Blick nach oben die Antwort: „die Bethlehemitische Kindlein“ (S. 2). Die Herkunft dieser didaktischen Methode erhellt Collins Biographie, die zugleich einen interessanten Einblick in den sonntäglichen Gottesdienst im 18. Jahrhundert gewährt: „Da er sahe, daß das Wort GOttes, so er in öffentlichen Predigten vortrug, nicht mit rechter Begierde, Aufmercksamkeit u. Andacht angehört wurde; sondern die armen Leute in allen Predigten nur einschlieffen, und folglich aus den Predigten, wenig oder nichts behielten: gings ihm sehr nahe, machte aus der Noth eine Tugend, und hielt es lange Zeit mit seinen Predigten also: Er ging nach geendigtem ersten Theil der Predigt von der Cantzel, und examinirte Junge und Alte, ob und was sie nun behalten hätten: worauf er wieder hinauf stieg, und in der angefangenen Predigt fortfuhr; welche er aber Nachmittag in der Kinderlehre abermal wiederholte, und also zimlich erhielt, daß seine Zuhörer in den Predigten nicht mehr so schlieffen, sondern nunmehro besser acht gaben.“ (Lebens-Beschreibung Des sel. Auctoris, HERRN Friedrich Eberhard Collins, S. 399)

In der Einleitung zum Wunder-vollen Schauplatz Der Heiligen Märtyrer erläutert der Verfasser seine Fragenkataloge. Durch sie hätten „Eltern und Schuldiener eine Anweisung […], wie sie eine solche Historie, wenn sie durch die Kinder abgelesen worden, in Frag und Antwort verwandelt, und dieselbe daraus examiniren sollen“; durch Wiederholung bleibe „das gelesene und gelernte endlich hangen“ (Einleitung, unpag. [S. 22]). Collin bezieht sich ausdrücklich auf die Fragetechnik in Johann Hübners 1714 erstmalig erschienenen Zweymal zwey und funfzig auserlesene Bibl. Historien aus dem Alten und Neuen Testamente, der Jugend zum Besten abgefasset. An die enorme, bis weit ins 19. Jahrhundert dauernde Erfolgsgeschichte dieser etliche Male wiederaufgelegten Hübner’schen Biblischen Historien konnte Collin mit seinen Märtyrergeschichten allerdings nicht anknüpfen.

Die enge, sehr textnahe Fragetechnik impliziert natürlich auch eine starke Lenkung der kindlichen Neugier in bestimmte Bahnen. Das ist beabsichtigt vom Verfasser, der betont, dass er unnötige, anstößige Details weglasse, „damit die Kinder nicht Gelegenheit nehmen möchten fürwitzige Fragen anzustellen; wornach sich auch ein verständiger Lehrer in der Unterweisung der Kinder zu richten hat“ (Vorbericht, unpag. [S. 2]).

Wirklich keine Details? Als heutiger Leser wird man Beschreibungen wie diese als äußerst detailliert empfinden: „Man hat Kinder von ein, zwey oder drey Jahren an den Mauren zerschmettert, in Stücke zerhauen, in Körbe und Bütten als einen Koth zusammen geschmissen, und in den Strohm geschüttet, an Stricke gebunden, und auf den Gassen zu tode geschleifft; man hat sie mit Steinen todt geworffen, oder an Gabeln gestreckt, herum getragen, und endlich ins Wasser geworffen; Man hat die kleine in der Wiegen oder in dem Schoß, oder an den Brüsten der Mütter liegende und lächelnde Kinder mit dem Bajonet durchspieset, und so zu tod zappeln lassen, oder vor den Augen der Eltern an Spiese gesteckt und gebraten, oder an die Felsen angeschlagen, daß das Hirn auf allen Seiten ausgesprützet ist; man hat dieselbe bey den Beinen angefasset, in Stücke zerrissen, die Leber gefressen, die Schenckel und Beine derselben einander aus Schertz um den Kopff geschlagen, oder sonsten andere unerhörte und horrible Grausamkeiten, Frevelthaten und Boßheiten an ihnen verübet.“ (S. 7f.)

In Collins Lebensbeschreibung heißt es, er habe seine Schriften vor der Druck skrupulös redigiert, „um ein Wörtlein, so ihn scharf dünckte, mit einem andern liebreichen mildern zu können“ (Lebens-Beschreibung Des sel. Auctoris, HERRN Friedrich Eberhard Collins, S. 417) – man fragt sich, wie die zitierte Passage wohl vor dem Druck ausgesehen hat.

Derartig deftige, brutale Beschreibungen fordern ‚fürwitzige’ Neugier und Phantasie kindlicher Zuhörer geradezu heraus. Die Fragen hingegen, die Collin selbst zulässt, sind rein deskriptiver Natur und tragen sicherlich dazu bei, dass die Folterszenen im kindlichen Gedächtnis ‚hangen’ bleiben:„46) Erzehlt mir wie sie getödtet worden, und zwar erstlich, an den Mauren? 47) wie mit dem Schwerdt? 48) wie in Ströhmen und Flüssen? 49) wie mit Stricken? 50) mit Steinen? 51) mit Gabeln? 52) mit Bajonetten? S. 8 weiter: Fragen: 53) mit Bratspiesen?, 54) an den Felsen? 55) wie mit den Händen und sonsten?“ (S. 7f.)

Die von Collin imaginierte Lernsituation sieht also so aus: Auf die Frage der Eltern oder Lehrer „Wie wurde das Kind mit Bratspießen getötet?“ antwortet das folgsame Kind korrekt: „Es wurde daran gesteckt und gebraten.“ Die Ausblendung der kindlichen Psyche durch den Lehrer, Prediger und Moraltheologen Collin ist nicht völlig mit dem Zeitargument zu legitimieren, denn schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es pädagogisch fortschrittliche Theologen wie etwa Johann Gottfried Zeidler, die für eine angstfreie, natürliche Lernsitution eintraten. Und auch ganz abgesehen von der offensichtlichen Unkindgemäßheit der Collin’schen Didaxe irritiert die Methode, wenn man ihre Effektivität in Hinblick auf das konkrete missionarische Ziel (Bereitschaft zur Nachfolge Christi durch Beglaubigung der göttlichen Wahrheit im Schmerz) einschätzt: Die wirksamere Methode zur Anwerbung von Märtyrern wäre wohl weniger das phantasievolle Ausmalen der Qualen als das der Belohnung gewesen.

Der folgende „Anhang Von den Trübsalen der Kirche Christi durch alle Secula.“ tritt aus dem didaktischen Rahmen und bietet eine chronologische, durch gelehrte Fußnotenbelege abgesicherte Geschichte erlebter Leiden der Christenheit von den Anfängen bis zur immer noch düsteren Gegenwart, denn: „SO wenig der Satan das ausbrechende Licht des Evangelii in dem vorigen Seculo vertragen können/ eben so wenig hat ers in diesem leiden wollen; ja er hat sich vielmehr mit äusserster Macht und Grausamkeit darwieder gesetzt/ und den Lauff des Evangelii/ wo es ihm nur möglich gewesen/ zu hindern gesucht.“ (S. 172)

„Erstes Jahr-Hundert.“ (S. 1)

„Anderes Jahr-Hundert.“ (S. 9)

„Das dritte Jahr-Hundert.“ (S. 21)

„Das vierte Jahr-Hundert.“ (S. 38)

„Das fünffte Jahr-Hundert.“ (S. 65)

„Das sechste Jahr-Hundert.“ (S. 76)

„Das siebende Jahr-Hundert.“ (S. 86)

„Das achte Jahr-Hundert.“ (S. 95)

„Das neunte Jahr-Hundert.“ (S. 101)

„Das zehende Jahr-Hundert.“ (S. 109)

„Das eilffte Jahr-Hundert.“ (S. 115)

„Das zwölffte Jahr-Hundert.“ (S. 125)

„Das dreyzehende Jahr-Hundert.“ (S. 131)

„Das vierzehende Jahr-Hundert.“ (S. 138)

„Das funffzehende Jahr-Hundert.“ (S. 146)

„Das sechszehende Jahr-Hundert.“ (S. 256)

„Das siebenzehende Jahr-Hundert.“ (S. 172)

Die Geschichte des christlichen Martyriums beginnt bei den ersten Verfolgungen unter Nero und Domitian, setzt sich fort mit feindlichen Angriffe durch Juden, heidnische Sarazenen und Türken auf Anhänger des christlichen Glaubens und endet bei den Verfolgungen von Protestanten durch die katholisch-päpstliche Kirchenobrigkeit. Letztere wird – womöglich aus subjektiver Betroffenheit des Verfassers heraus – sogar noch schwerwiegender gewertet als die Feindseligkeiten osteuropäischer Kriegsmächte: „Das meiste hatten die Rechtglaubige oder sonsten stille Seele von denen/ die sich Christen nennten/ sonderlich aber den fleischlich-gesinnten und irrigen Lehrern zu leiden. Wo nur die Römische Clerisey das brachium seculare, oder die weltliche Obrigkeit wider die Protestanten aufbringen/ die Religions-Pacta durchlöchern und aufheben/ oder den Gottesdienst der Evangelischen hindern konten/ spahrten sie gemeinglich keinen Fleiß; und weil es von oben herunter gefehlt war/ so machten sich die Geringere denn auch kein Gewissen jenen nachzufolgen. Pabst Paulus V. ließ sich einen Vice-Gott und einen Erhalter der Päbstlichen Allmacht tituliren/ Innocentius X. widersetzte sich dem Osnabrückischen Religions-Frieden durch eine öffentliche Bulle.“ (S. 173) Sicher war es schmerzlich für den Pietisten Collin, an dieser Stelle auch innerprotestantische Konflikte, insbesondere Anfeindungen pietistischer Theologen wie Johann Arnd (1555-1621), Heinrich Müller (1631-1675) und Philipp Jacob Spener (1635-1705), erwähnen zu müssen (S. 174).

5. Kontext und Klassifizierung
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Friedrich Eberhardt Collins Wunder-voller Schauplatz Der Heiligen Märtyrer gehört zur moralischen Erbauungsliteratur der Frühaufklärung. Der Buchmarkt zeichnet sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiterhin durch eine „dominierende Stellung der Theologie bzw. der religiösen Schriften“ (Wittmann, S. 85), nämlich durch einen Anteil von etwa 40 %, aus; das ändert sich kaum zwischen 1625 und 1735. Neben dem säkular ausgerichteten Lesepublikum wuchs mit dem Vordringen des Pietismus seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in den protestantischen Gebieten ein breites religiös ausgerichtetes Lesepublikum heran, das einen großen Bedarf an geistlichen Schriften für gemeinsame und private Lektüre hatte (Wittmann, S. 118).

Märtyrerlegenden wurden in mehreren Sammlungen der Frühen Neuzeit verbreitet (zu Martyrologien der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts siehe Stefan Laubes Artikel zu Richard Verstegans Theatrum Crudelitatum, „Kontext und Klassifizierung“). 1660 war ein anderes Märtyrer-Theatrum erschienen: Thieleman Janszoon van BraghtsHet Bloedig Tooneel Of Martelaers Spiegel Der Doops-Gesinde Of Weereloose Christenen (1660; 2., verbreiteterer Druck 1685). Es erlebte bis ins 20. Jahrhundert hinein zahlreiche Übersetzungen ins Englische, Französische und Deutsche. Johann Peter Millers deutsche Übersetzung des Bloedig Tooneel – Der blutige Schau-Platz oder Martyrer-Spiegel der Tauffs Gesiñten oder Wehrlosen-Christen […] – wurde 1748/49 von der Brüderschaft der Mennoniten in Pennsylvania verlegt und gedruckt.

Ähnlich erfolgreich waren William Caves und Jeremy Taylors bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts vielfach aufgelegten, 1696 ins Deutsche übersetzten Antiquitates christianæ, or, The history of the life and death of the holy Jesus as also the lives acts and martyrdoms of his Apostles (1675) sowie ihre Antiquitates apostolicae, or, The history of the lives, acts and martyrdoms of the holy apostles of our Savior, and the two evangelists, SS. Mark and Luke (1676). Der Theologe Gottfried Arnold gab ca. 1695 den Band M.G.A.A.M. Erstes Marterthum/ oder Merckwürdigste Geschichte der ersten Märtyrer mit der ältesten Scribenten eigenen Worten treulich beschrieben heraus. Friedrich Eberhard Collin selbst sammelte nicht nur kindliche, sondern auch erwachsene Märtyrer: Der Sieg der ersten Blut-Zeugen Jesu Christi, durch Glauben und Gedult, Nach Alphabetischer Ordnung entworffen, Und In Kupffern vorgestellet (1738) erschien erst postum. Zwanzig Jahre später kommt ein weiterer bis ins 20. Jahrhundert neu aufgelegter und ins Französische und Deutsche übersetzter Erfolgsschlager mit einschlägigem Thema auf den Buchmarkt: Alban ButlersThe lives of the fathers, martyrs, and other principal saints (1756-1759).

Doch Collins Märtyer-Schauplatz steht nicht nur im Kontext historiographischer und moraltheologischer Wissenssammlungen, sondern ist in seiner Thematik und theatralen Metaphorik auch verwandt mit dem Genre des barocken Dramas. Das Theater, das sich im 17. Jahrhundert „wesentlich als konfessionelle Bühne“ herausbildete, „die auch der Ausbildung und Glaubenspropaganda diente“ (Niefanger, S. 139), will nicht die Realität abbilden, sondern präsentiert eine ständehierarchisch strukturierte und heilsgeschichtlich perspektivierte Welt (Dyck, S. 112), konzipiert als Theatrum mundi. Dazu gehören wesentlich die Märtyrerfiguren als erbauliche Exempel. Die inszenierte Atrocitas (Grausamkeit) steht bei Andreas Gryphius (1616-1664) und anderen Dichtern im Dienste der Mäßigung und Affektkontrolle des Rezipienten. Noch in der Romantik entstehen ästhetische Fiktionen christlichen Martyriums, z.B. Ludwig Tiecks Genoveva (Leben und Tod der heiligen Genoveva, 1799) und E.T.A. Hoffmanns Serapion (Die Serapionbrüder, 1819-1821), von Borgards gelesen als ästhetische Auseinandersetzungen mit der schmerzbezeugten Wahrheit des Glaubens.

6. Rezeption
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Die Adressaten des Wunder-vollen Schauplatzes Der Heiligen Märtyrer sind im pietistischen, nicht unbedingt gelehrten Umfeld des Verfassers zu suchen. Collin eröffnet sein Werk So wohl denen Erwachsenen als auch insonderheit der lieben Jugend in Häusern und Schulen zur Seelen-Erbauung. Missionarisch wirbt er um die Nachfolge Christi bei Erwachsenen und speziell bei Kindern, die hier auf hunderten von Seiten alles Erdenkliche über körperliche Gewalt gegen ihre Altersgenossen erfahren. Der letzte Satz lautet: „Lernet/ liebe Kinder/ an diesem Exempel/ GOtt und eure Eltern in rechter Ordnung treulich und hertzlich lieben/ das vierte Gebott hat grosse Verheissung/ lasset euch ihre geistliche/ ewige und auch leibliche Wohlfahrt auf das höchste angelegen seyn und zu Hertzen gehen/ so werdet ihr den Segen erlangen.“ (S. 664) Collin, den Brechts Geschichte des Pietismus nicht kennt, war ein produktiver Schriftsteller, dessen Werke einschließlich des vorliegenden oft mehrere Auflagen erfuhren: Der Wunder-volle Schauplatz der Heiligen Märtyrer mag durchaus in vielen Bibliotheken lesefreudiger pietistischer Haushalte gestanden haben.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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