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Le Defiant [Auszug]

2) Le Defiant; in drey Aufzügen von Ch. An. Coypel, den 10 Julius 1718. zum erstenmale aufgeführt.

Personen des Stücks. Lelio, der Mißtrauische. Flaminia,
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des Lelio Tochter. Pantalon, des Lelio Bruder. Mario, Liebhaber der Flaminia und Freund des Pantalon. Violette, der Flaminia Mädchen. Arlequin, des Lelio Bedienter. Scapin, ein andrer ver trauter Bedienter des Lelio. Pierrot, ein Anverwandter des Scapin. Lelio hat nur eine Tochter, (Flaminia) die er gern an einen Mann von Stande verheyrathen wollte. Pantalon, sein Bruder, kömmt und will für den Mario um sie werben, welches ein junger Mensch von Familie ist, und den Flaminia liebt. Allein Lelio will sie ihm nicht geben, weil man ihm gesagt hat, daß Mario ein wenig frey lebe, und sein Vermögen eher als ein andrer durchbringen werde. Dieser abschläglichen Antwort wegen ist Mario ziemlich verlegen, und weis nicht wie er mit seiner Gebieterin zu sprechen kommen soll, weil Lelio so mißtrauisch ist, daß sich niemand seinem Hause nähern darf, von dem er nicht glaube, daß er ihn bestehlen wolle. Gleichwohl findet Mario ein Mittel hineinzukommen und die Flaminia zu sehen, die ihm verspricht, daß sie niemals eines andern, als die seinige seyn wolle. Sie verlassen einander eben da Lelio dazukömmt, und aus vollem Halse, als ein Besessener, schreyt: Dieb! Dieb! man bestiehlt mich! Er hält einen Menschen am Kragen, der einen Sack mit tausend Livres trägt, und den er aus seinem Cabinete herauskommen sehen, das er nach sich zuzuschliessen vergessen hatte. Lelio bildet sich ein, daß ihm dieser Mensch das Geld gestohlen habe; es ist aber gleich das Gegentheil. Denn dieser Mensch ist ein Bedienter eines Freundes vom Lelio, dem er hundert Pistolen geliehen hatte, und der Freund schickt sie ihm itzt durch seinen Diener wieder, welchem Lelio bis itzt weder Zeit noch Freyheit gelassen, seine Commißion auszurichten. Nach dem er es nun gethan, läßt ihn Lelio zwar wieder gehen, befiehlt aber dem Harlequin, ihn bis auf die Strasse zu begleiten, damit er nicht noch etwas bey dem Herausgehen mitnehmen möge. Lelio fragt den Scapin, welches sein vornehmster Bedienter und sein Vertrauter ist, wegen der Heyrath seiner Tochter um Rath, und läßt sich verlauten, daß er sie dem Mario nicht geben wolle. Scapin sagt, er kenne einen sehr reichen Marquis, der sich wohl für seine Tochter schicken möchte; da ihm aber seine Aeltern sehr früh gestorben wären, und er auf dem Lande erzogen worden, so könne es leicht seyn, daß er nicht alle die Artigkeiten einer in der Stadt und in der grossen Welt erzogenen
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Person besitze. Lelio aber erwiedert, daß dieses nichts zu bedeuten habe, und daß er ihn nur solle kommen lassen. Dieser Marquis ist Pierrot, der Sohn eines reichen Bauers, des Bruders vom Scapin, der diesen seinen Vetter gern mit der Flaminia verheyrathen wollte. Er läßt ihn sehr prächtig auskleiden, und stellt ihn dem Lelio und der Flaminia unter dem Namen des Marquis de la Pierre vor, und Lelio sagt seiner Tochter, daß dieses der Gemahl sey, den er ihr be stimme. Der Marquis sagt tausend abgeschmackte Dinge; er nennt den Scapin seinen Vetter, ob es ihm dieser gleich ausdrücklich ver bothen. Und nun kömmt auch Harlequin dazu, der vollends alles zu nichte zu machen drohet; denn da er den Pierrot auf dem Dorfe ge kannt hat, wo er sein Spielgeselle sonst gewesen war, so läuft er auf ihn zu, umfasst ihn und sagt ihm tausenderley närrisches Zeug. Scapin macht dieses alles, so viel ihm möglich, bey dem Lelio wieder gut. Unterdessen ist Mario wegen der Ankunft dieses Marquis und wegen der Hartnäckigkeit des Lelio, ihm seine Tochter nicht zu geben, sehr verlegen. Er wendet sich an Violetten, welches Scapins Liebste ist, und bittet sie, die Heyrath hintertreiben zu helfen. Violette, die sonst bey dem Scapin alles vermag, thut ihm den Vorschlag, und ver spricht ihn zu heyrathen, wenn er den Lelio dahin bringen wolle, daß er dem Marquis de la Pierre seinen Abschied ertheile etc. Scapin aber, der gleich, da ihm Violette diesen Vorschlag thut, seinen Herrn kommen sieht, sagt ganz laut, daß er sich wohl hüten könne, als den Marquis de la Pierre zu heyrathen etc. In diesem Augenblicke kömmt Harlequin dazu, und sagt, daß in dem Hause, und zwar in Scapins Kammer, Feuer ausgekommen sey. Lelio läuft sogleich hin, läßt das Feuer löschen, und steckt eine Brieftasche, die dem Scapin gehört, und die er auf dem Tische gefunden, zu sich. Ehe er sie ihm aber wieder giebt, sucht er sie vorher durch, um zu sehen, ob Scapin nicht irgend eine Rechnung für ihn bezahlt bekommen. Da findet er nun unter seinen Papieren einen Brief von Pierrots Vater, der dem Scapin schreibt, daß es sehr viel gewagt sey, den Pierrot für einen Marquis ausgeben zu wollen, weil er viel zu ungeschliffen wäre, diesen Charakter lange zu behaupten. Ehe Lelio aber durch diesen Brief, den er in der Brieftasche gefunden, Licht erhält, hat sein Bruder
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Pantalon eine sehr lustige Scene mit ihm. Pantalon will mit dem Lelio wegen der lächerlichen vorhabenden Verheyrathung sprechen; dieser aber, nach seiner mißtrauischen Gemüthsart, glaubt, daß er ihm Wagen und Pferde abborgen wolle, und bringt daher, ohne ihm Zeit zu lassen, sich zu erklären, eine lange Reihe von Entschuldigungen vor, warum er sie ihm nicht leihen könne. Und als er hört, daß itzt von ganz etwas andern die Rede sey, bildet er sich ein, daß er Geld von ihm borgen wolle, und läßt sich daher weitläuftig über die elenden, geld klemmen Zeiten aus etc. Endlich wird Lelio, durch die Gründe seines Bruders, und durch den gefundenen Brief von der Untreue des Scapins überzeugt, jagt ihn mit samt dem Pierrot fort, ruft seine Tochter und verspricht sie dem Mario etc. Die Kunstrichter setzen an diesem Stücke aus, daß der Charakter des Mißtrauischen nur sehr oben hin behandelt sey, und mit dem Geitzigen des Moliere zu viel ähnliches habe etc. Deßgleichen schien es ihnen sehr seltsam zu seyn, daß ein so mißtrauischer Mensch, als Lelio ist, gleichwohl gegen den Scapin, der ihn bey der Nase herumführt, nicht das geringste Mißtrauen bezeige. Noch hatte Harlequin eine sehr lustige, episodische Scene darinn; als er nehmlich aus dem Hause seines Herrn heraus kam, und sein Ränzel mit sich brachte, damit es nicht etwa mit verbrennen möge. Er sucht es durch, und da er sein bestes Hemde nicht darinn findet, so geht er wieder hinein, um dieses noch zu hohlen. Er bringt es auch wirk lich, sieht aber, als er zurück kömmt, daß ein Dieb mit seinem Ränzel, davon geht. Er betrachtet ihn, sieht ihm nach, und der Dieb läßt sich auch, auf eine komische Weise, auf allen Seiten und in mancher ley Stellungen von ihm betrachten, so daß diese stumme Scene, nach vielfältigem hin und wiedergehen, sehr lächerlich ausfällt. Der Dieb kömmt endlich mit dem Ränzel davon und Harlequin kömmt allein wieder vor auf das Theater, und spottet über den Dieb, daß er gleich wohl sein bestes Hemde nicht bekommen habe, welches er den Zuschauern in einem sehr elenden Zustande weiset.


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