Text

Catilina : Ein Trauerspiel des H. von Crébillon
|| [512]
( Crébillon's Catilina. Fragment einer Uebersetzung. Den 11. April 1749 schreibt Lessing an seinen Vater: Ich mache mir ein Vergnügen daraus, ihn [meinen Briefwechsel] alle Tage zu erweitern. Ich werde ehstens nach Paris an den Herrn Crébillon schreiben, sobald als ich mit der Uebersetzung seines Catilina zu Stande bin. Sie sagen, daß Ihnen meine Manuscripte zeigten, daß ich viel angefangen, aber wenig fortgesetzt hätte? Ist das so ein groß Wunder? Friedrich II. hatte ein paar Briefe über Crébillon's Catilina veröffentlicht, die viel Aufsehen erregten — Veranlassung genug für Lessing, das Stück dem deutschen Publicum zugänglich zu machen; auch hatte Lessing wahrscheinlich mit seinem projectirten Schreiben an Crébillion die Absicht, Diesen zu einer Aeußerung über die sich selbst widersprechenden Urtheile des hohen Kritikers zu veranlassen; der Tragödie hat vermuthlich zugleich eine Uebersetzung der Briefe des Letztern beigefügt werden sollen, so wie Lessing auch später noch einige kleine Schriften des Königs ins Deutsche übertragen hat. (Danzel, Lessing, I. S. 174.) — Von Lessing's Uebersetzungen, die sich unter den Breslauer Papieren finden, gab zuerst Guhrauer Nachricht in den Blättern für literarische Unterhaltung 1843, Nr. 249. Vgl. unsere beiden folgenden Nummern 16 u. 17.)
|| [513]

Catilina.

Ein Trauerspiel des Herrn von Crébillon.

Aus dem Französischen übersetzt von G. E. L.

Berlin 1749.

[]

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Catilina. Lentulus.

[]

Catilina


Hör auf, Furcht vors Geschick, das mich bedroht, zu tragen!
Je mehr Gefahr ich seh', je mehr kann ich mich wagen;
Bei Näherung des Schlags, wovor Ihr Alle bebt,
Wird mein Muth nicht geschwächt, nur doppelt stark belebt.
Glaub mir, was braucht's, daß Du vor einem Freund Dich zwingest?
In Deines Herzens Grund dring' ich mehr, als Du dringest,
Und kann den Lentulus nicht ohne Mitleid sehn,
Wie nah des Stolzen Tod, wie nah er Dir mag gehn.
Der Römer Wütherich, die Vaterlandesliebe,
Verstellt sich triegrisch Dir in bange Freundschaftstriebe.
Du machst Dir blindlings nur mein Wort zu Deiner Pflicht,
Doch den unsel'gen Hang mißbrauch' ich ferner nicht.
Der Scipionen Ruhm treibt Dich zu reinern Thaten;
Was sie beschützten, will ihr Enkel nicht verrathen.
Das Prätoramt, das Dich zum Glied des Raths erklärt,
Hat der Verschwornen Herz zur ersten Pflicht bekehrt.
Du zitterst, kurz, für Rom. Rom ist es, was Dich kränket,
Wann Dein betrieglich Herz für mich zu zittern denket;
Geh! Dein Gewissen kämpft und windet sich zu sehr.
Kehr zu der Tugend um! Ich gönne Dir die Ehr'.

[]

Lentulus


Brich diese Reden ab, die mich zu sehr verwunden!
Klugheit und Argwohn sind bei Dir zu nah verbunden.
Man glaubt oft, daß ein Herz vor uns entdecket liegt,
Wann uns durch falsches Licht ein schlauer Irrthum triegt.
Hier kann dem Klügsten wohl ein scharfer Blick mißlingen,
Doch braucht ein Mann wie Du nicht schärfer einzudringen.
|| [514]

Vom Mitverschworenen trenn klüglich Deinen Freund,
Gönn ihm ein freies Wort und höre, was er meint!
Von allem Glück und Ruhm, den einst Dein Sieg gewähret,
Verlang' ich nur Dein Herz, das mich vertraulich höret.
Den Vorzug schenke mir! Denn unser Freundschaftsband
Hat mich mehr als zu oft treu und gesetzt erkannt.
Sprich, wann Dein Stolz sich kann so weit herniederlassen,
Was läßt Dich Deine Wuth vor süße Hoffnung fassen?
Was büßte Nonius die Nacht das Leben ein?
Und was soll nun die Frucht von dieser Mordthat sein?

[]

Catilina


Die Frucht ist, daß hinfort Die alle zittern müssen,
Die mir der Eid verbindet, die mein Geheimniß wissen,
Wann sie, wie Nonium, ein kühner Zweifel hält
Und ihre Untreu' sie der Rache bloßgestellt.
Doch kennt mich Lentulus, wie er mich sollte kennen,
So wird er seinen Tod des Meineids Strafe nennen,
So weiß er, daß die Wuth, die ihn zu Schaudern zwingt,
Die Staatskunst, nicht mein Herz zur blut'gen Uebung bringt.
Wo ein gemeiner Held ein Bubenstück beginge,
Da thut ein Rädelsmann wie ich erlaubte Dinge.
Recht oder ungerecht, gut oder lasterhaft,
Was kümmert er sich drum, wenn es ihm Nutzen schafft?
Man mag ihn undankbar, meineidig, grausam finden;
Doch bleibt er groß, läßt er sein Herz nur nicht ergründen,
Wagt er nur Alles, weiß er nur, wie man sich schmiegt
Und das kurzsicht'ge Volk mit äußerm Schimmer triegt.
In Tugenden sowohl als Lastern übertrieben,
Stellt er sich Allen gleich, die sein Verständniß lieben.
Sein zweifelhafter Ruhm kömmt auf den Fortgang an,
Und wen man erst verflucht, vergöttert man alsdann.
Die Schaar, die mir gehorcht, ist des Senates Schrecken,
Und ich muß seines ( (sic) ) sein, mir Ansehn zu erwecken.
Wenn jedes Glied von ihr ein Freund der Tugend wär',
So wär' ich's auch, und mir fiel' keine Tugend schwer.
Dir nur und dem Cetheg bin ich mit Grund gewogen,
Der Rest ist eine Brut, in Lastern auferzogen,
Der ohne Zwang nicht folgt, den Wechseln stets gelüst
Und uns so weit nur liebt, als man ihm ähnlich ist.
Ganz anders ist ein Fürst, vom Recht zum Thron ersehen —
Er winkt, und man gehorcht; er will, es ist geschehen.
Allein wenn man als Feind vom unterdrückten Staat
|| [515]

Den niedrigsten Kriegsknecht zum Mitgenossen hat,
Und der ist unvermerkt in unser Joch zu biegen,
Dazu gehöret Kunst, mehr Kunst als selbst zum Siegen.

[]

Lentulus


So bieg sie in Dein Joch, nur mach Dich nicht verhaßt!
Doch sprich, eh noch der Tag uns überraschend faßt,
Was Dich ins Heiligthum der Tellus hergezogen!
Ihr Priester Probus — — ist Dir dieser auch gewogen?
[Ob] Bedenk, ob seine Macht allhier gleich nichts umschließt,
Ob einem Priester auch so viel zu trauen ist!
Wahr ist's, daß wir durch ihn den Zufluchtsort genießen,
Der uns so offen steht, als wir ihn sicher wissen.
Doch er ist, wie Du weißt, des neuen Consuls Freund,
Mit dem ihn Stolz und Blut, Nutz und Gemüth vereint.
Wann Seinesgleichen sich zu Mitverschwornen geben,
So rettet ein Verrath zuletzt ihr strafbar Leben.
Die Rathsversammelung ist heut hierher bestellt,
Doch dieses ist es nicht, was mich am Meisten quält.
Ich fürchte Fulvius' in Rach' verkehrte Triebe,
Und noch mehr Tullien. Schreckt Deine blinde Liebe
Nicht ihr feindseliges, ihr Dir gehässig Blut?
Sie stammt von Cicero, dem Vorwurf Deiner Wuth.
Wie kann ein großes Herz, [daß] das so viel Sorgen füllen,
So viele Liebesgluth bei so viel Haß verhüllen!
Fühlt Deinesgleichen auch der Liebe süße Pflicht?

[]

Catilina


Ich fühl' die Liebe zwar, allein ich dien' ihr nicht.
Und wenn ein Held wie wir der Liebe unterlieget,
So hat sie seinen Sinn, nicht seinen Geist besieget.
Und wenn das freie Herz in Ruhmbegier entbrennt,
So hat sie keine Macht, als die das Herz ihr gönnt.
Auf die Art wird in mir die Liebe nur gelitten.
Die Schönheit Tullia's, Reiz, Geist und strenge Sitten
Sind meiner Neigung werth. Doch diese Leidenschaft
Ist mehr der Ehrfurcht Frucht als meiner Liebe Kraft;
Denn Rom, das stolze Rom, das so viel Wunder zeiget,
Zeigt nichts, was Tullien an Anmuth übersteiget.
Ich seh' ein ganzes Volk durch ihren Blick entmannt;
Das war der wahre Reiz, der mich für sie entbrannt.



XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000146/crebillon_catilina_ue.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000146/tei-transcript.xsl