Text

Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten
|| [0001.01]
|| [0002.01]

|| [0003.01]

Gotth. Ephr. Leßings Theatralische Bibliothek.

------------------------------------------------------------

Drittes Stück.

Berlin, bey Christian Friederich Voß,

1755.

|| [0004.01]
|| [0005.01]

XI. Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten.

Vorbericht.

Der Abt du Bos war einer von den Vierzigern, und beständiger Sekretär der französischen Akademie. Der Herr von Voltaire hat ihn mit unter die Schriftsteller gezehlet, welche das Jahrhundert Ludewigs des XIV. erleuchtet haben. Er hat sich der Welt als ein Geschichtschreiber und als ein Kunstrichter gezeigt. Als jener in seiner Histoire de la ligue de Cambrai, wel
|| [0006.01]
cher der Herr von Voltaire das Lob zugestehet, daß sie ein Muster in ihrer Art sey. Als dieser, in seinen critischen Betrachtungen über die Dichtkunst und Mahlerey, (Reflexions critiques sur la Poesie & sur la Peinture) von welchen ich hier etwas mehrers melden muß. Ich kann es jetzt nicht gleich wissen, in welchem Jahre sie zu erst ans Licht traten. Ich habe blos die fünfte Ausgabe vor mir, welche von 1746 ist. Es ist die letzte, meines Wissens, und auf den Titel wird gesagt, daß sie von dem Verfasser selbst durchgesehen, verbessert und vermehrt worden. Sie ist in Paris in groß Duodez gedruckt, und bestehet aus drey Theilen, deren stärkster ein Alphabet hat. Der Inhalt, wie ihn der Verfasser selbst entwirft, ist kurz dieser. In dem ersten Theile erklärt er, worinn die Schönheit eines Gemähldes und die Schönheit eines Gedichts vornehmlich bestehe; was für Vorzüge so wohl das eine, als das andere, durch die Beobachtungen der Regeln erlange, und endlich was für Beystand sowohl die Werke der Dichtkunst, als der Mahlerey, von andern Künsten erborgen können, um sich mit
|| [0007.01]
desto grössern Vortheile zu zeigen. In dem zweyten Theile handelt er von den Theils natürlichen, Theils erworbenen Eigenschaften, welche sowohl grosse Mahler, als grosse Dichter, haben müssen, und forscht den Ursachen nach, warum einige Jahrhunderte so viele, und einige fast gar keine berühmte Künstler gesehen haben. Hierauf untersucht er, auf welche Weise die Künstler zu ihrem Ruhme gelangen; an welchen Kennzeichen man es voraussehen könne, ob der Ruhm, in welchem sie zu ihren Zeiten stehen, ein wahrer Ruhm sey, oder ob sie nur ein flüchtiges Aufsehen machen; und endlich aus welchen Merkmalen man es zuverläßig schliessen dürfe, daß der Name eines von seinen Zeitgenossen gerühmten Dichters oder Mahlers, immer mehr und mehr wachsen, und in den folgenden Zeiten noch grösser seyn werde, als er selbst zu seiner Zeit gewesen ist. In dem dritten Theile endlich trägt unser Abt verschiedene Entdeckungen vor, die er in Ansehung der theatralischen Vorstellungen der Alten gemacht zu haben glaubet. In den ersten Ausgaben seines Werks, war diese Materie dem ersten Theile mit eingeschaltet. Weil sie
|| [0008.01]
aber doch nichts anders als eine Ausschweifung war, durch die man die Hauptsache allzulange aus den Augen verlohr, so folgte er dem Rathe einiger Freunde, und machte einen besondern Theil daraus. Dieser besondre Theil nun, oder diese Ausschweifung ist es, welche ich hier meiner theatralischen Bibliothek einverleiben will. Ich werde aber dabey für diesesmal nichts, als die Pflichten eines getreuen Uebersetzers beobachten; und meine Gedanken über verschiedene besondere Meinungen des Verfassers auf eine andere Gelegenheit versparen.
|| [0009.01]

Du Bos von den theatralischen Vorstellungen der Alten.

Eingang.

Die Musik der Alten war eine Wissenschaft, die einen weit grössern Umfang hatte, als unsre Musik. Heut zu Tage lehret die Musik blos zwey Dinge; die Composition der musikalischen, oder eigentlich so genannten Gesänge, und die Ausübung dieser Gesänge, es sey nun vermittelst der Stimme, oder vermittelst der Instrumente. Bey den Griechen und Römern aber hatte die Musik ein weit grössers Feld. Sie lehrte nicht allein das, was unsere noch lehrt, sondern sie lehrte auch noch weit mehr Dinge, welche unsere nicht lehrt; es sey nun, weil man heut zu Tage einen Theil dieser Dinge nicht mehr studirt, oder weil man die Kunst, welche den andern Theil dieser Dinge lehrt, zur Musik nicht rechnet, und demjenigen also, der sie treibt, den Namen eines Musicus nicht beylegt. In dem Alterthume war die Dichtkunst eine von den Künsten, welche mit unter der Musick begriffen wurden, und die Musik war es folglich, welche, Verse von einer jeden
|| [0010.01]
Art zu machen, lehrte. Die Tanzkunst, oder die Kunst der Bewegungen, war gleichfalls eine von den Musikalischen Künsten. Diejenigen also, welche die Schritte und Stellungen unsers Tanzens, oder des eigentlich so genannten Tanzens lehrten, welches ein Theil von der Kunst der Bewegungen war, wurden Musici genannt. Endlich lehrte auch die Musik der Alten die blosse Declamation in Noten zu setzen und zu schreiben, welches man heut zu Tage nicht mehr verstehet. Aristides Quintilianus hat uns ein vortrefliches Buch über die Musik, in griechischer Sprache, hinterlassen. Er lebte unter der Regierung des Domitianus oder Trajanus, wie Meibom, welcher das Werk, wovon ich rede, mit der lateinischen Uebersetzung drucken lassen, aus guten Gründen schließt. Diesem Aristides zu Folge, erklärten die meisten Schriftsteller, welche vor ihm geschrieben hatten, die Musik als eine Kunst, welche die Stimme zu brauchen, und alle Bewegungen des Körpers mit Anmuth zu machen lehre. (*) Τεχνηπρε ποντοςἐνφωναιςκαικινησεσι. Da man gemeiniglich von der Musik der Griechen und Römer den Begrif nicht hat, den ich davon gegeben, und vielmehr glaubt, daß sie mit der unsrigen in gleiche Grentzen eingeschlossen gewesen, so findet man sich in ziemlicher 1
|| [0011.01]
Verlegenheit, wenn man alles das, was die alten Schriftsteller von ihrer Musik, und von dem zu ihrer Zeit üblichen Gebrauch derselben, sagen, erklären will. Daher ist es gekommen, daß die Stellen in der Dichtkunst des Aristoteles, die Stellen im Cicero, im Quintilian und in andern guten Schriftstellern des Alterthums, wo ihrer Musik gedacht wird, von den Auslegern übel verstanden worden, weil sie sich eingebildet, daß in diesen Stellen von unserm Tanze und und unserm Singen, das ist, von dem eigentlich so genannten Tanzen und Singen, gesprochen werde. Die Auslegung, die sie davon geben, taugt fast immer zu weiter nichts, als die Sache noch dunckler zu machen, und uns von der wahren Art, wie wir uns vorstellen sollten, daß die dramatischen Stücke auf den Theatern der Alten aufgeführet worden, ganz abzubringen. Ich unterstehe mich, alle diese Stellen auf eine verständliche Art zu erklären, und besonders diejenigen, welche von den theatralischen Vorstellungen handeln. Folgendes ist der Plan meines Werks. Anfangs will ich einen allgemeinen Begrif von der speculativischen Musik, und den musikalischen Künsten, das ist, denjenigen Künsten geben, welche bey den Alten der Wissenschaft der Musik untergeordnet waren. Von derjenigen Wissenschaft, welche die Grundsätze von allen Arten der Accorde, und allen Arten der Har
|| [0012.01]
monie lehret, werde ich wenig oder nichts sagen, weil es mir nicht zukömmt, in den Auslegungen, welche Meibom, Brossard, Burette und andre neue Schriftsteller, von den uns übrig gebliebenen Werken der Alten über die Harmonie, gemacht haben, etwas zu ändern, oder etwas hinzu zu thun. Zweytens will ich zeigen, daß die Alten ihre theatralische Declamation in Noten gesetzt und geschrieben, so daß diejenigen, die sie recitirten, durch ein Accompagnement unterstützet werden konnten, und auch wirklich unterstützet wurden. Drittens will ich darthun, daß die AltenAten die Kunst der Bewegungen, oder die Saltation, welche eine von den der Musik untergeordneten Künsten war, so vollkommen wohl in eine ordentliche Methode gebracht hatten, daß sie, bey Ausführung verschiedener Scenen, die theatralische Declamation, zwischen zwey Schauspieler theilen konnten, und auch wirklich theilten, deren einer recitirte, und der andere Bewegungen machte, wie sie sich zu den recitirten Versen schickten; und daß sogar ganze Banden von Pantomimen oder stummen Schauspielern entstanden, welche aneinander hangende Stücke, ohne zu reden, spielen konnten. Endlich will ich mein Werk mit einigen Anmerkungen über die Vortheile und Unbequemlichkeiten schliessen, welche aus dem Gebrauche der Alten antstehen konnten.
|| [0013.01]

Erster Abschnitt. Allgemeiner Begriff von der Musik der Alten, und den musikalischen Künsten, welche dieser Wissenschaft untergeordnet waren.

Man kann das Werk über die Musik, welches Aristides Quintilianus in griechischer Sprache geschrieben, und Meibom ins Lateinische übersetzt hat, als das allerlehrreichste ansehen, welches uns über diese Wissenschaft aus dem Alterthume übrig geblieben ist. Es ist, meinem Bedünken nach, das methodischste unter allen diesen Werken; und da desselben Verfasser, ein Grieche von Geburth, täglich mit den Römern umging, weil er in den Zeiten lebte, da alle von den Griechen bewohnte Länder den Nachfolgern des Augustus unterworffen waren, so konnte er gar wohl den Gebrauch wissen, den man zu Rom und in Griechenland von der Musik machte. Aus seinem Buche also wollen wir den allgemeinen Begrif von der Musik der Alten hohlen. Die Musik der Römer übrigens war mit der Musik der Griechen, von welchen sie diese Wissenschaft gelernt hatten, einerley. Ihr Umfang und ihre Grundsätze waren bey den
|| [0014.01]
einen eben die, die sie bey den andern waren, so daß man sich, bey Erklärung des Umfanges und des Gebrauchs der Musik der Alten, mit gleichem Rechte bald der griechischen, bald der lateinischen Schriftsteller bedienen kann. Aristides Quintilianus (im ersten Buche) erkläret die Musik als eine Kunst, aber als eine Kunst, welche die Grundsätze, nach welchen sie verfähret, beweise, und alles lehre, was den Gebrauch betreffe, den man von der Stimme machen könne, zugleich auch alle Bewegungen, deren der Körper fähig sey, mit Anmuth zu bewerkstelligen, zeige. Unser Verfasser führet noch einige andere Erklärungen von der Musik an, die von der seinigen zwar ein wenig unterschieden sind, überhaupt aber doch durchgängig voraus setzen, daß diese Wissenschaft den Umfang wirklich gehabt habe, den wir ihr beylegen. Die lateinischen Schriftsteller sagen eben dieses. Die Musik, spricht Quintilian der Redner (*), lehret nicht allein alle Veränderungen, deren die Stimme fähig ist, sondern auch alle Bewegungen des Körpers gehörig einrichten. Diese Veränderungen und diese Bewegungen aber wollen nach einer gewissen und vernünftigen Methode gemacht und vorgenommenu werden. Numeros musices duplices habet, in vocibus & in corpore, utriusque enim rei aptus quidam motus desideratur. Einige Zeilen 2
|| [0015.01]
weiter fügt unser Verfasser hinzu: Eine anständige und schickliche Bewegung ist dem Redner durchaus nothwendig, und kann durch nichts anders als durch die Musik erlernt werden. Corporis quoque decens & aptus motus, qui dicitur Eurithmia, est necessarius, nec aliunde peti potest. Der H. Augustinus sagt in dem Werke, welches er von der Musik geschrieben hat, eben das, was Quintilian sagt. Er schreibt daselbst, die Musik ertheile von allen den Bewegungen des Körpers Lehren, deren Theorie sich in eine Wissenschaft, und deren Ausübung sich in eine Methode bringen liessen. Quicquid numerositatis, quæ temporum atque intervallorum dimensionibus movetur - - - Musica est scientia bene movendi. (*) Die Musik der Alten hatte also alle Bewegungen des Körpers gewissen Regeln unterworfen, so wie es jetzt die Bewegungen der Füsse unsrer Tänzer sind. Die Wissenschaft der Musik, oder wenn man sie lieber die speculativische Musik nennen will, hieß die harmonische Musik, weil sie die Grundsätze aller Harmonie, und die allgemeinen Regeln von allen Arten der Accorde lehrte. Von ihr also lernte man dasjenige, was wir die Composition nennen. Weil damals der Gesang, welcher das Werk der Composition ist, manchmal Musik im engen Verstande genennt wur 3
|| [0016.01]
de, so theilten die Alten die Musik, nach dieser Bedeutung genommen, in drey Arten, in die Diatonische nehmlich, in die Chromatische und in die Enharmonische. Der Unterschied dieser drey Arten bestand darinn, daß die eine in ihrem Gesange Töne verstattete, welche die andre nicht verstattete. In der Diatonischen Musik konnte der Gesang durch keine geringern Intervalle, als durch die Semitonia majora fortschreiten. Die Modulation der Chromatischen Musik brauchte die Semitonia minora; in der Enharmonischen Musik aber konnte die Fortschreitung des Gesanges durch die halben Semitonia geschehen. Auch theilen die Alten ihre musikalischen Compositionen in verschiedene Arten in Ansehung des Modi oder des Tones, aus welchem sie gingen, und nennten diese Modos nach den Ländern, in welchen sie am meisten waren gebraucht worden. Den einen nennten sie also den Phrygischen Modus, den andern den Dorischen und so weiter fort. Doch ich will meine Leser in dieser Materie auf diejenigen Neuern verweisen, welche ausdrücklich die harmonische Musik der Alten abgehandelt haben, damit ich desto geschwinder auf dasjenige kommen kann, was ich von den musikalischen Künsten zu sagen habe, die der vornehmste Gegenstand meiner Abhandlung sind. Sobald das Feld der Musik von einem so weitläuftigen Umfange war, sobald war es na
|| [0017.01]
türlich, daß sie verschiedene Künste in sich schliessen mußte, deren jede ihr besonderer Gegenstand war. Wir sehen auch in der That, daß Aristides Quintilianus bis auf sechs der Musik untergeordnete Künste zehlet. Von diesen sechs Künsten lehrten drey alle Arten von Compositionen, und drey alle Arten von Ausübung. Porro activum secatur in usuale quod prædictis utitur, & enuntiativum. Usualis partes sunt Melopæia, Rithmopæia, Poesis; Enuntiativi, Organicum, Odicum, Hypocriticum. (*) [] In Ansehung der Composition theilte sich also die Musik in die Melopäie, oder in die Kunst den Gesang zu verfertigen, in die Rithmopäie und in die Poetik. In Ansehung der Ausübung theilete sich die Musik in die Kunst die Instrumente zu spielen, in die Kunst zu singen, und in die hypocritische Kunst oder in die Kunst der Bewegungen. Die Melopäie, oder die Kunst die Melodie zu verfertigen, war die Kunst alle Arten von Gesängen in Noten zu setzen und zu schreiben; das ist, nicht allein den musikalischen oder den eigentlich so genannten Gesang, sondern auch jede Art von Recitation oder Declamation. Die Rithmopäie gab Regeln, alle Bewegungen des Körpers und der Stimme einer gewissen Mensur zu unterwerfen, so daß man den Tact dazu schlagen, und ihn mit einer schicklichen und der Sache gemässen Bewegung dazu schlagen konnte. 4
|| [0018.01]
Die Poetik lehrte das Mechanische der Poesie, und zeigte also, wie man alle Arten von Versen gehörig machen solle. [] In Ansehung der Ausübung, haben wir gesehen, daß sich die Musik gleichfalls in drey Künste theilte; in die Kunst die Instrumente zu spielen, in die Kunst zu singen, und in die Kunst der Bewegungen. Man kann leicht errathen, was das für Unterricht müsse gewesen seyn, den die Organische Musik, welche die Instrumente zu spielen lehrte, und diejenige Musik ertheilte, welche die Singekunst genennt wird. Was die hypocritische, oder die nachäffende Musik anbelangt, die deswegen so hieß, weil sie eigentlich die Musik der Komödianten war, die bey den Griechen gemeiniglich Hypocriten oder Nachäffer hiessen, so lehrte sie die Kunst der Bewegungen, und zeigte, wie man dasjenige nach den Regeln einer festen Methode, und nach gewissen Grundsätzen in Ausübung bringen solle, was wir heut zu Tage bloß durch Hülfe des natürlichen Triebes, oder aufs höchste, vermittelst eines Schlendrians verrichten, der sich nur auf wenige Anmerckungen stützt. Die Griechen nennten diese Musikalische Kunst Ορχησις und die Römer Saltatio. Porphyrius, welcher ohngefehr zweyhundert Jahr nach dem Aristides Quintilianus lebte, und uns einen Commentar über des Ptolemäus drey Bücher ἁρμονικων hinterlassen hat,
|| [0019.01]
theilet die musikalischen Künste nur in fünf verschiedene Künste, nehmlich in die metrische, in die rithmische, in die organische, in die poetische nach ihrem weitesten Umfange, und in die hypocritische. Man findet also, wenn man die Eintheilung des Aristides mit der Eintheilung des Porphyrius vergleicht, daß Porphyrius zwey Künste weniger zehlet als Aristides. Diese zwey Künste sind die Melopäie und die Singekunst. Wenn aber, der Verschweigung dieser zwey Künste ungeachtet, Porphyrius gleichwohl fünf musikalische Künste zehlet, an statt daß er, nach dieser Verkürzung, derselben nur viere zehlen sollte; so kömmt es daher, weil er unter diese Künste auch die metrische Kunst rechnet, deren Aristides gar nicht gedenkt. Allein diese Verschiedenheit in der Zahl der musikalischen Künste hindert im geringsten nicht, daß nicht beyde Schriftsteller im Grunde einerley sagen sollten. Wir wollen uns bemühen die Schwierigkeit dabey zu erklären. Sobald Porphyrius sagte, daß er die poetische Kunst nach ihrem weitesten Umfange annehme, wie er es denn ausdrücklich sagt, so konnte er der Melopäie, oder der Kunst die Melodie zu verfertigen, als einer besondern musikalischen Kunst durchaus nicht gedenken, weil diese letztere Kunst unter der poetischen Kunst, in ihrem weitesten Umfange genommen, begriffen war. Die Kunst die Melodie zu verfertigen war auch
|| [0020.01]
in der That, nach dem Gebrauch der Griechen, ein Theil der Poetik. Man wird es unten sehen, daß die griechischen Poeten die Melodie zu ihren Stücken selbst verfertigen. Wenn aber Gegentheils Aristides aus der Poetik und aus der Melopäie zwey verschiedene Künste macht, so sahe er damit auf die Gewohnheit der Römer, nach welcher die dramatischen Dichter die Declamation ihrer Verse nicht selbst componirten, sondern sie durch besondre Künstler, welche Compositeurs von Profeßion waren, und vom Quintilian Artifices pronunciandi genennet werden, componiren liessen. Wir werden in der Folge weitläuftiger hiervon handeln. [] Aus eben diesem Grunde ist Porphyrius dem Aristides auch hierinn nicht gefolgt, daß er aus der Singekunst eine besondere musikalische Kunst gemacht hätte. Diejenigen welche in Griechenland die Poetik in ihrem ganzen Umfange lehrten, lehrten wahrscheinlicher Weise auch die Kunst, alle Arten des Gesanges oder der Declamation wohl auszuüben. Wenn aber Porphyrius seines Theils aus der rithmischen Kunst, aus welcher Aristides nur eine einzige Kunst macht, zwey verschiedene Künste macht, und sie in die metrische und in die eigentlich so genannte rithmische Kunst eintheilet, welche Aristides beyde unter dem Namen der Rithmopäie begriffen; so kömmt es wahrscheinlicher Weise aus folgender Ursache her. Die Kunst
|| [0021.01]
der Pantomimen, welche unter der Regierung des Augustus entstand, hatte vielleicht in den zwey Jahrhunderten, die von der Zeit des Aristides bis auf die Zeit des Porphyrius verstrichen, so grosse Progressen gemacht, daß die Schauspieler gleichsam genöthiget wurden, die rithmische Kunst zu zertheilen, und zwey verschiedene Künste daraus zu machen. Die eine von diesen Künsten, die metrische oder messende nehmlich, lehrte, wie man eine jede Art von Bewegungen (Gestus) in jeder Art von Tönen, die in einen gewissen Takt zu bringen waren, einem ordentlichen bestimmten Maasse unterwerfen solle; die andre Kunst aber, nehmlich die rithmische, lehrte bloß und allein, wie man diesen Tact gehörig schlagen, und zwar mit einer anständigen Bewegung schlagen müsse. Wir werden weiter unten sehen, daß nach der Meinung der Alten, die Bewegung (des Takts) bey der Ausübung der Musik das allerwichtigste war; und die Erfindung der Kunst der Pantomimen wird sie ohne Zweifel angetrieben haben, alles dasjenige noch genauer zu untersuchen, was die Kunst dieser Bewegung vollkommener machen könne. So viel ist, wie wir zeigen werden, gewiß, daß seit der Regierung des Augustus bis auf den ganzlichen Verfall des abendländischen Reichs, die Vorstellungen der Pantomimen dem römischen Volcke das aller angenehmste Vergnügen waren.
|| [0022.01]
Ich schliesse also, daß der Unterschied, welcher sich unter der Zahl der musikalischen Künste, so wie sie Aristides Quintilianus angiebt, und unter der, welche Porphyrius davon feste setzt, findet, nur ein scheinbarer Unterschied sey, und daß sich diese zwey Schriftsteller im Grunde nicht widersprechen. [] Ich will mich hier unterbrechen, um eine Anmerckung zu machen. Da die Musik der Alten von so viel Dingen methodische Lehren ertheilte, da ihre Vorschriften den Sprachkundigen eben so nützlich, als nothwendig den Poeten, und allen denen waren, welche öffentlich zu reden hatten; so darf man sich gar nicht mehr wundern, daß sie die Griechen und Römer (*) für eine nothwendige Kunst gehalten und ihr so viel Lobsprüche ertheilt haben, welche der unsrigen gar nicht zukommen. Man darf gar nicht erstaunen, daß Aristides Quintilianus (**) gesagt hat, die Musik sey eine allen Altern des menschlichen Lebens nöthige Wissenschaft, weil sie nicht allein das, was Kinder, sondern auch das, was erwachsene Personen wissen müßten, lehre. Quintilian schreibt aus eben dieser Ursache, daß man nicht allein die Musik verstehen müsse, wenn man ein Redner seyn wolle, sondern daß man auch nicht einmal ein guter Sprachkundige seyn könne, ohne sie gelernt zu haben, weil man 5 6
|| [0023.01]
die Sprachkunst nicht lehren könne, ohne den Gebrauch des Metri und Rithmi in derselben zu zeigen. (*) Nec citra Musicam Grammatica potest esse perfecta, cum ei de rithmis metrisque dicendum sit. Dieser scharfsinnige Schriftsteller bemerkt auch noch an einem andern Orte, (**) daß in den vorhergehenden Zeiten die Profession die Musik zu lehren, mit der Profession die Grammatik zu lehren, verbunden gewesen, und von einem und eben demselben Lehrmeister getrieben worden. Endlich sagt auch Quintilian in dem Hauptstücke seines Buchs, wo er beweisen will, daß ein Redner wenigstens etwas von der Musik zu erlernen verbunden sey: Man wird sich nicht entbrechen, mir dieses einzuräumen, daß diejenigen, welche die Profession eines Redners treiben wollen, die Poeten lesen und verstehen müssen. Können aber wohl die Gedichte, von was für Art sie auch seyn mögen, ohne Musik verfertiget werden? Wenn aber einer so unverständig seyn, und sagen wollte, daß die Regeln überhaupt, welchen der Poet bey Verfertigung seiner Verse folge, von der Musik nicht abhingen, so wird er es wenigstens von den Regeln derjenigen Verse nicht sagen, die ausdrücklich dazu gemacht sind, daß sie von der Musik begleitet werden sollen. Poetas certe legendos 7 8
|| [0024.01]
futuro Oratori concesserint. Num hi sine Musica? At si quis tam cæcus animi est ut de aliis dubitet, illos certe qui carmina ad lyram composuerunt &c. (*) Diese Stelle wird noch weit deutlicher erscheinen, wenn man das wird gelesen haben, was ich vom carmine und von der notirten Declamation der zur Musik bestimmten Verse sagen werde. Mit einem Worte, alle Schriften der Alten bezeugen es, (**) daß die Musik zu ihren Zeiten, für eine, gesitteten Personen nothwendige, Kunst gehalten worden, und daß man diejenigen, welche nichts davon verstanden, als Leute ohne Auferziehung betrachtet, so wie wir heut zu Tage diejenigen, welche nicht lesen können. Ich komme zu den musikalischen Künsten wieder zurück. Zu unserm Unglücke, ist keine einzige von den Methoden auf uns gekommen, nach welchen die Ausübung dieser Künste, die in Griechenland und in Italien so viele Lehrer hatten, beygebracht wurde. Uebrigens haben diejenigen alten Schriftsteller, welche von der Musik geschrieben haben, und deren Werke übrig geblieben sind, von dem Mechanischen der der Musik untergeordneten Künste nur sehr wenig beygebracht, weil sie dieselben als leichte und gewöhnliche Sachen angesehen, mit denen sich nur die gemeinen Lehrmeister um Geld abzugeben hätten. Der hl. Augustinus, 9 10
|| [0025.01]
zum Exeempel, welcher von der Musik ein Werk in sechs Büchern geschrieben hat, sagt, daß er von allen diesen geringern Künsten nicht reden werde, weil es Dinge wären, die auch die allermittelmäßigsten Schauspieler zu wissen pflegten. Non enim tale aliquid hic dicendum est, quale quilibet Cantores Histrionesque noverunt. (*) [] Die Schriftsteller, von denen ich rede, haben also mehr als Philosophen geschrieben, welche über die allgemeinen Grundsätze einer Kunst, deren Ausübung allen ihren Zeitgenossen bekannt war, Betrachtungen anstellen; als daß sie als Schriftsteller sollten geschrieben haben, welche verlangten, daß man aus ihren Büchern, die Kunst, wovon sie handeln, ohne alle andere Beyhülfe sollte erlernen können. Unterdessen hoffe ich dennoch, durch Hülfe desjenigen, was die alten Schriftsteller bey Gelegenheit von ihren musikalischen Künsten gesagt haben, einen, wo nicht vollständigen, wenigstens deutlichen Begrif davon geben zu können, und die Art und Weise zu erklären, wie die Dramatischen Stücke auf den Bühnen der Alten vorgestellet worden. [] Man hat gesehen, daß Aristides Quintilianus sechs musikalische Künste zehlte; die Rithmopäie nehmlich, die Melopäie, die Poetik, die Kunst die Instrumente zu spielen, die Singe 11
|| [0026.01]
kunst, und die Kunst sich zu bewegen: wir aber wollen diese sechs Künste auf viere bringen, und die Poetik nebst der Melopäie und der Singekunst nur als eine und ebendieselbe Kunst betrachten. Man hat bereits gesehen, daß diese drey Künste auch in der That in einer so nahen Verwandtschaft gestanden, daß sie Porphyrius zusammen nur für eine Kunst genommen, die er die Poetik in ihrem weitläuftigsten Umfange nennt.

Zweyter Abschnitt. Von der Rithmischen Musik.

Wir haben es bereits gesagt, daß die rithmische Musik Regeln gegeben, wie man alle Bewegungen des Körpers und der Stimme solcher Gestalt in eine gewisse Mensur bringen solle, daß man den Takt dazu schlagen könne. Der Musikalische Rithmus, sagt Aristides, (*) regieret eben so wohl die Gestus, als die Recitation. Es lehrte also diese Kunst den grossen Nutzen des Takts und der Bewegung desselben; und man wird aus dem, was wir in den Folgen anführen werden, sehen, daß sie bey den Alten in sehr grossem Ansehen gestanden. Der h. Augustinus sagt an dem Orte seiner Retractationen, wo er von seinem Buche über die Musik redet, daß er vornehm 12
|| [0027.01]
lich darinnen zeigen wollen, was für eine wunderbare Hülfe der Takt und die Bewegung desselben, leiste. (*) Et de Musica sexvolumina quantum attinet ad eam partem, quæ rithmus vocatur. Die Griechen erkannten eben so wohl, als wir, vier Dinge in der Musik. Die Progression der Töne in dem Hauptsatze, oder den Gesang; die Harmonie, oder die Uebereinstimmung der verschiedenen Partieen; den Takt und die Bewegung desselben, oder das Tempo. Die letztern zwey also lehrte die Rithmopäie, welche, wie wir schon angemerkt haben, von dem Porphyrius in die metrische Kunst, das ist, in die Kunst des Takts, und in die rithmische, oder in die Kunst der Bewegung, eingetheilt wird. Wenn Plato sagen will, daß die Bewegung die Seele eines abgemessenen Gesanges sey, so spricht er, der Rithmus sey die Seele des Metrums. (**) Das Metrum, schreibt Aristoteles, (***) ist nichts als ein Theil des Rithmus. Man lieset beym Quintilian, wenn ich ihn recht verstehe, daß ein Takt nicht in den andern eingreiffen müsse, wohl aber, daß derjenige, welcher den Takt schlage, die Freyheit habe, die Bewegung desselben entweder zu beschleinigen oder anzuhalten. Rithmis spatia libera, metris finita sunt. (****) Aristides Quintilianus schreibt, 13 14 15 16
|| [0028.01]
daß, nach der gewöhnlichsten Meinung, das Metrum von dem Rithmus, so wie das Ganze von seinen Theilen unterschieden sey. (*) Porro & pedibus constant metra — — differre autem metra a rithmo ajunt alii ut à toto partem. So wie wir aber manchmal schlecht weg die Bewegung sagen, und so wohl den Takt als die Bewegung desselben darunter verstehen; so sagten auch die Griechen manchmal schlecht weg, der Rithmus, und verstunden beydes, so wohl den Rithmus als das Metrum darunter. Und in dieser Bedeutung hat auch Aristoteles das Wort Rithmus genommen, wenn er in seiner Poetik sagt, daß die Musik ihre Nachahmungen vermittelst des Gesanges, der Harmonie, und des Rithmus mache; so wie die Mahlerkunst vermittelst der Züge und der Farben. Die Römer welche nicht selten die griechische Terminologie brauchten, wenn sie von der Musik sprachen, kannten ohne Zweifel die Abstammung derselben, und wußten, was ein eingeführter Gebrauch in der eigentlichen Bedeutung dieser Kunstwörter geändert habe. Nun sagt aber der h. Augustinus ausdrücklich, (**) daß man zu seiner Zeit alles mit dem Namen des Rithmus belegt habe, was die Dauer bey Ausführung der Composition angegangen. Rithmi enim nomen in Musica usque adeo patet ut 17 18
|| [0029.01]
hæc tota pars ejus quæ ad diu & non diu pertinet, rithmus nominata sit. Nichts ist in allen Sprachen gewöhnlicher, als daß, auch im gemeinen Reden, der Name der Art der Gattung, und der Name der Gattung der Art beygeleget wird. Ohne uns von unserer Materie zu verlieren, wollen wir zeigen, daß die Römer dem Worte modulatio eine viel weitere Bedeutung gegeben haben, als es seinem Ursprunge nach haben kann. Die Römer nennten soni oder voces den Gesang; die Harmonie concentus, und den Takt numeri. [] Wenn Virgil in einer seiner Eklogen den Lycidas sagen läßt: Wiederhohle mir doch die Verse, die ich dich an einem Abende singen hörte. Auf die Zahlen (numeros) wollte ich mich wohl besinnen, wenn ich nur die Worte davon wüßte.
Quid, quæ te pura solum sub nocte canentem
Audieram, numeros memini, si verba tenerem. (*) So will er den Lycidas nichts anders sagen lassen, als, daß er zwar die Worte, aus welchen die Poesie bestanden, vergessen habe, gleichwohl aber sich erinnere, nach welchen Füssen sie abgemessen, oder in welchem Takte sie componirt gewesen. So auch bedeutet modi, ein Wort, welches die Lateiner oft brauchen, wenn sie von ihrer 19
|| [0030.01]
Musik reden, eigentlich nichts als die Bewegung des Takts. Gleichwohl belegten sie beydes den Takt und die Bewegung desselben mit dem einzigen Namen modi; und gaben auch so gar den Namen modulatio der ganzen Composition, ohne sich an die Ableitung des Worts zu kehren. Man lasse uns also zuerst zeigen, daß modulatio eigentlich nichts als den Takt und die Bewegung bedeutet, und also weiter nichts als dasjenige, was Porphyrius den Rithmus nennet. Zweytens aber lasse man uns zeigen, daß die Römer dem ohngeachtet oft die ganze musikalische Composition die Modulation genennt haben. Wir werden die Anmerkung mehr als einmal brauchen, daß sich die Alten dergleichen Unrichtigkeiten vergönnt haben. Quintilian meldet, daß Aristoxenus, (welcher, nach des Suidas Bericht, einer von den Schülern des Aristoteles gewesen, und ein Buch über die Musik geschrieben hat, das sich in der Meibomischen Sammlung befindet,) die Musik, welche durch die Stimme ausgeübet wird, in den Rithmus und in den Gesang getheilet habe. Der Rithmus, setzt Quintilianus hinzu, ist dasjenige, was wir modulatio nennen und der notirte Gesang das, was canor und sonus genennet wird. Vocis rationes Aristoxenus Musicus dividit in rithmum & melos
|| [0031.01]
emmetrum, quorum alterum modulatione, canore alterum ac sonis constat. (*) [] Wenn Qintilianus sagen will, daß sein Redner die Musik eben nicht aus dem Grunde verstehen darf, so sagt er: er braucht die Modulation eben nicht so vollkommen zu verstehen, daß er auch den Takt zu den Canticis und Monologen zu schlagen wisse. Dieses waren, wie wir weiter unten sagen werden, diejenigen Scenen der theatralischen Stücke, deren Declamation dem musikalischen Gesange am nächsten kam. (**) Nam nec ego consumi studentem his artibus volo, nec moduletur ut musicis modis cantica excipiat. Gleichwohl, und dieses ist es, was ich zum zweyten anzumerken habe, nennt Quintilian oft die ganze Composition eine Modulation, und begreift unter diesem Namen den Gesang, die Harmonie, den Takt, und das Mouvement. So sagt er, zum Exempel in dem dritten Hauptstücke seines zweyten Buches, wo er so besondere Lehren von der Pronunciation, und der Sorgfalt, die ein Redner auf seine Stimme zu wenden habe, giebt, indem er von verschiedenen übeln Arten zu pronunciren redet: „Nichts kann mir in der Pronunciation widerwärtiger klingen, als wenn ich in den Schulen und Gerichtsplätzen nach der Theatralischen Mo 20 21
|| [0032.01]
dulation singen höre. Dieser Fehler ist Mode, ich gestehe es; aber eben so wohl muß man auch gestehen, daß er einem Redner höchst unanständig sey.„ Sed quodcunque ex his vitiis magis tulerim quam quo nunc maxime laboratur, in causis omnibus scholisque cantandi, quod inutilius sit an fœdius ignoro. Quid enim Oratori minus convenit quam modulatio scenica ? (*) Man siehet leicht, daß Quintilian hier unter Modulation den Gesang oder die componirte Declamation begreift, und also die ganze Composition Modulation nennet. In den Ueberschriften, welche zu Anfange der Komödien des Terenz stehen, wird gesagt, daß Flaccus die Modos dazu gemacht, oder sie modulirt habe; anstatt daß man hätte sagen sollen, Flaccus habe die Declamation componirt. Modos fecit, modulavit Flaccus. Der h. Augustinus giebt einigermassen den Grund von diesem Gebrauche an, indem er sagt, daß fast alles, was ein Musicus zu thun habe, unter dem einzigen Worte Modulation begriffen sey. Modulatio, quo uno pene verbo tantæ disciplinæ definitio continetur. (**) [] Ich könnte noch verschiedene Stellen aus den alten lateinischen Verfassern anführen, in welchen die Worte modi und modulatio in einer so weiten Bedeutung genommen werden; um 22 23
|| [0033.01]
aber den Leser davon zu überzeugen, daß man gemeiniglich die ganze Composition darunter verstanden, wird es genug seyn, nur noch die Erklärung anzuführen, welche der Sprachlehrer Diomedes, der vor dem Verfalle des römischen Reichs gelebt hat, von dem Worte modulatio giebt. Die Modulation, sagt dieser Schriftsteller, ist die Kunst die Aussprache einer auf einander folgenden Rede angenehmer, und zu einem dem Ohre schmeichelhaften Getöne zu machen. (*) Modulatio est continuati sermonis in jucundiorem dicendi rationem artificialis flexus, in delectabilem auditui formam conversus. Kurz das Wort modulatio hatte unter den Römern eben die Bedeutung, welche das Wort carmen hatte; ein Wort welches wir nach der eigentlichen Bedeutung nicht übersetzen können, nach welcher es die Abmessung und die in Noten gebrachte Aussprache der Verse bedeutete; denn da wir die Sache selbst nicht haben, so fehlt uns auch das eigentliche Wort, wodurch wir sie ausdrücken könnten. Wir werden bald von diesem carmen reden. Jezt wollen wir wieder auf die Rithmopäie, oder auf die eigentlich so genannte Modulation zurückkommen. Wir wissen, wie die Alten ihre Vocalmusik, oder ihre über gewisse Worte componirte Musik 24
|| [0034.01]
abzumessen pflegten. Die Sylben in der griechischen und lateinischen Sprache hatten ihren bestimmten Werth, und dieser bestimmte Werth war so gar auch relativisch; das ist, zwey kurze Sylben durften in der Aussprache nicht länger dauern, als eine lange, und eine lange mußte so lange dauern, als zwey kurze. Die kurze Sylbe galt in der Abmessung eine Zeit, und die lange galt zwey Zeiten. Auch den Kindern, sagt Quintilian, ist es nicht unbekannt, daß die lange Sylbe von zwey Zeiten, und die kurze nur von einer ist. Longam esse duorum temporum, brevem unius, etiam pueri sciunt. (*) [] Dieses Verhältniß zwischen den langen und kurzen Sylben, war eben so unwandelbar als heut zu Tage das Verhältniß zwischen den Noten von verschiedenem Werthe ist. So wie in unserer Musik zwey Viertelnoten eben so lange dauern müssen als eine halbschlägige, eben so dauerten auch in der Musik der Alten zwey kurze Sylben nicht länger und nicht kürzer, als eine lange. Wenn also die griechischen oder römischen Tonkünstler etwas, was es nun auch seyn mochte, componirten, so durften sie sich nur nach dem Werthe der Sylben richten, über welche sie eine jede Note setzten. Der Werth der Note war bereits durch den Werth der Sylbe bestimmt. Und nun wird man es einsehen, warum Boethius, welcher unter der Regierung des 25
|| [0035.01]
Theodoricus, Königs der Ostgothen, als die Schaubühnen in Rom noch offen waren, lebte, indem er von einem Componisten, welcher Verse in einen Gesang bringt, sagt: daß diese Verse schon ihre Abmessung, vermöge ihrer Einrichtung, haben; das ist, vermöge der Verbindung der langen und kurzen Sylben, aus welchen sie bestehen. Ut si quando melos aliquod Musicus voluisset adscribere supra versum rithmica metri compositione distentum &c. (*) [] Da nun aber, bey den Griechen und Römern jedermann von Kindheit an den Werth einer jeden Sylbe wußte, ohne eine besondere Bemühung darauf verwendet zu haben, so wußte er auch zugleich den Werth einer jeden Noten, weil dieser mit jenem einerley war. Wie viel Zeiten brachten nun aber die Griechen und Römer in die Abmessung der Gesänge, die sie auf gewisse Worte componirt hatten, diese Gesänge mochten nun von einer Art seyn von welcher sie wollten? Ich antworte. Was die Gesänge anbelangt, die über Verse componirt wurden, so war die Abmessung dieser Gesänge, und die Zahl der Zeiten in jedem Takte bereits durch die Figur des Verses bestimmt. Ein jeder Fuß des Verses machte ein Maaß oder einen Takt aus. Man wird auch wirklich in folgenden finden, daß das Wort pes, welches einen Fuß bedeutet, vom Quintilian, und von andern, für das Wort Takt 26
|| [0036.01]
gebrauchet worden. Gleichwohl kann man wider diese Erklärung eine Einwendung machen; diese nehmlich, daß wegen der Beschaffenheit des Fusses, die Takte eben desselben Gesanges von verschiedener Dauer müßten gewesen seyn, weil die Füsse in eben demselben Verse einander nicht alle gleich waren. Einige hatten nicht mehr als drey Zeiten, da andre hingegen derselben viere hatten. Denn in der That enthielten die Füssen, welche nur aus einer langen und einer kurzen Sylbe, oder aus drey kurzen Sylben bestanden, nicht mehr als drey Zeiten, anstatt daß die Füsse, welche aus zwey langen oder aus einer langen und zwey kurzen Sylben bestanden, vier Zeiten hatten. Ich räume es ein, daß dieses nicht anders seyn konnte. Gleichwohl aber hinderte dieses nicht, daß der, welcher den Takt schlug, ihn nicht mit der vollkommensten Genauigkeit hätte schlagen können. Was die Gesänge anbelangt, welche über Prosa componirt wurden, so sieht man wohl, daß der Werth einer Note gleichfalls von dem Werth der Sylbe abhieng, über welcher sie stand. Vielleicht maassen die Alten die Gesänge von dieser Art ganz und gar nicht ab, sondern liessen demjenigen, welcher nach den Grundsätzen der rithmischen Kunst den Takt schlug, die Freyheit, die Cadence nach jeder beliebigen Anzahl von Zeiten, die er zusammen zu nehmen, und gleichsam unter ein gewisses Maaß zu vereinigen, für gut
|| [0037.01]
befand, zu bemerken. Und seit wenn schreiben wir denn den Takt in unsere Musik? Dieses nun ist die Ursache, warum die Alten die Poesie unter die Zahl der musikalischen Künste rechneten. Dieses ist die Ursache, warum die meisten griechischen und lateinischen Schriftsteller, welche von der Musik geschrieben, weitläuftig von dem Werthe der Sylben, von den Füssen und den Versarten, so wie auch von derselben Gebrauche handeln, um einer Rede mehr Anmuth und Nachdruck dadurch zu geben. Wer es gern wissen will, wie tief die Alten diese Materie ergründet haben, mag dasjenige lesen, was der h. Augustinus in seinem Buche von der Musik davon geschrieben hat. Ubrigens lernen wir von dem Aristides Quintilianus, und sehen es auch aus dem, was andre Schriftsteller davon gesagt haben, daß die Alten einen Rithmus gehabt, in welchem jeder Fuß des Verses nicht immer einen Takt ausgemacht, weil es Takte gegeben, die aus acht syllabischen Zeiten zusammen gesetzt gewesen, das ist, aus acht kurzen Sylben, oder derselben Werthe. Es war dieses ein Mittel, der Unbequemlichkeit abzuhelfen, die aus der ungleichen Dauer eben desselben Verses, entstand. Weil aber dieses die eigentlich so genannte Musik angehet, so will ich meinen Leser auf das verweisen, was ein gelehrter Mann, der mit einer tiefen Kenntniß
|| [0038.01]
dieser Wissenschaft, eine weitläuftige Belesenheit verbindet, davon geschrieben hat. (*) Wie zeigten aber die Alten den Werth der Noten in ihrer organischen oder instrumental Musik an, wo der Werth dieser Noten durch den Werth der Sylben, über welchen sie stehen könnten, nicht bestimmt werden konnte? Das weis ich nicht; ich bilde mir aber ein; daß man in der instrumental Musik jedem σημειον oder jeder organischen Note ihren gewissen Werth vielleicht durch Puncte, die man bald darüber, bald darunter, bald auf die Seite gesetzt, vielleicht auch durch die beyden Zeichen gegeben habe, durch die man den Werth der Sylben, ob sie lang oder kurz wären, anzudeuten gewohnt war, und deren Figur man gleich in den alleruntersten Klassen kennen lernte. Von diesen σημειοις werden wir weitläuftig handeln, wenn wir die Art und Weise erklären werden, wie die Alten so wohl ihren musikalischen oder eigentlich so genannten Gesang, als auch denjenigen Gesang welcher nichts als eine Declamation war, in Noten verzeichnet haben. Weit neugieriger wird man seyn, noch etwas anders zu wissen; die Art nehmlich, wie die metrische Musik in jeder Art von Bewegungen des Körpers den Takt angezeiget habe. Wie konnten die Alten, wird man gleich Anfangs fragen, 27
|| [0039.01]
die Gebehrden in Noten bringen? Wie fiengen sie es an, jede Bewegung der Füsse und Hände, jede Stellung, jeden Gang durch eine besondere Figur auszudrücken, die jede von diesen Bewegungen deutlich bezeichnete? Auf diese Fragen will ich hier bloß antworten; daß die Kunst die Gebehrden mit Noten auszudrücken, oder, wenn man so sagen will, die Wörterbücher der Gebehrden (denn wir werden sehen, daß die Alten wirklich dergleichen Wörterbücher hatten, wenn man sich anders dieses Ausdrucks hier bedienen darf) kein Werk der rithmischen Musik, von welcher wir gegenwärtig handeln, waren. Sie setzte die Kunst, die Gebehrden in Noten auszudrücken, als eine schon erfundene und in Ausübung gebrachte Kunst voraus; welche von der hypocritischen Musik, oder der Saltation, gelehret wurde. Von ihr weiter zu reden, wollen wir also bis dahin versparen, wo wir von derjenigen musikalischen Kunst handeln werden, welche die Griechen Ορχησις, und die Römer saltatio nannten. Wie aber, wird man versetzen, fieng es die rithmische Musik an, daß sie den Schauspieler, welcher recitirte, und den Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, in einerley Falle erhalten und beyde mit einerley Takte regieren konnte? Ich antworte, daß dieses eines von den Dingen gewesen sey, von welchen der h. Augustinus sagt, sie wären einem jeden bekannt, der sich mit der Schaubühne zu thun mache, und
|| [0040.01]
eben deswegen halte er es nicht für werth, sie lange zu erklären. Weil wir aber die Sachen, worauf es hier ankömmt, nicht mehr vor Augen haben, so kann man sich nun das so leicht nicht vorstellen, wovon der h. Augutßinus sagt, daß es jedermann zu seiner Zeit gewußt habe. Die Stellen, die wir weiter unten aus den alten Verfassern anführen werden, beweisen zwar, daß der Schauspieler, welcher recitirte, und der, welcher die Gebehrden machte, sehr wohl mit einander übereinstimmten, und mit der vollkommensten Genauigkeit einerley Takt hielten; allein die Art, wie dieses geschah, erklären sie nicht. Doch aber findet man bey dem Quintilian etwas von den Grundsätzen, auf welche die Art und Weise, beyde Schauspieler zu vereinigen, war gebauet worden. Aus einer Stelle des Quintilian erhellet also, daß man, um die Action gleichsam abzumessen, und denjenige, welcher die Gebehrden machte, in den Stand zu setzen, daß er dem, welcher recitirte folgen konnte; daß man, sage ich, hierzu eine Regel erdacht habe, welche darinn bestand, daß drey Worte allezeit eine Gebehrde gelten sollten. Da nun aber diese Worte eine bestimmte Dauer hatten, so mußte die Gebehrde gleichfalls eine bestimmte Dauer haben, und konnte also abgemessen werden. Hier ist die Stelle: hic veteres Artifices illud recte adjecerunt, ut manus cum sensu & deponeret & inciperet; alioqui
|| [0041.01]
enim aut ante vocem erit gestus, aut post vocem, quod est utrumque deforme. In illo lapsi nimia subtilitate sunt, quod intervallum motus tria verba esse voluerunt, quod nec observatur, nec fieri potest; sed illi quasi mensuram tarditatis celeritatisque aliquam esse voluerunt: nec immerito, ne aut diu otiosa esset manus, aut, quod multi faciunt, actionem continuo motu conciderent. (*) d. i. Diejenigen, welche zuerst Profession davon gemacht haben, die Declamation der theatralischen Stücke zu componiren, und sie auf der Bühne aufführen zu lassen, haben sehr weislich daran gethan, wenn sie festgesetzt, daß jeder Gestus mit einem Verstande anfangen, und sich mit demselben auch zu gleicher Zeit schliessen solle. Sie haben Grund gehabt, diese Regel vorzuschreiben, denn beydes ein Gebehrde zu machen, ehe man noch den Mund aufgethan, und die Gebehrde noch fortzusetzen, wenn man schon zu reden aufgehört hat, ist gleich unanständig. Es ist wahr, unsre Künstler, weil sie gar zu sinnreich haben seyn wollen, haben sich darinne geirret, wenn sie festgesetzt, daß die Dauer der Aussprache von drey Worten, auch die Dauer einer Gebehrde seyn solle. Dieses geschieht natürlicher Weise nicht, und es gehörig in Ausübung zu bringen, kann auch keine Kunst lehren. Doch unsre Künstler haben geglaubt, daß sie nothwendig, 28
|| [0042.01]
es möge aunch kosten, was es wolle, eine Methode vorschreiben müßten, durch die das Maaß eines Gestus bestimmt werde, welcher beydemal, sowohl wenn er zu langsam, als wenn er zu übereilt geschieht, gleich sehr mißfällt; und der Grundsatz, welchen sie deswegen festgesetzt haben, ist das beste, was sie haben erdenken können.
Ich habe das Wort Artifices, dessen sich Quintilian bedient, durch diejenigen, welche Profession davon machen, die Declamation der theatralischen Stücke zu componiren, und sie aufführen zu lassen, übersetzt, und mich dabey auf zwey Gründe gestützt. Der erste ist dieser, weil Quintilian hier nicht von den Lehrern der Beredsamkeit reden will, denen er in seinen Institutionen andre Namen beylegt. Der andre ist, weil in eben dem Hauptstücke, aus welchem die angeführte Stelle genommen ist, Quintilian sehr oft von den bey den Komödianten üblichen Gebräuchen redet, und diejenigen Artifices, oder Artifices pronuntiandi nennet, welche Profession davon machten, die theatralischen Stücke aufführen zu lassen. Wir werden eine von diesen Stellen weiter unten anführen, in welcher Quintilian weitläuftig von der Sorgfalt redet, mit welcher die Artifices pronuntiandi einem jeden Komödianten diejenige Maske austheilten, die sich zu dem Charakter der Person, die er vorstellte, schickte.
|| [0043.01]
Hier ist noch eine andre Stelle des Quintilian, aus welcher man einiges Licht in Ansehung der Regeln nehmen kann, welche die rithmische Kunst, um die Zeiten der Gebehrden abmessen zu können, vorschrieb. Nach jedem Theile des Takts, vor sich besonders genommen, muß sich nur der, welcher recitirt, richten, denn dieser ist verbunden, wenn man ihm einen Theil des Takts schlägt, diejenige Sylbe auszusprechen, die er unter diesem Theile des Takts aussprechen soll; der Rithmus aber regieret alle Bewegungen des Körpers. Derjenige, welcher die Gebehrden macht, muß bey dem Schlusse eines jeden Takts, den Fall beobachten, ob es ihm gleich erlaubt ist, einige Theile oder Noten dieses Takts, vorbeygehen zu lassen, ohne eine Gebehrde zu machen, und ob er gleich in sein stummes Spiel dergleichen Stilleschweigen oder Ruhen, die in der Partie desjenigen, welcher recitirt, sehr selten vorkommen, so viele bringen kann, als er will. Der Rithmus läßt dem Gebehrdenmacher diese Freyheit, und dieser, wenn er sich derselben bedient, zählet bloß die Theile des Takts, die er, so zu reden leer läßt, und bemerkt sie wohl gar, um sie desto sicherer zu zählen, bald mit einer Bewegung des Fingers, bald mit einer Bewegung des Fusses; und auf diese Art läßt er vier bis fünf Noten vorbey gehen, ohne einige Bewegung zu machen. Und daher sagt man auch, eine Pause, oder eine Ruhe von
|| [0044.01]
vier Noten, eine Ruhe von fünf Noten. Ausser diesem kann man auch zum Vortheile dessen, welcher die Gebehrden macht, ohne Nachtheil, die Bewegung des Taktes anhalten, weil dieses Anhaltens ohngeachtet, dennoch jede Note, jeder Schlag, jedes Aufheben des Taktschlägers eine Zeit gilt.
Et quod metrum in verbis modo, rithmus etiam in corporis motu est. Inania quoque tempora rithmi facilius accipiunt, quamquam hæc & in metris accidunt. Major tamen illis licentia est, ubi tempora etiam animo metiuntur & pedun & digitorum ictu intervalla signant quibusdam notis, atque æstimant quot breves illud spatium habeat; inde Tetrasemeion & Pentasemeion. Deinde longiores sunt percussiones: nam semeion tempus est unum. Ob nun gleich, wie ich schon gesagt habe, die Sache selbst gewiß ist, so ist es mir doch nicht möglich, die Methode hinlänglich zu erklären, welche die rithmische Musik lehrte, um den Schauspieler, welcher redte, und den, welcher die Gebehrden machte, in eine so vollkommen Uebereinstimmung zu erhalten. Vielleicht verband man mit dem Zeichen, welches die Gebehrde, die der Schauspieler machen sollte, bemerkte, noch ein ander Zeichen, welches die Zeit, wie lange die Gebehrde dauern sollte, anzeigte. Was die Bewegung des Takts anbelangt, die von den Alten eben so hoch geschätzt wurde, als
|| [0045.01]
von dem Lulli, dem la Lande und andern guten französischen Tonkünstlern; so scheint es mir unmöglich zu seyn, daß ihm die Griechen und Römer, so zu reden, in Noten hätten schreiben können, oder daß sie, vermittelst eines gewissen Zeichens, die eigentliche Dauer, welche jeder Takt haben sollte, hätten bestimmen können. Sie mußten sich ohne Zweifel hierinn, so gut wie wir, auf den Geschmack und die Beurtheilungskraft desjenigen verlassen, welcher den Takt schlug, auf denjenigen, welcher aus der rithmischen Kunst seine besondere Profession machte. Zwar haben einige Neuern geglaubt, man könne noch auf eine andre Art, als durch den mündlichen Unterricht, die Dauer, welche eine Arie haben solle, lehren, und also auch der Nachwelt die Bewegung, mit welcher man sie spielen müsse, hinterlassen; allein ihr Geheimniß bestand in dem Gebrauche einer Taschenuhr, durch welche sie zu ihrem Zwecke zu kommen gedachten. Indem sie, zum Exempel bestimmten, wie viel Secunden die ersten zwanzig Takte in der Chaconne des Phaetons dauern sollten, so vermeinten sie dadurch die Bewegung, mit welcher der Takt in diesem Stücke zu schlagen sey, lehren zu können. Doch ohne mich viel in die Untersuchung der Möglichkeit dieses Anschlags einzulassen, will ich bloß anmerken, daß die Alten auf keine Weise darauf fallen konnten, weil ihre Uhrmacherkunst viel zu unvollkommen war, sie auf einen solchen Gedan
|| [0046.01]
cken zu bringen. Sie hatten nicht einmal Uhren mit Rädern, geschweige, daß sie Secundenuhren hätten haben sollen; und es ist ganz bekannt, daß sie ihre Zeit bloß vermittelst der Sonnenuhren, oder der Sanduhren und Wasseruhren abzumessen pflegten. Wir wissen, daß die Alten den Takt auf ihren Theatern schlugen, und auf diese Art den Rithmus bemerkten, dem der Schauspieler, welcher recitirte, der Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, die Chöre und so gar die Instrumente, als einer ihnen allen gemeinen Regel folgen mußten. Nachdem Quintilian gesagt, daß die Gebehrden dem Takte eben so wohl unterworfen wären, als die Gesänge selbst; so fügt er hinzu, daß die Schauspieler, welche die Gebehrden machen, den Zeichen, welche mit den Füssen gegeben würden, das ist, dem Schlagen des Takts, eben so genau folgen müßten, als ihm diejenigen folgen, welche die Modulation ausführen. Unter diesen versteht er die Schauspieler, welche recitiren, und die Instrumente, welche sie accompagniren. Atqui corporis motui sua quædam tempora, & ad signa pedum non minus saltationi quam modulationibus adhibet ratio musica numeros. Andern Theils sehen wir aus zwey Stellen in dem Buche des Lucians, welches Ορχησις überschrieben, und eine Lobrede auf die Kunst der Pantomimen ist, daß bey dem Schauspieler
|| [0047.01]
ein Mann in eisernen Schuhen gestanden, welcher mit dem Fusse auf das Theater stampfte. Nach allen Umständen sollte man glauben, daß eben dieser Mann den Takt mit dem Fusse so stark geschlagen habe, daß ihn alle diejenigen, welche sich darnach richten mußten, hören können.

Dritter Abschnitt. Von der organischen oder instru mental Musik.

Es würde sehr unnütze seyn, allhier von der Structur so wohl der Blasinstrumente als Sayteninstrumente zu handeln, deren sich die Alten bedienten. Diese Materie ist beynahe erschöpft, Theils von dem jüngern Caspar Bartholin in seinem Werke von den Blasinstrumenten der Alten, Theils von andern Gelehrten. Ich glaube sogar, es wird gut seyn, dasjenige, was ich von dem Gebrauche zu sagen habe, dem zu Folge die Alten den Schauspieler, welcher declamirte, mit Instrumenten accompagnirten; bis dahin zu versparen, wo ich von der Ausführung der componirten und in Noten geschriebnen Declamation handeln werde. Denn da einer von meinen überzeugendsten Beweisen, daß die Alten ihre theatralische Declamation in Noten müssen geschrieben haben, eben das Accompagnement ist, mit welchem sie dieselbe unterstützten: so würde ich noth
|| [0048.01]
wendig, wenn ich auf die Ausführung dieser Declamation käme, eben dieselben Stellen wieder vorlegen und eben dieselben Betrachtungen wiederhohlen müssen, die ich bereits gebraucht hätte, wenn ich allhier von dem Accompagnement reden wollte. Ich will also bloß von den musikalischen Compositionen der Alten etwas sagen, welche über keine Worte gemacht waren, und bloß durch Instrumente ausgeführet wurden. Die Alten hatten von der Vollkommenheit der Musik, und von dem Gebrauche, den man möglicher Weise davon machen könne, eben die Begriffe, die wir davon haben. Wenn Aristides Quintilianus von den mancherley Eintheilungen der Musik bey den Alten, so wie sie dieselbe bald von dieser, bald von einer andern Seite betrachteten, redet; so sagt er: der Gesang, die Musik könne, in Ansehung des Geistes, in welchem sie componirt worden, und des Zwecks, den man durch sie erreichen wollen, eingetheilet werden, in Musik, welche uns betrübt mache, in Musik welche uns lustig mache und aufmuntre, und in Musik, welche uns beruhige, indem sie unsre Gemüthsbewegungen stille. Wir werden weiter unten die Stelle des Aristides anführen. Die Symphonien der Alten mußten eben so wohl, als die über gewisse Worte componirten Gesänge, eines besondern Charakters fähig seyn, durch den sie das Vermögen bekamen, verschiedentlich auf uns zu wirken, und bald Freude,
|| [0049.01]
bald Traurigkeit, bald eine martialische Hitze, bald Empfindungen der Andacht in uns erwecken. Der Klang der Instrumente, sagt Quintilian, der geschicktesten Schriftsteller, von dem Geschmacke des Alterthums Rechenschaft zu geben, rührt uns, und ob er uns gleich keine Worte vernehmen läßt, so flößt er uns dennoch verschiedene Empfindungen ein. Cum organis quibus semo exprimi non potest, affici animos in diversum habitum sentiamus. (*) „Es geschieht vermöge der Gesetze der Natur, sagt eben derselbe Verfasser, den wir jezt angeführt haben, an einem andern Orte, daß die Töne und der Takt einen solchen Eindruck auf uns machen. Wenn dieses nicht wäre, wie könnten die Symphonien, bey welchen wir gar kein Wort zu hören bekommen, uns gleichwohl nach ihrem Willen bewegen, so wie sie es wirklich thun? Will man es einem blossen Zufalle zuschreiben, wenn an fästlichen Täge gewisse Symphonien die Einbildungskraft erhitzen, und die Geister in Bewegung bringen, anstatt daß andre sie besänftigen und stillen? Ist es nicht augenscheinlich, daß diese Symphonien nur deswegen solche verschiedene Wirkungen hervorbringen, weil jede derselben von einem besondern Charakter ist? Die einen wurden gemacht, damit sie diese, und die an 29
|| [0050.01]
dern, damit sie eine andre Wirckung hervorbrächten. Wenn die Truppen im Kriege anrücken sollen, so spielen die Instrumente ein Stück von einem ganz andern Charakter, als sie spielen, wenn sie sich zurückziehen sollen. Das Stück, welches unsre militarischen Instrumente alsdenn ertönen lassen, wenn um Gnade gebeten werden soll, gleicht demjenigen gar nicht, welches alsdenn erklingt, wenn der Anfall vor sich geht.
(*) Natura ducimur ad modos, neque aliter enim eveniret ut illi quoque organorum soni, quamquam verba non exprimunt, in alios atque alios ducerent motus auditorem. In certaminibus sacris, non eadem ratione concitant animos & remittunt, nec eosdem modos adhibent cum bellicum est canendum, aut posito genu supplicandum, nec idem signorum concentus est procedente ad prælium exercitu, idem receptui canente. Da die Alten kein Feuergeschoß hatten, durch deren Knall die Soldaten wären verhindert worden, während dem Treffen, den Klang der Instrumente zu hören, deren man sich in gedoppelter Absicht, Theils ihnen das Kommando dadurch zu wissen zu thun, Theils sie aufzumuntern, bediente; so wendeten die Alten auf diesen Theil der Kriegskunst eine besondere Aufmerksamkeit, und stellten Untersuchungen darüber an, die heut zu Tage völlig unnütze seyn würden. Der Knall der Kanonen 30
|| [0051.01]
des kleinen Geschützes verhindert oft, das Zeichen zu hören, welches eine Menge schlagender Tambours, und eben so viele blasende Trompeter mit vereinten Kräften geben. Die Römer vornehmlich liessen es sich ganz besonders angelegen seyn, in der militairischen Musik etwas vorzügliches zu leisten. Nachdem Quintilian gesagt, daß selbst grosse Generale sich nicht geschähmt hätten, militarische Instrumente zu spielen, und daß besonders bey den Lacedemonischen Armeen die Musik sehr gebraucht worden; so fügt er hinzu: Dienen die Trompeten und Hörner, welche bey unsern Legionen gebraucht werden, zu etwas andern? Und ist es nicht erlaubt zu glauben, daß wir einen Theil des Ruhms, in welchem die römische Militz stehet, dem Gebrauche der kriegerischen Instrumente zu danken haben, auf welchen wir uns mehr als alle Nationen verstehen? Duces maximos & fidibus & tibiis cecinisse traditum, & exercitus Lacedemoniorum musicis accensos modis. Quid autem aliud in nostris Legionibus cornua ac tubæ faciunt, quorum concentus quanto est vehementior, tanto Romana in bellis gloria cæteris præstat. (*) Livius erzehlet eine Begebenheit, die ungemein geschickt ist, dasjenige, was Quintilian sagt, zu bestärken. Als Hannibal die Stadt Tarent überrumpelt und den Römern abgenom 31
|| [0052.01]
men hatte, wollte er durch eine Kriegslist verhindern, daß sich die Besatzung nicht in das Castell werfen könne, sondern sich zu Kriegsgefangenen ergeben müsse. Er hatte entdeckt, daß sich die Römer, im Fall einer unversehenen Ueberraschung, in dem Theater der Stadt zu versammeln pflegten, und ließ daher eben dasselbe Stück blasen, welches von den Römern geblasen wurde, wenn sie sich versammeln sollten. Allein die Soldaten von der Besatzung erkannten gar bald aus der schlechten Art, mit welcher die Trompete geblasen wurde, daß sie kein Römer blasen müsse; sie vermutheten also eine List des Feindes und warfen sich in das Castell, anstatt sich auf den Sammelplatz zu begeben. Longinus (*) redet von der Organischen Musik, so wie wir von unsrer instrumental Musik reden können. Er sagt, die Symphonien rührten, ob sie gleich nichts als blosse Nachahmungen eines unarticulirten Geräusches und gleichsam nur Töne wären, die mehr nicht, als ihr halbes Leben und ihr halbes Wesen hätten. Dieser Schriftsteller verstand unter den vollkommnen Tönen, welchen er die Töne der Symphonien entgegen setzt, die nur ihr halbes Wesen haben, die Töne der musikalischen Recitative, wo der natürliche Ton, indem er gewissen Worten angemessen wird, mit dem articulirten Tone verbunden ist. Zu der Stelle, die 32
|| [0053.01]
wir jetzt angeführt haben, fügt Longin folgendes hinzu. Und sehen wir nicht in der That, daß der Klang der Blasinstrumente, die Seelen der Zuhörer bewegt, sie aus sich selber setzt, ja wohl gar sie manchmal zu einer Art von Raserey bringt? Sehen wir nicht, daß er sie, die Bewegungen ihrer Körper nach der Bewegung des Takts zu richten, zwinget, und ihnen Bezeigungen abnöthiget, an welchen ihr Wille keinen Theil hat? Die instrumental Musik wirkt also sehr merklich auf uns, indem wir sie den Zweck erreichen sehen, den sich der Componist damit vorgesetzt hatte. Ob gleich die unarticulirten Töne dieser Musik uns keine Worte vernehmen lassen, die ihre gewissen Begriffe in uns erwecken könnten, so erregen sie doch durch sich selbst, durch ihre Accorde und ihren Rithmus verschiedene Empfindungen in uns. Diese unarticulirten Nachahmungen bewegen uns eben so stark, als uns die Ausdrücke eines Redners bewegen würden. Ich will noch eine Stelle aus dem Macrobius anführen, welche, weil sie nichts anders sagt, als die angeführten Stellen aus dem Quintilian und Longin sagen, unnöthig scheinen könnte, wenn ich nicht glaubte, daß sie vollends den
|| [0054.01]
jenigen den Mund stopfen könne, welche gerne daran zweifeln möchten, daß die Alten ihrer Musik eben die Ausdrücke gegeben, die wir ihr geben, und überhaupt von dieser Kunst eben die Begriffe gehabt haben, die Lulli und la Lande davon hatten. Da wir keine von dem Symphonien der Alten aufweisen können, und sie alle verlohren gegangen sind, so können wir von denselben nicht anders als nach der Erzehlung derjenigen urtheilen, die sie alle Tage hören konnten, die die Wirkungen, die sie hervorbrachten, mit ansahen, und wußten, in was für einem Geiste sie waren componirt worden. Die Gewalt, sagt Macrobius, welche der Gesang über uns hat, ist so groß, daß man auf den militarischen Instrumenten, wenn der Angrif geschehen soll, ein Stück spielen läßt, welches zu erhitzen fähig ist; anstatt, daß man ein Stück von einem ganz entgegen gesetzten Charakter spielen läßt, wenn die Truppen sich zurück ziehen sollen. Die Symphonien wirken auf uns; sie machen uns lustig und unruhig; ja sie schläfern uns auch wohl ein. Sie beruhigen uns, und erquicken uns so gar bey den Krankheiten des Körpers. (*) Ita denique omnis habitus animæ cantibus gubernatur, ut & ad bellum progressui, & item receptui canatur cantu & excitante, & rursus sedante virtutem. Dat somnos adimitque, nee non 33
|| [0055.01]
curas immittit & retrahit, iram suggerit, clementiam suadet. Corporum quoque morbis medetur. Da die Krankheiten des Körpers nicht selten aus den Beunruhigungen des Geistes entspringen, so darf man sich eben nicht so sehr verwundern, daß die Musik, indem sie das Leiden des Geistes vermindert, eben dadurch die Krankheiten des Körpers gelindert, und bey gewissen Umständen wohl gar gehoben habe. Daß die Musik unsern Verdruß und unsre böse Laune zerstreue, davon ist jedermann durch seine eigne Erfahrung überzeugt. Ich weis wohl, daß die Umstände, unter welchen die Musik auf die Krankheiten eine gute Wirkung haben kann, rar sind, und daß es lächerlich seyn würde, wenn man Arien und Lieder eben so vorschreiben wollte, wie man Purganzen und Aderlasse vorschreibt. Daher reden aber auch nur die Alten von den Genesungen, die durch Kraft der Musik bewirket worden, als von ausserordentlichen Kuren. Und da auch noch zu unsern Zeiten Wunder von dieser Art dann und wann geschehen sind, so sind die Alten ausser allem Verdachte, als hätten sie, in Ansehung der Genesungen, wovon wir reden, etwas geglaubt, was sich nie so befunden, oder als hätten sie uns gar Fabeln für wahre Geschichten verkauft. Im vorbeygehen zu sagen: dieser Punct ist nicht der einzige, in welchen sie unsere eigne Erfahrung wider die Beschuldigung
|| [0056.01]
des Betrugs und der Leichtgläubigkeit vertheidiget hat. Ist der Geschichtschreiber Plinius nicht wegen verschiedner Beschuldigungen dieser Art, welche die Kunstrichter des sechzehnten Jahrhunderts wider ihn erhoben hatten, gerechtfertiget worden? Um wieder auf die durch die Musik bewirkte Genesung von verschiednen Krankheiten, zu können; so erwehnen auch die Denkschriften der Akademie der Wissenschaften, an welchen gewiß keine leichtgläubige Personen arbeiten, unter dem Jahre 1701 und dem Jahre 1707, solcher Kuren, die noch ganz neulich durch die Musik verrichtet worden. Man sindet bey dem Athenäus, bey dem Martianus Capella und bey verschiednen andern alten Schriftstellern, die erstaunlichsten Erzehlungen von den wunderbaren Wirkungen, welche die Musik der Griechen und Römer gehabt. Verschiedne Neuern, als Meibom und der jüngere Caspar Bartholin, haben diese Erzehlungen in ihren Werken zusammen getragen; jener in der Sammlung alter Musikalischer Schriftsteller, die er herausgegeben und mit Anmerkungen erläutert hat, und dieser in seinem Buche de tibiis veterum. Wenn Herr Tanaquill Faber dieses letzte Buch, ehe er seine Anmerkungen über den Terenz drucken lassen, hätte sehen können; so würde er ohne Zweifel die schönen lateinischen Verse weggelassen haben, die er wider die alte Flöte und wider diejenigen ge
|| [0057.01]
macht hatte, welche die Structur und den Gebrauch derselben zu erklären wagen wollten. Nur muß man, wenn man die angeführten Werke lieset, nie aus der Acht lassen, daß es die Griechen und ihre Nachbarn gewesen, bey welchen die Musik so wunderbare Wirkungen geäussert. Man weis, daß in diesen Ländern die Werkzeuge des Gehörs weit empfindlicher sind, als in denjenigen Ländern, wo Kälte und Nässe durch ganze acht Monate des Jahres regieren. Und da die Empfindlichkeit des Herzens, gewöhnlicher Maassen der Empfindlichkeit des Gehörs gleich ist, so lassen sich die Einwohner der Länder, welche an dem Aegäischen und an dem Adriatischen Meere liegen, von Natur weit leichter in Bewegung setzen, als wir. Aus Isle de France bis nach Italien ist nicht weit. Gleichwohl bemerkt ein Franzose, wenn er in Italien ist, so gleich, daß man bey den schönen Stellen in den Opern mit einer Entzückung klatscht, welche in seinem Lande die Ausschweifung einer Menge unsinniger Leute zu seyn scheinen würde. Dargegen aber haben wir, auf der Seite gegen Norden, Nachbarn, die von Natur für das Vergnügen, welches die Musik gewehrt, noch weniger empfindlich sind, als wir. Nach den Istrumenten<Instrumenten> zu urtheilen, welche ihnen die liebsten, und uns bey nahe, Theils wegen des allzugrossen Geräusches, Theils wegen ihrer wenigen Genauigkeit, oder ihres allzugeringen Um
|| [0058.01]
fanges, unerträglich sind; müssen diese unsre Nachbarn noch ein weit härtres Ohr haben, als wir. Würden wir wohl ein Concert mit Trompeten, welches an eben dem Orte, wo wir ässen, aufgeführet würde, für ein angenehmes Geräusche halten? Würde uns wohl in einem Zimmer ein Clavier sehr vergnügen, dessen Tangenten, anstatt Drathsayten ertönen zu lassen, kleine Glocken anschlagen liessen? Ich sage größten Theils; denn da wir zwischen Italien und den Ländern, von welchen ich jetzt geredet habe, liegen, so ist es ganz natürlich, daß ein Theil unserer Landesleute mehr von den Italiänern, und der andre mehr von den nordlichen Völkern haben müsse.

Vierter Abschnitt. Von der poetischen Musik. Von der Melopäie. Daß es eine Me lodie gegeben, welche kein Musikalischer Ge sang gewesen, ob sie gleich in Noten geschrieben worden.

Wir haben oben bey der Eintheilung und der Erklärung der musikalischen Künste gesehen, daß bey den Griechen die poetische Musik, in ihrem ganzen Umfange genommen, nicht mehr als eine einzige Kunst ausgemacht habe; daß sie hingegen bey den Römern in zwey verschiedne
|| [0059.01]
Künste getheilet worden, deren eine alle Arten metrischer Verse zu verfertigen, und die andre die Melodie zu componiren lehrte. Von der erstern, nehmlich von den Regeln, nach welchen die Alten ihre Verse machten, habe ich in meinem ersten Theile weitläuftig gehandelt; wir wollen also hier bloß von der andern reden, nehmlich von der Melopäie, oder von der Kunst, welche die Melodie zu verfertigen, und diese Melodie auszuführen lehrte. Aristides Quintilianus sagt in seinem Werke, wo er von der Melopäie handelt, daß sie den Gesang zu componiren lehre, und nach Beschaffenheit des Tones, in welchem dieser Gesang componirt worden, verschiedne Beynamen habe. Nach diesem Tone nun hieß die Melopäie entweder die tiefe, oder die mittlere, oder die hohe. Melopæia est facultas conficiendi cantum. Hujus alia est Hypatoides, alia Mesoides, alia Netoides, secundum prædictas vocis proprietates. (*) Die Alten theilten das allgemeine System ihrer Musik nicht, wie wir, nach Octaven ab. Ihr Gamma war aus achtzehn Klängen zusammengesetzt, deren jeder einen besondern Namen hatte, wie wir weiter unten werden anführen müssen. Einer von den tifsten dieser Klänge hieß ὑπατη; und einer von den höchsten νεατη oder νητη. Und dieses ist die Ursache warum 34
|| [0060.01]
von dem Aristides die tiefe Melopäie Hypatoides und die hohe Netoides genennt worden. Nachdem unser Schriftsteller einige allgemeine Regeln von der Composition gegeben, die eben so wohl auf diejenigen Gesänge, welche, so zu reden, nicht gesungen werden, das ist, auf die blosse Declamation, als auf die eigentlichen musikalischen Gesänge passen; so fügt er hinzu: differt autem Melopæia a Melodia, quod hæc sit cantus indicium, illa habitus effectivus. Modi Melopæiæ genere quidem sunt tres, Dithyrambicus, Nomicus, Tragicus, quorum Nomicus modus est Netoides, Dithyrambicus Mesoides, Tragicus Hypatoides; specie vero reperiuntur plures, qui ob similitudinem generalibus subjicii possunt. Amatorii enim quidam vocantur ad quos pertinent Nuptiales, & Comici & Encomiastici. (*) Der Unterschied zwischen der Melopäie und der Melodie bestehet darinn, daß die Melodie der in Noten geschriebene Gesang selbst ist; und die Melopäie die Kunst, diesen Gesang zu componiren. Die Melopäie kann nach dem Tone, in welchem sie componirt, eingetheilet werden; in die Dithyrambische Melopäie, in die Nomische Melopäie und in die Tragische Melopäie. Die Nomische Melopäie, (das ist, diejenige, wie wir sehen werden, die bey Publication der Gesetze gebraucht 35
|| [0061.01]
ward) componirte in den hohen Tönen; die Dithyrambische in den mittlern Tönen, und die Tragische in den tiefen Tönen. Dieses sind die drey Arten der Melopäie, welche wieder in verschiedne Gattungen abgetheilet werden können, weil zwischen den Melopäien, die unter einer Art begriffen sind, noch immer einiger Unterschied anzutreffen ist. Dergleichen ist die Melopäie der zärtlichen Verse, worunter die Hochzeitgesänge gehören; dergleichen ist auch die Melopäie der komischen, und die Melopäie der panegyrischen Verse.
Nach dem Buchstaben bedeutet Melopäie die Composition der Gesänge, sie mögen seyn, von welcher Art sie wollen; und Melodie componirte Gesänge. Man darf sich also nicht wundern, nicht selten Melopäie zu finden, wo Melodie hätte stehen sollen. Die Ursache wird in solchen Stellen für die Wirkung gesetzt. Um die angezogene Stelle des Aristides zu erklären, wollen wir gleich Anfangs einige Stellen aus dem Werke des Martianus Capella anführen, welches er in lateinischer Sprache von den Künsten und der Musik geschrieben hat. (*) Dieser Schriftsteller hat wirklich nach dem Quintilianus Aristides gelebt; allein er hat vor dem Boethius gelebt, welcher ihn anführt, und dieses ist genug, seinen Zeugnissen in der vorhabenden Sache das gehörige Gewicht zu geben. 36
|| [0062.01]
Nach dem Capella ist Melos, von welchem sowohl Melopäie als Melodie herkommen, nexus acutioris & gravioris soni. (*) Ich führe den Text des Capella nach den Verbesserungen an, die man, nach des Meibomius Meinung, darinn machen muß. Da die blosse Declamation, eben so wohl als der eigentlich so genannte Gesang, in einer Folge von Tönen besteht, die schärfer oder gelinder, als ihre vorhergehenden sind, und unter einander künstlich verbunden werden; so muß es in der blossen Declamation eben so wohl Melodie geben, als in dem eigentlich so genannten Gesange; und folglich auch eine Art von Melopäie, welche die Verbindung, von welcher Capella redet, wohl zu machen, das ist, die Declamation wohl zu componiren lehret. Wir müssen sogleich die ganze Stelle anführen, in welcher die angezognen Worte vorkommen. Melopæia est habitus modulationis effectivus. Melos autem ex nexus acutioris vel gravioris soni. Modulatio est soni multiplicis expressio. Melopæiæ species sunt tres, Hypatoides, Mesoides, Netoides. Et Hypatoides est quæ appellatur Tragica, quæ per graviores sonos constat; Mesoides quæ Dithyrambica nominatur, quæ tonos æquales mediosque custodit. Netoides quæ & Nomica consuevit vocari, quæ plures sonos ex ultimis recipit. Sunt etiam & aliæ distantiæ, quæ tropica Mela di 37
|| [0063.01]
cuntur, aliæ Comiologica, sed hæc aptius pro rebus subrogantur, nec suas magis poterunt divisiones afferre. Hæ autem species etiam tropi dicuntur. Dissentiunt autem Melopæiæ ipsæ modis pluribus inter se; & genere, ut alia sit Enarmonica, alia Chromatica, alia Diatonica. Specie quoque, quia alia est Hypatoides, alia Mesoides, alia Netoides. Tropis ut Dorio, Lydio vel cæteris. (*) Die Melopäie ist die Kunst, die Melodie zu componiren. Das Melos ist die Verbindung der scharfen Töne mit den gelinden. Die Modulation ist ein abgewechselter componirter und in Noten geschriebener Gesang. Es giebt drey Gattungen der Melopäie. Die Tragische oder die Hypatoidische, welche gemeiniglich die tiefsten Töne braucht; die Dithyrambische oder die Mesoidische, welche die mittlern Töne braucht und in welcher meistentheils die Fortschreitung des Gesanges durch gleiche Intervalle geschieht; und die Nomische oder Netoidische, welche verschiedne von den höchsten Tönen braucht. Es giebt auch noch einige andre Gattungen der Melopäie, zum Exempel die Komische; allein sie können füglich unter die drey jetzt erwehnten Arten gezogen werden, obgleich jede Gattung ihren eignen Ton hat. Doch nicht bloß nach Beschaffenheit des Tons können die Melopäien in verschiedene Arten ein 38
|| [0064.01]
getheilet werden; denn so wie man sie, nach Beschaffenheit dieses Tones, in die tiefen, mittlern und hohen eintheilet, eben so kann man sie, in Ansehung der Intervallen, welche sie beobachten, in die Diatonische, Chromatische und Enharmonische eintheilen; und in Ansehung der Modorum, in Dorische, Lydische und dergleichen.
Nachdem unser Schriftsteller demjenigen, was wir jetzt gelesen haben, einige Lehren wegen der Composition beygefügt, so geht er so gleich, als ob er alles gesagt habe, was man von der Melodie sagen könne, weiter zu dem fort, was er von dem Rithmus zu sagen hat. Um aber wieder auf den Quintilianus Aristides zu kommen, so setzt er, ehe er auf den Rithmus kömmt, zu dem, was er schon von der Melopäie gesagt hatte, noch folgendes hinzu: Porro Melopæiæ inter se differunt genere, ut Chromatico, Enormonico, Diatonico; Systemate ut Hypatoides, Mesoides, Netoides; Tono ut Dorius, Phrygius, Lydius; Modo ut Nomico, Dithyrambico, Tragico; More, cum dicimus aliam esse Systalticem, per quam tristes animi affectus movemus, aliam Diastalticem per quam animum excitamus, aliam mediam, per quam animum ad quietem adducimus. Die Melopäien können auf mehr als eine Weise in verschiedne Arten getheilet werden. Es giebt Diatonische; es giebt Enharmonische; es
|| [0065.01]
giebt Chromatische. In Ansehung des Tons des allgemeinen Systems, in welchem sie componirt werden, theilen sich die Melopäien in Melopäien, deren Modulation hoch ist; in Melopäien, deren Modulation tief ist, und in Melopäien von mittler Modulation. In Ansehung des Modus, sind einige Phrygisch, einige Dorisch, einige Lydisch etc. In Ansehung der Art, mit welcher der Modus bearbeitet wird, theilen sich die Melopäien in Nomische, in Tragische und in Dithyrambische Melopäien. Endlich können sich auch die Melopäien, in Ansehung der Absicht des Componisten, und der Wirkung, welche sie hervor bringen sollen, eintheilen in die Systaltische Melopäie, welches diejenige ist, die uns traurig macht; in die Diastaltische Melopäie, welches diejenige ist, die uns belebet, und unsere Einbildungskraft ermuntert; und in die mittlere Melopäie, welche solche Melodien componirt, die unsern Geist beruhigen und die Gemüthsbewegungen stillen.
Von allen diesen verschiedenen Eintheilungen der von verschiedenen Seiten betrachteten Melopäie, gehört nur eine einzige zu unserm gegenwärtigen Zwecke; diese nehmlich, nach welcher sie in die tiefe oder tragische Melopäie, in die mittlere oder dithyrambische, und in die hohe oder nomische eingetheilet wird; und welche also auch die Melodien in drey Gattungen von gleicher Natur unterscheidet. Denn wie Quintilia
|| [0066.01]
nus Aristides sagt, und wie wir schon angemerkt haben, so ist die Melopäie als die Ursache, und die Melodie als die Wirkung anzusehen; und es muß folglich eben so viel Gattungen der Melodie geben, als es Gattungen der Melopäie giebt. Wenn man die Stellen des Aristides und des Capella, wo die Melopäie in die Nomische, Dithyrambische und Tragische eingetheilet wird, mit einiger Aufmerksamkeit lieset; so wird man sogleich wahrnehmen, daß alle ihre Melodien nicht musikalische Gesänge seyn konnten, sondern daß verschiedene derselben nichts als eine blosse Declamation seyn mußten. Man sieht, daß bloß und allein die Dithyrambische Melopäie eigentlich so genannte Gesänge componirt habe. Vors erste; gesetzt, daß einige von den Melopäien, die als Gattungen der Tragischen Art anzusehen waren, eigentlich so genannte Gesänge componirten; so kann man doch wenigstens nicht in Abrede seyn, daß einige von diesen Gattungen nicht auch eine blosse Declamation sollten componirt haben. Es ist gar nicht wahrscheinlich, daß der Gesang der Panegyristen, welcher eine von den Gattungen der Melodie war, die von der tragischen oder tiefen Melopäie componirt wurden, ein musikalischer Gesang gewesen sey. Was den Gesang der Komödien anbelangt, welcher eine andre Art von tragischer Melodie war; so werden wir weiter unten unwidersprechlich darthun, daß der Gesang der komischen
|| [0067.01]
Stücke bey den Alten, ob er gleich in Noten geschrieben wurde, und obgleich den Schauspieler, welcher ihn recitirte, Instrumente accompagnirten, in der That doch nichts als eine Declamation, und zwar eine von den aller einfachsten Declamationen gewesen sey. Ja noch mehr. Ich hoffe so gar zu zeigen, daß auch die Melodie der tragischen Stücke bey den Alten, kein musikalischer Gesang, sondern eine blosse Declamation gewesen sey. Also war vielleicht unter der Art der tragischen Melopäien keine einzige Gattung, welche einen musikalischen Gesang componirte. Vors zweyte konnte auch die Nomische Melodie kein musikalischer Gesang seyn. Den Namen des Nomische, oder des gesetzlichen, wird sie ohne Zweifel deswegen bekommen haben, weil man sich ihrer vornehmlich bey Bekanntmachung der Gesetze bediente; denn νομος heißt ein Gesetz. Der Ton übrigens, in welchem die hohe oder Nomische Melopäie componirte, war sehr wohl dazu geschickt, den öffentlichen Ausrufer, wenn er ein Gesetz hersagte, deutlich und so sprechen zu lassen, daß er von einer grossen Menge konnte verstanden werden. Wenn man weis, wie groß die Zärtlichkeit der Griechen in der Beredsamkeit gewesen, und besonders wie sehr sie durch eine schlechte Aussprache beleidiget wurden, so wird man sich ohne viel Mühe vorstellen können, daß einige von ihren Städten gar leicht auf die Ehre, in allen
|| [0068.01]
Dingen keine andre als die besten und anständigsten Manieren zu haben, so eifersüchtig können gewesen seyn, daß sie dem öffentlichen Ausrufer, welcher die Gesetze bekannt machen mußte, durchaus die Freyheit nicht lassen wollten, sie nach seiner Weise herzusagen, weil er gar leicht auf einen Ausdruck, oder auf ein Wort, einen Ton hätte legen können, der die Zuhörer, die ohnedem gebohrne Spötter waren, zum Lachen bewegt hätte. Aus Furcht also, die Fehler der Aussprache, in welche der Ausrufer fallen könne, möchten eine Art von Lächerlichkeit auf die Gesetze selbst zurückwerfen, brauchten diese Republicken die Vorsicht, die Declamation ihrer Gesetze componiren, und denjenigen, welcher sie hersagte, mit Instrumenten accompagniren zu lassen, die ihn aus dem gehörigen Tone nicht fallen liessen. Sie wollten also, daß er die Gesetze mit eben der Hülfe, und eben der Unterstützung, die der Schauspieler auf dem Theater bey seiner Aussprache hatte, kund machen sollte. Martianus Capella, indem er die Musik erheben will, sagt, daß in verschiedenen Städten Griechenlandes derjenige, welcher die Gesetze publicirte, von einer Leyer sey accompagnirt worden. Quid pacis munia? Nonne nostris cantibus celebrata? Græcarum quippe urbium multæ leges ad lyram recitabant. (*) Es versteht sich aber, daß der Redner und das Instrument nimmer 39
|| [0069.01]
mehr hätten können zusammen treffen, wenn die Declamation des ersteren willkührlich gewesen wäre. Sie mußte nothwendig bestimmt, und folglich componirt seyn. Es würde nicht unmöglich seyn, bey den alten Schriftstellern von dem Gebrauche, dessen Capella erwehnet, noch Spuren anzutreffen. Bey dem Plutarch, zum Exempel, lieset man, daß Philippus, König von Macedonien, als er die Athenienser bey Chäronea geschlagen, und das Gesetz lächerlich machen wollte, welches sie wider ihn gegeben hatten, daß er, sag ich, auf dem Schlachtfelde selbst, den Anfang dieses Gesetzes recitirt, und zwar nach einer abgemessenen und bestimmten Declamation recitirt habe. (*) Als nun, sagt Plutarchus, Philippus die Schlacht gewonnen hatte, ward er so ausserordentlich vergnügt darüber, daß ihn seine Freude bis zu Ausschweifungen brachte. Denn nachdem er mit seinen Freunden wacker getrunken hatte, begab er sich in ihrer Gesellschaft auf das Schlachtfeld, und fieng aus Spötterey den Anfang des Decrets an zu singen, welches Demosthenes wider ihn herausgebracht, und dem zu Folge die Athenienser den Krieg wider ihn beschlossen hatten:Demosthenes, der Sohn des Demosthenes aus Päanea etc. wobey er seine Stimme erhob, und den Takt bey jedem Abschnitte dazu schlug. Als er aber wieder nichtern worden 40
|| [0070.01]
war, und der Gefahr, in welcher er sich befunden, ein wenig nachgedacht hatte, standen ihm die Haare zu Berge.
Diodorus von Sicilien (*) schreibt, es habe Philippus an dem Tage, von welchem wir reden, nachdem er sich im Trunke allzusehr überladen, auf dem Schlachtfelde verschiedene unanständige Dinge begangen; die Vorstellungen des Atheniensers Demades aber, hätten ihn wieder zu sich selbst gebracht, und die Reue über seine Ausschweifungen hätte ihn hernach viel nachgebender gemacht, als er mit dem überwundnen Feinde in Unterhandlung getreten wäre. Ganz gewiß aber werden Athen, und die übrigen Städte Griechenlandes, welche mit den Atheniensern, hierinn einerley Gebrauch hatten, ihre Gesetze, bey Kundmachung derselben, nicht so haben singen lassen, als wir das Wort singen, nach der Bedeutung, welche es gemeiniglich in unserer Sprache hat, zu nehmen pflegen. Ich glaube also, daß von den drey Arten in welche sich die Melopäie in Ansehung der Manier, mit der sie ihren Modus bearbeitete, theilte, nicht mehr als die einzige, nehmlich die Dithyrambische, eigentlich musikalische Gesänge componirt habe; aufs höchste gab es nur einige Gattungen der tragischen Melodie, welche eigentliche Gesänge gewesen wären. Die übrigen 41
|| [0071.01]
waren nichts als eine componirte und in Noten geschriebene Declamation. Da diese meine Meinung in der gelehrten Welt eine Neuigkeit ist, so muß ich nichts vorbey lassen, was mich einigermaassen wegen ihrer Behauptung rechtfertigen kann. Ehe ich also die Stellen aus den Griechen und Lateinern anführe, die, wenn sie gelegentlich ihrer Musik gedacht, Dinge gesagt haben, welche, so zu reden, die Existenz einer Melodie, die nichts als eine blosse Declamation gewesen, beweisen; will ich, mit Erlaubniß meiner Leser, ihnen einige Stellen aus denjenigen alten Verfassern vorlegen, die von ihrer Musik dogmatisch gehandelt haben, und welche diese Existenz beweisen. Wallis, dieser sowohl wegen seiner Gelehrsamkeit als auch deswegen berühmte Engländer, weil er unter allen Gelehrten zu unserer Zeit am längsten gelebt hat, ließ im Jahr 1699. in dem dritten Theile seiner mathematischen Werke, des Porphyrius griechischen Commentar über des Ptolemäus Bücher ἁρμονικων drucken, welchem er eine lateinische Uebersetzung und Anmerkungen beyfügte. Wenn man diesen Commentar lieset, so sieht man, daß die Alten überhaupt alle Wirkungen, deren die Stimme fähig ist, in zwey Arten eingetheilet haben. Proximo statim loco exhibet ipsas vocis differentias. Duplex enim est hujusce motus, continuus qui dicitur, & Diastematicus. Continuus quidem, quo in
|| [0072.01]
ter nos colloquimur, qui & eodem sensu sermocinalis dicitur. Diastematicus vero quo canimus & modulamur, tibiaque & cithara ludimus, unde Melodicus dicitur. (*) Hierauf handelt der Verfasser von dem Unterschiede, der sich in dem Klange der Stimme befindet. Der eine Klang der Stimme ist der stetige, (continuus) derjenige nehmlich, welchen die Stimme im gemeinen Reden formiret, und den man auch deswegen den gesprächmäßigen nennet. Der andre heißt der melodische, welcher nach gewissen Intervallen eingerichtet ist, und ist derjenige, den die hören lassen, welche singen oder eine Modulation ausführen, und den diejenigen nachahmen, welche Instrumente blasen ober spielen. Hierauf erklärt Porphyrius den Unterschied weitläuftig, welcher sich unter diesen beyden Arten der Stimme befindet, und fügt endlich hinzu. Dieses ist der Grundsatz, welchen Ptolemäus zum Anfange seiner Betrachtungen über die Harmonie festsetzt, und welcher, überhaupt zu reden, eben derselbe ist, den die Schüler des Aristoxenus angeben. Cum igitur ab Aristoxeneis prope omnibus hæc tradantur, statim ab initio tractationis de Harmonica Ptolemæus eadem postulat. Wir haben schon gesagt, wer Aristoxenus gewesen. Und also war die Eintheilung der Stimme in die stetige, und in die melodische, 42
|| [0073.01]
oder in die abgemessene und in ihrer Fortschreitung gewissen Intervallen unterworffene Stimme, einer von den ersten Grundsätzen der musikalischen Wissenschaft. Und nun wollen wir sehen, daß dieser melodische Klang der Stimme, oder die Melodie wiederum in zwey Gattungen getheilt ward, nehmlich in Melodie, die ein eigentlich so genannter Gesang war, und in Melodie, die nichts als eine blosse Declamation war. Martianus Capella sagt: der Klang der Stimme kann in zwey Arten eingetheilet werden; nehmlich in den stetigen und in den nach gewissen Intervallen abgetheiten Klang. Der stetige ist der Klang der einfachen Aussprache bey gewöhnlichen Unterredungen. Der abgesonderte aber ist der Klang der Aussprache eines Menschen, welcher eine Modulation ausführet. Zwischen diesen zwey Arten ist noch eine mittlere Art, welche etwas von der stetigen und etwas von der abgetheilten hat. Dieser Mittelklang der Stimme ist nicht so unterbrochen als der Gesang; er fließt aber auch nicht so in einem fort, als der Klang eines gemeinen Gesprächs. Die Stimme macht diesen Klang alsdenn, wenn sie dasjenige ausspricht, was wir Carmen nennen. (*) Nun aber, wie wir weiter unten sagen werden, bedeutete Carmen, eigentlich die abgemessene Declamation der Verse, die nicht gesungen wurden, wenn 43
|| [0074.01]
man nehmlich singen in der Bedeutung nimt, die es unter uns hat. (*) Nunc de prima voce velut de sonitus totius parente, dicemus. Omnis vox in duo genera dividitur, continuum atque divisum. Continuum est velut juge colloquium. Divisum quod in modulationibus servamus. Est & medium quod ex utroque permixtum, ac neque alterius continuum motum servat, nec alterius frequenti divisione præciditur, quo pronuntiandi modo carmina recitantur. Besser könnte man unsre Declamation, welche zwischen dem musikalischen Gesange und der einfachen Sprechart in gemeinen Reden das Mittel hält, nicht beschreiben, als sie Capella unter dem Namen eines mittlern Klanges beschreibt. Ich will nicht hoffen, daß man mir vorwerfen werde, ich liesse hier das Wort Modulation weiter nichts als den musikalischen Gesang bedeuten, ob ich ihm gleich anderwerts eine viel weitere Bedeutung gegeben und alle Arten von componirten Gesängen darunter verstanden hätte. Denn da Capella dem Worte Modulatio das Wort Carmen entgegen setzt, so ist es klar genug, daß er das erstere in keiner andern Bedeutung nehmen könne, als in welcher ich es genommen habe, und daß er den eigentlich so genannten musikalischen Gesang darunter verstanden wissen wolle. 44
|| [0075.01]
Bryennius lehret uns sogar, wie dieser mittlere Klang, oder die Declamation, componirt worden. Dieser griechische Schriftsteller ist einer von denjeninigen, welche Wallis, nebst einer lateinischen Uebersetzung, dem dritten Theile seiner mathematischen Werke einverleibt hat. Er sagt aber folgendes. Es giebt zwey Arten des Gesanges oder der Melodie. Die eine ist diejenige, deren die gewöhnliche Art zu sprechen fähig ist, und die andre ist der musikalische Gesang. Der Gesang, dessen die gewöhnliche Art zu sprechen fähig ist, wird durch die Accente componirt; denn naturlicher Weise erhebt man bald die Stimme im Reden, bald läßt man sie fallen. Der eigentlich so genannte Gesang aber, von welchem in der harmonischen Musik gehandelt wird, ist gewissen Intervallen unterworfen. Er wird durch Töne und Intervalle componirt. Est autem melos, id est cantus, aliud sermocinale, aliud musicum. Sermocinale enim est illud, quod componitur ex vocum prosodiis, naturale enim est inter loquendum intendere & remittere vocem. Musicum autem melos de quo agit Harmonia, est Diastematicum, illud ex Phtongis & Diastematis compositum. (*) Der Leser wird hier schon vor sich selbst bemerken, daß in der Declamation die Fortschreitung auch durch die allerkleinsten Intervalle, deren die Töne 45
|| [0076.01]
fähig sind, geschehen könne; welches in der Musik nicht angeht. Selbst die Enharmonische Art erlaubt aufs höchste nur halbe Semitonia. Die angeführte Stelle des Bryennius lehrt uns nicht allein, wie die Melodie, welche nichts als eine blosse Declamation war, componirt wurde; sondern sie lehrt uns auch, wie sie konnte in Noten geschrieben werden. Ehe wir uns aber in diese Untersuchung einlassen, wird es nicht undienlich seyn, eine Stelle aus dem Boethius anzuführen, weil es ausdrücklich darinn gesagt wird, daß die Declamation, eben so wohl als der musikalische Gesang, in Noten geschrieben worden. Die Tonkünstler des Alterthums, sagt Boethius, damit sie sich die Mühe ersparen möchten, den ganzen Namen einer jeden Note zu schreiben, haben gewisse Zeichen erfunden, deren jedes einen besondern Ton bedeutet, und diese Monogrammata haben sie nach Geschlechtern und Arten eingetheilt. Wenn also ein Componist einen Gesang über Verse schreiben will, deren Abmessung durch den Werth der langen und kurzen Sylben, aus welchen die Füsse derselben bestehen, bereits bestimmt ist; so hat er weiter nichts zu thun, als seine Noten über die Verse zu setzen. Und solcher Gestalt hat der menschliche Fleiß nicht nur ein Mittel gefunden, die Worte und die Declamation zu schreiben, sondern auch eine jede Art des
|| [0077.01]
Gesangs, vermittelst der Zeichen, die Nachwelt zu lehren.
Veteres Musici propter compendium scriptionis, ne integra nomina necesse esset semper apponere, excogitavere notulas quasdam quibus verborum vocabula notarent, easque per genera modosque diviserunt, simul etiam hac brevitate captantes, ut si quando aliquod melos Musicus voluisset adscribere super versum, rithmica metri compositione distinctum, has sonorum notulas ascriberet, tam miro modo reperientes ut non tantum carmina verbaque litteris explicarent, sed melos ipsum quod his notulis signaretur, in memoriam posteritatemque durare. (*) Boethius lobt also die Tonkünstler des Alterthums wegen einer doppelten Erfindung. Die erste bestand darinne, daß sie die Worte und den Gesang, welcher Carmen hieß, und, wie man sehen wird, weiter nichts als eine blosse Declamation war, zu schreiben erfunden hatten; und die andre war diese, daß sie auf ein Mittel gefallen waren, auch jede Art des musikalischen, oder eigentlich so genannten, Gesanges zu schreiben, auf dessen Noten Boethius eben kommen will, als er das, was man jetzt gelesen hat, sagt. Die Declamation wurde also eben so wohl als der Gesang in Noten geschrieben. Ja, wenn wir aus der Art, mit der sich Boethius aus 46
|| [0078.01]
drückt, schliessen dürfen, so hatten die Alten die Kunst, die blosse Declamation in Noten zu schreiben, noch eher erfunden, als die Kunst, die Musik in Noten zu schreiben. Die erste war, wie man sehen wird, auch weit leichter als die andere, und man kann sicher glauben, daß von zwey Künsten, welche ohngefehr einerley Gegenstand haben, diejenige gewiß zuerst wird seyn erfunden worden, deren Ausübung die leichteste war. Nunmehr wollen wir auch sehen, wie die Declamation in Noten geschrieben wurde, und zugleich auch, wie man den musikalischen oder eigentlich so genannten Gesang in Noten geschrieben habe. Man wird dadurch den Sinn der Stelle aus dem Boethius desto besser einsehen lernen. Nach dem Bryennius ward die Declamation durch die Accente componirt; und folglich mußte man sich, um sie in Noten zu schreiben, eben derselben Zeichen bedienen, mit welchen man die Accente bemerkte. Nun aber hatten die Alten acht oder zehn Accente, und eben so viel verschiedene Zeichen, sie zu bemerken. Sergius, ein alter lateinischer Sprachlehrer, zählet acht Accente, die er durch Bemerkungen der Beugung der Stimme erklärt, und sie die Gehülfen des Gesanges nennt. (*) Tenores sive accentus dicti sunt qui naturalem uniuscujusque sermonis in vocem nostræ elationis teno 47
|| [0079.01]
rem servant. Dictus antem accentus est quasi ad cantus. Sunt autem omnes accentus Latini octo. Priscianus ein andrer lateinischer Sprachlehrer, welcher zu Ende des fünften Jahrhunderts lebte, sagt in seinem Buche von den Accenten: der Accent sey das Gesetz, die gewisse Regel, nach welcher man, in der Aussprache jeder Sylbe, die Stimme erheben oder fallen lassen müsse. (*) Accentus namque est certa lex & regula ad elevandam & deprimendam syllabam uniuscujusque partis orationis. Hierauf sagt er, daß die lateinische Sprache zehn Accente habe, deren Namen und Figuren, womit man sie bemerkte, er zugleich anzeigt. Sunt autem accentus decem, quos ita huic operi dignum existimavi pernotare. Ihre Namen sind: acutus, gravis, circumflexus, longa linea, brevis linea, hyphen, diastole, apostrophus, dasæa, psyle. Die Figur eines jeden von diesen Accenten kann man in dem angeführten Buche nachsehen. Isiodorus Hispalensis sagt eben das. (**) Da die Lateiner ursprünglich nur drey Accente hatten, den acutum, gravem und circumflexum; da die übrigen vielleicht zu verschiedenen Zeiten erfunden, und als neue Erfindungen vielleicht nicht durchgängig angenommen worden; 48 49
|| [0080.01]
so darf man sich nicht wundern, daß einige Sprachlehrer derselben nur achte zehlen, andre aber zehne. Was aber ihren Gebrauch betrift, darinn kommen diese Schriftsteller mit einander übereinIsidorus Hispalensis sagt, die Accente würden im lateinischen toni und tenores genennt, weil sie eine Vermehrung der Stimme und der Pausen bemerkten. (*) Latini autem habent & alia nomina. Nam accentus & tonos & tenores dicunt, quia ibi sonus crescit & desinit. Zu allem Unglücke ist das Werk nicht vorhanden, in welchem Priscianus von dem Gebrauche der Accente umständlich zu handeln, sich vorbehalten hatte. Sed nos locuturi de partibus, ad accentum qui in dictionibus necessarius est transeamus, cujus rei mysterium, Deo præbente vitam, latius tractemus. Dieses Werk, welches wir nicht haben, es sey nun, weil es niemals ausgearbeitet worden, oder weil es verlohren gegangen, würde uns ohne Zweifel den Gebrauch gelehrt haben, welchen die Componisten der Declamation davon machten. Das was Isidorus in seinen Originibus davon sagt, kann das Buch des Priscianus, welches uns mangelt, nicht ersetzen. Ich bilde mir ein, daß ein Componist der Declamation weiter nichts that, als daß er über die Sylben, welche nach dem Regeln der Grammatik einen Accent haben mußten, den 50
|| [0081.01]
acutum, gravem oder circumflexum, der ihnen Kraft ihrer Buchstaben zukam, setzte; und daß er, in Ansehung des Ausdrucks, über die leeren Sylben, vermittelst der übrigen Accente, denjenigen Ton verzeichnete, den er ihnen nach Maßgebung des Verstandes, welchen die Worte hatten, zu ertheilen für gut befand. Was konnten alle die Accente sonst anzeigen, als das verschiedene Steigen und Fallen der Stimme? Die Alten gebrauchten diese Accente fast zu nichts andern, als wozu die Juden noch heut zu Tage ihre musikalischen Accente brauchen, wenn sie die Psalmen nach denselben absingen, oder vielmehr declamiren. Es wird schwerlich eine Declamation geben, die man nicht mit zehn verschiednen Zeichen, deren jedes eine besondere Beugung der Stimme andeutet, sollte in Noten schreiben können; und da man die Anstimmung dieser Accente, wenn man lesen lernte, zugleich mit lernte, so war fast kein Mensch, der diese Art von Noten nicht sollte verstanden haben. Dieses vorausgesetzt kann man sich gar leicht die Vortheile vorstellen, deren sich die Alten bey der Componirung und Ausführung ihrer Declamation bedienten. Der h. Augustinus hat also mit Recht gesagt, daß er davon nicht handeln wolle, weil es Dinge wären, welche auch der allerschlechteste Komödiant verstünde. Der Takt lag gleichsam schon in den Versen selbst. Der Componist durfte
|| [0082.01]
sie nur accentuiren und die Bewegung des Takts vorschreiben; nachdem er dasjenige, was das accompagnirende Instrument spielen sollte, in eine ganz einfache und leicht auszuführende Partie gebracht hatte. Wie aber die Melodie, welche ein eigentlich sogenannter Gesang war, geschrieben wurde; das wissen wir ganz genau. Das allgemeine System, oder wie es Boethius nennt, die Constitution der alten Musik, war, nach dem Martianus Capella, (*) in achtzehn Klänge eingetheilt, deren jeder seinen besondern Namen hatte. Wir brauchen hier eben nicht zu erklären, daß verschiedne von diesen Klängen im Grunde einerley seyn konnten. Den einen nennte man Prostambemenos &c. Damit man nun nicht, wie Boethius sagt, den ganzen Namen eines jeden Klanges über die Worte zu schreiben brauchte, welches fast unmöglich würde gewesen seyn, so hatte man gewisse Charaktere oder Arten von Figuren erfunden, deren jede einen gewissen Ton andeutete. Diese Figuren wurden σημεια oder Zeichen genennt. Eigentlich bedeutet das Wort σημεια alle Zeichen überhaupt; hernach aber hat man es zu der besondern Benennung derjenigen Noten und Figuren, wovon hier die Rede ist, gemacht. Alle diese Figuren bestanden aus einem Manogramma, welches der Anfangsbuchstabe des eigentlichen Namens war, den 51
|| [0083.01]
jeder von den achtzehn Klängen des allgemeinen Systems führte. Diese achtzehn Anfangsbuchstaben nun, obgleich einige derselben einerley waren, waren solcher Gestalt verzeichnet, daß sie unzuverwechselnde Menogrammata ausmachten. Boethius hat uns die Figuren dieser Monogrammen aufbehalten. Auch Isaac Voßius merkt verschiedne Werke der Alten an, aus welchen man sehen könne, wie man zu ihren Zeiten die musikalischen Gesänge in Noten geschrieben habe. Meibom spricht gleichfalls an verschiednen Orten seiner schon oft angeführten Sammlung davon; besonders aber in der Vorrede, wo er das Te Deum, so wohl nach der Tablatur der Alten, als auch in neuen Noten, mittheilet. Ich will also nur bloß anmerken, daß die Zeichen, oder σημεια, welche so wohl bey der Vocal als Instrumental- Musik gebraucht wurden, über die Worte geschrieben, und auf zwey Linien gestellt wurden, deren oberste für den Gesang und die unterste für das Accompagnement waren. Diese Linien waren nicht viel dicker als die Linien einer ordentlichen Schrift. Wir haben so gar noch einige griechische Handschriften, in welchen man diese zwey Arten von Noten, so wie ich sie jetzt erklärt habe, geschrieben findet. Aus ihnen hat man die Hymnen an die Kolliope, an die Nemesis, 52
|| [0084.01]
und an den Apollo, desgleichen auch die Strophe aus einer der Pindarischen Oden gezogen, die uns Herr Burette in alten und neuen Noten mitgetheilet hat. Man hat sich der alten Charaktere, die musikalischen Gesänge zu schreiben, bis in das eilfte Jahrhundert bedient, in welchem Guido Aretinus diejenige Methode erfand, welche noch jetzt gebräuchlich ist, und nach welcher die Noten auf verschiedene Linien gesetzt werden, und durch den Ort, an welchem sie stehen, ihre Anstimmungen erhalten. Diese Noten waren Anfangs blosse Punkte, an welchen man nichts unterscheiden konnte, was ihre Dauer bemerkt hätte; Johann de Muris aber, welcher von Paris gebürtig war, und unter der Regierung des Königs Johann (gegen 1350) lebte, erfand ein Mittel diesen Puncten durch verschiedne runde, schwarze, hackigte und doppelhackigte Figuren, einen ungleichen Werth zu geben, und diese sind von allen Europäischen Tonkünstlerrn angenommen worden. Man hat also die Kunst die Musik zu schreiben, so wie wir sie heut zu Tage schreiben, eben sowohl Frankreich als Italien zu dancken. Aus dem Angeführten erhellet folglich, daß von den drey Arten der Melopäie, nur die einzige Dithyrambische, oder Mesoidische, musicalische Gesänge componiret habe; und daß von den andern zwey, nehmlich von der Tragischen über
|| [0085.01]
haupt zu reden, und von der Nomischen die Declamation componiret worden. Von der Dithyrambischen Melodie will ich hier nichts sagen, ob sie gleich der blossen Declamation viel näher kam, als unsere heutige Musik; sondern ich beziehe mich auf den gelehrten Mann, welcher besonders davon gehandelt hat. (*) Was die Melodie anbelangt, welche nichts als eine blosse Declamation war, so habe ich von der Nomischen, oder gesetzlichen, weiter nichts zu sagen, als was ich bereits gesagt habe. Von der Tragischen Melodie aber werde ich noch insbesondere und zwar ziemlich weitläuftig handeln, damit ich dasjenige, was ich von ihrer Existenz gesagt habe, bestärken und unwidersprechlich darthun könne, daß die theatralische Musik der Alten, ob sie gleich componirt und in Noten geschrieben worden, dennoch kein eigentlich so genannter Gesang gewesen sey. Und eben daher, weil die Ausleger nicht den rechten Begriff von der theatralischen Melodie hatten, sondern sie für einen musikalischen Gesang hielten; weil sie ferner auch nicht einsahen, daß die Saltation nichts weniger als ein Tanz nach unserer Art, sondern eine blosse Kunst Gebehrden zu machen, gewesen sey; eben daher, sage ich, kam es, daß sie die alten Schriftsteller, wenn sie von ihrem 53
|| [0086.01]
Theater reden, so unrichtig erklären. Ich glaube daher, eine so durchaus neue Meinung von der tragischen Melopäie, und tragischen Melodie, auf nicht genug Beweise gründen zu können. Ein gleiches werde ich auch in Ansehung meiner Meinung von der alten Saltation thun, wenn ich auf die hypocritische Musik zu reden kommen werde. Sie ist gleichfalls ganz neu.

Fünfter Abschnitt. Erläuterung einiger Stellen des sechsten Hauptstücks der Aristoteli schen Dichtkunst. Von dem Gesange der lateinischen Verse oder dem Carmen.

Zu mehrerer Befestigung desjenigen, was ich von der tragischen Melopäie der Alten gesagt habe, glaube ich nichts bessers thun zu können, als wenn ich zeige, daß man, meiner Meinung zu Folge, eine von den allerwichtigsten Stellen der Aristotelischen Dichtkunst, welche die Ausleger bisher nur noch unverständlicher gemacht haben, sehr deutlich verstehe. Nichts kann die Wahrheit eines Grundsatzes besser beweisen, als wenn man sieht, daß durch die Anwendung desselben Dinge aufgekläret werden, die sonst undeutlich bleiben würden. Die gedachte Stelle ist, nach der lateinischen Uebersetzung des Dan. Heinsius, in welcher ich blos zwey Worte geändert habe,
|| [0087.01]
um sie dem Texte desto gleichförmiger zu machen, folgende. Tragœdia ergo est absolutæ & quæ justam magnitudinem habeat actionis, imitatio, sermone constans ad voluptatem facto, ita ut singula genera in singulis partibus habeant locum, utque non enarrando sed per misericordiam & metum similium perturbationum expiationem inducat. Per sermonem autem factum ad voluptatem, eum intelligo qui Rhythmo constat, Harmonia & Metro. Addidi autem ut singula genera seorsim — — quia nonnulla Metris solummodo, nonnulla vero Melodia persiciantur. Quoniam vero agendo in ea imitantur, primo omnium necesse erit partem aliquam Tragœdiæ esse ornatum externum: at interim Melopæiam & dictionem, his enim in Tragœdia imitantur. Dictionem jam dico ipsam Metrorum compositionem: Molopæiam vero cujus vim satis omnes intelligunt. Die Tragödie ist die Nachahmung einer vollständigen und den gehörigen Umfang habenden Handlung. Diese Nachahmung geschieht ohne Hülfe der Erzehlung, und in einer zum Vergnügen eingerichteten Sprache, deren verschiedne Annehmlichkeiten aber aus verschiednen Quellen fliessen. Die Tragödie stellet uns also die Gegenstände selbst vor Augen, durch die sie in uns Schreken und Mitleid, diese zur Läuterung unserer Leidenschaften so dienliche Empfindungen, er
|| [0088.01]
wecken will. Unter einer zum Vergnügen eingerichteten Sprache verstehe ich solche Reden, die unter gewisse Abmessungen gebracht und einem Rythmus unterworffen sind, und zusammen eine Harmonie ausmachen. Ich habe gesagt die verschiednen Annehmlichkeiten der tragischen Sprache flössen aus verschiednen Quellen, weil es gewisse Schönheiten giebt, die bloß aus dem Metro entspringen, und gewisse, die aus der Melodie entspringen. Da aber die tragische Nachahmung auf dem Theater ausgeübet wird, so muß man auch noch äusserliche Zierathen mit dem Ausdrucke und der Melopäie verbinden. Man sieht leicht, daß ich hier unter dem Ausdrucke die Verse selbst verstehe. Und was die Melopäie anbelangt, von der weis jedermann, was sie vermag.
Wenn wir nun untersuchen, wodurch die erwehnten Schönheiten der zum Vergnügen eingerichteten Sprache entstehen; so werden wir finden, daß sie nicht das Werk einer einzigen, sondern verschiedener musikalischen Künste waren, und daß es folglich eben nicht so schwer sey, die Worte dieser Stelle zu verstehen, die sie aus verschiednen Quellen entspringen lassen. Wir wollen von dem Metrum und Rythmus anfangen, welche die zum Vergnügen eingerichtete Sprache haben muß. Es ist bekannt, daß die Alten keine dramatische Stücke in Prosa hatten, sondern daß sie alle
|| [0089.01]
in Versen geschrieben waren. Wenn also Aristoteles sagt, daß der Ausdruck in gewisse Takte abgeschnitten seyn müsse, so verstehet er weiter nichts darunter, als daß der Takt der Verse, mit welchem die Poetik zu thun hatte, auch der Declamation zum Takte dienen müsse. Was den Rythmus anbelangt, so kam es dabey auf die Füsse der Verse an, die Bewegung des Takts bey der Recitation der Verse zu bestimmen. Und eben daher sagt Aristoteles in dem vierten Hauptstücke seiner Dichtkunst, daß die Metra die Stücke des Rythmus wären; d. i. daß sich nach dem aus der Gestalt der Verse entspringenden Takte bey der Recitation die Bewegung des Takts richten müsse. Jedermann weis, daß die Alten bey verschiednen Gelegenheiten in ihren dramatischen Stücken Verse von mehr als einer Gestalt brauchten. Derjenige also, welcher den Takt auf dem Theater schlug, mußte die Takte der Declamation zu Folge der Verse, die man recitirte, bemerken; so wie er die Bewegung dieses Takts entweder beschleinigte oder anhilt, nach dem es der in den Versen ausgedruckte Sinn erforderte, d. i. nach dem es die Grundsätze der rithmischen Kunst verlangten. Aristoteles sagt also mit Recht, daß die Schönheit des Rythmus nicht aus eben der Ursache herkäme, welche die Schönheiten der Harmonie und die Schönheiten der Melopäie hervorbrächte. Die Schönheit und Schicklichkeit des Takts, und folglich auch des
|| [0090.01]
Rythmus entspringen aus der Wahl der Füsse, so wie sie der Dichter zu Folge des in seinen Versen ausgedrückten Inhalts getroffen hatte. Was die Harmonie betrift, so wurden die Schauspieler der Alten, wie wir bald sehen werden, bey ihrer Declamation von einem Instrumente begleitet; und da die Harmonie aus der Uebereintreffung der Klänge in verschiedenen Stimmen besteht, so mußten die Melodie, welche sie recitirten, und der Generalbaß, welcher sie unterstützte, wohl mit einander übereinstimmen. Nun aber wird die Wissenschaft der Accorde weder von der metrischen noch der rythmische Musik, sondern einzig und allein von der harmonischen Musik gelehret. Und folglich sagt unser Autor mit Recht, daß die Harmonie, als eine von den Schönheiten einer zum Vergnügen eingerichteten Sprache, nicht aus eben denselben Quellen fliesse, aus welchen die Schönheiten des Ausdrucks abgeleitet würden. Die von dem Ausdrucke entspringende Schönheit folge aus den Grundsätzen der Poetik, und aus den Grundsätzen der metrischen und rythmischen Musik, anstatt daß die aus der Harmonie entspringende Schönheit aus den Grundsätzen der harmonischen Musik herkomme. Aus noch einer andern Quelle flossen die Schönheiten der Melodie, nehmlich aus der Wahl der Accente und der Töne, die sich zu den Worten schickten und folglich den Zuhörer zu rühren fähig waren.
|| [0091.01]
Es waren also ganz verschiedene Quellen, aus welchen die Schönheiten der zum Vergnügen eingerichteten Rede entsprungen, und Aristoteles sagt mit Recht, daß jede derselben besonders und für sich bewirkt würde, und so zu reden, ihre eigene Wiege habe. Andre Stellen des sechsten Hauptstücks der Aristotelischen Dichtkunst, werden die jetzt vorgetragene Erklärung noch deutlicher machen. Einige Zeilen nach den angeführten Worten schreibt unser Autor: Quare omnis Tragœdiæ partes esse sex necesse est, quæ ad qualitatem faciunt illius. Hæ suut autem, fabula, mores, sententiæ, melopæia & apparatus. Es werden also sechs Stück zu einer Tragödie erfordert, nehmlich die Fabel oder die Handlung, die Sitten, die Lehrsprüche, der Ausdruck, die Melopäie, und die äusserlichen Zierathen der Vorstellung. Aristoteles nennt hier die Ursache anstatt der Wirkung, indem er Melopäie anstatt Melodie sagt. Weiter schreibet er am Ende dieses Hauptstücks, nachdem er von der Fabel, den Sitten, den Lehrsprüchen, dem Ausdrucke und der Melodie der Tragödie Vorschmacksweise etwas weniges gesagt: von diesen fünf Stücken thut die Melopäie die größte Wirkung. Die äusserlichen Verzierungen der Vorstellung können zwar auch Eindruck machen, allein es wird bey weiten nicht so viel Kunst dazu erfordert. Uebrigens kann die Tra
|| [0092.01]
gödie, nach ihrem ganzen Wesen und aller ihrer Kraft, auch ohne die Schauspieler und ausser dem Theater bestehen.
Harum vero quinque partium maxime oblectat melopæia. Apparatus autem animum oblectat quidem, minimum tamen artis habet. Tragœdiæ quippe natura & virtus etiam extra certamen & sine histrionibus consistit. Hierzu fügt Aristoteles: Præterea in apparatu concionando potius artificis qui eum conficit, quam Poetarum industria versatur. Uebrigens kömmt es bey der äusserlichen Verzierung mehr auf den dazu bestimmten Künstler, als auf den Dichter an. Dem Verfasser lag also ob, als Redner, die Fabel oder Handlung seines Stücks zu erfinden; als Philosoph, seinen Personen Sitten und anständige Charaktere zu geben, und sie nützliche Lehrsprüche vorbringen zu lassen; und als Dichter, wohl abgemessene Verse zu machen, das geschwindere oder langsamere Tempo derselben vorzuschreiben, und die Melodie zu componiren, von welcher grossen Theils die gute Aufnahme des Trauerspiels abhing. Wenn man darüber, was Aristoteles von der Wichtigkeit der Melopäie sagt, erstaunen wollte; so müßte man gar niemals Tragödien haben vorstellen sehen; und wenn man sich darüber wunder wollte, daß er die Composition der Melodie dem Poeten selbst auflegt, so müßte man es schon wieder vergessen haben, was wir oben angemerkt
|| [0093.01]
und zu beweisen versprochen, daß nehmlich die griechischen Poeten die Declamation ihrer Stücke selbst componirten, anstatt daß die lateinischen Dichter diese Arbeit denjenigen Künstlern überliessen, welche weder Verfasser noch Komödianten waren, sondern bloß Profeßion davon machten, die dramatischen Werke auf das Theater zu bringen. Wir haben sogar angemerkt, daß eben aus diesem Grunde Porphyrius aus der Verfertigung der Verse und der Verfertigung der Melodie nicht mehr als eine Kunst macht, welche er die Poetik in ihrem ganzen Umfange nennet, weil er damit auf den Gebrauch der Griechen sahe, anstatt daß Aristides Quintilianus, welcher sich nach dem Gebrauche der Römer richtete, die Kunst Verse zu machen, und die Kunst die Melodie zu machen, für zwey verschiedene Künste zehlet. Hier ist das, was einer von den neuesten Auslegern (*) der Aristotelischen Dichtkunst in seinen Anmerkungen über das sechste Hauptstück derselben, bey Gelegenheit derjenigen Stellen sagt, welche wir daraus angeführt haben. Wenn die Tragödie ohne Verse bestehen kann; so kann sie auch weit eher ohne Musik bestehen. Die Wahrheit zu sagen, so kann ich es nicht einmal recht begreiffen, wie man die Musik jemals gewisser Maassen als ein Stück der Tragödie habe betrachten können; denn wenn 54
|| [0094.01]
was in der Welt ist, welches sich zu einer tragischen Handlung nicht schickt, ja ihr ganz zuwider ist, so ist es gewiß die Musik. Die Erfinder der in Musik gesetzten Tragödien mögen mir es nicht übel nehmen! Man würde gewiß an diesen ihren eben so lächerlichen als neuen Arten von Gedichten nicht den geringsten Geschmack gefunden haben, wenn man die wahren theatralischen Stücke gehörig zu schätzen gewußt hätte, oder wenn man nicht von einem der größten Tonkünstler, die jemals gewesen sind, verführet worden wäre. Denn die Opern sind, wenn ich so reden darf, die Ungeheuer der Poesie, die dadurch, daß man sie für regelmäßige Werke ausgeben will, noch viel unerträglicher werden. Aristoteles würde uns daher einen sehr grossen Gefallen gethan haben, wenn er zugleich angemerkt hätte, wie man die Musik in der Tragödie für nothwendig habe halten können. So aber sagt er bloß, daß ihre ganze Gewalt schon bekannt sey; welches nur so viel beweiset, daß jederman von der Nothwendigkeit derselben überzeugt gewesen, und die wunderbaren Wirkungen empfunden habe, welche der Gesang in diesen Gedichten hervorgebracht, in welchen er aber doch nur zwischen den Acten gebraucht wurde. Ich habe mich oft bemüht, die Ursachen zu ergründen, warum so geschickte und so zärtliche Leute, als die Athenienser waren, mit
|| [0095.01]
den tragischen Handlungen den Tanz und die Musik verbunden haben; und nach vielen Untersuchungen, wie sie es für natürlich und wahrscheinlich haben halten können, daß der Chor, welcher die Zuschauer einer Handlung vorstellte, bey so rührenden und ausserordentlichen Begebenheiten tanzen und singen solle, habe ich gefunden, daß sie hierinne bloß ihrem Naturelle gefolgt sind, und ihren Aberglauben zu befriedigen gesucht haben. Die Griechen waren die aller abergläubischsten Leute von der Welt, die zugleich die aller ausserordentlichste Lust zum Tanzen und zur Musik hatten, in welchem naturlichen Hange sie durch die Auferziehung bestärkt wurden.
Ich glaube schwerlich, daß man mit solchen Gründen den Geschmack der Athenienser entschuldigen könne; vorausgesetzt nehmlich, daß die Musik und der Tanz, von welchen in den alten Schriftstellern als von Annehmlichkeiten gesprochen wird, die zur Aufführung einer Tragödie unumgänglich nöthig sind, ein Tanz und eine Musik gewesen wären, die unserm Tanze und unsrer Musik gleich kämen. Allein da, wie wir schon gesehen haben, diese Musik nicht als eine Declamation; und dieser Tanz, wie wir bald sehen werden, nichts als studirte und gewissen Gesetzen unterworfene Gebehrden waren; so hat man gar nicht Ursache die Athenienser in diesem Stücke zu entschuldigen.
|| [0096.01]
Zwar ist Dacier nicht der einzige, welcher sich in diesem Stücke geirret hat; seine Vorgänger haben sich eben so wohl betrogen. Ein gleiches muß ich auch von dem Abt Gravina sagen, welcher in seinem Buche von der alten Tragödie, (*) eben deswegen, weil er die Melopäie der theatralischen Stücke für einen musikalischen Gesang, und die Saltation für einen Tanz nach unsrer Art gehalten hat, von den Theatern der Alten eine Beschreibung macht, die sich gar nicht verstehen läßt. Es ist zwar wahr, daß Aristoteles in dem sechs und zwanzigsten Hauptstücke seiner Dichtkunst dasjenige Musik nennet, was er in dem sechsten Hauptstücke Melopäie genennet hatte. Neque parvus præterea Tragœdiæ ex musica & apparatu cumulus accedit quibus validissime conciliatur voluptas. Die Tragödie ziehet keinen geringen Vortheil aus der Musik, und den äusserlichen Verzierungen, welche bey der Vorstellung so viel Vergnügen machen. Allein dieses kömmt daher, weil die Kunst die Melodie zu componiren, welche durch das ganze Stück herrschen sollte, und ein eben so wesentliches Stück war, als die Sitten, unter die musikalischen Künste gehörte. Eben dieser Schriftsteller fragt sich in einem andern Werke (**) selbst, warum der Chor in den 55 56
|| [0097.01]
Trauerspielen nicht in dem Hypodorischen, desgleichen auch nicht in dem hypophrygische Modo singe, da doch diese beyden Modi in den Rollen der Personen, besonders am Ende der Auftritte und wenn diese Personen in einer heftigen Leidenschaft wären, sehr oft gebraucht würden. Er antwortet auf diese Frage: diese zwey Töne wären sehr geschickt die Heftigkeit der Leidenschaften in Männern von grossem Muthe und Helden, dergleichen gemeiniglich die Hauptpersonen in den Tragödien wären, auszudrücken, anstatt daß der Chor nur aus Leuten von gemeinem Stande zu bestehen pflege, derer Leidenschaften nicht einerley Charakter mit den Leidenschaften der Helden auf der Bühne haben müßten. Und da zweytens, fährt Aristoteles fort, die Glieder des Chors an den Begebenheiten des Stücks nicht eben so viel Antheil nehmen, als die Hauptpersonen, so muß auch der Gesang des Chors nicht so lebhaft, sondern melodischer seyn, als der Gesang dieser Hauptpersonen. Dieses also, schließt Aristoteles, ist die Ursache, warum die Chöre nicht in dem Hypodorischen, und auch nicht in Hypophrygischen Modo singen. Der Leser kann in dem musikalischen Wörterbuche des Hrn. Brossard die Erklärung von den Modis der alten Musik nachsehen. Ausdrücklicher aber kann man es nicht sagen, als es Aristoteles in der letzten Stelle sagt; daß alles was auf dem Theater recitirt worden, einer com
|| [0098.01]
ponirten Melodie unterworffen gewesen, und daß es den Schauspielern der Alten nicht so als unsern, frey gestanden, die Verse ihrer Rollen in dem Tone und mit den Beugungen und Wendungen der Stimme herzusagen, welche sie selbst dazu zu wählen für gut befunden. Es ist zwar nicht gewiß, daß Aristoteles seine Aufgaben selbst aufgeschrieben habe; aber genug, daß dieses Werk wenigstens von seinen Schülern verfertiget worden, und daß man es allezeit als ein Denkmal des Alterthums betrachtet hat, welches folglich aus den Zeiten seyn muß, da die Bühnen der Griechen und Römer noch offen waren. Da die Töne, in welchen man declamirt, von einander unterschieden sind, eben sowohl als die Töne, in welchen wir unsre Musik componiren, so mußte die Declamation auch nothwendig in verschiednen Modis componirt werden. Gewisse Modi mußten sich zu dem Ausdrucke gewisser Leidenschaften besser schicken, als andre; so wie auch in unsrer Musik einige Modi sie besser ausdrücken, als die andern. Was die Griechen tragische Melodie nennten, das nennten die Römer manchmal Carmen. Ovidius, welcher ein römischer Dichter war, und also die Declamation seiner dramatischen Stücke nicht selber componirte, sagt in einer einzigen Periode, wo er von seinen Werken redet, die auf
|| [0099.01]
der Bühne mit Beyfall vorgestellt würden, unser Carmen und meine Verse.
Carmina cum pleno saltari nostra theatro
Versibus & plaudi scribis, amice, meis. (*) Ovidius sagt nostra carmina, weil bloß der Rythmus und das Metrum von der Declamation ihm zugehörte. Die Melodie der Declamation gehörte einem andern. Allein Ovidius sagt meos versus, weil die Gedanken, der Ausdruck, kurz die Verse vor sich selbst betrachtet, ganz allein von ihm waren. Woraus man es aber unwidersprechlich sehen wird, daß carmen, ausser dem Verse, auch etwas über den Vers geschriebenes begreiffe, wodurch die bey dem Recitiren zu beobachtenden Abänderungen der Stimme angezeigt wurden; wird folgende Stelle des Quintilianus, des wichtigsten Schriftstellers, den man in dieser Materie anführen kann, seyn. Er sagt ausdrücklich, daß die alten Verse der Salier ein Carmen gehabt hätten. Versus quoque Saliorum habent carmen, quæ cum omnia sint a Rege Numa instituta, faciunt manifestum ne illis quidem qui rudes ac bellicosi videntur, curam Musices, quantam illa recipiebat ætas, defuisse. (**) Die Verse der Salier haben ihren gewissen Gesang; und da die Einsetzung ihres Dienstes, sich von dem Könige Numa herschreibt, so be 57 58
|| [0100.01]
weiset dieser Gesang, daß die Römer, so wild sie auch damals waren, gleichwohl schon einige Kenntniß von der Musik gehabt haben.
Wie hätte aber dieser Gesang von den Zeiten des Numa bis auf die Zeiten des Quintilian fortgeflanzt werden können, wenn er nicht wäre in Noten geschrieben gewesen? War er aber, andern Theils, ein musikalischer Gesang, warum nennt ihn Quintilianus Carmen? War es ihm unbekannt, daß seine Zeitgenossen, obgleich Mißbrauchsweise, diejenigen Verse sehr oft Carmen nennten, welche nicht gesungen wurden, sondern deren Declamation willkührlich war, und deren Recitation die Alten also ein blosses Lesen nannten, weil derjenige, welcher sie las, weiter nichts als den Werth der Sylben beobachten durfte, übrigens aber seine Stimme dabey abändern konnte, wie er nur immer selbst wollte? Um einen Zeitverwandten des Quintilianus anzuführen, so sagt Juvenal zu einem seiner Freunde, den er zum Abendessen einladet, daß man während der Mahlzeit einige der schönsten Stellen aus der Iliade und Aeneis vorlesen werde. Der, welcher sie lesen wird, fügt Juvenal hinzu, ist zwar kein sonderlicher Leser; was aber schadet das? Dergleichen Verse machen doch noch immer viel Vergnügen.
Conditor Iliados cantabitur atque Maronis
Altisoni dubiam facientia carmina palmam.
Quid refert tales versus, qua voce legantur? (*) 59
|| [0101.01]
An einem andern Orte nennt Juvenal gleichfalls die blosse Ablesung der hexametrischen Verse der Thebais des Statius, welche Statius selbst nach eigenem Gefallen lesen sollte, Carmina.
Curritur ad vocem jucundam & carmen amicæ
Thebaidos, letam fecit cum Statius urbem,
Promisitque diem, tanta dulcedine captos
Afficit ille animos, tantaque libidine vulgi
Auditur (*) Da sich nun Quintilian in der angeführten Stelle dogmatisch ausdrückt, so würde er sich wohl in Acht genommen haben, das Wort Carmen für einen musikalischen Gesang zu gebrauchen und es in einer Bedeutung anzuwenden, die derjenigen so sehr entgegengesetzt war, die man ihm Mißbrauchsweise zu geben pflegte. Doch Carmen bedeutete seinem Ursprunge nach etwas anders; es war übrigens das eigentliche Wort, womit man die Declamation benennte, und ward durch den Sinn der Stelle selbst, in welcher es gebraucht wurde, auf seinen ersten und wahren Sinn eingeschränkt. Und kurz der Ausdruck versus habent carmen kann uns wegen der Bedeutung, die das Wort Carmen in der Stelle des Quintilians und den Versen des Ovidius haben soll, unmöglich in Zweifel lassen. Weil die Neuern glaubten, daß Carmen beständig die uneigentliche Bedeutung habe, die 60
|| [0102.01]
es in den angeführten Versen des Juvenals hat, wo es weiter nichts als Verse anzeigen will, so ist ihnen die eigentliche Bedeutung dieses Worts entwischt; und weil sie diese nicht wußten, so konnten sie es auch nicht wissen, daß die Alten eine componirte Declamation gehabt haben, die in Noten geschrieben worden, ohne deswegen ein musikalischer Gesang zu seyn. Noch ein ander übelverstandenes Wort hat viel dazu beygetragen, den neuern Schriftstellern die Existenz dieser Declamation zu verbergen. Ich meine das Wort cantus nebst allen seinen Abstammungen. Die neuern Kunstrichter haben also allezeit unter cantus einen musikalischen Gesang verstanden, ob es gleich in verschiednen Stellen nur einen Gesang überhaupt, oder eine Recitation, bey der man sich nach einer gewissen in Noten geschriebenen Melodie richten muß, bedeutet. Auch canere ist ihnen allzeit das gewesen, was wir unter dem eigentlichen Singen verstehen. Und daher ist der Irrthum vornehmlich gekommen, nach welchem sie geglaubt, der Gesang der dramatischen Stücke bey den Alten sey ein eigentlich so genannter Gesang gewesen, weil sich die alten Schriftsteller gemeiniglich der Worte cantus und canere bedienen, wenn sie von der Ausführung dieser Stücke reden. Ehe ich also meine Meinung durch neue Beweise unterstütze, die aus der Art und Weise selbst, wie die componirte Declamation auf den Bühnen der Alten ausge
|| [0103.01]
führet wurde, gezogen sind; wird es, glaub ich, nicht undienlich seyn, wenn ich zeige, daß das Wort Gesang, so wohl im Griechischen als im Lateinischen, nicht bloß den musikalischen Gesang, sondern auch eine jede Art von Declamation, ja das blosse Hersagen selbst, bedeute; und daß man folglich daraus, weil die alten Schriftsteller gesagt, ihre Schauspieler hätten gesungen, nicht schliessen müsse, diese Schauspieler hätten so gesungen, als wir das Wort singen in der gewöhnlichen Bedeutung zu nehmen pflegen. Das Ansehen der neuern Schriftsteller, welchen meine Meinung widerspricht, fordert von mir, sie auf das gründlichste zu beweisen. Ich will also nicht glauben, daß man mir die Menge der Stellen vorwerfen werden, die ich zur Erhärtung einer Sache anzuführen gedenke, welche vielleicht zwey oder dreye von diesen Stellen hinlänglich beweisen.

Sechster Abschnitt. Daß in den Schriften der Alten das Wort singen, oft declamiren, ja so gar auch blos reden bedeute.

Woher die eigentliche Bedeutung des Worts Gesang, des Worts singen, und der davon abstammenden Worte gekommen sey, lehret uns Strabo, welcher unter der Regierung des Au
|| [0104.01]
gustus lebte. Er sagt, (*) in den ersten Zeiten wäre alles in Versen abgefaßt worden, und weil man damals auch alle Verse gesungen habe, so habe man sich angewöhnt, singen für recitiren überhaupt zu sagen. Als es nun gewöhnlich ward, nicht mehr alle Poesien zu singen, sondern man auch einige Arten von Versen bloß zu recitiren anfing, so hörte man dennoch nicht auf, die Recitation aller Arten von Gedichten einen Gesang zu nennen. Ja auch da, fügt Strabo hinzu, hörte man noch nicht auf, singen für recitiren zu sagen, als man sich schon der ungebundenen Rede zu bedienen pflegte. Man sagte also sogar, Prosa singen; anstatt, Prosa recitiren. Da wir in unsrer Sprache kein generisches Wort haben, welches das Wort canere ausdrücke, so wird mir der Leser die häufigen Umschreibungen vergeben, deren ich mich, es zu übersetzen, bereits bedient habe, und deren ich mich noch werde bedienen müßen, um die Zweydeutigkeiten zu vermeiden, in die ich nothwendig fallen müßte, wenn ich das Wort singen schlechterdings, bald für das Ausführen eines musikalischen Gesanges, bald überhaupt für das Ausführen einer in Noten gesetzten Declamation brauchen wollte. Wir wollen nunmehr die Stellen der alten Verfasser vorlegen, welche es unwidersprechlich darthun, daß die Declamation der theatralischen 61
|| [0105.01]
Stücke bey den Griechen und Lateinern, ob sie ihr gleich den Namen eines Gesanges gegebenhaben, gleichwohl kein musikalischer Gesang gewesen sey. In den Gesprächen des Cicero vom Redner, sagt Crassus, einer von den redend eingeführten Personen, daß seine Stiefmutter Lälia sehr häufige und stark bemerkte Accente ganz leicht und ungezwungen ausgesprochen habe, und fügt hinzu: (*) wenn ich die Lälia reden höre, so glaube ich, die Stücke des Plautus oder des Nävius spielen zu hören. Die Stelle des Cicero, auf die ich mich hier nur beziehe, wird in den folgenden ganz angeführt werden. Lälia aber sang nicht, wenn sie mit ihren Hausgenossen sprach; und also sangen auch diejenigen nicht, welche die Stücke des Plautius und Nävius recitirten. Cicero sagt auch noch in einem andern Werke, (**) daß die komischen Dichter die Abmessung und den Rythmus in ihren Versen kaum merken liessen, damit sie den gemeinen Reden desto näher kommen möchten. At Comicorum senarii propter similitudinem sermonis, sic sunt abjecti, ut non nunquam vix in his numerus & versus intelligi possit. Diesem Vorsatze aber, den gemeinen Reden näher zu kommen, würde gänzlich seyn entgegen gehandelt worden, wenn man die komischen Verse gesungen hätte. Gleichwohl bedienen sich die alten Schriftsteller des Worts singen, eben sowohl bey der Re 62 63
|| [0106.01]
citation der Komödien, als der Tragödien. Donatus und Euthemius, die unter der Regierung Constantinus des Grossen gelebt haben, sagen in ihren Schriften, welche de Tragœdia & Comœdia Commentatiunculæ überschrieben sind, daß die Tragödie und Komödie Anfangs in nichts als in Versen bestanden habe, welche in Musik gesetzt gewesen und die ein Chor unter Begleitung von Blasinstrumenten gesungen habe. Comœdia vetus ut ipsa quoque olim Tragœdia, simplex Carmen quod chorus cum tibicine concinebat. Isidorus Hispalensis nennt gleichfalls diejenigen Sänger, welche Tragödien und Komödien spielten. (*) Sunt qui antiqua gesta & facinora sceleratorum Regum luctuoso carmine, spectante populo, concinebant. Comœdi sunt qui privatorum hominum acta, dictis aut gestu exprimunt. Horaz, ehe er in seiner Dichtkunst auf das kömmt, was zu einer guten Komödie erfordert wird, sagt überhaupt, eine gute Komödie sey diejenige, welche den Zuschauer so lange angenehm unterhalte, bis der Sänger ruffe: klatschet! Donec Cantor, vos plaudite, dicat. Wer war dieser Sänger? Einer von den Komödianten. Der komische Schauspieler, Roscius zum Exempel, ward eben sowohl von musikalischen Instrumenten unterstützt, als der tragische Schauspieler, wie wir im folgenden sehen werden; und also konnte man 64
|| [0107.01]
auch von dem einen eben so wohl, als von dem andern sagen, daß er singe. Quintilian beklagt sich, die Redner seiner Zeit sprächen vor Gerichte eben so, wie man auf dem Theatern recitire. Wir haben das, was er davon sagt, schon angeführt. Glaubt man aber, daß diese Redner so gesungen haben, wie in unsern Opern gesungen wird? An einem andern Orte verbietet Quintilian seinem Schüler, die Verse, die er, um sich in der Aussprache zu üben, lesen müsse, mit eben dem Nachdrucke auszusprechen, mit welchen man auf der Bühne die cantica zu recitiren pflege. Wir werden bald sehen daß diese cantica diejenigen Auftritte des Stücks waren, deren Declamation am gesangreichsten war. Was hätte es aber Quintilian nöthig gehabt, seinem Schüler die Nachahmung der Canticorum in den Umständen, in welchen er sie ihm verbietet, zu verbieten und zu sagen: sit autem lectio virilis, non tamen in canticum dissoluta , wenn dieser Gesang ein wirklicher Gesang, nach unsrer gewöhnlichen Art zu reden gewesen wäre? Eben dieser Schriftsteller sagt an einem andern Orte, daß die komischen Schauspieler sich in ihrer Aussprache nicht so weit von der Natur entfernten, daß man sie in ihrer Rede nicht mehr erkennen könnten, sondern daß sie die in gemeinen Reden gewöhnliche Art zu sprechen,
|| [0108.01]
durch die Annehmlichkeiten, die ihnen ihre Kunst erlaube, nur aufstützten. (*) Actores Comici nec ita prorsus ut nos loquimur pronuntiant, quod esset sine arte, nec procul tamen a natura recedunt, quo vitio periret imitatio: sed morem communis hujus sermonis decore comico exornant. Nun urtheile der Leser, ob dieses singen heißt. Endlich fügt auch Quintilian zu der Stelle, die wir schon angeführt haben, und in welcher er dem Redner, wie ein Schauspieler zu singen, verbietet, dieses hinzu; daß er ihm dadurch ganz und gar nicht eine unterstützte Declamation, und denjenigen Gesang untersage, welcher sich zu der gerichtlichen Beredsamkeit schicke. Cicero selbst, fährt er fort, hat die Nützlichkeit dieses gleichsam verhüllten Gesanges erkannt. Quid ergo cum Cicero dicit esse aliquem in oratione cantum obscuriorem, ostendam non multo post ubi & quatenus recipiendus sit hic flexus & cantus. (**) Wenn Juvenal in seiner siebenden Satyre den Quintilian rühmen will, so sagt er unter andern, daß dieser Redner sehr wohl singe, besonders wenn er vorher sich derjenigen Mittel bedient habe, deren sich die Römer zur Reinigung der Werkzeuge der Stimme zu bedienen pflegten, und von welchen wir weiter unten reden wollen. (***) 65 66 67
|| [0109.01]

Orator quoque maximus & jaculator
Et si perfrixit, cantat bene. Sang aber Quintilian, wenn er öffentlich redete, wenn man singen in der Bedeutung nimmt, die es unter uns hat? Allein, wird man sagen, es war doch ein wirklicher Gesang, wenn die Chöre sangen; und wenn die spielenden Personen sangen, so sangen sie wie die Chöre. Siehest du nicht, sagt Seneca, wie viel verschiedene Klänge das Chor ausmachen. Da hört man den Discant; da hört man den Tenor; da hört man den Baß. Die Blasinstrumente mischen sich unter die Stimmen der Männer und der Weiber. Gleichwohl entspringt aus dieser Vermischung nicht mehr als ein einziger Zusammenklang. Man hört die verschiednen Stimmen alle, ohne sie eigentlich zu unterscheiden. (*) Non vides quam multorum vocibus chorus constet, unus tamen ex omnibus sonus redditur. Aliqua illic acuta, aliqua gravis, aliqua media. Accedunt viris fœminæ, interponuntur tibiæ, singulorum illic latent voces, omnium apparent. Fast eben diese Stelle findet sich auch bey dem Macrobius, (**) welcher noch diese Anmerkung hinzufügt: fit concentus ex dissonis. Alle diese verschiednen Klänge machen ein einziges Concert. Ich antworte vors erste, daß es aus dieser Stelle eben nicht ganz gewiß erhellen, daß die 68 69
|| [0110.01]
Chöre eine Musik nach unsrer Art gesungen hätten. Es ist zwar wahr, es scheint Anfangs unmöglich, daß eine Menge Personen Chorweise declamiren könne, gesetzt auch daß man ihre Declamation vorher eingerichtet habe. Man kann sich schwerlich vorstellen, daß diese Chöre etwas anders, als ein wüstes Geschrey könnten gewesen seyn. Doch wenn dieses gleich, dem ersten Anblicke nach, unmöglich scheint, so folgt daraus doch nicht, daß es auch wirklich unmöglich sey? Es würde sehr verwegen seyn, unsrer Einbildung in Ansehung der Möglichkeiten so leicht zu glauben; denn man glaubt sehr gern, daß diejenigen Dinge unmöglich sind, die man nicht gleich auszuführen vermag, und die meisten Leute begnügen sich, den Mitteln, wie sie auszuführen wären, ohngefehr eine halbe Viertelstunde nachgedacht zu haben. Hätte man ihnen einen Monat nachgedacht, so würde man eben dieselben Dinge für möglich erkannt haben; und hätte man hernach noch sechs Monate Fleiß daran gewandt, so würde man sie vielleicht auch in der Ausführung wirklich gemacht haben. Ein andre Mensch kann auf Mittel fallen, auf die wir nimmermehr würden gefallen seyn. Doch dieser Punkt würde uns zu weit wegführen. Ich will es also zugeben, daß die Chore einen Theil ihrer Rollen nach einer harmonischen Musik mögen gesungen haben; allein hieraus folgt noch nicht, daß auch die Schauspieler gesungen haben.
|| [0111.01]
Wir haben ja selbst verschiedne dramatische Stücke, in welchen die Schauspieler bloß declamiren, obgleich die Chöre gesungen werden. Dergleichen ist die Esther und die Athalia des Herrn Racine. Dergleichen ist auch Psyche, eine Tragöädie, welche der grosse Corneille und Moliere gemacht haben. Wir haben sogar auch Komödien von dieser Art, und man weis die Ursache wohl, warum wir derselben nicht noch mehrere haben. Wenigstens liegt sie nicht darinn, weil diese Art, dramatische Stücke vorzustellen, schlecht sey. Ich will diese Antwort auch noch mit einer Anmerkung unterstützen. Mit dieser nehmlich, daß sich die Alten ganz andrer Instrumente bedienten, wenn sie die Chöre accompagnirten, und ganz andrer, wenn sie es den redenden Personen thaten. Dieser Gebrauch, bey diesem gedoppelten Accompagniren verschiedene Instrumente zu brauchen, beweiset etwas. Quando enim chorus canebat choricis tibiis, id est choraulicis, artifex concinebat. Iis canticis autem Pythaules Pythicis respondebat , sagt Diomedes. (*) Doch dem sey wie ihm wolle; denn wenn es auch wahr wäre, daß der Ausdruck singen, wenn von dem Gesange des Chors die Rede ist, eigentlich zu verstehen sey, so würde doch daraus nicht folgen, daß man auch bey den Reden dieses Wort in eben demsel 70
|| [0112.01]
ben Verstande nehmen müsse. Unsere Beweise bleiben demohngeachtet noch überzeugend genug.

Siebender Abschnitt. Neue Beweise, daß die theatralische Declamation der Al ten componirt und in Noten geschrieben wurde. Ein Beweis, der daher genommen wird, weil den Schauspieler, welcher recitirte, Instru mente accompagnirten.

Es erhellet also ganz deutlich, daß der Gesang der dramatischen Stücke, welche auf den Bühnen der Alten recitirt wurden, weder Passagen, noch Vorschlag, noch Triller, noch sonst einen von diesen Zeichen des musikalischen Gesanges gehabt habe; sondern mit einem Worte, daß dieser Gesang eine Declamation, so wie die unsrige, gewesen sey Gleichwohl aber war diese Recitation componirt, weil sie von dem Generalbasse unterstützt ward, dessen Geräusche, allem Ansehen nach, dem Geräusche gemäß eingerichtet war, welches ein Mensch im declamiren macht. Denn das Geräusch, welches ein Mensch im declamiren macht, ist nicht so stark und durchdringend, als das Geräusch, welches eben dieselbe Person im Singen machen würde. Vors erste erschüttert man im declamiren die Luft nicht so stark, als im Singen.
|| [0113.01]
Vors zweyte brechen wir im Declamiren die Luft nicht immer gegen so elastische Theile, die sie eben so stark herauspressen könnten, als diejenigen Theile sind, gegen welche wir sie im Singen brechen. Nun aber erschallt die Luft mehr oder weniger, nachdem sie mehr oder weniger ist gepreßt worden. Und dieses eben, um es im Vorbeygehen zu erinnern, ist die Ursache, warum die Stimme der italiänischen Tonkünstler deutlicher zu vernehmen ist, als die Stimme der französischen Tonkünstler. Die italiänischen Tonkünstler formiren nehmlich in den knorplichten Theilen der Gurgel selbst verschiedne Töne, welche die französischen Tonkünstler nicht anders als durch Hülfe der innern Backen völlig formiren können. Ich glaube also, daß der Generalbaß, welcher die Declamation der Schauspieler begleitete, nur ein sehr schwaches Geräusch gemacht habe. Man muß sich also keinen Begrif davon, nach dem Generalbasse in unsern Opern machen. Denn ein solcher Begriff würde zu weiter nichts dienen, als eine unleugbare Sache, welche von den angesehensten Schriftstellern des Alterthums aus ihrer eignen täglichen Erfahrung bekräftiget wird, in übel gegründete Schwierigkeiten zu verwickeln. Cicero sagt: Leute welche die Musik verstünden, würden es gleich aus den ersten Noten des Präludii der Instrumente erkennen, ob Antiope, oder ob Andromacha aufgeführet werden
|| [0114.01]
sollte; andre aber müßten dieses zu errathen bleiben lassen. (*) Quam multa quæ nos fugiunt in cantu, exaudiunt in eo genere exercitati, qui primo inflatu tibicinis Antiopem esse ajunt aut Andromacham, cum id nos ne suspicemur quidem. Antiope und Andromacha sind zwey Trauerspiele, deren Cicero an verschiedenen Orten seiner Werke gedenkt. Das darauf folgende wird zeigen, daß die Instrumente, nachdem sie präludirt hatten, nicht stille schwiegen, sondern daß sie fortfuhren und den Schauspieler accompagnirten. Nachdem Cicero von den griechischen Versen geredet, deren Metrum fast gar nicht zu merken sey, so fügt er hinzu, daß auch die Lateiner Verse haben, die man schwerlich eher für Verse erkennen werde, als bis man sie mit einem Accompagnement recitiren höre. Zum Beyspiel führt er Verse aus dem Trauerspiele Thyest an, welche man für Prosa halten würde, wenn man sie nicht mit dem Accompagnement hörte. Quorum simillima sunt quædam apud nostros velut illa in Thyeste :
Quemnam te esse dicam quam tarda in senectute Et quæ sequuntur, quæ nisi cum Tibicen accesserit, sunt Orationi solutæ simillima (**) Das Trauerspiel Thyest, aus welchem Cicero diesen Vers genommen, war dasjenige, welches er 71 72
|| [0115.01]
anderwerts als ein Werk des Ennius (*) anführt, und nicht dasjenige, welches Varius nach der Zeit über eben diesen Inhalt verfertigte. In dem ersten Buche der Tusculanischen Fragen, führt Cicero eine Stelle aus einem Trauerspiele an, in welcher der Schatten des Polydorus um das Begräbniß seines Körpers bittet, damit die Martern, die er ausstehen müsse, endlich ein Ende hätten, und fügt hinzu: wenn ich diesen Schatten so richtige dramatische Verse recitiren und mit den Instrumenten so wohl übereinstimmen höre, so kann ich mir es schwerlich einbilden, daß er so viel Marten auszustehen habe, als er sagt.
Heu, reliquias semi assi Regis, denudatis ossibus
Per terram sanie delibutam fœde divexarier. Non intelligio quid metuat, cum tam bonos feptenarios fundat ad tibiam. Man kann es bey dem Diomedes nachsehen, warum ich septenarios durch dramatische Verse übersetze (**) Der Schatten des Polydorus wurde also durch ein Accompagnement bey seinem Recitiren unterstützt. Ich will aber noch zwey Stellen aus dem Cicero anführen, welche mir so entscheidend zu seyn scheinen, daß es mir der Leser vielleicht verdenken wird, andre abgeschrieben zu haben. Nachdem dieser Schriftsteller gesagt, daß ein Redner, welcher alt werde, langsamer decla 73 74
|| [0116.01]
miren könne, so fügt er hinzu: ich will auch hier den Roscius, diesen grossen Schauspieler anführen, welchen ich schon so oft als ein Muster angeführt habe, nach welchem sich die Redner in verschiednen Theilen ihrer Kunst üben können. Roscius aber sagt, er wolle, sobald er sein Alter fühlen sollte, viel langsamer declamiren, und daher die Sänger sachter zu recitiren und die Instrumente die Bewegung des Takts anzuhalten, nöthigen. Wenn der Schauspieler, fährt Cicero fort, welcher einem festgesetzten Takte folgen muß, seinem Alter durch die langsamre Bewegung dieses Takts zu Hülfe kommen kann, so kann ja wohl ein Redner seiner Schwachheit noch weit ehr ein gleiches thun. Der Redner ist nicht allein über den Rythmus und über die Bewegung seiner Aussprache Meister; sondern da er in Prosa redet, und sich nach niemanden richten darf, so kann er auch nach Belieben so viel Redensarten in einen Takt gleichsam zusammennehmen, als er will, und er nach seiner Bequemlichkeit in einem Athen aussprechen kann. (*) Quamquam quoniam multa ad Oratoris similitudinem ab uno artifice sumimus, solet idem Roscius dicere, se quo plus sibi ætatis accederet, eo tibicinis modos & cantus remissiores esse facturum. Quod si ille astrictus certa quadam numerorum moderatione & pedum, tamen ali 75
|| [0117.01]
quid ad requiem senectutis excogitat, quanto facilius nos, qui non laxare modos, sed totos mutare possumus ? Es ist bekannt, daß Roscius, der Zeitgenosse und Freund des Cicero, durch seine Gaben und anständige Lebensart zu einem Manne von Wichtigkeit geworden war. Man war so sehr für ihn eingenommen, daß man, wenn er schlechter als gewöhnlich spielte, zu sagen pflegte, (*) er habe mit Fleiß nicht besser gewollt, oder habe, durch einen Zufall, dem gute Schauspieler gern ausgesetzt sind, eine üble Verdauung gehabt. Noluit, inquiunt, Roscius, aut crudior fuit. Und kurz, das größte Lob, welches man Leuten, die in ihrer Kunst vortreflich waren, geben konnte, war dieses, daß man sagte sie wären in ihrer Art Roscius. (**) Iam diu consecutus est, ut in quo quisquis artifex excelleret, is in suo genere Roscius diceretur. An einem andern Orte seiner Werke berichtet uns Cicero, daß Roscius, als er alt geworden, auch wirklich Wort gehalten. Roscius nöthigte alsdenn das Accompagnement, und diejenigen, die gewisse Stellen des Stücks für ihn hersagten (welches wir weiter unten erklären wollen) daß sie die Bewegung des Takts, welchem sie alle zu folgen verbunden waren, langsamer mußten gehen lassen. In dem ersten Buche von den Gesetzen läßt sich Cicero von dem 76 77
|| [0118.01]
Atticus sagen: ut quemadmodum Roscius familiaris tuus in senectute numeros & cantus remisserat, ipsasque tardiores fecerat tibias. So machte es euer Freund Roscius in seinem Alter; er ließ die Takte länger dauren, er nöthigte den Schauspieler, welcher recitirte, langsamer zu reden, und auch die Instrumente, welche sie accompagnirten, mußten dieser neuen Bewegung folgen. Nachdem Quintilian wider diejenigen Redner geeifert, welche vor Gerichte so zu reden pflegten, wie man auf dem Theater declamirte, so sagt er: wenn dieser Gebrauch Statt haben soll, so werden wir Redner uns auch durch Leyer und Flöte bey dem Declamiren müssen unterstützen lassen. Er will damit so viel sagen: die theatralische Declamation sey so abwechselnd, und es sey so schwer, alle ihre verschiednen Töne genau zu treffen, daß man, um so zu declamiren, wie man auf der Bühne declamire, sich durch ein Accompagnement müsse unterstützen lassen, welches diese Töne wohl zu treffen helffe, und falsche Abänderungen der Stimme zu machen verhindre. (*) Quod si omnino recipiendum est, nihil causæ est cur non illam vocis modulationem fidibus ac tibiis adjuvemus. Es ist dieses eine Figur deren sich Quintilian bedient, um zu zeigen, daß ein Redner nicht wie ein Schauspieler declamiren müsse, weil er, 78
|| [0119.01]
wenn er so declamiren wolle, das Accompagnement unmöglich entbehren könnte. Nach dem Begriff aber, welchen die Alten von der Würde eines Redners hatten, geziemte dieses Accompagnement, dessen man, auf eine theatralische Art zu declamiren, auf keine Weise entübriget seyn kann, ihm so wenig, daß ihm Cicero nicht einmal erlauben will, einen Instrumentisten hinter sich zu haben, welcher ihm, wenn er öffentlich rede, den Ton angeben könne, ob man schon in dieser Vorsichtigkeit das Beyspiel des C. Gracchus zu Rom vor sich hatte. Es ist einem Redner unanständig, sagt Cicero, wenn er dergleichen Hülfe nöthig hat, um diejenigen Töne genau zu treffen, welche er im Declamiren halten muß. (*) Quintilian meldet uns auch wirklich, daß dieser Gracchus, einer der berühmtesten Redner seiner Zeit, wenn er öffentlich geredet, einen Instrumentisten hinter sich gehabt, welcher ihm von Zeit zu Zeit den gehörigen Ton angegeben. (**) Contenti simus exemplo Caii Gracchi, præcipui suorum temporum Oratoris, cui concionanti consistens post eum Musicus fistula, quam Tonorium vocant, modos quibus deberet intendi, ministrabat. Es müssen andre Redner dem Exempel des Gracchus gefolgt seyn, weil die Flöte, deren man sich zu diesem Gebrauche bediente, einen besondern Namen hatte. Sie 79 80
|| [0120.01]
hieß Tonorium. Wird man es nun noch sehr wunderbar finden, daß sich die Schauspieler durch ein Accompagnement unterstützen lassen, ob sie gleich nicht nach unsrer Weise sangen, und eigentlich nichts als eine componirte Declamation recitirten? Endlich finden wir auch in einer von den Schriften des Lucians, (*) daß Solon, nachdem er mit dem Scythen Anacharsis von den tragischen und komischen Schauspielern gesprochen, ihn fragt, ob er nicht auch die Flöten und Instrumente bemerkt habe, die sie bey ihren Reden accompagnirt, oder, um es von Wort zu Wort zu übersetzen, mit ihnen gesungen hätten. Wir haben oben auch eine Stelle des Diomedes angeführt, die uns bericht et, daß man die Cantica oder Monologen accompagnirt habe. (**) In canticis autem Pythaules Pythicis respondebat. Meine Muthmassungen wegen der Composition, die der Generalbaß, welcher die Schauspieler bey dem Declamiren accompagnirte, spielen konnte, bestehen darinne, daß diese Composition anders für die Gespräche, und anders für die Monologen gewesen sey. Wir werden bald sehen, daß die Monologen auf eine ganz andre Art ausgeführt wurden, als die Dialogen. Ich glaube also, daß der Generalbaß in Ausführung der Dialogen nur dann und wann einige lange 81 82
|| [0121.01]
Noten, besonders an denjenigen Stellen habe hören lassen, wo der Schauspieler den gehörigen Ton vor sich selbst nicht so leicht würde getroffen haben. Der Klang der Instrumente also ließ sich nicht durch die ganzen Unterredunngen hindurch beständig hören, so wie es der Klang unsers Accompagnements thun kann; sondern er brach nur dann und wann hervor, um dem Schauspieler eben die Dienste zu leisten, welche dem C. Gracchus von dem Flötenspieler geleistet wurden, der bey öffentlichen Reden hinter ihm stand, und ihm die abgeredeten Töne, wenn es erfordert wurde, angab. Diese Sorgfalt vergaß Gracchus auch da nicht, als er die schrecklichen Reden hielt, (*) welche Bürger wider Bürger aufbringen und bewaffnen sollten, und welche wenigstens den fürchterlichsten Anhang in Rom wider den Redner aufbrachten. Was den Generalbaß anbelangt, der die Monologen, oder, welches, wie wir hernach zeigen werden, einerley war, die Cantica, begleitete, so glaube ich, daß er ausgearbeiteter gewesen sey, als der andre. Es scheint sogar daß er den Inhalt nachgeahmet, und ihn gleichsam mit um die Wette auszudrücken gesucht habe. Meine Meinung gründet sich auf zwey Stellen, deren die erste vom Donatus ist. Dieser Schriftsteller sagt an einem schon angeführten Orte, (**) 83 84
|| [0122.01]
daß nicht der Dichter sondern ein Tonkünstler von Profeßion, den Gesang der Monologen componirt habe: modis cantica temperabantur non a Poeta, sed a perito artis Musices factis. Die andre Stelle ist aus der Schrift wider die Schauspiele gezogen, die sich unter den Werken des h. Cyprianus befindet. Der Verfasser sagt, indem er von den Instrumentisten, die man auf dem Theater höre, redet: der eine bringet aus seiner Flöte traurige Töne hervor; der andre kämpft gleichsam mit den Chören um die Wette, wer sich von ihnen am deutlichsten werde hören lassen, oder streitet mit der Stimme des Schauspielers, indem er sich, durch die Geschicklichkeit seiner Finger, seinen Athem zu articuliren bestrebt. Alter lugubres sonos spiritu tibiam inflante moderatur. Alter cum choris & cum hominis canora voce contendens, spiritu suo loqui digitis elaborat. Es ist zwar wahr, daß nach der Meinung der größten Kunstrichter, diese angeführte Schrift wider die Schauspieler kein Werk des h. Cyprianus ist, und daß also sein Ansehen von keinem grossen Gewichte seyn könnte, wenn es auf eine theologische Frage ankäme. Allein in der Materie, die wir uns hier aufzuklären bemühen, ist sein Zeugniß nichts destoweniger gültig. Denn genug daß der Verfasser dieser Schrift, welche seit vielen Jahrhunderten bekannt ist, zu den Zeiten gelebt hat, da die Bühnen der Alten noch
|| [0123.01]
offen waren. Dieses aber ist daher klar, weil er seine Schrift in keiner andern Absicht verfertiget, als um zu zeigen, daß ein Christ bey den Schauspielen der damaligen Zeit nicht zugegen seyn dürfe; daß er, wie der h. Augustinus sagt, (*) an den Schändlichkeiten des Theaters, an den gottlosen Ausschweifungen des Circus, und an den Grausamkeiten des Amphitheaters, keinen Antheil nehmen müsse. Was ich von der Schrift wider die Schauspiele gesagt habe, die sich unter den Werken des h. Cyprianus befindet, kann ich auch, um es anderwerts nicht wiederhohlen zu dürfen, von einigen Schriften sagen, die unter dem Namen des h. Justinus des Märtyrers auf uns gekommen sind, von den Kunstrichtern aber nicht für seine Arbeit gehalten werden. Genug daß diese Schriften, welche schon alt sind, zu den Zeiten geschrieben worden, in welchen die Bühnen noch offen waren; mehr braucht es nicht diejenigen Dinge, die ich auf ihr Zeugniß gründen werde, ausser Zweifel zu setzen. Diese sorgfältige Befleißigung aller Kunstgriffe, welche die Declamation stark und angenehm zu machen vermögend sind, diese Ausgrüblungen der Kunst, seine Stimme auf das vortheilhafteste zu zeigen, werden hoffentlich von denen, welche das alte Griechenland und das alte Rom kennen, nicht für die Tändeleyen einiger Grillenfänger angesehen werden. Die 85
|| [0124.01]
Beredsamkeit bahnte nicht nur in beyden Staaten den Weg zu Ehre und Glück, sondern sie war auch, so zu reden, das Verdienst nach der Mode. Jeder wohlgebohrne Jüngling, auch selbst von denen, die man im scherzhaften Style die feinste Blüthe des Hofes nennet, wollte gern ein schöner Redner seyn, und sich vor Gerichte in den Rechtshändeln seiner Freunde mit Beyfall hören lassen; so wie er heute zu Tage gern eine artige Equipage und Kleider nach dem besten Geschmake haben will. Auch in den galantesten Versen die man auf ihn machte, ward er wegen seiner juristischen Beredsamkeit gelobt.
Namque & nobilis & decens
Et pro sollicitis non Tacitus reis;
Et centum puer artium
Late signa feret militiæ tuæ: sagt Horaz, (*) wenn er von einem dieser feinen Leute nach der Mode gegen die Venus redet. Man stelle sich vor, daß die grosse Welt, welcher die jungen Leute so gern gefallen wollen, einem beredten Jünglinge mit eben so vieler Achtung begegnete, als einem andern, welcher ein guter Officier war. Und endlich war es auch Mode, daß die Regenten sich selbst öfters bey öffentlichen Versammlungen hören liessen. Sie machten sich eine Ehre daraus, ihre Reden selber abgefaßt zu haben, und man hat angemerkt, 86
|| [0125.01]
daß Nero unter den römischen Kaysern der erste gewesen sey, der es nöthig gehabt hätte, sie sich von einem andern machen zu lassen. Svetonius und Dio erzehlen uns, dieser Monarch habe die Kunst zu declamiren so wohl verstanden, daß er in den Trauerspielen Canace, Orest, Oedip und dem rasenden Hercules die vornehmsten Rollen gespielt habe. Der erste erzehlt sogar einen Zufall, der sich bey einer Vorstellung des Herkules, ereignete, und die Versammlung ohne Zweifel so sehr als irgend ein Auftritt aus einem Lustspiele belustigen mußte. Ein Soldat von der Leibwache nehmlich, welcher noch nicht lange diente, und auf dem Theater mit gebraucht wurde, hielt es für seine Schuldigkeit den Kayser gegen die übrigen spielenden Personen zu vertheidigen, die ihm, da wo Herkules in dem Stücke gefesselt wird, die Ketten anlegen wollten. Inter cætera canavit Canacem parturientem, Orestem matricidam, Oedipodem excæcatum, Herculem insanum. In qua fabula fama est tyrunculum militem ad custodiam aditus positum, cum eum ornari catenis ac vinciri, sicut argumentum postulabat, videret, accurrisse ferendæ opis gratia. Ich will noch ein ander Beyspiel anführen, welches hier von weit größrer Wichtigkeit ist. Thrasea Paoetus, dieser berühmte römische Senator, welchen Nero umbringen ließ, nachdem er so viel tugendhafte Männer hatte umbringen
|| [0126.01]
lassen, und in ihm gleichsam die Tugend selbst ausrotten wollte, hatte in einer Tragödie mit gespielt, die auf dem Theater der Stadt Padua, aus welcher er gebürtig war, aufgeführet worden. Tacitus sagt in dem sechzehnten Buche seiner Jahrbücher: quia idem Thrasea Patavii unde ortus erat, ludis Cesticis a Trojano Antenore institutis, habitu tragico cecinerat.

Achter Abschnitt. Von den Blas - und Sayten instrumenten, deren man sich bey dem Accompagniren bediente.

Jch komme wieder auf den Generalbaß zurück. Man kann es noch an einem alten Basrelief sehen, was wir in dem Cicero gelesen haben, daß nehmlich die Instrumente, nachdem sie präludirt nicht geschwiegen, sondern daß sie immer fort gespielt um den Schauspieler zu accompagniren. Der jüngre Caspar Bartholinus, welcher sein Werk von den Flöten der Alten in Rom schrieb, hat diesem seinem Werke einen Kupferstich einverleibet, welcher nach einem alten Basrelief gestochen ist, und einen Auftritt aus einer Komödie, der zwischen zwey Personen vorgehet, abbildet. Die eine, welche ein langes Kleid an hat, und der Herr zu seyn scheinet, ergreift seinen Sklaven mit der einen Hand, und
|| [0127.01]
in der andern hält er eine Art von Peitsche, womit er ihn schlagen will. Hinter ihnen treten zwey andere Personen auf, welche gleichfalls, wie die ersten beyden, Masken vor haben, dergleichen die römischen Komödianten gebrauchten; und in der Vertiefung der Scene siehet man eine aufrechts stehende Person, welche mit der Flöte accompagnirt. Dieser Generalbaß bestand gemeiniglich aus Flöten und aus andern Blasinstrumenten, welche die Römer unter dem Namen Tibiæ begriffen. Gleichwohl aber brauchte man auch manchmal solche Instrumente dabey, wo die Sayten über eine Höhlung gezogen waren, welche ohngefehr eben die Wirkung hatte, welche unsere Resonanzboden haben. Nach dem diese Höhlung gestaltet war, nach dem der innere Theil derselben von dieser oder jener Figur war, nach dem bekamen auch diese Instrumente verschiedne Namen, deren einige Testudines und andre Citharæ, das ist Leyern oder Cythern genennet wurden. Weil man Anfangs mehr verschiedne Töne von diesen Instrumenten erzwingen wollte, als verschiedne Sayten darauf waren, so verkürzte man die Sayte, welche einen höhern Ton angeben sollte, als sie vor sich angab, indem man sie mit zwey Fingern der linken Hand, die allem Ansehn nach mit kleinen helfenbeinern Hüten bewaffnet waren, knipp, während daß man sie mit der rechten Hand ertönen machte. Und zwar
|| [0128.01]
führten die Leyerspieler in dieser rechten Hand eine Art eines kurzen Bogens, welcher aus nichts als einem Stükchen Helfenbein oder andrer harten Materie bestand, welches so gestaltet war, als es der Gebrauch, zu welchem man es bestimmte, erforderte. Es hieß in der lateinischen Sprache Pecten. Nach der Zeit aber fügten die Alten auf der Leyer so viel Sayten hinzu, daß sie diesen Kunstgriff gar nicht mehr nöthig hatten. Ammianus Marcellinus (*) sagt, daß man zu seiner Zeit (es lebte aber dieser Schriftsteller in dem vierten Jahrhunderte nach Christi Geburth) Leyern gehabt habe, die so groß als Rollwagen gewesen wären. Fabricantur Hydraulica & Lyræ ad speciem Carpentorum ingentes. Es erhellet auch in der That, daß schon zu den Zeiten des Quintilian, welcher zwey Jahrhunderte vor dem Ammianus Marcellinus gelebt, jeder Ton seine besondre Sayte auf der Leyer gehabt habe. Die Tonkünstler, sagt Quintilian, haben alle Töne, die man auf der Leyer heraus bringen kann, in fünf Leitern abgetheilet, deren jede ihre verschiedne Stuffen hat; zwischen die Sayten also, welche die ersten Töne einer jeden dieser Leitern angeben, haben sie noch andre Sayten für die mittlern Töne, und zwar in solcher Menge angebracht, daß von einer Hauptsayte bis zu der andern, eben so viel Zwischensay 87
|| [0129.01]
ten sind, als Grade zwischen denselben seyn können. Cum in cithara quinque constituerunt sonos plurima deinde varietate complent spatia illa nervorum, atque iis quæ interposuerunt, inserunt alios, ut pauci illi transitus multos gradus habeant. Unsere Sayteninstrumente, welche einen Hals haben, vermittelst dessen man aus einer und eben derselben Sayte ganz leicht verschiedne Töne bringen kann, indem man sie nehmlich gegen den Hals andrückt und sie auf diese Weise verkürzet, würden sich viel besser zu dem Accompagniren geschickt haben; besonders da wie sie noch dazu mit einem langen Haarbogen spielen, mit welchem man die Töne ganz leicht verbinden und verlängern kann, welches die Alten mit ihrem Bogen nicht thun konnten. Ich glaube aber nicht, daß die Alten von musikalischen Sayteninstrumenten mit Hälsen etwas gewußt haben. Wenigstens sind bey allen Instrumenten, die wir noch in ziemlicher Menge auf alten Denkmählern finden, die Sayten queer über eine Höhlung gespannt. Und dieses ist, allem Ansehen nach, die Ursache, warum sich die Alten bey den Accompagniren lieber ihrer Blasinstrumente, als ihrer Leyern, bedienten, (*) ob sie gleich diesen, nach der Zeit, bis an die dreyßig ja vierzig Hauptsayten und Zwischensayten gegeben hatten. Zwar hatten sie auch eine grosse Menge 88
|| [0130.01]
Sayteninstrumente, derer Bau und Gebrauch verlohren gegangen ist. Doch die Blasinstrumente sind zu dem Accompagniren so bequem, daß wir selbst bey dem Generalbasse uns ihrer bedienen, so verschiedne Arten von Violinen und Violons wir auch haben. Doch aber unterliessen es die Alten nicht gänzlich, auch mit ihren Sayteninstrumenten diejenigen zu accompagniren, welche in den Tragödien declamirten. Wir sehen dieses sowohl aus den alten Scholien über die griechischen Tragödienschreiber, als auch aus des Plutarchs Abhandlung von der Musik. Desgleichen setzt auch die Dichtkunst des Horaz diesen Gebrauch voraus, und Dio erzehlt ausdrücklich, daß man sich zu den Zeiten des Nero der Sayteninstrumente bey Vorstellung der Tragödien bedient habe. Aus dem Angeführten läßt sich also leicht begreiffen, warum man, unter den Aufschriften der Lustspiele des Terenz, die Namen der Blasinstrumente, deren man sich bey Vorstellung eines jeden Stüks bedient hatte, so genau angemerkt finde; Theils nehmlich zur Nachricht, ohne welche man die Wirkung nicht wohl verstehen könne, die diese oder jene Scene bey der Ausführung gehabt, Theils auch zur nöthigen Anweisung für diejenigen, welche diese Stücke etwa wieder auf das Theater bringen wollten. Der Umfang einer jeden Art von Flöte war, zu den Zeiten des Terenz, sehr klein, weil diese Instru
|| [0131.01]
mente nur erst sehr wenige Löcher hatten. (*) Diese Nachricht verhinderte also allen Irrthum in der Wahl der dabey zu gebrauchenden Flöten, und zugleich desjenigen Tones, in welchem verschiedne Stellen in den Stücken dieses Dichters declamiret werden sollten. Man veränderte die Flöten nicht allein, wenn der Chor anfangen sollte zu singen, sondern man veränderte sie auch bey den Unterredungen. Donatus lehret uns, daß man sich derjenigen Art von Flöten, welche die Alten Tibiæ dextræ nannten, und die einen sehr tiefen Ton hatten, zum Accompagniren bey den ernsthaften Stellen der Komödie bedient habe. Anderer zwey Arten von Flöten, welche die Alten linke Flöten und Tyrische Flöten oder Tibiæ Serranæ nannten, bediente man sich, die kurzweiligen Stellen damit zu accompagniren. Dergleichen Stellen werden natürlicher Weise mit einer erhabnern Stimme ausgesprochen, als die ernsthaften Stellen. Der Ton dieser Flöten war daher auch weit höher als der Ton der rechten Flöten. In den vermischten Auftritten, welche Theils ernsthaft, Theils kurzweilig waren, brauchte man wechselsweise alle diese Arten von Flöten. (**) Dextræ Tibiæ sua gravitate seriam Comoediæ dictionem pronuntiabant. Sinistræ & Serranæ, hoc est Tyriæ, acuminis suavitate jocum 89 90
|| [0132.01]
in Comœdia ostendebant. Ubi autem dextra & sinistra acta fabula inscribebatur, mistim jocos & gravitatem denuntiabant. Ich glaube, daß diese Stelle nunmehr ein sehr grosses Licht auf die Ueberschriften der Lustspiele des Terenz wirft, welche oft gelehrte Ausleger in Verlegenheit gesezt haben, so daß sie nichts zu sagen gewußt, worauf man ein festes Urtheil hätte gründen können. Die Römer hatten zu den Zeiten des Donatus vier verschiedne Gattungen der Komödie. Die von der ersten Gattung, welche Togatæ, oder Komödien in langen Röcken, hiessen, waren sehr ernsthaft. Die Tabernariæ waren es schon weniger. Die Atellanæ waren diesen ohne Zweifel hierinne gleich; und die Mimi müssen wahrhafte Possenspiele gewesen seyn. Man darf sich also nicht wundern, daß sich Donatus so insbesondere einläßt, wenn er von den Flöten überhaupt spricht, deren man sich zum Accompagniren in den Komödien bediente. Aus den Worten des Donatus kann man auch eine Stelle des Geschichtschreibers Plinius erklären, in welcher gesagt wird, daß man zu den linken Flöten das untere Theil des Rohrs, und zu den rechten Flöten das obere Theil brauche. Eam arundinem quæ radicem antecesserat, lævæ tibiæ convenire, quæ cacumen dextræ. (*) Denn da der untre Theil des Rohrs 91
|| [0133.01]
dicker ist, als der obere, so muß er einen höhern Ton geben, und der obre Theil folglich einen tiefern. Man wird die Ursache davon in allen Naturlehren finden. Allein, wird man mir einwerffen, ihr scheinet die alten Schauspieler einer Sache wegen zu loben, die für einen Fehler gehalten wird. Denn wenn man von einem Schauspieler sagt, er singe, so glaubt man ihn zu tadeln. Ich antworte hierauf, daß unserm Gebrauche nach dieser Ausdruck wirklich ein Vorwurf ist; allein er ist es bloß wegen des eingeschränkten Sinnes, in welchem wir das Wort singen zu nehmen gewohnt sind, wenn wir uns seiner bey der theatralischen Declamation bedienen. Es ist eingeführt, daß man dem Schauspieler nur alsdenn das Singen vorwirft, wenn er zur Unzeit singt, wenn er sich ohne Verstand in Ausruffungen verirret, die sich zu dem, was er sagt, gar nicht schicken; und wenn er durch rauschende hochtrabende Töne voller Nachdruck, den die Verse gar nicht verlangen, in seine Declamation das falsch Pathetische bringt, welches allezeit lächerlich ist. Hingegen sagt man nicht, daß ein Schauspieler singe, wenn er die Seufzer, die scharfen und gelinden Accente, und alle die abwechselnden Töne niemals anders als zur rechten Zeit brauchet; und nur in denjenigen Scenen, wo es der Verstand erlaubet, eine Declamation hören läßt, die dem musikalischen Gesange nahe kömmt. Man hat niemals
|| [0134.01]
der Schauspielerin, welche noch jezt dann und wann die Rolle der Phädra in dem Trauerspiele des Racine zu spielen die Gewogenheit hat, vorgeworffen, daß sie diejenige Rede, die sich mit den Worten: Juste ciel! qu'ai-je fait aujourd'hui? anfängt, singe, obgleich ihre Declamation alsdenn von einem musikalischen Gesange weiter in nichts, als darinn unterschieden ist, daß die Töne, welche eine Person im Declamiren hören läßt, nicht so einzeln und abgesondert heraus gebracht werden, auch ihre Vollkommenheit nicht in eben denselben Theilen der Sprachgefässe erhalten, als die Töne, welche eine Person im Singen hören läßt. Nun aber sieht man wohl, daß dieser fehlerhafte Gesang, von welchem wir jetzo geredet, den alten Schauspielern nicht vorgeworffen werden konnte. Sie hatten alle mit der Erlernung ihrer Kunst viele Jahre zugebracht, wie ich weiter unten sagen werde, und hatten fast immer weiter nichts zu thun, als eine Declamation zu recitiren, welche Componisten von Profeßion in Noten gesetzt hatten.
|| [0135.01]

Neunter Abschnitt. Von dem Unterschiede, welcher sich zwischen der tragischen und komischen Declamation befunden. Von den Componisten der Declamation. Betrachtun gen über die Kunst, sie in Noten zu schreiben.

Es ist ausser Zweifel, daß die tragische Declamation der Alten weit gesetzter und viel harmonischer gewesen, als ihre komische Declamation. Nun aber war auch schon die komische Declamation der Alten viel abwechselnder und singender als die Art, wie man in gemeinen Reden zu sprechen pflegt. Quintilian sagt, die komischen Schauspieler ahmten zwar der gemeinen Art zu sprechen in etwas nach, allein sie ahmten sie nicht in allen Stücken nach. Sie stützen, sezt er hinzu, ihre Aussprache durch diejenigen Zierrathen und Annehmlichkeiten auf, deren die komische Declamation fähig ist. (*) Quod faciunt Actores comici qui nec ita prorsus, ut nos loquimur, pronunciant, quod esset sine arte, nec procul tamen a natura recedunt, quo vitio periret imitatio: sed morem communis hujus sermonis decore comico exornant. Plato, nachdem er angemerkt, daß die Dichter, welche Tragödien und Komödien machen 92
|| [0136.01]
wollen, nicht gleich glücklich gewesen, fügt hinzu, daß die tragische und komische Gattung jede eine besondere und eigne Wendung des Geistes erfordre, und führt dabey als einen Beweis an; daß die Komödien nicht von eben denselben Schauspielern recitirt würden, welche die Tragödien declamirten. (*) Auch aus verschiednen andern Stellen der Alten sieht man es ganz klar, daß die Profeßion eines Tragödienspielers und die Profeßion eines Komödienspielers zwey ganz verschiedne Profeßionen gewesen, und daß es selten zugetroffen, daß sich eine einzige Person mit beyden abgegeben hätte. Quintilian sagt, daß Aesopus viel gesezter als Roscius declamirt habe, weil Aesopus eigentlich nur ein tragischer Schauspieler, und Roscius eigentlich nur ein komischer war. Der eine also sowohl als der andre, hatte die Manieren derjenigen Scene angenommen, der er sich besonders gewidmet hatte. (**) Roscius citatior, Aesopus gravior fuit, quod hic Tragœdias, ille Comœdias egit. Dieses ist der Charakter, welchen auch Horaz dem letztern gegeben hat.
Quæ gravis Aesopus, quæ doctus Roscius egit. Lucianus sagt in seinem Buche vom Tanze, daß sich ein tragischer Schauspieler auf dem Theater ungebehrdig stelle; daß er sich wie ein Rasen 93 94
|| [0137.01]
der drehe und winde, und Klagen sage, die kaum in den Munde einer Weibsperson erträglich wären. Ist es wohl auszustehn, setzt Lucian hinzu, daß Herkules, mit einer Löwenhaut bedeckt und mit einer Keule in der Hand, auf das Theater kömmt, Verse abzutrillern, die eine Erzehlung seiner Thaten enthalten? Die Erklärung, welche die Alten von der Tragödie und Komödie geben, könnte allein hinreichend seyn, uns zu überzeugen, daß auch die Art diese Gedichte zu recitiren, verschieden gewesen seyn. Ich will also nur noch hinzu thun, daß bey den komischen Schauspielern die Bekleidung der Füsse eine Art von Pantoffeln gewesen, die man Soccos genannt, anstatt daß die tragischen Schauspieler in Kothurnen (*) gegangen, welches eine Art von Halbstiefeln waren, die eine sehr dicke hölzerne Sohle hatten, um ihnen das Ansehen einer ungewöhnlichen Grösse zu geben, wie Lucian, Philostrat und verschiedne andre Schriftsteller berichten, welche sie täglich sehen konnten. Lucianus meldet uns sogar, (**) daß man sie auch um den Körper ausgestopft, damit diese ungeheure Gestalt wenigstens die gehörigen Verhältnisse bekomme; und was er uns dieserwegen sagt, wird durch einen Brief bestätiget, den man dem h. Justinus dem Märtyrer beylegt. (***) 95 96 97
|| [0138.01]
Auch die Kleider, die Masken und übrigen Zierrathen, deren man sich bey Vorstellung der Tragödien bediente, waren von denen unterschieden, die man bey der Komödie gebrauchte. (*) Die Verzierungen, die zu der Tragödie bequem waren, konnten bey der Komödie nicht angebracht werden. Die man zu den Tragödien brauchte, musten Palläste und andere prächtige Gebäude vorstellen, anstatt daß die Verzierung der Komödie nur Bürgerhäuser oder andre schlechte Gebäude abbilden durften. Was die tragische Declamation selbst anbelangt, so bedienen sich Horaz und alle alte Schriftsteller, wenn sie ihrer im Vorbeygehen gedenken, gemeiniglich solcher Worte, welche anzeigen, daß sie von der Art müssen gewesen seyn, welche wir die singende nennen. Von dieser Seite greiffen sie auch diejenigen von den alten Schriftstellern an, die ihr, aus verschiednen Ursachen, nicht wohl wollten. Der h. Justinus Martyr, nennt sie in der Schrift, die wir vorhin angeführt haben, ein grosses Geschrey. Der Verfasser desjenigen Buchs wider die Schauspiele der Alten, welches dem h. Cyprianus beygelegt worden, nennt sie illas magnas tragicæ vocis insanias. (**) Tertullianus in dem kleinen Werke, welches er über eben diese Materie verfertiget hat, sagt, daß der tragische Schauspieler aus Leibeskräfften 98 99
|| [0139.01]
schreye: Tragœdo vociferante, und Apulejus (*) bedient sich, eben dieselbe Sache auszudrücken, auch eben derselben Worte: Comœdus sermocinatur, Trajœdus vociferatur. Der komische Schauspieler recitirt, der tragische hingegen schreyet aus vollem Halse. Lucianus, welcher uns in der Unterredung, die er den Solon und Anacharsis mit einander halten läßt, eine artige Beschreibung von den Personen in den Tragödien und Komödien giebt, läßt diesen Scythischen Weltweisen daselbst sagen, daß die komischen Schauspieler nicht mit so viel Nachdruck declamirten, als die tragischen. Auch sehen wir, daß sich Quintilian über diejenigen Lehrer der Beredsamkeit ereifert, welche ihre Schüler eben so singen und declamiren liessen, als man auf den<dem> Theater declamire. Er erzürnt sich über diejenigen Redner, die sich in den Gerichtsstuben auf gleiche Art hören liessen. (**) Und doch ist kein eigensinniger Abscheu gegen die Komödianten daran Schuld, daß er den Rednern die theatralische Declamation untersagt. Quintilian war ihnen eben so wenig abgeneigt, als Cicero. Er erzehlt uns, Demosthenes habe es dem Komödianten Andronicus zu danken gehabt, daß er so wohl declamiren können. Er erlaubt nicht nur einem jungen Menschen, welcher es in der Beredsamkeit zu etwas bringen 100 101
|| [0140.01]
wolle, die Kunst der Gebehrden zu erlernen, sondern ist es auch gar wohl zufrieden, daß er sich einige Zeit von einem Komödianten unterweisen lasse, und unter ihm die Aussprache studire. Dandum aliquid Comœdo quoque, dum eatenus quatenus pronuntiandi scientiam futurus Orator desiderat. (*) Auch sagt es Quintilian noch an einem andern Orte, daß sein Schüler sich verschiednes von einem Komödianten müsse zeigen lassen. Debet etiam docere Comœdus quomodo narrandum. &c. (**) Ich will noch einige andre Stellen aus den Alten anführen, meine Meinungen zu unterstützen. Wenigstens werden sie die Materie noch weiter aufklären. Man hat sie bisher noch nicht aller der Aufmerksamkeit gewürdiget, welche sie verdienen, weil sie unter den andern Sachen, bey deren Gelegenheit sie die Verfasser geschrieben haben, gleichsam begraben liegen. Es werden sich also diese Stellen weit mehr Aufmerksamkeit zuziehen, wenn man sie beysammen sieht, und das besondre Licht bemerkt, welches sie, zu ihrem nähern Verständniß, gemeinschaftlich auf einander werffen. Diejenigen, welche mit dem alten Griechenlande ein wenig bekannt sind, werden ohne viel Befremdung gelesen haben, daß die Dichter daselbst die Declamation ihrer Stücke selbst ver 102 103
|| [0141.01]
fertiget. Musici qui erant quondam iidem Poetæ sagt Cicero, (*) wenn er von den alten griechischen Dichtern redet, die den Gesang und die Versarten erfunden hatten. Die Kunst die Declamation der theatralischen Stücke zu componiren, machte in Rom eine besondere Profession aus. In den Ueberschriften der Lustspiele des Terenz, sieht man neben dem Namen des Dichters und dem Namen des Principals derjenigen Bande Komödianten, welche die Stücke vorgestellt, auch den Namen desjenigen, welcher die Declamation gemacht hatte, auf Lateinisch: qui fecerat modos. Wegen der Bedeutung, in der man diesen Ausdruck gemeiniglich nahm, habe ich mich schon oben erklärt. Es war, dem Donatus zu Folge, (**) ein gewöhnlicher Gebrauch, daß derjenige, welcher die Declamation eines Stücks componirt hatte, ihm seinen Namen, zugleich mit dem Namen des Dichters, und des vornehmsten Schauspielers, welcher es aufgeführt, vorsetzte. Qui modos faciebat nomen in principio fabulæ & scriptoris & actoris & suum superimponebat. Ich führe diese Stelle nach der Verbesserung des Gerhard Vossius an. (***) Besonders wurde die Declamation der Canticorum oder Monologen, welche auf eine ganz besondre Art aus 104 105 106
|| [0142.01]
geführet wurde, wie wir weiter unten erklären werden, niemals von dem Poeten, sondern von Männern in Musik gesetzt, welche in den musikalischen Künsten vollkommen geübt waren, und es zu ihrer Profession gemacht hatten, von andern componirte dramatische Stücke aufführen zu lassen. Dieses waren die Künstler, welche Quintilian, in einer Stelle, die wir bald anführen werden, Artifices pronuntiandi nennt. Donatus, welchen wir eben angeführt haben, sagt: Modis cantica temperabantur, non a Poeta sed a perito artis Musices factis. Cicero bedienet sich eben desselben Ausdrucks facere modos, wenn er von denen reden will, welche die Declamation der theatralischen Stücke componirten. Nachdem er gesagt, daß Roscius mit Fleiß gewisse Stellen seiner Rolle mit nachläßigern Gebehrden declamirt habe, als es der Sinn der Verse zu verlangen geschienen; nachdem er gesagt, daß Roscius in seine Action gewisse Schatten gebracht, um diejenigen Stellen, welche in die Augen fallen sollten, desto mehr zu erheben, so fügt er hinzu: die glückliche Wirkung dieses Kunstgrifs ist so gewiß, daß sie von den Dichtern und Componisten der Declamation eben so wohl bemerkt werden, als von den Komödianten; und alle machen sich dieselbe zu Nutze. Nunquam agit hunc versum Roscius eo gestu, quo potest :
|| [0143.01]

Nom sapiens virtuti honorem, præmium, haud prædam petit sed abjicit prorsus ut in proximos
Ecquid video? ferro sæptus possidet sedes sacras, incidat, aspiciat, admiretur, stupescat. Quid ille alter:
Quid petam præsidii? quam leniter, quam remisse, quam non actuose? Instat enim,
O pater, o patria, o Priami domus! in quo tanta commoveri actio non posset, si esset consumta superiore motu & exhausta. Neque id actores prius viderunt, quam ipsi poetæ, quam denique illi etiam, qui fecerunt modos, a quibus utrisque summittitur aliquid, deinde augetur, extenuatur, inflatur, variatur, distinguitur. (*) Diese Componisten der Declamation liessen die Recitation kunstmäßig bald steigen, bald fallen, bald abwechseln. Manchmal ward eine Stelle, der Note zu Folge, tieffer ausgesprochen, als es der Sinn der Worte zu verlangen schien; allein dieses geschah nur deswegen, damit sich der hohe Ton, in welchen der Schauspieler wenige Zeilen darauf hinauf steigen mußte, desto besser ausnehmen könne. Und nicht anders machte es auch die Schauspielerin, welche Racine selbst, die Rolle der Monime im Mithridat zu 107
|| [0144.01]
spielen gelehrt hatte. Racine war ein eben so grosser Declamator als Dichter, und hatte ihr gerathen, in folgenden Zeilen die Stimme sinken zu lassen, und zwar mehr, als es der Sinn zu verlangen scheine.
— — Si le sort ne m'eut donné à Vous,
Mon bonheur dependoit de l'avoir pour Epoux.
Avant que votre amour m'eut envoyé ce gage
Nous nous aimions (*) Damit sie desto leichter die darauf folgenden Worte: Seigneur vous changez de visage eine Octave höher aussprechen könne, als sie das nous nous aimions ausgesprochen. Dieser ausserordentliche Uebergang der Stimme in der Declamation, druckte die Verwirrung des Geistes vortreflich aus, in der sich die Monime in dem Augenblicke befinden mußte, als sie sahe, in welche Gefahr sie sich und ihren Geliebten durch die Bereitwilligkeit, dem Mithridates Glauben zuzustellen, gestürzt hatte, welcher nichts als ihr Geheimniß heraus zu locken suchte. Um die Stellen der Alten zu verstehen, in welchen von ihren theatralischen Vorstellungen geredet wird, muß man, sollte ich meinen, einige Kenntniß von dem haben, was auf unsern neuern Bühnen vorgeht, ja wohl gar diejenigen um 108
|| [0145.01]
Rath fragen, welche die Künste treiben, die mit den Künsten der Alten, deren Ausübung verlohren gegangen ist, wenigstens in einer Verwandtschaft stehen. Dergleichen nun sind die Kunst der Gebehrden, und die Kunst die Declamation zu componiren und in Noten zu schreiben. Die Auslegungen, welche berühmte Gelehrte, die aber nirgends als in ihren Studirstuben zu Hause waren, von diesen Stellen haben machen wollen, erklären sie sehr schlecht. Es ist eben das, als wenn ein Kartheusermönch einen Commentar über den Tacitus schreiben wollte. Wir sehen aus dem Werke des Quintilianus, daß diejenigen qui faciebant modos, oder die Componisten der Declamation, nach der Zeit Artifices pronuntiandi, das ist von Wort zu Wort, Künstler in der Aussprache genennet wurden. (*) Itaque in iis, quæ ad scenam conponuntur fabulis Artifices pronuntiandi. &c. Und dieses ist die Ursache, warum in den Stücken, welche auf dem Theater vorgestellet werden sollen, die Künstler in der Aussprache etc. Ich will die ganze Stelle anführen, wenn ich von den Masken reden werde, deren sich die Schauspieler der Alten bedienten. Man wird leicht begreiffen, wie die Alten die Declamation, und so gar die Declamation der 109
|| [0146.01]
Komödien, componiren können, wenn man nur überlegt, daß in ihrer Musik die Fortschreitungen durch noch kleiner Intervalla geschehen konnten, als die allerkleinsten sind, deren wir uns in unsrer Musik bedienen. Was aber die Art, wie diese Declamation geschrieben worden, anbelangt, so haben wir bereits in dem vierten Abschnitte gesehen, daß es wahrscheinlicher Weise vermittelst der Zeichen der Accente geschehen sey. Die Kunst alle Arten von Gesängen in Noten zu schreiben, war in Rom schon zu den Zeiten des Cicero sehr alt. Sie war lange vor Eröffnung der Theater daselbst schon bekannt. Nachdem Cicero von dem Gebrauche gesprochen, welchen die Pythagoriker von der Musik gemacht; nachdem er gesagt, daß der zweyte römische König Numa der Schule des Pythagoras verschiedene Gebräuche abgeborgt, die er hernach in seinem kleinen Staate eingeführet: so beruft er sich, gleichsam zum Beweise seines Vorgebens, auf die Gewohnheit, das Lob grosser Männer, unter einem Accompagnement von Blasinstrumenten, bey Tische zu singen. Und dieses, setzt der Verfasser hinzu, beweiset, daß die Kunst, die Töne der Gesänge und die Declamation der Verse in Noten zu bringen, schon damals bekannt gewesen. (*) Morem apud majores tunc epularum fuisse, ut deinceps qui accubarent, canerent ad tibiam clarorum virorum laudes at 110
|| [0147.01]
que virtutes, ex quo perspicuum est cantus tunc fuisse descriptos vocum sonis, & carmina; quamquam id quidem etiam duodecim tabulæ declarant, condi jam solitum esse carmen. Wir haben schon oben erklärt, was die Römer unter dem Worte carmen verstanden. Auch sagt Cicero in dem fünften Buche seiner Tusculanischen Fragen, wenn er von den Vergnügen redet, die auch derjenige noch haben könne, der das Unglück gehabt sein Gehör zu verlieren: wenn dergleichen Unglückliche an schönen Gesängen Vergnügen gefunden, so werden sie sie nun vielleicht mit mehrerm Vergnügen lesen, als sie sie sonst haben aufführen hören. Et si cantus eos forte delectant, majorem percipi posse legendis his quam audiendis voluptatem. Cicero setzt voraus, daß, überhaupt zu reden, ein jeder so viel davon verstehe, daß er wenigstens einen Theil dieser Gesänge lesen könne; und dieses zeigt deutlich, daß man sie müsse in Noten geschrieben haben. Hier ist endlich noch eine Stelle aus dem Livius, (*) welche allein hinlänglich genug beweisen könnte, daß die Alten die Declamation der theatralischen Stücke componirt, in Noten geschrieben und mit einem Accompagnement von Blasinstrumenten aufgeführt haben. Es hat dieser Geschichtschreiber in seinem siebenden Buche für gut befunden, eine kurze Betrachtung 111
|| [0148.01]
über den Ursprung und die Geschichte der Schauspiele zu Rom einzuschalten. Nachdem er gemeldet, daß Rom, in dem dreyhundert und neunzigsten Jahre nach seiner Erbauung, von der Pest heimgesucht worden, und daß man zu Abwehrung derselben öffentliche Spiele angestellt habe, welche in Aufführungen theatralischer Stücke bestanden, so setzt er hinzu: die Kunst dieser Aufführungen war damals in Rom noch ganz neu, und man kannte daselbst weiter nichts als die Schauspiele des Circus. Man hatte daher die Schauspieler, die man damals auf unsrer Bühne sah, aus Hetrurien müssen kommen lassen; und diese spielten nach der Art ihres Landes; das ist, sie machten ihre Gebehrden so ziemlich nach dem Takte der Blasinstrumente, und recitirten Verse, die aber noch keine componirte Declamation hatten, nach welcher sie ihre ganze Action hätten einrichten müssen. Weil aber unsere jungen Leute an der Kunst der theatralischen Vorstellungen einen grossen Geschmack fanden, so ward sie in kurzem vollkommener. Anfangs hatte man nur Verse aus dem Stegreiffe recitirt; bald darauf aber, fährt Li vnius fort, lernte man vollständige Stücke machen; und zu der Zeit des Dichters Andronicus hatte man auch schon (*) die Recitation einiger von diesen Stücken abgemessen, und die Noten zur Bequemlichkeit der Flötenspieler darüber geschrieben, wornach sich denn die ganze Action 112
|| [0149.01]
richten mußte. Cæterum sine carmine ullo, sine imitandorum carminum actu, ludiones ex Etruria acciti, ad tibicinis modos saltantes, haud indecoros motus more Tusco dabant. Imitari deinde eos juventus, simul inconditis inter se jocularia fundentes versibus, cæpere; nec absoni a voce motus erant. — — Nomen histrionibus inditum, qui non sicut ante Fescennino versu similem, incompositum temere ac rudem alternis jaciebant, sed impletas modis satyras, descripto jam ad tibicinem cantu, motuque congruenti peragebant. Ich habe verschiedne Tonkünstler gefragt, ob es wohl sehr schwer seyn sollte, Charaktere zu erfinden, durch welche man die auf unserm Theater übliche Declamation in Noten bringen könne. Accente haben wir zu wenige, als daß wir sie vermittelst der Accente in Noten schreiben könnten, so wie es die Alten gethan haben. Diese Tonkünstler nun antworteten mir, daß sich die Sache gar wohl thun lasse, und daß man selbst das Gamma unsrer Musik dazu brauchen könne; nur aber müßte man den Noten nicht mehr als die Helfte ihrer gewöhnlichen Anstimmung geben. Zum Exempel die Noten, welche in der Musik als Semitonia angestimmet werden, müßte man nur als halbe Semitonia anstimmen. Und auf diese Weise könnte man die allergeringsten Abänderungen der Stimme, in der Höhe und
|| [0150.01]
in der Tiefe, wenn sie unsren Ohren nur noch empfindbar sind, in Noten bringen. Unsre (*) Verse führen zwar ihre Abmessung nicht gleich mit sich, wie es wohl die metrischen Verse der Griechen und Römer thun. Allein man hat mir auch gesagt, daß man im Declamiren den Noten nur die Helfte ihres gewöhnlichen Werths geben könnten. Man könnte einer weissen Note nur den Werth einer schwarzen, und einer schwarzen nur den Werth einer Achtelnote geben; und auch den übrigen Noten könnte man nach diesem Verhältnisse ihren Werth bestimmen, so wie sie sich nach demselben angeben liessen. Ich weis wohl, man würde nicht sogleich Leute finden, die diese Art von Musik geschwind lesen und die Noten derselben gut angeben könnten. Allein auch Kinder von funfzehn Jahren müßten damit zurechte kommen können, wenn man sie diese Intonation nur sechs Monate gelehrt hätte. Ihre Sprachwerkzeuge würden sich an diese Intonation, an diese Aussprache nicht zu singender Noten, eben so gewöhnen, wie sie sich an die Intonation unsrer ordentlichen musikalischen Noten gewöhnen. Die Uebung und die Fertigkeit, welche aus der Uebung folgt, sind, in Ansehung der Stimme, eben das, was der Bogen und die Hand des Instrumentisten 113
|| [0151.01]
in Ansehung der Violine sind. Kann man sich diese Intonation auch nur schwer vorstellen? Es würde nur darauf ankommen, daß man die Stimme dasjenigen methodisch zu verrichten gewöhne, was sie alle Tage bey dem gewöhnlichen Reden verrichtet. Manchmal redet man geschwind, manchmal redet man langsam. Man braucht alle Arten von Tönen, und läßt die Stimme, sowohl im Heraufsteigen, als im Herabsteigen, durch alle mögliche Arten von Intervallen fortschreiten. Die in Noten geschriebene Declamation würde nichts als die in Noten geschriebenen Töne und Abänderungen der Aussprache seyn. Wenigstens würde die Schwierigkeit, die sich bey der Ausführung einer solchen Notenschrift finden könnte, bey weiten der Schwierigkeit nicht gleich kommen, Worte zu lesen, die man niemals gelesen hat, diese Worte zu singen, und zugleich auf dem Flügel nach Noten zu accompagniren, die man nicht vorher durchstudiret hat. Und gleichwohl lernen auch Frauenzimmer, durch die Uebung, alle diese drey Stücke auf einmal verrichten. Was aber die Art und Weise anbelangt, wie sich die angezeigte, oder jede andre Declamation in Noten schreiben lasse, so kann es lange nicht so schwer seyn, sie in gewisse Regeln zu bringen, und diese Regeln auszuüben, als es schwer gewesen ist, die Kunst zu erfinden, wie man die Schritte und Figuren eines wohl von acht Per
|| [0152.01]
sonen getanzten Ballets in Noten schreiben könne, besonders da heut zu Tage diese Schritte so sehr verschieden und diese Figuren so sehr durch einander gewunden sind. Und gleichwohl ist Feuillee mit Erfindung dieser Kunst zu Stande gekommen, und seine Noten lehren auch sogar die Tänzer, wie sie sich mit den Armen betragen sollen. Ich will nur noch dieses hinzu fügen: seine Choregraphie ist nicht eher als im Jahr 1706. ans Licht getreten; und dennoch können sie seine Kunstverwandten, sowohl in Franckreich als in andern Ländern, schon fertig lesen.

Zehnter Abschnitt. Fortsetzung der Beweise, daß die Alten ihre Declamation in No ten geschrieben. Von den Veränderungen, die zu den Zeiten des Augustus in der Declamation der Römer gemacht worden. Die Veränderungen welche unter Ludewig dem XIV. mit dem Tanze und der Musik vorgenommen worden, werden damit verglichen.

Wir wollen auf die historischen Beweise zurück kommen, daß die Alten die Declamation ihrer theatralischen Stücke wirklich in Noten geschrieben. Sie sind hier von einem weit grössern Gewichte, als auf blosse Möglichkeiten sich stützende Vermuthungen.
|| [0153.01]
So oft Cicero von der Declamation der dramatischen Verse redet, so oft redet er auch ganz anders davon, als wir von der Declamation der Verse des Corneille reden, welche willkührlich ist. Cicero redet von der Declamation der dramatischen Verse als von einer festgesetzten Melodie, nach welcher man beständig diese Verse ausgesprochen. Er redet davon als von einer Schönheit, die mit den Versen, welche er anführt, eben so genau verbunden sey, als die Schönheit, welche aus dem Inhalte und aus der Wahl der Worte entspringet. Nachdem Cicero einige Zeilen aus einer Tragödie angeführt, setzt er hinzu: es sind dieses vortrefliche Verse; der Inhalt, der Ausdruck, die Modulation, alles ist darinn traurig. (*) Præclarum carmen, est enim rebus, verbis & modis lugubre. Nicht anders würden wir ein Recitativ aus den Opern des Lulli loben. Cicero redet in verschiednen Orten seiner Werke von den theatralischen Stücken des Livius Andronicus, des Ennius und des Nävius, dreyer Dichter, welche ohngefehr zwey hunder Jahr vor ihm gelebt hatten, nicht anders als von Declamationen, die man zu den Zeiten der Verfasser componiret habe, und deren man sich, noch jetzt zu seiner, Zeit bediene. Wäre nun aber diese Declamation nicht aufgeschrieben gewesen, wie hätte sie sich so lange erhalten können? Man urtheile 114
|| [0154.01]
selbst, ob ich an dem Sinne des Cicero etwas ändre. Wir haben, sagt er, anstatt der einfachen unnd ernsthaften Musik in den Stücken des Nävius und Livius Andronicus, eine so muthwillige Musik einführen sehen, daß die Schauspieler, um dem Takte derselben zu folgen, sich zu winden, die Augen zu verdrehen, den Kopf hin und her zu werffen, mit einem Worte als Unsinnige sich zu betragen genöthiget sind. Und auf diese Art erklärt er sich, nachdem er vorher gesagt, daß Plato nicht so ganz Unrecht habe, wenn er behaupte, man könne die Musik in einem Lande nicht verändern, ohne daß diese Veränderung nicht auch eine merkliche Veränderung in den Sitten der Einwohner hervorbringen sollte. (*) Ego nec tam valde id timendum, nec plane contemnendum puto. Illa quidem musica, quæ solebant quondam complecti severitatem jucundam Livianis & Nævianis modis, nunc videtis ut eadem exultent, cervices oculisque pariter cum modorum flexionibus torqueant. Wir haben schon gesehen, daß die Gebehrden der Schauspieler dem Takte eben sowohl unterworffen waren, als die Recitation selbst. Zu den Zeiten des Cicero fing man also an, die theatralische Declamation zu verändern. Und hundert Jahr nach dem Cicero fand Quintilian diese Declamation schon so voller weibischen Töne 115
|| [0155.01]
und so geil, daß er zwar sagt, man müßte die Kinder Musik lernen lassen, sogleich aber auch hinzusetzt, er verstehe darunter nicht, daß man ihnen einen Geschmack an derjenigen Musik beybringen solle, welche zu seiner Zeit auf der Bühne herrschte. Ihre Gesänge fährt er fort, sind so voller Unverschämtheit und Geilheit, daß man ihnen mit Recht vorwerffen kann, daß sie die wenige männliche Tapfferkeit, die uns noch übrig war, völlig erstickt haben. (*) Non hancame præcipi quæ nunc in scenis effeminata & impudicis modis fracta, non ex parte minima, siquid in nobis virilis roboris manebat, excidit. Die Alten alle glaubten steif und fest, daß der Charakter derjenigen Musik, welche in diesem oder jenem Lande am gebräuchlichsten war, einen sehr grossen Einfluß auf die Sitten der Einwohner habe. Wollten wir wohl eine so allgemeine Meinung, die sich auf geschehene Dinge gründete, auf Dinge, die diejenigen, die davon geschrieben, selbst mit angesehen, zu verwerffen wagen, da wir doch nur einen so unvollkommenen Begrif von der Musik der Alten haben? Die Philosophie, von welcher unser Jahrhundert so besonders Profeßion macht, mag darüber richten. Man kann jetziger Zeit so gar an demjenigen Orten, wo die Einwohner von verschiedner Religion sind, bemerken, daß sie nach geendetem Gottesdienste nicht wieder mit eben der 116
|| [0156.01]
selben Gemüthsverfassung aus der Kirche gehen. Dieser flüchtige Eindruck wird sogar zu einer Gewohnheit, und in einigen von diesen Ländern ist der Regent genöthiget worden, das protestantisch gewordene Volk durch öffentliche Edicte des Sonntags nach dem Gottesdienste zu denjenigen Ergötzlichkeiten anhalten zu lassen, die es sich von freyen Stücken zu machen pflegte, ehe es mit seinem Glaubensbekenntnisse zugleich die äusserliche gottesdienstliche Verehrung veränderte. Doch wir wollen diese Materie, die sehr bald gar zu ernsthaft werden möchte, verlassen, und uns wieder zu unsrer vorhabenden Sache wenden. Diejenigen, welche keine andern Bühnen kennen, als die französische, werden den ganzen Sinn der Stelle des Quintilians, die ich eben jetzt angeführt habe, nicht so gleich begreiffen. Ob man gleich verschiedne ziemlich schlüpfrige Stücke auf derselben gesehen hat, so hat man doch noch immer eine grosse Anständigkeit, sowohl in den Tönen, als in den Gebehrden dabey beobachtet. Allein es giebt Bühnen in andern Ländern, auf welchen die Schauspieler täglich in den vom Quintilian getadelten Fehler fallen, indem sie alle die Töne und alle die Accente, um mich nicht umständlicher einzulassen, nachahmen, welche die brünstigsten Personen hören lassen, wenn sie sich endlich in völliger Freyheit sehen.
|| [0157.01]
Wenn man die Dichtkunst des Horaz lieset, so sieht man wohl, daß der Fehler, welchen Quintilian der theatralischen Declamation seiner Zeit vorwirft, daher gekommen sey, weil man sie, sowohl von Seiten der Recitation, als von Seiten der Gebehrden, lebhafter, affectreicher und nachdrücklicher machen wollen, als sie in den vorhergehenden Zeiten gewesen. Da Horaz nach dem Cicero und vor dem Quintilian geschrieben hat, so wird es nicht undienlich seyn dasjenige zu untersuchen, was er von den Veränderungen, die zu seiner Zeit mit der theatralischen Declamation gemacht worden, und von dem Unterschiede sagt, der sich damals zwischen der alten und neuen Art zu recitiren fand. Vordem, sagt Horaz, bediente man sich zum Accompagniren und zur Unterstützung der Chöre, noch keiner F[l]löten, die mit den Trompeten gleichen Umfang haben, und die man mit Ringen von Meßing umlegen muß. Man brauchte auf dem Theater nichts, als sehr einfache Blasinstrumente, die noch sehr wenig Löcher hatten, und also von einem sehr kleinen Umfange waren.
Tibia non ut nunc oricalcho vincta, tubaque
Æmula, sed tenuis simplexque foramine pauco
Adspirare & adesse choris erat utilts (*) 117
|| [0158.01]
Allein jetzt, fügt Horaz hinzu, ist es ganz anders. Erstlich ist die Bewegung des Takts beschleiniget worden, und man bedient sich, um sie fest zu setzen, solcher Abmessungen, dergleichen man sich vorher nie bedient; und hierdurch hat die Recitation ihr altes gesetztes Wesen verlohren. Accessit numerisque modisque licentia major. Auch hat man, fährt Horaz fort, den Instrumenten einen weitern Umfang gegeben, als sie vordem hatten. Da also die Töne, nach welchen man declamirt, vermehrt worden, so sind auch mehr verschiedne Klänge in die Recitation gebracht worden, als man vormals hineinbrachte. Die Schauspieler müssen jetzt weit mehr Töne aus ihrer Lunge heraushohlen als sonst, wenn sie diesen neuen Instrumenten folgen wollen, deren Sayten sie ohne Schohnen bestraffen, sobald sie den geringsten Fehler begehen. Denn in der That, je gesangreicher eine Declamation war, desto merklicher mußten die Fehler desjenigen, der sie ausführte, werden. Man erlaube mir, daß ich mich, zur Erläuterung dieser Stelle des Horaaz, einer Vergleichung, die von dem Kirchengesange genommen ist, bedienen darf. Der h. Ambrosius ließ bey dem Gesange, den man noch jetzt den Ambrosianischen nennet, nicht mehr als vier Modos anbringen, welche die authentischen heissen. Dadurch nun ward der Gesang zwar weit
|| [0159.01]
ernsthafter, zugleich aber auch weniger schön und ausdrückend. Von den funfzehn Sayten, oder den funfzehn Hauptnoten, aus welchen das System der harmonischen Musik bestand, wurden auch so gar vier Töne, nehmlich der höchste Ton, und die drey tiefsten Töne, in dem Ambrosianischen Gesange ganz und gar nicht gebraucht. Als ihn der h. Ambrosius componirte, waren die Bühnen noch offen, und man recitirte auf denselben in eben der Sprache, in welcher man in der Kirche sang. Allem Ansehen nach wollte dieser heilige Mann also nicht haben, daß man in der Kirche die dem Theater eigenthümlichen und am meisten auf demselben gebräuchlichen Töne hören sollte. Der h. Gregorius, welcher den so genannten Gregorianischen Gesang, ungefehr funfzig Jahr, (*) nachdem die Bühnen verschlossen worden, angab, brauchte acht Modos dabey, indem er zu den vieren, deren sich der h. Ambrosius bedient hatte, noch die sogenannten Phlagales hinzuthat. Es wurden also in dem Gregorianischen Gesange alle funfzehn Sayten der alten Musik angebracht, und alle Menschen fanden, daß der Gregorianische Gesang den Ambrosianischen so sehr an Schönheit vorzuziehen sey, daß die Gallischen Kirchen, zur Zeit unsrer Könige vom zweyten Stamme, den Ambrosianischen Gesang zu brauchen aufhörten, und den Gregorianischen dafür einführten. 118
|| [0160.01]
Ich lasse den Horaz wieder das Wort ergreiffen. Zugleicher Zeit sahen sich die Schauspieler genöthiget, ihre Gebehrden so wohl als ihre Aussprache zu beschleunigen, weil man die Bewegung des Takts geschwinder gemacht hatte. Ihre übereilte Declamation schien also eine ganz neue Art zu recitiren zu seyn. Endlich war es auch nothwendig geworden, daß der Instrumentenspieler, welcher so schwer zu treffende Töne angeben sollte, oft von einer Seite der Bühne zu der andern gehen mußte, damit die Schauspieler seine Töne in der Nähe desto besser hören könnten. Unsere theatralische Declamation ist also so lebhaft und so heftig geworden, daß der Schauspieler, welcher als eine Person, die über die Zukunft Betrachtungen anstellt, ganz gesetzt recitiren sollte, die allerweisesten Lehrsprüche mit mehr Bewegungen heraus stößt, als kaum die Priesterin zu Delphos machte, wenn sie ihre Orakel vom Dreyfusse kund that.
Sic priscæ motumque & luxuriam addidit arti
Tibicen, traxitque vagus per pulpita vestem;
Sic etiam fidibus vices crevere severis,
Et tulit insolitum eloquium facundia præceps,
Utiliumque sagax rerum & divina futuri
Sortilegis non discrepuit sententia Delphis.
|| [0161.01]
Die übereilten Gebehrden dieser Schauspieler mußten freylich denjenigen als convulsivische Bewegungen vorkommen, die an eine einfache und langsame Recitation gewöhnt waren. Eben so würden Zuschauer, die nichts anders als englische Komödien hätten spielen sehen, das Spiel Italiänischer Komödianten für die Declamation unsinniger Leute halten. Die neue Art zu recitiren wird den Römern also Anfangs sehr ausserordentlich geschienen haben; doch werden sie sich auch bald daran gewöhnt haben, weil man sich sehr leicht an solche Neuigkeiten gewöhnt, welche mehr Thätigkeit und mehr Leben in die theatralischen Vorstellungen bringen. Man kann sogar mit gutem Grunde glauben, daß die erste Ursache, warum die theatralische Declamation zu den Zeiten des Cicero verändert worden, diese gewesen, weil die Römer, die seit hundert Jahren mit den Griechen viel umgegangen waren, und bey ihnen die Künste und Wissenschaften studirten, ihre ganze Art auszusprechen damals veränderten, und das Theater also weiter nichts that, als daß es der Welt folgte und sich nach seinem Muster bequemte. Cicero sagt es uns selbst, daß die Aussprache der Römer zu seiner Zeit von der Aussprache ihrer Vorfahren sehr unterschieden gewesen. Sie war mit Accenten und mit Abänderungen der Stimme überhäuft worden, die man von der
|| [0162.01]
Aussprache der Fremden nachgeahmet hatte. Und dieses eben nennt Cicero eine neue von auswerts eingeführte Mode. Peregrinam insolentiam. Urtheile, läßt dieser Schriftsteller den Crassus sagen, von der alten Aussprache nach der Art, mit welcher noch jetzt einige Frauenzimmer aussprechen. Da das Frauenzimmer weniger unter die Leute kömmt, als die Mannspersonen, so verändern sie auch weniger ihre Aussprache, die sie in der Jugend erlernt haben. Wenn ich meine Schwiegermutter Lälia, fährt Crassus fort, reden höre, so kömmt es mir vor, als ob ich die Stücken des Plautus und Nävius recitiren hörte, denn ihre Aussprache ist ganz einfach, ohne Nachdruck und ohne die Accente und Veränderungen der Stimme, die wir aus andern Sprachen hinüber genommen haben. Kann ich nicht mit Recht glauben, daß der Vater der Lälia eben so gesprochen habe, als sie spricht? (*) Equidem cum audio socrum meam Læliam, facilius enim mulieres incorruptam antiquitatem conservant, quod multorum sermonis expertes tenent semper quæ prima didicerunt, sed eam sie audio ut Plautum mihi ac Nævium videar audire, sono ipso vocis ita recto & simplici, ut nihil ostentationis aut imitationis afferre videatur, ex quo sic locutum ejus patrem judico. Wir haben diese Stelle schon angeführt, um zu zeigen, daß die Declamation 119
|| [0163.01]
der theatralischen Stücke kein eigentlich so genannter Gesang gewesen sey, weil sie der gewöhnlichen Art zu reden so gar sehr beygekommen. Die Völker können ihre Aussprache verändern, eben so wohl als sie ihre Sprache verändern können. Unter der Regierung Heinrichs des IV. schlich sich an dem französischen Hofe der Gasconische Ton und Accent ein. Allein diese Mode hörte mit der Regirung dieses Königs auf, welcher die Gasconier liebte und sie vorzüglich vor allen seinen Unterthanen beförderte, weil er in ihrer Provinz war gebohren und erzogen worden. Nothwendig müssen diejenigen Personen, welche eine Sprache reden, deren Aussprache geschwinder und accentuirter geworden ist, auch geschwindere und häuffigere Gebehrden machen. Dieses folgt aus der Organisation des menschlichen Körpers. Gestus cum ipsa orationis celeritate crebescit , sagt Quintilian. (*) Und in der That setzt auch dieser Schriftsteller, nachdem er die Regeln des Cicero wegen der Gebehrden des Redners gelobt, hinzu: wir sind heut zu Tage an lebhaftere Gebehrden gewöhnt. Wir fordern daher auch von dem Redner diese heftigere Action. Sed jam recepta est actio paulo agitatior, etiam & exigitur. Der jüngere Plinius, welcher des Quintilianus Schüler gewesen war, schreibt an einen seiner Freunde, daß er sich ihm dasjenige, was 120
|| [0164.01]
die Redner, die er eben gehört habe, gesprochen und mit was für einer weibischen Verzärtlung der Stimme sie es gesprochen, zu erzehlen schäme. (*) Pudet referre quæ & quam fracta pronuntiatione dicantur. Eine Declamation, die man gar zu ausdrückend machen will, muß nothwendig in die zwey entgegengesetzten Fehler fallen. Manchmal wird sie allzuhochtrabend und mit ausschweiffenden Abänderungen der Stimme allzuangefüllt seyn: und manchmal wird die Recitation in das gar zu Kraftlose fallen. Daher wirft auch Plinius der Declamation, die er tadelt, vor, daß sie nicht selten in ein Geschrey ausarte; Immodicum insolitumque clamorem. Eben dieser Schriftsteller führt noch an, daß Domitius Afer, ein in der römischen Geschichte berühmter Redner, der sich ohngefehr dreyßig Jahr nach dem Tode des Cicero zu erst vor Gerichte hören ließ, die neue Art zu declamiren den Verlust der Beredsamkeit genannt habe. Artificium hoc periit , sagte er, nachdem er einige junge Leute ihre Reden hatte halten hören. Allein die Critik des Afer war vielleicht ein übertriebner Tadel. Wenigstens ist so viel gewiß, daß dieser Redner in einem Geschmacke declamirte, der demjenigen, welchen er hier tadelt, ganz entgegengesetzt war, indem er alles sehr ernsthaft und langsam aussprach. Cum apud Centumviros diceret graviter & lente, 121
|| [0165.01]
hoc enim illi actionis genus erat , sagt Plinius, indem er von dem Afer spricht. Meine Absicht ist auch gar nicht, durch Anführung dieser Stellen zu beweisen, daß die Römer unrecht gethan, indem sie ihre Art zu declamiren geändert; sondern ich will nur zeigen, daß sie sie wirklich verändert, und zwar zu den Zeiten des Cicero zu verändern angefangen haben. Freylich wird man, allem Ansehen nach, die Sachen übertrieben haben, weil der Mittelweg immer am schwersten zu halten ist, und weil ohne Zweifel die Componisten der Declamation, die Instrumentisten und die Schauspieler sich um die Wette werden bestrebt haben, einer den andern in Ansehung des Ausdrucks zu übertreffen. Dieses ist das gewöhnliche Schicksal aller Neuigkeiten, an welchen das Publicum Geschmack findet. Nur wenige Künstler bleiben innerhalb den Schranken, welche die Vernunft vorschreibt; die meisten übertreten sie, und verfallen in Ausschweiffungen. Das Schicksal, welches die Musik in Frankreich seit achtzig Jahren gehabt hat, ist dem Schicksale sehr ähnlich, welches die Declamation zu den Zeiten des Cicero hatte. Vor hundert und zwanzig Jahren waren die Gesänge, die in Frankreich componirt wurden, überhaupt zu reden weiter nichts, als eine Folge von langen Noten und das, was die Tonkünstler manchmal du gros fa nennten. Das Tempo bey der
|| [0166.01]
Ausführung war sehr langsam. Die Sänger und Instrumentisten waren es gar nicht einmal fähig, eine schwerere Musik aufzuführen. Man dachte gar noch nicht einmal daran, andre Musiken zu componiren. Vielleicht hatte man in den vorhergehenden Zeilen mehr davon verstanden; allein man war davon abgekommen. Es haben mich alle, die unsre Musik und die Geschichte unsrer Musik am besten verstehen, und die ich vorher allezeit um Rath gefragt, ehe ich etwas niedergeschrieben, versichert, daß vor hundert und zwanzig Jahren unsre Musik in der Verfassung gewesen sey, wie ich sie jetzt angegeben habe. Die Nothwendigkeit hatte noch nicht einmal, sie Taktmäßig aufzuschreiben, gelehrt. Wie sehr hat sich der Geschmack seit dem verändert! Die Fortschreitung in unserm Gesange ist so eilig geworden, daß sie nicht selten ohne Anmuth und Ausdruck ist. Diese Veränderung hat noch zu einer viel grössern Veränderung in unsern Tänzen und besonders in unsern theatralischen Tänzen Anlaß gegeben. Vor achtzig Jahren war das Tempo in allen unsern Stücken für die Ballets ein sehr langsames Tempo, und ihr Gesang, wenn ich mich dieses Ausdrucks hier bedienen darf, hielt auch in seiner größten Munterkeit, noch immer einen gesetzten Schritt. Man führte diese Tanzstücke mit Lauten, Theorben und Violinen aus, wozu man noch einige
|| [0167.01]
Violons fügte, und Schritte und Figuren der auf solche Stücke componirten Ballets waren langsam und einfach. Die Tänzer konnten in ihren Betragen alle mögliche Anständigkeit beobachten, weil die Ballets, die sie auszuführen hatten, wenig von dem ordentlichen Bodentänzen unterschieden waren. Kaum aber hatte der kleine Moliere an zwey oder drey Stücken gewiesen, daß man etwas bessers machen könne, als Lulli erschien, und für die Ballets Stücke zu componiren anfing, die man geschwinde Stücke nennt. Weil nun die Tänzer, welche die auf solche Stücke verfertigten Ballets ausführen mußten, genöthiget waren, sich viel geschwinder und lebhafter zu bewegen, als sich noch keine Tänzer vorher bewegt hatten; so behaupteten nicht wenig Leute, daß man den guten Geschmack im Tanzen zu verderben suche und nichts als Gauckelspiele einführen wolle. Die Tänzer selbst konnten sich nicht anders als mit vieler Mühe in diese neue Melodien schicken, und oft mußte Lulli selbst die Entreen verfertigen, die er nach den Stücken, wovon ich rede, wollte tanzen lassen. Er mußte zum Exempel die Schritte und Figuren in der Chaconne des Cadmus verfertigen, weil Beauchamps, welcher damals seine Ballets machte, sich nicht recht in den Charakter dieses Stücks schicken konnte.
|| [0168.01]
Die glückliche Aufnahme, welche die geschwinden Tanzstücke erhielten, brachte den Lulli auf den Einfall, noch andre zu componiren, welche zugleich geschwind und charakterisirt waren. Man nennt charakterisirte Tanzstücke gemeiniglich solche, deren Gesang und Rythmus den Geschmack einer besondern Musik nachahmen, und von der man sich einbildet, daß sie gewissen Völkern, oder wohl gar gewissen fabelhaften Personen aus dem Alterthume, eigen gewesen, die vielleicht niemals existirten. Die Einbildungskraft erfindet sich also diesen Gesang und diese Musik nach dem, was sie von dem Charakter derjenigen Personen gehört hat, welchen der Tonkünstler diese seine Tanzstücke leihen will. Und aus der Uebereinstimmung der Stücke mit diesem Begriffe, welcher für sich zwar unbestimmt, aber dennoch ohngefehr bey allen Menschen eben derselbe ist, beurtheilet man ihre Schicklichkeit; denn auch diese eingebildete Musik hat, wie wir schon gesagt haben, ihre Wahrscheinlichkeiten. Ob wir gleich niemals die Musik des Pluto gehört haben, so glauben wir dennoch eine Art von Wahrscheinlichkeit in den Violinstücken zu finden, nach welchen Lulli das Gefolge des Höllengottes in dem vierten Aufzuge der Oper Alceste tanzen läßt, weil diese Stücke ein ruhiges und ernstes Vergnügen, oder wie Lulli selbst sagt, eine verhüllte Freude verrathen. Die charakterisirten Stücke sind auch wirklich, in Ansehung
|| [0169.01]
der Hirngespenster, die sich unsre Einbildungskraft erschaffen hat, aller Arten des Ausdrucks eben so wohl fähig, als andre Stücke. Sie drücken zwar eben das aus, was die andern ausdrücken, allein sie drücken es in einem besondern und der Wahrscheinlichkeit gemässen Geschmacke aus, die wir uns erdacht haben. Weil die Balletmeister, deren sich Lulli bediente, nicht eben so geschwind vollkommen würden als er; so sah er sich noch oft genöthiget, die Ballets auf charakterisirte Stücke selbst zu machen. Ein halb Jahr vor seinem Tode machte er noch selbst das Ballet auf das Stück, nach welchem er die Cyclopen in dem Gefolge des Poliphämus (*) wollte tanzen lassen. Allein nach der Zeit haben sich die Tänzer so sehr verbessert, daß sie noch weiter gegangen als die Tonkünstler selbst, und diesen oft Anlaß zu Melodien von einem ganz neuen Charakter gegeben haben, so wie sie sich zu den Ballets schickten, welche die Tänzer selbst erfunden hatten. Durch diese Nacheifrung haben die Ballets und die Melodien eine Mannichfaltigkeit und Zierlichkeit bekommen, die sie vordem nicht hatten. Vor ungefehr sechzig Jahren tanzten die Faune, die Schäfer, die Bauern, die Cyclopen und die Tritone fast auf einerley Art. Jetziger Zeit aber sind die Tänze in verschiedne Charaktere eingetheilt. Wenn ich mich nicht 122
|| [0170.01]
irre, so zählen die Kunstverwandte derselben bis sechzehn, deren jeder auf der Bühne seine eigenthümlichen Schritte, Stellungen und Figuren hat. Die Weibspersonen selbst haben sich nach und nach mit diesen Charakteren abgegeben, und sie drücken sie in ihren Tänzen eben so wohl aus, als die Mannspersonen. Ich will nicht in Abrede seyn, daß man nicht manchmal unsere Musik und unsern Tanz, eben dadurch, weil man sie allzusehr bereichern und allzuausdrückend machen wollen, sollte verdorben haben. Allein dieses ist das unvermeidliche Schiksal aller Künste, wenn sie einer gewissen Vollkommenheit zueilen. Es finden sich immer Künstler, welche die Grenzen überschreiten, und ihre Werke verunstalten, weil sie ihnen allzuviel Zierlichkeit geben wollen. Diejenigen welche für den alten Geschmack sind, führen zu ihrer Rechtfertigung gemeiniglich die Ausschweifungen an, in welche die Künstler fallen, die alles was sie machen übertreiben, und wollen daher beweisen, daß der neue Geschmack verwerflich sey. Allein das Publicum, welches die Mängel der Kunst und die Fehler des Künstlers zu unterscheiden weis, hält neue Erfindungen deßwegen nicht für schlecht, weil sie hier und da gemißbraucht werden. Und daher hat es sich auch an die neue Art auf dem Theater zu tanzen so wohl gewöhnt, daß es numehr den Geschmack im Tanzen, welcher vor sechzig Jahren herrschte, für sehr elend
|| [0171.01]
halten würde. Diejenigen, welche unsre theatralischen Tänze stuffenweise zu ihrer jetzigen Vollkommenheit haben gelangen sehen, sind nicht so sehr darüber erstaunt, als die Fremden, welche seit langer Zeit in Frankreich nicht gewesen sind, und daher diese Verbesserung nicht anders als für eine schleunige Veränderung halten können. Nach dieser Ausschweifung, welche eine wichtige Stelle des Horaz ganz handgreiflich zu erklären scheinet, wollen wir auf die theatralische Declamation der Alten wieder zurück kommen. Das, was ich von der Art, wie sie ausgeführt wurde, sagen werde, wäre allein hinlänglich gewesen, mein ganzes Vorgeben zu beweisen.

Eilfter Abschnitt. Die Römer theilten oft die thea tralische Declamation zwischen zwey Schauspieler, deren einer recitirte, indem der andre die Gebehrden machte.

Oft ward die Declamation verschiedner Scenen in dramatischen Stücken zwischen Schauspieler getheilt. Der eine mußte recitiren, und der andre mußte die Gebehrden machen. Wie hätten aber diese zwey Schauspieler mit einander übereintreffen können, wir hätten beyde mit dem Accompagnement einerley Fall beobachten können, wenn die Declamation nicht ab
|| [0172.01]
geredet gewesen wäre, so daß jeder genau gewußt, was sein Gefehrte zu thun habe, und in wie viel Zeit er es thun müsse? War dieses aber wohl ohne etwas geschriebnes möglich? Wir wollen zu den Beweisen schreiten. Nachdem Titus Livius die Geschichte der ersten theatralischen Vorstellungen zu Rom beschrieben; nachdem, er von den ersten Progressen in diesen Vorstellungen dasjenige gesagt, was wir im vorhergehenden Abschnitte angeführt haben: so erzehlt er, zur Fortsetzung der Geschichte der römischen Bühne, diejenige Begebenheit, welche zur Theilung der Declamation Anlaß gegeben, und sagt sogar die Gründe, warum dieser Gebrauch, als der beste beybehalten worden. Livius Andronicus, ein berühmter Dichter, welcher ohngefehr fünfhundert und vierzehn Jahr nach Erbauung der Stadt, und ohngefehr hundert und zwanzig Jahr nach Eröffnung der Bühnen, zu Rom lebte, spielte in einem von seinen Stücken selbst mit. Es war damals Mode, daß die dramatischen Dichter selbst mit auf die Bühne traten und eine Person in ihren Spielen vorstellten. Das Volk, welches sich die Freyheit herausnahm, die es sich noch jetzt in Frankreich und Italien nimt, indem es sich diejenigen Stellen, die ihm gefallen, wiederholen läßt, das Volk, sage ich, schrie so oft bis, und ließ den armen Andronicus zu so oft wiederholten malen recitiren, daß er ganz hei
|| [0173.01]
scher ward. Da er also nicht mehr declamiren konnte, so ließ es sich das Volk gefallen, daß er einen Sklaven vor den Instrumentisten stellen durfte, welcher die Verse recitiren mußte, und unterdessen machte Andronicus eben dieselben Gebehrden, die er, als er selbst recitirte, gemacht hatte. Nunmehr merkte man, daß seine Action viel lebhafter sey, weil er alle seine Kräfte auf die Gebehrden allein wenden konnte, und die Mühe zu recitiren einem andern oblag. Man kam also, fährt Livius fort, auf den Einfall, die Declamation zwischen zwey Schauspieler zu theilen, und, so zu reden, nach dem Takte der Gebehrden recitiren zu lassen. Dieser Gebrauch ist auch so durchgängig angenommen worden, daß die Schauspieler nun weiter nichts als die dialogischen Zeilen selbst recitiren. (*) Livius — — idem seilicet, quod omnes tunc erant, suorum carminum actor, cum sæpius revocatus vocem obtudisset, venia petita puerum ad canendum ante tibicinem cum statuisset, canticum egisse aliquanto magis vigenti motu, quia nihil vocis usus impediebat. Inde ad manum cantari histrionibus cæptum, diverbiaque tantum ipsorum voci relicta. Ich werde hoffentlich nicht erst sagen dürfen wie wichtig das Zeugniß des Livius in dieser Sache sey, und wie wenig ihm alle nur mögliche Vernünfteleyen anhaben können. Jedermann muß mir diese Wahrheit zugestehen. 123
|| [0174.01]
Die angeführte Stelle braucht weiter keine Auslegung, als eine auvthentische Erklärung der Worte Canticum und Diverbium. Wir finden sie bey dem Diomedes. Nachdem dieser alte Sprachlehrer gesagt, daß die theatralischen Stücke aus Chören, aus Dialogen und Monologen bestünden; so setzt er hinzu: die Dialogen sind diejenigen Stellen eines Stücks, wo verschiedne Personen mit einander reden. Die Cantica oder Monologen sind diejenigen Stellen, wo nur ein Schauspieler ganz allein redet, oder wenn ja eine zweyte Person noch auf der Bühne ist, diese zweyte Person dennach mit der ersten nicht im Gespräche ist, und das, was sie zu sagen hat, nur bey Seite sagt. (*) Membra Comœdiarum tria sunt, Diverbium, Canticum & Chorus. Diverbia sunt partes Comœdiarum in quibus diversorum personæ versantur. In Canticis autem una tantum debet esse persona, aut si duæ fuerint, ita debent esse, ut ex occulto una audiat & eloquatur, sed secum, si opus fuerit, verba faciat. Man muß bedenken, daß diese Stellen eines dramatischen Stücks, welche die Alten Cantica nennten, gemeiniglich die aller affectreichsten sind, weil die Person in völliger Freyheit zu seyn glaubet, und daher ihren geheimsten und ungestümmsten Empfindungen, die sie in den andern Scenen zurückhalten oder verstecken mußte, den Ausbruch läßt. 124
|| [0175.01]
Von dem Gesange oder der harmonischen Declamation dieser Canticorum, kann man sich einiger massen aus dem einen Begriff machen, was Quintilian davon sagt, ob er gleich nur im Vorbeygehen davon redet. Indem er über eine gewisse Stelle aus der Rede des Cicero für den Milo, seine Betrachtungen macht, die in der Aussprache nicht anders als sehr emphatisch seyn müsse, so sagt er, daß sie etwas vom Cantico an sich habe. Man sieht wohl, setzt Quintilian hinzu, daß man sie unmöglich recitiren könne, ohne den Kopf ein wenig zurück zu werffen, welches natürlicher weise von selbst geschieht, wenn man etwas mit Nachdruck vortragen will. Die Stimme findet einen freyern Ausgang, wenn man den Kopf in dieser Stellung hält. (*) Pleniore tamen hæc canali fluunt: Vos Albani tumuli atque luci &c. nam Cantici quiddam habent, sensimque resupina sunt. Auch sagt Quintilian an einem andern Orte, welchen wir schon angeführt haben, um zu erweisen, daß die Declamation kein eigentlich so genannter Gesang gewesen sey, daß zwar ein Knabe, welchen man Poeten lesen läßt, sie anders lesen müsse, als Prosa, allein er muß seine Stimme doch nicht so sehr abändern, als ob er ein Canticum auf dem Theater recitire. (**) Sit autem lectio virilis & cum suavitate quadam gravis, non quidem 125 126
|| [0176.01]
prosæ similis, quia carmen est & Poetæ canere se testantur: non tamen in Canticum dissoluta. Da Livius weiter nichts thut, als daß er den Ursprung des zu seiner Zeit üblichen Gebrauchs erzehlt, so würde ich mir es gewiß nicht in den Sinn kommen lassen, seine Erzehlung durch das Zeugniß andrer Schriftsteller zu bekräftigen, wenn die Sache, die er uns meldet, nicht gar zu sonderbar scheinen möchte. Da sie aber nur allzuvielen nicht anders, als sehr seltsam vorkommen kann; so wird es nicht undienlich seyn, noch einige andre Stellen aus den Alten anzuführen, welche eben das sagen, was Livius gesagt hat. Valerius Maximus, welcher unter dem Tiberius schrieb, erzehlt die Begebenheit des Andronicus fast mit eben denselben Ausdrücken als Livius. Andronicus, sagt er, spielte in einer von seinen Tragödien, und ward von den Zuschauern genöthiget, eine gewisse Stelle so oft zu wiederhohlen, daß er ganz heischer ward, und die Verse von einem seiner Sklaven, unter dem Accompagnement eines Instrumentisten, recitiren lassen mußte, mittlerweile er selbst die Gebehrden machte. (*) Is sui operis actor, cum sepius a populi revocatus vocem obtudisset, adhibito pueri & tibicinis concentu gesticulationem tacitus peregit. 127
|| [0177.01]
Lucianus (*) in dem Werke, welches er von der Tanzkunst, so wie sie bey den Alten war, geschrieben hat, sagt bey Gelegenheit der tragischen Personen, daß man sie von Zeit zu Zeit einige tragische Verse aussprechen höre, und daß sie, bey Aussprechung derselben, auf weiter nichts dächten, als die Töne wohl herauszubringen, indem die Künstler und die Dichter, welche die Stücke auf das Theater gebracht, für das Uebrige schon gesorgt hätten. Einige Zeilen darauf fügt er hinzu: vor diesem machte eben derselbe Schauspieler, welcher recitirte, auch die Gebehrden; weil aber die Action das freye Athemhohlen verhinderte und der Aussprache folglich schadet, so hat man denjenigen, welche die Gebehrden machen, Sänger zugegeben, welche für sie recitiren. Aulus Gellius, ein Zeitverwandter des Lucians, sagt, die Sänger, welche zu seiner Zeit, ohne sich zu bewegen, recitirten, hätten auf dem alten Theater beydes gethan, Gebehrden gemacht und recitirt. (**) Saltabundi autem canebant, quæ nunc stantes canunt. Alle diese Nachrichten werden auch noch von dem Zeugnisse des Donatus unterstützt, welcher ausdrücklich von dem Theater geschrieben hat. Die Schauspieler, sagt er, wenn er von den Ko 128 129
|| [0178.01]
mödien des Terenz redet, recitirten das Dialogische selbst, die Cantica aber hatte, nicht der Dichter, sondern ein geschickter Tonkünstler in Noten gesetzt. (*) Diverbia histriones pronunciabant. Cantica vero temperabantur modis non a Poeta sed a perito artis Musices factis. Endlich gedenkt auch Isidorus Hispalensis, welcher wenigstens Leute konnte gekannt haben, die auf den alten römischen Bühnen Vorstellungen mit angesehen hatten, dieser unter zwey Schauspieler vertheilten Declamation. Er redet von einem gewissen Orte der Bühne, und sagt, daß sich eben auf diesen Ort die Dichter und die Sänger der Tragödien und Komödien gestellet, wenn sie ihre Rollen recitiret, zu welchen die übrigen Schauspieler die Gebehrden gemacht. Man sieht nehmlich aus der Geschichte des Livius Andronicus, welche Titus Livius erzehlt, und aus verschiednen andren Stellen der Alten, daß die Dichter in ihren Stücken oft selbst gesungen, d. i. daß sie selbst diejenigen Stellen recitirt, welche die Gebehrdenmacher nicht recitirten. (**) Ibi enim Poetæ, Comœdi & Tragœdi ad certamen conscendebant, iisque canentibus, alii gestus edebant. Vier Verse einer Sinnschrift der lateinischen Anthologie beschreiben einen Schauspieler sehr wohl, 130 131
|| [0179.01]
welcher zu dem, was andre Schauspieler recitiren, nachdem der Chorus zu reden aufgehöret, schickliche Gebehrden macht.
Ingressus scenam populum saltator adorat
Solerti spondens prodere verba manu.
Nam cum grata chorus diffudit cantica, dulcis
Quæ resonat cantor motibus ipse probat. Wir wollen uns weiter unten erklären, warum wir Saltator durch Schauspieler übersetzen. Es wird nöthig seyn, den Leser hier an drey Dinge zu erinnern. Erstlich daran, daß die Bühnen der Alten weit größer als unsre Bühnen waren, und daß sie weit weniger erleuchtet waren. Das Tageslicht, wie ich bald sagen werde, welches die alte Bühne erleuchten mußte, konnte sie nicht so helle machen, als es unsre theatralische Erleuchtungen thun können. Die Alten sahen also ihre Schauspieler nicht so in der Nähe, und folglich auch nicht so deutlich, als wir unsre sehen. Zweytens daran; daß die alten Schauspieler in Masken spielten, und man also an den Bewegungen des Mundes und der Gesichtsmuskeln nicht sehen konnte, ob sie redeten, oder ob sie nicht redeten. Folglich konnte der Zuschauer das Lächerliche auch nicht gewahr werden, welches man an zwey Personen zu finden glaubt, davon eine Gebehrden macht, ohne zu reden, und die andre in einem pathetischen
|| [0180.01]
Tone redet, ohne die Hände, die sie kreutzweis übereinander gelegt hat, im geringsten zu bewegen. Drittens daran, daß die Masken, deren sich die Schauspieler damals bedienten, die Stimme, wie wir weiter unten erklären werden, verstärken helffen, und also nothwendig den Klang derselben so verändern mußten, daß man schwerlich unterscheiden konnte, ob zum Exempel Micion in den Canticis eben dieselbe Stimme habe, die er in den Gesprächen gehabt hatte. Allem Ansehen nach, wird man wohl auch einen Sänger gewählt haben, dessen Stimme, so viel möglich, der Stimme des Schauspielers gleichgekommen, so daß es fast unmöglich gewesen, diese zwey Stimmen, die beyde durch die Maske gegangen, von einander zu unterscheiden. Dieser Sänger stellte sich auf eine Art von Gerüste, (*) welches gegen den tiefen Theil der Scene zuging.

Zwölfter Abschnitt. Von den Masken der alten Schauspieler.

Es wird hier nicht undienlich seyn, eine Ausschweifung über die Masken zu machen, womit sich die griechischen und römischen Komödianten, wenn sie spielten, den Kopf bedeckten. Sie wird dasjenige, was ich 132
|| [0181.01]
noch von der zwischen dem Gebehrdenmacher und Sänger vertheilten Declamation zu sagen habe, besser verstehen helffen. Aeschylus hatte diesen Gebrauch in Griechenland eingeführt. Diomedes (*) sagt uns wohl, daß Rosius Gallus zuerst eine Maske auf das römische Theater gebracht habe, um den Fehler seiner schielenden Augen zu verbergen, allein er sagt uns nicht, wenn dieser Rosius gelebt habe. Personis vero uti primus cœpit Rosius Gallus præcipuus histrio, quod oculis obversis erat, nec satis decorus in personis, nisi parasitos pronuntiabat. Dieser Gebrauch hat sich zum Theil auch sogar auf den neuern Bühnen erhalten. Verschiedne Personen der italiänischen Komödie haben Masken vor. Und ob wir gleich niemals allen unsern Schauspielern Masken gegeben haben, welches die Alten thaten, so ist es doch noch nicht lange her, als man sich ihrer sehr öfters auf dem französischen Theater bey Vorstellung der Komödien bediente. Man bediente sich ihrer auch sogar dann und wann bey Vorstellungen der Tragödien; und ob sie gleich nunmehr aus diesen gänzlich verwiesen sind, so sind sie es doch nicht aus jenen. Bey den Alten spielten alle Schauspieler in Masken, und jede Gattung der dramatischen Dichtkunst hatte ihre besondre Masken. In dem Buche des Lucians, welches περι Γυμνασιων 133
|| [0182.01]
überschrieben und als ein Gespräch zwischen dem Solon und den Seythen Anacharsis abgefaßt ist, sagt dieser letztere zum Solon, welcher von dem Nutzen der Tragödien und Komödien mit ihm gesprochen hatte: Ich habe dergleichen an den Festen des Bacchus spielen sehen. In der Tragödie gehen die Schauspieler auf einer Art von Stelzen einher, und haben Masken vor, die ein ausserordentlich grosses Maul aufsperren, aus welchen hochtrabende Worte und lehrreiche Sprüche nicht ohne Geräusch herausfahren. In der Komödie schreyen die Schauspieler, welche nicht anders als gewöhnlich beschuhet und gekleidet sind, nicht so sehr, allein ihre Masken sind noch lächerlicher, als jener ihre. Vermittelst dieser Masken konnte der Schauspieler auch in der That dem Charakter, den er vorstellen sollte, so ähnlich aussehen, als er nur wollte. Die alten Schauspieler, die tragischen sowohl als die komischen, hatten derselbe sehr viele und verschiedene. (*) Major in personis observatio est apud Comicos Tragicosque, multis enim utuntur & variis. Diejenigen, die sich damals mit dem Theater abgaben, glaubten daß einer Person von einem gewissen Charakter eine gewisse Gesichtsbildung so wesentlich zukomme, daß sie eine vollständige Kenntniß von dem Charakter dieser Person nicht anders ertheilen zu 134
|| [0183.01]
können vermeinten, als wenn sie eine Abschilderung der dazu erforderlichen Maske beyfügten. Sie fügten also, nach der Beschreibung einer jeden Person, so wie man sie den dramatischen Stücken, unter der Aufschrift Dramatis personæ, vorzusetzen gewohnt ist, auch eine Abschildrung dieser Masken bey; und diese Nachricht schien ihnen sehr nothwendig. Diese Masken stellten auch in der That nicht bloß die Gesichter vor, sondern den ganzen Kopf, ob er schmal oder breit, ob er kahl oder mit Haaren bedeckt, ob er rund oder spitzig seyn sollte. Herr Perrault glaubte zwar das Gegentheil hiervon; allein er irrte sich. Es kann niemanden die Fabel des Phädrus (*) unbekannt seyn, in welcher ein Fuchs, nachdem er eine tragische Maske sorgfältig betrachtet, ausruft: welcher vortreflichen Gesichtsbildung kann es gleichwohl an Gehirn fehlen?
Quanta species, inquit, cerebrum non habet? Die Anmerkung, welche Herr Perrault hierüber macht ist diese. (**) Aesopus läßt einen Affen bey einem Bildhauer einen Kopf finden, und legt ihm die Worte in den Mund: ein schöner Kopf; nur Schade, daß er kein Gehirn hat! So wie es Aesopus erzehlt ist es recht gut; 135 136
|| [0184.01]
weil der Kopf dazu gemacht ist, daß er Gehirn haben soll; allein eben dieses von einer Maske oder Larve zu sagen, welche keines haben soll, und der man aus dem Mangel desselben auch keinen Vorwurf machen kann, ist ziemlich unwitzig. Was muß man für einen Geschmack haben, wenn man eine Fabel so verhunzen will? Allein die Maske, von welcher Phädrus redet, war mit dem Kopfe des Aesopus in einerley Falle. Diese Masken bedeckten den ganzen Kopf des Schauspielers, und sie schienen allerdings dazu gemacht zu seyn, Gehirn zu haben., Sich hiervon zu überzeugen darf man nur die alte Handschrift des Terenz, welche sich in der königl. Bibliothek befindet, oder auch den Terenz dern Fr. Dacier aufschlagen. Die Masken waren also dazu gut, daß man keinen Schauspieler mit einem verfallenen alten Gesichte, die Person eines verliebten und geliebten Jünglings durfte spielen sehen. Hyppolit, Herkules und Nestor erschienen also niemals anders auf der Bühne als mit einen Kopfe, der sich zu ihrem bekannten Charakter schickte. Das Gesichte, mit welchem der Schauspieler erschien, kam allezeit mit seiner Rolle überein, und man sahe niemals einen Komödianten die Rolle eines ehrlichen Mannes mit der Gesichtsbildung eines vollkommenen Betriegers spielen. Die Componisten der Declamation, sagt Quintilian,
|| [0185.01]
wenn sie ein Stück auf das Theater bringen, wissen sogar aus den Masken das pathetische zu ziehen. In der Tragödie erscheint Niobe mit einem traurigen Gesichte, und Medea verkündiget uns gleich durch ihre wilde Gesichtsbildung ihren Charakter. Stärke und Stolz sind auf der Maske des Herkules gemahlt. Die Maske des Ajax ist das Gesicht eines ausser sich selbst gesetzten Menschen. Auch in der Komödie haben die Masken der Bedienten, der Sklavenhändler, der Schmarutzer, der Soldaten, der alten Weiber, der Buhlschwestern, der Person von groben Sitten, alle ihren besondern und eignen Charakter. Man kann aus der Maske den strengen Alten von dem nachsehenden Alten unterscheiden, gesetzte und weise Jünglinge von ausschweiffenden und lüderlichen; ein junges Mädchen von einer ehrwürdigen Matrone. Wenn der Vater, auf dessen Zufriedenheit es besonders in der Komödie ankömmt, manchmal vergnügt und manchmal verdrießlich seyn soll, so ist eine von den Augenbraunen auf seiner Maske gerunzelt, und die andre ist glatt, da er denn alle Aufmerksamkeit anwendet, den Zuschauern diejenige Seite seiner Maske zu zeigen, die sich zu seiner gegenwärtigen Stellung schickt. Auf diese Weise erklärt Herr Boindin (*) die letzten Zeilen in der Stelle des Quin 137
|| [0186.01]
tilians, indem er nehmlich annimt, daß der Schauspieler, welcher diese Maske getragen, sich bald auf diese, bald auf eine andre Seite gewendet, um allezeit nur diejenige Seite des Gesichts zu zeigen, welche mit den Umständen, in welchen er sich befand, überein kam; und dieses zwar in denjenigen Scenen, in welchen er seine Gemüthsverfassung verändern mußte, ohne daß er abgehen und hinter dem Theater seine Maske umtauschen konnte. Wenn zum Exempel dieser Vater vergnügt auf die Scene kam, so zeigte er gleich Anfangs diejenige Seite seiner Maske, auf welcher die glatte Augenbraune war; wenn er aber seine Gemüthsverfassung änderte, so wußte er auf dem Theater eine so geschickte und ungezwungene Wendung zu machen, daß die Zuschauer die andre Seite, mit der gerunzelten Augenbraune zu sehen bekamen, indem er nur immer den halben Theil des Gesichts gegen die Zuschauer wandte. Die römischen Komödianten wendeten auf diesen Theil des Spiel eine ganz besondre Aufmerksamkeit. (*) Itaque in iis quæ ad scenam componuntur fabulis, artifices pronuntiandi a personis quoque affectus mutuantur, ut sit Niobe in tragœdia tristis, atrox Medea, attonitus Ajax, truculentus Hercules. In Comœdiis vero præter aliam observationem qua servi, lenones, parasiti, rustici, milites, vetulæ, meretriculæ, ancillæ, senes 138
|| [0187.01]
austeri ac mites, juvenes severi ac luxuriosi, matronæ, puellæ inter se discernuntur; pater ille cujus præcipue partes sunt, quia interim concitatus, interim lenis est, altero erecto, altero composito est supercilio. Atque id ostendere maxime Latinis Actoribus moris est, quod cum iis quas agunt partibus congruat. Pollux sagt in seinem unten (*) anzuführenden Werke etwas, das mir die sinnreiche und vernünftige Muthmassung, die ich eben jetzt angeführt habe, bestätigen zu können, scheinet. Indem er nehmlich von den Masken der Charaktere redet, sagt er, daß derjenige Alte, welcher in der Komödie die erste Rolle spiele, von einer Seite verdrießlich und von der andern heiuter seyn müsse. Desgleichen sagt er auch, wenn er von den charakterisirten Masken der Tragödie spricht, daß die Maske des Thamiris, dieses berüchtigten Wagehalses, welchem die Musen das Gesicht nahmen, weil er sie zum Wettstreite aufzufordern wagen durfte, zwey verschiedne Augen, ein blaues und ein schwarzes haben müsse. Besonders machten die Masken der Alten diejenigen vortrefflichen Stücke sehr wahrscheinlich, wo die Verwicklung aus der Irrung entsteht, nach welcher ein Theil der spielenden Personen, die eine Person für die andre nimt. Der Zuschauer, welcher sich selbst betrog, indem er zwey Schauspieler unterscheiden wollte, deren Mas 139
|| [0188.01]
ken einander so ähnlich waren, als man nur immer will, konnte sich leicht vorstellen, daß sich die spielenden Personen selbst betriegen müßten. Es machte ihm also keine Mühe, sich der Voraussetzung, auf welche die ganze Verwicklung des Stückes gegründet war, zu überlassen, anstatt daß diese Voraussetzung, unter uns so unwahrscheinlich ist, daß sie uns fast gar nicht in den Kopf will. In den zwey Stücken welche Moliere und Renard aus dem Plautus nachgea<hm>mht haben, (*) unterscheiden wir die Personen, welche zu der Verwirrung Anlaß geben, sehr genau als zwey unterschiedne Personen. Wie sollen wir uns nun einbilden können, daß sie von den übrigen spielenden Personen, welche sie doch noch näher sehen als wir, verwechselt würden? Wir haben es also bloß der Gewohnheit, uns allen auf dem Theater gebräuchlichen Voraussetzungen zu überlassen, zu danken, daß uns auch die Knoten des Amphitryo und der Menächmen nicht anstößig scheinen, und ich wollte es niemanden rathen eine ganz neue Komödie zu verfertigen, deren Verwiklung sich auf eine solche Verwirrung gründete. Die Masken hatten bey den Alten auch noch diese Bequemlichkeit, daß man von Mannspersonen diejenigen Rollen der Weibespersonen konnte spielen lassen, welche eine stärkre Lunge erfordern, als das Frauenzimmer gemeiniglich 140
|| [0189.01]
hat, um in einem so weitläuftigen Platze, als die römischen Theater sind, überall gehört und verstanden zu werden. Verschiedne Stellen der Alten, besonders der Zufall der sich mit einem Komödianten, NamensNames Polus, welcher die Elektra spielte ereignete, und den Aulus Gellius erzehlt, (*) beweisen auch in der That, daß die Alten die Rollen der Frauenzimmer oft Mannspersonen gegeben. Aulus Gellius erzehlt nehmlich, daß als dieser Polus auf dem Schauplatze zu Athen die Elektra, in dem Trauerspiele des Sophokles, gespielt, er mit einer Urne in der Hand auf die Bühne gekommen sey, in welcher wirklich die Asche eines seiner Kinder, welches er kürzlich eingebüßt hatte, verschlossen gewesen. Es geschah dieses an derjenigen Stelle des Stückes, wo Elektra mit einer Urne in der Hand auf dem Theater erscheinen muß, in welcher sie die Asche des Orestes, ihres Bruders, zu seyn glaubt. Weil nun Polus, als er die Urne anredete wirklich sehr gerührt war, so rührte er auch die ganze Versammlung ungemein sehr. Juvenal, indem er wider den Nero loszieht, sagt, (**) man müsse zu den Füssen der Bildsäulen dieses Kaysers die Masken, die Thyrsos, und den Rock der Antigone, als so viel 141 142
|| [0190.01]
Trophäen legen, welche das Andenken seiner grossen Thaten erhielten. Dieses setzt offenbar voraus, daß dieser Kayser die Rolle dieser Schwester des Eteocles und des Polynices in irgend einer Tragödie gespielt habe. Durch Hülfe dieser Masken konnte man auch alle fremde Nationen mit der ihnen eigenen Gesichtsbildung auf das Theater bringen. Die Maske des Batavers mit rothen Haaren, über welche ihr lacht, jagt den Kindern Furcht ein, sagt Martial.
— — Rufi persona Batavi
Quem tu derides, hæc timet ora puer. Diese Masken gaben sogar den Verliebten Gelegenheit ihren Gebietherinnen eine Galanterie zu erweisen. Sueton erzehlt uns, wenn Nero die Bühne betreten und einen Gott oder einen Held vorgestellt habe, so habe er eine Maske getragen, die nach seinem Gesichte gemacht gewesen; hätte er aber eine Göttin oder eine Heldin vorgestellt, so habe er eine Maske vorgehabt, die dem Frauenzimmer geglichen, das er damals gleich geliebt. Heroum Deorumque, item Heroidum personis effictis ad similitudinem oris sui, & fœminæ prout quamque diligeret. Julius Pollux, (*) welcher sein Werk für den Kayser Commodus verfertigte, versichert uns, daß in der alten griechischen Komödie, 143
|| [0191.01]
welche sich die Freyheit nahm lebende Bürger aufzuführen und durchzuhecheln, die Schauspieler Masken vorgehabt, welche den Personen, die sie in dem Stücke vorstellten, ähnlich gewesen wären. Socrates hat also auf dem Theater zu Athen einen Schauspieler mit einer ihm ähnlichen Maske sehen können, als ihn Aristophenes in der Komödie die Wolken, eine Rolle, unter seinem wahren Namen Socrates, spielen ließ. Eben dieser Pollux theilt uns, in dem oben angeführten Hauptstücke seines Buchs, eine sehr ausführliche Beschreibung von den verschiednen Charaktern der Masken mit, welche bey den Vorstellungen der Komödien und Tragödien gebraucht wurden. Andern Theils aber verlohren die Zuschauer durch diese Masken das Vergnügen die Leidenschaften entstehen zu sehen, und auf den Gesichtern der Schauspieler ihre verschiednen Symptomata wahr zu nehmen. Alle die Ausdrücke eines Menschen, der im Affecte ist, rühren uns zwar, allein die Zeichen der Leidenschaften, die auf dem Gesichte sichtbar werden, rühren uns weit mehr, als die Zeichen der Leidenschaft, die sich uns durch die Gebehrden und durch die Stimme empfindbar machen. Dominatur maxime vultus, sagt Quintilian. (*) Gleichwohl konnten die Schauspieler der Alten die Zeichen der Leidenschaften auf ihren Gesich 144
|| [0192.01]
tern nicht sichtbar machen. Sie legten die Masken nur sehr selten ab, und eine Art von Komödianten legte sie ganz und gar nicht ab. Wir sind es zwar wohl zufrieden, daß uns unsre jetzigen Komödianten die Helfte der Zeichen der Leidenschaften, welche auf dem Gesichte ausgedrückt werden können, verbergen; denn diese Zeichen bestehen eben so wohl in den Veränderungen der Gesichtsfarbe, als in den Veränderungen der Gesichtszüge. Die Schminke aber, mit der sich seit zwanzig Jahren auch die Mannspersonen bemahlen, ehe sie auf die Bühne treten, verhindert uns, die Veränderungen der Farbe wahr zu nehmen, welche in der Natur einen so grossen Eindruck auf uns machen. Allein die Maske der alten Komödianten verbarg auch zugleich die Veränderung der Gesichtszüge, welche uns die Schminke noch sehen läßt. Den Gebrauch der Masken zu vertheidigen, könnte man sagen, daß sie den Zuschauern doch nicht die Augen des Schauspieles verberge. Wenn es aber wahr ist, daß die Leidenschaften durch die Veränderungen, welche auf unserm Gesichte entstehen, weit merklicher werden, als durch die Veränderungen in unsern Gebehrden, in allen unseren Stellungen und in dem Tone unsrer Stimme; so ist es auch nicht weniger wahr, daß unsre Leidenschaften durch das, was in unsern Augen vorgeht, weit sichtbarer werden, als durch alles, was mit den übrigen Thei
|| [0193.01]
len unsers Gesichts geschehen kann. Unsre Augen allein können alles deutlich zeigen, was auf dem Gesichte vorgeht, ja sie können es, so zu reden, Trotz der Maske zeigen. (*) Animi est omnis actio & imago animi vultus est, indices oculi. Die Einbildungskraft, wird man fortfahren, ergänzt das, was verborgen ist; und wenn wir vor Zorn brennende Augen sehen, so glauben wir auch den übrigen Theil des Gesichts von dieser Leidenschaft entbrannt zu sehen. Wir werden eben so sehr bewegt, als ob wir es wirklich sähen. Verschiedne Stellen des Cicero und Quintilian bezeugen es auch, daß die alten Schauspieler wirklich alle Zeichen der Leidenschaften durch die Bewegungen ihrer Augen, die von den übrigen Gebehrden und Stellungen unterstützt wurden, ausgedrückt haben. Man könnte ein gleiches von denjenigen italiänischen Komödianten sagen, welche unter der Maske spielen. (**) In ipso vultu plurimum valent oculi per quos maxime animus emanat. Auf dem Gesichte mahlt sich die Seele, und die Augen sind derjenige Theil des Gesichts, welcher, so zu sagen, am nachdrücklichsten reden kann. Ich aber halte mich an die natürlichste Gesinnung, und glaube, daß die meisten Leidenschaften, besonders aber die zärtlichen, von einem maskirten Schauspieler nicht so gut vorgestellt 145 146
|| [0194.01]
werden können, als von einem, der mit unverdecktem Gesichte spielet. Dieser letztere kann sich aller der Mittel, die Leidenschaften auszudrücken, bedienen, die der maskirte Schauspieler anwenden kann, und kann auch zugleich noch solche Zeichen der Leidenschaften sehen lassen, die dem andern nichts helffen. Ich glaube also die Alten, welche soviel Geschmack an den theatraliVorstellungen fanden, würden ihre Schauspieler gewiß die Masken haben ablegen lassen, wenn nicht ein einziger Punct gewesen wäre. Denn da ihre Bühnen sehr weitläuftig und oben offen, wenigstens ohne feste Bedeckung waren, so hatten die Masken für die Schauspieler einen sehr grossen Nutzen, indem sie vermittelst derselben überall verstanden werden konnten; da sie hingegen auf der andern Seite sehr wenig dabey verlohren. Es wahr nehmlich in der That unmöglich daß die Zuschauer die Veränderungen des Gesichts, welches die Maske bedeckte, deutlich hätten wahrnehmen können, indem sehr viele derselben, weiter als zwölf Toisen, von dem spielenden Komödianten entfernt waren. Wir wollen diese angeführte Ursache ein wenig näher erklären. Aulus Gellius, welcher unter dem Kayser Hadrian schrieb, lobet die Ableitung, welche Cajus Bassus dem lateinischen Worte persona, das so viel als eine Maske bedeutet, gab, indem er es von dem Zeitworte personare, er
|| [0195.01]
schallen, abstammen ließ. Denn da in der That, fügt er hinzu, das Gesicht und der ganze Kopf in die Maske eingeschlossen war, und die Stimme also nur durch einen einzigen Ausgang, welcher noch dazu sehr enge war, herauskommen konnte, so folget daraus, daß diese so gepreßte Stimme stärkere und deutlichere Töne von sich geben müssen. Dieses also ist die Ursache warum die Lateiner den Namen Persona den Masken gegeben haben, welche die Stimme derjenigen, die sie trugen, weit erschallen liessen. Lepide me hercules & scite Cajus Bassus in libris quos de origine vocabulorum composuit, unde appellata sit persona interpretatur, a personando enim id vocabulum factum esse conjectat: nam caput, inquit, & os cooperimento personæ tectum undique, unaque tantum vocis emittendæ via, pervium, quæ non vaga neque diffusa est, in unum tantummodo exitum collectam coactamque vocem, & magis claros sonorosque sonitus facit. Quoniam igitur indumentum illud oris clarescere & resonare vocem facit, ob eam causam persona dicta est. (*) Die Ableitung des Bassus mag richtig seyn oder nicht; dieses thut zu unsrer Sache nichts. Genug daß Aulus Gellius sie weder gelobt noch angenommen haben würde, wenn die Masken zu seiner Zeit nicht eine Art von Wiederhall gewesen wären. Boethius bekräftiget gleichfalls 147
|| [0196.01]
unsre Meinung. (*) Concavitate ipsa, major necesse est emittatur sonus ; die Höhlung der Maske vermehrt die Stärke der Stimme, sagt dieser Weltweise, indem er von den Masken redet. Nach diesen Stellen des Aulus Gellius und des Boethius, welche das, was sie alle Tage sehen konnten, schrieben, kann man also nicht länger daran zweifeln, daß sich die Alten der Masken nicht zur Verstärkung der Stimme ihrer Schauspieler bedient haben sollten. Meine Muthmassung aber geht dahin, daß man den Mund dieser Masken eingefaßt, und also eine Art von Sprachrohr hineingebracht habe. Man siehet aus den Figuren der alten Masken, die sich in alten Handschriften, auf geschnittenen Steinen, auf Münzen, in den Ruinen des Marcellischen Theaters und verschiednen andern Denkmählern befinden, daß die Oeffnung ihres Mundes ausserordentlich groß war. Es war eine Art eines gähnenden Schlundes, welcher die Kinder fürchten machte.
— Tandemque redit ad pulpita notum
Exodium, cum personæ pallentis hiatum
In gremio matris formidat rusticus infans. (**) Allem Ansehen nach würden die Alten diese Widerwärtigkeit in den Masken nicht gelitten 148 149
|| [0197.01]
haben, wenn sie nicht zu etwas nütze gewesen wäre. Ich sehe aber nicht wozu sie anders hätte nütze seyn können, als dazu, daß man desto besser das Sprachrohr darinn anbringen konnte, durch welches die Stimme der Schauspieler verstärkt wurde. Uebrigens lernen wir aus einer Stelle des Quintilians, daß das Lachen in dem Munde der Maske so sehr verändert wurde, daß es in ein ein unangenehmes Geräusch ausartete. Dieser Schriftsteller, indem er den Rednern den Rath giebt, ihre natürlichen Gaben wohl zu untersuchen, damit sie eine Art von Declamation, die sich zu diesen Gaben schickte, wählen könnten, versichert, daß man mit ganz verschiednen Eigenschaften gefallen könne. Er fügt hinzu, er habe zwey berühmte Schauspieler gesehen, welche beyde gleich grossen Beyfall gehabt, ob gleich ihre Art zu declamiren ganz verschieden gewesen; jeder aber sey in der Art, wie er die Komödie gespielt, seinem Naturelle gefolgt. Demetrius, einer von diesen Komödianten, welchen Juvenal unter die besten Schauspieler seiner Zeit rechnet, hatte eine sehr angenehme Stimme und spielte vornehmlich die Rollen der Gottheiten, der vornehmen Matrone, der gefälligen Väter, und der Verliebten. Stratocles, dieses ist der Name des andern Komödianten, von welchem Juvenal gleichfalls re
|| [0198.01]
det, (*) hatte eine sehr herbe Stimme. Er gab sich also nur mit den Rollen strenger Väter, Schmaruzer, schelmischer Knechte, mit einem Worte solcher Personen ab, welche viel Action erfordern. Seine Gebehrden waren lebhaft, seine Bewegungen geschwind, und er wagte sehr viel, was man an einem andern würde ausgepfiffen haben. Eines von den Dingen, die er wagte, war dieses, daß er lachte, ob er gleich, wie Quintilian sagt, wohl wußte, warum das Lachen in der Maske eine üble Wirkung hätte. Illum decuit cursus & agilitas, & vel parum conveniens personæ risus, quem non ignarus rationis populo dabat. (**) Das Lachen an und vor sich selbst, mißfällt auf der komischen Bühne ganz und gar nicht, wie wir wohl wissen. Moliere selbst läßt seine Personen manchmal mehr als einmal lachen. Das Aufschlagen eines verdoppelten Lachens mußte also in den Munde der Maske wiedertönen, und zu einem unangenehmen Schalle werde. Dieses hätte aber nicht geschehen können, wenn der Mund und die innern Theile der Maske, welche den Munde am nächsten sind, nicht mit einem harten und wiederschallenden Körper eingefaßt gewesen wären, welcher in dem natürlichen Klange der Stimme etwas veränderte, indem er ihn verstärkte. 150 151
|| [0199.01]
Ich will hier eine ganz neue Muthmassung wagen, welche eine bisher übel verstandene Stelle des Plinius erklären kann; diese nehmlich, daß die Alten, nachdem sie ihre Masken Anfangs mit Erzt eingefaßt, hernach kleine dünne Stücken einer gewissen Art von Marmor dazu gebraucht haben. Plinius, wenn er von den besonder Steinen redet, sagt, daß der Stein, welchen man Chalcophonos, oder Erztklang nenne, schwarz sey; und daß er, der Abstammung seines Namens zu folge, wenn man ihn anrühre, einen Klang von sich gäbe, welcher dem Klange dieses Metalls gleich komme. Und daher, fügt er hinzu, giebt man den Komödianten den Rath, sich seiner zu bedienen. (*) Chalcophonos nigra est, sed illisa æris tinnitum reddit, Tragœdis ut suadent gestanda. Wozu hätten aber wohl die Schauspieler einen solchen Stein brauchen können, wenn sie ihn nicht zur Einfassung des Mundes ihrer Masken gebraucht hätten, nachdem er gespalten und in dünne Scheiben zertheilet worden? Diese Masken, welche, wie wir aus den Versen, die Prudentius wider den Symmachus gemacht hat, lernen, von Holze waren, waren zu dieser Einfassung sehr wohl geschickt. Diejenigen, welche in der Tragödie recitiren, sagt unser Dichter, bedecken ihr Haupt mit einer hölzernen Maske, und durch die Oeffnung, die man darinne gelassen 152
|| [0200.01]
hat, lassen sie ihre hochtrabende Declamation erschallen.
Ut tragicus cantor ligno tegit ora cavato
Grande aliquid cujus per hiatum carmen anhelet. Solinus, welcher einige Zeit nach dem Plinius geschrieben hat, scheinet uns auch die Ursache anzugeben, warum man die innern Theile der Maske lieber mit diesem Steine als mit Erzt auslegen müsse; weil er nehmlich, indem er die Stimme zurückprallen lasse, die Deutlichkeit des Klanges nicht verderbe, dahingegen das Wiederschallen des Erztes unter den Tönen, welche es zurückstosse, immer eine kleine Verwirrung anrichte. Nachdem er gesagt, daß dieser Stein wie gegossenes Erzt klinge, fügt er hinzu, daß es zugleich der Reinlichkeit der Stimme nicht nachtheilig sey, wenn es behutsam gebraucht werde. (*) Calcophonos resonat ut pulsata æra. Pudice habitus servat vocis claritatem. Wie aufmerksam die Alten auf alles gewesen, wovon sie glaubten, daß es zur Anmuth und Leichtigkeit bey Vorstellung der theatralischen Stücke etwas beytragen könne, kann man daraus schliessen, was uns Vitruvius (**) von der Art die Echæa anzubringen saget, welches eherne 153 154
|| [0201.01]
Gefässe waren, die anstatt der Echos dienten. Wenn dieser Verfasser von der Architectur der Schaubühnen redet, so läßt er sich in eine lange und methodische Untersuchung über die Gestalt dieser Gefässe ein, welche, wahrscheinlicher Weise nichts als grosse und einwenig concave eherne Platten waren, die an gewisse Orte gestellt wurden, damit die Stimme der Schauspieler wohl überein klingende Echos finden könne. Ita hac ratione vox a scena velut a centro profusa se circum agens tactuque feriens singulorum vasorum cava, excitaverit auctam claritatem & concentu convenientem sibi consonantiam. Wenn Vitruvius sagt, daß alle diese Gefässe von verschiednen Tönen seyn müßten, so sagt er uns deutlich genug, daß ihre Concavität und ihre übrigen Dimensionen nicht immer einerley seyn müßten; und da noch dazu diese Gefässe in verschiedner Entfernung von den Schauspielern gestellet wurden, so mußten sie nothwendig Echos machen, die leichter oder schwerer zu erschüttern waren, wenn sie gleichförmig wiedertönen sollten. Vitruvius beklagt sich, daß die Römer zu seiner Zeit, diese Echäa in ihren Theatern anzubringen sehr versäumten, und hierinne den Griechen gar nicht nachahmten, welche in diesem Puncte sehr sorgfältig waren. Ohne Zweifel machten sich die Römer die Erinnerung des Vitruvius nach der Zeit zu Nutze, denn Plinius beklagt sich, daß diese Gefässe, und die Schwib
|| [0202.01]
bögen, worein man sie stellte, die Stimme der Schauspieler verschlängen. Er behauptet, daß sie eine eben so üble Wirkung verursachten, als der Sand des Orchesters, oder des Platzes, welcher zwischen dem Theater und den entferntesten Zuschauern war. (*) In Theatrorum Orchestris scobe aut arena super injecta, vox derotatur & in rudi parietum circumjectu doliis etiam inanibus. Andern Theils sagt Caßiodor in dem funfzigsten Briefe seines ersten Buchs, daß die Stimme der Tragödienspieler durch die gedachten Concavitäten so sehr gestärcket würden, und einen solchen Schall von sich gäben, daß man kaum glauben könnte, daß er aus der Lunge eines Sterblichen käme. Tragœdia ex vocis vastitate nominatur quæ concavis repercussionibus roborata, talem sonum videtur efficere, ut pene ab homine non credatur. Diese Concavitäten konnten nichts anders als die Echæa und die <Sprachröhre>Schrachröhre in den Masken seyn. Aus allen diesem kann man also sehen, ob die Alten das geringste versäumt haben, durch schickliche Erfindungen ihre theatralische Masken eine solche Wirkung thun zu lassen, daß sie nach dem Aulus Gellius den Namen Persona verdienen konnten. Wenn die Schriftsteller des Alterthums sich hätten vorstellen können, daß man sich jemals in künftigen Jahrhunderten in Verlegenheit finden 155
|| [0203.01]
würde, dergleichen Dinge zu erklären, welche für sie ohne alle Schwierigkeit waren, weil sie sie alle Tage sehen konnten, oder auch weil vielleicht diejenigen Bücher, die alles dieses methodische erklärten, in jedermanns Händen waren; so würden sie ganz gewiß ihre Erzehlungen umständlicher gemacht haben. Allein sie glaubten, daß der Nachkommenschaft die Sachen, von welchen sie redten, beständig bekannt bleiben würden, und sagten also meistentheils mehr nicht davon, als sie zur Bestätigung etwan einer Betrachtung, oder zur Anwendung eines Gleichnisses, oder zur Erklärung eines Umstandes, oder zur Rechtfertigung einer Herleitung sagen mußten. Selbst diejenigen, welche ausdrücklich von der Dichtkunst und Baukunst schrieben, hielten es nicht für nöthig, ihren Betrachtungen und Lehrsätzen eine genaue Beschreibung desjenigen vorzusetzen, was der ganzen Welt vor Augen lag; sondern wendeten sich sogleich zu Untersuchungen und Regeln, welche ihren Zeitgenossen sehr deutlich waren, die aber für die Nachkommenschaft Räthsel sind, weil die Fackel, welche die Zeitverwandten erleuchtete, für sie verloschen ist. Weil uns, zum Exempel, die Alten keine Beschreibung von dem innern Theile des Colosseums hinterlassen haben, wissen die Bauverständigen noch nicht, wie die innere Abtheilung des dritten Stockwerks dieses Amphiteaters beschaffen gewesen, ob gleich die zwey ersten innern
|| [0204.01]
Stockwerke beynahe noch ganz da sind. Aus eben diesem Grunde können die Antiquare noch verschiedne Dinge nicht erklären, welche die Masken betreffen. Und vielleicht würde dieses nicht seyn, wenn wir die Bücher noch hätten, welche Dionysius von Halicarnaß, Rufus und verschiedne andre Schriftsteller von den Schaubühnen und den theatralischen Vorstellungen geschrieben haben. Wenigstens würden sie uns von vielen Dingen Nachricht gegeben haben, die wir jetzt nicht wissen; wenn sie uns auch schon nicht alles gelehrt hätten. Ein Verzeichniß von diesen Schriftstellern, deren Bücher verlohren gegangen sind, kann man in dem vierten Hauptstücke der ersten Abtheilung desjenigen Werkes finden, welches der Jesuit Bulenger von den Theatern der Alten geschrieben hat. Doch aber wissen wir noch genug davon, um überzeugt zu seyn, daß die Masken den alten Komödianten dazu nützlich waren, daß sie in den weitläuftigen Schauplätzen, welche keine feste Bedeckung hatten, und in welchen viele Zuschauer von der Scene, auf welcher gespielt wurde, auf zwölf Toisen entfernt waren, überall verstanden werden konnten. Uebrigens, wie wir schon angemerkt haben, verlohren die Zuschauer durch die Masken sehr wenig, weil drey Viertheile derselben, die Wirkungen der Leidenschaften auf den Gesichtern der Komödianten nicht würden haben wahrnehmen können, we
|| [0205.01]
nigstens so deutlich nicht, daß sie ihr Vergnügen vermehret hätten. Diese Ausdrücke gehen dem Gesichte in einer Entfernung verlohren, in welcher es noch gar wohl das Alter und die übrigen vornehmsten Züge des Charakters auf einer Maske erkennen kann. Es müßte eine schreckliche Grimasse seyn, die Zuschauern in einer Entfernung von fünf bis sechs Toisen noch sichtbar seyn sollte. Ich will eine Anmerkung auch nochmals wiederhohlen; daß nehmlich die alten Komödianten, nicht, wie unsere, bey dem Scheine eines künstlichen Lichts, welches von allen Seiten leuchtet, sondern beym Tageslichte gespielt haben, welches auf einer Scene, wo der Tag beynahe nur von oben herein fiel, sehr viele Schatten lassen mußte. Nun aber erfordert die Genauigkeit der Declamation, daß die Veränderung der Gesichtszüge, in welcher der Ausdruck bestehet, oft nur sehr wenig bemerkt werden darf; welches besonders alsdenn geschieht, wenn der Schauspieler wider Willen einige Zeichen der Leidenschaften entwischen lassen muß. Wir haben also Grund, unsere Schauspieler mit unverdeckten Gesichtern spielen zu lassen, und die Alten thaten nicht unrecht, daß sie ihren Schauspielern Masken gaben. Ich komme auf meine Materie wieder zurück.
|| [0206.01]

Dreyzehnter Abschnitt. Von der Saltation oder der Kunst der Gebehrden, welche von einigen Schriftstellern die hypokritische Musik genennet wird.

Sobald man einmal einen Begriff von der getheilten Declamation auf den Bühnen der Alten hat, so findet man auch die Beweise davon in mehr als einem Buche, wo man sie vorher nicht wahrnahm, ehe man einige Kenntniß von diesem Gebrauche hatte. Man verstehet zum Exempel nunmehr die Stelle deutlich, wo Sveton sagt, daß Caligula das Singen und Tanzen so sehr geliebt habe, daß er sich auch bey öffentlichen Schauspielen nicht enthalten, mit dem recitirenden Schauspieler zugleich zu singen, und mit dem andern, welcher die Gebehrden machen mußte, zugleich die Gebehrden zu machen, um diese Gebehrden entweder dadurch zu billigen, oder auch etwas daran zu verbessern. (*) Canendi ac saltandi voluptate ita efferebatur, ut ne publicis quidem spectaculis temperaret quominus & Tragœdo pronuntianti concineret, & gestum Histrionis quasi laudans vel corrigens palam effingeret. Man wird bemerkt haben, daß Svetonius hier die Worte singen und aussprechen, als gleichgeltende Worte in der Sprache des Theaters braucht, 156
|| [0207.01]
und daß er sich auf gleiche Weise der Ausdrücke Tanzen und Gebehrden machen bedienet. Er thut damit weiter nichts, als daß er den Namen der Gattung der Art beylegt; denn bey den Alten, wie wir schon gesagt haben, war die Kunst Gebehrden zu machen, eine von den Gattungen, in welchen sich die Kunst zu tanzen theilte. Unser Tanzen war gleichfalls nur eine von den Gattungen der Kunst, welche die Griechen Ορχησις und die Römer Saltatio nennten. Weil aber die Uebersetzer diese zwey Worte durch Tanzen geben, so sind durch diese Zweydeutigkeit eine Menge falscher Begriffe entstanden. Wir wollen sehen, was man hiervon wissen kann. Plato sagt, (*) daß die Kunst, welche die Griechen Ορχησις nennen, in der Nachahmung aller Gebehrden und Bewegungen bestehe, welche die Menschen machen können. Das Wort saltatio kam auch in der That, wenn wir dem Varro glauben, nicht von saltus, ein Sprung, sondern von dem Namen eines Arcadiers, welcher Salius hieß, und der die Römer diese Kunst zuerst gelehrt hatte. (**) Saltatores autem nominatos Varro dicit ab Arcade Salio qui primus docuit Romanos adolescentes saltare. Dieses Zeugniß des Varro kann durch nichts umgestossen werden, was man auch von der anderweitigen scheinbaren Ableitung des Worts saltatio 157 158
|| [0208.01]
sagen könnte. Man muß also das Vorurtheil ablegen, welches aus dem Namen Saltation geflossen ist, und uns zu bereden scheinet, daß jede Saltation von dem Worte saltus, welches einen Sprung bedeutet, seinen Ursprung habe. Man begreift also gar leicht, daß diejenigen von den künstlichen Tänzen der Alten, in welchen man, zum Exempel, die Springe und Schritte, welche besoffene Bauern machen können, oder die gewaltsamen Sätze der Bacchanten nachahmte, unsern Tänzen gleich kamen mit einem Worte, daß man dabey tripudiabat. Allein die übrigen Tänze der Alten, in welchen man die Handlung solcher Personen nachahmte, die nicht springen, oder, nach unserer Art zu reden, nicht tanzen, waren nichts als Nachahmungen des Ganges, der Stellungen, der Gebehrden, mit einem Worte, des ganzen körperlichen Betragens, welches die Menschen gemeiniglich mit ihren Reden verbinden, oder dessen sie sich manchmal bedienen, wenn sie ihre Gedanken, ohne zu reden, wollen zu verstehen geben. Auf diese Weise tanzte David vor der Bundeslade, indem er durch seine Stellungen sowohl, als durch seine Gebehrden und Niederwerfungen, die tiefe Ehrfurcht an den Tag legte, die er für dieses Unterpfand des Bundes zwischen Gott und dem jüdischen Volke hegte. Man liest in dem <neun>ueun und siebzigsten Buche
|| [0209.01]
des Dio, (*) daß Heliogabalus getanzt habe, nicht nur wenn er von dem kayserlichen Sitze in dem Theater dramatische Stücke vorstellen sehen, sondern daß er auch im Gehen, wenn er Verhör gegeben, wenn er mit seinen Soldaten gesprochen, ja sogar wenn er geopfert, getanzt habe. Heliogabalus mag nun so unverständig gewesen seyn, als es nun immer will, so wird er doch nimmermehr nach unsrer Art bey denjenigen Gelegenheiten getanzt haben, bey welchen Dio sagt, daß er wirklich getanzt habe. Man muß sich also nothwendig die Kunst, welche Saltatio hieß, als eine Kunst vorstellen, die nicht allein unsre Tanzkunst, sondern auch die Kunst der Gebehrden, oder dasjenige Tanzen unter sich begrif, bey welchem man, eigentlich zu reden, nicht tanzte. Was ich weiter sagen werde, wird es näher beweisen. Dem Athenäus zufolge, war Thelestes der Erfinder dieser Art des stummen Spiels, oder des Tanzens ohne Springe und ohne hohe Schritte, welches ich allhier öfters die Kunst der Gebehrden nennen werde. Ich werde damit nichts mehr thun, als was die Alten gethan haben, welche ihm gleichfalls diesen Namen oft gaben. Sie nennten es sehr oft Chironomie; welches Wort, wenn man es buchstäblich übersetzt, das Gesetz der Hände bedeutet. 159
|| [0210.01]
Da die Kunst der Gebehrden sich in noch weit mehr Gattungen theilte, so darf man sich nicht wundern, eine so grosse Anzahl verschiedner Tänze anzutreffen, daß Meursius im Stande gewesen ist, ein ganzes Wörterbuch aus ihren nach dem Alphabet geordneten Namen zu machen. (*) Sie war von allen musikalischen diejenige, welche die Alten am meisten liebten, und die sie folglich auch am meisten bearbeitet hatten. Die Kunst also, welche den Histrio lehrte, was er auf dem Theater zu thun habe, und zugleich dem Redner in anständigen Gebehrden unterwieß, theilte sich wieder in verschiedne Geschicklichkeiten, deren einige den allerernsthaftesten Personen anständig waren. Alle diejenigen, welche die Werke der Alten in den Sprachen, in welchen sie geschrieben worden, gelesen haben, werden sich erinnern, daß sie das Wort Saltatio bey mehr als einer Gelegenheit gebraucht gefunden haben, wo man es keinesweges von einem Tanzen verstehen kann, das dem unsrigen gleich wäre. Unterdessen glaube ich nicht, daß jemand darüber verdrießlich werden wird, wenn ich noch verschiednes beybringe, um zu erweisen, daß die Alten verschiedne Saltationen hatten, bey welchen man nicht tanzte. Die Schriftsteller, welche uns die Eintheilung der Musik der Alten hinterlassen haben, setzen ihrem Tanze die hypokritische Musik vor. Es 160
|| [0211.01]
war eben dieselbe, welche die Lateiner manchmal die stumme Musik nannten. Wir haben gesagt, daß sie ihren Namen von dem Worte Hypocrita habe, welches einen Nachäffer bedeutet. Es war aber zugleich der gewöhnlichste Name, welchen die Griechen ihren Komödianten gaben. Aus dem wenigen, was ich von dieser Kunst bisher gesagt, wird der Leser schon geschlossen haben, daß die Gebehrden, welche sie lehrte, nicht blosse Stellungen und Bewegungen gewesen sind, die zu weiter nichts als zu einem reitzenden Tragen des Körpers dienten, wie es die Gebehrden unsrer Tänzer sind. Die Gebehrden des alten Tanzens mußten sprechen, sie mußten etwas bedeuten. Sie mußten, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, eine an einander hangende Rede seyn. Hier sind die versprochenen Beweise. Apulejus hat uns eine Beschreibung von der Vorstellung des Urtheils des Paris hinterlassen, welches von den Pantomimen aufgeführet wurde, die ohne zu reden spielten, und deren Spiel Saltatio genennet wurde. (*) Wenn dieser Schriftsteller von dem Gange dieser seiner Schauspieler auf dem Theater spricht, so braucht er das Wort incedere; welches eigentlich gehen bedeutet. An einer andern Stelle, wo er sagen will, daß Venus nur mit den Augen declamiret habe, sagt er, daß sie nur mit den Augen getanzt 161
|| [0212.01]
habe. Et non nunquam saltare solis oculis. Wir finden auch niemals, daß die Alten ihre Saltatores oder Tänzer, wegen ihrer Schenkel und ihrer Beine gelobt hätten; sie lobten an ihnen nur die Arme, und vornehmlich die Hände. Eine Sinnschrift in der griechischen Anthologie (*) wirft einem Schauspieler, welcher die Rolle der Niobe getanzt hatte, vor, daß er sich eben so wenig bewegt hätte, als sich der Fels, in welchen Niobe verwandelt worden, möchte bewegt haben; kurz, daß er nicht von der Stelle gekommen sey, und folglich nicht einen einzigen Tanzschritt gemacht habe. Nichts schickt sich für eine Person, welche nach unserer Art tanzt, weniger, als eine lange Kleidung. Nun finden wir aber, daß die Saltatores der Aten sehr oft lange Kleider angehabt. Wenn Svetonius von dem Caligula redet, welcher die Saltation ganz ausserordentlich liebte, so sagt er: Er ließ einsmals verschiedne vornehme Staatspersonen auf den Pallast fordern, und als sie in dem Verhörsaale beysammen waren, trat er plötzlich in einem griechischen Kleide, welches ihm bis auf die Knöchel ging, herein, und machte, unter dem Geräusche der Instrumente, die Gebehrden einer Monologe vor ihnen, worauf er sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder weg begab. Magno tibiarum & scabellorum crepitu cum palla tunicaque talari prosiluit, & desaltato cantico abiit. 162
|| [0213.01]
Wenn Vellejus Paterculus (*) erzehlen will, daß Plancus, einer von den Anhängern des Marcus Antonius, den Glaucus nachgemacht habe, welches ein berühmter Fischer gewesen war, von welchem die Alten glaubten, daß er in einen Triton verwandelt worden, nachdem er sich in das Meer gestürzt, weil er von einem gewissen Kraute gegessen, welches ihn rasend gemacht hatte: so sagt dieser Geschichtschreiber, daß Plancus in einen Meergott verkleidet, auf den Knien gegangen sey und das Abendtheuer des Glaucus getanzt habe. Cæruleatus & nudus, caputque redimitus arundine & caudam trahens, genibus innixus, Glaucum saltasset. Ein Mensch aber, welcher auf den Knien wirklich getanzt hätte, würde ein sehr närrischer Anblick gewesen seyn. Das was Quintilian sagt, wenn er beweisen will, wie nothwendig es sey, die Kinder in die Schulen zu schicken, wo sie die Kunst der Saltation lernen könnten, könnte allein hinreichend seyn, zu beweisen, daß die Kunst der Gebehrden der vornehmste Theil derselben gewesen sey. Man muß sich nicht schämen, sagt dieser Schriftsteller, dasjenige zu lernen, was man einmal ausüben muß. Uebrigens, fügt er hinzu, ist die Chironomie, welches die eigentliche Kunst der Gebehrden bedeutet, eine Kunst, welche schon seit den heroischen Zeiten bekannt ist. Die größ 163
|| [0214.01]
ten Männer Griechenlands, <und>nnd Sokrates selbst, haben sie gebilliget. Sehen wir nicht noch aus der alten Stiftung der tanzenden Priester des Mars, daß unsere alten Römer diese Kunst nicht für unanständig müssen gehalten haben? Und ist dieser Gebrauch nicht bis auf uns, ohne jemals getadelt zu werden, fortgepflanzet worden? Doch aber muß man den Lehrmeister hierinne nicht länger behalten, als die Jahre der Kindheit hindurch, und sich von dieser Uebung nichts natürlich machen, als die Anmuth und das leichte Tragen des Körpers. Die Gebehrden des Redners müssen von den Gebehrden des Tänzers sehr unterschieden seyn. (*) Et certe quod facere oporteat non indignum est discere, cum præsertim hæc Chironomia, quæ est, ut nomine ipso declaratur, lex gestus, & ab illis heroicis temporibus orta sit, & a summis Græciæ viris & ab ipso etiam Socrate probata — Neque id veteribus Romanis dedecori fuit. Argumentum est sacerdotum nomine durans ad hoc tempus, saltatio. Cujus etiam disciplinæ usus in nostram usque ætatem sine reprehensione descendit. A me autem non ultra pueriles annos retinebitur, nec in his ipsis diu. Neque enim gestum Oratoris componi ad similitudinem saltatoris volo, sed subesse aliquid ex hac exercitatione. 164
|| [0215.01]
Gleichwohl hat uns Macrobius das Fragment einer Rede des Scipio Aemilianus aufbehalten, in welcher dieser Zerstöhrer Karthagos sehr heftig wider die Unbequemlichkeiten redet, von welchen man nicht leicht die Schulen, in welchen man die Kunst der Gebehrden lehrte, befreyen konnte. Unsre jungen Leute, sagt Scipio, gehen zu den Komödianten in die Schule, um von ihnen recitiren zu lernen, eine Uebung, welche unsere Vorältern als eine Profeßion der Sklaven betrachtet haben. Ja was noch mehr ist, freygebohrne Knaben und Mädchen besuchen die Schulen, wo man die Kunst der Saltation, lehret. In was für einer Gesellschaft befinden sie sich wohl daselbst? (*) Eunt in ludum histrionum, discunt cantare, quod majores nostri ingenuis probro duci voluerunt. Eunt, inquam, in ludum saltatorium inter Cinædos, virgines puerique ingenui. Auch aus der Rede des Cicero für den Murena, welchem Cato das Tanzen vorgeworfen hatte, kann man sehen, daß es an gesetzten Männern nur unter gewissen Umständen geduldet wurde. Wir wollen auf den Quintilian wieder zurück kommen. Dieser Schriftsteller sagt auch noch an einem andern Orte, ein Redner müsse nicht wie ein Komödiante aussprechen, und müsse auch nicht Gebehrden machen, wie ein Tänzer. Non Comœdum in pronunciatione, non sal 165
|| [0216.01]
tatorem in gestu facio. Allem Ansehen nach, war einer von seinen Gründen dieser. Die Gebehrden, welche die Kunst, die man Saltatio nennte, lehrte, waren nicht immer Gebehrden, die bloß zu einer reizenden Leibesstellung etwas beytrugen; sie waren nicht immer, wenn ich mich so ausdrücken darf, Gebehrden ohne Sinn, sondern sehr oft Gebehrden, welche etwas verständlich anzeigten, Gebehrden welche reden sollten. Nun sind aber die redenden Gebehrden von zweyerley Art. Die einen sind natürliche Gebehrden, und die andern sind künstliche Gebehrden. Die natürlichen Gebehrden sind diejenigen, mit welchen man natürlicher Weise seine Reden begleitet, und deren man sich im Sprechen bedienet. Diejenige Gebehrde, welche, um mich eines poetischen Ausdrucks zu bedienen, dem Auge redet, giebt dem, was gesagt wird, weit mehr Nachdruck. Sie belebt zu gleicher Zeit sowohl die Person, welche redet, als die Person, welche zuhört. Man verbiete einem lebhaften Menschen, wenn er redet, Gebehrden zu machen; den Augenblick wird sein Ausdruck matt werden, und das Feuer seiner Beredsamkeit wird auslöschen. Und so bewegt uns auch ein Redner, den wir zugleich sehen und hören, weit mehr, als derjenige, dessen Stimme wir zwar vernehmen, aber dessen Gebehrden wir nicht sehen. Sehr selten aber drückt die natürliche Ge
|| [0217.01]
behrde etwas deutlich aus, wenn man sie ohne zu reden macht. Es geschieht nur in zwey Fällen. Einmal geschieht es, wenn diese natürliche Gebehrde eine Beschaffenheit anzeigt, als etwa Kopfschmerzen oder Ungeduld. Aber auch da ist die natürliche Gebehrde noch nicht zureichend, die Umstände dieser Beschaffenheit zu erkennen zu geben. Vors zweyte kann die natürliche Gebehrde, ohne Beystand der Sprache, etwas gewisses bedeuten, wenn man erkennt, daß diese Gebehrde dasjenige Bezeigen sey, welches eine gewisse Redensart gemeiniglich begleitet. Alsdenn setzt man voraus, daß derjenige, welcher diese Gebehrde macht, die Absicht habe, dasjenige damit zu sagen, was man gemeiniglich zu sagen pflegt, wenn man sie macht. Die Gebehrden derjenigen Völker, welche uns gegen Mittage liegen, sind viel ausdrückender als unsre; man kann sie also auch viel leichter verstehen, wenn man sie, ohne etwas dabey zu hören, sieht, als man in eben demselben Falle unsere Gebehrden verstehen kann. Doch haben diese natürlichen Gebehrden immer nur eine sehr unvollkommene, und oft auch zweydeutige Bedeutung. Derjenige also, welcher ohne zu reden etwas mehr als eine leidende Beschaffenheit, deutlich ausdrücken will, muß zu solchen Bezeigungen und solchen künstlichen Gebehrden seine Zuflucht nehmen, welche ihre Bedeutung nicht von der Natur, sondern von der Abrede der Menschen
|| [0218.01]
haben. Zum Beweise, daß sie nichts als künstliche Zeichen sind, dient dieses, daß sie, wie die Worte, nur in einem gewissen Lande verstanden werden. Die allereinfachsten von diesen Gebehrden sind nur in einer gewissern Gegend verständlich, und anderwärts bedient man sich, eben dieselbe Sache auszudrücken, ganz anderer Zeichen. Zum Exempel die Gebehrde mit der Hand, welcher man sich in Frankreich, jemanden zu ruffen, bedient, ist nicht eben die Gebehrde, die man in Italien zu gleicher Absicht braucht. Wenn der Franzose jemanden durch ein Zeichen zu sich ruffen will, so hebt er die rechte Hand in die Höh, und führt sie mit in die Höh gerichteten Fingern verschiedne mal gegen seinen Körper; der Italiäner hingegen, um eben dieses Zeichen zu machen, läßt die rechte Hand sinken und kehrt die Finger derselben gegen die Erde. In verschiedenen Ländern grüßt man auf verschiedene Art. Das Bezeigen und die Gebehrden also, deren sich ein Mensch bedienet, der entweder nicht reden will, oder nicht reden kann, sind nicht durchaus eben dieselben, deren man sich in Reden bedient. Derjenige, welcher mit Zeichen, ohne ein einziges Wort hören zu lassen, sagen will, eben jetzt ist mein Vater gestorben, muß den Worten, die er nicht gesagt, durch studirte Zeichen zu Hülfe kommen, die von denjenigen ganz unterschieden sind, die er beym Reden machen würde. Diese Zeichen kann man
|| [0219.01]
künstliche, oder, mit der Logik zu reden, willkührliche Zeichen nennen. Denn die Logik, wie bekannt ist, theilt alle Zeichen in zwey Gattungen, in natürliche Zeichen nehmlich und in willkührliche. Der Rauch, lehret sie, ist ein natürliches Zeichen des Feuers; aber die Krone ist nur ein willkührliches Zeichen, ein Sinnbild der königlichen Würde. Auf gleiche Weise macht derjenige, welcher sich vor die Brust schlägt, eine natürliche Gebehrde, welche eine plötzliche Gemüthserschütterung anzeigt; und derjenige, welcher mit Gebehrden eine mit der königlichen Binde gezierte Stirn beschreibt, macht nur eine willkührliche Gebehrde, von welcher man eins geworden ist, daß sie ein gekröntes Haupt anzeigen soll. Ob man gleich auf den Bühnen, bey den gewöhnlichen Vorstellungen, die Gebehrden mit dem Reden verband, so ward doch in den Schulen die Kunst der Gebehrden als eine solche Kunst gelehrt, welche zeiget, wie man sich, ohne zu reden, ausdrücken solle. Es ist also leicht zu glauben, daß die Lehrer derselben nicht nur alle ersinnliche Mittel, sich durch Hülfe der natürlichen Gebehrden auszudrücken, werden an die Hand gegeben, sondern auch gezeigt haben, wie man seine Gedanken, vermittelst der willkührlichen Gebehrden zu verstehen geben soll. Der Redner welcher seinen Mund brauchte, hatte nicht nöthig, sich dieser willkührlichen Gebehrden
|| [0220.01]
zu bedienen, um verstanden zu werden. Uebrigens ist es auch unmöglich, daß nicht sehr viele von diesen Gebehrden, mit der Anständigkeit, die er bey seiner Declamation beobachten muß, streiten sollten. Und dieses, halte ich dafür, ist die Ursache, warum Quintilian seinem Redner so oft verbietet, die Gebehrden der Tänzer oder saltatorum nachzuahmen. Was Quintilian an einem andern Orte sagt, scheinet meine Muthmassung zu einer Gewißheit zu machen. Alle Gebehrden, sagt er, deren ich jetzt erwehnt habe, äussern sich natürlicher Weise mit den Worten. Es giebt aber noch eine andre Art von Gebehrden, die nur dadurch verständlich sind, weil sie die Sache, die man durch sie ausdrücken will, abschildern. Dergleichen ist zum Exempel die Gebehrde eines nach dem Pulse fühlenden Arztes, welcher man sich, einen Kranken anzudeuten, bedienet. Nichts kann an einem Redner tadelhafter seyn, fügt Quintilian hinzu, als wenn er bey seiner Declamation Gebehrden von dieser Art gebrauchet. Die Declamation des Redners muß von der Declamation des Tänzers völlig unterschieden seyn, der Redner muß seine Gebehrden nach den Empfindungen abmessen, welche er ausdrückt, und nicht nach der besondern Bedeutung des Worts, welches er ausspricht. Wir sehen sogar, fährt unser Schriftsteller fort, daß sich dieser Anmerkung auch die Komödianten unterwerfen, welche mit
|| [0221.01]
Anstand spielen wollen; sie brauchen nehmlich bey ihrer Declamation die willkührlichen Gebehrden ganz und gar nicht, oder wenigstens doch sehr sparsam. (*) Et ii quidem de quibus sum locutus cum ipsis vocibus naturaliter exeunt gestus. Alii sunt qui res imitatione significant, ut si ægrotum, tentantis venas Medici similitudine ostendas; quos gestus quam longissime in oratione fugiendum. Abesse enim a saltatore debet Orator, ut sit gestus ad sensum magis quam ad verba accommodatus, quod etiam histrionibus paulo gravioribus facere moris fuit. Cicero hatte ungefehr schon eben das gesagt, was Quintilian sagt. Cicero ist sehr wohl zufrieden, daß ein junger Mensch, welcher ein Redner werden will, die Anmuth und das leichte Betragen des Roscius sich eigen zu machen suche; allein das will er durchaus nicht, daß dieser junge Mensch das Muster zu seinen Gebehrden, von den Gebehrden, die man die Komödianten lehrte, nehmen solle. (**) Quis neget opus esse Oratori in hoc oratorio motu, statuque Roscii, gestu & venustate? Tamen nemo suaserit studiosis dicendi adolescentibus in gestu discendo histrionum more elaborare. Vermuthlich thaten die meisten Komödianten das nicht, was diejenigen thaten, welche Quintilian Histriones paulo graviores nennet. Ver 166 167
|| [0222.01]
schiedne Histrione bedienten sich lieber der willkührlichen als der natürlichen Gebehrden, weil sie die erstern für geschickter hielten, Lachen zu erregen. Sie glaubten diese Gebehrden machten die Action desto lebhafter; allein Leute von gutem Geschmacke mißbilligten dieses Verfahren. Cicero sagt, dasjenige, was ihm in dem Spiele der Komödianten am meisten gefalle, wären die ganz einfältigen und natürlichen Gebehrden. Die Komödianten, fügt er hinzu, mißfallen, wenn sie abgeschmackte Gebehrden machen, und dieses pflegt dann und wann zu geschehen. (*) Nam & palestrici motus sæpe sunt odiosiores, & histrionum nonnulli gestus inepti non vacant offensione, & in utroque genere quæ sunt recta & simplicia laudantur. Man findet eine lesenswürdige Beschreibung von der Kunst der Gebehrden in einem Briefe, welchen Caßiodorus an den Albinus geschrieben hat, um ihm aufzutragen, daß er das Volck entscheiden lassen solle, ob Theodoron oder ob Halandius ein besserer Schauspieler wäre. Es kam darauf an, den geschicktesten von ihnen weiter hinauf rücken zu lassen. Unsere Vorfahren nennten diejenige von den musikalischen Künsten die stumme Musik, welche reden lehrt, ohne den Mund aufzuthun, welche alles mit den Gebehrden zu sagen, oder mit gewissen Bewegungen der Hände und Stellungen des Leibes 168
|| [0223.01]
Dinge zu verstehen zu geben lehret, die man kaum durch eine aneinander hangende Rede oder durch manche geschriebene Seite eben so gut ausdrücken könnte. (*) Hanc partem musicæ disciplinæ mutam majores nostri nominaverunt, scilicet quæ ore clauso manibus loquitur, & quibusdam gesticulationibus facit intelligi quod vix narrante lingua aut scripturæ textu possit agnosci. Unterdessen glaube ich doch nicht, daß die willkührlichen Gebehrden dasjenige immer deutlich werden ausgedruckt haben, was man sie bedeuten lassen wollte, ob man gleich bey ihrer Erfindung allezeit eine Art von Anspielung auf die vorzustellenden Sachen beobachtete. Mimus hallucinatur; sagt Apulejus. (**) Wir werden auch aus dem, was der h. Augustinus von den Pantomimen sagt, sehen, daß die Uebereinstimmung der Gebehrden und der auszudrückenden Sachen nicht immer so vollkommen war, daß man sie beständig ohne Ausleger hätte errathen können, wenn man nicht ausdrücklich die Sprache des alten Tanzens gelernt hatte. Die Orientaler haben noch jetzt verschiedne Tänze, welche denen, die Caßiodorus beschreibt, sehr gleich sind. Alle Nachrichten, und besonders die Nachrichten von Persien, reden von diesen Tänzen. Die Asiatischen Staaten sind den politischen Veränderungen immer eben so sehr un 169 170
|| [0224.01]
terworffen gewesen, als die Europäischen; allein den moralischen Veränderungen scheinen sie es nicht so sehr gewesen zu seyn. In Asien haben die Gewohnheiten, die Art sich zu kleiden, kurz die Nationalgebräuche, niemals so viele Veränderungen erlitten, als sie noch jetzt in den occidentalischen Theilen von Europa leiden. Wir sehen, daß die Alten einerley Personen ohne Unterschied, Tänzer und Gebehrdenmacher nennen, weil die Saltation die Gattung, und die Kunst der Gebehrden die Art war. Der Redner Hortensius, der Zeitgenosse und Nebenbuhler des Cicero, war in seinen Manieren und in seinem ganzen Betragen das, was die Franzosen precieux zu nennen pflegen. Man sagte von ihm, er wäre, nachdem er lange ein Komödiant gewesen, endlich auch eine Komödiantin, eine Gebehrdenmacherin geworden, und man pflegte ihn deswegen nur Dyonisia zu nennen. Dieses war der Name einer berühmten Tänzerin, setzt A. Gellius, welcher dieses erzehlt, hinzu. Torquatus non jam Histrionem esse Hortensium diceret, sed gesticulariam, Dyonisiamque eum notissimæ saltatriculæ nomine appellerat. (*) Man nennte aber auch die Action des Komödianten ein Gebehrdenmachen, wie man aus dem sehen kann, was von dem Dichter Andronicus erzehlet worden. Man sagte also nicht allein tanzen, an 171
|| [0225.01]
statt Gebehrden machen, sondern man sagte auch tanzen, anstatt Komödie spielen. Saltare & gestum agere wurde so völlig eines für das andre genommen, daß man sagte ein dramatisches Stück tanzen, wenn man sagen wollte, es auf dem Theater recitiren, und dieses nicht bloß bey den Vorstellungen der Pantomimen, welche, ohne den Mund aufzuthun, spielten, wie wir hernach zeigen werden, sondern auch bey den gewöhnlichen Vorstellungen der Tragödien und Komödien, wo die Recitation der Verse einen Theil der Ausführung ausmachte. Wenn du mir meldest, sagt Ovidius zu einem Freunde, der ihm berichtet hatte, daß die Medea, oder ein anders von den Stücken dieses Dichters, sehr wohl aufgenommen worden, daß das Theater voll sey, so oft man unser Stück tanze, und daß meine Verse Beyfall erhielten.
Carmina cum pleno saltari nostra theatro
Versibus & plaudi scribis, amice, meis (*) Und wenn Aulus GelliusGallius sagen will, daß vor seiner Zeit eben derselbe Schauspieler, welcher recitirt, auch die Gebehrden gemacht habe, so sagt er, derjenige, welcher zu seiner Zeit, ohne sich im geringsten zu bewegen, singe, habe ehedem tanzend gesungen. Saltabundi autem canebant quæ nunc stantes canunt. (**) 172 173
|| [0226.01]
Juvenal lehrt uns, der Vorleger an grossen Tafeln habe die Speisen tanzend vorgeschnitten. Bey Vorschneidung der Speisen kann man nun zwar wohl Gebehrden machen, aber unmöglich nach unserer Art tanzen. Uebrigens fügt dieser Dichter noch im Scherze hinzu, daß man mit einer andern Gebehrde ein jung Huhn, und mit einer andern einen Hasen zerlegen müsse, so wie sie sich jedesmal zu der vorhabenden Operation am besten schicke. Für diese Art von Saltation hatte man in Rom besondre Schulen.
Structorem interea, ne qua indignatio desit
Saltantem specta & chironomonta volanti
Cultello, donec peragat dictata magistri
Omnia; nec minimo sane discrimine refert,
Quo gestu lepores & quo gallina secetur (*) Endlich nennt auch Aristides Quintilianus, nachdem er von der Freundschaft des Cicero mit dem Roscius gesprochen, an welchem dem Cicero besonders die genaue Beobachtung des Takts und die Anmuth der Gebehrden gefiel, diesen berühmten Schauspieler einen Tänzer. Er nennt ihn auf Griechisch Ορχηϛην, welches im Lateinischen saltatorem bedeutet. Wir werden sogar aus einer Stelle des Caßiodorus sehen, daß man 174
|| [0227.01]
das griechische Wort lateinisch gemacht habe. Und obgleich Roscius wirklich auf der Scene sehr oft redte, so lobt ihn Cicero doch fast immer nur wegen seiner Gebehrden. Wenn er ihn, zum Exempel in seine Rede für den Archias lobt, so sind es vornehmlich seine Gebehrten, die er lobt. Ergo ille corporis motu tantum amorem sibi conciliarat a nobis omnibus. Oft gingen Cicero und Roscius sogar einen Wettstreit mit einander ein, wer von beyden eben dieselben Gedanken am öftersten auf verschiedene Art ausdrücken könne, und jeder von ihnen bediente sich dabey derjenigen Geschicklichkeit, in welcher er vortreflich war. Roscius drückte also durch ein stummes Spiel den Sinn der Redensart aus, welche Cicero zusammengesetzt und recitirt hatte. Und alsdenn urtheilte man, welcher von beyden in seinem Ausdrucke am glücklichsten gewesen sey. Hierauf veränderte Cicero die Worte oder die Wendung der Redensart, ohne den Sinn derselben zu entkräften; und auch Roscius mußte nunmehr den Sinn durch andre Gebehrden ausdrücken, ohne daß diese Veränderung den Ausdruck seines stummen Spiels schwächte. (*) Et certe satis constat contendere eum cum histrione solitum, utrum ille sæpius eandem sententiam variis gestibus efficeret, an ipse per eloquentiæ copiam sermone diverso 175
|| [0228.01]
pronunciaret : sagt Macrobius von dem Cicero und Roscius. Dieses sey von der Kunst der Saltation, überhaupt betrachtet, genug gesagt. Wir haben gesehen, daß die Alten die Vorschriften derselben sowohl bey heiligen Ceremonien, als bey Tische und bey andern Gelegenheiten in Ausübung brachten. Unsere Materie aber erfordert es nicht, daß wir die Saltation in allen ihren verschiednen Anwendungen betrachten müßten. Hauptsächlich müssen wir von der theatralischen Saltation reden.

Vierzehnter Abschnitt. Von der theatralischen Salta tion. Wie der Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, mit dem Schauspieler, wel cher recitirte, übereintreffen konnte. Von dem Tanze des Chorus.

Die Kunst der zur theatralischen Declamation sich schickenden Gebehrden theilte sich in drey Methoden, und also auch in drey verschiedne Künste. Die erste von diesen Methoden lehrte Ἐμμελειαν, oder die zur tragischen Declamation sich schickenden Gebehrden. Die Sammlung der Gebehrden, wie sie sich zur Declamation der Komödien schickten, hieß Κορδαξ und Σικιννις hiessen alle diejenigen Gebehrden,
|| [0229.01]
die sich zu Vorstellung derjenigen dramatischen Stücke schickten, welche die Alten Satyren nennten. Gleichwohl aber sagt Lucian, in seiner Abhandlung vom Tanze, daß man bey Aufführung der komischen Stücke oft die zur Satyre sich schickenden Gebehrden mit den eigentlichen Gebehrden für die Komödie vermengt habe, die Sikinnis nehmlich mit dem Kordax. Wie haben es aber, wird man sagen, die Alten dahin gebracht, daß sie diese Methoden schriftlich verfassen und Zeichen und Charakter erfinden konnten, welche alle Stellungen und Bewegungen des Körpers ausdrückten? Ich weis es nicht; allein die Choregraphie des Feuillee, von welcher ich gesprochen habe, zeiget hinlänglich, daß die Sache möglich gewesen. Man muß eben sowohl aus Zeichen lernen können, welche Gebehrde man machen solle, als man es aus Zeichen lernen kann, welche Schritte und Figuren man machen müsse. Dieses aber ist es, was das Buch des Feuillee lehret, Ob die Gebehrden gleich unter uns in kein Kunstgebäude gebracht sind, ob wir gleich diese Materie nicht ergründet, und also auch die Gegenstände nicht so weit zergliedert haben, als die Alten es gethan hatten; so empfinden wir doch gleichwohl, daß die Tragödie und Komödie jede ihre eignen Gebehrden habe. Die Gebehrden, die Stellungen, das Tragen unsrer <Schauspieler>Schauspie-
|| [0230.01]
die eine Tragödie recitiren, sind von den Gebehrden, den Stellungen, dem Tragen der Schauspieler, die eine Komödie vorstellen, völlig unterschieden. Unsere Schauspieler, die von der blossen Natur geleitet werden, lassen uns die Grundsätze gar wohl empfinden, nach welchen die Alten die Kunst der theatralischen Gebehrden zertheilt und in drey verschiedne Methoden abgesondert haben. Die Natur, wie Cicero sagt, hat einer jeden Leidenschaft, einer jeden Empfindung ihren besondern und eignen Ton, ihre eigne Gebehrde und ihren eignen Ausdruck im Gesichte gegeben. (*) Omnis enim motus animi suum quemdam a natura habet vultum, & sonum & gestum. Die Leidenschaften, mit welchen sich die Tragödie meistentheils beschäftiget, sind diejenigen gar nicht, mit welchen die Komödie zu thun hat. In dem Hauptstücke, in welchem Quintilian weitläuftiger als an irgend einem andern Orte, von den für einen Redner sich schickenden Gebehrden redet, findet man verschiedne Dinge, aus welchen wan es beweisen kann, daß die Komödianten seiner Zeit besondre Schulen gehabt haben, in welchen man die Kunst der eigentlichen theatralischen Gebehrden lehrte. Manchmal lenkt Quintilian seine Schüler von dem ab, was die Komödianten bey gewissen Umständen lehrten. Manchmal führt er sie auch als gute 176
|| [0231.01]
Lehrmeister an. Diejenigen, welche die Schauspielkunst lehren, sagt er an einem Orte des angefürten Kapitels, halten die Gebehrde, die man mit dem Kopfe allein macht, für eine tadelhafte Gebehrde. (*) Solo capite gestum sacere scenici quoque doctores vitiosum putarunt. Man sieht so gar, daß es diesen Lehrern auch an dem nicht gefehlt habe, was man Kunstwörter nennt. Wenn Quintilian von dem Betragen eines Redners, auf welchen die Augen aller Zuhörer noch eher gerichtet sind, als er angefangen hat zu reden, handelt und lehren will, wie dieses Betragen die kurze Zeit über, ehe er den Mund aufthut, beschaffen seyn müsse, so sagt er, die Komödianten nennten dieses studirte Stillschweigen einen Verzug. (**) In hac cunctatione sunt quædam non indecentes, ut vocant scenici, moræ. Da die, welche sich mit dem Theater abgaben, diejenige Art von Gebehrden, welche wir willkührliche genennt haben, fast gar nicht brauchen durften; da, mit einem Worte, ihre Saltation von einer besondern Art war, so war es ganz natürlich, daß sie auch ihre besondern Schulen, und ihre besondern Lehrer haben mußten. Uebrigens mußten sie auch noch eine ganz besondre Kunst verstehen, nehmlich die Kunst ihre Gebehrden mit der Recitation des Sängers, welcher manchmal für sie redte, den Takt halten zu 177 178
|| [0232.01]
lassen. Wie sie dieses aber bewerkstelligten, und wie die Action desjenigen, welcher die Gebehrden machte, mit der Aussprache desjenigen, welcher redte, übereinstimmen konnte, will ich hier noch verständlicher zu machen suchen, als ich oben gethan habe. Meinen Lesern diese letzte Erklärung vorzulegen, mußte ich warten, bis sie der Sachen ein wenig kundiger wären; gesetzt, daß ich mich auch dadurch einiger Wiederhohlungen schuldig machte. Wir haben, wie sich der Leser erinnern wird, bereits gesagt, daß die hypokritische Musik der Saltation vorgesetzt war. Nun aber, sagt Quintilian, regieret die Musik die Bewegungen des Körpers eben so wohl, als sie die Fortschreitung der Stimme regieret. (*) Numeros Musica duplices habet, in vocibus & in corpore. Die hypokritische Musik lehrte also, wie man den Takt beobachten solle, wenn man Gebehrden mache, so wie die Metrische Musik ihn bey dem Recitiren beobachten lehrte. Die hypokritische Musik ließ sich also von der metrischen helfen, denn die musikalischen Künste konnten nicht überall einen so vollkommen bestimmten Umkreiß haben, daß sie nicht bey <mancher>macher Lection hätten zusammen treffen sollen. Die eine musikalische Kunst mußte oft bey der andern Hülfe suchen. Dieses ist schon etwas. 179
|| [0233.01]
Der Schauspieler, welcher recitirte, und der Schauspieler, welcher die Gebehrden machte, mußten also einerley Takte folgen, und beyde mußten einerley Zeiten beobachten. Wir haben aus dem Quintilian (*) gesehen, daß man ein Verhältniß zwischen den Gebehrden und den Worten, welche der Redner sagte, festzusetzen suchte, damit seine Action weder allzuhäufig noch allzu unterbrochen sey. Allem Anscheine nach mochte diese Idee daher gekommen seyn, weil der Schauspieler, welcher auf dem Theater recitirte, nur eine gewisse Anzahl Worte sagen durfte, mittler Weile der andre Schauspieler, dem die Action aufgetragen war, eine gewisse Gebehrde machte. Und wenn dieser eine andre Gebehrde machte, so mußte auch jener eine andere Anzahl Worte sagen. Dem aber sey nun, wie ihm wolle, so ist doch so viel gewiß, daß der eine so wohl als der andre die Zeiten eines und eben desselben Takts beobachten mußte, welchen eine und eben dieselbe Person schlug, die die Verse vor Augen hatte, welche recitirt wurden, und deren Sylben, wie wir gesehen haben, die Zeiten bestimmten. Ueber diese Verse hatte man die Gebehrden in Noten geschrieben, welche der Histrio Takt vor Takt machen mußte. Der musikalische Rythmus, sagt Aristides Quintilianus, (**) 180 181
|| [0234.01]
regiert eben sowohl die Gebehrden, als die Recitation der Verse. Dem sey nun aber gewesen wie ihm wolle, so wissen wir wenigstens doch ganz gewiß, daß die Schauspieler, von welchen hier die Rede ist, sehr wohl mit einander übereinstimmten. Seneca sagt, man könne nicht ohne Erstaunen wahrnehmen, wie auf der Scene die Gebehrde geschickter Komödianten die Rede erreiche und sich, so zu reden, Trotz der Geschwindigkeit der Zunge, mit ihr verbinde. (*) Mirari solemus scenæ peritos quod in omnem significationem rerum & effectuum parata illorum est manus, & verborum velocitatem gestus assequitur. Hier nun aber will Seneca gewiß nicht von einer Person reden, welche zu gleicher Zeit spricht und Gebehrden macht; denn an dieser würde es nichts weniger als bewundernswürdig seyn, ihre Gebehrden eben so geschwind lauffen zu sehen, als ihre Worte. Die Sache geht ganz natürlich zu; und sie kann nur alsdenn bewundernswürdig seyn, wenn ein Schauspieler spricht und ein anderer Schauspieler die Gebehrden dazu macht. Wir sehen auch, daß ein Komödiant, welcher ein Gebehrde wider den Takt machte, eben so wohl ausgepfiffen ward, als der, welcher in der Aussprache eines Verses fehlte. (**) Histrio si paululum se moveat extra numerum, aut 182 183
|| [0235.01]
si versus pronunciatus est syllaba una longior aut brevior exsibilatur & exploditur. Lucianus sagt es gleichfalls, daß eine Gebehrde wider den Takt bey einem Schauspieler für ein Hauptverbrechen gehalten worden. Dieses hatte zu dem griechischen Sprichworte Gelegenheit gegeben, einen Soloecismus mit der Hand machen. Die Kunst der Saltation ist verlohren gegangen, und es würde verwegen seyn, alle kleine Umstände einer durch die Erfahrung und durch die Ueberlegungen vieler tausend Personen zur Vollkommenheit gebrachten Ausübung, errathen zu wollen. So viel ist gewiß, das Volk ward es sehr wohl gewahr, wenn ein Fehler gemacht ward. Die öftere Besuchung der Schauspiele hatte es so zärtlich und eckel gemacht, daß es so gar auch die falschen Wendungen und Accorde tadelte, wenn sie zu oft wiederhohlt wurden, ob gleich diese Accorde eine gute Wirkung thun, wenn sie mit Kunst gebraucht werden. (*) Quanto molliores sunt & delicatiores in cantu flexiones & falsæ voculæ quam certæ & severæ, quibus tamen non modo austeri, sed si sæpius fiat multitudo ipsa reclamat. Um wieder auf die Kunst der Gebehrden zu kommen, so kann man nicht im geringsten daran zweifeln, daß die Komödianten der Alten in diesem Theile der Declamation nicht sollten vor 184
|| [0236.01]
treflich gewesen seyn. Sie hatten viel natürliche Geschicklichkeit dazu, wenn wir sie nach ihren Landsleuten, die unsre Zeitverwandte sind, beurtheilen dürfen. Diese Schauspieler wandten auch, wie wir bald sagen werden, ungemein viel Fleiß auf ihre Kunst, und wenn sie fehlten oder nachläßig waren, so waren die Zuschauer, welche davon zu urtheilen wußten, bemüht, sie wieder ins Gleiß zu bringen. Tertullianus sagt auch, daß diese Gebehrden eben so verführerisch gewesen wären, als die Rede der <Schlange>Schlage, welche das erste Weib versuchte. (*) Ipse gestus colubrina vis est. Wenn die Kunstrichter, welche die Dichtkunst des Aristoteles haben tadeln oder erklären wollen, auf die Bedeutung des Worts Saltatio, Achtung gegeben hätten, so würde es ihnen gar nicht so abgeschmackt vorgekommen seyn, daß die Chöre der Alten, auch bey den traurigsten Stellen der Tragödien, getanzt haben. Man kann sich leicht vorstellen, daß dieses Tanzen in nichts andern bestanden habe, als in den Gebehrden und dem äusserlichen Bezeigen der Glieder des Chors, womit sie ihre Gesinnungen ausdrückten, sie mochten nun reden, oder auch bloß durch ein stummes Spiel bezeigen, wie sehr sie von der Begebenheit, woran sie Theil nehmen sollten, gerührt wären. Diese Declamation nöthigte den Chor öfters auf der Bühne hin und her zu gehen, und 185
|| [0237.01]
da die Bewegungen von einem Orte zum andern, welche verschiedne Personen zu gleicher Zeit machen sollen, nothwendig vorher abgeredet seyn müssen, wenn sie nicht in einen sich drengenden unordentlichen Hauffen ausarten sollen, so haben die Alten den Chören bey ihrem hin und wieder gehen gewisse Regeln vorgeschrieben. Und diese vorgeschriebnen Bewegungen haben nicht wenig dazu beygetragen, daß die Kunstrichter die Saltation der Chöre, für Ballets nach unserer Art gehalten haben. Die Chöre hatten Anfangs ihre besondern Lehrmeister, von welchen sie in ihren Rollen unterrichtet wurden; allein der Dichter Aeschylus, (*) welcher die Kunst der theatralischen Vorstellungen besonders studirt hatte, unternahm es, sie selbst zu unterrichten, und es scheinet, daß auch andere Dichter Griechenlands seinem Exempel hierinn gefolget sind. Man muß sich also den Anblick, welchen die Chöre auf den Bühnen der Griechen und Römer machten, nicht wie den Anblick vorstellen, den wir auf unsern Theatern haben würden, wenn man die Chöre declamiren liesse. Wir stellen uns gleich Anfangs die unbeweglichen Chöre der Oper vor, welche aus Personen bestehen, die größtentheils nicht einmal gehen können, und durch ihre abgeschmackte Action die allerrührendsten Scenen lächerlich machen. Wir bilden uns 186
|| [0238.01]
die Chöre der Komödien ein, die aus Statisten und den elendesten Schauspielern bestehen, die jede Rolle, zu der sie nicht gewöhnt sind, auf das ärgste mißhandeln. Allein die Chöre der alten Tragödien wurden durch gute und wohlgeübte Schauspieler aufgeführt, und der Aufwand, den man dabey machte, war so groß, daß die Athenienser durch eine besondre Verordnung ihn der Obrigkeit zuerkannt hatten. Man stelle sich also, um sich einen richtigen Begriff von diesen Chören zu machen, eine grosse Anzahl vortreflicher Schauspieler vor, welche einer Person, die sie anredet, antworten. Man stelle sich vor, daß jeder von den Schauspielern des Chors diejenigen Gebehrden macht und diejenigen Stellungen annimt, die sich dazu, was er gegenwärtig ausdrücken will, und zu dem besondern Charakter, den man ihm gegeben hat, schicken. Man stelle sich vor, daß die Alten, die Kinder, die Weiber, die jungen Leute, aus welchen die Chöre bestanden, ihre Freude, ihre Betrübniß oder ihre andern Leidenschaften durch solche Bezeigungen an den Tag legen, wie sie sich für eines jeden Alter und Geschlecht schicken. Ich glaube, ein solcher Anblick muß wahrhaftig nicht die am wenigsten rührende Scene eine<einer> Tragödie gewesen seyn. Daher finden wir auch, daß einer von den Chören des Aeschylius (*) Ursache war, daß verschiedne schwangre Weiber 187
|| [0239.01]
in dem Theater zu Athen nieder kamen. Und dieser Zufall gab hernach Anlaß, daß die Athenienser die Anzahl der Personen dieser schrecklichen Chöre bis auf funfzehn oder zwanzig herabsetzten, anstatt daß sie vorher wohl aus funfzigen bestanden hatten. Einige Stellen in unsern neuen Opern, wo der Dichter eine Hauptperson den Chor anreden, und diesen wenige Worte erwiedern läßt, sind sehr wohl aufgenommen worden, obgleich die Personen des Chors nicht declamirt haben. Mich wundert sehr, daß diese Nachahmung der Alten (man wird mir dieses Wortspiel erlauben) keine Nachahmer gefunden hat. Endlich hat man auch gesehen, daß die Chöre, welche nicht redeten und bloß das stumme Spiel der Chöre in den alten Tragödien nachahmten, auf dem Opertheater sehr wohl ausgefallen und vielen Beyfall erhalten haben, wenn sie von aufmerksamen Personen ausgeführet worden. Ich meine diejenigen Ballets, die fast aus ganz und gar keinen Tanzschritten, sondern aus blossen Gebehrden, und Bezeigungen, kurz aus einem stummen Spiele bestanden, und die Lulli in die Leichenbegleitung der Psyche, desgleichen der Alceste, in den zweyten Aufzug des Theseus, wo der Dichter alte Männer tanzend einführt, in das Ballet des vierten Aufzuges des Atys und in die erste Scene des vierten Aufzuges der Isis gebracht hatte, wo Quinault Einwohner
|| [0240.01]
der Hyperboräischen Gegenden auf das Theater bringt. Diese Halbchöre nun, man vergönne mir den Ausdruck, machten einen sehr rührenden Anblick, wenn sie Lulli von Tänzern aufführen ließ, die ihm folgen mußten, und eben so wenig, wenn er es ihnen verbothen hatte, einen Tanzschritt zu machen, als eine Gebehrde, die sie machen sollten, zu unterlassen, oder sie nicht zur rechten Zeit zu machen, wagten. Wenn man diese Tänze aufführen sah, konnte man leicht begreiffen, wie der Takt auf den Theatern der Alten die Gebehrden regieren können. Der Mann von Genie, den ich jetzt genennt habe, war durch die Stärcke seiner eignen Vorstellungskraft darauf gefallen, daß das Schauspiel auch durch die stumme Action der Chöre pathetischer werden könne; denn ich glaube nicht, daß er die Gedanken dazu aus den Schriften der Alten geschöpft, deren vom Tanze der Chöre redende Stellen noch nie so verstanden worden waren, als wir sie jetzt erklärt haben. Lulli wendete auf die Ballets, von welchen hier die Rede ist, so viel Aufmerksamkeit, daß er sich, sie zu componiren, eines besondern Tanzmeisters, Namens Olivet, bediente. Dieser war es, und nicht des Brosses oder Beauchamps, die Lulli nur zur Verfertigung der gewöhnlichen Ballets brauchte, welcher die Ballets in den Leichenbegleitungen der Psyche <und>nnd der Alceste componirte. Auch machte Olivet das Ballet der
|| [0241.01]
Alten im Thesus, desgleichen der schrecklichen Träume im Atys und der Zitterer in der Isis. Dieses letztere bestand bloß und allein aus den Gebehrden und Bezeigungen frierender Leute. Es wurde kein einziger Tanzschritt nach unserer Art dabey gebraucht. Und hiebey ist noch zu merken, daß diese Ballets, welche zu ihrer Zeit gefielen, von TänzernTänzren aufgeführet wurden, die in den Verrichtungen, wozu sie Lulli brauchte, noch Neulinge waren. Ich komme auf meine Materie wieder zurück.

Funfzehnter Abschnitt. Anmerkungen über die Art und Weise, wie dramatische Stücke auf den Bühnen der Alten vorgestellet worden. Von der starcken Neigung, welche die Griechen und Römer für das Theater hatten. Von dem Fleisse, den die Schauspieler auf ihre Kunst wendeten, und den Belohnungen, die ihnen ertheilt wurden.

Die Einbildungskraft kann die Empfindung nicht ersetzen. Da wir also kein theatralisches Stück haben aufführen sehen, in welchem ein Schauspieler recitiret, mittler Weile ein andrer die Gebehrden dazu macht, so glaube ich würde man Unrecht thun, wenn man diese bey den Alten übliche Theilung der Declamation,
|| [0242.01]
auf eine entscheidende Art loben wollte; und noch unbilliger würde man handeln, wenn man sie gerade weg verdammen wollte. Ich habe die Ursachen schon angeführt, warum sie den Alten gar nicht so lächerlich scheinen können, als sie uns Anfangs scheinet. Wir wissen noch nicht was für Annehmlichkeiten ein solches Schauspiel von den Umständen und der Geschicklichkeit der Schauspieler entlehnen können. Verschiedne Nordische Gelehrte, die aus blossen Erzehlungen geurtheilet hatten, daß die Oper ein sehr lächerliches Schauspiel seyn müsse, welches aufs höchste nur Kinder vergnügen könne, haben ihre Meinung geändert, nachdem sie selbst einige Vorstellungen mit angesehen. Die Erfahrung hatte sie davon überzeugt, wovon die Erfahrung allein überzeugen kann, daß eine Mutter, welche den Verlust ihrer Kinder in Musik beweint, doch noch immer eine Person bleibe, die uns rühren und zum Mitleiden bewegen könne. Die Marionetten, bey welchen die Declamation getheilt ist, können uns die Zeit verkürzen, obgleich die Action dabey nur auf eine Maschienenmäßige Art geschieht. Freylich kann uns dieses kindische Schauspiel nicht vergnügen, weil die lächerliche Ausführung vollkommen mit dem lächerlichen Inhalte paßt. Die Puppenoper, deren Erfinder la Grille war, und die in Paris ungefehr im Jahr 1674 aufkam, lokte zwey ganze Winter hindurch eine Menge Zuschauer
|| [0243.01]
herbey, und es war dieses Schauspiel eine ordentliche Oper, nur daß die Action von einer grossen Marionette verrichtet wurde, die schickliche Gebehrden zu dem, was ein Musicus sang, machte, dessen Stimme durch eine Oeffnung sich hören ließ, die man in dem Boden der Scene angebracht hatte. Ich habe in Italien Opern auf diese Art vorstellen sehen, und kein Mensch hielt sie für ein lächerliches Schauspiel. Die Opern, welche ein berühmter Kardinal in seiner Jugend zu seinem Vergnügen auf diese Art aufführen ließ, gefielen nicht wenig, weil die Marionetten, welche fast vier Fuß hoch waren, dem natürlichen sehr gleich kamen. Was kann uns also zu glauben bewegen, daß eben dieses Schauspiel nur alsdenn Mißfallen erweckt haben sollte, wenn vortrefliche Schauspieler, die man in der Maske agiren zu sehen schon gewohnt war, den Theil der Gesticulation ausgeführt, welchen eine Marionette nur sehr schlecht ausführen kann? Die Aufführungen und die Schriften der Römer bezeugen zur Gnüge, daß sie kein unsinniges Volck waren. Als sich die Römer zu der Art von Declamation entschlossen, bey der die Gebehrden und die Rede unter zwey verschiedne Schauspieler getheilt wurden, kannten sie schon seit mehr als hundert und zwanzig Jahren die natürliche Art zu recitiren, welches unsre Art ist. Und gleichwohl vertauschten sie sie mit jener, die weit zusammen gesetzter war.
|| [0244.01]
Uebrigens leistet der unsägliche Aufwand, welchen die Griechen und Römer bey Aufführung theatralischer Stücke machten, hinlängliche Gewähr, daß sie sehr aufmercksam dabey mußten gewesen seyn. Diese Aufmerksamkeit nun, die ganzer acht hundert Jahr hindurch dauerte (denn die Bühnen waren zu Rom nach dem Livius Andronicus, dessen Geschichte wir oben erzehlt, acht ganze Jahrhunderte offen) würde die Römer endlich gewiß von dem Gebrauche, die Declamation unter zwey Schauspieler zu vertheilen, abgebracht haben, wenn dieser Gebrauch so übel gewesen wäre, als man Anfangs zu glauben nicht ungeneigt ist. Man muß sich also dieser voreiligen Mißbilligungen hier eben so sehr enthalten, als alle vernünftige Leute sich ihrer bey Beurtheilung der Sitten und Gebräuche in fremden Ländern enthalten. Die Aufführung dreyer Trauerspiele des Sophocles kostete den Atheniensern mehr als der Peloponnesische Krieg. Man weiß was für unsägliche Kosten die Römer verwendet haben, auch sogar in den Provinzen die prächtigsten Theater, Amphitheater, und Circos bauen zu lassen. Einige von diesen Gebäuden, welche noch ganz da stehen, sind die bewundernswürdigsten Denkmähler der alten Architektur. Und auch die Ruinen derer, die verfallen sind, bewundert man. Die römische Geschichte ist voll von Beyspielen, was für eine unmäßige Neigung das Volk gegen
|| [0245.01]
die Schauspiele gehabt, und was für unglaubliche Summen es sich sowohl Regenten als Privatpersonen kosten lassen, ihr genug zu thun. Ich will also bloß hier von der Bezahlung der Schauspieler reden. Macrobius sagt, Aesopus, ein berühmter tragischer Schauspieler und Zeitgenosse des Cicero, von dem wir schon gesprochen, habe seinem Sohne, dessen Horaz (*) und Plinius als eines berichtigten Verschwenders gedenken, eine Erbschaft von fünf Millionen, die er mit dem Agiren erworben hatte, hinterlassen. Man lieset in der Geschichte des Plinius, der Komödiant Roscius, der Freund des Cicero, habe jährlich mehr als hundert tausend Franken Besoldung gehabt. (**) Quippe cum jam apud majores nostros Roscius histrio sestertium quingenta millia annua meritasse prodatur. Man muß <sogar>sagar diese Besoldung des Roscius seit der Zeit, von welcher Plinius redet, vermehrt haben, weil Macrobius sagt, es zöge dieser Komödiant von den öffentlichen Einkünften alle Tage auf neun hundert Franken, und diese Summe wäre für ihn ganz allein. Tanta fuit gratia ut mercedem diurnam de publico mille denarios sine gregalibus solus acceperit. Die Rede, welche Cicero für eben diesen Roscius hielt, rechtfertiget das Vorgeben des Plinius und Macrobius sehr wohl. Der vornehmste 188 189
|| [0246.01]
Punct des Processes, welchen Roscius hatte, betraf einen Sklaven, welchen Fannius zu dem Roscius gegeben zu haben behauptete, damit er bey ihm Komödie spielen lernen solle, worauf Roscius und Fannius diesen Sklaven verkauffen und die dafür gelösete Summe unter sich theilen wollen. Cicero will von dieser Verbindung nichts wissen, und behauptet, Panurgus, so hieß der Sklave, müsse dem Roscius, der ihn unterrichtet habe, ganz allein zugehören, weil der Werth des Komödianten den Werth der Person des Sklaven bey weiten übertreffe. Die Person des Panurgus, sagt Cicero, ist nicht dreyßig Pistolen werth, allein der Sklave des Roscius ist zwanzig tausend Thaler werth. Wenn der Sklave des Fannius des Tages kaum achtzehn Sols hätte verdienen können, so kann er jetzt als ein von dem Roscius unterrichteter Komödiant, achtzehn Pistolen verdienen, Ist es wohl glaublich, sagt Cicero an einem andern Orte, daß ein so uneigennütziger Mann als Roscius, sich, mit Verlust seiner Ehre, einen Sklaven, der kaum dreyßig Pistolen werth ist, zueignen würde; er, der uns seit zwölf Jahren umsonst Komödie spielt, und durch diese Großmuth zwey Millionen, die er hätte gewinnen können, ausgeschlagen hat? Ich schätze, fügt Cicero hinzu, die Besoldung, welche Roscius bekommen haben würde, nicht sehr hoch. Wenigstens würde man ihm nicht weniger gegeben haben, als man der
|| [0247.01]
Dyonisia giebt. Wir haben von dieser Schauspielerinn bereits gesprochen. Nun urtheile man, wie die römische Republick ihre Komödianten bezahlte. Macrobius erzehlt, (*) Julius Cäsar habe dem Laberius zwanzig tausend Thaler gegeben, um diesen Dichter dahin zu vermögen, daß er in einem Stücke, welches er verfertiget hatte, selbst mit spielte. Unter den andern Kaysern finden wir auch noch andere Verschwendungen. Endlich setzte der Kayser Marcus Aurelius, (**) welcher sehr oft Antoninus Philosophus genennet wird, fest, daß den Komödianten, welche in den Schauspielen, die gewisse Obrigkeitliche Personen dem Volke geben mußten, spielen würden, nicht mehr als fünf Goldstücken für eine Vorstellung fordern sollten, und daß derjenige, welcher die Unkosten dazu hergebe, ihnen nicht mehr als noch einmal so viel geben dürfe. Diese Goldstücke waren ungefehr mit unsern Louis, deren dreyßig auf das Mark gehen, und für vier und zwanzig Francken ausgegeben werden, von einerley Werth. Titus Livius schließt seine Erzehlung von dem Ursprunge und dem Fortgange der theatralischen Vorstellungen zu Rom, mit dieser Betrachtung, daß ein Vergnügen, welches Anfangs sehr wenig betragen habe, in so prächtige und kostbare Schauspiele ausgeartet sey, daß kaum die reichsten Königreiche den 190 191
|| [0248.01]
Aufwand dabey würden ausgehalten haben. (*) Quam ab sano initio res in hanc vel opulentis regnis vix talerabilem insaniam venerit. Da die Römer beynahe fast alle selbst Declamatores und Gebehrdenmacher geworden waren, so darf man sich nicht wundern, daß sie aus den Komödianten so viel machten. Seneca, der Vater, sagt in der Einleitung zu dem ersten Buche seiner Controversen, daß die jungen Leute seiner Zeit aus diesen zwey Künsten ihre ernsthafteste Beschäftigung machten. Malarum rerum industria invasit animos. Cantandi saltandique nunc obscæna studia effœminatos tenent. Das Uebel nahm nach der Zeit noch immer mehr zu. Ammianus Marcellinus, welcher unter der Regierung des grossen Constantinus lebte, schreibt: In wie wenigen von unsern Häusern, werden noch die freyen Künste getrieben? Man höret weiter nichts, als singen und Instrumente spielen. Anstatt eines Philosophen läßt man einen Sänger kommen, und statt eines Redners einen Lehrer der Schauspielkunst. Man verschließt die Bibliotheken auf immer, so wie man die Gräber verschließt. Man denkt auf nichts, als auf Verfertigung ausserordentlich grosser Leyern, Hydraulicorum, Flöten von allerley Art, und aller der Instrumente, welche die Gebehrden der Schauspieler zu regieren dienen. Quod cum ita sit, paucæ 192
|| [0249.01]
domus studiorum seriis cultibus antea celebratæ, nunc ludibriis ignaviæ torrentes exundant, vocali sono, perstabili tinnitu fidium resultantes. Denique pro Philosopho, Cantor, & in locum Oratoris, Doctor artium ludicrarum accitur, & Bibliothecis sepulchrorum ritu in perpetuum clausis, fabricantur hydraulica, & lyræ in speciem Carpentorum ingentes, tibiæque & histrionici gestus instrumenta non levia. (*) Ich muß hier erinnern, daß ich bey Vergleichung der römischen Münze mit Französischen der Berechnung des Budäus (**) nicht gefolgt bin, ob sie gleich, zu der Zeit, als sie dieser gelehrte Mann machte, sehr richtig war. Allein das Mark Silber, welches zu des Budäus Zeiten, noch nicht zu zwölf Franken an gangbarer Münze, gerechnet wurde, galt sechzig Franken, gangbaren Schlages, als ich meine letztere Berechnung machte. (***) Hierauf müssen die Uebersetzer und Ausleger der alten Schriftsteller Acht haben; wie sie denn auch die Summen, von welchen ihr Schriftsteller redet, Metall für Metall berechnen müssen, weil das Verhältniß zwischen Gold und Silber nunmehr ganz anders ist, als es zu den Zeiten der römischen Republik war. Zehn Unzen fein Silber galten damals eine Unze 193 194 195
|| [0250.01]
fein Gold, und wenn man jetzt in Frankreich eine Unze fein Gold bezahlen will, so muß man wohl funfzehn Unzen fein Silber dafür geben. Es giebt so gar in Europa Staaten, wo das Gold noch theurer ist. Ueberhaupt scheint es mir sehr billig zu seyn, daß man von den Progressen, welche eine gewisse Nation in den Künsten gemacht habe, welche keine dauerhaften Denkmähler hinterlassen, aus welchen man sie gehörig schätzen könne, nach den Progressen urtheile, welche eben dieselbe Nation in denjenigen Künsten gemacht, welche dergleichen Denkmähler hinterlassen. Nun aber beweisen die Denkmähler der Dichtkunst, der Beredsamkeit, der Mahlerey, der Bildhauerkunst und der Architektur, welche aus dem Alterthume bis auf uns gekommen sind, daß die Alten in allen diesen Künsten sehr geschickt gewesen sind, und sie zu einem hohen Grade der Vollkommenheit gebracht haben. Da wir uns nun also in Ansehung ihrer Geschicklichkeit in der Schauspielkunst an dieses Vorurtheil halten müssen, so werden wir es auch wohl bis dahin ausdehnen müssen, daß sie in ihren theatralischen Vorstellungen sehr glücklich gewesen, und daß wir ihnen, wenn wir sie gesehen hätten, eben die Lobsprüche würden ertheilt haben, die wir ihren Gebäuden, ihren Statuen und ihren Schriften ertheilen.
|| [0251.01]
Können wir nicht auch sogar aus der Vortreflichkeit der Gedichte der Alten ein Vorurtheil für die Verdienste ihre Schauspieler ziehen? Und wissen wir denn nicht durch die allergewissesten Muthmassungen, daß diese Schauspieler sehr vortreflich müssen gewesen seyn? Die meisten waren gebohrne Sklaven, und mußten sich also, von Jugend auf, eine so harte und strenge Lehre gefallen lassen, als ihre Herren ihnen nur immer ertheilen wollten. Sie waren übrigens versichert, daß sie mit der Zeit frey, reich und angesehen werden könnten, wenn sie sich geschickt machten. In Griechenland waren die Komödianten Personen von Wichtigkeit, und man hat sogar Abgesandte und Staatsminister gesehen, die man von dieser Profeßion genommen hatte. (*) Und obgleich die römischen Gesetze die meisten Komödianten aus dem Stande der Bürger ausgeschlossen hatten, so hatte man dennoch in Rom sehr viele Hochachtung für sie, wovon wir gar bald gute Beweise anführe wollen. Sie spielten daselbst ungestraft den grossen Herren, wenigstens eben so wohl als die Castraten, welche heut zu Tage in Italien singen. Wir wissen es sehr zuverläßig, daß die Lehre, welche die Komödianten ausstehen mußten, die man, allem Ansehen nach, mit den gehörigen Gaben aussuchte, eine sehr lange Lehre war. 196
|| [0252.01]
Nach dem Cicero übten sich die, welche in Tragödien spielen wollten, ganze Jahre vorher, ehe sie das Theater betraten. In ihren Lehrjahren declamirten sie sogar sitzend, damit ihnen das Declamiren auf dem Theater desto leichter würde, wo sie stehend declamiren konnten. Wenn man sich angewöhnt hat, gewisse Verrichtungen unter beschwerlichern Umständen auszuführen, als es nöthig ist, so kann man hernach desto mehr Leichtigkeit und Anmuth dabey zeigen. Nun aber befindet sich die Brust bey einem Menschen, welcher steht, in weit weniger Zwange, als bey einem Menschen, welcher sitzt. Dieses ist auch die Ursache, warum sich damals die Gladiatores mit schwerern Waffen üben mußten, als die ordentlichen Waffen waren, mit welchen sie zu streiten pflegten. (*) Difficiliora enim debent esse quæ exercent, quo sit levius ipsum illud in quod exercent. Die Arbeit, der man uns in den Lehrjahren unterwirft, muß schwerer seyn, als die Arbeit ist, zu der man uns geschickt machen will. (**) Gladiatores gravioribus armis discunt quam pugnant sagt Seneca, der Vater. Die grossen Schauspieler würden des Morgens nimmermehr ein Wort ausgesprochen haben, ohne vorher, so zu reden, ihre Stimme methodisch zu entwickeln, indem sie sie nur nach 197 198
|| [0253.01]
und nach hervorkommen liessen, und immer nur stuffenweise anstrengten, damit sie ihren Sprachwerkzeugen keinen Schaden thäten, wenn sie sie plötzlich mit Heftigkeit brauchten. Sie beobachteten so gar auch dieses, daß sie gedachte Uebung liegend verrichteten. Wenn sie gespielt hatten, so setzten sie sich nieder, und wickelten in dieser Stellung, so zu reden, ihre Sprachwerkzeuge wieder zusammen, indem sie erst in dem höchsten Tone, auf welchen sie in dem Declamiren gekommen waren, Athem hohlten, und dieses Athemhohlen durch alle Töne herab fortsetzten, bis sie auf dem tiefsten Ton damit kamen, welchen sie in ihrer Declamation gebraucht hatten. So viel Vortheile nun auch die Beredsamkeit zu Rom verschafte, so sehr sich auch diese durch eine schöne Stimme ausnimt, so will Cicero doch nicht, daß ein Redner sich zum Sklaven seiner Stimme mache, wie es die Komödianten zu thun pflegten. (*) Me autore nemo dicendi studiosus Græcorum & Tragœdorum more voci serviet, qui & annos complures sedentes declamitant, & quotidie antequam pronuncient, vocem cubantes sensim excitant: eamdem cum egerint, ab acutissimo sono usque ad gravissimum sonum recolligunt. Gleichwohl erhellet, daß wenig Zeit nach dem Tode des Cicero, welchen Seneca der Vater noch sehen können, wie er selbst sagt, die 199
|| [0254.01]
römischen Redner zu Erhaltung ihrer Stimme, sich aller der abergläubischsten Hülfsmittel der Schauspieler bedienten. Seneca schreibt also als etwas seltenes, wenn er von dem Porcius Latro, einem zeitverwandten Redner, und zugleich seinem Freund und seinem Mitschüler redet: daß dieser Porcius, welcher in Spanien war erzogen worden, und sich an ein mäßiges und arbeitsames Leben, dergleichen man in den Provinzen noch führte, gewöhnt hatte, zur Erhaltung seiner Stimme nichts gebraucht, und auch nicht einmal die methodische Entwicklung derselben, von dem höchsten Tone bis zu dem tiefsten, beobachtet habe. (*) Nil vocis causa facere, non illam per gradus paulatim ab imo usque ad summum perducere, non rursus a summa contentione paribus intervallis descendere, non sudorem unctione discutere. Wenn Persius von denjenigen spricht, die sich gefaßt machen öffentlich zu reden, so rechnet er unter die Vorsichtigkeiten, deren sie sich bedienen, auch das Ausspielen der Gurgel mit einem ausdrücklich dazu verfertigten Wasser.
Grande aliquid, quod pulmo animæ prælargus anhelet:
Scilicet hæc populo, pexusque togaque recenti, 200
|| [0255.01]

— — — liquido cum plasmate guttur
Mobile conlueris. (*) Aristoteles (**) hatte eben das gesagt, was Cicero von der Sorgfalt sagt, mit welcher die Schauspieler, und diejenigen, welche in den Chören singen, ihre Stimme zu erhalten suchten. Apulejus meldet uns auch, daß die tragischen Schauspieler alle Tage etwas declamirten, damit ihre Sprachwerkzeuge, so zu reden, nicht einrosteten. Desuetudo omnibus pigritiam, pigritia veternum parit. Tragœdi adeo ni quotidie proclament claritudo arteriis obsolescit. Igitur itidentidem boando purgant ravim. (***) Man findet in den Schriften der Alten unzählige Beweise, daß ihre Aufmerksamkeit auf alles, was die Stimme verstärken oder verschönern konnte, sich bis zum Aberglauben erstreckte. Aus dem dritten Hauptstücke des eilften Buchs des Quintilians kann man sehen, daß die Alten, in Ansehung einer jeden Art der Beredsamkeit, sehr tiefsinnige Betrachtungen über die Natur der menschlichen Stimme, und über alle dienliche Hülfsmittel, sie durch die Uebung zu stärken, angestellet hatten. Die Kunst, welche die Stimme stärken und gehörig brauchen lehrte, war sogar eine besondre Profeßion geworden. 201 202 203
|| [0256.01]
Plinius merkt an verschiednen Stellen seiner Geschichte mehr als zwanzig Pflanzen, Specifica oder dienliche Recepte zur Stärkung der Stimme an. Diese Sorgfalt war ein Theil der ernsthaftesten Beschäftigungen aller derjenigen, welche öffentlich zu reden hatten. Ich will hier bloß den Nero anführen, diesen Komödianten, den die Götter die Regierung der Welt anzuvertrauen für gut befanden. Plinius erzehlt, dieser Monarch sey der Erfinder einer neuen Methode, die Stimme zu verstärken gewesen. Sie bestand darinn, daß man eine Platte Bley auf die Brust legte, und dabey aus allen Kräften declamirte. (*) Nero, quoniam ita diis placuit princeps, lamina pectorii imposita sub ea Cantica exlamans alendis vocibus demonstravit rationem. Suetonius fügt sogar dem, was Plinius erzehlt, einige sonderbare Umstände bey. Nachdem er von der Diät und den Hülfsmitteln zu Erhaltung einer schönen Stimme geredet, so erzehlt er, daß Nero, nachdem er von seiner Reise durch Griechenland zurückgekommen, so zärtlich mit seiner Stimme umgegangen, daß er ungemein viel Arzeneyen, zu ihrer Erhaltung gebraucht, und daß er bey der Musterung der Truppen, durchaus nicht mehr, einen jeden Soldaten, nach der alten Gewohnheit, bey seinen Namen ruffen wollen. Er ließ sie durch denjenigen Bedienten rufen, welchen 204
|| [0257.01]
die Römer bey sich hatten, und der bey den Gelegenheiten, wo sie sehr laut hätten reden sollen, für sie sprechen mußte. Nec eorum quidquam omittere quæ generis ejus artifices, vel conservandæ vocis causa vel augendæ factitarent. Sed & plumbeam chartam supinus pectore sustinere & clistere vomituque purgari, & abstinere pomis cibisque officientibus. Ac post hæc tantum abfuit a remittendo laxandoque studio, ut conservandæ vocis gratia neque milites unquam nisi alio verba pronunciante appellaret. Ein wenig ausschweifende Einbildung ist von je her die Eigenschaft der Komödianten gewesen. Allein selbst diese Einbildungen des Nero und seines gleichen zeigen genugsam, wie hoch alle Künste, bey welchen es auf die Schönheit der Stimme ankam, zu der Zeit geschätzt worden.

Sechzehnter Abschnitt. Von den Pantomimen, oder den Schauspielern, welche, ohne zu reden, spielten.

Es war den Alten nicht genug, daß sie die hypokritische Musik, oder die Kunst der Gebehrden, in eine Methode gebracht hatten, sondern sie hatten sie auch so vollkommen gemacht, daß sich Komödianten fanden, die alle Arten von
|| [0258.01]
dramatischen Stücken, ohne ein Wort zu reden, zu spielen wagten. Es waren dieses die Pantomimen, welche alles, was sie sagen wollten, mit Gebehrden ausdrückten, die die Kunst der Saltation lehrte. Wird sich Venus, sagt Arnobius in seinem Werke wider den heidnischen Aberglauben, deswegen besänftigen, weil ein Pantomime den Adonis mit Gebehrden, welche die Tanzkunst lehret, vorgestellet hat? (*) Obliterabit offensam Venus, si Adonis in habitu gestum agere viderit saltatoriis in motibus Pantomimum? Die Pantomimen spielten also gemeiniglich ohne zu reden. Histriones quasdam in theatro fabulas sine verbis saltando, plerumque aperiunt & exponunt. (**) Die Histrione stellen uns gemeiniglich ein Stück vor, ohne zu reden. Es scheint zwar in der That, wen man den Lucian (***) lieset, als ob man manchmal den Innhalt des Stücks, welches der Pantomime verstellte, gesungen habe; allein es erhellet aus andern Stellen, die ich weiter unten anführen werde, nicht weniger, daß die Pantomimen auch oft gespielt, ohne daß jemand die Verse desjenigen Auftritts, den sie mit ihrem stummen Spiele vorstellten, dabey gesungen oder recitiret. Den Namen Pantomimen, welcher einen Nachahmer aller Dinge bedeutet, hatte diese Art von 205 206 207
|| [0259.01]
Komödianten ohne Zweifel deswegen bekommen, weil sie mit ihren Gebehrden alles nachahmten und alles damit zu verstehen gaben. Wir werden sehen, daß der Pantomime manchmal nicht nur eine Person vorstellte, wie es die andern Komödianten thun, sondern daß er auch manchmal mit seinen Gebehrden die Handlung verschiedner Personen bezeichnete. Wenn man, zum Exempel, manchmal in der Komödie Amphitryo die Scene zwischen dem Mercur und dem Sosias unter zwey Pantomimen theilte; wenn manchmal ein Schauspieler die Rolle des Sosias, und ein andrer die Rolle des Mercurius spielte, so spielte auch manchmal ein einziger Schauspieler beyde Rollen zugleich, indem er bald die Person des Sosias und bald die Person des Mercurius vorstellte. Wir haben oben gesagt, daß die Kunst der Gebehrden aus natürlichen und aus willkührlichen Gebehrden bestehe. Es ist leicht zu glauben, daß sich die Pantomimen beyder werden bedient, und doch noch nicht genug Mittel gehabt haben, ihre Gedancken auszudrücken. Daher mußten auch, wie der h. Augustinus sagt, alle Bewegungen eines Pantomimen etwas bedeuten. Alle seine Gebehrden waren, so zu sagen, Redensarten, allein nur für diejenigen, welche den Schlüssel dazu hatten. (*) <Histrio>Histrio. 208
|| [0260.01]
nes omnium membrorum motibus dant signa quædam scientibus & cum oculis eorum fabulantur. Da die Pantomimen viele Gebehrden brauchten, deren Bedeutung willkührlich war, so mußte man an ihren Ausdruck schon gewöhnt seyn, um von dem, was sie sagen wollten, nichts zu verlieren. Der h. Augustinus lehrt uns auch wirklich in eben dem angeführten Buche, daß, als die Pantomimen auf dem Theater in Karthago zu spielen angefangen, der öffentliche Ausrufer eine lange Zeit hindurch dem Volke vorher den Innhalt des Stücks, welches sie mit ihrem stummen Spiele vorstellen wollten, bekannt machen müssen. Und es giebt noch jetzt, fügt dieser Kirchenlehrer hinzu, alte Leute, die sich, wie sie mir erzehlt haben, dieses Gebrauchs erinnern. Wir sehen übrigens, daß diejenigen, welche der Geheimnisse dieser Schauspiele nicht kundig sind, dasjenige nicht recht verstehen, was die Pantomimen sagen wollen, wenn es ihnen nicht von denjenigen, die um sie herum stehen, erklärt wird. Primis temporibus saltante Pantomimo præco pronunciabat populis Carthaginis, quod saltator vellet intelligi. Quod adhuc multi meminerunt senes quorum relatu hæc solemus audire. Quod ideo credendum est, quia nunc quoque si quis talium nugarum imperitus intraverit, nisi ei dicatur ab altero, quid illi motus significent, frustra intentus est.
|| [0261.01]
Allein die Gewohnheit lehrte auch diejenigen die stumme Sprache der Pantomimen verstehen, die sie nicht methodisch erlernt hatten, so wie sie ungefehr die Bedeutung aller Worte einer fremden Sprache lehrt, von der man schon einige Ausdrücke weiß, wenn man mitten unter dem Volke lebt, welches diese Sprache redet. Aus dem Worte, welches man weiß, erräth man ein anders, welches man nicht weiß, und aus diesem lernt man wieder ein anders errathen. Wenn man einmal diese Sprache verstand, so konnte man aus den Gebehrden, die man wußte, auch diejenigen neuen Gebehrden errathen, welche die Pantomimen, allem Ansehen nach, von Zeit zu Zeit erfanden; und diese neue Gebehrden dienten hernach wiederum, noch neuere daraus zuverstehen. Das Gedicht des Sidonius Apollinaris, welches die Aufschrift, Narbonna, führt, und an den Consentius, einen Bürger dieser Stadt gerichtet ist, versichert uns ausdrücklich, daß verschiedne Pantomimen ihre Stücke, ohne ein einziges Wort zu reden, gespielt haben. Sidonius sagt darinne zu seinem Freunde: Wenn du mit deinen Angelegenheiten fertig warest, und dich zur Erhohlung in das Theater begabest, so zitterten alle Komödianten vor dir. Es schien, als ob sie vor dem Apollo und den neuen Musen spielen sollten. Du wußtest es sogleich, was Caramalus und Phabaton, ohne ein Wort zu reden, vorstellten, indem sie sich
|| [0262.01]
bald, so zu sagen, durch eine redende Gebehrde, bald durch ein Zeichen mit dem Kopfe, bald durch ein Zeichen mit der Hand, und bald durch eine andre Bewegung des Körpers ausdrückten. Du wußtest es sogleich, ob es Jason, oder Thyest, oder eine andre Person war, die sie vorstellen wollten.

Coram te Caramalus aut Phabaton
Clausis faucibus & loquente gestu
Nutu, crure, genu, manu, rotatu, &c. (*) Dieser Caramalus und dieser Phabaton waren, wie uns der Pater Sirmond in seinen Anmerkungen über den Sidonius (**) lehret, zwey berühmte Pamtomimen<Pantomimen>, deren in den Briefen des Aristenetus und bey dem Skoliastiker Leontius gedacht wird. Der Ausleger des Sidonius führt auch bey dieser Gelegenheit folgende alte Sinnschrift an, deren Verfasser nicht bekannt ist
Tot linguæ, quot membra viro, mirabilis est ars
Quæ facit articulos, ore silente, loqui. Alle Glieder des Pantomimen sind so viel Zungen, mit welchen er reden kann, ohne den Mund aufzuthun. Man kann sich ganz wohl vorstellen, wie es die Pantomimen müssen gemacht haben, um eine Handlung deutlich zu bezeichnen, und durch 209 210
|| [0263.01]
Gebehrden in ihrem eigentlichen Verstande genommene Worte zu verstehen zu geben, als der Himmel, die Erde, der Mensch; wohin ich auch die Zeitwörter rechne, die eine Handlung oder eine leidende Beschaffenheit bedeuten. Wie aber konnten sie, wird man fragen, die Worte zu verstehen geben, die in figürlichem Verstande genommen werden, und die in der poetischen Schreibart so häufig sind? Vors erste will ich hierauf antworten, daß man manchmal aus dem Sinn der ganzen Redensart den Verstand dieser figürlich genommenen Worte schliessen konnte. Zweytens giebt uns Macrobius (*) einiger Maassen einen Begrif, wie es die Pantomimen machten, wenn sie dergleichen Worte auszudrücken hatten. Er erzehlt, Hylas, der Schüler und Nebenbuhler des Pylades, welcher die Kunst der Pantomimen, wie wir bald sagen werden, erfunden hatte, habe eine Monologe nach seiner Art aufgeführt, die sich mit den Worten, der grosse Agamemnon geschlossen. Um diese auszudrücken, machte Hylas die Gebehrden eines Menschen, welcher sich mit einem andern, welcher grösser ist als er, messen will. Hier nun rufte ihm Pylades zu: Du machst aus deinem Agamemnon wohl einen langen Mann, aber keinen grossen. Das Volk verlangte hierauf, daß Pylades sogleich eben diese Rolle spielen sollte. Augustus, unter dessen Regierung dieses geschahe, 211
|| [0264.01]
sahe es lieber, wenn das Volk im Theater, als wenn es auf dem Campo Martio den Herrn spielen wollte. Pylades mußte dem Volke also gehorchen; und als er auf die Stelle kam, bey welcher er seinen Schüler so laut getadelt hatte, so stellte er durch seine Gebehrden und durch seine Stellung das Betragen eines Menschen vor, welcher sich in einem ernsten Nachdenken vertieft hat, um den eigentlichen Charakter des grossen Mannes auszudrücken. Was er damit sagen wollte, konnte man sich leicht vorstellen; dieses nehmlich, daß ein Mann, welcher grösser seyn solle, als andre, derjenige sey, welcher mehr und tieffer denke, als andre. Die Nacheiferung war zwischen dem Pylades und Bathyllus, einem andern Pantomimen, so groß, daß Augustus, der sich manchmal dadurch in Verlegenheit gesetzt sahe, für gut befand, mit dem Pylades deswegen zu sprechen, und ihn zu ermahnen, daß er mit seinem Nebenbuhler, welchen Mäcenas beschützte, in gutem Verständnisse leben möchte. (*) Pylades aber antwortete ihm weiter nichts als dieses, daß es am besten für den Kayser wäre, wenn sich das Volk nur mit dem Bathyllus und Pylades beschäftigte. Man kann sich leicht einbilden, daß es Augustus nicht für dienlich hielt, auf diese Antwort etwas zu erwiedern. Wir wollen nunmehr die Person der Pantomimen betrachten. Der Verfasser des Werks 212
|| [0265.01]
wider die Schauspiele der Alten, welches wir unter den Werken des h. Cyprianus haben, beschreibt einen Pantomimen, als ein Ungeheuer, welches weder Mann noch Weib sey, deren Manieren weit geiler wären, als die Manieren irgend einer Hure, und dessen Kunst darinn bestehe, daß er mit seinen Gebehrden reden könne. Gleichwohl, fügt er hinzu, wird die ganze Stadt in Bewegung gesetzt, ihn die schändlichen Ausschweifungen des fabelhaften Alterthums, durch Gebehrden vorstellen zu sehen. Huic dedecori condignum dedecus super inducitur, homo fractus omnibus membris, & vir ultra muliebrem mollitiem dissolutus. Cui ars est verba manibus expedire, & propter unum nescio quem nec virum nec fœminam, commovetur civitas, ut desaltentur fabulosæ antiquitatis libidines. Die Römer mußten sich vielleicht in den Kopf gesetzt haben, daß ihre Pantomimen, wenn sie sie zu Verschnittenen machten, eine gewisse Geschmeidigkeit des ganzen Körpers behalten würden, welche Männer nicht haben könnten. Dieser Gedanke, oder wenn man lieber will, diese Grille war Ursache, daß sie an den Kindern, welche zu dieser Profeßion bestimmt wurden, eben die Grausamkeit verübten, welche man in einigen Ländern noch jetzt an den Kindern ausübt, die ihre Stimme nicht verlieren sollen. Der h. Cyprianus sagt in dem Briefe, in welchen er dem Donatus von den Ursachen
|| [0266.01]
Rechenschaft giebt, die ihn die christliche Religion anzunehmen bewogen, daß die Schauspiele, welche einen Theil des heidnischen Götterdienstes ausmachten, voller Unzucht und Grausamkeit wären. Nachdem er die Abscheulichkeiten des Amphitheaters angeführt, fügt er, indem er von den Pantomimen spricht, hinzu, daß man die Mannspersonen aus ihrem Geschlechte herabsetze, um sie zu einer so ehrlosen Profeßion geschickter zu machen, und daß man von demjenigen Lehrmeister, welchem es am besten gelungen, einer Mannsperson das Ansehen einer Frau zu geben, rühme, daß er die besten Schüler habe. Evirantur mares, omnis honor & vigor sexus enervati corporis dedecore emollitur, plusque illic placet quisquis virum in fœminam magis fregerit. Wie viel Ungemach, sagt Tertullianus in seinem Werke wider die Schauspiele, muß ein Pantomime an seinem Körper ausstehen, wenn er ein Künstler in seiner Art werden will? Quæ denique Pantomimus a pueritia patitur in corpore, ut artifex esse possit. Lucianus (*) sagt es auch ausdrücklich, daß nichts schwerer zu finden sey, als ein gutes Subjectum, aus welchem man einen Pantomimen machen könne. Nachdem er von der Gestalt, von der Geschmeidigkeit, von der Leichtigkeit, und von dem Ohre, welches er haben müßte, geredet, sagt er, es sey eben so leicht ein Gesicht zu 213
|| [0267.01]
finden, welches zugleich sanft und majestätisch wäre. Er verlangt hierauf, daß man diesen Schauspieler die Musik, die Geschichte und ich weis nicht wie viel Dinge noch lehren solle, die dem, der sie wüßte, den Namen eines Gelehrten verdienen könnten. Wir lesen bey dem Zosimus (*) und Suidas, daß die Kunst der Pantomimen zu Rom unter der Regierung des Augustus aufgekommen, welches dem Lucianus Anlaß gegeben zu sagen, Sokrates habe die Tanzkunst nur in ihrer Wiege gesehen. Zosimus rechnet die Erfindung der Kunst der Pantomimen unter die Ursachen, welche die Sitten des römischen Volks verdorben, und dem Staate so viel Unheil zugezogen hätten. Nam & Pantomimorum saltatio prius incognita, temporibus iis in usu esse cœpit, Pylade ac Bathyllo primis ejus autoribus, & præterea quædam alia, quæ multis huc usque malis causam præbuerunt. Die Römer wurden auch in der That auf diese Art von Schauspielen ganz rasend. Die zwey ersten Erfinder dieser Kunst waren also Pylades und Bathyllus, die ihre Namen in der römischen Geschichte so berühmt gemacht haben, als es in der neuern Geschichte der Name eines Angebers irgend einer Stiftung nur immer seyn kann. Pylades hatte die Sammlung seiner Gebehrden, so zu reden, aus den drey Samm 214
|| [0268.01]
lungen der Gebehrden gezogen, von welchen wir bereits gesprochen haben, und die für die Tragödien, für die Komödien und für dasjenige dramatische Gedicht gehörten, welches die Alten Satyren nannten. (*) Pylades hatte die Kunst der Pantomischen Gebehrden ἰταλικην ὀρχησιν das italiänische Tanzen, genennt. Nach den Zeiten des Pylades hatte man also vier Sammlungen der theatralischen Gebehrden. Die Emmelie, deren man sich zur Tragödie bediente; den Kordax, den man zur Komödie brauchte; die Sikinnis für die Satyre und die italiänische Art für diejenigen Stücke, welche von den Pantomimen aufgeführet wurden. Calliachius, welcher im Jahr 1708 als Professor der schönen Wissenschaften zu Padua starb, (**) behauptet, die Kunst der Pantomimen sey älter als Augustus; allein er beweiset seine Meinung schlecht. Er nimmt für die Kunst der Pantomimen, welche darinn bestand, daß sie ein Stück oder eine aneinander hangende Scene, ohne zu reden, vorstellen konnten, das, was Livius (***) imitandorum carminum actum nennet, die Kunst irgend eine Leidenschaft nach Gutbefinden tanzend anszudrücken, welche freylich älter als Augustus war. 215 216 217
|| [0269.01]
Wir wollen weiter unten eine Stelle des ältern Seneca anführen, welcher den Pylades und Bathyllus hat sehen können, und in der er uns sagt, daß Pylades es dem Bathyllus in tragischen Stücken weit zuvor gethan, daß aber auch Bathyllus den Pylades in komischen Stücken weit übertroffen. Athenäus macht uns von diesen zwey Pantomimen eben dieselbe Vorstellung, die wir auch in vielen andern alten Schriftstellern bekräftiget finden. Um zu sagen, die Pantomimen spielten ein Stück, sagte man fabulam saltabant, und die Ursache hiervon haben wir bereits angeführt. Man brauchte zu diesen Vorstellungen Flöten von ganz besonderer Art, welche man Tibias dactylicas (*) nennte. Vielleicht ahmte der Klang dieser Flöten dem Klange der menschlichen Stimme besser nach, als andre, wie etwa unsere Traversierflöten. Sie schickten sich vielleicht besser dazu, den Inhalt zu spielen, oder, nach meiner Muthmassung, den in Noten gebrachten Gesang der Verse, welche bey den gewöhnlichen Vorstellungen recitirt wurden; denn man siehet aus einer Stelle des Caßiodorus, (**) welche oben angeführt worden, daß die dactylische Flöte noch von andern Instrumenten unterstützt worden, die ihrem Gesange, allem Ansehen nach, statt des Generalbasses dienten. 218 219
|| [0270.01]
Was am wunderbarsten hierbey scheinen wird, ist dieses, daß die Komödianten, welche ihre Stücke, ohne zu reden, spielten, sich der Bewegungen des Gesichts bey ihrer stummen Declamation nicht bedienen konnten. Sie mußten sich durch die Bewegungen der übrigen Glieder auszudrücken wissen; denn so viel ist ganz gewiß, daß sie eben sowohl, wie die übrigen Komödianten unter der Maske spielten. Lucianus sagt, die Maske der Pantomimen habe keinen so weit aufstehenden Mund gehabt, wie die Masken der gewöhnlichen Komödianten, und sie hätte überhaupt weit annehmlicher ausgesehen. Macrobius erzehlt, Pylades habe sich einsmals sehr erzürnt, als er den rasenden Herkules gespielt, und die Zuschauer seine Gebehrden, die nach ihrer Meinung allzu übertrieben gewesen, tadeln wollen. Er nahm also seine Maske ab, und rief ihnen zu: ihr Narren, ich stelle ja einen Menschen vor, der noch närrischer ist, als ihr. Macrobius erzehlt, am angeführten Orte, noch andre dergleichen Züge von diesem berühmten Erfinder der Pantomimen. (*) Es ist glaublich, daß diese Komödianten Anfangs nur diejenigen Scenen aus Tragödien und Komödien werden vorgestellt haben, welche Cantica genennt wurden. Ich stütze mich mit dieser Muthmassung auf zwey Gründe. Der erste ist dieser, weil die Schriftsteller des Alterthums, 220
|| [0271.01]
welche vor dem Apulejus gelebt haben, niemals, soviel ich mich erinnere, von dramatischen Stücken reden, welche von ganzen Banden pantomischer Schauspieler aufgeführet worden. Sie reden nur bloß von Monologen und Canticis, die von stummen Komödianten getanzt worden. Wir finden sogar in dem oft angeführten Werke des Lucians, daß ein Fremder, als er fünf Kleider gesehen, die für einen einzigen Pantomimen verfertiget worden, welcher fünf verschiedene Rollen hinter einander spielen sollen, gefragt habe, ob er alle fünf Kleider auf einmal anziehen werde. Allem Ansehn nach hätte er diese Frage wohl nicht thun können, wenn man damals schon ganze Banden pantomimischer Komödianten gehabt hätte. Der zweite Grund ist dieser, daß es natürlicher Weise fast nicht anders seyn können. Die ersten Pantomimen, wenn die Zuschauer einen Geschmack an ihnen haben finden sollen, werden es freylich so haben einrichten müssen, daß sie von ihnen haben können verstanden werden; und damit sie desto leichter verstanden werden könnten, werden sie, ohne Zweifel, Anfangs nur die schönsten Scenen der bekanntesten dramatischen Stücke, in ihrer stummen Declamation vorgestellt haben. Wenn zu Paris Pantomimen aufkommen wollten, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sie ungefehr mit den schönsten Scenen des Cid, oder anderer bekannten Stücke anfangen und besonders diejenigen
|| [0272.01]
wählen würden, wo die Handlung von dem Komödianten verschiedne besondre Stellungen, verschiedne merkliche Gebehrden erfordert, die man sogleich verstehen kann, ohne daß man die Rede dazu hört, die sie natürlicher Weise zu begleiten pflegen. Von Seiten der Lustspiele würden sie vielleicht mit der Scene zwischen dem Sosias und Mercur in dem ersten Auftritte des Amphitryo den Anfang machen. Oder wenn diese Pantomimen Scenen aus unsern Opern aufführen wollten, so würden sie vielleicht zum Anfange die letzte Scene des vierten Aufzugs im Roland, wo dieser Held rasend wird, dazu wehlen. Vielleicht war es gar erst zu den Zeiten des Lucianus, als sich vollständige Banden von Pantomimen zusammen thaten, und aneinanderhangende Stücke zu spielen anfingen. Apulejus, welcher den Lucian noch kann gekannt haben, theilt uns eine genaue Beschreibung von dem Urtheile des Paris mit, welches von einer Bande Pantomimen aufgeführet worden. (*) Man sieht darinne, daß Juno, Pallas und Venus, eine nach der andern, mit dem Paris gesprochen, und ihm die Vorschläge gethan, die jederman weiß, indem sie sich mit Gebehrden und Stellungen, die von Instrumenten accompagnirt worden, ausgedrückt. Apulejus merkt es mehr als einmal an, daß sie ihre Gedanken mit Ge 221
|| [0273.01]
behrden zu verstehen gegeben; nutibus oder gestibus. Wenn er von der Juno spricht, sagt er: Hæc puella varios modulos concinente tibia, præ cæteris quieta & inaffectata gesticulatione, nutibus honestis pastori pollicetur, si sibi præmium decoris addixisset, & sese regnum totius Asiæ tributuram. Von der Minerva sagt er: Hæc inquieto capite & oculis in aspectum minacibus citato & intorto genere gesticulationis alacer, demonstrabat Paridi, si sibi formæ victoriam tradidisset, fortem trophæisque bellicis inclytum suis adminiculis futurum. Von der Venus heißt es: Sensim annutante capite cœpit incedere, mollique tibiarum sono delicatis respondere gestibus, & non nunquam saltare solis oculis. Hæc ut primum ante conspectum judicis facta est, nisu brachiorum polliceri videbatur &c. Eine jede Göttin hatte auch ihre besondere und aus verschiedenen Schauspielern bestehende Begleitung. Weil die Pantomimen nichts reden durften, und nur Gebehrden zu machen hatten, so begreift man leicht, daß alle ihre Bezeigungen viel lebhafter, und alle ihre Action viel feuriger müsse gewesen seyn, als die Action gewöhnlicher Komödianten zu seyn pflegte. Diese letztern konnten nur einen Theil ihrer Aufmerksamkeit und ihrer Kräfte auf die Gebehrden wenden, weil sie in den Gesprächen selbst redten, und in den Mo
|| [0274.01]
nologen, die ein andrer für sie sagte, bedacht seyn mußten, ihr stummes Spiel mit der Recitation dieses andern, welcher für sie redte, den Takt halten zu lassen. Der Pantomime hingegen war von seiner Action völlig Meister, und seine einzige Sorge ging bloß dahin, das, was er ausdrücken wollte, verständlich zu machen. Daher nennt Cassiodorus die Pantomimen auch Leute, deren beredte Hände, so zu reden, an der Spitze eines jeden Fingers eine Zunge hätten; Leute, welche redten, indem sie stille schwiegen, und eine ganze Erzehlung machen könnten, ohne den Mund aufzuthun; kurz, Leute, welche die Polyhymnia, die Muse, welche der Musik vorstand, selbst gebildet habe, um zu zeigen, daß man eben nicht Worte articuliren müsse, um seine Gedanken zu verstehen zu geben. So drückt er sich nehmlich in dem Briefe aus, welchen er im Namen des Theodoricus, Königs der Ostrogoten, an den Symmachus, Präfectus von Rom, schreibet, um ihn zu besehlen, das Theater des Pompejus auf Unkosten dieses Monarchen wieder ausbessern zu lassen. Nachdem er nehmlich von den Tragödien und Komödien, die auf diesem Theater vorgestellt wurden, geredet, so fügt er hinzu: (*) Orchestarum loquacissimæ manus, linguosi digiti, silentium clamosum, expositio tacita, quam Musa Polyhymnia reperisse narratur, ostendens homines posse sine oris afflatu velle suum declarare. 222
|| [0275.01]
Wenn man dem Martial und einigen andern Dichtern glauben will, so machten die Pantomimen recht erstaunliche Eindrücke auf die Zuschauer. Man weis die Verse des Juvenals
Chironomum Lædam molli saltante Bathyllo
Tuccia &c. Allein die meisten dieser Stellen sind so beschaffen, daß man sie auch nicht einmal lateinisch anführen kann. Uebrigens sind auch die Dichter wegen des Uebertreibens verdächtig. Wir müssen uns also mit der Anführung prosaischer Schriftsteller begnügen. Seneca der Vater, welcher in einem Stande lebte, der zu seiner Zeit einer von den angesehensten war, gesteht es selbst, daß sein Geschmack an den Vorstellungen der Pantomimen eine wahrhafte Leidenschaft geworden sey. Und damit ich mich, sagt er, auf meine Krankheit beruffe, so mußt du wissen, daß Pylades und Bathyllus gar nicht mehr eben dieselben Schauspieler waren, wenn jener in der Komödie und dieser in der Tragödie spielte. Seneca sagt dieses, wenn er von der Schwierigkeit redet, in mehr als einer Profession gleich glücklich zu seyn. (*) Et ut ad morbum te meum vocem, Pylades in Comœdia, Bathyllus in Tragœdia multum a se aberant. Lucian sagt, man habe bey den Vorstellungen der Pantomimen eben so wohl, als bey andern dramatischen Stücken geweint. 223
|| [0276.01]
Unter den nordischen Völkern Europens würde die Kunst der Pantomimen einen solchen Fortgang bey weiten nicht haben, weil dieser ihre natürliche Action nicht sehr beredt und auch nicht so merklich ist, daß man sie gleich wieder erkennen könne, wenn man sie, ohne die Rede dabey zu hören, sieht, mit welcher sie gemeiniglich verbunden ist. Die Nachbildung ist allezeit weniger lebhaft als das Original. In Italien aber, wie wir schon angemerkt haben, sind alle Unterredungen mit weit mehr Bezeigungen angefüllt, und reden den Augen, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, weit mehr, als in unsern Gegenden. Wenn ein Römer einmal den Ernst seines gezwungenen Betragens ablegen und seiner natürliche Lebhaftigkeit den Zügel lassen will, so ist er an Gebehrden und Bezeigungen, die fast alle ganze Redensarten bedeuten, ungemein fruchtbar. Seine Action macht Dinge verständlich, die unsre Action nimmermehr würde errathen lassen, und seine Gebehrden nehmen sich so sehr aus, daß man sie so gleich wieder kennt, wenn man sie sieht. Wenn daher ein Römer von einer wichtigen Sache mit einem Freunde in geheim reden will, so ist es ihm nicht genug, wenn er nur von andern nicht kann gehört werden, sondern er braucht die Vorsicht, daß ihn andre auch nicht einmal sehen können, weil er mit Recht befürchtet, seine Gebehrden und die Bewegungen seines Gesichts möchten das, was er sagt, verrathen.
|| [0277.01]
Man muß hierbey nur merken, daß eben dasselbe Feuer der Einbildungskraft, welches, vermöge einer natürlichen Bewegung, lebhafte, mannichfaltige und ausdrückende Bewegungen machen läßt, auch die Bedeutung derselben leicht begreiffen hilft, wenn es darauf ankömmt, daß man die Gebehrden eines andern verstehen soll; denn eine Sprache, die man selbst redt, kann man leicht verstehen. Allein die Sprache der Stummen des Großsultans, welche ihre Landsleute ohne Mühe verstehen, und die ihnen eine deutlich articulirte Sprache zu seyn scheinet, würde den nordischen Völkern Europens nur ein verwirrtes Gebrumme zu seyn scheinen. Wenn man mit diesen Betrachtungen noch eine sehr gewöhnliche Anmerkung verbindet, daß es nehmlich Völker giebt, deren Naturel viel empfindlicher ist, als das Naturell andrer Völker; so wird man ohne Mühe begreiffen können, wie stumme Komödianten die Griechen und Römer, deren natürliche Action sie nachahmten, gleichwohl so ungemein haben rühren können. Als einen etwanigen Beweis meines Vorgebens will ich das Buch eines italiänischen Schriftstellers, des Giovanni Bonifacio, anführen, welches den Titel Arte de' Cenni, oder die Kunst, sich durch Zeichen auszudrücken, führet. Es scheint nicht, wenn man dieses Werk lieset, daß sein Verfasser gewußt habe, daß die Pantomimen der Alten ihre Gedanken, ohne zu reden,
|| [0278.01]
haben zu verstehen geben können; und gleichwohl scheinet ihm die Sache sehr wohl möglich. Und dieses hat ihn Gelegenheit gegeben einen Quartband von mehr als sechs hundert Seiten zusammen zu tragen, den er in zwey Abschnitte abtheilet. In dem ersten zeigt er die Art und Weise wie man durch Zeichen und Gebehrden reden solle; und in dem zweyten erhärtet er die Nützlichkeit dieser stummen Sprache. Dieses Buch ward zu Vincenz, im Jahre 1616 gedruckt. Ich komme auf die alten Schriftsteller zurück, welche von dem glücklichen Fortgange der pantomimischen Vorstellungen reden. Lucianus erklärt sich selbst für einen eifrigen Liebhaber der Kunst der Pantomimen, und man sieht es, daß es ihm ein Vergnügen muß gewesen seyn, alle kleine Geschichtchen zu erzehlen, die dieser Kunst zur Ehre gereichen konnten. Er sagt unter andern, daß ein cynischer Weltweise die Kunst dieser stummen Komödianten ein kindisches Spielwerk und eine Sammlung von Gebehrden genennt habe, welche durch die Musik und durch die äusserlichen Auszierungen erträglich gemacht würden. Allein ein Pantomime von dem Hofe des Nero, habe den Philosophen bewiesen, daß er falsch urtheile, indem er die Liebe des Mars und der Venus in seiner stummen Declamation, ohne irgend ein Accompagnement, vor ihm aufgeführt. Der Cyniker mußte es
|| [0279.01]
zugestehen, daß die Kunst der Pantomimen eine wirkliche Kunst sey. Auch erzehlet Lucianus, daß ein König aus der Gegend des Pontus Euxinus, welcher unter der Regierung des Nero zu Rom gewesen, bey diesem Monarchen sehr eifrig um einen Pantomimen gebeten habe, den er spielen gesehen, um seinen Dollmetscher in allerley Sprachen aus ihm zu machen. Diesen Menschen, sagte er, wird ein jeder verstehen können, anstatt daß ich jetzt, ich weiß nicht wie viel Dollmetscher bezahlen muß, um mit meinen Nachbarn Unterhandlungen treiben zu können, welche verschiedne Sprachen reden, die ich nicht verstehe. Wir können eben so wenig von der Vortreflichkeit der Kunst der Pantomimen, als von der Vortreflichkeit der unter zwey Schauspieler vertheilten Declamation urtheilen. Wir haben weder das eine noch das andre gesehen. Wenigstens aber werden diejenigen, welche an der italiänischen Komödie Vergnügen gefunden, und besonders den alten Octavio, den alten Scarmouche und ihre Kameraden den Harlequin und Trivelin haben spielen sehen, sich leicht überreden können, daß man gar wohl verschiedne Scenen, ohnedabey zu sprechen, vorstellen könne. Wir können hier aber auch noch geschehene Dinge anführen, welche es besser als alle Vernünfteleyen beweisen, daß diese Ausführung möglich sey. Es haben sich in England Banden von Panto
|| [0280.01]
mimen hervor gethan, und einige von diesen Komödianten haben sogar in Paris, auf dem Theater der komischen Oper, stumme Scene gespielt, welche jedermann verstehen konnte. Obgleich Roger den Mund nicht aufthat, so verstand man doch alles, was er wollte, ohne viele Mühe. Wie viel Fleiß aber hatte Roger auf diese Kunst, in Vergleichung mit den alten Pantomimen, verwendet? Wußte er auch nur, daß jemals ein Pylades und Bathyllus gewesen war? Vor ungefehr zwanzig Jahren wollte eine Prinzessin, welche mit vielem natürlichen Witze viele erlangte Erkenntnisse verband, und einen grossen Geschmack an den Schauspielen hatte, eine Probe von der Kunst der alten Pantomimen sehen, woraus sie sich einen richtigern Begriff von ihren Vorstellungen machen könnte, als sie durch Lesung der Schriftsteller bekommen hatte. Weil es aber an Schauspielern fehlte, die in dieser Kunst geübt gewesen wären, so wehlte sie einen Tänzer und eine Tänzerin dazu, welche beyde mehr Geist besassen, als ihre Profession erforderte, und selbst erfinden konnten. Man ließ sie also auf dem Theater zu Sceaux die Scene des vierten Aufzuges aus den Horaziern des Corneille durch Gebehrden vorstellen, in welcher der junge Horatius seine Schwester Camilla umbringt; und sie führten diese Scene auch wirklich unter dem Klange verschiedner Instrumente auf, welche einen auf die Worte dieser Scene compo
|| [0281.01]
nirten Gesang spielten, die ein geschickter Tonkünstler (*) in Musik gebracht hatte, als ob man sie wirklich hätte singen sollen. Unsre zwey angehenden Pantomimen nun setzten sich wechselsweise durch ihre Gebehrden und Bewegungen, bey welchen sie aber keinen merklichen Tanzschritt brauchten, so sehr in Bewegung, daß sie beyde bis zum Weinen gebracht wurden. Und ob auch die Zuschauer dabey gerührt wurden, wird man wohl nicht fragen. Auch die Chineser haben noch jetzt Komödianten, welche ohne zu reden, spielen, und man weiß, daß die Chineser diese Art von Komödianten ungemein lieben. Und die Tänze der Perser, was sind sie anders, als pantomimische Scenen? So viel ist gewiß, die Kunst der Pantomimen bezauberte die Römer gleich bey ihrem ersten Anfange; sie durchdrang aus der Hauptstadt die allerentferntesten Provinzen des Reichs, und blühte so lange, als das Reich bestand. Die Geschichte der römischen Kayser redet öftrer von berühmten Pantomimen, als von berühmten Rednern. Die Römer waren für die Schauspiele sehr eingenommen, wie man aus dem Buche von der Musik sehen kann, welches sich unter den Werken des Plutarchus befindet. Alle die, welche sich mit der Musik beschäftigen, ergeben sich besonders der theatralischen, als der angenehmsten. Nun 224
|| [0282.01]
aber zogen die Römer die Vorstellungen der Pantomimen allen Vorstellungen andrer Komödianten vor. Wir haben gesehen, daß diese Kunst unter dem Augustus ihren Anfang genommen. Sie gefiel diesem Monarchen ungemein sehr, und Bathyllus bezauberte den Mäcenas ganz. In den ersten Jahren der Regierung des Tiberius, mußte es der Senat ausdrücklich verbieten, daß die Senatores die Schulen der Pantomimen nicht besuchen und die römischen Ritter keinen Pantomimen Ehren halber auf der Gasse begleiten sollten. Ne Domos Pantomimorum Senator introiret, ne egredientes in publicum Equites Romani cingerent , sagt Tacitus. (*) Einige Jahre darauf mußte man die Pantomimen aus Rom verjagen. Der ausserordentliche Geschmack, den das Volk an ihren Vorstellungen fand, gab Gelegenheit zu Cabalen, um dem einen mehr Beyfall als dem andern zu verschaffen, und diese Cabalen wurden zu Meutereyen. Wir sehen sogar aus einem Briefe des Cassiodorus, (**) daß die Pantomimen, zu Nachahmung derjenigen, welche in den Rennspielen des Circus die Wagen führten, verschiedne Livreen gewählt hatten. Einige hiessen die Blauen; und andre die Grünen. Das Volk theilte sich also seiner Seits gleichfalls, und alle 225 226
|| [0283.01]
die Zusammenrottungen des Circus, deren so oft in der römischen Geschichte gedacht wird, nahmen sich gewisser Banden von Pantomimen an. Diese Zusammenrottungen wurden nicht selten zu Partheyen, die auf einander so ergrimmt waren, als es vielleicht nur jemals die Welfen und Gibelliner unter den deutschen Kaysern gewesen sind. Man mußte also zu einem Entschlusse schreiten, der zwar der Regierung, welche bloß das Volk bey gutem zu erhalten suchte, indem es ihm Brod austheilen und Schauspiele anstellen ließ, sehr verdrießlich fiel, gleichwohl aber durchaus nothwendig geworden war; nehmlich alle Pantomimen aus Rom zu verjagen. Wenn sich Seneca, der Lehrmeister des Nero, beklagt, daß verschiedne Schulen, welche den Namen des Weltweisen geführt, dessen Lehrgebäude man darinnen vortrug, untergangen wären, und der Name ihrer Stifter verloschen sey, so fügt er hinzu: das Andenken eines berühmten Pantomimen hingegen geht nicht unter. Die Schulen des Pylades und Bathyllus bestehen noch, und werden von ihren Schülern fortgesezt, deren Folgen nie unterbrochen werden. Die Stadt Rom ist voll von Lehrern dieser Kunst, denen es niemals an Schülern fehlt. Sie finden Bühnen in allen Häusern, und Männer und Weiber bemühen sich um die Wette, sie über sich zu lassen. (*) At quanta 227
|| [0284.01]
cum cura laboratur ne alicujus Pantomimi nomen intercidat. Stant per successores Pyladis & Bathylli domus. Harum artium multi discipuli sunt multique doctores. Privatim urbe tota sonat pulpitum. Mares uxoresque contendunt, uter det latusillis. Die gesuchte Zweydeutigkeit; welche sich in den letzten Worte dieser Stelle findet, wird durch das erklärt, was Tertullianus von der ausgelassenen Liebe sagt, welche die Männer und Weiber damals gegen die Pantomimen hatten. (*) Quibus viri animas, fœminæ aut illi etiam corpora sua substernunt. Hierzu kann man noch das fügen, was Galenus in seinen Prognosticis sagt; er sey nehmlich zu einer vornehmen Frau geruffen worden, welche an einer ausserordentlichen Krankheit darnieder gelegen, und habe aus den Veränderungen, welche sich an der Kranken geäussert, so oft man in ihrer Gegenwart von einem gewissen Pantomimen gesprochen, geschlossen, daß ihre ganze Krankheit aus der Liebe, die sie zu ihm trage, und aus dem Bestreben, diese Liebe zu verbergen, herrühre. Die Pantomimen wurden auch unter dem Nero und unter einigen andern Kaysern aus Rom verjagt; allein wie wir schon gesagt haben, ihre Verbannung dauerte nicht lange, weil sie das Volk nicht mehr entbehren konnte, und weil sich Umstände äusserten, in welchen der Re 228
|| [0285.01]
gent der Gunst des Volks nöthig zu haben glaubte, und ihm also zu gefallen zu leben suchte. Domitianus, zum Exempel, hatte sie verjagt, und sein Nachfolger Nerva rufte sie wieder zurück, ob er gleich einer von den weisesten Kaysern war. Wir lesen auch, daß das Volk selbst, weil es die Unruhen, zu welcher die Pantomimen Gelegenheit gaben, überdrüßig war, manchmal ihre Vertreibung eben so eifrig verlangt habe, als es zu andern Zeiten ihre Zurückberufung verlangte. Neque a te minore concentu ut tolleres Pantomimos, quam a pater tuo ut restitueret exactum est , sagt der jüngre Plinius, wenn er vom Trajanus redet. Einige neue Schriftsteller haben geglaubt, Nero habe alle Komödianten aus Rom verjagt, weil Tacitus, wenn er diese Verbannung der Pantomimen erzehlt, den allgemeinen Namen braucht, mit welchen man diejenigen, die auf dem Theater spielte, belegte. Er jagte alle Histrione aus Italien, sagt Tacitus, welches das einzige Mittel war, den Aufrühren vorzubeugen, zu welchen in den Theatern Anlaß genommen wurde. (*) Non aliud remedium repertum est, quam ut Histriones Italia pellerentur. Allein man kann es beweisen, daß bloß die Pantominen damals verjagt worden, und daß Tacitus durch eine bey solchen Dingen ganz wohl zu entschuldigende Nachläßigkeit den 229
|| [0286.01]
Namen der Gattung für den Namen der Art, gesetzt hat. Und zwar erstlich deswegen, weil Tacitus unmittelbar nach den angeführten Worten einen Umstand hinzufügt, welcher es deutlich genug beweiset, daß Nero nicht die Theater habe verschliessen lassen. Er befahl, sagt dieser Geschichtsschreiber, daß man von nun an das Theater wieder mit Soldaten besetzen solle, wie man es vordem gethan. Nero hatte diese Soldatenwache seit einiger Zeit weggenommen, um sich desto populärer zu stellen. Milesque theatro rurium assideret. Zweytens deswegen, weil Tacitus, wenn er von der Zurückberufung der Histrione redet, sie ausdrücklich Pantomimen nennet. (*) Redditi quamquam scenæ Pantomimi certaminibus sacris prohibebantur.

Siebzehnter Abschnitt. Wenn die kostbaren Vorstellun gen der Alten aufgehört haben. Von der Vortreflichkeit ihrer Gesänge.

Die Kunst der Pantomimen, die Kunst der Komödianten, welche die getheilte Declamation ausführen konnten, die Kunst die Declamation zu componiren, mit einem Worte verschiedne von der Musik untergeordneten Künsten, werden allem Ansehen nach, alsdenn untergegangen seyn, als die kostbaren Vorstellun 230
|| [0287.01]
gen, welche den meisten von diesen musikalischen Künsten das Wesen gegeben hatten, und diejenigen, die sie ausübten, unterhielten, auf dem Marcellischen und andern grossen Theatern, wo die Zuschauer zu Tausenden Platz hatten, aufhörten. Zu welcher Zeit aber wurden diese prächtigen Theater, deren Grösse Gelegenheit gegeben hatte, bey Vorstellung dramatischer Stücke alle die Künsteleyen, von welchen wir geredet haben, anzubringen, zu welcher Zeit wurden sie verlassen? Ich antworte: Aus den Werken des h. Augustinus, welcher im Jahr 430. nach Christi Geburth starb, sehen wir zwar, daß man zu seiner Zeit in den meisten Städten des römischen Reichs die Theater zu verschliessen anfing. Die Uberschwemmung der Barbarischen Völker, welche sich durch das ganze Reich ergossen, benahm dem Volke der verwüsteten Länder die Mittel, die Unkosten der Schauspiele zu bestreiten. (*) Nisi forte hinc sint tempora mala, quia per omnes civitates cadunt theatra , sagt dieser Kirchenlehrer, wenn er von den gegenwärtigen Umständen des Staats redet. Andern Theils aber sehen wir auch aus verschiedenen Briefen des Caßiodorus, die wir bereits angeführt haben, und die um das Jahr 520. nach Christi Geburth geschrieben sind, daß die Theater noch ganzer hundert Jahr nach der Zeit, von welcher Augustinus redet, zu Rom 231
|| [0288.01]
offen gewesen. Die grossen Theater dieser Hauptstadt waren nicht verschlossen gewesen, oder wenigstens hatte man sie wieder aufgeschlossen. Allem Ansehen nach wurden sie nicht eher auf immer verschlossen, als Rom von dem Totila eingenommen, und zerstört ward. (*) Diese Verwüstung, die nach allen ihren Umständen weit grausamer war, als die vorhergehenden, und durch welche die Weiber vornehmer Patricier dahin gebracht wurden, daß sie vor den Thüren ihrer eignen Häuser, von welchen sich die Barbaren Meister gemacht hatten, um Brod betteln mußten, ist die wahre Epoche der fast gänzlichen Vertilgung der Künste und Wissenschaften, die man wenigstens noch immer trieb, obgleich ohne vielen Nutzen. Die grossen Künstler waren zwar schon seit langer Zeit verschwunden; die Künste selbst aber verschwanden erst zu dieser Zeit. Alle neue Unglücksfälle, welche auf die Einnahme der Stadt Rom durch den Totila folgte, liessen gleichsam die Pflanzen, welche sie ausgerissen hatten, verwelken. Und dieses war das Schicksal des alten Theaters in dem Occidentalischen Reiche. Diese von Natur mehr zur Betreibsamkeit als zur Arbeit aufgelegten Leute, nur immer von einer Arbeit leben wollen, die nicht allzusauer ist, konnten sich von den Einkünften des Theaters, welches sie bisher ernährt hatte, nicht länger erhal 232
|| [0289.01]
ten, und mußten also entweder verhungern, oder eine andere Profeßion ergreiffen; und die Personen von gleichem Charakter, welche nach ihnen kamen, mußten ihre Gaben zu andern Verrichtungen anwenden. Ich will hier den Faden meiner Rede durch wenige Zeilen unterbrechen, um zu erklären, in welchem Verstande ich gesagt habe, daß allem Ansehen nach die Theater zu Rom verschlossen worden, als Totila diese Stadt geplündert. Ich habe damit bloß sagen wollen, daß das Theater des Marcellus und andere prächtige Theater damals entweder zerstört, oder wenigstens durch den Schaden, welchen sie erlitten hatten, unbrauchbar gemacht worden, und also die prächtigen Vorstellungen, zu welchen sie bestimmt waren, ihr Ende erreichten. Ich habe aber damit nicht sagen wollen, daß alle Vorstellungen von <Komödien>Kömödien damals aufgehört; sondern ich glaube vielmehr, daß man in Rom und in den übrigen grossen Städten, welche mit der Hauptstad gleiches <Unglück>Ungluck erfahren hatten, sobald die Zeiten wieder ein wenig ruhiger geworden waren, wieder angefangen habe, theatralische Stücke zu spielen, nur mit den alten Zubereitung nicht. Durch eine in der Welt ganz gewöhnliche Abwechselung wird die in dem zwölften Jahrhunderte nach Erbauung der Stadt Rom so prächtige Scene, in dem darauf folgenden dreyzehnten so simpel wieder geworden seyn, als
|| [0290.01]
sie kaum bey Anfang des fünften Jahrhunderts gewesen war. Sie wird in den Zustand zurück gefallen seyn, in welchem sie Livius Andronicus gefunden hatte. Wir haben einen deutlichen Beweis in den Capitularien unserer Könige vom zweyten Stamme, um zu zeigen, daß es zu ihren Zeiten Komödianten von Profeßion gegeben, welche theatralische Stücke gespielt. Sie haben nehmlich darinn das Gesetz des Theodosianischen Codicis erneuert, welches alle Arten von Entheiligung auf der Scene verbot. Wir verurtheilen, sagen die Capitularia, zu Leibesstrafe und zu Verbannung alle diejenigen Komödianten, welche sich unterstehen sollten auf dem Theater in der Kleidung zu erscheinen, welche Priester, Ordensleute, und alle Personen geistlichen Standes tragen. (*) Si quis ex scenicis vestem sacerdotalem aut monasticam, vel mulieris religiosæ, vel qualicumque ecclesiastico statu similem indutus fuerit, corporali pœna subsistat & exilio tradatur. Die Komödianten hätten sich dieser Entheiligung zu allen Zeiten enthalten sollen. Gleichwohl ward unser König Carl IX. nochmals genöthiget, sie in dem Edicte zu verbieten, welches er im Jahr 1561, auf die Vorstellungen der zu Orleans versammelten Landstände, bekannt machen lassen. Der Inhalt des vier und zwanzigsten Artikels 233
|| [0291.01]
in diesem Edicte ist folgender: Auch verbieten wir allen Possenspielern, Gaucklern und andern solchen Leuten, an gedachten Sontagen und Festen, zur Zeit des Gottesdienstes, zu spielen, geistliche Kleider anzuziehen, und anstößige und ein böses Exempel gebende Dinge vorzustellen, bey Straffe des Gefängnisses und leiblicher Züchtigung. Zum Beweise, daß dieses Gesetz nicht genau beobachtet worden, dienet die Erneuerung desselben in dem Edicte, welches Heinrich der III. auf die Vorstellungen der zu Blois im Jahr 1576. versammelten Landstände bekannt machte. Und doch, welches man sich jetzt kaum vorstellen kann, wurden diese so weise Gesetze noch nicht beobachtet. Folgendes findet man in einem Buche welches den Titel führt: Unterthänige Vorstellung an den König von Frankreich und Pohlen Heinrich der III. dieses Namens, und das im Jahr 1588. gedruckt wurde, bey Gelegenheit der von diesem Regenten zusammen beruffenen Landstände, welches man gemeiniglich die zweyte Versammlung der Stände zu Blois nennet, weil sie gleichfalls in dieser Stadt gehalten wurde. Es ist noch ein grosses Uebel übrig, welches besonders in eurer Stadt Paris an den Sonnund Festägen begangen und geduldet wird, und das der Ehre Gottes und der Entheiligung
|| [0292.01]
seiner Feste weit nachtheiliger ist, als irgend ein anders; es ist auch mit so vielen Mißbräuchen verbunden, daß ich es mit den weisesten Männern für hinlänglich halte, den Fluch Gottes über euch und euer Königreich, und besonders über besagte Stadt Paris zu ziehen, in welcher diese Bosheit weit mehr verstattet wird als an irgend einem Orte unsers Königreichs. Ich meine nehmlich die öffentlichen Schauspiele, welche an benannten Sonn- und Festtägen so wohl von fremden Italiänern als von Franzosen aufgeführet werden; vor allen andern aber diejenigen, welche in dem Kloake und der Wohnung des Satans, genannt das Hotel von Bourgogne, von denen vorgestellt werden, die sich Mißbrauchsweise Brüder des Leidens Jesu Christi nennen. In diesem Orte gehen tausend sündliche Ausschweifungen zum Nachtheile der Ehrbarkeit und Keuschheit der Weiber und zum Ruine ganzer Familien armer Handwerksleute vor, mit welchen der ganze Saal angefüllt ist, und welche mehr als zwey Stunden vor dem Spiele mit unzüchtigem Geschwätze, mit Würffeln, mit Fressen und Sauffen hinbringen, woraus viele Zänkereyen und Schlägereyen entstehen. Auf der Bühne bauet man Altäre, die mit Kreutzen und und geistlichen Zierrathen beladen sind; man stellet Priester in ihrem Meßgewande darauf vor, und führet sie in den unzüchtigsten Pos
|| [0293.01]
senspielen ein, um sie lächerliche Heyrathen schliessen zu lassen. Man verliest die Evangelia nach dem Kirchengesange, um gelegentlich ein Wort darinn anzutreffen, welches zur Spötterey dienen könne, und über dieses sind alle und jede von diesen Spielen mit solchen Zoten und Niederträchtigkeiten angefüllt, daß sie die Jugend unmöglich ohne grosse Aergerniß mit ansehn kann.
— Doch wir entfernen uns zu weit von unserer Materie, und wollen also lieber auf die Theater zurück kommen, wie sie zu Rom, ehe es von den Barbaren zerstöret wurde, beschaffen waren. Aus einer Stelle des Ammianus Marcellinus siehet man, daß die Anzahl derjenigen Personen die sich zu seiner Zeit in Rom von den theatralischen Künsten ernährt, erstaunlich groß gewesen sey. Dieser Geschichtschreiber erzehlt nicht ohne Verdruß, daß als Rom von einer Hungersnoth bedrohet worden, man die Vorsicht gebraucht habe, alle Fremde und sogar auch alle der freyen Künste Beflissene aus der Stadt fortzuschaffen. Indem man aber, fügt er hinzu, die Gelehrten als unnütze Mäuler verjagte, und ihnen zu ihrer Abreise einen sehr kurzen Termin setzte, sagte man den Schauspielern und allen denjenigen, welche sich unterdessen mit diesem schönen Titel schützen wollten, kein Wort. Man ließ drey tausend Tänzerinnen ruhig in Rom, und eben so viel Personen, welche in den
|| [0294.01]
Chören spielten, oder Lehrer der Musikalischen Künste. Hieraus nun schliesse man wie erstaunlich groß die Anzahl der Schauspieler in Rom zu den Zeiten des Diocletianus <und>uud des grossen Constantinus müsse gewesen seyn. (*) Postremo ad id indignitatis est ventum, ut cum peregrini ad formidatam non ita dudum alimentorum inopiam pellerentur ab urbe præcipites; sectatoribus disciplinarum liberalium impendio, paucis sine respiratione ulla extrusis, tenerentur Mimorum asseclæ veri, quique id simularunt ad tempus, ut tria millia saltatricum ne interpellata quidem, cum totidemque remanerent Magisteis. Da es nun eine so entsetzliche Anzahl Personen gab, welche von den musikalischen Künsten lebten, kann man sich noch wohl wundern, daß die Alten so viel Methoden und so viel Kunstgriffe, die Wissenschaft der Musik betreffend, gehabt haben, die wir jetzt nicht mehr haben? Nur durch die Menge der Künstler wird die Kunst, von welcher sie Profeßion machen, erweitert, und in verschiedene andere besondere Künste zertheilt. Die Wissenschaft der Musik blieb zwar noch auch nach Verschliessung der Theater, allein der größte Theil der musikalischen Künste ging auf immer unter. Ich wüßte nicht, daß auch nur ein einziges Denkmahl von der Rythmischen, Organischen, Hypokritischen und Metrischen Musik übrig geblieben wäre. Nur die Regeln der 234
|| [0295.01]
[der] poetischen Musik finden wir in den Versen der Alten wieder, und vielleicht hat uns die Kirche einge von den alten Melopäien in ihren gottesdienstlichen Gesängen aufbehalten. Unter den Antworten auf die Fragen der Christen, ein Werk, welches dem h. Justinus dem Märtyrer, der in dem zweyten Jahrhunderte lebte, beygelegt wird, findet sich eine, in welcher entschieden wird, daß die Gläubigen gar wohl Melodien, welche von Heiden zu einem unheiligen Gebrauche componiret worden, zu göttlichen Lobgesängen anwenden könnten, nur müßten sie mit Bescheidenheit und Anständigkeit ausgeführet werden. Diese Stelle kann durch das erklärt werden, was der h. Augustinus in einer Rede sagt, die er an dem jährlichen Gedächtnißtage des Märtyrertodes des h. Cyprianus gehalen hat. (*) Aliquando ante annos non valde multos etiam istum locum invaserat petulantia saltatorum, istum tam sanctum locum ubi jacet tam sancti martyris corpus. Per totam noctem canebantur hic nefaria & canentibus saltabatur. Die Umstände der Zeit und des Orts zeigen, daß diese Stelle von den Christen zu verstehen sey. Es war übrigens der Bischof, welcher dieser Unordnung steuerte. Noch nicht vor langer Zeit, wollen die lateinischen Worte sagen, unterstanden sich die Tänzer, an diesem verehrungswürdigen Orte, neben der Grabstädte 235
|| [0296.01]
unsers heiligen Märtyrers, ihre lüderliche Kunst zu üben. Man sang die ganze Nacht hindurch unheilige Gesänge, zu welchen die Gebehrdenmacher declamirten.
Allem Ansehen nach mochte etwan ein Christ das Leiden des h. Cyprians in Verse gebracht haben, welches Gedicht man hernach auf seinem Grabe eben so aufführte, wie die weltlichen Stücke auf dem Theater aufgeführet wurden. Die Meinung des Justinus ist also diese, daß man von den Heiden componirte Melodien in den Kirchen zwar singen könne, aber nicht declamiren solle, das ist, daß man sie singen solle, ohne Gebehrden dabey zu machen. Dem sey nun aber wie ihm wolle, so ist doch so viel gewiß, daß sich unter den gottesdienstlichen Hymnen verschiedene finden, welche vor der Zerstörung der Stadt Rom durch den Totila componirt worden. Ein jeder Hymnus wurde gesungen. Si non cantatur non est Hymnus , sagt Isidorus. Da aber die Gesangweisen dieser Hymnen in allen Kirchen einerley sind, so kann man mit Grund glauben, daß man sie zu den Zeiten componirt habe, als die Hymnen selbst verfertiget worden. Wir wollen diese Materie noch weiter fortsetzen. Der Ambrosianische Gesang, welcher noch jetzt in verschiedenen Kirchen gesungen wird, ist von diesem Heiligen, welcher hundert und funfzig Jahr vor der Zerstörung Roms durch den Totila, starb, componirt oder wenigsten eingerichtet
|| [0297.01]
worden. Als diese Begebenheit sich zutrug war der h. Gregorins der grosse, eben der, welcher den Gregorianischen Gesang, der noch jetzt in sehr vielen katholischen Kirchen gebräuchlich ist, componirte oder wenigstens einrichtete, bereits gebohren. Diese heiligen Männer nun erfanden keine neue Musik, um ihre gottesdienstlichen Gesänge zu componiren; denn aus der Art, wie sich die zeitverwandten Schriftsteller davon ausdrücken, erhellet, daß sie bloß verschiedne schon gebräuchliche Gesänge in die Kirche aufnahmen. Alle diese Gesängen aber, sie mögen nun vor der Zeit des h. Gregorius oder nach seiner Zeit seyn componiret worden, können uns einen Begriff von der Vortreflichkeit der alten Musik zu machen, dienen. Wenn über tausend Jahr die weltlichen Gesänge, die man seit achtzig Jahren componirt hat, sollten verlohren gegangen seyn, die um diese Zeit componirten Kirchengesänge aber hätten sich erhalten, könnte man sich nicht aus der Schönheit der letztern einen Begriff von der Vortreflichkeit der erstern machen? Denn so verschieden auch der Charakter dieser Gesangweisen ist, erkennet man nicht den Verfasser der Armide in dem Dies iræ des Lulli? So viel ist gewiß, alle Kenner bewundern die Schönheit des Anfangs und verschiedener anderer Stücke in dem Gregorianischen Gesange, ob er gleich, wie wir bereits in einem von den erstern Abschnitten erinnert haben, von der
|| [0298.01]
natürlichen Declamation weit weniger abweicht, als unsre musikalischen Gesänge. Ich komme auf den Gegenstand selbst, dessentwegen ich alle diese Untersuchungen angestellt, wieder zurück, nehmlich auf den alten Gebrauch die Declamation zu componiren, und in Noten zu schreiben.

Achtzehnter Abschnitt. Betrachtungen über die Vortheile und Unbequemlichkeiten, welche bey der componirten Declamation der Alten gewesen.

Zwey Gründe bewegen mich zu glauben, daß bey dem Gebrauche, von welchem hier die Rede ist, mehr Vortheil als Unbequemlichkeit gewesen, und daß den Römern die Erfahrung Anlaß gegeben, die componirte Declamation der willkührlichen vorzuziehen. Erstlich verhinderte der Gebrauch der Alten, daß die Schauspieler den Versen, die sie recitirten, keinen falschen Sinn geben konnten, welches auch sonst bey denen nicht unterbleibt, die noch die mehrste Ensicht haben. Zweytens gab ein geschickter Componist der Declamation den Schauspielern Ausdrücke und Schönheiten an die Hand, die sie nicht immer vor sich selbst zu erfinden fähig waren. Sie waren nicht alle so gelehrt als Roscius. Dieses ist das Beywort welches ihm Horaz giebt.
|| [0299.01]
Man weis mit welchem Beyfalle die Chanmesle die Rolle der Phädra recitirte, die Racine sie Vers vor Vers declamiren gelehrt hatte. Despreaux sogar hielt es für werth, davon zu sprechen, und unsre Scene hat noch einige Ueberbleibsel von dieser Declamation behalten, welche man hätte aufschreiben können, wenn man die erforderlichen Charaktere dazu gehabt hätte. Ein sicherer Beweis, daß das Gute sich in allen Werken, von welchen man durch das Gefühl urtheilen kann, empfinden läßt, und daß man es nicht vergißt, ob man sich gleich nicht vorgenommen hat, es zu behalten. Ueberhaupt würde eine Tragödie, deren Declamation in Noten geschrieben wäre, eben das Verdienst haben, welches eine Oper hat. Auch mittelmäßige Schauspieler würden sie erträglich aufführen können. Sie würden kaum den zehnten Theil der Fehler machen können, die sie wirklich machen, es sey nun in Verfehlung des rechten Tons und folglich auch der zu den Versen, welche sie recitiren, erforderlichen Action, oder auch in der unzeitigen Anwendung des Pathetischen an Stellen, für die es sich gar nicht schickt. So etwas geschieht auf den neuern Bühnen täglich, wo die Komödianten, deren viele auch nicht einmal ihre Profession studirt haben, die Declamation einer Rolle, in welcher sie öfters viele Verse nicht verstehen, nach Gutdünken componiren.
|| [0300.01]
Zweytens, wenn auch ein jeder Komödiant vor sich selbst betrachtet, die Declamation einer Tragödie eben so wohl componiren könnte, als irgend ein besondrer Meister in dieser Kunst, so würde gleichwohl noch ein Stück, welches von einem allein componiret worden, weit besser ausgeführt seyn, als eine Declamation, wo ein jeder Schauspieler seine Rolle nach seinem eignen Kopfe recitirt. Diese willkührliche Declamation würde den Roscius öfters ziemlich aus dem Takte gebracht haben. Wie viel eher muß sie nicht unsre Schauspieler irre machen, welchen es niemals in den Sinn <gekommen>gekomman ist, die Verschiedenheit, die Intervallen, und, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Sympathie der Töne zu studiren, und also auch nicht wissen, wie sie sich aus der Verwirrung ziehen sollen, in die sie die üble Zusammenstimmung der andern Schauspieler setzet. Es ist aber eben so leicht verschiedne Rollen, welche eine um die andere recitirt werden sollen, zu concertiren, wenn man die Declamation des ganzen Stücks zu Papiere gebracht, als schwer es ist, sie übereinstimmend zu machen, wenn man sie nicht zu Papiere gebracht hat. Daher sehen wir auch, daß unsere Komödianten, die meistentheils keinen andern Wegweiser als den Naturtrieb und den Schlendrian haben, nicht wissen, wie sie sich helffen sollen, wenn ein Schauspieler, der mit ihnen zugleich recitirt, in einem Tone schließt, der ihnen nicht
|| [0301.01]
erlaubet, in demjenigen Tone wieder anzufangen, auf welchen sie sich, Theils aus Fertigkeit, Theils aus Uberlegung gefaßt gemacht hatten. Daher kömmt es, daß sie einander so oft vorwerffen, in dem unrechten Tone recitirt, und besonders ihre Rede falsch beschlossen zu haben, so daß der andre, welcher gleich nach ihnen reden sollen, wegen seines Tones in Verlegenheit gesetzt worden. Diese Unbequemlichkeiten fielen bey einer in Noten geschriebenen Declamation weg, oder konnten sich wenigstens nicht anders ereignen, als in den Opern, wenn nehmlich der eine ganz und gar falsch singt; das ist, wenn der Fehler an dem Künstler, nicht aber an der Kunst liegt, die ihm, so viel ihr möglich gewesen war, vorgebauet hatte. Die Zuschauer und Schauspieler sind heut zu Tage um so viel mehr zu beklagen, da die Zuschauer die Fehler der Schauspieler nicht weniger bemerken, als ob die Kunst der Declamation noch eben sowohl vorhanden wäre, wie sie zu den Zeiten des Quintilians war, und die Schauspieler sich dieser Kunst, die verlohren gegangen ist, doch nicht bedienen können. Es sind alle Künste nichts anders als nach gewissen Grundsätzen eingerichtete Methoden; und wenn man diese Grundsätze untersucht, so findet man, daß sie nichts als Folgerungen sind, die man aus verschiednen Beobachtungen über die Wirkungen der Natur gezogen hat. Die
|| [0302.01]
Natur aber wirkt, nach den ihr vorgeschriebenen Regeln, allezeit auf einerley Art. Bey allem also, was uns in die Sinne fällt, verursachen die Wirkungen der Natur in uns immer einerley angenehme oder unangenehme Empfindungen, wir mögen nun auf die Art und Weise, wie dieses geschieht, Acht haben oder nicht; wir mögen auf die ersten Ursachen dieser Wirkungen zurück gehen, oder uns mit dem blossen Genusse begnügen; wir mögen die Kunst die Wirkungen der natürlichen Ursachen nach gewissen Regeln anzuwenden, in eine Methode gebracht haben, oder bloß dem Naturtriebe bey Anwendung dieser Ursachen folgen. Wir merken also die Fehler, in welche unsre Komödianten fallen, gar wohl, ob wir gleich die Kunst nicht verstehen, welche sie vermeiden lehret. Man wird sogar aus einer Stelle des Cicero sehen, daß auch unter denjenigen, welche zu seiner Zeit einen Schauspieler auspfiffen, sobald er den Takt verfehlte, nur sehr wenige gewesen, welche die Kunst verstanden, und es genau sagen können, worinn der Fehler eigentlich begangen worden. Die meisten merkten ihn bloß vermittelst des Gefühls. Wie wenige giebt es unter einer Versammlung von Zuschauern, welche die Musik aus dem Grunde verstehen? Und gleichwohl läßt die ganze Versammlung ihren Tadel erschallen, so oft ein Schauspieler den Takt verfehlt, und eine Sylbe entweder zu sehr verlängert,
|| [0303.01]
oder zu sehr verkürzt. (*) Quotus quisque est qui teneat artem numerorum ac modorum? At in his si paululum modo offensum est, ut aut contractione brevius fieret, aut productione longius, theatra tota reclamant. Allein, wird man sagen, wir haben verschiedne Komödianten, die sehr viel Einsicht in ihrer Kunst besitzen, und die, wenn sie die Declamation ihrer Rollen selbst componiren, in Ansehung ihrer natürlichen Gaben, Schönheiten und Annehmlichkeiten hinein bringen können, welche ein andrer nicht hinein bringen könnte. Zweytens, wird man hinzufügen, muß eine componirte Declamation den Schauspielern, die ihr genau folgen sollen, alle ihr Feuer und allen ihren Enthusiasmus nehmen. Ihr Spiel wird nicht mehr natürlich seyn, und wird wenigstens kalt werden. Der alte Gebrauch setzte den vortreflichen Komödianten mit dem mittelmäßigen auf eine Staffel. Ich antworte auf den ersten Einwurf. Es ist zwar wahr, daß durch diesen Gebrauch einige Schönheiten in einer Rolle, die ein vortreflicher Schauspieler declamirt, verlohren gehen. Wenn, zum Exempel, die Schauspielerin, welche die Person der Pauline im Polieuct spielt, einer von einem andern in Noten gebrachten Declamation folgen müßte, so würde sie dieser Zwang verhindern, verschiedne Schönheiten in ihre Rolle zu brin
|| [0304.01]
gen, die sie sonst hinein bringen könnte. Allein eben diese Schauspielerin, um bey diesem Exempel zu bleiben, würde dafür die ganze Rolle der Pauline gleich gut spielen, wenn diese Rolle componirt und in Noten gebracht wäre. Und wie viel würde man nicht auf einer andern Seite dabey gewinnen, wenn alle Rollen des Polieuct componirt wären? Man bedenke nur, wie die zweyten Rollen von den Schauspielern, die nach ihrem Gutdünken recitiren, declamirt werden. Und kurz, sobald man zugiebt, daß beständig auf allen Theatern mehr mittelmäßige als vortrefliche Schauspieler seyn werden, so muß man auch eingestehen, daß der Verlust, von welchem der Einwurf redet, sich gegen die ihn überwiegenden Vortheile, aufs höchste, wie eins zu zehne verhalten würde. Der zweyte Einwurf war; der Zwang bey Beobachtung einer componirten Declamation, müßte den Schauspielern allen ihren Enthusiasmus nehmen und folglich den Schauspieler, welcher Genie habe, mit dem auf eine Staffel setzen, welcher keines habe. Auf diesen Einwurf antworte ich, daß es mit dieser in Noten geschriebnen Declamation eben so seyn würde, wie es mit der Musik in unsern Opern ist. Auch der genauste und einsichtvollste Componist der Declamation ließ den guten Schauspielern noch immer Gelegenheit, ihre Gaben an den Tag zu bringen, und
|| [0305.01]
es nicht nur in den Gebehrden sondern auch in der Aussprache zu zeigen, wie weit sie über die mittelmäßigen Schauspieler erhaben wären. Es ist unmöglich alle Accente, alle Theilchen, alle Wendungen, alle Verlierungen, alle Stösse, alle Vorschläge der Stimme, und mit einem Worte, wenn ich mich so ausdrücken darf, den Geist der Declamation in Noten zu bringen, an welcher die Veränderung der Töne gleichsam nur der Körper ist. In der Musik selbst kann man nicht alles durch Noten ausdrücken, was man, dem Gesange seinen wahren Ausdruck, seine Stärke und alle die Anmuth, deren er fähig ist, zu geben, thun muß. Man kann es nicht durch Noten ausdrücken, wie geschwind eigentlich das Tempo des Takts seyn soll, obgleich dieses Tempo die Seele der Musik ist. Auch das, was die Tonkünstler, und besonders die italiänischen Tonkünstler, mit gewöhnlichen Buchstaben über die Composition schreiben, um anzuzeigen, ob das Tempo entweder lebhaft oder langsam seyn solle, kann es nur unvollkommen anzeigen. Bis hieher, wie ich schon gesagt habe, hat das wahre Tempo einer Composition bloß durch die Tradition, so zu reden, fortgepflanzt werden können, denn die Instrumente, durch die man, vermittelst der Uhrmacherkunst, das wahre Tempo, welches die Componisten ihren Stücken und Gesängen gegeben, nach der strengsten Genauigkeit
|| [0306.01]
aufbehalten wollen, sind bis hieher noch nicht sehr gebraucht worden. Der mittelmäßige Schauspieler also, welcher die Rolle des Atys, oder des Roland singet, singt sie nicht so, wie sie ein guter Schauspieler singt, obgleich alle beyde eben dieselben Noten anstimmen, und beyde dem Takte des Lulli folgen. Der gute Schauspieler, welcher das, was er singt, fühlt, beschleuniget bald zu gelegner Zeit eine Note, bald verlängert er sie, und leihet der einen so viel, als er von der andern borgt; bald läßt er seine Stimme fort gehen, bald hält er sie an, und läßt sie auf gewissen Stellen wie ruhen; kurz, er thut verschiednes, seinem Gesange mehr Ausdruck und mehr Anmuth zu geben, was ein mittelmäßiger Schauspieler gar nicht, oder doch zur ungelegnen Zeit thut. Ein jeder Schauspieler ergänzt das, was durch Noten nicht hat können ausgedruckt werden, und ergänzt es nach dem Maasse seiner Fähigkeit. Alle, die die Opern des Lulli, welche das Vergnügen der Nation geworden sind, noch bey Lebszeiten des Lulli, haben aufführen sehen, als er folgsame Schauspieler dasjenige noch mündlich lehren konnte, was sich durch Noten nicht ausdrücken läßt, versichern, daß sie einen Aus
|| [0307.01]
druck darinn bemerkt, welchen sie jetzt fast nicht mehr darinn fänden. Wir erkennen wohl den Gesang des Lulli, sagen sie, allein wir finden sehr oft den Geist nicht mehr, welcher diesen Gesang belebte. Die Recitative scheinen uns ohne Leben und die Tanzstücke lassen uns fast ruhig. Zum Beweis ihres Vorgebens führen diese Personen an, daß jetzt die Vorstellung einer Lullischen Oper länger daure, als sie gedauret habe, wenn er sie selbst aufführen lassen, ob sie gleich nicht einmal so lange dauren sollte, weil man gewisse Violinenstücke, welche Lulli zweymal spielen ließ, nicht mehr wiederhohlt. Es kömmt dieses, nach der Meinung dieser Personen, denn ich selbst stehe hier für nichts, daher, weil man den Rythmus des Lulli nicht mehr beobachtet, welchen die Sänger entweder aus Unvermögen oder aus Uebermuth ändern. Es ist also klar, daß die Noten der Opern nicht alles lehren, und daß sie noch vieles zu thun übrig lassen, was der Schauspieler, nach dem er die Geschicklichkeit hat, entweder gut oder schlecht thun kann. Wie viel weniger werden die Componisten der Declamation die eignen Gaben der guten Schauspieler ganz unbrauchbar gemacht haben.
|| [0308.01]
Endlich machte auch nicht der Zwang, sich nach einer in Noten geschriebnen Declamation zu richten, aus den Schauspielern des Alterthums frostige Schauspieler, welche die Zuschauer zu rühren unvermögend gewesen wären. Denn da, vors erste, die Schauspieler, welche in den Opern recitiren, gleichwohl während ihrem Recitiren selbst gerührt seyn können, da sie des Zwangs ohngeachtet, mit welchem sie sich nach den Noten und dem Takte richten müssen, nicht kalt bleiben, sondern mit einer leichten natürlichen Action declamiren können; so verhinderte auch der Zwang, in welchem sich die alten Schauspieler durch Beobachtung der componirten Declamation befanden, diese Schauspieler ganz und gar nicht, sich an die Stelle der Person, welche sie vorstellten, zu setzen. Dieses ist genug. Zweytens wissen wir, (und dieses allein könnte den Einwurf, welchen ich beantworte, zu nichte machen,) sehr zuverläßig, daß die alten Schauspieler, ob sie schon an eine componirte Declamation gebunden waren, dennoch eben so stark bewegt wurden, als unsre Schauspieler bey ihrer willkührlichen Declamation bewegt werden. Quintilian sagt, er habe nicht selten Komödianten mit thränenden Augen von der Bühne kommen sehen, wo sie rührende Scenen vorgestellet hatten. Sie waren also selbst gerührt, und konnte also auch, so gut als
|| [0309.01]
unsre Schauspieler, zum weinen bewegen. (*) Vidi ego sæpe Histriones atque Comœdos, cum ex aliquo graviore actu personam deposuissent, flentes adhuc egredi. Und welchen Unterschied machten die Alten nicht übrigens unter ihren Schauspielern? Diese Einwürfe wider den Gebrauch die Declamation zu componiren und in Noten zu schreiben, würden vielleicht sehr wichtig geschienen haben, ehe man von den Opern etwas wußte; allein der glückliche Fortgang dieses Schauspiels, wo der Acteur, wie wir schon gesagt haben, an der Note und an den Takt gebunden ist, macht diesen Einwurf nichtig. Unsre Erfahrung kann in einem Augenblicke eine Menge Schwierigkeiten zerstreuen, welche sich durch blosse Betrachtungen schwerlich aufklären liessen. Es ist so gar gefährlich sich vor der Erfahrung in Betrachtungen und Vernünfteleyen einzulassen. Man muß manche Ueberlegungen anstellen ehe man sagen kann, ob ein Gedanke, der blosse Möglichkeiten betrift, vernünftig sey, anstatt daß uns die Erfahrung den Augenblick zurechte weiset. Und kurz, warum würden wohl die Alten, welche das Gute der willkührlichen Declamation eben sowohl kannten, als wir, sich nach der Erfahrung für die in Noten gebrachte Declamation erklärt haben? 236
|| [0310.01]
Allein die meisten von dieser Profeßion, wird man mir noch einwerfen, sind, sogleich auf die erste Erklärung, wider den Gebrauch, die Declamation zu componiren, und in Noten zu schreiben. Hierauf will ich vors erste antworten, daß mir verschiedne glaubwürdige Personen versichert haben, Moliere selbst habe, bloß nach der eignen Anleitung seines Genies, und ohne, allem Ansehen nach, das geringste von dem zu wissen, was bisher von der Musik der Alten gesagt worden, etwas gethan, das dem, was die Alten gethan, sehr ähnlich gewesen; er habe sich nehmlich gewisse Noten ausgedacht gehabt, womit er die Töne bemerkt, die er in gewissen Rollen halten müsse, die er allezeit auf einerley Art recitirt. Ich habe auch sagen hören, daß Beaubourg und einige andre Schauspieler von unserm Theater ein gleiches gethan hätten. Zweytens darf man sich über dieses Urtheil der Leute von Profeßion nicht wundern. Der menschliche Geist hasset natürlicher Weise allen Zwang, welchen ihm alle die Methoden auflegen, die ihn nach gewissen Regeln zu wirken nöthigen wollen. Man lege zum Exempel die Kriegszucht barbarischen Völkern, vor, welche nichts davon wissen. Die Gesetze derselben, werden sie sogleich einwerfen, müssen dem Muthe nothwendig alle die Hitze benehmen, durch die er siegt. Und gleichwohl weiß
|| [0311.01]
man es sehr wohl, daß die Kriegszucht die Tapferkeit durch die Regeln selbst unterstützt, welchen sie sie unterwirft. Deswegen also, weil Leute, die beständig declamirt haben, ohne irgend eine Regel, als den Naturtrieb und den Schlendrian, zu kennen, den Gebrauch der Alten in der ersten Bewegung mißbilligen, folgt es noch gar nicht, daß er wirklich zu mißbilligen sey. Es folgt nicht einmal daraus, daß sie ihn beständig mißbilligen müßten, wenn sie sich nur einmal die Mühe geben wollten, seine Unbequemlichkeiten und seine Vortheile zu überlegen, und sie gegen einander abzurechnen. Vielleicht werden sie es sogar bedauren, daß es keine solche Kunst gegeben, da sie noch jung gewesen, welches die Zeit ist, da man am leichtesten nach einer gewissen Methode wirken könnte. Die Aufmerksamkeit sich nach gewissen Regeln zu richten, die man von Jugend auf gelernt hat, hört gar bald auf, ein Zwang zu seyn. Es scheint als würden die Regeln, die man nunmehr studiret hat, in uns ein Theil des natürlichen Lichts. Quintilian antwortet denen, welche behaupteten, daß ein Redner der nur seiner Hitze und seinem Enthusiasmus im Declamiren folge, müsse weit stärker rühren, als derjenige Redner, der seine Action und seine Gebehrden nach
|| [0312.01]
vorher überlegten Regeln einrichte; daß dieses alle Arten von Studieren verdammen heisse, und daß die Bearbeitung allezeit auch das glücklichste Naturell verschönere. (*) Sunt tamen qui rudem illam & qualem impetus cujusque animi tulit actionem, judicent fortiorem, sed non alii fere quam qui etiam in dicendo curam solent improbare & quidquid studio paratur. Nostro labori dent veniam, qui nihil credimus esse perfectum, nisi ubi natura juvetur. 237
|| [0313.01]

Inhalt des dritten Stücks. XI. Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten.

Druckfehler.

S. 27. Z. 26. lies Rhythmis anstatt Rithmis; welche Verfälschung dieses Worts man auch in andern Stellen zu verbessern ersucht.

1(*) Aristides im ersten Buche. S. 6. Meibomischen Ausgabe.
2(*) Inst. lib. pr. c. 12. de music. & ejus laudibus.
3(*) De musica libro primo.
4(*) Aristides libro pr.
5(*) Quint. Inst. lib. I. cap. 12.
6(**) de Music. libro I.
7(*) Inst. libr. pr. cap. 3.
8(**) Ibid. cap. 6.
9(*) Inst. lib. I. cap. 12.
10(**) Luciani Gymnast. Plutar. de Musica.
11(*) De Musica, lib. I
12(*) De Musica libro. pr.
13(*) Libr. primo.
14(**) Plato de Legibus I. 2.
15(***) Poet. cap. 2.
16(****) Inst. lib. 9. c. 4.
17(*) Arist. libr. pr.
18(**) De Musica libr. II.
19(*) Ecloga IX. v. 44. 45.
20(*) Instit. lib. I. cap. 12.
21(**) Inst. lib. I. cap. 13.
22(*) Inst. lib. XI. cap. 3.
23(**) Di Musica libr. prim.
24(*) De Arte Grammatica lib. 2. cap. 4.
25(*) Institut. lib. 9. cap. 4.
26(*) De Musica libr. 4. cap. 3.
27(*) Hr. Burette, Mitglied der Königl. Akademie der schönen Wissenschaften; im 5ten Theile ihrer Geschichte.
28(*) Inst. lib. XI. cap. 4.
29(*) Instit. lib. I. cap. 12.
30(*) Inst. lib. IX. cap. 4.
31(*) Inst. libr. pr. cap. 12.
32(*) Vom Erhabnen Haupt 32.
33(*) In Somnio Scipion. lib. 2. cap. 2.
34(*) Libro primo p. 28.
35(*) Ibid. pag. 29.
36(*) De Nuptiis Philologiæ.
37(*) In notis ad Aristi. p. 249.
38(*) Siehe die Noten des Meiboms p. 359.
39(*) In Nupt. Philolog.
40(*) Im Leben des Demosthenes, Hauptst. 5.
41(*) Diod. Sicul. lib. 16. p. m. 476.
42(*) Proph. in Hypomnem. ad Harm. Ptol. cap. I. p. 149.
43(*) Siehe die Noten des Meiboms. S. 351.
44(*) Martianus Capella in Nupt. Philol. 9.
45(*) Lib. III. cap. 10. de Melopæia.
46(*) De Musica cap. 4.
47(*) Comment. in artem primam Donati.
48(*) Folio 133. verso.
49(**) Isid. Orig. lib. prim. cap. 19.
50(*) Ibid. cap. 18.
51(*) De nuptiis Philolog.
52(*) Geschichte der Akademie der schönen Wissenschaften. 5ter Theil.
53(*) Herr Burette, Mitglied der Akademe der schönen Wissenschaften, im 5ten Theile der Geschichte dieser Akademie.
54(*) Dacier.
55(*) Gedruckt im Jahr 1715.
56(**) Probl. 19. libr. 49.
57(*) Trist. lib. 5. El. 7.
58(**) Instit. libro I. cap. 12.
59(*) Juv. sat. 12.
60(*) it. sat. 7.
61(*) Geograph. lib. primo.
62(*) De Orat. libro III.
63(**) In Orat.
64(*) Libri primo. cap. 10.
65(*) Lib. II. cap. pr.
66(**) Inst. libr. XI. c. 3.
67(***) Siehe den funfzehnten Abschnitt.
68(*) Epist. 84.
69(**) Saturn. lib. pr. in Pro.
70(*) De Arte Grammatica lib. 3.
71(*) Acad. Quest. lib 4.
72(**) In Orat. ad M. Brut.
73(*) In Tusc. Quest.
74(**) De art. Grammat. lib. 3. c. 21.
75(*) De Orat. libro primo.
76(*) De Orat. libr. 3.
77(**) Ibid. libro primo.
78(*) Inst. lib. 11.
79(*) De Orat. libr. III.
80(**) Libr. pr. cap. 12.
81(*) In Gymn.
82(**) De Arte Gramm. lib. 3.
83(*) Quint. lib. I. c. 12. Aul, Gall. l. 1. cap. 11.
84(**) In frag. de Trag. & Comœd.
85(*) Serm. 198.
86(*) Hor. Carm. lib. 3. Od. pr.
87(*) Amm. Hist. lib. 14.
88(*) Onomast. Poll.
89(*) Horat. de Art. Poet.
90(**) Frag. de Trag. & Comoed.
91(*) Plin. lib. 16. cap. 36.
92(*) Quint. hist. lib. 2. cap. 11.
93(*) Plat. Repub. lib. 3.
94(**) Quint. Just. lib. 11. cap. 3{??}.
95(*) Vita Apoll. lib. 6.
96(**) In Orchesi.
97(***) Epist. ad Zenam & Sarenum.
98(*) Onom. Poll. lib. 4. cap. 8.
99(**) Vitruvius lib. 5. cap. 8.
100(*) Florid. lib. 3.
101(**) Quint. Inst. lib. XI. cap. 3.
102(*) Ibid. lib. pr. cap. 3.
103(**) Ibid. lib. 1. cap. 10.
104(*) De Orat. lib. 3.
105(**) Frag de Comœd. & Tragœd.
106(***) Poet. lib. 2. cap. 28.
107(*) De Orat. lib. 8.
108(*) Act. 3. sc. 3.
109(*) Quint. Inst. lib. II. c. 3.
110(*) Quæst. Tuscal. lib. 4.
111(*) Liv. Hist. lib. 7.
112(*) Im Jahre nach Erbauung der Stadt 514.
113(*) Nehmlich die französischen, nicht die deutschen, welche den griechischen und römischen in diesem Stücke sehr gleich kommen können. Ueb.
114(*) Quæst. Tuscul. lib. 5.
115(*) Cic. de Legib. lib. 2.
116(*) Quint. Inst. lib. prim. cap. 2.
117(*) Horat. de Art. Poet.
118(*) Gegen das Jahr 590.
119(*) Cic. de Orat. l. 3.
120(*) Quint. Inst. l. 12. c. 3.
121(*) Plin. Epist. 14. lib. 12.
122(*) In der Oper Galathea.
123(*) Til. Liv. Hist. lib. 7.
124(*) De Arte Grammat. lib. 3. p. 4.
125(*) Quint. Inst. lib. XI. cap. 3.
126(**) Ibid. lib. I. cap. 10.
127(*) Val. Max. lib. 2. c. 4.
128(*) Lucian. de Orches.
129(**) A. Gellius lib. 20. cap. 2.
130(*) Fragm. de Trag. & Comœd.
131(**) Isid. Orig. lib. 18. cap. 44.
132(*) Isid. Orig. lib. 18.
133(*) Diomed. lib. 3.
134(*) Quint. in Pro. lib. IX.
135(*) Fab. 7. lib. 1.
136(**) Parallele tom. 3. p. 307.
137(*) In einer Abhandlung, die er der Akademie der schönen Wissenschaften übergeben.
138(*) Quint. Inst. lib. XI. cap. 3.
139(*) Onomast. lib. 4. cap. 19.
140(*) Amphitryo und Menächmi.
141(*) Cic. de Off. lib. p. Aul. Gall. lib. 7. cap. 5.
142(**) Ante pedes Domiti longum tu pone Thyeste Syrma, vel Antigonæ, & personam Menalippes Juvenal. sat. 8.
143(*) Onom. lib. 4. cap. 18.
144(*) Quint. lib. XI. cap. 3.
145(*) Cic. de Orat. lib. 3.
146(**) Quint. lib. XI. cap. 3.
147(*) Aul. Gellius Noct, lib. 5. cap. 7.
148(*) Mares. de Pers. cap. 1.
149(**) Juvenal. sat. 3.
150(*) Nec tamen Antiochus, nec erit mirabilis illi Aut Stratocles, aut cum molli Demetrius Hoemo.
151(**) Quint. lib. XI. cap. 10.
152(*) Plinius lib. 37. cap. 10.
153(*) Solin. Ed. Salmas. c. 37.
154(**) Vitr. lib. 5. cap. 5.
155(*) Plin. lib. 11. cap. 52.
156(*) Suet. in Caio Cæsare.
157(*) Plato de legibus lib. 7.
158(**) Isidot. Orig. lib. 18. cap. 50.
159(*) Edit. Flac. p. 90.
160(*) Orchestra Io. Meursii.
161(*) Apul. Metam. lib. 10.
162(*) Anthol. lib. 2.
163(*) Libr. secundo Hist.
164(*) Quint. Inst. lib. pr. cap. 13.
165(*) Macrobius Saturnal. lib. 3. cap. 8.
166(*) Quint. lib. 10. cap. 3.
167(**) Cic. de Orat. libr. prim.
168(*) Cic. de Off. lib. pr.
169(*) Variarum Epist. lib. pr. ep. 20.
170(**) Flor. lib. 3.
171(*) A. Gellius Noct. Att. lib. I. cap. 9.
172(*) Ovid. Trist. lib. 5. El. 7.
173(**) A. Gellius lib. 20. c. 2.
174(*) Juvenal. Sat. 5.
175(*) Macrob. Saturnal. lib. 2. cap. 10.
176(*) Cic. de Orat. 1. 3.
177(*) Quint. lib. 10. cap. 3.
178(**) Ibid.
179(*) Quint. lib. 1. cap. 10.
180(*) Siehe den zweyten Abschnitt.
181(**) Arist. de Musica lib. 1.
182(*) Seneca Epist. 121.
183(**) Cic. in Parad.
184(*) Cic. de Orat. lib. 3.
185(*) Tertull. de Spect.
186(*) Athenæus lib. I.
187(*) In dem Trauerspiele die Eumeniden.
188(*) Horat. Sat. I. II. 10.
189(**) Plin. lib. 7. c. 39.
190(*) Macrob. Sat. lib. 2. cap. 7.
191(**) Capit. in M. Aur.
192(*) Livius Hist. lib. 7.
193(*) Ammian. Marcell. Hist. lib. 14.
194(**) Unter Francisco I.
195(***) Im Jahr 1718.
196(*) Liv. Hist. lib. 24. August. de Civit. Dei. lib. 2. c. 11. Arnob. adv. Gent. lib. 7.
197(*) Quint. lib. II. c. 2.
198(**) Seneca Controvers. lib. 4.
199(*) Cic. de Orat. lib. I.
200(*) Seneca Controv. lib. I.
201(*) Persius sat. pr.
202(**) Arist. Prob. lib. 10.
203(***) Flor. lib. 2.
204(*) Plin. lib. 39. cap. 3.
205(*) Arnob. advers. Gent. lib. 7.
206(**) Aug. de Magist.
207(***) Lucianus de Orch.
208(*) S. August. de Doctr. Chr. lib. 2.
209(*) Sidon. Car. 23. ver. 268.
210(**) Sirm. in not. ad Sidon. p. 157.
211(*) Macrob. Saturn. 2. cap. 7.
212(*) Dio lib. 54.
213(*) Lucian. de Orch.
214(*) Zos. Hist. lib. pt.
215(*) Athenæ. lib. pr.
216(**) De ludis scenicis cap. 9 & 10.
217(***) Livius lib. 7.
218(*) Onom. Poll. lib. 4. c. 10.
219(**) Cassiod. Epist. 51. lib. 4.
220(*) Macrob. Saturnal. lib. 2. cap. 7.
221(*) Macrob. Saturnel. lib. 2. cap. 7.
222(*) Variar. Epist. lib. 4. epist. 51.
223(*) Seneca in Controv. 2.
224(*) Herr Mouret.
225(*) Tacit. Ann. lib. pr.
226(**) Variar. Epist. libr. pr. ep. 20.
227(*) Nat. Quæst. lib. 7. c. 32.
228(*) Tert. de spect.
229(*) Tacit. Annal. lib. 13.
230(*) Ibid. lib. 14.
231(*) De Con. sen. lib prim. cap. 33.
232(**) Im Jahr 546.
233(*) Baluz. Capitul. tom. prim. p. 906.
234(*) Amm. Marcell. lib. 14.
235(*) August. serm. 311. in Natalem Divi Cypriani.
236(*) Quint. Instit. lib. IX. cap. 3.
237(*) Quint. Inst. lib. II. cap. 3.

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000146/dubos_reflexions_ue.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000146/tei-transcript.xsl