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Les Bohemiens [Auszug]

2) Les Bohemiens; in fünf Aufzügen nach dem Entwurfe des Hrn. Gandini, zum erstenmal aufgeführet den 6ten Junius 1748.

Personen. Der Doctor. Mario, des Doctors Sohn. Harlequin, Bedienter des Doctors. Pantalon. Scapin, Haupt mann einer Zigeunerbande. Lelio und Lucinde, erkannte Kinder des Pantalon. Coraline, Zigeunerin. Eine Bande Zigeuner und Zigeunerinnen. Ein Müller. Bauern. Erster Aufzug. (Das Theater stellt einen Wald und ver schiedne Häuser vor.) Der Doctor erscheint, und ist auf den Pantalon sehr erzürnt. Er sagt, daß dieser seine Bosheit gegen ihn nun auf das äußerste getrieben, indem er ihm seinen Zaun niederreissen lassen und dadurch verursacht, daß ihm die wilden Thiere vielen Schaden gethan. Pantalon antwortet ihm, er müsse toll im Kopfe seyn. Harle quin kömmt mit einem Bauer dazu, den er abprügelt, weil er Feigen von dem Hinterhofe des Doctors gestohlen. Pantalon wird sehr un gehalten darüber, daß man seinen Bauer so mißhandelt. Der Doctor versetzt, daß wenn man ihm (dem Pantalon) Recht wiederfahren lassen wollte, man ihm eben so begegnen müßte, weil er an allen seinem Unglücke Schuld sey. Pantalon straft ihn Lügen; der Doctor ant wortet mit einer Ohrfeige; Pantalon ziehet seinen Dolch; Harlequin aber treibet ihn mit einer guten Tracht Schläge vom Platze, und be giebt sich mit dem Doctor weg. (Das Theater stellet ein Feld mit Zelten vor.) Zigeuner und Zigeunerinnen legen dem Scapin die Beute vor, die sich gemacht
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haben; nur Lelio hat ihm nichts vorzulegen, und Scapin wirft ihm den wenigen Geschmack vor, den er an ihrer Profeßion habe. Cora line macht Lucinden aus, daß sie den Leuten so schlecht wahrzusagen wisse. Lucinde antwortet ihr, daß sie vor diese Lebensart allzuviel Abneigung habe. Scapin lieset beyden, dem Lelio und der Lucinde den Text, und sagt ihnen, daß sie sehen müßten, wo sie was ver dienten, und heißt diejenigen, die sich die vergangene Nacht ermüdet haben, zur Ruhe gehen. Er macht der Coraline tausend Schmeiche leyen und empfängt einen Beutel von ihr. Nachdem er dem Lelio und der Lucinde noch mehr als einmal wiederhohlt, daß sie so ihrem Exempel folgen sollten, begiebt er sich mit Coralinen weg. Lelio und Lucinde sind nichts weniger als geneigt, dergleichen Ermahnungen nachzukommen. Lelio giebt der Lucinde den Rath, die Flucht mit ihm zu nehmen, und verspricht ihr, sie zu heyrathen. Lucinde antwortet, daß sie ihn zwar liebe und hochschätze, allein sie wisse selbst nicht, warum sie nicht die geringste Neigung habe, ihn zu heyrathen. Lelio antwortet ihr mit aller möglichen Zärtlichkeit, ohne über ihre abschlägliche Antwort verdrießlich zu seyn. Sie gehen mit einander ab. Der Doctor kömmt und erzehlt dem Mario seinen Streit mit dem Pantalon. Mario ist um so viel weniger damit zu frieden, da er weiß, daß Pantalon sehr reich ist, und daher verdrießliche Folgen besorget. Harlequin kömmt dazu und hinterbringt, daß Pantalon beschlossen habe, die ganze Familie des Doctors umbringen zu lassen. Der Alte wird darüber ganz unruhig; Harlequin glaubt ihn zu beruhigen, indem er ihm seine Tapferkeit rühmet. Doch kaum läßt sich Pantalon mit seinen Bauern sehen, als der furchtsame Harlequin die Flucht nimmt. Mario vertheidiget den Doctor, und Scapin, der mit seinem Gefolge dazu kömmt, bringt sie aus einander. Als Harlequin niemanden mehr sieht, will er alles todt machen, und beschließt den Aufzug mit seinen Großsprechereyen. Zweyter Aufzug. Lucinde, nachdem sie über die Liebe des Lelio und über die Härte, mit welcher ihr Scapin begegnet, ihre Be trachtungen angestellt, fühlt sich sehr ermüdet, läßt sich auf eine Rasen bank nieder, und schläft ein.
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Mario erblickt sie, findet sie ungemein reitzend, wird in sie ver liebt, nahet sich ihr und weckt sie dadurch auf. Anfangs will sie fliehen; Mario aber hält sie auf, und sie sagt ihm wahr. Mario ärgert sich, daß er sie eine so unwürdige Profeßion treiben sieht, und sagt ihr, daß sie ja wohl auf eine anständigere Art ihr Glück finden könne; er bietet ihr hierauf seinen Beutel an, den sie aber ausschlägt. Scapin schilt die Lucinde, daß sie das Geschenke, das man ihr machen wollen, nicht angenommen. Mario entschuldiget sie, erkennt den Scapin, er zeigt sich gegen ihn sehr freundschaftlich und bittet ihn, seinen Vater und ihn gegen die Verfolgungen des Pantalons zu vertheidigen. Scapin verspricht, ihn und seine ganze Familie in Sicherheit zu setzen, wenn sie ihre Zuflucht in seine Zelte nehmen wollten, und führt Lucinden mit sich fort. Mario wird über das Weggehen der Lucinde empfindlich und folgt ihr nach, nachdem er dem Harlequin befohlen, seinem Vater zu sagen, daß er in die Zelte des Scapins flüchten solle. Coraline kömmt dem Harlequin unter die Augen, und er findet sie nach seinem Geschmacke. Indem sie ihn mit Wahrsagen unterhält, visitiren ihm zwey kleine Zigeuner die Schubsäcke. Harlequin bekennt hierauf der Coraline seine Liebe, die sie erwiedern zu wollen sich stellet. Sie beredt ihn, sein Kleid abzulegen; die kleinen Zigeuner tragen es weg, und Coraline schleicht sich auch davon. Der Doctor, der in dem Augenblicke dazu kömmt, ist Ursache, daß Harlequin den ihm gespielten Streich nicht sogleich merkt, sondern vor allen Dingen die ihm von dem Mario an den Alten aufgetragene Commißion ausrichtet. Der Alte ist sogleich bereit, sich die Nachricht zu Nutze zu machen. Unterdessen sucht Harlequin seine Kleider ver gebens; er erblickt den Scapin, bey dem er sich wegen des erlittenen Raubes beklagt. Scapin giebt insgeheim seiner Bande Befehl, die Kleider wieder zu bringen. Harlequin setzt noch hinzu, es thue ihm leid, daß er sich über die Zigeunerin, die ihn beraubt, beklagen müsse, da sie ihm so wohl gefalle. Scapin giebt ihm den Rath, nicht so zärtlich zu seyn, sonst könnte ihn leicht der Hauptmann der Bande, wenn er seine Liebe zu der Zigeunerin erführe, zu Tode prügeln lassen. Coraline bringt des Harlequins Kleider wieder, und dieser kann sich nicht enthalten, ihr seine Liebe nochmals zu verstehen zu geben. Scapin giebt sich ihm hierauf als den Hauptmann der Bande
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zu erkennen; Harlequin zittert und kann kaum vor Erschrecken wieder zu sich kommen. Scapin will die Zigeunerin wegen ihres Diebstahls bestrafen, und sie bittet den Harlequin, ihre Genade auszuwirken. Harlequin bittet darum; Scapin gesteht sie ihm zu, und gehet mit seinen Leuten ab. Kaum sieht sich Harlequin mit Coralinen allein, als er ihr um den Hals fallen will. Auf einmal steht Scapin zwischen ihnen; er ist wider den Harlequin aufgebracht und will ihn binden lassen, weil es nur einem Zigeuner erlaubt sey, eine Zigeunerin zu lieben. Um ihn zu besänftigen, sagt Harlequin, daß er sich mit Vergnügen unter sie wolle aufnehmen lassen. Scapin ist es zufrieden, nur soll er vor her eine Probe von seiner Geschicklichkeit ablegen, wozu eben eine Ge legenheit vorfällt. Zwey Zigeuner bringen einen Esel, mit Federvieh beladen, unter die Zelte, den sie einem Müller gestohlen. Scpapin läßt das Federvieh abladen, und befiehlt dem Harlequin, den Esel an den Müller wieder zu verkauffen, und ihm bey der Gelegenheit seinen Beutel zu stehlen; wenn er dieses bewerkstelliget, so solle er Zigeuner seyn und Coralinen heyrathen dürfen. Harlequin versteht sich dazu, und Scapin giebt ihm einen Bart und einen Mantel, sich zu verkleiden. Der Müller kömmt, ganz ausser Athem, und fragt ihn, ob er nicht wisse, wohin die Zigeuner ihren Weg genommen. Harlequin antwortet, er habe darauf nicht Acht gegeben, sondern suche vielmehr selbst, diesen Spitzbuben auf das eiligste zu entkommen; er wünsche sogar, sagt er, daß er seinen Esel loswerden könne, damit er nicht gar darum käme. Dem Müller steht der Esel an, und indem er dem Harlequin Geld dafür geben will, stiehlt ihm dieser seinen Beutel. Der Müller merkt es, und läuft ihm nach; doch die Zigeuner vertheidigen ihren künftigen Mitbruder, umringen den Müller tanzend, und vermitteln es, daß Harlequin sich mit dem Esel, den er ihm verkauft, wieder davon machen kann. Dritter Aufzug. (Das Theater stellt einen Wald und Zelte vor.) Die Zigeuner und Zigeunerinnen spielen neben ihren Zelten. Da Scapin merkt, daß Lucinde und Lelio durchaus nicht geneigt sind, ihre Profeßion zu treiben, so möchte er ihrer gern los seyn. Er giebt zu verstehen, daß der Hauptmann der Bande, der vor ihm gewesen, ihm sie bestens empfohlen, und zugleich ein Papier anvertrauet habe,
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das er nicht eher, als nach Verlauf eines Jahres, erbrechen solle. Da nun das Jahr eben um ist, so öfnet er die Schrift, und findet daß Lucinde und Lelio des Pantalons Kinder sind; er ruft sie, und sie kommen von ihrem Spiele zu ihm. Scapin spricht sehr freundschaftlich mit ihnen und sagt, daß sie nun nicht mehr lange bey der Profeßion bleiben sollten, die sie so sehr verabscheuten; er kenne ihren Vater, und dieser sey vollkommen im Stande, sie in glückliche Umstände zu setzen. Er ersucht sie, ihm auf einige Augenblicke zwey Schaumünzen, die sie bey sich haben, anzuvertrauen. Lucinde und Lelio geben sie ihm. Der Doctor und Mario kommen, bey dem Scapin ihre Zu flucht zu nehmen, der sie auch sehr wohl aufnimmt, und sie mit dem Pantalon auszusöhnen verspricht. Unterdessen daß sich der Doctor unter den Zelten umsieht, kömmt Lucinde dazu, gegen die sich Mario sehr höflich erzeiget; sie entdecken einander beyde ihre Liebe. Harlequin, der es dem Scapin nachthun will, macht hierüber ein grosses Geschrey, und sagt den Verliebten, daß niemand eine Zigeunerin lieben dürfe, wenn er nicht selbst von der Profeßion wäre. Scapin giebt dem Harlequin Recht, worüber sich dieser sehr frölich erzeigt. Doch als sich Coraline ungemein vergnügt stellt, daß nunmehr auch Mario bald von ihrer Gesellschaft seyn werde, fängt er an, eifer süchtig zu werden. Pantalon kömmt und bittet den Scapin, ihn zu rächen, und macht ihm ein Geschenk; Scapin nimmt es an, und schickt ihn wieder fort. Er freuet sich sehr, da er sieht, daß die Liebe die Familien des Doctors und des Pantalons ohne Schwierigkeit wieder vereinigen werde; und der Aufzug endiget sich mit der Aufnahme des Harlequins, welche Scapin vorzunehmen befiehlt. Vierter Aufzug. Scapin giebt dem Mario den Rath, ohne Bedenken Zigeuner zu werden, um Lucinden heyrathen zu können; er versichert ihn, daß er ihm in einigen Stunden beweisen wolle, daß sie von eben so gutem Geschlechte sey, als er, und daß es für sie beyde gut seyn werde, wenn er seinem Rathe folge. Da Mario den Scapin kennet, und von ihm hintergangen zu werden, sich nicht fürchten darf, so williget er in alles, was er von ihm verlangt. Harlequin giebt dem Doctor den Rath, Zigeuner zu werden, weil es doch sein Sohn auch bald seyn werde; der Doctor aber giebt
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auf seine Reden nicht Acht. Indem erblickt Pantalon den Harlequin, erinnert sich an die Schläge, die er von ihm bekommen, zieht seinen Dolch und will sich rächen. Harlequin läuft davon. Scapin hält den Pantalon auf, und sagt ihm, daß er ein Ge heimniß besitze, durch welches er ihm einen sehr wichtigen Dienst leisten könne; wenn er ihn nehmlich an seinen Feinden werde gerächt haben, wolle er ihm das Vergnügen machen, zwey Kinder, die er für ver lohren halte, wieder zu finden. Pantalon ist für Freuden ausser sich, und will wissen, wenn ihm dieses Glück wiederfahren solle. Scapin befiehlt ihm, in die nächste Grotte zu gehen, wo er seine Beschwörungen machen wolle. Pantalon gehorcht, Scapin folgt ihm, nachdem er zu verstehen gegeben, daß er zu seiner List alles vorbereitet habe. Der Doctor hat sich von einer gewaltigen Liebe zu Coralinen einnehmen lassen, und sucht sie, sich ihr zu entdecken. Seine Leiden schaft wird in Coralinens Gegenwart immer stärker; sie merkt die Liebe, die der Alte gegen sie empfindet, stellt sich, sie erwiedern zu wollen, und da er ihr, sie zu heyrathen, verspricht, scheinet sie ganz traurig, weil sie seine Frau, wie sie sagt, nicht seyn könne, wenn er nicht Zigeuner würde. Sie fügt hinzu, daß er sich zwar, wenn er sie wirklich liebe, kein Bedenken machen dürfe, es zu werden, indem sein Sohn bereits Zigeuner geworden, um Lucinden zu heyrathen. Der Doctor erstaunet über diese Nachricht; es wird ihm schwer, sich zu entschliessen; doch endlich siegt die Liebe bey ihm, er begiebt sich mit Coralinen weg, und ist bereit, alles zu thun, was sie von ihm verlangt. (Das Theater stellt einen Wald und einen grossen Felsen vor.) Scapin befiehlt dem Pantalon, auf den Felsen zu steigen, wo er ihm einen Beweis von seiner Wissenschaft geben wolle. Seine Beschwörungen erschrecken den Pantalon; er erschrickt aber noch weit mehr, als er Mitten in Flammen die Devisen erscheinen sieht, die auf den Schaustücken seiner Kinder stehen. Pantalon verlangt sie von dem Scapin, und dieser verspricht sie ihm auch; indem aber ruft er unterirdische Geister, die ihn wegführen, und von dem Felsen hinunter rollen lassen, womit sich der Aufzug endet. Fünfter Aufzug. Lelio und Lucinde führen den Pantalon, der nach seinem Falle kaum mehr gehen kann. Sie erzeigen sich dem Alten ungemein behülflich, der ihnen seine Dankbarkeit nicht genug
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ausdrücken kann. Die Sympathie verursacht bey allen dreyen Bewe gungen, von welchen sie die Ursache nicht begreifen können. Lelio und Lucinde umarmen den Pantalon mit Ehrfurcht, und Pantalon um armt sie mit Zärtlichkeit. Da Harlequin und der Doctor den Pantalon wahrnehmen, so wollen sie ihn umbringen; Lelio und Lucinde vertheidigen ihn, und dieser Zufall verdoppelt des Pantalons Liebe gegen sie. Scapin, der alles, was vorgegangen, insgeheim mit angesehen, läßt den Doctor und den Harlequin, desgleichen den Lelio und die Lucinde abgehen; vorher aber erhebt er die Großmüthigkeit dieser letztern. Pantalon betrübt sich, da sie ihn verlassen sollen. Scapin bewundert die Macht des Bluts, und führt den Pantalon mit sich fort. (Das Theater stellt einen Wald vor, mit den Zelten des Scapin.) Die ganze Bande des Scapin ist zum Aufbruche fertig. Pantalon erstaunet, da er den Doctor und den Mario unter den Zigeunern gewahr wird. Scapin sagt ihm, daß sie keine Zigeunerin hätten heyrathen können, ohne es selbst zu seyn. Pantalon glaubt nunmehr an seinen Feinden genug gerächet zu seyn, da sie sich so weit erniedriget. Scapin bittet ihn, seinen Groll nicht weiter zu treiben, und zu bedenken, daß sich die liebsten Zweige seiner Familie gleichfalls unter der Bande befänden. Zugleich fragt er seine Leute, ob sich einer von ihnen den Vater des Lelio und der Lucinde zu hassen unterstehe? Sie beschwören alle einmüthig das Gegentheil. Und nun giebt Scapin dem Lelio und der Lucinde ein Zeichen, die sich dem Pantalon zu Füssen werfen, und ihm ihre Schaumünzen überreichen. Pantalon vergießt Freudenthränen, und umarmt sie. Er sieht nun, daß sich die Natur schon vorher für sie erkläret; er söhnt sich mit seinem Feinde aus, und freuet sich über die Verbindung ihrer Kinder. Harlequin ist wider den Scapin in der größten Wuth, weil er ihm sein Wort nicht gehalten, sondern Coralinen an den Doctor ver heyrathet, und will nicht länger Zigeuner seyn. Scapin aber be sänftiget ihn, mit der Hofnung, daß Coraline, die itzt einen alten Mann heyrathe, bald Wittwe werden, und ihm alsdenn eine reiche Erbschaft zubringen werde. Hierauf giebt sich Harlequin zufrieden, und die Komödie endiget sich mit der Verheyrathung des Mario mit Lu cinden, und des Doctors mit Coralinen.


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