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Vorrede.
Von dem Leben, Schriften und Cha racter des Verfassers.
(
Das erste Buch.
Von der Beschaffenheit der menschlichen Natur
und dem höchsten Gute.
)
-
Erster Abschnitt.
Von der Beschaffenheit der menschlichen Natur und ihren Kräften, vornehmlich von dem Verstande, dem Wil len, und den Leidenschaften. -
Zweyter Abschnitt.
Von den feinern Empfin dungskräften. -
Dritter Abschnitt.
Von den letzten Bestimmun gen des Willens und den gemeinnützigen Neigungen. -
Vierter Abschnitt.
Von dem moralischen Ge fühl, oder der Fähigkeit, die moralische Vortreflichkeit zu empfinden; und von den höchsten Gegenständen desselben. -
Fünfter Abschnitt.
Das Gefühl der Ehre und Schande wird erklärt. Die Allge Inhalt. meinheit desselben und des morali chen Gefühls und ihre Gleichför migkeit. -
Sechster Abschnitt.
In wie weit die verschiede nen Empfindungen, Begierden, Leiden schaften und Neigungen in unsrer Gewalt sind. -
Siebenter Abschnitt.
Die verschiedene Art von Vergnügen, und die entgegen gesetzten Ar ten von Misvergnügen werden verglichen, um ihren Einflus auf die Glückseligkeit zu bestimmen. -
Achter Abschnitt.
Eine Vergleichung der verschie denen Gemütsarten und Character, in Ab sicht auf Glückseligkeit oder Elend. -
Neunter Abschnitt.
Die Pflichten gegen Gott, und die richtigen Begriffe von seiner Natur. -
Zehnter Abschnitt.
Die Neigungen und Pflich ten, und die Ehrfurcht gegen Gott. -
Eilfter Abschnitt.
Der Beschlus dieses Buchs, welcher den Weg zu der höchsten Glückse keit<Glückseligkeit> unserer Natur zeigt.
Inhalt.
(
Das zweyte Buch.
Von den besondern Gesetzen der Natur und den
Pflichten des Lebens, ohne Absicht auf eine bür
gerliche Regierung und andere willkür
liche Stände.
)
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Erster Abschnitt.
Die Umstände, welche das mo ralische Gute oder Böse der Handlungen vergrössern oder vermindern. -
Zweyter Abschnitt.
Allgemeine Regeln, nach wel chen die Sittlichkeit der Handlungen in Absicht auf die Neigungen, welche sie ver anlassen oder hindern, zu beurtheilen ist. -
Dritter Abschnitt.
Die allgemeinen Begriffe von den Rechten und Gesetzen, nebst ihren Ein theilungen. -
Vierter Abschnitt.
Die verschiedenen Stände der Menschen. Der Stand der Freyheit ist kein Stand des Krieges. Wie Pri vatrechte erkannt werden. Die Noth wendigkeit eines geselligen Lebens. -
Fünfter Abschnitt.
Von den Privatrechten der Menschen, welche die angebohrnen genen net werden, und von der natürlichen Gleichheit der Menschen.
Inhalt.
-
Sechster Abschnitt.
Von den erlangten Rechten, so wohl den dinglichen als persönlichen und von dem Eigenthum. -
Siebenter Abschnitt.
Die Mittel das Eigen thum zu erlangen. Wie weit es sich er strecket, und wo es sich befindet. -
Achter Abschnitt.
Von dem abgeleiteten Eigen thume und von den Mitteln, es zu ver äussern und auf andere zu übertragen. -
Neunter Abschnitt.
Von Contracten und Ver trägen. -
Zehnter Abschnitt.
Verbindlichkeiten bey dem Gebrauche der Sprache. -
Eilfter Abschnitt.
Von Eyden und Gelübden. -
Zwölfter Abschnitt.
Von Werthe der Güter im Handel und der Natur des Geldes. -
Dreyzehnter Abschnitt.
Die richtigsten Contracte die in einem gesellschaftlichen Leben vor kommen. -
Vierzehnter Abschnitt.
Persönliche Rechte, die durch eine gesetzmäßige Handlung der ver bundenen Person, oder derjenigen, die das Recht besitzt, entstehn. -
Funfzehnter Abschnitt.
Von Rechten, welche durch Injurien und von andern verur Inhalt. sachte Schäden entstehn: und von der Vernichtung eines Rechts. -
Sechzehnter Abschnitt.
Von den allgemeinen Rechten der menschlichen Gesellschaft. -
Siebzehnter Abschnitt.
Die ausserordentlichen Rechte, die aus einer besondern Noth entstehen. -
Achtzehnter Abschnitt.
Wie im Stande der na türlichen Freyheit die Streitigkeiten ent schieden werden müssen.
(
Das dritte Buch.
Vom bürgerlichen Regimente.
)
-
Erster Abschnitt.
Von den verschiedenen einge führten Ständen, oder den Verknüpfun gen durch Verwandschaften, und zuerst vom Ehestande. -
Zweyter Abschnitt.
Von den Rechten und Pflich ten der Aeltern und Kinder. -
Dritter Abschnitt.
Die Pflichten und Rechte der Herren und Bedienten. -
Vierter Abschnitt.
Von den Bewegungsgründen, wodurch die Menschen zu Errichtung einer bürgerlichen Regierung gebracht worden.
Inhalt.
-
Fünfter Abschnitt.
Von der natürlichen Metho de, ein bürgerliches Regiment einzurichten, und den wesentlichen Theilen desselben. -
Sechster Abschnitt.
Die verschiedenen Regierungs formen, mit dem, was sie vortheilhaftes oder nachtheiliges enthalten. -
Siebenter Abschnitt.
Die Rechte der Regenten, und wie weit sie sich erstrecken. -
Achter Abschnitt.
Von den Mitteln die höchste Gewalt zu erlangen, und wie fern sie ge recht sind. -
Neunter Abschnitt.
Von der Beschaffenheit der bürgerlichen Gesetze und ihrer Beobach tung. -
Zehnter Abschnitt.
Die Gesetze des Kriegs und Friedens. -
Eilfter Abschnitt.
Die Dauer der politischen Ver einigung und der Beschlus.
Inhalt des Werks.
Sittenlehre der Vernunft.
Das erste Buch,
Von der Beschaffenheit der menschli
chen Natur und dem höch
sten Gute.
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Der erste Abschnitt,
Von der Beschaffenheit der menschlichen
Natur, und ihren Kräften, vornehmlich von
dem Verstande, dem Willen und den
Leidenschaften.
I.Die Absicht der philosophischen Sittenlehre(Was die
philosophi
sche Sitten
lehre sey.)
ist, die Menschen zur Ausübung derjenigen
Handlungen zu gewöhnen, welche ihre gröste Glück
seligkeit und Vollkommenheit am sichersten beför
dern können; in so weit dieses durch Wahrnehmun
gen und Folgerungen, die aus der Beschaffenheit
der Natur hergeleitet werden, ohne Hülfe einer über
natürlichen Offenbarung geschehen kan. Diese
Grundregeln, oder Vorschriften des Verhaltens
werden dahero für Gesetze der Natur angesehen,
und das System oder die Sammlung derselben
wird das Gesetz der Natur
genennet.
Die menschliche Glückseligkeit, welche der(Die Känt
nis der
menschlichen Kräfte ist darinnen nöthig.)
Endzweck dieser Wissenschaft ist, kan nicht deut
lich eingesehen werden, wenn man sich nicht zuvor
mit der Beschaffenheit der menschlichen Natur, und
allen ihren empfindenden und handelnden Kräften,
(Erstes
Buch.)
42 Von der Beschaffenheit
und mit den natürlichen Gegenständen derselben be
kant gemacht hat. Denn die Glückseligkeit ist
derjenige Zustand der Seele, worein sie durch
ihre verschiedenen angenehmen Empfindungen oder
Veränderungen versetzt wird. Man verfährt also
in dieser Wissenschaft am natürlichsten, wenn man
die verschiedenen empfindenden und handelnden
Kräfte oder Fähigkeiten der Menschen nebst den
verschiedenen natürlichen Bestimmungen derselben,
und den Gegenständen, von welchen ihre Glückse
ligkeit entsteht, zuförderst untersucht; alsdenn aber
die verschiedenen Vergnügungen, deren sie fähig
sind, mit einander vergleicht, damit wir entdecken
können, worinnen die höchste Glückseligkeit und
Vollkommenheit bestehe, und wie das ganze Ver
halten beschaffen seyn müsse, durch welches dieselbe
erlangt werden kan.
Bey dieser Untersuchung darf man dasjenige,
was zwar, zur Natur unsers Körpers oder unsrer
Seele, gehört, aber in der Sittenlehre keinen grossen
Nutzen schaft, nur kurz berühren. Wir werden
unnöthige Streitigkeiten vermeiden, und wegen
desjenigen, was andre Schriftsteller bereits gut er
klärt haben, uns auf sie beziehen. Wir werden
dahero viel sinnreiche anatomische Betrachtungen
über die Vorzüge, welche der menschliche Körper
vor dem Körper andrer beseelter Geschöpfe hat,
übergehen. Der Leser wird dieselben bey anato
mischen Schriftstellern, und beym Docter Cum
berland finden.
der menschl. Natur und ihren Kräften. 43
(Erster Abschnitt.)
II. Wenn ihr den Menschen, von seiner Ge
burt an, betrachtet: so seht ihr ein Geschöpf, das(Schwach
beiten<Schwachheiten> der Menschen
von ihrer Kindheit an.)
schwächer, und weniger, als alle andere, fähig ist,
ohne Hülfe eines Erwachsenen, sich zu erhalten;
und das auch länger, als alle andre, in diesem
Stande des Unvermögens bleibt. Alle andre be
seelte Geschöpfe gelangen schon in wenigen Mona
ten zu ihrer vollen Lebhaftigkeit, und zu dem voll
kommenen Gebrauch ihrer Kräfte; wenige haben
mehr, als vier oder fünf Jahre, zu ihrer völligen
Reife nöthig. Zehen bis zwölf Jahre brauchen
die Menschen, ehe sie sich durch ihre eigene Kunst
und Arbeit erhalten können, selbst in den gesitte
testen Gesellschaften, und in den Weltgegenden, de
ren Bewohner sich von der Aehnlichkeit mit den wil
den Thieren am weitesten entfernt haben. Andere
beseelte Geschöpfe kommen bekleidet und bewafnet
aus der Hand der Natur; sie haben alles, was zu
ihrer Vertheidigung und Erhaltung gehört, ohne
daß ihres gleichen nöthig hätten, sich darum im
mindesten zu bemühen. Die unbebauete Erde giebt
ihnen ihre Nahrung; Wälder und Felsen dienen
ihnen zu Wohnungen. Die Menschen sind unbe
kleidet und unbewafnet. Jhre zuträglichste und
angenehmste Nahrung ist seltner, und erfordert
Mühe und Arbeit. Jhre Körper sind nicht im
Stande, den Unbequemlichkeiten der Witterung zu
widerstehen, wenn nicht für ihre Kleider und
Wohnungen mühsam gesorgt wird. In ihren zar
ten Jahren hängt also ihre Erhaltung von der
Sorgfalt der Erwachsenen ab; und ihr ganzes Le
ben würde elend seyn, wenn sie sich in Wüsteneyen
(Erstes
Buch.)
44 Von der Beschaffenheit
befänden, und des Beystands ihrer Mitbrüder sich
beraubt sähen.
(Die Ab
sichten der
selben.)
Man mus dieses für keine unbillige Grau
samkeit des Urhebers der Natur gegen die Men
schen ansehen. Wir werden bald das Gegenmittel
wider diese langwierige Schwachheit unsrer jün
gern Jahre in der zärtlichen Zuneigung der Aeltern
zubereitet finden; wir werden die Endursachen der
selben in den verschiedenen Verbesserungen wahr
nehmen, deren wir fähig sind. Die Mittel unse
rer Erhaltung erfordern viel Mühe und Geschick
lichkeit: wir sind verschiedener edler Vergnügungen
fähig, die andern beseelten Geschöpfen unbekant
sind, und in den nützlichen und angenehmen Kün
sten ihren Grund haben, welche wir, ohne eine
lange Erziehung, ohne vielen Unterricht, und ohne
die Nachahmung anderer, nicht erlernen können.
Wie viel Zeit haben wir nöthig, unsre Mutter
sprache zu lernen? Wie viel Geschicklichkeit wird
selbst zu den gemeinsten Künsten des Ackerbaues,
oder anderer zur Wirthschaft gehörigen Verrichtun
gen, erfordert? Ein Körper, mit voller Stär
ke ausgerüstet, ohne eine Seele, die weder
Künste noch Wissenschaften, noch gemeinnützige
Fähigkeiten besässe, würde uns unbändig und un
biegsam machen. Wir würden unsern Aeltern
und Lehrmeistern eine Last seyn. Da wir also nö
thig haben, unterwürfig zu bleiben: so haben wir
nicht so zeitig die Kräfte haben sollen, uns von die
sem nothwendigen und liebreichen Joche losmachen
zu können.
der menschl. Natur und ihren Kräften. 45
(Erster Abschnitt.)
III. Die natürlichen Triebfedern, welche sich
zuerst entdecken, sind unsre äusserlichen Sinne,(Kräfte, welche sich
zuerst äus
sern.)
nebst einigen geringen Kräften, uns selbst zu bewe
gen, einer Begierde nach Nahrung, und einem an
gebohrnen Trieb, sie zu uns zunehmen. Alle diese
Kräfte äussern sich für uns auf eine zu dunkle Art,
als daß wir sie vollkommen verstehen könten: noch
viel weniger wissen die Thiere, daß sie von ihnen zu
den Brüsten ihrer Mütter geführt werden, oder
daß eine besondere Bewegung der Luft nöthig ist,
wenn sie säugen wollen. Wir handeln anfänglich
alle auf gleiche Art nach angebohrnen Trieben, die
uns eine höhere Hand weislich eingepflanzt hat.
Unsre äusserlichen Sinne bringen bald Vor
stellungen des Vergnügens oder des Schmerzens in
unsre Seele: und mit diesen Vorstellungen entdeckt
sich zugleich unmittelbar eine natürliche immerwäh
rende Neigung, jenes zu wünschen, und diesen zu
verabscheuen; nach allem zu trachten, was die Ur
sache oder die Gelegenheit des Vergnügens seyn
kan, und hingegen die Ursachen des Schmerzens
sorgfältig zu vermeiden. Dieses sind wahrschein
licher Weise unsre ersten Begriffe von natürlichem
Guten und Uebel, von Glückseligkeit und Elend.
Die äusserlichen Sinne sind diejenige Einrich(Der eigent
liche Begrif der sinnli
chen Empfin
dung.)
tung unserer Natur, vermittelst welcher alle
mal gewisse Vorstellungen in der Seele ent
stehen, so oft die Gliedmassen des Körpers ent
weder gewisse Eindrücke empfangen, oder
in gewisse Bewegungen gesetztwerden. Ei
nige von diesen Vorstellungen erhalten wir blos durch
(Erstes
Buch.)
46 Von der Beschaffenheit
einen Sinn, andre durch zween oder mehrere.
Untern die erstern gehören diese fünf Arten, näm
lich, Farben, Töne, Geschmack, Geruch, Kälte
oder Hitze; einige scharfsinnige Schriftsteller zäh
len ihrer mehr. Wir können diese die eigentlichen
Begriffe der sinnlichen Empfindung nennen.
Die Gelehrten sind darinnen einig, daß diese
sinnlichen Empfindungen weder in Abbildungen
oder Vorstellungen der äusserlichen Eigenschaften
in den Gegenständen, noch in den Eindrücken oder
Veränderungen, welche die Gliedmassen des Kör
pers empfangen, bestehen. Sie sind entweder
Zeichen, welche uns neue Vorfallenheiten in un
serm Körper, wovon uns die Erfahrung und
Beobachtung die Ursachen entdeckt, ankündigen;
oder sie sind Merkmale, die der Urheber der
Natur angegeben hat, uns zu unterrichten, welche
Dinge nützlich und unschädlich, oder schädlich sind;
oder sie sind Anzeigen der Dinge, welche wir aus
serdem nicht unterscheiden würden, und die gleich
wohl in unsern Zustand einen Einflus haben.
Doch alle diese Merkmale oder Zeichen können zu
der Abbildung dessen, was sich ausser uns befin
det, eben so wenig beytragen, als der Knall eines
Geschützes, oder die Entzündung des Pulvers das
Unglück eines Schiffs abbildet. Die angenehmen
sinnlichen Empfindungen des Geschmacks, Ge
ruchs, und Gefühls, entstehen von unschädlichen
oder nützlichen Gegenständen, wenn sie mit der ge
hörigen Mässigung gebraucht werden: die unange
nehmen oder schmerzhaften Empfindungen hinge
der menschl. Natur und ihrer Kräften. 47(Erster Abschnitt)
gen von solchen, welche schädlich sind, oder keinen
Nutzen haben. Durch das Gesicht und Gehör
scheint der Schmerz keinen unmittelbaren Zugang
zu uns zu finden; kaum ist eine sichtbare Gestalt
oder ein Ton eine unmittelbare Gelegenheit dazu;
obgleich die gewaltsame Bewegung des Lichts oder
der Luft, eine schmerzhafte Empfindung hervorbrin
gen kan. Und doch empfängt die Seele das un
schätzbare Vergnügen über Schönheit und Har
monie, und die Begriffe von Grösse, Figur, Lage
und Bewegung, durch Hülfe des Gesichts und Ge
hörs. Nicht durch diese beyden letztern, sondern
durch die ersten drey, wird in uns das Vergnügen
hervorgebracht, das man sinnlich
nennt.
Die Begriffe, welche wir durch zween oder(Begleiten
de Begriffe der sinnli
chen Em
pfindung.)
mehrere Sinne erhalten, sind Dauer, Anzahl,
Ausdehnung, Figur, Bewegung, Ruhe. Dauer
und Anzahl haben in jeder Vorstellung oder Hand
lung in der Seele statt, sie mag von den Glied
massen des Körpers abhängen oder nicht. Die ein
fachen Begriffe in dieser Classe, welche einige die
begleitenden Begriffe der sinnlichen Empfindung
nennen, sind nicht ohne Ausnahme entweder ange
nehm oder schmerzhaft. Wir finden, an der Ver
einigung verschiedener Arten von Figuren und Be
wegungen, Vergnügen. In den Verhältnissen der
Figur mit der Farbe, liegt Schönheit, und in den
Verhältnissen der Zeit und der Töne, ist Harmonie.
Die Verhältnisse der Zahlen und Figuren sind das
Feld, auf welchem wir die Kräfte unsrer Vernunft
am freyesten und uneingeschränktesten beschäftigen
können. Hiervon hernachmals.
(Erstes
Buch.)
48 Von der Beschaffenheit
IV. Es giebt eine andere natürliche Kraft der
(Begriffe
vom Be
wustseyn und Nach
denken.) Vorstellung, die zwar immer angewendet, aber
nicht genug überdacht wird, eine innerliche Em
pfindung, Wahrnehmung oder ein Bewustseyn al
ler Handlungen, Leidenschaften und Veränderungen
der Seele, wodurch ihre eigenen Vorstellungen,
Urtheile, Schlüsse, Neigungen und Empfindungen,
die Gegenstände ihrer Betrachtung werden können.
Sie kennt sie, und weis ihre Benennungen; und
also kennt sie auf eben die Art, wie sie Körper
kennt, sich selbst, durch unmittelbar empfundene
Eigenschaften, ungeachtet das Wesen beyder unbe
kant ist.
(Urtheile und Schlüsse)
Diese beyden Vorstellungskräfte, die sinnli
che Empfindung und das Bewustseyn, brin
gen der Seele die Gegenstände ihrer Erkäntnis zu.
Alle unsre ersten und unmittelbaren Begriffe ent
springen aus einer von diesen zwo Quellen. Aber
die Seele bleibt nicht bey der blossen Vorstellung
der Dinge stehen. Sie vergleicht die erhaltenen
Begriffe, unterscheidet ihre Beziehungen, bemerkt
die Verändrungen, welche in den Gegenständen ih
rer Betrachtung durch Handlungen, die wir selbst
oder andere unternehmen, veranlasst werden; sie
untersucht die Natur, die Verhältnisse, die Ursa
chen und Wirkungen, die vorhergehenden und nach
folgenden Umstände eines jeden Dinges, wenn sie
nicht durch ungestüme Begierden daran verhindert
wird. Diese Kräfte zu urtheilen und zu schliessen,
sind bekanter, und von allen Philosophen besser
untersucht worden, als irgend eine andre; dahero
der menschl. Natur und ihren Kräften. 49(Erster Abschnitt.)
wir sie übergehen. Alle diese verschiedenen Kräfte
der äusserlichen Empfindung, des Bewusstseyns,
des Urtheilens und des Schliessens werden gemeinig
lich die Wirkungen des Verstands
genennt.
V. Ob es gleich noch einige andere Arten(Die Wir
kungen des
Willens.)
von feinern Empfindungen giebt, die den Men
schen natürlich zu seyn scheinen: so haben doch ei
nige davon die Wirkungen des Willens, die Nei
gungen und Leidenschaften zum Gegenstand. Es
ist dahero nöthig, den Willen und seine natürlichen
Bestimmungen zuförderst ein wenig zu betrachten,
ehe wir uns zu diesen feinern Erfindungen wenden.
Es ist klar, daß, sobald als ein Begrif, ein
Urtheil oder ein Schlus, uns einen Gegenstand
oder eine Begebenheit als unmittelbar gut oder an
genehm, oder als das Mittel eines künftigen Ver
gnügens oder der Sicherheit vor dem Uebel, ent
weder in Absicht auf uns selbst, oder auf eine Person,
die uns lieb ist, vorstellt; daß als denn unmittelbar ei
ne neue Bewegung der Seele entsteht, die von den
Wirkungen des Verstandes unterschieden ist, näm
lich ein Verlangen nach diesem Gegenstand oder
dieser Begebenheit. Sobald wir aber wahrneh
men oder dafür halten, daß ein Gegenstand oder
eine Begebenheit die Gelegenheit zu Schmerz oder
Elend, oder zu dem Verlust eines Gutes, sey; so
bald entsteht die entgegengesetzte Bewegung, welche
Abscheu genennt wird. In allen diesen Fäl
len entstehen die ersten Bewegungen des Willens
von Natur, ohne daß eine Wahl oder ein Ge
heis vorhergeht, und sie sind die allgemeinen
(Erstes
Buch.)
50 Von der Beschaffenheit
Quellen der Handlungen eines jeden vernünftigen
Wesens.
(Vier all
gemeine Classen der
Wirkungen des Willens.)
Zu dem Willen werden genteiniglichgemeiniglich zwo an
dre Gemüthsbewegungen gerechnet, welche, von un
sern Vorstellungen der Gegenstände oder Bege
benheiten, herrühren, in sofern sie, unserm Ver
langen gemäs, erhalten, oder nicht erhalten wer
ten; oder in sofern sie, unserm Abscheu ge
mäs, entfernt und verhütet werden, oder nicht.
Sie werden Freude und Traurigkeit genennet.
Aber da dieselben die Seele nicht unmittelbar in
Bewegung setzen: so scheinen sie eher neue
Empfindungen der Seele, als Wirkungen des
Willens zu seyn. Dem ungeachtet werden diese
Worte oft ohne Unterschied gebraucht, wie es bey
vielen andern Benennungen der Handlungen und
Leidenschaften gewöhnlich ist. Wie man also
durch Vergnügen oder Freude das Verlangen
nach einer Begebenheit, die, wenn sie sich zuträgt,
uns erfreuen wird, auszudrücken pflegt: also wird
Traurigkeit an statt Furcht oder Abscheu ge
braucht. Wir haben dahero die alte
*
Eintheilung
der Bewegungen des Willens, in Verlangen, Ab
4
der menschl. Natur und ihren Kräften. 51(Erster Abschnitt)
scheu, Freude und Traurigkeit angenommen. Wir
können uns auch schwerlich einen Geist vorstellen,
der nicht diese Veränderungen und Bewegungen
des Willens auf eine oder andere Art hätte. Da
die Gottheit alle Macht und alle Vollkommenheit
besitzt: so mus sie freylich aller Bewegungen, die
einen Schmerz einschliessen, unfähig seyn.
Die Wirkungen des Willens können wie(Eigennü
tzige und ge
meinnützige
Wirkungen des Willens)
derum in zwo Classen getheilet werden. Einige
sind auf die Erlangung des Guten und Abwendung
des Gegentheils, in Absicht auf unsern eigenen
Vortheil; einige aber sind auf die Erlangung
des Guten in Absicht auf andere; und auf
die Abwendung der Uebel, die ihnen drohen, ge
richtet. Die erstern wollen wir eigennützig oder
auf uns selbst gerichtet, die andern aber gemein
nützig oder auf andere gerichtet, nennen. Man
mag mit so tiefer Gründlichkeit, als man will, zu
behaupten suchen, daß alle Bewegungen des
Willens aus einer Quelle entspringen: so kan doch
niemand läugnen, daß wir oft ein inneres wahres und
unverstelltes Verlangen, nach der Wohlfart anderer,
in sehr verschiedenen Graden, in uns wahrnehmen.
VI. Es giebt zwo ruhige natürliche Bestim(Die zwo ruhigen Be
stimmungen des Willens. Selbstliebe)
mungen des Willens, welche bey dieser Gele
genheit besonders betrachtet werden müssen.
Erstlich ein unveränderlicher und immerwährender
Trieb nach unserer eigenen höchsten Vollkommen
heit und Glückseligkeit. Dieser natürliche Trieb
wirkt in dem ganzen Geschlechte der Menschen. Da
sie über ihre eigene Beschaffenheit und über ihre
Kräfte, zu handeln und zu empfinden, nicht nach
(Erstes
Buch.)
52 Von der Beschaffenheit
denken, noch darauf merken: so haben wenige die
verschiedenen angenehmen Empfindungen, deren sie
fähig sind, oder die verschiedenen Kräfte zu han
deln, betrachtet und verglichen. Wer aber dieses
thut, wird ein ruhiges Verlangen nach der Voll
kommenheit aller unsrer thätigen Kräfte, und nach
den höchsten angenehmen Empfindungen, welche,
wie wir bey der Vergleichung finden, den wichtig
sten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben, in uns
wahrnehmen. Diejenigen, welche diese Betrach
tungen und Vergleichungen nicht angestellt haben,
tragen ein natürliches Verlangen nach solchen Ar
ten von angenehmen Empfindungen, wovon sie
durch ihre Sinne oder höhere geübte Kräfte einige
Begriffe erlangt haben, in sofern dieselben neben
einander bestehen, oder zu bestehen scheinen; und
begehren die Vollkommenheit solcher Kräfte, die ihre
Erwartung erfüllen können. Wenn diese Empfin
dungen einander zuwider zu seyn scheinen: so wird
die Seele, wenn sie ruhig ist, vor allen andern die
jenigen verlangen, welche den wichtigsten Einflus
auf ihre Glückseligkeit zu haben scheinen. So weit
sind alle einig.
(Liebe ge
gen andre.)
Die andre erwähnte Bestimmung des Wil
lens ist auf die allgemeine Glückseligkeit anderer ge
richtet. Wenn die Seele ruhig ist, und die Be
schaffenheit und Kräfte anderer Wesen, ihre na
türlichen Handlungen und Fähigkeiten, glückselig
oder elend zu seyn, betrachtet; wenn die eigennü
tzigen Triebe, Leidenschaften und Begierden ent
schlummert sind: so äussert sich ein ruhiger Trieb
der Seele, die grösste Glückseligkeit und Vollkom
der menschl. Natur und ihren Kräften. 53(Erster Abschnitt.)
menheit der ganzen ihr bekanten Welt zu verlan
gen. Unser innerliches Bewustseyn ist ein unver
werflicher Zeuge, daß ein solcher Trieb, eine solche
Bestimmung der Seele in uns ohne alle Bezie
hung auf eine Art unsrer eignen Glückseligkeit
wirkt. Aber hier findet sich wiederum, daß, weil
wenige das ganze System der den Menschen be
kanten Wesen untersucht haben, diese Bestimmung
des Willens sich nicht immer, und nicht in ihrem
ganzen Umfange, äussert; sondern wir finden nur
ein natürliches Verlangen nach der Glückseligkeit
einer solchen einzelnen Person, solcher Gesellschaften,
und solcher Systemen, wider welche bey einer ruhi
gen Betrachtung, weder ein Vorurtheil, noch die
Vermuthung streitet, daß ihre Glückseligkeit der
unsrigen auf einige Art entgegen sey.
Da der Begrif unsrer eignen höchsten Glück
seligkeit, oder die grösste Summe angenehmer Em
pfindungen, nicht bey allen Menschen insgesamt an
zutreffen ist: so ist dieselbe auch nicht ihr aus
drücklicher Wunsch oder Endzweck. Wir können
dahero nicht sagen, daß jedes besonderes ruhiges
Verlangen nach eigenem Vortheil die Erreichung
dieser Summe zur eigentlichen Absicht habe, und
daß nach dem Gegenstand dieses Verlangens, un
ter dem Begrif eines nothwendigen Theils dieser
Summe, getrachtet werde. Die Menschen ver
langen von Natur, selbst bey ruhigen Bewegun
gen der Seele, nur nach solchen Gegenständen,
welche Nutzen bringen, oder die Vermittler ange
nehmer Empfindungen sind, als nach Reichthum,
Gewalt, Ehre; ohne daß sie dabey die Gedanke
(Erstes
Buch.)
54 Von der Beschaffenheit
haben, dieselben zu einem Theil der grössten Sum
me zu machen. Auf gleiche Art haben wir ruhige
Neigungen des Wohlwollens gegen einzelne Perso
nen, oder kleinere Gesellschaften unsrer Mitbrüder,
wobey keine Betrachtung des ganzen grossen
Systems vorhergegangen ist, und wobey diese
Personen und Gesellschaften nicht als Theile dieses
grossen Systems angesehen, noch ihre Glückselig
keit, als ein Theil der grössten Summe der allge
meinen Glückseligkeit, begehrt worden. Derglei
chen sind unsre ruhigen Neigungen des Wohlwol
lens gegen Freunde, gegen das Vaterland, gegen
Personen von ausserordentlichen Verdiensten, ohne
daß wir uns in unsern Gedanken auf das ganze
grosse System beziehen. Wir können, wenn wir
wollen, alle angenehmen Empfindungen, welche
wir, blos um unsertwillen, begehren, zu der gröss
ten Summe unsrer eigenen Glückseligkeit schla
gen; und wir können auf gleiche Art alle unsre ru
higen besondern Neigungen des Wohlwollens gegen
andre, zu der allgemeinen Wohlgewogenheit, im
weitesten Umfange, bringen. Es ist von wichti
gen Folgen, solche grosse Absichten zu haben, und
diese Beziehungen zu machen. Doch es ist klar,
daß die verschiedenen besondern Neigungen, sie mö
gen auf uns selbst oder auf andere gerichtet seyn,
ohne unruhige Bewegungen wirken, wenn auch
keine solche Beziehungen vorhergegangen sind.
(Unruhige auf uns selbst und andre gerichtete Leidenschaf
ten.)
VII. Doch ausser allen diesen ruhigen Be
wegungen des Willens, die von einem kleinern
oder grössern Umfang sind, giebt es besondere Lei
der menschl. Natur und ihren Kräften. 55(Erster Abschnitt.)
denschaften und Begierden, welche bey gewissen
Gelegenheiten, natürlicher Weise entstehen; deren
jede ihre eigene Befriedigung, ohne alle weitere
Beziehung, zum letzten Zweck hat; und welche von
heftigen, verworrenen und unangenehmen Em
pfindungen begleitet werden, die so lange fort
dauern, bis der Gegenstand oder die Befriedigung
erlangt worden. Einige von diesen unruhigen
Leidenschaften und Begierden sind auf uns selbst,
einige aber auf andere gerichtet, und einige sind
beydes zugleich. Von der ersten Art sind Hun
ger, Durst, Wollust, Triebe zum sinnlichen Ver
gnügen, Reichthum, Macht oder Ruhm. Von
der zweyten Art sind Mitleiden, Glückwünschun
gen, Dankbarkeit, eheliche und verwandschaftliche
Neigungen, so oft als sie zu heftigen und unruhi
gen Bewegungen der Seele werden. Zorn, Neid,
Unwillen, können zu beyden Arten gehören, nach
dem sie aus der Betrachtung einer Hindernis entweder
unsers eigenen Vortheils, oder des Vortheils unsrer
Freunde, oder andrer geliebter und hochgeachteter
Personen entstehen. Alle diese entstehen bey na
türlichen Gelegenheiten, wobey die Seele weder
auf die grösste Glückseligkeit ihrer selbst, noch an
derer, bedacht ist.
Der Unterschied zwischen den ruhigen und
unruhigen Bewegungen des Willens, sie mögen
auf uns selbst oder auf andere gehen, mus einem
jeden in die Augen fallen, welcher in Erwägung
zieht, wie oft dieselben einander entgegen han
(Erstes
Buch.)
56 Von der Beschaffenheit
deln.
*
So wird uns Zorn oder Wollust auf ei
ne Seite ziehen; und ein ruhiger Blick auf unsern
höchsten Vortheil, auf die grösste Summe des
eigenen Wohls, oder auf einigen besondern Vor
theil, wird uns auf die entgegengesetzte Seite len
ken. Zuweilen überwindet die Leidenschaft den ru
higen Trieb; und zuweilen ist der letzte Sieger.
Das ruhige Verlangen nach Reichthum wird man
chen, obgleich nicht ohne Weigerung, zu starken
Ausgaben nöthigen, wenn er dadurch zu einem
vortheilhaften Handel, oder zu einer einträg
lichen Beförderung gelangen kan; unterdessen wird
der Geitz über diese Ausgaben unwillig werden.
Das stille Verlangen nach unsrer Kinder oder
Freunde Tugend, Ehre und Vollkommenheit wird
uns veranlassen, sie von uns hinwegzusenden,
und Gefahren auszusetzen; dahingegen die väter
liche und mütterliche oder freundschaftliche Leiden
schaft sich diesem Vorhaben widersetzet. Dankbar
keit, Mitleiden und freundschaftliche Liebe, werden
uns auf dieser Seite anliegen; auf der andern
werden wir von der Liebe des Vaterlandes oder ei
ner Zuneigung von grösserm Umfange, angetrieben
werden. Wir strafen unsre Kinder, wir schrän
ken sie ein, wir halten sie zu mühsamen Lernen und
Arbeiten an, aus einer ruhigen Zuneigung; un
terdessen daß eine zärtliche Leidenschaft, alles, was
ihnen beschwerlich ist, misbilliget. Den Begier
den zuwider, welche zur Erhaltung des Lebens, nach
5
der menschl. Natur und ihren Kräften. 57(Erster Abschnitt.)
dem Lauf der Natur, bestimmt sind, beredet uns
die Liebe des Lebens zur Enthaltsamkeit, zu schmerz
haften Curen, und zu ekelhaften Arzneyen.
Gleichwie zu dem Verstand nicht nur die
niedern Kräfte der sinnlichen Empfindung, die wir
mit den unvernünftigen Thieren gemein haben, son
dern auch die Kräfte der Vernunft und des Bewust
seyns gehören; also
gehörenauch<gehören auch> zu dem Willen nicht
nur die körperlichen Begierden und unruhigen
Leidenschaften, sondern auch die verschiedenen ruhi
gen und weniger eingeschränkten Neigungen einer
edlern Art.
VIII. Wir schreiben auch dem Willen die(Kräfte der Bewegung.)
Kraft zu, uns selbst zu bewegen; weil wir, wenn
wir die Bewegung wollen, gewisse Theile des Kör
pers so bewegen, wie es unser Wille vorschreibt.
Es sind nicht alle Theile desselben so eingerichtet,
daß wir sie, nach unserm Gefallen, bewegen kön
ten; sondern blos diejenigen, deren Einrichtung
auf diese Art für uns nothwendig, und im Leben
nützlich ist. Die Bewegungen der innern Theile,
von welchen die Dauer des Lebens unmittelbar ab
hängt, geschehen ohne alle Wirkungen unsers
Willens, und wir können sie durch kein unmittel
bares Wollen geschwinder oder langsamer machen.
Die Aufsicht über die Bewegungen, welche un
aufhörlich nothwendig sind, würde die Seele be
ständig beunruhigen, und sie zu allen andern Be
schäftigungen unfätzig<unfähig> machen. Es erregt auch
nicht jede Bewegung noch jeder Eindruck auf die
Theile des Körpers, Empfindungen in der Seele.
(Erstes
Buch)
58 Von der Beschaffenheit
Die innern Bewegungen, von welchen das Leben
unmittelbar abhängt, empfindet sie nicht, so lange
der Körper in guter Ordnung ist. Eine solche
Empfindung würde eine beschwerliche und unnütze
Zerstreuung der Seele bey allen ihren guten Unter
nehmungen seyn; wie bey einer Krankheit zu ge
schehen pflegt, wenn wir die Bewegung des Her
zens, oder den Pulsschlag fühlen. Die sinnlichen
Empfindungen zeigen uns nur solche Veränderun
gen, Begebenheiten, oder Gegenstände an, von
welchen wir unterrichtet zu seyn nöthig haben.
Dahero ist die Bewegung des Haupts, der Augen,
des Munds, der Zunge, der Füsse, und des un
schäzbarsten und mit der grössten Kunst gebildeten
Werkzeugs, der Hand, unserm Willen unterwor
fen. Alles dieses sind deutliche Beweise der weisen
und gütigen Einrichtung unsers Schöpfers. Un
sre Glieder werden unmittelbar durch die Muskeln
und durch eine Kraft bewegt, welche das Haupt,
vermittelst der Nerven, durch unsern Körper ver
breitet. Aber, bey unsern willkührlichen Bewe
gungen, wissen wir von dieser Zwischenbewegung
eben so wenig, als wir sie wollen. Wir haben die
lezte Bewegung zur Absicht; und die andern ge
schehen ohne unser Wissen und Willen. Auf glei
che Art wird die sinnliche Empfindung, durch eine
Bewegung in einer Nerve, die bis zu dem Gehirn
fortgehet, hervorgebracht. Wir empfinden keine
Bewegung im Gehirn; sondern wir haben eine
Empfindung, die sich blos auf den äusserlichen Theil
des Körpers, der den Eindruck empfangen hat, be
zieht, und die blos diesen Theil einzunehmen scheint;
der menschl. Natur und ihren Kräften. 59(Zweyter Abschnitt.)
wovon wir keine Erklärung angeben können. Die
se Betrachtungen haben einige scharfsinnige und
fromme Männer auf die Muthmassung gebracht,
daß ein höhers Wesen, oder die Gottheit selbst, nach
gewissen allgemeinen Gesetzen, die einzige physika
lische Ursache aller unsrer Bewegungen, und die
einzige Ursache aller unserer sinnlichen Empfindun
gen seyn müsse.
Der zweyte Abschnitt.
Von den feinern Empfindungskräften.
I.
Nach einer allgemeinen Betrachtung der
Kräfte des Verstandes und Willens
gehen wir nunmehro zur Untersuchung der fei
nern Kräfte der Empfindung, zu einigen andern
natürlichen Bestimmungen des Willens, und zu
den allgemeinen Gesetzen der menschlichen Na
tur, fort.
Ausser den Sinnen des Gesichts und Gehörs(Vergnü
gen der Ein
bildungs
kraft.)
haben die meisten Menschen, ob gleich in verschie
denen Graden, gewisse Empfindungskräfte von ei
ner feinern Art, als daß wir sie bey den meisten
unedlern Thieren, welche die verschiedenen Farben
und Figuren sehen, und die verschiedenen Töne hö
ren, voraussetzen könten. Wir können dieselben
das Gefühl der Schönheit und Harmonie, oder,
mit Addison, die Einbildungskraft
nennen.
Was für einen Nahmen aber wir ihnen auch geben
wollen: so ist es offenbar, daß die verschiedenen
nachfolgenden Eigenschaften der Gegenstände, von
(Erstes
Buch.)
60 Von den feinern
der Natur zubereitete Qvellen<Quellen> des Vergnügens sind;
oder daß die Menschen natürliche Kräfte und Be
stimmungen haben, von ihnen Vergnügen zu em
pfinden.
(Schönheit.)
1. Gewisse Gestalten sind dem Auge, ohne
alle Rücksicht auf das Vergnügen über lebhafte
Farben, angenehmer, als andere; besonders diejeni
gen zusammengesezten, worinnen Einförmigkeit
und ein richtiges Verhältnis der Theile unterein
ander, wahrzunehmen ist. Wir können, durch das
Geheis unsers Willens, eben so wenig einen Wohl
gefallen an allen Gestalten, ohne Unterschied, her
vorbringen, als wir dem Geschmack alle Gegenstän
de angenehm machen können.
(Nachah
mung.)
2. Gleichwie die Neigung nachzuahmen den
Menschen, von ihrer Kindheit an, natürlich ist: also
empfinden sie über jede Nachahmung
*
Vergnü
gen. Wenn das Original schön ist: so werden
wir ein doppeltes Vergnügen haben; aber eine voll
kommene Nachahmung der Schönheit oder der Häs
lichkeit, sie geschehe nun durch Farben, Figuren,
Sprache, Stimme, oder Bewegung, bringt an sich
selbst Vergnügen.
(Harmonie.)
3. Gewisse Zusammensetzungen von Tönen
sind allen Menschen überhaupt, unmittelbar ange
nehm, wovon uns die Musikverständigen leicht un
terrichten können. Die geringern Vergnügungen
entstehen von der Zusammenstimmung; aber ein
6
Empfindungskräften. 61
höhers Vergnügen entstehet aus solchen Zusammen(Zweyter
Abschnitt.)
setzungen, welche durch abgemessene Töne, die Ver
änderungen der menschlichen Stimme nachahmen,
wodurch die verschiedenen Neigungen der Seele,
bey wichtigen Gelegenheiten, ausgedrückt werden.
Plato
*
und Lykurg
**
fanden dahero in der Musik
einen moralischen Character, und glaubten, daß
sie auf die Sitten der Menschen einen Einflus
habe.
4. Da wir mit Vernunft begabt sind, dieje(Absicht.)
nigen Mittel, welche zu Erhaltung eines Endzwecks
geschickt sind, und die verschiedenen Beziehungen
und Verknüpfungen der Dinge zu unterscheiden:
so liegt ein unmittelbares Vergnügen in der Er
käntnis,
***
welches von dem Urtheil selbst unter
schieden ist, ob es gleich mit ihm in einer natürli
chen Verbindung steht. Wir empfinden auch ein
Vergnügen, wenn wir Kunst und Absicht in einem
Werke entdecken, das zu Erreichung wichtiger End
zwecke eingerichtet ist; oder in einem Geräthe, das
alles hat, was zu seiner Bestimmung gehört; wir
mögen Hofnung haben, davon Gebrauch zu machen
oder nicht. Wir empfinden ein Vergnügen, wenn
wir die Kräfte unserer Vernunft und unserer Er
findung beschäftigen und anwenden können; wir
freuen uns, wenn wir andere dieselben ebenfalls
anwenden sehen, und die kunstreichen Wirkungen
7
8 9
(Erstes
Buch.)
62 Von den feinern
davon wahrnehmen. In solchen Werken der Kunst
vergnügen wir uns, die Schönheit der Gestalt und
der Nachahmung vermischt zu finden, in so weit es
die Absicht derselben verstattet. Aber das höhere
Vergnügen, die Absicht auszuführen, verursacht,
daß wir das geringere, wenn es mit jenem nicht
zugleich bestehen kan, nicht achten.
(Ursachen der Verschieden
heit des Ge
schmacks.)
II. Wenn wir zugeben, daß alle diese Beschaf
fenheiten natürlich sind: so können wir von der
Verschiedenheit der Meinung und des Geschmacks,
die wir wahrnehmen, Rechenschaft geben. Denn
die mannichfaltigen Eigenschaften, an welchen wir
einen in unsrer Natur liegenden Wohlgefallen ha
ben, können von einem auf diese Art, von andern
auf eine andere Art, betrachtet werden. Der Dürf
tige, der Geschäftige, oder der Träge können die
Schönheit in Kleidungen, in Gebäuden und in Ge
räthe, zu der sie ausserdem gelangen könten, verab
säumen, ohne unempfindlich dagegen zu seyn. Ei
nigen kan es blos um eine ungekünstelte Einför
migkeit in den Theilen, zu thun seyn; andere kön
nen die Nachahmung der schönen Werke der Na
tur darunter mischen, und unter diesen können wie
derum einige eine Reihe solcher Gegenstände, wie
sie aus der Hand der Natur kommen, einige aber
Gegenstände von erhöheter Schönheit, wählen: es
kan auch die Art der Nachahmung mehr oder weni
ger vollkommen seyn. Einige können bey ihren
Arbeiten vornehmlich auf das Vergnügen, wel
ches aus der Wahrnehmung der Absicht und des
Nutzens entstehet, sehen, und das Vergnügen über
Empfindungskräften. 63(Zweyter Abschnitt.)
die Schönheit und Nachahmung, nur in so weit es
mit jenem besteht, zur Absicht haben. In den
seltsamsten Kleidungen ist eine Uebereinstimmung
der Theile, eine Einrichtung nach der Gestalt des
menschlichen Körpers, und oft auch eine Nachah
mung. Unsere Kleider sind nicht so leicht und so
beqvem<bequem>, als die ehemaligen, und sie sind weniger
geschickt, die Gestalt des Körpers sichtbar zu ma
chen. Diejenigen, welche auf diesen Endzweck se
hen, werden die ehemaligen Kleider; diejenigen
aber, welche daran nicht denken, oder darauf nicht
sehen, werden die neuen vorziehn.
In der Baukunst ist es eben so beschaffen.
Diejenigen, welche auf die Nachahmung der Ver
hältnisse des menschlichen Körpers, in gewissen Thei
len der Baukunst, aufmerksam sind, werden an den
Bauarten, welche damit übereinstimmen, Vergnü
gen finden. Andere, die den Gebrauch kennen,
welchen die äussere Einrichtung gewisser Theile so
gleich entdeckt, kan diese wahrgenommene Absicht
gefallen. Einige können, ohne hierauf zu sehen,
an der Uebereinstimmung der Theile Wohlgefallen
haben; einige aber können, durch Verbindung ge
wisser Begriffe, etwas billigen oder misbilligen;
wovon wir hernachmals reden wollen.
Wenn man alles Gefühl der Schönheit blos
auf einen wahren oder scheinbaren Nutzen gründen
wollte: so würde man niemals im Stande seyn,
zu erklären, warum man auch an denjenigen nütz
lichen Dingen Gefallen findet, wovon man, ausser
dem Vergnügen, sie zu betrachten, keinen Vor
(Erstes
Buch.)
64 Von den feinern
theil zu gewarten hat; warum uns die Gestalt der
Blumen, der Vögel, des Wilds, vergnügt, auch
wenn wir keinen wahren oder scheinbaren Nutzen
von ihnen zu hoffen haben; warum einer, der die
Baukunst gar nicht versteht, an der Betrachtung
eines schönen Gebäudes, Gefallen findet; woher es
kömt, daß uns die Nachahmungen solcher Gegen
stände Vergnügen bringen, welche, wenn sie an
eben dem Orte sich wirklich befänden, wo ihre Ab
bilder sind, keinen Nutzen schaffen würden. Man
könte eben sowohl behaupten, daß wir, ehe uns et
was Wohlschmeckendes vergnügte, zuvor die klein
sten Theilchen desselben kennen und wissen müsten,
daß ihre Natur unsern Nerven nicht unange
nehm sey.
(Grosser Nutzen im menschlichen
Leben.)
Das Vergnügen dieser feinern Empfindun
gen
*
ist von keiner geringen Wichtigkeit in dem
Leben der Menschen. So sehr auch dasselbe von
denjenigen, welche nach Reichthum und Ansehn
streben, oft hindangesetzt zu werden scheint: so ha
ben sie es doch für sich, auf ihre künftige Lebenszeit,
oder für ihre Nachkommenschaft eben so wohl zur
Absicht, als andere, welche einen bessern Geschmack
haben, und dasselbe zum Endzweck ihrer meisten
Bemühungen machen. Bey dem grössten Theil
10
Empfindungskräften. 65(Zweyter Abschnitt.)
der Menschen, welche vor unruhigen Begierden ei
nigermassen gesichert sind, äussert sich ein Gefallen
an diesem Vergnügen. So bald die Nationen
dem Frieden im Schoos sind: so bald fangen sie
an, sich in den Künsten zu üben, welche dieses Ver
gnügen verschaffen; wie wir aus den Geschichten
aller Zeiten und Völker lernen.
Zu diesen Vergnügungen der Einbildungs(Vergnü
gen an Neu
heit und Grösse.)
kraft kan man noch zwo andre angenehme Empfin
dungen rechnen, welche aus der Neuheit und Grös
se der Dinge entstehen. Die erstere wirkt allemal
eine angenehme Bewegung, wenn wir müssig sind,
welche sich vielleicht auf die Wissensbegierde grün
det, die so tief in unsrer Seele liegt. Wir wer
den hiervon im Verfolg reden. Die Grösse ist
eine angenehme Beschaffenheit in einem Gegen
stand der Betrachtung, die von der Schönheit und
den Verhältnissen desselben unterschieden ist. Ja,
auch alsdenn, wenn diese letztern nicht vorhanden
sind, vergnügt sich die Seele an allem, was weit,
von grossem Umfange, hoch oder tief ist, ohne
Rücksicht auf einen Vortheil, der aus diesen Be
schaffenheiten entstehen könte. Die Endursachen
dieser natürlichen Bestimmungen, oder Empfindun
gen des Vergnügens kan man bey vielen
*
Schrift
stellern finden.
III. Eine andere wichtige Bestimmung oder(Sympa
thien.
Mitleiden.)
Empfindung der Seele kan die sympathetische
11
(Erstes
Buch.)
66 Von den feinern
genennet werden, die von allen äusserlichen Sin
nen unterschieden ist, und vermöge welcher unsere
Herzen mit denjenigen, deren Zustand uns bekant
ist, zugleich fühlen. Wenn wir den Schmerz, die
Traurigkeit und das Elend, welches andre empfin
den, sehen oder wissen, und unsre Gedanken darauf
richten: so fühlen wir ein starkes Mitleiden und
ein Bestreben, ihnen beyzustehen, so lange keine
entgegengesetzte Leidenschaft uns zurückhält. Und
dieses
*
geschieht ohne alle Absicht auf den Vor
theil, der uns aus diesem Beystand zuwachsen kön
te, oder auf den Verlust, den wir befürchten mü
sten, wenn dieses Leiden fortdauerte. Wir sehen,
daß dieser Trieb bey Kindern heftig wirkt, bey wel
chen man doch die wenigsten Absichten auf einen
Vortheil vermuthen kan. Zuweilen äussert die
selbe sich mit so vieler Heftigkeit, daß er auch bey
Leuten, die eben nicht die weichherzigsten sind, wenn
sie grausamen Hinrichtungen zusehen, Ohnmachten
veranlasst. Dieser Trieb ist von keiner kürzern
Dauer, als unser Leben.
(Gemein
schaftliche Freude.)
Wir haben auch eine Neigung, an der Freu
de anderer Theil zu nehmen, wenn keine vorherge
gangene Nacheiferung, keine eingebildete Hinde
rung unsers Vortheils, und kein Vorurtheil dersel
ben entgegen sind. Wir haben diese Sympathie
selbst mit den unvernünftigen Thieren gemein, und
eben daher komt es, daß uns die Beschreibungen,
welche die Dichter von ihrer Freude machen, so
12
Empfindungskräften. 67(Zweyter Abschnitt.)
sehr gefallen. Aber gleichwie unsre eigennützigen
Neigungen, welche das Uebel zurücktreiben, der
gleichen Furcht, Zorn und Rache sind, insgemein
die Seele stärker bewegen, als diejenigen, durch
welche wir unser Bestes zu erreichen gedenken:
also wirkt das Mitleiden stärker auf uns, als der
Trieb, uns mit andern zu freuen. Und dieses ist
eine sehr weise Einrichtung, weil die Befreyung
vom Schmerz nothwendig vor dem Genus des Gu
ten vorherzugehen scheint. Die heftigern Bewe
gungen der Seele sind dahero auf dasjenige gerich
tet, was am nothwendigsten ist. Diese Sympa
thie scheint sich in allen unsern Neigungen und Lei
denschaften zu äussern. Sie scheinen sich alle an
dern mitzutheilen. Wir sind nicht nur traurig
mit den Betrübten, wir freuen uns nicht nur mit
den Glücklichen, sondern auch die Verwunderung,
oder das Erstaunen, welches sich an jemanden äus
sert, erregt eine ähnliche Bewegung der Seele in
allen, die ihn sehen. Wenn wir wahrnehmen, daß
andere sich fürchten: so fürchten wir uns mit ih
nen, ehe wir noch die Ursachen davon wissen. Ein
Gelächter bewegt uns zum Lachen, Liebe gebiert in
uns Liebe, und die andächtigen Regungen, welche
wir in andern entdecken, sind für uns Einladungen
zur Andacht. Man sieht leicht, was für einen un
mittelbaren Einflus diese Sympathie auf die grosse
Bestimmung der Seele hat, die allgemeine Glück
seligkeit zu befördern.
IV. Ehe wir noch einiger anderer feinern Em(Ein natür
licher Trieb zur Bewe
gung in den meisten be)
pfindungen erwähnen, deren Gegenstände die mensch
(Erstes
Buch.)
68 Von den feinern
(seelten Ge
schöpfen.) lichen Handlungen sind, müssen wir die allgemeine
Bestimmung der Seele, alle ihre thätige Kräfte
beständig zu üben, bemerken. Wir entdecken an
den Menschen, gleich von der Kindheit an, einen
Trieb zur Beschäftigung und zur Bewegung. Die
Kinder berühren, ergreifen, betrachten und kosten
alles. Wenn sie älter werden, so äussern sich an
dere Kräfte. Sie wollen alle mögliche Versuche
machen, sie beobachten alle Veränderungen, und
untersuchen ihre Ursachen; und dieses aus einem
Triebe zur Beschäftigung, und aus einer eingepflanz
ten Wissensbegierde, wenn sie auch von keiner
Hofnung einigen Vortheils gereizt werden. Wir
nehmen wahr, daß die meisten andern Thiere, so
bald sie das Licht erblicken, aus gleichem Triebe, auf
die von dem Urheber der Natur bestimmte Art,
ihre verschiedenen Kräfte üben; und sie sind bey
dieser Uebung, so mühsam und ermüdend sie auch
sey, weit glücklicher, als sie in dem Stand einer
sinnlichen Trägheit seyn würden. Die Schlangen
versuchen ihre kriechenden Bewegungen; das Wild
richtet sich auf, und geht oder läuft; die Vögel er
heben sich auf ihren Flügeln und schwingen sich in
die Höhe; das Wassergeflügel begiebt sich aufs
Wasser, so bald es dasselbe gewahr wird. Das
Füllen übt sich im Rennen; der Stier
*
braucht
seine Waffen, die Hörner; und der Hund folgt
seiner Bestimmung zur Jagd.
13
Empfindungskräften. 69
(Zweyter Abschnitt.)
Die Kinder sind, so lange sie wachen, in Be(Besonders im Men
schen.)
wegung, und scheuen weder Ermattung noch Ue
berdrus. Sie haben so lange eine Abneigung ge
gen den Schlaf, bis er sie wider ihren Willen über
wältiget. Sie bemerken, was vorgeht, erinnern
sich daran, und denken darüber nach. Sie lernen
die Benennungen der Dinge, untersuchen die Na
tur, den Bau, den Gebrauch und die Ursachen der
selben, und ihre Neugier wird keinen Verweisen
nachgeben. Gegen diejenigen, die liebreich gegen
sie sind, äussern sie bald liebreiche Neigungen. Sie
sind dankbar, und begierig, in allem, was man lobt,
vortreflich zu seyn. Bey ihren Spielen sind sie
entzückt, wenn sie glücklich sind, und die Oberhand
behalten; und sie werden ausserordentlich nieder
geschlagen, so bald andere sie übertreffen. Sie
erzörnen sich geschwind über eine eingebildete Be
schimpfung oder Beleidigung. Sie fürchten sich
vor einen empfundenen Schmerz und werden über
die Ursache desselben unwillig; aber sie geben sich
zufrieden, so bald sie finden, daß andre ihn nicht
mit Vorsatz verursacht haben, oder, daß sie ihre
Reue bezeigen. Sie nehmen nichts so übel auf,
als falsche Beschuldigungen oder Vorwürfe. Sie
sind zur Aufrichtigkeit, zur Wahrheit und Offen
herzigkeit geneigt, so lange sie nicht einige daraus
entstandene üble Folgen erfahren haben. Sie sind
voll Ungedult, andern etwas neues oder seltsames,
oder etwas, das Verwunderung oder Gelächter er
regen kan, zu erzählen. Sie sind bereit, andern
mit allem zu dienen, was sie selbst nicht brauchen.
Sie sind begierig, sich andern gefällig zu machen,
(Erstes
Buch.)
70 Ven den feinern
und kennen keinen Argwohn, so lange sie keine Be
leidigungen empfangen haben.
Dieser Trieb zur Beschäftigung dauret so
lange wir leben, und den Gebrauch unserer Kräfte
behalten. Die verworfensten und trägsten Men
schen sind nicht ganz müssig; sie haben eine Art von
Geschäften, ihre Cabalen und ihren Umgang, wo
sie ihre Kräfte anwenden, oder sie haben einige an
dre geringe Empfindlichkeit gegen sinnliche Ver
gnügungen. Wir sehen überhaupt, daß die Men
schen, blos durch diese oder jene Art zu handeln,
glücklich werden können, und die Uebung der Kräf
te des Verstandes ist, von unsrer Geburt an, bis
zu unsern Tod, eine Qvelle<Quelle> des natürlichen Ver
gnügens. Die Kinder sind über die Entdeckung
einer neuen oder kunstreichen Sache entzückt, und
voller Ungedult, sie andern zu zeigen. Oeffentli
che Schauspiele, Seltenheiten, Pracht, unterhalten
ihre ganze Aufmerksamkeit. Vornehmlich aber
sind die wichtigen Handlungen grosser Männer, ihr
Glück, und der Stand, darinnen sie gelebt haben,
man mag davon erzählen hören, oder lesen, oder sie
vorstellen sehen, das Vergnügen eines jeden mensch
lichen Alters. Hier wird das Vergnügen durch
unser geselliges Gefühl der Freude erhöhet; und
durch unsern Trieb zum Mitleiden, und durch den
Antheil, den wir an Personen, die wir bewundern,
zu nehmen pflegen, wird der Eifer der Untersuchung
vermehret.
Wenn einigen Menschen ein fähiger Geist
verstattet, sich den schwerern Wissenschaften zu na
Empfindungskräften. 71(Zweyter Abschnitt.)
hen: was für eine heftige Begierde bemerkt man
alsdenn nicht an ihnen zur Käntnis der Geometrie,
Arithmetik, Astronomie und der Geschichte der Na
tur? Es ist ihnen eine Freude, alle Mühe anzu
wenden, und ganze Nächte zu wachen. Haben wir
nöthig, die Fabelgeschichte und Philologie zu er
wähnen? Es ist offenbar, daß in der Wissen
schaft ein hohes natürliches Vergnügen liegt, das
mit keinen Reitzungen eines Vortheils verknüpft
ist. Ein gleiches Vergnügen liegt in der Känt
nis desjenigen, was die Geschäfte des Lebens be
trift, und derjenigen Wirkungen, welche die Hand
lungen auf die Glückseligkeit einzelner Personen
oder ganzer Gesellschaften haben. Wie sehr sind
alle diese Erfahrungen derjenigen Philosophie ent
gegen, nach welcher der einzige Trieb, oder die
einzige Bestimmung der Seele in einer Begierde
nach den Vergnügungen, welche der Körper gewährt,
oder nach der Befreyung vom körperlichen Schmerz,
liegen soll.
V. Durch eine höhere Kraft der Empfin(Ein mora
lisches Ge
fühl.)
dung, als alle bisher erwähnte sind, liegt für die
Menschen in den Handlungen die grosse Quelle ihrer
Glückseligkeit zubereitet, nämlich durch diejenige,
vermittelst welcher sie moralische Begriffe von
Handlungen und Charactern erhalten. Niemals
ist, ausser den Jdioten, eine Art von Menschen ge
wesen, welche alle Handlungen für gleichgültig an
gesehen hätten. Sie finden alle den moralischen
Unterschied der Handlungen, ohne Absicht auf den
Vortheil oder Nachtheil, den sie davon zu gewar
(Erstes
Buch.)
72 Von den feinern
ten haben. Da dieses moralische Gefühl von gros
ser Wichtigkeit ist: so soll in einem folgenden Ab
schnitt weitläuftiger davon gehandelt werden. Ge
genwärtig mag es genug seyn, das anzumerken,
was wir alle fühlen, nämlich, daß gewisse edle
Neigungen und die daraus fliessenden Handlungen,
wenn wir uns ihrer selbst bewust sind, die ange
nehmsten Empfindungen des Beyfalls und einer
innerlichen Zufriedenheit in uns hervorbringen;
und daß, wenn wir diese Neigungen und Hand
lungen an andern bemerken, wir nicht nur ein in
niges Gefühl des Beyfalls und eine Empfindung
ihrer Vortreflichkeit in uns wahrnehmen, sondern
auch eine daher entstehende Gewogenheit und einen
Eifer für ihre Glückseligkeit empfinden. Wenn
wir uns der entgegengesetzten Neigungen und
Handlungen selbst bewust sind: so fühlen wir die
Verweise unsers Gewissens, und ein Misfallen an
uns selbst; wenn wir sie an andern bemerken: so
misbilligen wir ihre Gemüthsbeschaffenheit, und
halten sie für niederträchtig und hassenswürdig.
Die Neigungen, welche diesen moralischen
Beyfall erregen, sind entweder alle unmittelbar auf
das gemeine Beste gerichtet, oder sie stehen, mit die
sen gemeinnützigen Gesinnungen, in einer natürli
chen Verbindung. Diejenigen aber, welche das
moralische Gefühl misbilligt und verwirft, sind
entweder so bösartig, daß sie darauf gerichtet sind,
andre in Unglück zu stürzen; oder sie haben den ei
genen Vortheil so sehr zur Absicht, daß sie ungü
tige Gesinnungen verrathen, oder doch die gemein
Empfindungskräften. 73(Zweyter Abschnitt.)
nützigen Neigungen den Grad der Höhe nicht er
reichen lassen, der zur Beförderung des gemeinen
Besten erfordert, und von Menschen ordentlicher
Weise erwartet wird.
Dieses moralische Urtheil ist nicht nur wohl(Ist allen Menschen gemein.)
erzogenen und nachdenkenden Personen eigen. In
den rauhesten Menschen entdeckt man Spuren da
von; und junge Gemüther, die am wenigsten, an
den verschiedenen Einflus der Handlungen auf sich
selbst oder auf andre, denken, und ihren eigenen
künftigen Vortheil wenig zu Herzen nehmen, fin
den gemeiniglich an allem, was moralisch ist, den
meisten Gefallen. Daher komt es, daß die Kin
der, sobald sie die verschiedenen Benennungen der
Neigungen und Gemüthsarten wissen, so sehr
begierig sind, solche Geschichten erzählen zu hören,
welche den moralischen Character der Menschen
und ihre Glücksumstände vor Augen stellen. Da
her entsteht die Freude über den Wohlstand des
Gütigen, des Redlichen und des Gerechten; und
der Unwillen über das Glück des Grausamen und
des Verräthers. Von dieser Kraft werden wir im
Verfolg ausführlich handeln.
VI. Gleichwie wir, von der vorhergehenden(Ein Ge
fühl der Eh
re.)
Bestimmung, zu dem Wohlgefallen und Misfal
len an uns selbst und an andern, wie es der wahr
genommenen Beschaffenheit des Gemüths gemäs ist,
angewiesen werden: also empfinden wir, vermöge
einer andern natürlichen Bestimmung, die wir das
Gefühl der Ehre und Schande nennen können, ein
grosses Vergnügen, wenn wir durch unsre guten
(Erstes
Buch.)
74 Von den feinern
Handlungen den Beyfall und die Hochachtung an
drer erhalten, und wenn sie uns ihre Dankbarkeit
zu erkennen geben; hingegen gehn uns Tadel,
Verachtung und Vorwürfe durchs Herz. Alles
dieses äussert sich im Gesichte. Wir erröthen,
wenn wir uns für Schande, Tadel, oder Ver
achtung fürchten.
Es ist wahr, wir bemerken, von unsrer Kind
heit an, daß die Menschen denjenigen, welche sie
ehren und hochachten, Gutes zu erzeigen geneigt
sind. Aber wir berufen uns auf das Herz der
Menschen, ob sie nicht, wenn sie geehrt und hoch
geachtet werden, ein unmittelbares Vergnügen
empfinden, ohne daß sie dabey auf einen künftigen
Vortheil denken; und ob sich dieses Vergnügen
nicht auch alsdenn eben so sehr äussert, wenn sie
gleich voraus wissen, daß sie keinen Vortheil er
warten dürfen. Bemühen wir uns nicht insge
samt um einen guten Ruf nach unserm Tode? Und
woher komt es, daß nur die Furcht der Schande
und nicht auch die Furcht anderer Uebel, die Er
röthung zur Gefährtin hat, wenn dieses nicht ein
unmittelbarer Trieb ist?
Die Ursache, welche Aristoteles
*
von die
sem Vergnügen angiebt, ist zwar wohl ausgedacht,
aber sie ist nicht die richtige. Er meint, wir hät
ten an der Ehre um deswillen Gefallen,
weil sie ein Zeugnis von unsrer Tugend sey,
14
Empfindungskräften. 75(Zweyter Abschnitt.)
welche, wie wir uns bewust wären, das
höchste Gut ausmache. Diese Betrachtung
kan zuweilen die Ehre denjenigen angenehm ma
chen, welche, in Ansehung ihres eigenen Verhal
tens, zweifelhaft und mistrauisch sind. Aber haben
nicht auch Männer von den grössten Vorzügen,
die von der Güte ihres Verhaltens vollkommen
überzeugt sind, über ein Lob, das man ihnen bey
legt, eine gleiche natürliche Freude, die ganz et
was anders ist, als der Beyfall, den ihnen ihr in
neres Urtheil zugesteht.
Die gütige Absicht, welche Gott bey Ein
pflanzung dieses Triebes gehabt hat, ist offenbar.
Er reizt zu allem, was vortreflich und liebenswür
dig ist; er giebt der Tugend eine angenehme Be
lohnung; er übersteigt oft die Hindernisse, welche
ihr von niedrigen Vortheilen der Welt in den Weg
geleget werden; er ermuntert selbst Leute von ge
ringen Tugenden zu solchen nützlichen Dienstlei
stungen, die sie ausserdem von sich abgelehnt haben
würden. Solchergestalt werden diejenigen, welche
nur auf ihren eigenen Vortheil sehen, wider ihre
Neigung angetrieben, den allgemeinen Vortheil
zu befördern; und diejenigen, welche ihm zuwider
handeln, werden bestraft.
Ein andrer Beweis, daß dieses Gefühl der
Ehre ein ursprünglicher Trieb sey, ist dieser: Wir
bestimmen den Werth des Lobes, das uns andre
zugestehen, nicht nach ihrer Fähigkeit, uns zu die
nen, sondern nach ihrer Geschicklichkeit, über der
gleichen Sachen zu urtheilen. Wir fühlen den
(Erstes
Buch.)
76 Von den feinern
Unterschied zwischen dem eigennützigen Verlangen,
einem angesehenen Manne zu gefallen, von dem
wir unsre Befördrung erwarten können; und zwi
schen der innern Freude über den Beyfall eines
Kenners, der uns ausserdem keine Dienste leisten
kan. Man fieht<sieht>, daß die Liebe zum Ruhm eine
der allgemeinsten Leidenschaften der Seele sey.
(Ein Gefühl der Anstän
digkeit und Würde.)
VII. Ob gleich die Handlungen, durch das
moralische Gefühl, den grössten Einflus auf unser
Glück oder Elend haben: so ist doch klar, daß die
Seele, in manchen Kräften des Körpers und des
Geistes, noch andere Vortreflichkeiten wahrnimmt.
Wir müssen sie entweder in uns selbst oder in an
dern bewundern, und wir finden, an gewissen Ue
bungen derselben, Vergnügen, ohne sie als morali
sche Tugenden anzusehen. Wir vermengen die
Worte oft zu sehr, und wir suchen nicht, die ver
schiedenen Empfindungen der Seele, mit gehöriger
Unterscheidung auszudrücken. Wir wollen für
unsere Urtheile über solche Fähigkeiten, Neigungen
und die daraus fliessenden Handlungen, die wir für
tugendhaft halten, den Nahmen des moralischen
Beyfalls
beybehalten. Wir finden, daß dieser Bey
fall eine Empfindung ist, die sich von der Be
wunderung und dem Wohlgefallen unterscheidet,
welchen wir an verschiedenen andern Kräften und
Fähigkeiten haben. Wir werden auch durch ein
Gefühl der Anständigkeit und der Würde vergnügt.
Dieses Gefühl ist uns ebenfalls natürlich, aber
von dem moralischen Beyfall ganz und gar unter
schieden. Wir kennen nicht nur den Nutzen, wel
Empfindungskräften. 77(Zweyter Abschnitt.)
chen diese schätzbaren Kräfte und ihrer Uebung, ih
ren Besitzern gewähren; sondern sie bringen auch
die angenehmen Bewegungen der Bewunderung
und des Wohlgefallens, in verschiedenen Graden,
hervor. Solchergestalt ist Schönheit, Stärke,
Geschwindigkeit, Leichtigkeit des Körpers anständi
ger und schätzbarer, als ein starker gefrässiger Ma
gen, oder ein Geschmack, der sich auf gute Spei
sen versteht. Man sieht männlichen Belustigun
gen, dem Reiten und Jagen, mit mehrerem Ver
gnügen und Gefallen zu, als dem Essen und Trin
ken, wenn es auch mässig geschieht. Eine Ge
schicklichkeit in diesen männlichen Uebungen ist oft
hochzuschätzen; dahingegen ein Hang zur blosen
Sinnlichkeit auch selbst alsdenn Verachtung
verdient, wenn er nicht zu Ausschweifungen verlei
tet, und, auf das gelindeste zu reden, nur unschul
dig ist. Ja es kan sich in der Gestalt des Leibes,
in den Geberden, in den Bewegungen, entweder
etwas anständiges und edles, oder etwas unan
ständiges und unedles äussern, ohne, daß sich die
Hoffnung eines Vortheils in das Urtheil der Zu
schauer mischt.
Aber dieses äussert sich noch mehr bey den(In ver
schiedenen Graden.)
Kräften der Seele, und in der Uebung derselben.
Die Bewunderung eines durchdringenden Ver
stands, einer Fähigkeit zu Geschäften, eines Ver
mögens, mit einem anhaltenden Fleisse zu arbeiten,
eines treuen Gedächtnisses, eines ungesuchten Wi
tzes, ist uns natürlich; aber sie ist von dem mora
lischen Beyfall ganz und gar unterschieden. Es
(Erstes
Buch.)
78 Von den feinern
scheint, als wenn wir, für jede natürliche Kraft,
mit einem richterischen Geschmack versehen wä
ren, der die eine Art ihrer Anwendung empfiehlt,
und die entgegengesetzte misbilligt. Daher gefal
len uns alle schöne, und alle mechanische Künste, als
die Mahlerey, Bildhauerkunst, Dichtkunst, die
Musik, die Baukunst, Gärtnerkunst. Wir be
trachten nicht nur die Werke selbst mit Vergnügen,
sondern wir empfinden auch eine natürliche Bewun
derung der Personen, in welchen wir einen Ge
schmack und Geschicklichkeit in diesen Künsten wahr
nehmen. Hingegen werden die niedern Kräfte,
welche blos auf die Befriedigung der Sinne ge
richtet sind, gleichgültig angesehen, und sie sind oft
Ursachen der Schaam und Verachtung.
(Die Glück
seligkeit han
delnder We
sen liegt in den Hand
lungen.)
Die Anmerkung des Aristoteles ist also
richtig: „Die vornehmste Glückseligkeit han
delnder Wesen entspringt aus den Hand
lungen; und zwar nicht aus allen Ar
ten von Handlungen, sondern aus solchen,
welche ihrer Natur angemessen sind, und
welche die Natur empfiehlt.“ Wenn wir
den körperlichen Begierden Gnüge leisten; so em
pfinden wir ein unmittelbares Vergnügen, das auch
die Thiere empfinden, aber keine weitere Befriedi
gung. Wir finden nichts edles, wenn wir darüber
nachdenken; wir haben nicht zu hoffen, daß andere
Gefallen daran haben werden. Es giebt eine An
wendung anderer körperlicher Kräfte, welche mehr
Edles und Angenehmes zu haben scheint. Es sind
überall verschiedene Grade; ein feiner Geschmack in
Empfindungskräften. 79(Zveyter<Zweyter> Abschnitt.)
den schönen Künsten ist immer angenehmer; die Aus
übung bringt Vergnügen; die Werke gefallen dem
Zuschauer, und verschaffen dem Verfertiger Ruhm.
Die Uebung der höhern Kräfte des Verstandes in
Entdeckung der Wahrheit, und richtiger Schlüsse,
ist desto rühmlicher, je wichtiger die Sachen sind.
Aber den höchsten Grad des Edlen erreichen die tu
gendhaften Neigungen und Handlungen, die Ge
genstände des moralischen Gefühls.
Einige andere Fähigkeiten der Seele, welche,(Nebenbe
griffe.)
mit den gemeinnützigen Neigungen, in einer na
türlichen Verwandschaft stehen, und weder den
höchsten Grad des Eigennutzes noch der Sinnlich
keit neben sich leiden, scheinen von dem moralischen
Gefühl selbst unmittelbar gebilliget zu werden.
Von diesem wollen wir an einem andern Orte
handeln. Wir müssen hier nur anmerken, daß
gewisse vergesellschaftete Begriffe; beständige Ver
gleichungen in Metaphern und Gleichnissen; und
andere Ursachen, einigen unbeseelten Dingen Ne
benbegriffe von Würde, Anständigkeit und Heilig
keit mitgetheilt haben. Einige sind gering und
verächtlich: andere hingegen sind in dem mittlern
Stande der Gleichgültigkeit. Unsere Neigung,
nachzuahmen, und Uebereinstimmungen zu bemer
ken, hat alle Sprachen mit Metaphern erfüllt.
Gleichnisse und Allegorien gefallen in vielen Aus
arbeitungen ungemein. Daher komt es, daß wir
viele Gegenstände mit Nebenbegriffen von solchen
Eigenschaften ausschmücken, deren sie eigentlich
nicht fähig sind. Einige von diesen Begriffen
(Erstes
Buch.)
80 Von den feinern
sind gros und verehrungswürdig; andere niedrig
und verächtlich. Einige suchen die natürliche Ur
sache oder Gelegenheit des Lachens, einer Bewegung
der Seele, deren alle fähig sind, und die allen an
genehm ist, durch ein natürliches Gefühl des
Lächerlichen in Gegenständen oder Begebenhei
ten zu erklären.
(Die Noth
wendigkeit vergesell
schafteter Begriffe.)
IIX. Ehe wir zu den Fähigkeiten des Wil
lens fortgehen, wollen wir noch eine natürliche
Bestimmung, die ausser unsrer Willkühr ist, an
merken, nämlich, solche Vorstellungen, die zugleich
vorgekommen sind, oder auf einmal einen starken
Eindruck auf die Seele gemacht haben, neben
einander zu stellen, oder zusammen zu knüpfen, so,
daß immer einer die andre begleitet, wenn ein Ge
genstand eine oder mehrere davon lebhaft macht.
Gleichwie wir dieses in geringern Fällen wahrneh
men: also erstreckt sich diese Erfahrung auch auf
unsre Begriffe vom natürlichen und moralischen
Guten oder Bösen. Wenn die Gewohnheit und
die Meinung der Welt gewisse Handlungen oder
Begebenheiten uns, eine Zeit lang, als gut oder böse
vorgestellt hat: so wird es uns schwer, die Ver
einbarung aufzuheben, ungeachtet vielleicht unsere
Vernunft von dem Gegentheil überzeugt ist. Man
hat also eine dunkle Einbildung von dem Anstän
digen oder Unanständigen gewisser Handlungen;
von dem Elend eines Zustands und von dem Glück
eines andern; so wie man bey Kirchhöfen sich Ge
spenster vorstellt. Obgleich viele Widerwärtigkei
ten und Laster aus dieser Quelle entspringen: so
Empfindungskräften. 81(Zweyter Abschnitt.)
müssen mir<wir> doch gestehen, daß diese Bestimmung
schlechterdings nothwendig sey. Ohne sie würde
für uns das Gedächtnis, die Erinnerung, und selbst
die Sprache einen geringen Nutzen haben. Wie
mühsam würde es seyn, wenn wir bey jedem Wor
te, das wir hören, oder zu sprechen verlangen, eine
besondere Erinnerung nöthig hätten, um ausfindig
zu machen, was für Worte und Begriffe, durch
die Gewohnheit der Sprache, verbunden sind?
Es würde eine eben so beschwerliche Arbeit seyn,
als wenn wir eine verborgene Schrift, wozu wir
einen Schlüssel gefunden, entziffern wollen. Ton und
Begriffe sind mit einander so genau verknüpft, daß der
eine allemal von dem andern begleitet wird. Wie
geht es zu, daß wir uns erinnern? Wenn wir um
eine vergangene Begebenheit gefragt werden: so
wird der Zeit, oder des Orts, eines Nebenum
stands, oder einer damals gegenwärtigen Person
erwähnt; und diese bringen das ganze Gefolge der
vergesellschafteten Begriffe mit sich. Man spricht
von einer Streitigkeit; eine Person, die davon un
terrichtet ist, findet, daß, ehe sie es noch will, die
vornehmsten Schlüsse beyder Theile, sich ihrer Seele
vorstellen. Dieser Fähigkeit mus man grössten Theils
die Gewalt der Erziehung schuld geben, welche in
unsrer Kindheit, viele Verknüpfungen der Begriffe
hervorbringt. Wenige haben die Gedult, oder den
Muth, zu untersuchen, ob dieselben, in der Natur,
oder in der Schwachheit ihrer Anführer, gegrün
det sind.
IX. Viele von den natürlichen Bestim(Der Wille und die Fer
tigkeiten.)
mungen des Willens sind von denjenigen, welche
(Erstes
Buch.)
82 Von den feinern
hiervon besonders gehandelt, und die natürlichen
Gelegenheiten der verschiedenen Leidenschaften und
Neigungen aufgesucht haben, hinlänglich erklärt
worden. Auf diese Schriftsteller wollen wir uns
hiermit beziehen. Wir haben die starke natürliche
Neigung zu Handlungen oben betrachtet. Wir
wollen eine andre Bestimmung, oder ein anderes
Gesetz unsrer Natur bemerken, vermöge dessen die
öftere Wiederholung einer Handlung, uns nicht
nur die Verrichtung derselben, durch den Wachs
thum unserer thätigen Kräfte, erleichtert, sondern
auch die Seele zur künftigen Unternehmung ge
neigt, oder dieselbe unwillig macht, wenn sie gewalt
sam davon zurückgehalten wird. Und dieses wird
eine Fertigkeit genennt. Bey unsern leidenden
Empfindungen wird Vergnügen und Schmerz
durch das beständige Gefühl vermindert; und doch
wird die Unzufriedenheit über den Mangel des
Vergnügens vermehret, wenn wir ihn lange erlit
ten haben. Von so schädlichen Folgen die Fertig
keit in dem Laster ist: so gros sind die Vortheile,
welche die Fertigkeit in der Tugend verschaft. Es
ist ein Vorzug, der vernünftigen Wesen gemein
ist, daß sie auf diese Art einige ihrer Kräfte, nach
ihren Gefallen verstärken, und die Dauer und
Lebhaftigkeit derselben befördern können. Es
ist auch allemal in unsrer Gewalt, eine Fertigkeit
dadurch zu schwächen, wenn wir uns entweder al
ler Anwendung derselben enthalten, oder ihr stand
haft entgegen handeln. Könten wir keine Fertig
keiten erlangen: so müsten unsre Kräfte immer
schwach bleiben, und eine jede Handlung, welche
Empfindungskräften. 83(Zweyter Abschnitt.)
Kunst erfordert, würde uns beständig so schwer
seyn, als wir sie bey unsern ersten Versuchen
finden.
Aber alle diese Verknüpfungen, Fertigkeiten,(Weder Fer
tigkeit noch
Gewohnheit bringen neue Begriffe her
vor.)
Gewohnheiten, oder Vorurtheile machen uns die
Gegenstände angenehm, oder unangenehm, nach
dem Begriffe, von einer Eigenschaft oder Art, den
wir durch unsre von der Natur erhaltenen Sinne
empfangen haben; allein sie können keine neuen Be
griffe hervorbringen. Es werden dahero keine
Empfindungen des Beyfalls oder der Abneigung,
kein Wohlgefallen oder Misfallen hinlänglich er
klärt, wenn man sie dem Vortheil, der Gewohn
heit, oder Erziehung, oder der Verbindung der
Begriffe zuschreibt; woferne man nicht vollkom
men zeigen kan, was dieses für Begriffe sind, und
zu was für einer Empfindung sie gehören, nach
welcher diese Gegenstände entweder gebilliget oder
gemisbilliget werden.
X. In einem gewissen Alter entsteht unter(Die eheli
chen und ver
wandschaft
lichen Nei
gungen.)
beyden Geschlechtern ein neuer Trieb, der auf die
Fortpflanzung unsrer Art gerichtet ist, und der um
deswillen, weil er in unsern ersten Jahren, ehe wir
die zu Erhaltung der Nachkommen erforderliche
Wissenschaft und Erfahrung erlangt haben, schäd
lich oder unnützlich seyn würde, in der Ordnung
der Natur weislich nachgesetzt worden ist. Dieser
Trieb in dem Menschen zielt nicht blos auf eine
sinnliche Lust ab, wie bey den Thieren; er ist kein
blindes Verlangen, das in dem Menschen eben so,
wie bey den Thieren, nach einer vorhergegangenen
(Erstes
Buch.)
84 Von den feinern
Erfahrung der Lust wirkt. Er besteht in einem
natürlichen Wohlgefallen an der Schönheit, welche
uns liebenswürdige Eigenschaften zu versprechen
scheint. Wir stellen uns etwas moralisch Gutes
vor, und daher entsteht Zuneigung und Hochach
tung, ein Verlangen nach der Gesellschaft auf Le
benszeit; Freundschaft, Liebe und Gegenliebe, und
vereinigte Vortheile. Dieses Urtheil und dieses
Verlangen begleitet den natürlichen Trieb der Men
schen. Sie haben also alle ein Verlangen, Nach
kommen zu haben, wenn keine stärkern Betrach
tungen, die daneben nicht bestehen können, sie zu
rückhalten.
In dem Menschen liegt, wie in den Thieren,
eine besondere starke Zuneigung gegen seine Nach
kommenschaft, und eine zärtliche Sorgfalt, sie zu
erhalten und glücklich zu machen. Diese Zunei
gung dauert bey den Menschen so lange als das Le
ben, und als die Aeltern ihren Abkömmlingen Gu
tes thun können. Sie erstreckt sich, unvermin
dert, bis auf Enkel und Urenkel. Bey den Thie
ren trift man dieselbe nur zu der Zeit an, da die
Jungen Beystand nöthig haben; wo dieser nicht
mehr nöthig ist, wird auch jene nicht mehr wahr
genommen. Sie dauert so lange, bis die Jungen
sich selbst erhalten können, und alsdenn hört sie völ
lig auf. Diese ganze Einrichtung ist ein überzeu
gender Beweis von der Weisheit des Urhebers der
Natur. Eine ähnliche, aber schwächere Zunei
gung begleitet die Bande des Bluts unter den Sei
tenverwandten. Diese zärtliche Neigungen sind
Empfindungskräften. 85(Zweyter Abschnitt.)
die Quellen von mehr als der Hälfte der Bemü
hungen und Sorgen der Menschen; und wenn ei
nige Kräfte da sind: so ermuntern sie die Seele zu
Fleis und Arbeit, und zu grossen und anständigen
Unternehmungen. Durch ihre Vermittelung wird
das Herz einer jeden zärtlichen liebreichen und gesel
ligen Neigung fähiger gemacht.
XI. Man kan dem Menschen schwerlich ei
nen natürlichen Trieb zur Gesellschaft mit seinen(Die Men
schen sind ge
sellig, und zur bürgerli
chen Gesell
schaft ge
schickt.)
Nebenmenschen streitig machen. Es ist dieses ein
unmittelbarer Trieb, welchen wir bey vielen Arten
von Thieren ebenfalls wahrnehmen. Wir können
die Geselligkeit nicht ganz den Bedürfnissen zuschrei
ben. Die andern Grundtriebe der Menschen, ihre
Neugier, ihre Neigung, das, was ihnen begegnet,
einander mitzutheilen, ihr Trieb zur Thätigkeit,
ihr Gefühl der Ehre, ihr Mitleiden, ihre Wohlge
wogenheit, ihr Trieb zur Freude, und das morali
sche Gefühl würden in der Einsamkeit entweder gar
nicht, oder doch nur wenig angewendet werden
können, und aus dieser Ursache vereinigen sich die
Menschen, ohne daß ein Zwang, oder eine Betrach
tung ihrer Bedürfnisse, der unmittelbare und letzte
Bewegungsgrund dazu seyn sollte. Die Bande
des Bluts würden eben diese Wirkung haben,
und wahrscheinlicher Weise haben dieselben vie
le Menschen, welche sich ihren Mangel in der
Einsamkeit vorgestellet, zuerst veranlasst, daß sie
sich, mit dem Vorsatz, einander beyzustehen, und
sich zu vertheidigen, vereinigt haben. Nachdem
diese Vereinigung geschehen war: so gewann die
vorzügliche Redlichkeit, Klugheit oder Herzhaftig
(Erstes
Buch.)
86 Von den feinern
keit einiger unter ihnen, die vorzügliche Achtung
und das Vertrauen aller übrigen. Es entstanden
Streitigkeiten. Sie sahen bald ein, daß die Ent
scheidung derselben durch Gewalt, von üblen Fol
gen sey. Sie bemerkten, wie viel Gefahr es brin
ge, wenn bey den Berathschlagungen über die Ver
besserung ihres Zustands oder über die gemein
schaftliche Vertheidigung, die Stimmen getheilt
wären, ob sie gleich alle sich nur einen Endzweck
vorgesetzt hätten. Diejenigen, für welche sie die
meiste Achtung hatten, wurden zu Schiedsrich
tern in ihren Streitigkeiten, und zu
Vorstehern
der ganzen Gesellschaft, in Angelegenheiten, die den
gemeinen Vortheil betrafen, erwählet. Diese ga
ben nach ihrer Einsicht, Gesetze, und machten Ein
richtungen zum Besten des gemeinen Wesen. Die
übrigen empfanden die Annehmlichkeiten einer gu
ten Ordnung, der Sicherheit, der Gesetze, und
hatten Ehrfurcht gegen die Gesellschaft, gegen ihre
Vorsteher und die eingeführte Verfassung. Die
feinern Geister fühlten patriotische Gesinnungen,
und die Liebe des Vaterlands in der Brust; und
alle wurden, durch die Bande der Verwandschaft,
durch gemeinschaftliche Geschäfte, und durch den
Genus der Beschützung ihrer selbst und ihrer Gü
ter, zur Liebe der Gesellschaft und zum Eifer für die
Vortheile derselben angetrieben.
(Die natür
liche Reli
gion.)
XII. Da die Ordnung, Grösse, die regel
mäsige Einrichtung und Bewegung in der sichtba
ren Welt die Seele mit Bewunderung erfüllet; da
die verschiedenen Classen der Thiere und Pflanzen,
Empfindungskräften. 87(Zweyter Abschnitt.)
in ihrer ganzen natürlichen Beschaffenheit, die vor
treflichste Kunst, den regelmäsigsten Bau, die deut
lichsten Absichten, und die bequemsten Mittel zu ge
wissen Endzwecken zeigen: so müssen aufmerksame
und nachdenkende Menschen ein oder mehrere ver
nünftige Wesen, wahrnehmen, von welchen alle
diese weise Ordnung und diese Pracht abhängt.
Das Grosse und Schöne erfüllt die Seele mit Ehr
furcht, und es veranlasset uns, zu schliessen, daß
dasselbe unter einem vernünftigen Geiste stehe, und
von ihm geordnet werde. Eine sorgfältige Be
trachtung unserer eigenen Natur und ihrer Kräfte
leitet uns zu eben dieser Folgerung. Unser mora
lisches Gefühl, unsre Empfindung von Güte und
Tugend, von Kunst und Absicht; unsre Erfahrung,
daß es eine moralische Auftheilung in uns gebe,
nach welcher Glück und Unglück auf Tugend und
Laster unmittelbar folgt; und daß eine gleiche
Austheilung auch in äusserlichen Dingen, vermit
telst einer natürlichen Richtung, vorhanden sey;
alles dieses mus uns eine moralische Regierung in
der Welt entdecken. Und da die Menschen geneigt
sind, ihre Wissenschaften, Erfindungen und Muth
massungen einander mitzutheilen: so müssen die Be
griffe von einer Gottheit und Vorsehung bald aus
gebreitet werden, und eine geringe Anwendung der
Vernunft wird sie zur völligen Ueberzeugung füh
ren. Auf diese Art wird eine gewisse Gottesfurcht
und Frömmigkeit gemein werden, von der man mit
Recht sagen kan, daß sie einem vernünftigen Sy
stem natürlich sey. Eine frühzeitige Offenbarung
und eine von Zeit zu Zeit fortgeführte Erzählung
(Erstes
Buch.)
88 Von den feinern
ist der menschlichen Erfindung hierinnen zuvorge
kommen; aber diese allein würden kaum den Glau
ben so allgemein gemacht haben, wenn ihnen die
augenscheinlichen Gründe, welche in den Werken
der Natur liegen, nicht geholfen hätten. Die
Begriffe von der Gottheit und eine Art der Anbe
tung sind wirklich unter den Menschen allemal eben
so gemein gewesen, als das gesellschaftliche Leben,
der Gebrauch der Sprache, oder auch die Fort
pflanzung ihres Geschlechts; und also müssen sie für
natürlich gehalten werden.
Die verschiedenen Kräfte, Fähigkeiten, und
Bestimmungen, wovon wir bisher geredet haben,
werden in dem ganzen menschlichen Geschlecht ge
funden, wenn nicht irgend ein Zufall einige einzel
ne Personen verunstaltet, oder sie gar verstümmelt,
und ihnen eine natürliche Kraft geraubt hat.
Aber, in den verschiedenen einzelnen Personen trift
man nicht alle diese Fähigkeiten, in gleichem Grade,
an; bey einem ist diese grösser; bey einem andern
jene; und eben daher entstehet die grosse Verschie
denheit in den Charactern, Doch, bey ei
ner bequemen Gelegenheit, und wenn von ei
nem stärkern Triebe kein Widerstand vorhanden
ist, wird sich eine jede äussern, und ihre Wir
kung thun.
(Die Ursa
chen des La
sters.)
XIII. Ungeachtet alle diese edlern Kräfte,
von welchen wir gehandelt haben, uns natürlich
sind; so sind doch die Ursachen des Lasters und der
Empfindungskräften. 89(Zweyter Abschnitt.)
Verderbnis der Sitten offenbar. Wir wollen die
Ursachen, die uns das Licht der Natur nicht ent
deckt, mit Stillschweigen übergehn, und anmerken,
daß die Menschen, wenn sie keine sorgfältige Er
ziehung haben, die Jahre ihrer Jugend mit Be
friedigung ihrer sinnlichen Begierden, und mit
Uebung einiger niedern Kräfte, welche durch eine
lange Nachsicht immer zunehmen, verbrin
gen. Das Nachsinnen über moralische Begriffe,
die feinern Vergnügungen, und die Verglei
chung derselben mit den unedlern, ist eine müh
same Beschäftigung. Die Begierden und Lei
denschaften entstehen von sich selbst, wenn ihre
Gegenstände, wie es sich oft zuträgt, vorkom
men. Sie zu unterdrücken, zu prüfen, und im
Gleichgewicht zu erhalten, ist ein schweres
Werk. Vorurtheile und ungegründete Verbin
dungen der Begriffe, sind Menschen von gerin
ger Aufmerksamkeit sehr gewöhnlich. Unsere
eigennützigen Leidenschaften gelangen, durch un
sere Nachsicht, bald zu einer gewissen Macht.
Das menschliche Leben ist also eine unzusammen
hängende Vermischung vieler geselligen, liebrei
chen, unschuldigen; und vieler eigennützigen,
menschenfeindlichen und sinnlichen Handlungen,
nachdem es sich zuträgt, daß eine oder die andre
unserer natürlichen Fähigkeiten erregt wird, und
über andere die Oberhand behält.
(Erstes
Buch)
90 Lezte Bestimmungen
Der dritte Abschnitt,
Von den lezten Bestimmungen des Willens
und den gemeinnützigen Neigungen.
(Die lezten Bestimmun
gen der See
le.)
I.Wenn wir nach diesem langen Verzeichnis
von den verschiedenen Kräften der Em
pfindung, durch welche eine grosse Menge von Ge
genständen, zum Vergnügen oder zum Schmerz,
zu einer Art von Glückseligkeit oder Elend, Anlas
geben; wenn wir nach dem Verzeichnis von den
vielen Fähigkeiten des Willens, oder den Bestim
mungen der Begierden; wenn wir nach diesem al
len urtheilen: so müssen wir die menschliche Natur
für eine sehr verworrene Zusammensetzung halten,
woferne wir nicht unter diesen Kräften eine Ord
nung, und eine Abhängigkeit der einen von der an
dern, finden, und durch diesen Weg unterscheiden
können, welche von ihnen von der Natur bestimmt
sey, die Beherrscherin der übrigen zu seyn. Hier
von wollen wir in einigen folgenden Abschnitten
handeln. Zuerst lehret uns der Verstand, oder
die Kraft zu denken, zu vergleichen, zu urtheilen,
die Richtung der verschiedenen Empfindungen, Be
gierden, Handlungen, Befriedigungen auf unsre ei
gene Glückseligkeit, oder auf die Glückseligkeit an
derer; und den verglichenen Werth jeden Gegen
stands und jeder Befriedigung, unterscheiden. Die
se Kraft urtheilt über die niedern oder untergeord
neten Endzwecke: die höchsten Endzwecke sind aus
ser ihrem Gebiet. Wir suchen dieselben durch eine
unmittelbare Fähigkeit oder Bestimmung der See
le auf, welche in der Reihe der Handlungen vor
des Willens. 91(Dritter Abschnitt.)
allen Schlüssen vorhergeht. Keine Meinung, kein
Urtheil kan zu einer Handlung bewegen, wenn kein
vorhergehendes Verlangen nach einem Endzweck
vorhanden ist.
Wenn keine andere Bestimmnng<Bestimmung> oder Be(Die Selbst liebe wird als die einzi
ge angeführt.)
gierde in der menschlichen Seele wäre, als der
Trieb zu unsrer eignen Glückseligkeit: so würde die
ruhige
*
Selbstliebe der einzige leitende Grund
trieb seyn, welchen die Natur bestimmt hätte, alle
andre Neigungen zu beherrschen, einzuschränken,
und sie auf die Erlangung ihres Endzwecks zu
richten. Sie würde die Vernunft zu ihrer Rath
geberin haben, und diese würde ihr die Mittel hier
zu an die Hand geben. Aber dieser Endzweck
würde blos durch diese höchste Bestimmung, ohne
Beyhülfe eines Schlusses, festgesezt werden.
Dieses ist eine Lehre, welcher sehr viele(Verschiede
ne Erklärun
gen davon.)
Schriftsteller besonders gewogen sind, und die durch
ihre Einfalt vergnügt. Aber diese Schriftsteller
machen sehr verschiedene und einander widerspre
chende Erklärungen von den eigennützigen Ver
gnügungen und der Glückseligkeit, welche man
bey den Pflichten, die wir gemeiniglich für tugend
15
(Erstes
Buch.)
92 Lezte Bestimmungen
haft halten, zur Absicht hat. Einige glauben, daß
in einigen Vortheilen der Welt, in einigen körper
lichen Vergnügungen, oder in den Mitteln, dazu
zu gelangen, der einzige Bewegungsgrund zu allen
Pflichten, und zu allen, auch den anständigsten Hand
lungen, und der einzige höchste Endzweck derselben,
liege. Dieses war die Meinung der Cyrenaiker,
und wahrscheinlicher Weise der Epikuräer; sie
ist auch die Meinung einiger neuern Weltweisen.
Andere sagen, wir begehrten den Wohlstand ande
rer einzelner Personen, oder ganzer Gesellschaften,
blos als das Mittel unsrer eigenen Sicherheit und
Glückseligkeit; andere halten dafür, wir begehr
ten ihn als das Mittel einiger feinern Vergnü
gungen, die wir, durch eine Sympathie, mit an
dern über ihr Glück zugleich empfänden; noch an
dere wollen, unser Endzweck|sey|das<Endzweck sey das> Vergnügen,
welches wir empfinden, wenn wir geehrt werden;
oder die Belohuung<Belohnung>, welche wir für unsre Dien
leistungen entweder von Gott oder von Menschen
erwarten.
Aber man hat noch eine höhere Lehre. Es
nehmen einige zwar keine andre ruhige Bestim
mung der Seele an, als unsre eigene Glückseligkeit,
allein sie geben zu, daß wir ein moralisches Ge
fühl
haben, und viele besondere liebreiche Nei
gungen besitzen, die wirklich uneigennützig sind, die
Glückseligkeit anderer zum lezten Endzweck haben,
und oft wirksam sind, wenn wir auch in unsrer
Seele keine Beziehung derselben auf unsre eigene
Glückseligkeit wahrnehmen. Allein sie fügen hin
des Willens. 93(Dritter Abschnitt.)
zu: „der einzige ursprüngliche Qvell<Quell> eines jeden
ruhigen und überlegten Vorsatzes, diese grosmü
thigen Neigungen auszuüben, und dieselben, den
eigennützigen Neigungen zuwider, zu befriedigen,
sey dieser: wir empfänden die erhabenste Lust ei
nes Beyfalls, den wir uns selbst geben, wenn wir
diese grosmüthigen Regungen befriedigen; diese
Lust sey ein grösseres Glück, als irgend eines;
und das Verlangen nach ihr, welches aus einer
ruhigen Selbstliebe entspringe, sey die Absicht
eines jeden überlegten Vorsatzes, tugendhaft zu
seyn; ob gleich die liebreichen Neigungen uns oft,
auch ohne diese Gedanke, zu wohlthätigen und
grosmüthigen Handlungen antreiben könten.“
Diese lezte Erklärung enthält eine liebens
würdige Vorstellung der menschlichen Natur und
ihrer Neigungen, und räumt auch den edelmüthig
sten Tugenden des Lebens, eine ansehnliche Stelle
ein; aber sie hat nicht den Verdienst der Einfalt,
wie die andern Erklärungen, welche jede Regung
des Herzens, unmittelbar aus der Selbstliebe,
herleiten. Man kan diese Lehre nicht unter dieje
nigen rechnen, welche sich blos auf die Selbstliebe
gründen, weil sie die edelsten Tugenden aus den
uneigennützigen Neigungen, welche dem Herzen na
türlich sind, herleitet, ob sie gleich, in unsern ruhi
gern Stunden, durch die ruhige Betrachtung und
das Verlangen unsrer eigenen Glückseligkeit befe
stiget werden können. Allein, unsre Beschäfti
gung ist, die Wahrheit zu finden, und wir wollen
andern Schriftstellern ihre Lehren überlassen. Es
(Erstes
Buch.)
94 Lezte Bestimmungen
ist zu dem Ende nöthig, daß wir sowohl die Nei
gungen, welche man für uneigennützige ausgiebt,
als auch das moralische Gefühl, durch welches
wir alle Bewegungen des Willens beurtheilen, in
genaue Erwägung ziehen, damit wir einsehen kön
nen, ob in der Seele, wie wir oben bemerkt haben,
eine andre ruhige Bestimmung
vorhanden sey,
ausser derjenigen, welche sich auf unsre eigene Glück
seligkeit bezieht; und ob einige besondre Neigun
gen vorhanden sind, welche auf das Beste anderer,
als ihren unmittelbaren und höchsten Gegenstand,
abzielen, ohne alle Absicht auf einigen eigenen
Vortheil.
(Bey den Begierden ist die Unru
he von den Bewegungs
gründen un
terschieden.)
II. Die ruhige Selbstliebe, oder die Be
stimmung einer jeden einzelnen Person, ihre eigene
Glückseligkeit zu suchen, ist eine Bewegung des
Willens, welche keine unruhige Empfindung zur
Begleiterin hat. Aber die verschiedenen eigennützi
gen Triebe, welche auf besondre Gegenstände ge
richtet sind, werden gemeiniglich von einigen unru
higen ungestümen Empfindungen, in sehr verschie
denen Graden, begleitet: doch sind diese Empfin
dungen von den Wirkungen des Willens, mit wel
chen sie vereiniget sind, eben sowohl unterschieden,
als von den Bewegungsgründen der Begierden.
Der Bewegungsgrund ist das Gute, welches wir
in einem Gegenstand, oder in einer Begebenheit
wahrgenommen haben, und auf welches die Begier
de gerichtet ist; aus dieser Begierde entstehet eine
Unruhe, bis wir das Gute erlangt haben. Bey
dem Abscheu ist der Bewegungsgrund ein wahrge
des Willens. 95(Dritter Abschnitt.)
nommenes oder befürchtetes, und vielleicht noch
nicht empfundenes Uebel. Unruhe begleitet den
Abscheu so lange, bis das Uebel abgewendet wor
den. Die schmeichlerische Aussicht in Vergnügun
gen, oder in ein grosses Ansehen, welches mit dem
Ueberflus verknüpft ist, sind die Bewegungsgründe
der Begierde nach Reichthum; und niemals ist es
das unruhige Gefühl, welches die Begierde selbst
begleitet. Dieses Gefühl ist in der Natur eine Fol
ge von der Begierde.
Wenn wir dasjenige, was wir begehrten, er
langt haben: so entsteht, ausser dem Vergnügen,
welches wir dadurch erhalten können, und welches
der Bewegungsgrund der Begierde war, oft noch
ehe wir dasselbe geniessen können, ein anderes Ver
gnügen, welches eine unmittelbare Folge des glück
lichen Erfolgs ist, wenigstens in solchen Fällen,
wo eine Schwierigkeit der Erlangung, oder die
Furcht eines widrigen Zufalls vorhanden war. Es
wäre abgeschmackt, wenn man behaupten wollte,
diese Freude über den glücklichen Erfolg sey der Be
wegungsgrund der Begierde. Wir dürften keine
Freude über den glücklichen Erfolg empfinden, und
wir würden keine Begierden haben, wenn nicht die
Wahrnehmung eines andern Gutes der Bewe
gungsgrund gewesen wäre. Es ist unläugbar,
daß bey allen unsern eigennützigen oder gemeinnü
tzigen Trieben ein Bewegungsgrund, ein vorgesez
ter Endzweck, vorhanden sey, welcher von der
Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die
Entfernung der aus der Begierde entstandenen Un
(Erstes
Buch.)
96 Lezte Bestimmungen
ruhe unterschieden ist. Denn ausserdem würden
alle unsre Begierden die seltsamsten Dinge von der
Welt seyn, und wir würden eine Kleinigkeit eben
so heftig begehren, als das grösste Gut; weil die
Freude über den glücklichen Erfolg, oder über die
Entfernung der aus der Begierde entstandenen
Unruhe, in beyden Arten von Begierden, einander
gleich seyn würde. Es ist also seltsam, alle unsre
Begierden um deswillen für eigennützig auszuge
ben, weil wir, bey ihrer Befriedigung, uns über
den glücklichen Erfolg vergnügen, und uns von
dem aus den Begierden entstandenen unruhigen
Gefühl befreyen.
(Das Wohl
wollen gegen andere, wel
ches sich auf den Eigen
nutz grün
det, ist keine
Tugend.)
III. Es wird niemand läugnen, daß gewisse
wohlthätige Handlungen, aus den eigennützigen
Begierden nach Belohnungen, Erwiederungen der
geleisteten Dienste, und nach Ehre, entspringen
können. Man kan andern aus Furcht einer un
gerechten Gewalt, oder einer gerechten Ahndung
dienen. Ja, aus dem Verlangen nach unsrer ei
genen Glückseligkeit kan in uns ein inneres un
verstelltes Verlangen nach der Glückseligkeit an
derer entstehen, wenn wir sehen, daß diese leztere
ein Mittel ist, unsre eigene zu befördern. So
verlangt man nach dem Glück eines Gesellschafters
in gemeinschaftlichen Unternehmungen; nach dem
blühenden Zustand eines Landes oder einer Gesell
schaft, von welchem unser Glück abhängt; nach
der weiteren Beförderung eines Freundes, von dem
wir die unsrige erwarten; nach dem Wohlstand
und der guten Aufführung eines Untergebenen
des Willens. 97(Dritter Abschnitt.)
oder eines Mündels, welche dem Lehrer oder Vor
mund zur Ehre gereichen kan. Diese Triebe, wel
che wirklich auf die Wohlfart anderer abzie
len, sind unsern eigennützigen Begierden unter
worfen.
Man ist darinnen einig, daß die Begierden,(Ob es Neigungen giebt, wel
che, ohne al
le Absicht auf unsern eige
nen Vor
theil, die Wohlfart anderer zum Endzweck haben.)
welche zwar auf die Wohlfart anderer gerichtet
sind, aber, ohne alle andre Neigung, den Begier
den nach unserm eigenen Vortheil unterwürfig seyn
müssen, nichts tugendhaftes in sich haben. Eine
Veränderung in den äusserlichen Umständen, ohne
einige Veränderung in der Gemüthsbeschaffenheit,
würde, auf gleiche Art, in uns das Verlangen nach
den Widerwärtigkeiten anderer erregen. Die vor
nehmste Frage ist, ob die Neigungen, welche wir
für gemeinnützig halten, auf einige edlere, als ei
gennützige, Vortheile gerichtet sind, und dieselben
zum höchsten Endzweck haben: oder ob keine lieb
reichen Neigungen, auf das Beste anderer, als den
höchsten und lezten Endzweck, abzielen; und ob
diese, von der Natur, (entweder an und für
sich, oder vielleicht zuweilen durch einige Be
trachtungen eines Eigennutzes,) zu der unmittelba
ren Ursache des moralischen Beyfalls bestimmt wor
den sind.
IV. 1. Es ist klar, daß alles, was wir von(Sie sind von den Be=
lohnungen, die wir von Menschen er
warten kön
nen, unab
hängig.)
andern Menschen, in Absicht auf Reichthum oder
Armuth, Ehre oder Schande, körperliches Vergnü
gen oder körperlichen Schmerz, hoffen oder fürch
ten, nur der Bewegungsgrund zu äusserlichen
Handlungen oder Gefälligkeiten, und nicht zu ei
(Erstes
Buch.)
98 Lezte Bestimmungen
ner innern Gewogenheit oder zu einem Verlangen
nach ihrer Glückseligkeit seyn kan; weil wir alle
wissen, daß unsre innerlichen Neigungen andern
verborgen sind. Das äusserliche Verhalten kan
blos das Mittel abgeben, dasjenige, was wir von
ihnen hoffen, zu erlangen, oder, was wir fürchten,
abzuwenden.
(Sie sind auch von den Belohnun
gen Gottes und dem in
nern Beyfall unabhängig.)
2. Da die Liebe unserer selbst nur ein Ver
langen nach den Mitteln unsrer eigenen Glückselig
keit in uns hervorbringt: so kan man schwerlich be
haupten, daß selbst die edelsten Vortheile die Qvel
le<Quelle> einer wahren Zuneigung gegen andre seyn kön
nen. Wenn man mit dem höhern Vergnügen ei
nes innern Beyfalls bekant ist, welcher aus dem
Bewustseyn eines guten Herzens und liebreicher
Neigungen, entspringt; oder wenn man sich über
zeugt hält, daß die Gottheit, für Menschen, von
solcher Gemüthsbeschaffenheit, Belohnungen be
stimmt habe: so können diese zween Bewegungs
gründe ein Verlangen in uns erregen, diese gemein
nützigen Neigungen zu besitzen, damit wir durch
dieselben glücklich werden mögen. Könten wir,
auf das Geheis unsers Willens, Neigungen, die
wir zu haben verlangen, in uns hervorbringen: so
würden wir, aus diesen Bewegungsgründen, uns
mit liebreichen Neigungen versehen. Allein wir
können uns keine Art von Neigungen, durch die
sen Weg, verschaffen. Gleichwie, durch keine Wir
kung des Willens, Hochachtung gegen einen Gegen
stand, der nichts vortrefliches hat; oder Furcht vor
etwas, das nicht furchtbar ist; oder Unwillen ohne
des Willens. 99(Dritter Abschnitt.)
eine vorhergegangene Beleidigung; oder Mitlei
den, ohne Wahrnehmung eines Elends; oder
Dankbarkeit, ohne eine vorhergegangene Gütigkeit,
hervorgebracht werden kan: also kan eine Seele,
welche ganz von der Begierde nach ihrer eigenen
Glückseligkeit eingenommen ist, durch keinen Be
fehl ihres Willens, liebreiche Neigungen in sich
hervorbringen. Die natürliche Ursache mus vor
handen seyn, ehe eine Neigung entstehen kan.
Wenn unsre Herzen wirklich so beschaffen(Wie die göttlichen Gesetze wir
ken, die Men
schen tugend
haft zu ma
chen.)
sind, wie sie von den Vertheidigern der eigennützi
gen Neigungen beschrieben werden, daß nämlich,
so bald sich der Zustand empfindender Wesen unsern
ruhigen Gedanken darstellt, wir eine natürliche
Wohlgewogenheit empfinden, woferne weder Vor
theile, noch eine in ihnen wahrgenommene üble
Beschaffenheit sich entgegensetzen, und die natürli
chen Regungen unserer Seelen hemmen: so wer
den die Bewegungsgründe, uns die edlern Vergnü
gungen des Beyfalls unserer selbst, oder die Be
lohnungen Gottes zuwege zu bringen, uns geneigt
machen, auf den Zustand anderer unsere ruhige
Aufmerksamkeit zu richten; wir werden den gerin
gen Widerstand der Vortheile und selbst die Hin
dernisse des Unwillens überwinden.
*
Eben diese
16
(Erstes
Buch.)
100 Lezte Bestimmungen
Bewegungsgründe werden uns veranlassen, alle dieje
nigen Eigenschaften, Vollkommenheiten oder Gefäl
ligkeiten anderer zu untersuchen, welche die natür
lichen Gelegenheiten zu liebreichern Neigungen sind.
Auf diese Art haben die Vorschriften der göttlichen
Gesetze auf unsere Neigungen einen Einflus.
3. Vermöge der Liebe unserer selbst hingegen,
verlangen wir blos nach den Mitteln, wodurch wir
unsre eigene Glückseligkeit befördern können. Nun
ist aber die
wirkliche Glückseligkeit anderer
weder die Ursache, noch das Mittel, den Beyfall
unserer selbst oder die Belohnungen Gottes zu er
halten. Unsre Herzen geben uns Beyfall, und
Gott verspricht uns Belohnungen, nicht weil an
dre wirklich glücklich sind, sondern weil wir lieb
reiche Neigungen haben, und unsre Kräfte zu ih
rem Vortheil anwenden; der Erfolg mag sie nun
glücklich machen oder nicht. Dahero kan unser
Verlangen nach dem Vergnügen unsers eigenen
Beyfalls, oder nach göttlichen Belohnungen, uns
nur zu den Wunsch veranlassen, diese Neigungen zu
besitzen, und ihnen gemäs zu handeln. Aber diese
des Willens. 101(Dritter Abschnitt.)
Neigungen können nicht durch den Willen erweckt
werden; und wenn sie vorhanden sind: so sind sie
einzig und allein auf die Wohlfart anderer, als
ihren lezten und höchsten Endzweck gerichtet; ob
wir gleich bey unsern vorhergegangenen Berath
schlagungen mit uns selbst, oder bey unsern Ueber
legungen, wegen der inneren Bildung unsrer See
le, den Entschlus gefasst haben können, alle diese
Neigungen in Absicht auf unsre eigene Vollkom
menheit und höchste Glückseligkeit, in uns lebhaft
zu machen; auf alle diejenigen Betrachtungen,
durch welche sie natürlicher Weise erregt werden
können, unsre Achtsamkeit zu richten; und alle ge
ringe dawider streitende Vortheile dieser gegenwär
tigen Welt zu verachten. Diese grosmüthigen
Neigungen wirken oft da, wo keine Ueberlegung,
kein Vorsatz, sie lebendig zu machen, vorhergegan
gen ist; und, wenn ein solcher Vorsatz vorhergeht:
so sind sie allemal, auf ihren natürlichen Gegen
stand, die Wohlfart anderer, gerichtet, und sie
müssen in der Seele eher vorhanden seyn, als alle
Bemühungen, sie lebendig zu machen.
Es ist nichts fremdes oder ungewöhnliches,(Die Nei
gungen ent
stehen nicht so gleich, wenn wir wünschen, sie zu besitzen.)
daß es einem Menschen an gewissen zärtlichen und
grosmüthigen Neigungen, als der Liebe, der Hoch
achtung, der Dankbarkeit, des Mitleidens, der Be
reuung zugefügter Beleidigungen, fehlen kan; un
geachtet er ernstlich wünscht, sie zu besitzen. Eine
innerliche Sinnesart oder ein System von Nei
gungen ist kein Werk, das, auf einmal, durch einen
blosen Wunsch, oder Befehl, entstehet. Man sieht
(Erstes
Buch.)
102 Lezte Bestimmungen
oft, daß Menschen, welche Tugend und Gottesfurcht
nicht geachtet haben, bey der Annäherung einer Ge
fahr oder bey andern Gelegenheiten, entweder von
Selbstliebe oder von der Furcht der Strafe ange
trieben, aus vollem Herzen wünschen, daß sie Liebe
und Dankbarkeit gegen Gott, Liebe und Wohlwol
len gegen ihren Nächsten, eine gelassene und zur
Verzeihung geneigte Gemüthsart, und Reue über
ihre Sünden in sich wahrnehmen möchten; und
doch lehret sie ein trauriges Bewustseyn, daß alle
diese Neigungen in ihnen nicht entstehen. In tu
genthaften Menschen wirken dieselben ohne alle Ab
sicht auf einen Vortheil, ohne Betrachtung eines
innern Beyfalls oder zukünftiger Belohnungen.
Ja, sind nicht einige von diesen liebreichen
Neigungen die stärksten, in deren Ansehung wir
weder Ehre von den Menschen, noch Belohnungen
von Gott, noch einen beträchtlichen innern Beyfall
erwarten dürfen? Unter dieselben gehören die Nei
gungen der Ehegatten und Verwandten, die Freund
schaft und Dankbarkeit. So sehr wir auch dieje
nigen verachten, welchen es an denselben fehlt; so
werden diese Neigungen doch immer für geringere
Tugenden gehalten, und einige verdienen kaum Tu
genden genennet zu werden.
(Es entsprin
gen nicht alle
liebreiche Neigungen aus der Sym
pathie.)
V. Einige behaupten, daß unsere meisten
grosmüthigen Neigungen, unserm eigenen Besten,
vermittelst einer Sympathie, unterworfen wären,
welche das Vergnügen oder den Schmerz, die
Glückseligkeit oder das Elend anderer zu beständi
des Willens. 103(Dritter Abschnitt.)
gen Ursachen unsers eigenen Vergnügens und
Schmerzens machte. Wir freuen uns, wenn wir
sehen, daß andre glücklich sind, oder wenn wir, in
einer Entfernung von ihnen, nur wissen, daß sie es
sind. Auf gleiche Art empfinden wir Schmerz
oder Traurigkeit über ihr Elend. Um nun dieses
Vergnügen zu erhalten, und diesen Schmerz zu
vermeiden, sagt man, haben wir, vermöge der
Selbstliebe, ein innerliches aufrichtiges Verlangen
nach ihrer Glückseligkeit, ungeachtet dasselbe von
dem Verlangen nach unsrer eigenen abhängt.
Aber ob gleich diese Sympathie für einen natürli
chen Grundtrieb und für einen schönen Theil un
srer innern Einrichtung anzusehen ist: so können
doch dadurch niemals alle liebreiche Neigungen er
kläret werden. Wenn sie allein wirkt: so steht sie
immerfort im Verhältnis mit dem wahrgenomme
nen oder eingebildeten Elend oder Leiden, ohne Ab
sicht auf andre Nebenumstände; dahingegen unsre
grosmüthigen Neigungen sehr verschiedene Grade
und Verhältnisse haben. Wir können eine schwä
chere Wohlgewogenheit gegen eine unbekante Per
son empfinden; aber wie viel stärker ist nicht die
Neigung der Dankbarkeit, die Liebe und Hochach
tung gegen einen würdigen Mann, oder gegen ei
nen vertrauten Freund, die verwandschaftliche Lie
be? Wenn diese Sympathie die Ursache aller Lie
be seyn soll: so mus sie sehr vielen Veränderungen
unterworfen seyn, und durch empfangene Wohl
thaten, durch die Wahrnehmung der moralischen
Vortreflichkeit, durch Vertraulichkeit, und Blutver
wandtschaft zunehmen; denn die innerliche Gewo
(Erstes
Buch.)
104 Lezte Bestimmungen
genheit, die liebreiche Neigung, nimmt durch diese
Ursachen stark zu.
Wenn man auch annimmt, daß diese Sympathie,
durch diese Ursachen, natürlicher Weise verändert wird:
so kan doch aus derselben nicht erklärt werden, wo
her der unmittelbare Ausbruch einer heftigen Liebe
und Gewogenheit gegen einen Character, welcher
uns in der höchsten moralischen Vortreflichkeit vor
gestellt wird, entstehet, ehe wir an den Zustand des
selben gedacht, oder erfahren haben, ob er glücklich oder
elend sey. Man setze voraus, daß er sich in den entfern
ten Gegenden der Erde, oder in einem andern Planeten
aufhalte. Wir können in der That die Absicht der
Seele, bey ihrem Bestreben und bey ihren Nei
gungen erkennen. Ist wohl bey einigen sympa
thetischen Freuden unser eigenes Vergnügen der
Gegenstand, auf welchen jede liebreiche Neigung,
und jeder gutherziger Wunsch abzielet? Ist die
Sorge für die Kinder, ist die Liebe des Vater
lands, auch alsdenn, wenn sie uns zu einer über
legten Aufopferung des Lebens antreibet, auf die
Erreichung eines eigenen Vergnügens, gerichtet?
Wenn und wo kan es erreicht werden? Nur ei
nen Augenblick oder zween zuvor, ehe uns der Tod,
allen menschlichen Angelegenheiten entzieht. Ueber
dieses denken auch wenige von uns daran, den Zustand
derjenigen, die uns überleben, zu wissen. Sollte
Gott einem rechtschaffenen und unerschrockenen
Manne ankundigen, daß sein Tod, in dem nächsten
Augenblicke, erfolgen, und daß er keine Empfin
dung mit den Sterblichen weiter gemein haben,
des Willens. 105(Dritter Abschnitt.)
noch ein Andenken an sie behalten werde, daß ihm
aber seine letzten Wünsche, in Ansehung seiner Kin
der, seiner Freunde, seines Vaterlands, gewähret
werden sollten: würde dieser Mann ihre Wohl
fart nicht eben so inbrünstig wünschen, als in sei
nem vorherigen Leben, ungeachtet seine angenehme
sympathetische Einbildung im nächsten Augenblicke
aufhören sollte? Wie will man aus der Sympa
pathie erklären, warum die sterbenden Menschen
für alle diejenigen, die ihnen werth sind, solche Be
ängstigungen fühlen, warum sie andern dieselben so
zärtlich empfehlen, sie vermahnen, und so brünstig für
sie beten, da sie doch überzeugt sind, daß sie gegenwär
tig aus diesem Zustande versetzet werden, und von
menschlichen Angelegenheiten weiter nichts wissen
sollen?
Auch unser Mitleiden gegen die Unglückli(Das Mit
leiden ist nicht eigen
nützig.)
chen ist offenbar auf die Erleichterung ihres Elends
gerichtet, wenn wir auch auf unsern eigenen
Schmerz nicht aufmerksam sind. Niemals kan der
letzte Endzweck einer Begierde blos die Entfernung
der Unruhe seyn, welche dieselbe begleitet. Ob also
gleich in der Natur, zwischen unserm Vortheil und
den Gegenständen unsrer zärtlichen Neigungen, ei
nige Verbindung seyn kan: so geht doch die Nei
gung, welche auf ihren guten Endzweck abzielet,
vor dieser Verbindung vorher, und ist die Ursache
von ihr. Wir freuen uns daher über das Glück
unsrer Kinder, unsrer Freunde, unsers Vaterlan
des; weil wir eine ganz unabhängige Gewogen
heit gegen sie haben. Wir lieben sie und wün
(Erstes
Buch.)
106 Lezte Bestimmungen
schen ihre Wohlfart, nicht um deswillen, weil ihre
Glückseligkeit uns erfreuen, und ihr Elend uns be
trüben kan. Je stärker also unsre vorhergegan
gene Liebe und Zuneigung war, desto grösser ist
unsre Freude über ihre Glückseligkeit; und unsre
Betrübnis über ihr Elend.
(Einige Nei
gungen sind gänzlich un
eigennützig.)
Dieses kan genug seyn, die wichtigen Wahr
heiten fest zu setzen, daß unsre Natur solcher Nei
gungen fähig ist, welche, im genauesten Verstan
de, uneigennützig sind, und weder von der Selbst
liebe abhängen, noch einen Eigennutz zum Endzweck
haben. Die Bande des Blutes, erhaltene Wohl
thaten, die Wahrnehmung der moralischen Vor
treflichkeit sind, ohne Betrachtung eines Vortheils,
der uns von ihnen zuwachsen könte, die natürlichen
Ursachen dieser besondern liebreichen Neigungen.
Einige davon entstehen ohne Verdienst; alle aber
haben das Beste anderer zum lezten Endzweck;
und alle wirken oft in der Seele, wenn sie auf ih
ren eigenen Vortheil nicht sieht, oder keinen ver
nünftigen Grund hat, ihn zu hoffen. Ja sie äussern
sich auch noch alsdenn, wenn sie die Seele in Un
ruhe und Bekümmernis setzen.
(Ruhige Neigungen und Leiden
schaften.)
VI. Gleichwie wir oben bemerkt haben, daß
die besondern Bewegungen des Willens, in Absicht
auf das eigene Beste, entweder ruhige Neigun
gen oder ungestüme Leidenschaften sind; also gilt
dieses auch von denjenigen besondern Bewegungen,
welche auf das Beste anderer abzielen. Einige von
ihnen sind still und ruhig; sie haben die Glückselig
keit ihres Gegenstands zur Absicht, welcher entwe
des Willens. 107(Dritter Abschnitt.)
der eine einzelne Person oder eine ganze Gesellschaft
ist. Sie sind mit keinen ungestümen Empfindun
gen verbunden, und verursachen nur alsdenn Un
ruhe, wenn sie ihre Absicht nicht erreichen; an
dere sind ungestüm, und werden von unruhigen
Empfindungen begleitet. Wir können in dieser
Vergleichung noch weiter gehen.
Wie die menschliche Seele, wenn sie in sich
selbst hineingeht, eine ruhige allgemeine Neigung
gegen ihre eigene höchste Glückseligkeit, wovon sie
einen Begrif hat, in sich findet; also finden wir
eine ähnliche unabhängige Neigung in Absicht auf
das Beste anderer Menschen. Wenn wir ruhig
sind, und unsrer Seele den Begrif des grössten
möglichen Systems empfindender Wesen, und der
höchsten Glückseligkeit, deren es fähig ist, vorstel
len: so finden wir zugleich eine ruhige Bestim
mung, dieselbe zu verlangen, ohne dabey auf einige
Verbindung mit unsern eigenen Vortheilen zu se
hen. Wir finden, daß diese zwo grossen Bestim
mungen, deren eine auf die höchste eigene Glückselig
keit, die andre aber auf das grösste allgemeine
Gute abzielet, unabhängig von einander sind, und
daß jede die Gewalt erlangen kan, alle besondre
Neigungen ihrer Art zurückzuhalten, und sich die
selben unterwürfig zu machen.
Aber hier entsteht eine neue Zwietracht in(Ob der ei
gennützige
Grundtrieb dem gemein
nützigen un
terworfen ist,
oder nicht.)
diesem zusammengesetzten Baue. Diese zween
Grundtriebe scheinen auf ganz verschiedene Wege
zu leiten. Mus die gemeinnützige Bestimmung
und alle ihre besondre Neigungen der eigennützigen
(Erstes
Buch.)
108 Lezte Bestimmungen
nachgeben, und unter ihrer Herrschaft stehen?
Dürfen wir uns unsern liebreichen Bewegungen,
nur in so weit es der Eigennutz verstattet, und wei
ter nicht, überlassen? Oder mus die eigennützige
der gemeinnützigen weichen? Oder können wir an
nehmen, daß in diesem zusammengesetzten System
zween höchste Grundtriebe vorhanden sind, welche
sich oft einander widersetzen, ohne daß eine Bey
legung ihres Zwists möglich sey? Oder können
wir eine ursprüngliche ruhige Bestlmmung, welche
auf das gemeine Beste abzielet, läugnen; und sol
len wir blos eine Verschiedenheit von besondern
liebreichen Neigungen zugeben, die als die höchsten
angesehen werden müssen, und zwar weder aus der
Selbstliebe entstehen, noch eigentlich auf den Ei
gennutz, als ihren natürlichen Endzweck, gerichtet
sind; die aber doch, bey allen unsern überlegten
Berathschlagungen über die allgemeine Einrichtung
unsers Verhaltens, nebst den besondern eigennützi
gen Begierden und Leidenschaften, dem ursprüngli
chen Triebe zu unserer eigenen Glückseligkeit und
Vollkommenheit, unterworfen sind? Dieses Letztere
scheint das System einiger vortreflichen Schrift
steller des Alterthums und neuerer Zeiten zu seyn.
(Dieses wird durch das moralische
Gefühl be
stimmt.)
Wenn man hier anführen wollte, daß wir,
durch unsere Vernunft und Ueberlegung, die Ab
sicht einsehen können, welche Gott, der Urheber
unsrer Natur, bey diesem ganzen Bau unsrer Nei
gungen gehabt hat; daß die allgemeine Glückselig
keit und die Glückseligkeit einer jeden einzelnen
Person, in so fern diese neben jener bestehen kan,
des Willens. 109(Dritter Abschnitt.)
sein einziger augenscheinlicher Endzweck sey; und
daß dieser Endzweck uns zur Vorschrift dienen
müsse, nicht nur alle eigennützigen Neigungen,
sondern auch selbst alle grosmüthigen besondern
Neigungen, so, wie es das allgemeine Beste des
Ganzen erfordert, in Schranken zu halten und zu
unterdrücken; wenn man alles dieses anführen
wollte: so ist es zwar in der That gegründet, allein
die Schwierigkeit wird dadurch noch nicht gehoben,
wenn wir nicht zuförderst unterrichtet sind, welche
Bestimmung der Seele, welcher Bewegungsgrund,
uns antreibt, den göttlichen Absichten gemäs zu
handeln. Ist es das Verlangen nach Belohnun
gen: so ist die eigennützige ruhige Bestimmung der
einzige letzte Grundtrieb bey allen überlegten Unter
nehmungen des Lebens. Ist es eine Empfindung
der moralischen Vortreflichkeit Gottes, ein Ver
langen, ihn nachzuahmen, ist es Liebe und Dank
barkeit: so mus das Verlangen nach der morali
schen Vortreflichkeit die höchste ursprüngliche Be
stimmung seyn. Aber ungeachtet dieses Verlan
gen nach der moralischen Vortreflichkeit, ein ur
sprünglicher unabhängiger Trieb ist: so setzet dassel
be doch einige vorhergehende Bestimmungen des
Willens, als seinen Gegenstand, voraus. Und un
ter diesen müssen einige seyn, in welchen die höchste
moralische Vortreflichkeit bestehet, ausserdem würde
unser Gefühl der moralischen Vortreflichkeit und
das Verlangen nach ihr, weil es viele besondere
widereinander streitende Neigungen empfehlen könte,
uns in ein neues Labyrinth führen. Die Auflö
sung dieser Schwierigkeiten müssen wir, vermittelst
(Erstes
Buch.)
110 Von dem moralischen Gefühl,
einer vollständigen Betrachtung des obenerwähnten
moralischen Gefühls, finden, zu welcher wir,
im nächsten Abschnitt, fortgehen und die Gründe
anführen wollen, wodurch zu beweisen ist, daß die
ses moralische Gefühl eine
ursprüngliche Be
stimmung in unsrer Natur sey, welche unter die
andern Kräfte der Empfindung nicht gerechnet
werden kan.
Der vierte Abschnitt,
Von dem moralischen Gefühl, oder der Fä
higkeit, die moralische Vortreflichkeit zu em
pfinden; und von den höchsten Gegen
ständen desselben.
(Der Be
grif der mo
ralischen
Güte liegt nicht da
rinnen, daß sie uns ver
mittelst der Sym
pathie Vergnü
gen ver
schaffe.)
I.
Ob gleich liebreiche Neigungen in uns liegen,
welche das Beste anderer zum letzten
Zweck haben, und deren Befriedigung uns ange
nehm ist: so ist doch unser Beyfall, welcher das
moralische Verhalten begleitet, ganz etwas anders,
als wenn uns dasselbe blos um deswillen gefällt,
weil es, bey Befriedigung dieser liebreichen Nei
gungen, für uns ein Anlas zum Vergnügen gewe
sen ist. Gleichwie nicht ein jedes Verhalten, das
uns dieses Vergnügen verschaft, unsern Beyfall er
hält: also geben wir denselben oft einem solchen
Verhalten, das uns kein Vergnügen veranlasst;
und der Beyfall, welchen wir dem guten Verhal
ten, das uns dieses Vergnügen gewährt, zugestehen,
steht mit dem Vergnügen selbst in keinem abgemes
senen Verhältnis. Dahero werden viele Erfin
dungen und Künste, welche den Personen, oder den
und dessen Gegenständen. 111(Vierter Abschnitt.)
Ländern, die wir lieben, Nutzen schaffen, nicht mit
dem Beyfall beschenkt, der eine Belohnung der
Tugend ist; hingegen geben wir denselben gros
müthigen Unternehmungen, wenn sie gleich nicht
gelingen. Wir geben ihn den Tugenden un
srer Feinde, wenn sie auch den vornehmsten Ge
genständen unsrer Liebe Schaden zufügen können.
Die Tugenden oder grosmüthigen Gesinnungen
redlicher Männer in ältern Zeiten, gegen ihre Zeit
genossen; oder unter den entferntesten Völkern,
gegen ihre Landsleute, für welche wir nur schwache
Neigungen haben; crhalten<erhalten> eben sowohl unsern
Beyfall, als wenn unsre Freunde, oder unser Va
terland, die Gegenstände unsrer stärksten Neigun
gen, durch ähnliche Tugenden und Gesinnungen be
glückt worden wären.
Ferner, ungeachtet der Beyfall, welchen wir(Noch darin
nen, daß sie das morali
sche Gefühl vergnügt.)
der moralischen Vortreflichkeit zugestehen, eine ange
nehme Handlung oder Empfindung der Seele ist:
so ist doch offenbar, daß das Gute, welches unsern
Beyfall erhält, keineswegs das Bestreben ist, uns
eine angenehme Empfindung zu verschaffen. Wenn
uns eine schöne Gestalt gefällt, und wir die Schön
heit dem Gegenstand zuschreiben: so sagen wir
nicht, daß er um deswillen schön sey, weil wir
bey dem Anblick desselben einiges Vergnügen em
pfanden; sondern wir sind durch diesen Anblick um
deswillen vergnügt worden, weil er, ehe wir ihn
noch sahen, bereits schön war. Auf gleiche Art
finden wir, bey der Bewunderung der Tugend ei
nes andern, daß die ganze Vortreflichkeit oder die
(Erstes
Buch.)
112 Von dem moralischen Gefühl,
Eigenschaft, deren Billigung uns die Natur vor
schreibt, in diesem andern liegt; und wir werden
durch die Betrachtung derselben deswegen vergnügt,
weil der Gegenstand vortreflich ist; hingegen wird
der Gegenstand nicht aus der Ursache für vortreflich
angesehen, weil er uns vergnügt hat.
(Noch darin
nen, daß sie der handeln
den und ur
theilenden Person Vor
theil schaft.)
II. Noch viel weniger erhält die Tugend um
deswillen unsern Beyfall, weil sie eine Neigung,
oder eine Handlung ist, welche der handelnden
Person Vergnügen verschaft. Sie kan ihn zwar,
wenn sie nachdenkt, vermittelst des moralischen Ge
fühls, Vergnügen bringen: aber es ist unläugbar,
daß wir die Tugend eines andern alsdenn am mei
sten bewundern, wenn wir auf ihre Schwierigkei
ten, Gefahren und Sorgen aufmerksam sind, und
an ein gegenwärtiges oder zukünftiges Vergnügen
der handelnden Person nicht gedenken.
Es wäre seltsam, wenn die Menschen nicht
im Stande seyn sollten, zu erkennen, unter was für
einer Gestalt, oder unter welchem Begrif oder unter
welcher Vorstellung sie ihre eigene Neigungen und
ihr eignes Verhalten, oder die Neigungen und das
Verhalten anderer, billigen, hochachten, oder bewun
dern; und das Gegentheil misbilligen und ver
werfen. Man sollte denken, es sey offenbar, daß
der Begrif, unter welchem man die Tugend billigt,
keineswegs in der Erwartung liege, daß sie der han
delnden Person Vortheil, und der Person, welche
den Beyfall ertheilt, eine Belohnung verschaffen
werde. Niemals erwartet derjenige, welcher die
Tugend eines andern billigt, dafür eine Beloh
und dessen Gegenständen. 113(Vierter Abschnitt.)
nung; er ertheilt ihr auch alsdenn seinen Beyfall
wenn er dadurch die Beförderung seines Vortheils
nicht hoffen darf: und er wird solche Handlungen,
mit welchen die Erreichung eines Nutzens verknüpft
ist, desto weniger hochachten, je vortheilhafter sie
für die handelnde Person sind, und je mehr er sich
vorstellt, daß sie von derselben, in Absicht auf ih
ren eigenen Vortheil, unternommen worden. Wir
achten eine Handlung um deswillen der Belohnung
werth, weil sie gut ist, und wir halten sie nicht
deswegen für gut, weil sie Belohnung verdient.
Die urtheilende und die handelnde Person legen alle
beyde guten Handlungen, in Absicht auf die Tu
gend, einen desto grössern Werth bey, je höher sie
der handelnden Person zu stehen kommen, und je
nachtheiliger sie derselben sind. Beyde Personen
misbilligen solche Handlungen als unmoralisch,
welche die ersten der andern, durch Vorstellung
eines Gewinns, ablockt, und welche die andere in
der Absicht, ihn zu erhalten, unternimmt; sie hal
ten beyde dafür, daß diese Handlungen, auf diese
Art, auf einen Vortheil abzielen.
Wenn also die deutliche Vorstellung, daß die(Noch in der Einbil
dung eines Vortheils.)
urtheilende oder handelnde Person einen Vortheil
erhalten werde, keinen moralischen Beyfall zulässt:
so können wir destoweniger annehmen, daß dunkle
Einbildungen, oder unbestimmte Verknüpfungen
gewisser Begriffe von Vortheilen, welche die urthei
lende oder handelnde Person zu hoffen hat, die Ge
stalt sey, unter welcher die Tugend unsern Bey
fall erhält.
(Erstes
Buch.)
114 Von dem moralischen Gefühl,
Es ist eben so offenbar, daß die Tugend nicht
aus dem Gesichtspuncte gebilliget wird, weil wir
Ehre von ihr erwarten. Die Absicht, Ehre zu er
langen, kan bey einer handelnden Person der Be
wegungsgrund zur Unternehmung äusserlicher
Handlungen seyn: aber die Richtung einer Hand
lung auf die Ehre, kan denjenigen, der in derselben
keinen Grund zur Ehre findet, zu keinem Beyfall
bewegen. Unser Verlangen, geehrt zu seyn, und
die Bereitwilligkeit einer andern Person, uns zu eh
ren, setzt in beyden ein moralisches Gefühl voraus.
Und alle Absichten einer handelnden Person, die auf
die Erlangung des eigenen Beyfalls gerichtet sind,
müssen, auf gleiche Art, ein moralisches Gefühl
voraussetzen. Wir können dahero nicht sagen, daß
eine Handlung deswegen für gut gehalten werde,
weil sie der handelnden Person das Vergnügen des
eigenen Beyfalls verschaft; sondern sie verschaft
derselben dieses Vergnügen, weil ihre Güte vor dem
eigenen Beyfall vorhergeht, oder weil sie die Ei
genschaft hat, welche wir, vermöge der Beschaf
fenheit dieses Gefühls, billigen müssen. Unsre ge
genwärtige Frage ist: welches ist diese Eigenschaft,
und wie wird sie empfunden?
(Noch in der Ueberein
stimmung
mit den Ge
setzen.)
III. Der erste Begrif, unter welchem wir
den Neigungen und Handlungen unsern Beyfall
ertheilen, ist nicht blos die Uebereinstimmung
mit dem göttlichen Willen oder Gesetz.
Wir untersuchen oft ernstlich die moralische Güte,
Gerechtigkeit, Heiligkeit, und innere Richtigkeit der
Gottheit selbst sowohl, als ihres Willens oder ihrer
und dessen Gegenständen. 115(Vierter Abschnitt.)
Gesetze. Diese Eigenschaften sind der Inhalt un
srer allgemeinen Lobeserhebungen. Sie bedeuten
wirklich mehr, als daß der Wille oder das Ge
setz Gottes mit sich selbst übereinstimme.
Wir können dieses auch einem Geiste zuschreiben,
welcher Vorzüge des Verstandes, ohne einen heili
gen Willen, besitzet. Die Uebereinstimmung ge
wisser Handlungen mit der Natur Gottes, ist nicht
die Uebereinstimmung mit seiner Unermeslichkeit,
Ewigkeit und Allmacht. Es ist die Uebereinstim
mung mit seiner Güte, Heiligkeit und Gerechtig
keit. Wir müssen vor allen Dingen diese morali
schen Vollkommenheiten kennen, ausserdem hat die
Beschreibung der Uebereinstimmung mit ihnen
keinen Nutzen.
Der Begrif der moralischen Güte, unter wel(Oder mit der Wahr
heit.)
chem wir den Neigungen und Handlungen Bey
fall ertheilen, wird durch die Uebereinstimmung
derselben, mit Wahrheit und Vernunft, mit
richtigen Sätzen und den Gründen der Dinge,
nicht wohl erklärt; da, in dem gewöhnlichen Ver
stande, diese Character jedem Gegenstande der
Seele zukommen, über welchen sie wirklich ur
theilt, er mag nun beseelt oder unbeseelt, tu
gendhaft oder lasterhaft seyn. Uebereinstim
mung mit der moralischen Wahrheit, oder
richtige moralische Sätze, gehören eben sowohl für
das Laster, als für die Tugend. Die Seele un
terscheidet das Wahre in beyden, und gleichwie je
der richtiger Satz mit seinem Gegenstand überein
komt: also komt jeder Gegenstand mit dem Satze
(Erstes
Buch.)
116 Von dem moralischen Gefühl,
überein. Man sagt, daß nur diejenigen morali
schen Wahrheiten gemeint würden, welche uns leh
ren, was für Handlungen gut, pflichtmäsig und
anständig sind. Diese Worte bedeuten nicht
mehr, als die Worte moralische Güte; und als
denn ist die Erklärung nicht besser, als diese: „die
moralische Güte einer Handlung ist ihre Ueberein
stimmung mit solchen wahren Sätzen, welche uns
lehren, daß die Handlung gut sey;“ oder:
„gute
Handlungen sind solche, von welchen es wahr ist,
daß sie gut sind.“
Mit einem Worte, wenn wir alle Beschrei
bungen der moralischen Güte, durch die Ueber
einstimmung mit der Vernunft, wohl prü
fen: so müssen uns dieselben zu einem unmittelba
ren ursprünglichen Gefühl oder Bestimmungs
grunde unsrer Natur leiten. Alle Gründe, die uns
zu einer Handlung antreiben, werden uns zu einer
ursprünglichen Neigung oder einem angebohrnen
Triebe des Willens zurück führen; und alle Grün
de des Beyfalls, oder solche, die uns eine Hand
lung als gut vorstellen, werden uns endlich zu der
Ueberzeugung von einem ursprünglichen Gefühl
oder Empfindungsvermögen, bringen.
(Oder An
ständigkeit.)
Auf gleiche Art müssen die Beschreibungen
der moralischen Güte, durch das, was anständig
und zweckmäsig ist, uns zu diesen ursprüngli
chen Bestimmungen führen. Die zweckmäsige
Beschaffenheit der Mittel oder der mittelbaren Ab
sichten beweiset nicht, daß sie gut sind, wenn nicht
der letzte Endzweck gut ist. Die zweckmäsige Be
und dessen Gegenständen. 117(Vierter Abschnitt.)
schaffenheit eines Endzwecks, welcher wirklich der lezte
ist, ist ein lächerlicher Ausdruck. Da er sich auf
nichts weiter bezieht: so kan er auch zu nichts wei
ter bestimmt seyn. Alle lezten Absichten werden
durch einige ursprüngliche Bestimmungen unsrer
Natur festgesezt.
*
Es ist vergebens, die Unterweisung, Erzie
hung, Gewohnheit, und Verknüpfung gewisser Be
griffe, als den Ursprung des moralischen Beyfalls,
anzuführen. Da uns diese keine neuen Empfin
dungen geben können: so lasst uns untersuchen,
welches die Meinung oder der Begrif sey, auf wel
chen unser Beyfall sich gründet, und zu welcher
Empfindung er gehört, durch welchen Weg der
Begrif zusammengesetzet worden, oder welches die
Ursachen gewesen sind, welche uns auf die Mei
nung gebracht, daß eine solche Eigenschaft der
Handlung wesentlich, oder mit derselben verknüpft
sey; und dieses wird uns zu der ersten Quelle
führen.
IV. Es liegt also, wie ein jeder, bey einer(Es giebt ein morali
sches Ge
fühl.)
stillen Achtsamkeit und Betrachtung, wahrnehmen
mus, in uns eine natürliche und unmittelbare Be
stimmung, gewisse Neigungen und die daraus flies
senden Handlungen zu billigen; oder ein natürli
ches Gefühl der unmittelbaren Vortreflichkeit der
17
(Erstes
Buch.)
118 Von dem moralischen Gefühl,
selben, welche zu keiner andern Eigenschaft, die wir
durch unsre übrigen Empfindungen, oder durch
Schlüsse erkennen, gerechnet werden kan. Wenn
wir diese Bestimmung ein Gefühl
oder einen
angebohrnen Trieb
nennen: so nehmen wir
nicht an, daß dieselbe unter die niedre Art von Em
pfindungen gehöre, welche von den Gliedmassen des
Körpers abhängen, und welche auch den Thieren
gemein sind. Sie kan eben sowohl, als die Kräf
te, zu urtheilen und zu schliessen, in der Seele ih
ren beständigen Sitz haben. Und es ist unwider
sprechlich, daß die Vernunft nur eine solche Kraft
sey, welche, als eine Gehülfin der lezten Bestim
mungen unsers Verstandes und Willens, angesehen
werden mus. Der letzte Endzweck wird durch
eine Empfindung, oder durch eine Bestimmung des
Willens festgesetzet. Wir werden durch einige Em
pfindungen glücklich, und die Liebe unserer selbst be
stimmt uns dazu, ohne vorhergegangene Schlüsse.
Die Vernunft kan uns nur die Mittel anwenden
oder zween Endzwecke vergleichen lehren, welche
schon vorher, durch einige andere unmittelbare
Kräfte, bestimmet sind.
(Es ist der Analogie der Natur ge
mäs.)
In beseelten Geschöpfen andrer Art findet
sich ein angebohrner Trieb zu den Handlungen, die
ihnen eigen sind, und sie empfinden die grösste Lust
in der Befriedigung desselben, wenn sie auch mit
Arbeit und Schmerz verknüpft ist. Können wir
annehmen, daß die Menschen von solchen ursprüng
lichen Trieben leer sind? Da die Thiere, über die
Natur und die Handlungen anderer, eben so wenig,
und dessen Gegenständen. 119(Vierter Abschnitt.)
als über ihre eigenen, nachzusinnen scheinen: so
können sie blos die gegenwärtige Lust, welche die
Befriedigung ihrer Triebe begleitet, empfinden.
Aber in den Menschen, welche ihre eigenen Neigun
gen und Handlungen, zu Gegenständen ihrer Be
trachtung machen können, lässt uns die Analogie
der Natur erwarten, daß sie dieselben eben sowohl,
als andre Gegenstände, empfinden und daran Ver
gnügen haben müssen. Wir scheinen für jede unsrer
Kräfte ein ihr angemessenes Gefühl, einen urthei
lenden Geschmack zu haben, welcher den Gebrauch,
für den jede Kraft bestimmt ist, der handelnden
Person empfiehlt, und sie veranlasst, diesen Ge
brauch an andern zu billigen und hochzuschätzen.
Wir bemerken dieses bey den Kräften, zu reden, nach
zuahmen, nach einem Plan und mit Kunst zu ar
beiten, uns zu bewegen, zu denken; hier ist ein Ge
fühl, welches die wahre und eigentliche Anwendung
dieser Kräfte wahrnimmt, und empfiehlt. Es
würde ein Uebelstand in der Einrichtung unsrer
Natur seyn, wenn, wir für Kräfte und Handlun
gen von noch grösserer Wichtigkeit kein solches Ge
fühl hätten; wenn Geschöpfe, deren jedes von Na
tur, in Absicht auf seine Nebengeschöpfe, einander
sehr entgegengesetzter Neigungen und daraus flies
sender Handlungen fähig ist, deren jedes mit ihnen
in beständiger Gemeinschaft seyn mus, und wegen
seiner Erhaltung von ihnen abhängt; wenn diese
Geschöpfe keinen unmittelbaren Wohlgefallen an
solchen Neigungen und Handlungen empfänden,
welche der Vortheil des ganzen Systems nothwen
dig macht. Soll ein unmittelbares Gefühl den
(Erstes
Buch.)
120 Von dem moralischen Gefühl,
wahren Gebrauch der untern Kräfte empfehlen;
und wollen wir dem ungeachtet keine natürliche
Empfindung für den Gebrauch der obern Kräfte
annehmen?
(Dieses Ge
fühl erfor
dert Ausbil
dung und Verbesse
rung.)
V. Das moralische Gefühl ist eben sowohl, als
einige andere unserer unmittelbaren empfindenden
Kräfte einer Ausbildung und Verbesserung fähig,
ohne daß wir eine Beziehung auf eine höhere
Kraft der Vernunft, welcher ihre Empfindungen
zugeschrieben werden müsten, voraussetzen dür
fen. Wir hatten ehemals an einfachen, kunstlosen
und gemeinen Melodien Vergnügen. Wir giengen
in der Musik weiter, und fanden feinere und ver
mischtere Compositionen. Wir finden darinnen ein
grösseres Vergnügen, und fangen an das zu verach
ten, was uns vormals gefiel. Von den Regun
gen des Mitleidens durchdrungen, stellt ein Richter
manche Verbrecher auf freyen Fus. Wir billigen
sein weiches empfindliches Herz. Aber wir finden,
daß Gewalt und Beleidigungen überhand nehmen;
der Genügsame, der Gerechte, der Arbeitsame wird
gedrückt und beunruhigt, und ist unsicher. Ei
ne Betrachtung von grösserm Umfange, die Be
trachtung des öffentlichen Vortheils, lehrt uns,
daß gewisse Arten von Mitleiden von schlimmern
und unglücklichern Folgen sind, als eine strenge
Vollziehung der Gerechtigkeit. Das Mitleiden, an
sich selbst, entstellt niemals; aber eine Neigung von ei
nem weitern Umfange, die Liebe gegen die Gesellschaft,
der Eifer, die allgemeine Glückseligkeit zu befördern,
ist von einem höhern Adel, und der Mangel
und dessen Gegenständen. 121(Vierter Abschnitt.)
dieser Triebe entstellt einen Character. Dieses al
lein beweiset, was wir gegenwärtig behaupten, daß
es nämlich unter den verschiedenen gebilligten Nei
gungen viele Grade giebt; immer sind einige vor
treflicher, als andre. Wir bringen also die Unregel
mäsigkeiten, welche in diesem moralischen Gefühl
vorkommen, eben so in Ordnung, wie wir unsre
Vernunft selbst verbessern. Gleichwie wir einen
übeln Geschmack in der Harmonie, durch die Ge
wöhnung des Ohrs an feinere Zusammenstimmun
gen; in der Schönheit, durch die Darstellung fei
nerer Werke, welche ein höheres Vergnügen brin
gen, ändern und verbessern können: also machen
wir unser moralisches Gefühl
vollkommener,
wenn wir unsrer Seele grössere Systemen, und
Neigungen, von weiterm Umfange, gegen dieselben,
vorstellen. Auf diese Art werden dem moralischen
Gefühl seine Gegenstände zugebracht, welchen es auch
alsdenn Beyfall ertheilen wird, wenn diese Neigun
gen der Wirkung eingeschränkterer Neigungen, die,
an sich selbst betrachtet, wirklich gut und rühmlich
sind, entgegen seyn sollten. Hier ist keine Bezie
hung auf eine höhere Kraft der Empfindung, oder
auf die Vernunft nöthig.
Jrret nicht auch selbst unsre Vernunft oft
mals, wenn sie aus einer unvollkommenen und par
teyischen Gewisheit übereilte Folgerungen zieht?
Mus hier eine höhere Kraft seyn, unsre Vernunft
auf den rechten Weg zu weisen? Nein; wenn
wir uns die Gründe von beyden Seiten, vermittelst
einer anhaltenden Aufmerksamkeit und der vorsich
(Erstes
Buch.)
122 Von dem moralischen Gefühl
tigsten Anwendung der Kraft zu schliessen, vollkom
men deutlich vorstellen: so wird unser übereiltes
Urtheil verbessert. Eben so ist es mit den morali
schen Empfindungen beschaffen.
(Das morali
sche Gefühl ist bestimmt, über unsre andern Kräf
te die Herr
schaft zu füh
ren.)
VI. Dieses moralische Gefühl hat, vermöge
seiner Natur, die Bestimmung, alle unsre Kräfte
in Ordnung und in Schranken zu erhalten. Die
ser Würde, dieser gebietenden Natur werden wir uns
sobald unmittelbar bewust, als wir uns des Gefühls
selbst bewust werden. Man kan von unmittelba
ren Empfindungen, keine andern Beweise führen,
als daß wir uns auf unsere Herzen berufen.
*
Dieses Gefühl lässt uns nicht glauben, daß das
moralische Gute, so es uns empfiehlt, von den
Vortheilen, die uns andere Sinne anpreisen, blos
dem Grade nach unterschieden und übrigens von
gleicher Art sey, so, daß es uns erlauben sollte, ge
ringere moralische Uebel, welche immer Uebel blei
ben werden, in der Absicht auszuüben, um dadurch
einige grosse Vortheile anderer Art zu erlangen;
oder dasjenige, was wir, in dem gegenwärtigem
Falle, für unsre Pflicht, oder für moralisch gut ach
ten, in der Absicht zu unterlassen, damit wir grosse
Uebel einer andern Art abwenden mögen. Son
dern gleichwie wir den Unterschied der Arten un
mittelbar wahrnehmen, gleichwie wir unmittelbar
empfinden, daß die Vergnügungen, welche aus der
Dichtkunst, der Mahlerey und den Wissenschaften (
*
Bonum boc de quo agi- mus, est illud quidem plurimi
aestimandum, sed ea aesti- matio genere valet, non ma-
gnitudine. -- Alia est aesti-
matio virtutis, quue genere,
non crescendo valet.
Cicero de Fin. L. III. c. 10.
)
und dessen Gegenständen. 123(Vierter Abschnitt.)
entstehen, über das Vergnügen, welches der feinste
Geschmack der Zunge verschaft, weit erhaben sind:
also fühlen wir auch die unmittelbare Ueberzeu
gung, daß das moralische Gute von einer höhern
Art und Würde sey, als alles übrige Gute, welches
wir durch andre sinnliche Kräfte empfinden.
Bey allen andern angenehmen Empfindun
gen wird uns unser Zustand desto weniger gefallen, je
mehr wir geringere Vergnügungen andern, die grösser
sind, aufopfern müssen: und unsre Empfindung des
grössern wird, so bald die erste flüchtige Freude über
die glückliche Erlangung desselben vorbey ist, durch
alle Opfer, die wir ihm gemacht haben, nicht um
das mindeste vermehret; ja in dem Urtheil der Zu
schauer wird, in dieser Betrachtung, das grössere
Vergnügen, oder wenigstens unser Zustand, für
desto geringer angesehen, und unser Verhalten um
desto weniger gebilliget. Wenn wir also Ruhe,
Gesundheit, oder Vergnügen, dem Reichthum,
dem Ansehn, oder auch den schönen Künsten auf
opfern: so gewinnen diese Vergnügungen dadurch
keine Würde; und das Verhalten hat für andere
keine mehrere Reitzungen. Aber bey dem morali
schen Guten wird die sittliche Vortreflichkeit durch
die Grösse des Opfers, welches ihr nothwendig ge
macht werden muste, erhöhet. Sie wird von der
handelnden Person selbst mehr gebilligt, von den
Zuschauern mehr bewundert, und um so viel mehr zur
Nachahmung erwählet. Dieses Gefühl macht
nicht nur das Herz mit sich selbst zufrieden, wenn
es ein jedes anderes Vergnügen dem moralischen
(Erstes
Buch.)
124 Von dem moralischen Gefühl,
Guten aufgeopfert hat; sondern es empfindet auch
die höchste mit Beyfall verknüpfte innere Freude
über ihre Fähigkeit, so zu handeln. Dieses zeigt
deutlich genug, daß dieses moralische Gefühl be
stimmt ist, über alle andere Kräfte zu gebieten.
(Die vor
nehmsten Gegenstände
des Beyfalls sind die lieb
reichen Nei
gungen.)
VII. Lasst uns nunmehro die verschiedenen
Kräfte oder Fähigkeiten erwägen, welche dieses Ge
fühl billigt oder misbilligt. Es ist klar, daß die
ersten Gegenstände desselben die Neigungen des
Willens sind, und daß die verschiedenen Neigun
gen, welche gebilligt werden, ob sie gleich, den Gra
den nach, einander sehr unähnlich sind, dennoch alle
in der allgemeinen Bestimmung übereinkommen,
daß sie auf die Glückseligkeit anderer, und auf die
moralische Vollkommenheit der Seele, die ihre Be
sitzerin ist, abzielen. Keine Handlungen, wenn sie
auch wirklich der Gesellschaft zum Besten gereichen,
werden mit dem Beyfall, welcher für die Tugend
bestimmt ist, beschenkt, wenn sie das Ansehn haben,
daß sie aus keiner innern Wohlgewogenheit gegen
eine Person herfliessen, noch sich auf solche Fähig
keiten gründen, welche in der handelnden Person
eine Wohlgewogenheit natürlicher Weise voraus
setzen, oder wenigstens die Betrachtung des blosen
Eigennutzes ausschliessen. Die Bestrebungen
nach Ehre oder auch nach Belohnungen in der Zu
kunft, wenn man sie bey Handlungen, die wirklich
andern den grössten Nutzen verschaffen, als die ein
zigen Bewegungsgründe der handelnden Person,
ohne Liebe zu Gott, Verehrung seiner moralischen
Vortreflichkeiten, ohne Dankbarkeit gegen ihn, und
und dessen Gegenständen. 125(Vierter Abschnitt.)
ohne Wohlgewogenheit gegen die Menschen vor
aussetzet, werden den Ruhm guter moralischer Nei
gungen nicht erhalten. Und doch kan eine feste Ue
berzeugung, daß wir,[,] vermöge der Ordnungen der
Gottheit, für unsere Gutthaten künftig belohnt und
glücklich werden sollen, eine beständige und wirksa
me Ursache solcher Handlungen, oder ein Bewe
gungsgrund zu denselben seyn. Aber ein bloses
Verlangen nach eigener Glückseligkeit, ohne alle
Liebe gegen Gott oder die Menschen, ist niemals der
Gegenstand des Beyfalls. Eben dieses beweiset,
wie sehr der moralische Beyfall von der Ueberzeu
gung unterschieden sey, daß die Handlungen zu dem
Vortheil desjenigen, der sie billigt, abzielen, weil
er von einer solchen beständigen eigennützigen Ge
neigtheit, Handlungen zu unternehmen, mit wel
chen wirklich das Beste anderer verknüpft ist, eben
so grosse Vortheile hoffen kan, als von irgend einer
liebreichen Zuneigung.
Daß einige Arten von gemeinnützigen Nei(Dieses ist aus der Er
fahrung ge
wis.)
gungen, oder einige Fähigkeiten, die mit ihnen ver
bunden zu seyn scheinen, die natürlichen Gegenstän
de des Beyfalls sind; und daß die entgegengesezten
Neigungen, oder der Mangel liebreicher Gesinnun
gen die Gegenstände der Verachtung ausmachen,
wird leicht einzusehen seyn, wenn wir auf die
Gründe merken, aus welchen wir die Gemüthsar
ten und Handlungen der Menschen zu erheben oder
zu tadeln, zu billigen oder zu misbilligen gewohnt
sind. Bey allem, was wir loben oder wider einen
Tadel retten wollen, pflegen wir der handelnden
(Erstes
Buch.)
126 Von dem moralischen Gefühl,
Person eine liebreiche oder gutthätige Absicht, oder
einen wohlgemeinten Vorsatz zuzuschreiben. Wenn
durch ein Unternehmen andern ein Nachtheil zuge
zogen wird, welchen die handelnde Person entweder
zur Absicht gehabt, oder vorhergesehen hat, oder
der doch, wenn sie auf den Vortheil anderer eine
zärtliche Aufmerksamkeit gehabt hätte, leicht vorher
zusehen gewesen wäre: so wird dieses Unternehmen
für den Beweis eines bösen Herzens, oder solcher ei
gennützigen Leidenschaften, welche alle Wohlge
wogenheit und Menschenliebe überwältigen, an
gesehen.
(Anständig
keit und Würde ist
von der Tu
gend unter
schieden.)
VIII. Es ist offenbar, daß die Gegenstände
unsers Beyfalls und unsrer Verachtung, stufen
weise, von den gleichgültigen Handlungen entwe
der bis zu der höchsten Tugend hinaufsteigen, oder,
auf eben die Art, bis zu dem tiefsten Laster herab
sinken. Es ist schwer, die verschiedenen Zwischen
stufen, in der gehörigen Ordnung, genau anzuge
ben; aber die höchste und niedrigste ist leicht wahr
zunehmen. Die gleichgültigen Neigungen und
Handlungen sind diejenigen, welche, auf unschuldi
ge Vortheile der handelnden Person, abzielen, und
wodurch zwar der Gesellschaft kein Nachtheil zuge
zogen wird, die aber doch auf das Beste anderer gar
nicht gerichtet sind. Hierunter gehöret die nothwen
dige und mässige Befriedigung des Hungers und
Durstes und andre solche geringe Handlungen. Die
verschiedenen Stufen zu erklären, müssen wir, wie wir
bereits oben berührt haben, bemerken, daß, ausser
dem moralischen Beyfall, welchen die Tugend er
und dessen Gegenständen. 127(Vierter Abschnitt.)
hält, noch ein anderes Gefühl in uns vorhanden
ist, welches uns in vielen Gesinnungen und Hand
lungen, die wir nicht für tugendhaft erkennen, eine
gewisse Würde und Anständigkeit wahrnehmen lässt.
Daher kömt es, daß wir den Uebungen in schönen
Künsten und Wissenschaften, ja auch einigen
Vollkommenheiten des Körpers, als der Stärke
und der leichten und ungezwungenen Bewegung
desselben, einen höhern Werth beylegen, als der
blosen thierischen Sinnlichkeit. Eben daher rührt
es, daß wir in andern einen geschäftigten Geist, ei
ne anhaltende Arbeitsamkeit, Ueberlegung und Vor
sicht, und eine besondere Geschicklichkeit in Verrich
tungen, wenn sie nicht zur Beleidigung anderer,
obwohl ausserdem blos zur Beförderung des eige
nen Vortheils, in Absicht auf Reichthum und Eh
re, angewendet werden, allemal höher schätzen, als
eine schläfrige unthätige Trägheit.
Das ruhige Verlangen nach eigenem Vor(Eigenschaf
ten, die we
der als La
ster verwor
fen, noch als Tugen
den gebilli
get werden.)
theil wird keinesweges als ein Laster verwor
fen, ob es gleich nicht für eine Tugend angese
hen wird. Keine von den wirklich natürlichen
und eigennützigen Begierden und Leidenschaften
werden, an sich selbst, als übel verworfen, wenn
sie in gewissen Schranken bleiben; ungeachtet die
handelnde Person sie auf keinen öffentlichen Vor
theil richtet. Es war für das gemeine Beste noth
wendig, daß den Menschen solche Neigungen einge
pflanzt wurden, und es würde der Natur gerade entge
gen gewesen seyn, wenn dieselben, auch so lange sie
unschädlich bleiben, in die Reihe der verwerflichen
(Erstes
Buch.)
128 Von dem moralischen Gefühl,
Neigungen gesezt worden wären. Da also diese
eigennützigen Neigungen auf einen Endzweck ab
zielen, der für das allgemeine Beste, das heisst, für
das Beste einer jeden einzelnen Person, nothwen
dig ist, und da die Fähigkeiten, dieselben zu befrie
digen, Kräfte sind, welche als sehr nützliche Gehül
finnen der grosmüthigsten und gemeinnützigsten
Neigungen angewendet werden können: so hat sich
die Weisheit und Güte des Urhebers der Natur
darinnen geäussert, daß er uns zu der Uebung dieser
Kräfte geneigt geschaffen und ein unmittelbares
Wohlgefallen an denselben, so oft wir sie an uns
selbst oder an andern wahrnehmen, in uns gelegt
hat; ob gleich dieses Wohlgefallen von dem mora
lischen Beyfall ganz und gar unterschieden ist.
Wir haben alle von der Einrichtung der
menschlichen Natur und von einem gewissen Ver
hältnis der Neigungen, welches zu einem untadel
haften Character erfordert wird, durch das Be
wustseyn und die Erfahrung einen Begrif erlanget.
Die eigennützigen Neigungen werden alsdenn ge
misbilligt, wenn wir sehen, daß sie dieses untadel
hafte Verhältnis aufheben, die liebreichen Neigun
gen ausschliessen und überwältigen, die ganze Seele
mit Entschlüssen, die ihren eigenen Vortheil zum
Zweck haben, ausfüllen, und verursachen, daß die
handelnde Person den grosmüthigen Neigungen,
welche sie, ihrem Zustand gemäs, hätte ausüben
können, sich nicht überlassen kan.
(Grade der Tugend.)
IX. Es giebt noch eine andere Art von Eigen
schaften und Fähigkeiten einer feinern Natur, wel
und dessen Gegenständen. 129(Vierter Abschnitt.)
che zwar von der ruhigen allgemeinen Wohlgewo(Erstlich ei
nige Eigen
schaften und Fähigkeiten, die von den liebreichen
Neigungen unterschieden sind.)
genheit und von den besondern liebreichen Neigun
gen unterschieden sind; die aber dem ungeachtet
mit diesen Neigungen in einer natürlichen Ver
wandschaft stehen, natürliche Beweise derselben
sind, und die höchste Art von Selbstliebe und Sinn
lichkeit nicht neben sich leiden. Diese scheinen un
mittelbare Gegenstände des moralischen Gefühls,
obgleich vielleicht nicht die höchsten zu seyn. Sie
scheinen unmittelbar gebilligt zu werden, ehe wir
noch an diese Verwandschaft mit den uneigennützi
gen Neigungen denken, oder uns vorstellen, daß die
handelnde Person sie auf wohlgemeinte Endzwecke
richte. Von diesen moralischen Fähigkeiten giebt
es verschiedene Arten, welche alle ein unmittelbarer
Beyfall begleitet, wenn die Seele nicht sogleich
wahrnimmt, daß sie in einem lasterhaften Vorsatze
angewendet werden. So wird die Tapferkeit ge
billigt, in so fern daran gelegen ist, daß etwas mo
ralisches höher, als das Leben, geachtet werde, und
in so fern neben ihr der höchste Eigennutz gar nicht
bestehen kan. So bald man sie bey einem Raube,
oder zu blos eigennützigen Endzwecken, zur Befrie
digung der Wollust oder des Geitzes, anwenden sieht,
wird sie ein Gegenstand des Abscheues. Da Tu
gend und Unschuld allein keiner Verstellung nöthig
hat: so können die Offenherzigkeit und die Aufrich
tigkeit kaum von einem liebreichen und menschen
freundlichen Herzen getrennt seyn. Diese Eigen
schaften werden unmittelbar gebilliget, ehe wir viel
leicht noch an diese Verknüpfung denken; daher
komt es auch, daß die Wahrhaftigkeit, in unsern
(Erstes
Buch.)
130 Von dem moralischen Gefühl,
Reden, als ein unveränderlicher Grundtrieb vor
ausgesetzet wird.
(Wenn die Wahrhaftig
keit gebilliget wird.)
Ich weis nicht, ob Cicero hiervon eine rich
tige Erklärung gegeben hat, wenn er sagt, „daß
wir eine natürliche Wissensbegierde hätten, und
gegen Unwissenheit, Jrrthum und Betrug eine Ab
neigung fühlten; und daß wir dahero diejenigen
Gesinnungen billigten, welche natürliche Mittel
zur Wissenschaft sind, und uns gegen alle Hinter
gehung in Sicherheit setzen.“ Die Wahrhaftig
keit scheint, von unsrer Kindheit an, einen unmit
telbaren und innigen Beyfall von uns zu erhalten.
Wir sehen, daß der erste natürliche Trieb, in der
jungen Seele, darauf gerichtet ist, die Wahrheit zu
reden, und sie wird ihm so lange folgen, bis eine
unangenehme Erfahrung sie gelehrt hat, diesem
natürlichen Triebe entgegen zu handeln. Man
braucht hier nicht der Höflichkeit und guten Sitten
zu erwähnen; sie sind die wahre Zierde der Tu
gend, das eigentlichste Zeugnis liebreicher Neigun
gen, und erhalten dahero unsern Beyfall. Da alle
diese Fähigkeiten und Eigenschaften in dem mensch
lichen Leben von grosser Wichtigkeit sind, und den
Menschen grossen Nutzen bringen, wenn sie sich auf
liebreiche Neigungen gründen, und mit ihnen in ei
ner natürlichen Verknüpfung stehen, oder den höch
sten Eigennutz ausschliessen: so ist es ein Werk der
höchsten Weisheit und Gütigkeit, daß dieselben, ver
mittelst unsers moralischen Gefühls, unserm
Beyfall unmittelbar empfohlen werden.
und dessen Gegenständen. 131
(Vierter Abschnitt.)
Aber unter allen solchen Fähigkeiten und Ei(Verlangen nach der mo
ralischen Vortreflich
keit.)
genschaften unsrer Natur, welche von den liebreichen
Neigungen unterschieden sind, ist keine so nahe mit
ihnen verwandt, keine ein so natürlicher Beweis
derselben, keine leistet ihnen einen so unmittelba
ren und nothwendigen Beystand, als ein geübtes und
erhöhetes moralisches Gefühl selbst, ein inniges Ver
langen nach der moralischen Vortreflichkeit, nebst
einem hohen Wohlgefallen an derselben, so oft sie
wahrgenommen wird. Die Kraft oder das Ge
fühl selbst nennen wir nicht tugendhaft: aber, wo
dasselbe in einem hohen Grad anzutreffen ist, da
erregt es natürlicher Weise ein heftiges Verlangen,
alle liebreiche Neigungen zu besitzen. Es übersteigt
alle kleine Hindernisse, welche ihm in den Weg ge
legt werden, und veranlasst die Seele, daß sie alle
natürliche Mittel anwendet, sie zu erwecken. Da
nun die nachsinnende Seele ihre eigenen Kräfte zu
dem Gegenstand ihrer Betrachtung machen kan:
so erhält dieses hohe Gefühl der moralischen Vor
treflichkeit, vor allen andern Eigenschaften, einen
vorzüglichen Beyfall. Und das daher entstehende
Verlangen nach der moralischen Vortreflichkeit, die
daraus fliessende innige Liebe, Hochachtung und
Wohlgewogenheit gegen Personen, welche dieselbe
besitzen, werden als die liebenswürdigsten Neigun
gen und die höchsten Tugenden unmittelbar ge
billigt.
X. Nachdem wir diese Betrachtungen vor(Es werden die Grade
angeführt.)
ausgeschicket haben: so wollen wir folgende Grade
des Beyfalls bemerken, welchen wir Gegenständen,
die nicht blos gleichgültig sind, ertheilen.
(Erstes
Buch.)
132 Von dem moralischen Gefühl,
(Eine gewis
se Würde.)
1. Man kan zuerst die Anwendung der
männlichen Kräfte, welche zwar in keiner natürli
chen und nothwendigen Verbindung mit der Tu
gend stehen, die doch aber über Sinnlichkeit und
Eigennutz erhaben sind, als den Gegenstand einer
Art von Hochachtung und Wohlgefallen anführen.
Dergleichen sind die Uebungen in den schönen Kün
sten, äusserliche schöne und ordentliche Einrichtungen,
und die Beschäftigung mit tiefsinnigen Wissenschaf
ten. Ein jeder nimmt einen gewissen Anstand in
diesen Vergnügungen wahr, und mus das Verlan
gen nach ihnen billigen; und sie sind wirklich der
Tugend und dem allgemeinen Vortheil weit weni
ger entgegen gesezt, als die heftigen Neigungen und
Begierden einer niedern Art.
2. Es ist unterdessen klar, daß unser mora
lisches Gefühl solchen Eigenschaften und Fähigkei
ten, welche mit tugendhaften Neigungen unmittel
bar verknüpft sind, und welche die verächtliche
Selbstliebe ausschliessen, einen weit grössern Werth
beylegt. So werden Aufrichtigkeit, Wahrhaftig
keit, Tapferkeit, und ein starkes Gefühl der Ehre,
bey Bestimmung eines moralischen Preises, über
andre Fähigkeiten hinweggesezt.
(Ruhige lieb
reiche Nei
gungen er
halten mehr Beyfall als die Leiden
schaften.)
3. Um aber auf die unmittelbarern Gegen
stände des moralischen Beyfalls, die liebreichen
Neigungen selbst, zu kommen: so ist es gewis, daß,
unter Neigungen von gleichem Umfange, die ruhi
gen und überlegten Bestrebungen des Herzens von
uns mehr Beyfall erhalten, als die unruhigen Leiden
schaften; und daß wir wiederum, unter den ruhigen
und dessen Eigenschaften. 133(Vierter Abschnitt.)
Neigungen, diejenigen, welche von grösserm Umfange
sind, mehr billigen, als die eingeschränktern. So ist
eine gesezte eheliche und verwandschaftliche Liebe,
oder der ruhige überlegte Vorsatz, die wahre Glück
seligkeit der Personen, welche mit uns durch die
Bande der Ehe und Verwandschaft verknüpft sind,
zu befördern, den unruhigen zärtlichen Leidenschaf
ten vorzuziehen. Die Liebe gegen eine Gesellschaft,
oder gegen ein Land, ist schätzbarer, als die Neigun
gen, welche sich blos auf unsre Familie beziehen.
Wir können die vorzügliche Würde, welche sich in
diesen Fällen äussert, daran erkennen, daß, wenn
wir des Kampfes in unsrer Brust, und des Wider
stands der unruhigen und eingeschränktern Nei
gungen ungeachtet, den ruhigen Neigungen und
solchen, die von grösserm Umfange sind, standhaft
folgen; daß alsdenn die Seele, in den Stunden
einer tiefen Stille, und bey ihren ruhigsten Ueber
legungen, ihrem eigenen Verhalten Beyfall giebt,
und kaum jemals unterlassen wird, ein gleiches Ver
halten an andern zu billigen; wenn in diesem lez
tern Falle ihre Leidenschaften keinen Aufruhr und
Widerstand erregen. Wenn wir uns im Gegen
theil, der ruhigen und allgemeinern Neigung zuwi
der, einer Leidenschaft oder eingeschränktern Nei
gung überlassen haben, und die Seele zur Ueberle
gung zurück kehrt: so ist sie unwillig über sich selbst,
und sie misbilligt gleich beym ersten Anblick ein
gleiches Verhalten an andern.
Die vortreflichste Gemüthsart also, und die(Die höchste moralische
Vortreflich
keit;)
jenige, welche, ihrer Natur nach, sich den höchsten
(Erstes
Buch.)
134 Von dem moralischen Gefühl,
(allgemeines
Wohlwol
len.) moralischen Beyfall erwirbt, ist die ruhige, unver
änderliche, allgemeine Geneigtheit gegen das ganze
System, oder die Wohlgewogenheit im weitesten
Umfange. Und dieses scheint der unterscheidende
Begrif zu seyn, welchen wir uns von der morali
schen Vortreflichkeit der Gottheit machen können.
(und die Lie
be dieser Neigung.)
Eine andre Bestimmung, welche in den Men
schen und wahrscheinlicher Weise in allen Wesen,
die so allgemeiner Neigungen fähig sind, die vor
hererwähnte unzertrennlich begleitet, ist das Wohl
gefallen an dieser allgemeinen Wohlgewogenheit
und ein daraus herfliessendes Verlangen nach die
ser moralischen Vortreflichkeit, nebst einer Ach
tung und einem Wohlwollen, von höherer Art,
gegen alle, in welchen dieselbe angetroffen wird.
Diese Liebe der moralischen Vortreflichkeit ist eben
falls ein hoher Gegenstand des Beyfalls, wenn
wir dieselbe, vermittelst des Nachdenkens, in uns
finden, oder in andern wahrnehmen. Sie ist ei
ne, von der Wohlgewogenheit oder dem Verlan
gen, andere glücklich zu wissen, ganz und gar un
terschiedenc<unterschiedene> Neigung; und sie gehört in eine ande
re Reihe von Neigungen, so, daß nicht wohl zu be
stimmen ist, ob sie mit der andern verglichen wer
den kan. Sie scheint mit ihr verwandt, und in
ihrer Art die höchste zu seyn, die nur möglich ist.
Sie ist niemals eine Widersacherin der Wohlge
wogenheit, sie ist eine Bundsgenossin und Gehülfin
derselben. Dieses Verlangen nach der morali
schen Vortreflichkeit, diese Liebe gegen den Geist,
welcher sie besizt, und die daraus herfliessenden Em
und dessen Gegenständen. 135(Vierter Abschnitt.)
pfindungen von Achtung, Verehrung, und Ver
trauen, machen das Wesentliche der wahren Got
tesfurcht aus.
Wir reden niemals von einer Wohlgewogen
heit gegen Gott, weil dieses Wort anzeigt, daß
man in dem Gegenstand ein Bedürfnis oder den
Mangel eines Gutes voraussetzet. Gleichwie wir
aber gegen einen Freund Wohlgewogenheit em
pfinden, wenn er unsers Beystands benöthigt ist:
also wird eben diese Regung der Seele, eben diese
Gesinnung gegen ihn, noch übrig bleiben, wenn er
zu dem glücklichsten Zustande, den wir nur wün
schen können, gelanget ist; und alsdenn äussert sich
dieselbe in der Freude über seine Glückseligkeit, die
wir mit ihm zugleich fühlen. Auf diese Art kön
nen unsre Seelen, ohne alle Voraussetzung eines
Bedürfnisses, in der Gottheit, von der höchsten
innern Freude und Ergötzung an ihrer unum
schränkten und unwandelbaren Glückseligkeit, ein
genommen seyn.
XI. Es ist leicht zu bemerken, daß, von dem(Die Grade des Lasters.)
gleichgültigen Zustande der Seele an, durch die
verschiedenen Grade der moralischen Schändlichkeit
hindurch, ein gleicher Unterschied anzutreffen ist.
Der erste Grad derselben ist der Mangel der löbli
chern Fähigkeiten und Eigenschaften, welcher wirk
lich keine übeln Neigungen einschliesst, und einen
Character zwar nicht unmoralisch, aber doch ver
achtungswürdig macht. So misfällt uns das un
vernünftige Verhalten eines Mannes, blos in Ab
sicht auf seinen eigenen Vortheil, ohne an einen
(Erstes
Buch.)
136 Von dem moralischen Gefühl,
Nachtheil zu gedenken, der für die Gesellschaft
daraus entstehen könte. So erregen Unachtsam
keit, Leichtsinn, Faulheit, Trägheit, ein natürliches
Misfallen, ohne daß wir auf ihre Wirkungen in
der Gesellschaft acht haben. So verachten wir eine
Seele, die gegen das männlichere Vergnügen,
welches Künste und schöne Wissenschaften gewäh
ren, unempfindlich ist. Wenn ein Verhalten, das,
in Absicht auf den eigenen Vortheil, unvernünftig
ist, auch auf den öffentlichen einen nachtheiligen
Einflus hat, oder, ausser der handelnden Person,
noch einige andre Personen betrift, deren Vortheil
dieselbe hätte in Betrachtung ziehen sollen: alsdenn
verdient dieses Verhalten einen höhern Grad der
moralischen Verwerfung. Die Schwäche der Ta
lente und Fähigkeiten, welche eine Frucht der Träg
heit und Sinnlichkeit ist, und ein Mangel an edel
müthigen Neigungen haben ein gleiches Schicksal
zu gewarten.
1. Die Gegenstände des gelindesten mora
lischen Misfallens oder Tadels sind die Fälle, wenn
man, bey Befriedigung einer anständigen einge
schränktern Neigung, dasjenige aus der Acht ge
lassen hat, was das allgemeine Beste mehr beför
dert haben würde. Ein solcher Fall komt vor,
wenn man, bey Besetzung einer Bedienung, einen
guten Freund oder einen Wohlthäter einer andern
Person vorzieht, welche mehr Verdienste und Ge
schicklichkeit besitzt. Wenn jemand bey einer sol
chen Gelegenheit sich selbst einem Freunde von ge
ringern Verdiensten nachsetzet: so kan dieses wirk
und dessen Gegenständen. 137(Vierter Abschnitt.)
lich für einen Mangel eines gehörigen Verhält
nisses unter diesen anständigen Neigungen angese
hen werden, da auf diese Art die eingeschränktere
einer andern von weiterm Umfange vorgezogen
wird. Allein die moralische Schönheit einiger ein
geschränkten Neigungen ist so gros, daß wir einige
Mängel, in andern von grösserm Umfange, willig
übersehen. Ein ähnlicher Fall ist es, wenn je
mand einem Freunde Dienste leistet, die ihm so
viel Unruhe und Verlust kosten, daß sie den Werth
des Guten, welches er seinem Freunde verschaft,
weit übersteigen, und ihn vielleicht zu einigen künf
tigen wichtigern Gefälligkeiten unfähig machen.
Wenn aber jemand einen Freund von gleichen Ver
diensten sich selbst vorzieht; so wird das gemeine
Beste dadurch eben sowohl befördert, und überdie
ses eine liebenswürdige Neigung der Freundschaft
befriedigt. Und doch kan das entgegengesetzte
Verhalten, wenn nicht ganz besondere Umstände
einem Freund das Wort reden, nicht als unmora
lisch gemisbilliget werden.
2. Andere Gegenstände eines geringern Ta
dels sind die dem gemeinen Besten nachtheiligen
Handlungen, welche eine Person zu unternehmen
genöthiget wird, um dadurch dem Tod, der Mar
ter oder der Sclaverey zu entgehen; wenn auch
der gemeine Nachtheil grösser seyn sollte, als die Uebel,
welche diese Person vermeidet. In diesem Falle
kan die handelnde Person keine übeln Gesinnungen
haben; ja, sie kan grosmüthige Neigungen besitzen,
ob sie gleich nicht von der heroischen Stärke sind,
(Erstes
Buch.)
138 Von dem moralischen Gefühl,
welche das moralische Gefühl empfehlen würde.
Die Schuld wird durch die Grösse der Versuchung,
welcher zu widerstehen wenige Muth genug haben,
ausserordentlich vermindert. Zu einen untadel
haften Character, erfordern wir nicht nur die Ab
wesenheit aller boshaften Verfassungen des Ge
müths, sondern auch gute Neigungen, und zwar
solche, die von einem grossen Umfange sind; nebst
einer Sorgfalt für die Vortheile anderer. Der ei
gentliche Grad ist nicht so genau zu bestimmen; es
ist auch dieses nicht nothwendig. Je stärker die
grosmüthigen Neigungen sind, und je grösser ihr
Umfang ist, desto besser ist die Gemüthsbeschaffen
heit; je schwächer sie sind, und je mehr die entge
gengesezten und eingeschränktern die Oberhand be
halten, desto schlimmer ist die Verfassung des Ge
müths. Es ist unsre Pflicht, nach der höchsten
moralischen Vortreflichkeit zu trachten, und nicht
blos damit zufrieden zu seyn, daß wir Unehre und
Tadel vermeiden.
3. Ein andrer Grad des Lasters sind die
plötzlichen Gemüthsbewegungen des Zorns, der Ahn
dung und des Unwillens bey Veranlassungen, die
wir entweder in einem ganz falschen Gesichtspuncte
betrachten, oder ohne alle gegründete Ursachen uns
selbst vergrössern. Wenn diese Leidenschaften zu
Beleidigungen Anlas geben: so sind sie lasterhaft,
obgleich nicht im höchsten Grade; wenn sie aber
durch lange Nachsicht, sich in eine immerwährende
Feindscligkeit<Feindseligkeit>, in eine überlegte Bosheit und Rach
gier verwandeln: so machen sie den hassenswürdig
sten Character aus.
und dessen Gegenständen. 139
(Vierter Abschnitt.)
4. Eine Art von häslichern Lastern ist,
wenn sich die Menschen von eigennützigen Leiden
schaften und sinnlichen Begierden zu ähnlichen Be
leidigungen verleiten lassen. Dieses sind schlim
mere und schwächere Entschuldigungen eines Ver
gehens, als die Leidenschaften des Zorns und der
Rachgier.
5. Noch verabscheuenswürdiger sind die Be
leidigungen, welche aus einem ruhigen Triebe nach
eigenem Vortheil, mit überlegtem Vorsatz und in
der Ueberzeugung, daß es Beleidigungen sind, an
dern zugefügt werden. In diesen Fällen mus das
moralische Gefühl ganz überwältigt und seiner na
türlichen Macht in der Seele beraubt seyn; alle
Menschenliebe mus unterliegen. Ein ähnlicher
Fall ist es, wenn die Menschen, aus blosem Eigen
nutz, ohne alle unruhige Versuchung, ohne alle
Absicht auf das gemeine Beste, ihren moralischen
Empfindungen entgegen handeln, und wenn Falsch
heit, Betrug und Undankbarkeit, eine niederträch
tige Furcht vor dem Verlust einiger Vortheils,
welcher keine solche Uebel nach sich zieht, die einen
rechtschaffenen Mann beunruhigen dürften, die
Triebfedern ihrer Unternehmungen sind.
6. In diese Classc<Classe>, oder in eine noch ver
abscheuenswürdigere, gehöret die Gottlosigkeit, oder
der Mangel der gebührenden Neigungen gegen
Gott, wenn man weis und erkennt, daß er ein voll
kommen gutes Wesen sey. Unser moralisches Ge
fühl mus im tiefsten Schlummer liegen, wenn das
Verlangen ermangelt, die höchste Vortreflichkeit zu
(Erstes
Buch.)
140 Von dem moralischen Gefühl,
kennen, und, wenn man sie kennt, sie zu lieben;
oder wenn man sich nicht bemühet, ehrfurchtsvolle
Regungen der Dankbarkeit für die grössten Wohl
thaten, die wir empfangen haben, und die jeden Au
genblick wiederholet werden, zu unterhalten.
Eine abscheulichere Gemüthsart, die sich zwar
überhaupt denken lässt, die aber bey dem menschli
chen Geschlechte oder bey Geschöpfen einer gütigen
Gottheit kaum anzutreffen seyn wird, ist eine be
ständige, ursprüngliche Bosheit, oder ein Verlan
gen, andere elend zu sehen, ohne von der Betrach
tung des Eigennutzes dazu bewogen zu werden.
(Das mora
lische Gefühl bringt alle unsre Kräfte in Ordnung.)
XII. Ein Geschöpf, in welchem eine solche
Verschiedenheit von empfindenden Kräften, und
von Begierden, die einander so oft entgegen sind,
angetroffen wird, müste eine Zusammensetzung,
ohne Ordnung, ohne Regelmäsigkeit, ohne Absicht,
zu seyn scheinen; wenn das moralische Gefühl nicht
in genaue Betrachtung gezogen würde. Vermit
telst desselben sind alle Kräfte und Begierden einer
Harmonie fähig; sie können alle, bey einem Ziele,
zusammen treffen, und alle in Eintracht neben ein
ander bestehen. Es ist schon bewiesen, daß wir
verschiedener grosmüthiger Neigungen fähig sind,
welche das Beste anderer zum lezten Gegenstand
haben, und weder aus der Betrachtung eines Ei
gennutzes entstehen, noch auf die Erreichung eines
eigenen Vortheils abzielen. Das moralische Ge
fühl zeigt deutlich, daß wir auch einer ruhigen all
gemeinen Wohlgewogenheit fähig sind, und daß
diese, als die höchste grosmüthige Bestimmung, zur
und dessen Gegenständen. 141(Vierter Abschnitt.)
Regentin unsrer besondern gemeinnützigen und ei
gennützigen Neigungen versehen sey. Die Seele
mus, in den ruhigen Stunden der Ueberlegung, sich
selbst den innigsten Beyfall geben, wenn sie auf die
se Art handelt. In Ansehung der Neigungen, die
auf uns selbst gerichtet sind, hält unsre Selbstliebe,
oder unsre ruhige Betrachtung des grössten eigenen
Vortheils, unsre besonderen eigennützigen Leiden
schaften zurück, und die Seele ist über sich vergnügt,
wenn sie auf diese Art handelt.
Wenn man zugiebt, daß die verschiedenen(Die ruhige Selbstliebe ist nicht der
höchste Grundtrieb.)
grosmüthigen Neigungen einer eingeschränkteren
Art, natürlich sind; und doch behauptet, daß kein
allgemeiner Grundtrieb vorhanden sey, als die
Selbstliebe, welche den grosmüthigen Neigungen
nachgiebt, oder ihnen Einhalt thut, nachdem sie
unsern eigenen grössten Vortheil befördern oder hin
dern; welche zuweilen diesen liebreichen Neigungen
in Absicht auf das hohe Vergnügen, das wir von
der Befriedigung derselben erwarten, ihre völlige
Freyheit erlaubet; zu andrer Zeit aber ihnen Grän
zen setzt, wenn ihre Belustigung den Verlust,
welchen wir dadurch befürchten, nicht überwieget:
so ist dieses ein System, welches wirklich unter
allen Kräften der Seele, durch die Voraussetzung,
daß wir dieselbe bey unsern Ueberlegungen, wie un
ser Verhalten einzurichten sey, alle auf das Ver
langen nach unsrer eignen Glückseligkeit richten,
eine gewisse Eintracht stiftet; und man kan mit
Recht behaupten, daß der Urheber der Natur, zwi
schen der Befriedigung unsrer grosmüthigen Nei
(Erstes
Buch.)
142 Von dem moralischen Gefühl,
gungen und unserm eigenen höchsten Vortheil, eine
entfernte Verknüpfung gemacht habe. Allein die
Empfindungen unsers Herzens, die Vernunft, und
die Geschichte empören sich wider dieses System,
welches dem ungeachtet einige vortrefliche Schrift
steller und eifrige Vertheidiger der Sache der Tu
gend angenommen zu haben scheinen.
Diese Verknüpfung unsers eigenen höchsten Vor
theils mit der Befriedigung unsrer grosmüthigen Nei
gungen ist, in vielen Fällen, der liebreichen Seele
unmerkbar, und sie handelt nach ihren grosmüthi
gen Triebe, ohne an ihren eigenen Vortheil zu den
ken. Ja, sie nimmt zuweilen wahr, daß ihr gan
zer eigener Vortheil der grosmüthigen Neigung, die
sie befriedigen will, entgegen sey, und neben ihr
nicht bestehen könne. Wenn keine andre ruhige
ursprüngliche Bestimmung in unsrer Seele wäre,
als der Trieb nach unsern eigenen Vortheil: so wür
de sich derjenige den vollkommensten Beyfall zu
versprechen haben, welcher nur seine eigene Glück
seligkeit, allen liebreichen Neigungen, und dem all
gemeinen Besten zuwider, beständig beförderte.
Das, was die einzige ruhige Bestimmung ist, mus
jede Handlung, die aus ihr fliesst, rechtfertigen,
wenn sie auch den besondern liebreichen Neigungen
noch so sehr entgegen wäre. Wenn man sagen
wollte: „es sey ein Jrrthum, wenn man sich ein
bilde, daß unser Vortheil denselben entgegen sey,
so lange es eine gütige Vorsicht gebe“: so mag
man zugeben, daß es ein Jrrthum sey; dieses ist
blos ein Fehler des Verstandes. Allein die Ver
und dessen Gegenständen. 143(Vierter Abschnitt.)
fassung des Herzens, welches den Vortheil des
Ganzen seinem eigenen Vortheil, mit Vorsatz auf
opfert, müste nach diesem System, einen morali
schen Beyfall erhalten. Dieses aber ist den Em
pfindungen unsers Herzens offenbar zuwider.
Kan dieses die einzige lezte Bestimmung, der(Eine andre lezte Bestim
mung des Willens in Absicht auf das gemeine Beste.)
einzige lezte Endzweck seyn, welchem die Seele, bey
Ausübung ihrer edelsten Kräfte, mit einem innern
Beyfall, vorsätzlich entgegen zu handeln sich ent
schliessen kan? Hat man keine Beyspiele von Men
schen, welche, ohne an einen künftigen Zustand zu
denken, ihr Leben, zum Besten ihrer Freunde oder
ihres Vaterlandes, willig aufgeopfert haben? Wird
nicht diese Gemüthsart und dieses Verhalten von
einem jeden Herzen gebilliget und desto mehr bewun
dert, je weniger man muthmassen kan, daß die Lie
be der Ehre und des Nachruhms, oder ein andrer
Eigennutz sich unter die grosmüthigen Neigungen
gemischt habe? Nimmt nicht die Bewunderung
desto mehr zu, wenn solche Entschliessungen, mit
Ueberlegung, gefasset und ausgeführet werden? Al
les dieses ist ganz unstreitig wahr; und dennoch
würde dieses alles seltsam und unmöglich seyn,
woferne der Eigennutz der einzige lezte Endzweck
eines jeden ruhigen Verlangens seyn sollte. Es
ist dahero eine andre lezte Bestimmung vorhan
den, deren unsre Seelen fähig sind, und welche
bestimmt ist, die ursprüngliche Quelle der ruhig
sten und überlegtesten Handlungen zu seyn; ein
Verlangen, andre glücklich zu machen, eine lezte
Wohlgewogenheit, welche auf keinen eigenen
(Erstes
Buch.)
144 Von dem moralischen Gefühl,
Vortheil sich bezieht, und oft, ohne eine solche Be
ziehung, wirkt.
(Das mo
ralische Ge
fühl ist be
stimmt alle andere Kräfte in Schranken zu halten.)
Wenn Fälle vorkommen, wo diese zwo Be
stimmungen nicht neben einander bestehen können:
so bezeichnet und empfiehlt das moralische Gefühl,
auf einmal, die edlen liebreichen Gesinnungen;
aber ohne alle schmeichlerische Vorstellung eines
künftigen Vortheils einer höhern Art, welcher in
den Reizungen des innern Beyfalls und des Lobes
der Welt liegt. Dieses Gefühl empfiehlt die ge
meinnützigen Neigungen, vermittelst einer unmit
telbaren Empfindung, die wir nicht zu erklären wis
sen: es billigt die edelmüthigen Regungen des Her
zens, welche diejenigen verrathen, die selbst ihr Le
ben aufzuopfern bereit sind, ohne daß sie von den
Ueberlebenden etwas hoffen, oder das zukünftige
Leben in einer andern Welt, in Betrachtung ziehen.
Wenn also das moralische Gefühl, mit seiner gan
zen Kraft, wirkt: so wird durch die von der Natur
ihm ertheilte gebieterische Gewalt, die grosmüthi
ge Bestimmung, deren Gegenstand die allgemei
ne Glückseligkeit ist, zu der höchsten in der Seele
erhoben.
Man wird ohne Mühe einsehen, daß wir
hier nicht von der ordentlichen Beschaffenheit der
Menschen reden. Wir sind nicht in den Gedan
ken, daß diese ruhigen Bestimmungen, allemal ausge
übet werden, und daß sie die besondern Leidenschaften
beständig zurück zu halten pflegen. Wir reden von
der Beschaffenheit unserer Natur, zu welcher sie,
durch gehörige Bildung, gelangen kan; und von
und dessen Gegenständen. 145(Vierter Abschnitt.)
den ursprünglichen Trieben, welche in uns wirken
können und sollen, wenn wir der Seele solche Ge
genstände vorstellen, welche fähig sind, dieselben zu
erregen. Ohne Zweifel haben einige gutartige
Menschen nur die besondern liebreichen Neigungen
in ihrem Leben ausgeübt, und eine innere Zufrie
denheit darüber empfunden, ohne daß sie auf das
ganze System gesehen, und die allgemeinste Wohl
gewogenheit zu ihrem Gegenstand gemacht haben.
Kaum haben einige Lasterhafte jemals ihre höchste
eigene Glückseligkeit vor Augen gehabt, und in der
Absicht sie zu befördern, sich der ruhigen, überlegten
Selbstliebe überlassen; sie haben vielmehr ihren ei
gennützigen Begierden und Leidenschaften, ohne die
se Ueberlegung, die Herrschaft eingeräumt. Noch
weniger haben alle tugendhafte Menschen wirklich
alle ihre eigennützigen und gemeinnützigen Neigun
gen auf die allgemeinste Wohlgewogenheit gerich
tet, ob es gleich der Seele möglich ist. Eben so
wenig haben jemals alle bösartige Menschen alle
ihre Neigungen der ruhigen Selbstliebe unterwür
fig gemacht.
XIII. Da aber die eigennützigen Triebe sehr
stark sind, und in den meisten Menschen, durch
Hülfe der Gewohnheit und einer frühzeitigen und
langen Nachsicht, sich über ihr geseztes Ziel erhe
ben; die grosmüthigen Neigungen hingegen wenig
geachtet werden, und das moralische Gefühl oft
entschlummert: so ist es höchstnothwendig, daß wir
unsre Kräfte anwenden, unsre Neigungen, in einer
guten Ordnung, zu erhalten, und das moralische
(Erstes
Buch.)
146 Das Gefühl der Ehre und Schande,
Gefühl zu stärken. Wir müssen die verschiede
nen Vergnügungen, deren unsre Natur fähig
ist, mit einander vergleichen, damit wir diejenigen
entdecken, welche den meisten Einflus auf unsre
Glückseligkeit haben. Wir müssen unsre ganze
Kraft zu denken anwenden, zu der Erkäntnis zu
gelangen, daß ein regierender Geist diese Welt
beherrsche, und daß es eine moralische Austheilung
gebe. Diese Betrachtungen müssen uns zu der
Ueberzeugung führen, daß alle grosmüthige Re
gungen der Seele und die eigennützigen Neigungen
sehr wohl neben einander bestehen können; sie müs
sen uns lehren, eine solche Einrichtung unsers gan
zen Lebens zu machen, und ein solches Verhalten zu
erwählen, welches diesen beyden Bestimmungen am
gemässesten ist. Dieses soll den Inhalt einiger
folgenden Abschnitte ausmachen. Vorhero aber
wollen wir das moralische Gefühl, durch das Ge
fühl der Ehre noch mehr ins Licht zu setzen, die All
gemeinheit beyder zu zeigen, und sodann zu bestim
men suchen, in wie fern sie einander ähnlich zu seyn
scheinen.
Der, fünfte Abschnitt,
Das Gefühl der Ehre und Schande wird er
klärt. Die Allgemeinheit desselben und des
moralischen Gefühls, und ihre
Gleichförmigkeit.
(Das Ge
fühl der Ehre ist ein un
mittelbarer Trieb.)
I.Wenn wir auf unsre Empfindungen auf
merksam sind: so müssen wir wahrneh
men, daß es nicht nur gewisse Neigungen und
und ihre Gleichförmigkeit. 147(Fünfter Abschnitt.)
Handlungen giebt, welche wir von Natur billigen,
hochachten und rühmen, sondern, daß auch in uns
eine unmittelbare angenehme Empfindung entsteht,
wenn wir von andern, hochgeachtet und gepriesen
werden; und daß es uns unangenehm ist, wenn man
uns tadelt oder verachtet. Wir fühlen dieses, oh
ne davon einen andern Vortheil oder Nachtheil zu
hoffen, oder zu fürchten. Eine genauere Be
trachtung des Gefühls der Ehre und Schande wird
die vorhergehende Erklärung des moralischen
Gefühls ungemein bekräftigen.
Diejenigen, welche glauben, daß alle Re(Ohne Ab
sicht auf ei
nigen Vor
theil.)
gungen des Herzens auf den Eigennutz sich bezie
hen, und welche alle unsre empfindenden Kräfte,
durch eine künstliche Richtung, auf eine sehr kleine
Anzahl einschränken wollen, entfernen sich, in ih
rer Erklärung dieser Bestimmungen, besonders in
Absicht auf Ehre und Schande, welche unter allen
Menschen gemein sind, unendlich weit von der
Natur.
Sie sagen uns, „wenn eine Person von uns
geehrt würde; so sey dieses nichts weiter, als eine
Meinung, daß unser Vortheil von ihr abhange.
Dieser Vortheil sey entweder ein wirklicher, oder
ein eingebildeter. In Absicht auf den ersten,
werde der Edelmüthige und Wohlthätige, mit wel
chem wir in Verbindung stehen, und welcher uns
nützliche Dienste geleistet hat, von uns geehrt.
In Ansehung des andern aber ehrten wir die
Helden alter Zeiten oder entfernter Völker, in
dem wir sie in Gedanken zu unsern Zeitgenossen“
(Erstes
Buch.)
148 Das Gefühl der Ehre und Schande,
„und Landsleuten machten, oder glaubten, daß sie
uns viele Vortheile verschaft haben würden, wenn
wir mit ihnen in Verbindung gestanden hätten.
Unsre Hochachtung bestehe also blos darinnen, daß
wir uns einen Character oder ein Verhalten, als
uns nützlich vorstellten, und ihm in dieser Be
trachtung unsern Beyfall ertheilten.“ Sie sa
gen weiter, „wir verlangten geehrt, und dafür an
gesehen zu seyn, daß wir andern nützlich seyn kön
ten, nicht aus einer unmittelbaren Empfindung,
sondern weil wir wüsten, daß die Menschen dar
auf bedacht wären, denjenigen, die sie ehrten, und
von welchen sie sich Vortheile versprächen, Gefällig
keiten zu erzeigen. Dieses geschähe aber nicht aus
einer uneigennützigen Liebe zu ihnen, sondern in
der Absicht, ihnen noch mehrere Vortheile abzu
locken; und, in der Hofnung von denjenigen,
welche uns für nützlich halten, solche Gefälligkei
ten zu erlangen, verlangten wir andern die Mei
nung von uns beyzubringen, daß wir ihnen nütz
lich seyn könten.“ Es ist unangenehm, sich bey
einem System aufzuhalten, welches den unmit
telbaren Empfindungen des Herzens so sehr wi
derspricht.
(Dieses wird durch ver
schiedene
Gründe be
wiesen.)
Nach diesem System müste derjenige, welcher
eine handelnde Person ehret, und die handelnde
Person, welche ihr eigenes Verhalten billigt, von
einer einzigen Handlung die entgegengeseztesten Be
griffe haben. Jener müste dieselbe blos um des
willen für schätzbar halten, weil sie auf seine Ruhe,
oder Sicherheit, sein Vergnügen oder Reichthum
und ihre Gleichförmigkeit. 149(Fünfter Abschnitt.)
abzielet; die handelnde Person hingegen müste die
selbe, als einen Kunstgrif, als ein nothwendiges,
aber unangenehmes Mittel, ansehen, einige ent
fernte Vortheile von andern zu erhalten, die wahr
scheinlicher Weise ihn durch einige Gegengefälligkei
ten bewegen würden, dieses Verhalten gegen sie
fortzusetzen. Allein es ist unläugbar, daß wir
viele Gesinnungen und Handlungen, welche uns,
oder auch einer ganzen Gesellschaft, nützlich sind,
nicht hochachten; dergleichen ist eine nützliche Ver
rätherey, ein eigennütziger erfindsamer Fleis in Ver
besserung der Manufacturen, eine unüberlegte
Verschwendung. Ja, bisweilen achten wir etwas
hoch, das wir für schädlich erkennen; als die Liebe
des Vaterlands an einem Fremden; den Muth an
einem Feinde. Soll hier eine dunkle Einbil
dung eines Nutzens gegen die deutliche Vorstellung
unsers Nachtheils in Betrachtung kommen? Wer
findet in sich diese Einbildung eines eigenen Vor
theils bey Lesung alter Geschichtschreiber, oder dra
matischer Schriftsteller, von welchen die Seele durch
die verschiedenen moralischen Bilder so stark be
wegt wird?
Ueberdieses kan die Vorstellung, daß meine
Gesinnungen und mein Verhalten das Beste ande
rer befördern, nach ihrem System für mich nichts
unmittelbar Angenehmes haben. Kan diese kalte
und ungewisse Hofnung eines Gegendienstes,
oder Vortheils, welche man den eigennützigen
Kunstgriffen anderer verdanken soll, bey einem un
zweifelhaften und gewissen Aufwand, bey gewissen
Bemühungen, bey gewissen Wunden, bey einem
(Erstes
Buch.)
150 Das Gefühl der Ehr und Schande,
gewissen Tode einigen Reitz haben? Woher ent
stünde denn die Liebe zum Nachruhm? Alles die
ses ist ungeheuer und unnatürlich. Ist alle unsre
Bewunderung, des Tapfern, des Mitleidigen, des
Uneigennützigen, des Edelmüthigen; ist der Ei
fer, mit welchem wir an ihrem Schicksal Theil
nehmen; ist unsre Liebe, ist unser heftiger Trieb
zur Ehre; ist dieses nichts weiter, als ein solcher
kaltsinniger Handel, ein solcher gekünstelter Tausch
von eigennützigen Dienstleistungen, ohne einen
ausdrücklichen Vertrag? Wir berufen uns hierin
nen auf ein jedes menschliches Herz; auf das Herz
der Jugend, welche am begierigsten ist, zu loben,
und über ein erhaltenes Lob sich am meisten freuet;
und welche von dem niedrigen Eigennutz am we
nigsten weis. Ist alle Hochachtung und Ehre
blos eine kalte Vorstellung, daß wir von einigen
Handlungen und Neigungen Vortheile einerndten
werden? Ist das verwirrende Gefühl der
Schaam, und die Erröthung nichts, als die Furcht
eines ungewissen Verlusts, von welchem wir nicht
wissen, was er sey, oder wie er uns begegnen
wird? Sind sich nicht die Menschen ihrer eigenen
Entschlüsse, die Ehre zu suchen; ihrer eigenen
Sorgfalt, das zu vermeiden, worüber man sich zu
schämen hat; und der Veranlassung des Schmer
zes, wenn sie beschämt worden sind, bewust? Ge
wis, diese gekünstelten Absichten auf unsern Vor
theil könten uns nicht unbekant seyn.
(Dieses Ge
fühl äussert sich in den er
sten Jahren.)
II. Es ist also eine unmittelbare Empfindung
der Ehre und Schande in uns vorhanden, welche
und ihre Gleichförmigkeit. 151(Fünfter Abschnitt.)
auch oft da wirkt, wo keine eigennützigen Absichten
sind, und welche ein moralisches Gefühl vor
aussezt. Sie äussert sich in allen Menschen schon
in den ersten Jahren ihres Lebens, ehe noch ein hin
längliches Nachdenken in ihnen Begriffe von dem,
was sittlich ist, festgesezt haben kan. Ehe wir
noch einsehen können, daß wir der Anführung an
derer, durch eine weise und gütige Einrichtung, un
terworfen sind, werden wir schon durch die ange
nehmste Empfindung, für unser gefälliges Verhal
ten, belohnet, und hingegen schreckt uns die unan
genehmste Empfindung ab, eigensinnig und hals
starrig zu seyn. Wenn man dieses Gefühl durch
die Absicht auf unsern eignen Vortheil erklärt: so
würden dadurch alle Regungen der Ehre, der Nie
derträchtigkeit eines Verräthers gleich gesezt, wel
cher in der Hofnung, eine Belohnung zu erhal
ten, das Ansehen haben will, als ob er andern
nützlich sey. Diese Erklärung kan uns keine besse
re Begriffe von der Bescheidenheit, von dem Ge
fühl der Schande, und von dem Abscheu gegen ei
ne Zurechnung der moralischen Schändlichkeit, dem
pudore der Römer, welcher den edelsten Zug eines
Characters ausmacht, beybringen.
Wir sehen, daß diese Empfindung der Ehre,(Es sind ver
schiedene Grade des
sen, was Ehre und Schande
bringt.)
eben sowohl, als das moralische Gefühl, worauf
sie sich gründet, verschiedene Grade zulässt. Vermöge
des natürlichen Verlangens nach der Vollkommen
heit aller unsrer Kräfte und des Gefühls der Anstän
digkeit und Würde, welche wir in einigen darunter
vor andern wahrnehmen, empfinden wir ein natür
(Erstes
Buch.)
152 Das Gefühl der Ehre und Schande,
liches Vergnügen, wenn wir wahrnehmen, daß an
dere die Vollkommenheit einiger männlichen Kräf
te besitzen, und aus dieser Ursache hochgeschätzet
werden. Dahero kan ein Geschmack in der Musik,
in der Bildhauerkunst, der Mahlerey, und auch in
einigen männlichen Belustigungen, sich Achtung er
werben. Ein wohleingerichtetes Leben, die Pracht
in Kleidern, in Gebäuden, im Hausgeräthe, kan
unter gewissen Umständen rühmlich seyn. Ein
grösseres Lob haben die höhern Fähigkeiten, ein
Geist, der die Wissenschaften erweitert, eine feurige
Einbildungskraft des Dichters und des Redners zu
erwarten. Dieses leztere gründet sich augenschein
lich auf ein höheres und moralisches Gefühl.
Aber wir wollen näher auf das Gefühl des
Vergnügens über den moralischen Beyfall kom
men. Alle Handlungen, welche aus einer liebrei
chen Neigung entspringen, und keiner andern, von
einem grössern Umfange, entgegen sind, unterneh
men wir mit Zuversicht und Freymüthigkeit,
und wir rechnen sie uns zur Ehre. Die sinnli
chen Leidenschaften, bösartige Neigungen von Zorn,
Feindseligkeit und selbst den ruhigen Trieb nach
Eigennutz, suchen wir von Natur zu verbergen;
und wir rechnen sie uns zur Schande.
(Die Scham
haftigkeit ist beyden Ge
schlechtern natürlich.)
III. Wir können hier die besondere Art von
Schamhaftigkeit nicht übergehen, welche, in Ab
sicht auf das venerische Vergnügen, sich in allen
Altern und Völkern so sehr äussert. Es ist uns
ein sehr heftiger Trieb zu den Unternehmungen,
welche in dem System am nothwendigsten sind, ein
und ihre Gleichförmigkeit. 153(Fünfter Abschnitt.)
gepflanzt. Damit aber derselbe seinen Endzweck
nicht verfehlen möge: so mus er durch unsre Ver
nunft und durch die Betrachtung des allgemeinen
Vortheils der Gesellschaft, sehr sorgfältig in Ord
nung erhalten werden. Es rührt von der grössten
Weisheit und Gütigkeit her, daß dieser Trieb,
durch eine natürliche Schamhaftigkeit, die sich schon
in jungen Jahren äussert, in Schranken gehalten
wird. Man wird an Kindern, die keinen Unter
richt erlangt haben, diese Schamhaftigkeit nicht so
zeitig wahrnehmen, und sie haben auch einige Jah
re lang, keinen Begrif von dem Gegenstand und
der Absicht derselben, da der Trieb in unsrer Kind
heit nicht entstehet. Wenn wir uns Wilde vor
stellen, welche in Wüsteneyen erwachsen sind, und
die niemals Gegenstände um sich gehabt ha
ben, wodurch gesellige Neigungen und moralische
Begriffe in ihnen hätten erweckt werden können:
so möchten in diesem unnatürlichen Zustande keine
natürlichen Triebe wahrgenommen werden. So bald
sie aber in Gesellschaft gebracht würden, und so bald
sie die Handlungen und Empfindungen anderer
vor Augen sähen; so bald würde sich das morali
sche Gefühl und die Empfindung von Ehre und
Schande entdecken; und besonders würde sich diese
natürliche Schamhaftigkeit geschwind an ihnen
äussern. So wie sie alle menschenfreundliche und
liebreiche Gesinnungen, wenn sie auch auf andere ge
richtet wären, billigen, und die entgegengesezte Ge
müthsart verabscheuen würden; eben so würden sie
alle Sinnlichkeit und eigennützige Neigungen verach
ten. So bald sie erfahren würden, wie das mensch
(Erstes
Buch.)
154 Das Gefühl der Ehre und Schande,
liche Geschlecht erhalten wird; so bald würden sie,
nach ehelichen Verbindungen und nach Abkömlingen,
Verlangen tragen; und wenn sie die Veranlas
sung dieser natürlichen Schamhaftigkeit fühlen und
die Absicht des Triebes einsehen würden: so würde
sich in ihnen die natürliche schamhafte Empfin
dung entdecken.
So bald man einsieht, daß die strenge Be
obachtung der ehelichen Gesetze nothwendig ist, wofer
ne die Väter, wegen ihrer eigenen Abkömlinge, ge
wis seyn sollen: so bald finden sich neue Gründe,
sich schamhaft zu verhalten, und bey Erziehung
beyder Geschlechter darauf zu sehen, daß sie zu diesem
Verhalten frühzeitig gewöhnt werden mögen. Allein
über dieses scheint es noch verschiedene natürliche Fä
higkeiten und Empfindungen zu geben, welche sich
hierauf besonders beziehen, und von der allgemeinen
Neigung, sich aller unmässigen Begierden zu schä
men, unterschieden sind. Unter diese gehöret be
sonders der Trieb zur Sittsamkeit. Diese leztere
fängt sich zu der Zeit an, wenn der Trieb, dem sie
Einhalt thun mus, entstehet, und sie scheint in
dem Alter, mit dem Triebe zugleich, schwach zu
werden.
IV. Da wir eine natürliche Fähigkeit zu mo
ralischen Begriffen besitzen: so werden wir über
Handlungen beschämt werden, ohne die wahren Ur
sachen zu wissen, warum sie unmoralisch sind.
Durch die Erziehung werden uns ungegründete
Vorurtheile und Meinungen von Eigenschaften,
die wir vermittelst einiger unsrer empfindenden
Kräfte wahrnehmen, beygebracht, und wir stehen
und ihre Gleichförmigkeit. 155(Fünfter Abschnitt.)
in der Einbildung, als ob dieselben in einigen Ge
genständen angetroffen würden, wo sie nicht sind.
So sind wir, wider gewisse Speisen, eingenommen,
die wir niemals gekostet haben; wir könten aber,
in Absicht auf diesen Geschmack, keine Vorurtheile
haben, wenn wir nicht diesen Sinn von der Natur
empfangen hätten. Auf gleiche Art werden wir durch
gewisse Vorstellungen, welche uns das moralische Ge
fühl anpreiset, veranlasset, entweder andre zu loben,
oder von andern Lob zu verlangen, ob wir gleich
gemeiniglich von den Absichten der Handlungen,
und von den Neigungen, aus welchen sie herflies
sen, sehr unvollkommene Begriffe haben.
Was wir von dem moralischen Gefühl
angemerkt haben, bezieht sich auch auf unsre Em
pfindung der Ehre. Wir haben nämlich über den
Beyfall anderer ein ungemeines Vergnügen, und
zwar nicht nur wegen der guten Neigungen selbst,
sondern auch wegen aller derjenigen Fähigkeiten und
Gesinnungen, welche ihre natürlichen Begleiterinnen
sind, und die entgegengesezten Neigungen ausschlies
sen. So rechnen wir uns Tapferkeit, Wahrhaftig
keit, Aufrichtigkeit, Offenherzigkeit, und die Ruhmbe
gierde selbst zur Ehre, ungeachtet wir wissen, daß
das Vergnügen, welches aus dem erhaltenen Lo
be entspringt, so stark ist, und, daß so vieler Ver
dacht, beneidet zu werden, daher entstehet, daß die
Menschen sich hüten, ein ungedultiges Verlangen
nach diesem Vergnügen zu verrathen, oder die Ent
zückungen, in welche sie von ihm gesezt werden, bli
cken zu lassen, damit sie nicht einer zu grossen Ei
genliebe beschuldiget werden mögen.
(Erstes
Buch.)
156 Das Gefühl der Ehre und Schande,
(Das mora
lische Gefühl und die Em
pfindung der Ehre erstre
cket sich auf alle Theile
des Lebens.)
V. Die Stärke des moralischen Gefühls
und der Empfindung der Ehre äussert sich in allen
Theilen des Lebens. Die grösste Wollust bey
Gastgeboten entlehnt ihre vornehmsten Reizungen
von einer Vermischung moralischer Belustigungen,
von der Mittheilung des Vergnügens und von den
Begriffen des Anständigen und Schönen. Derje
nige, welcher die Lust, die er in Essen und Trinken
findet, einsam, ungesellig, ohne gastfrey zu seyn,
geniesset, ist einer allgemeinen Verachtung un
terworfen.
Das vornehmste Vergnügen der Mahlerey,
der Dichtkunst und der Macht der Beredsamkeit
entspringt aus ähnlichen Qvellen<Quellen>. Die Geschichte,
welche uns den moralischen Character und die
Glücksumstände der Grossen und ganzer Völker
schaften vorstellet, beschäftigt unser
moralisches
Gefühl, und unsre geselligen Empfindungen bey
dem Schicksal anderer. Die Dichtkunst unterhält
uns auf eine noch rührendere Art, wenn sie uns
eben dergleichen Gegenstände in erdichteten Chara
ctern lebhaft vorstellet, und unser Schrecken, Mit
leiden, und moralische Bewunderung erreget.
Die Macht des Redners besteht darinnen, daß er
uns Beyfall oder Verwerfung abnöthigt, und die
daher fliessenden Neigungen der Achtung oder des
Unwillens erregt, wenn er alle moralische Eigen
schaften der Handlungen und Character; alle mit
leidenswürdige Nebenumstände, welche einen Feh
ler vermindern oder entschuldigen, und unsre Ge
wogenheit gewinnen können; alles, was die Schuld
und ihre Gleichförmigkeit. 157(Fünfter Abschnitt.)
vergrössert, und unsern Unwillen verstärket, voll
kommen vorstellt, und sowohl bey Lob als Tadel
die lebhaftesten Farben anwendet.
Die Musik, die Bildhauerkunst, und die Mah
lerey erhalten ausser dem natürlichen Vergnügen,
welches sie durch eine genaue Nachahmung gewäh
ren, eine höhere Kraft und einen stärkern Reitz,
wenn in ihren Werken etwas
moralisches ent
halten ist.
Die vornehmsten Schönheiten der Gesichts
bildung und des äusserlichen Betragens bestehen
*
in dem Ausdruck sanfter und liebreicher Neigun
gen oder solcher Eigenschaften, die eine moralische
Hochachtung verdienen; welches alles aus den
Beywörtern, wodurch wir unsern Wohlgefallen zu
erkennen geben, wahrgenommen werden kan. Un
ser Misfallen an einer Gesichtsbildung wird durch
das Lasterhafte, welches sie verräth, oder uns zu
verachten scheint, eben sowohl erreget, als durch die
verworfenen Eigenschaften selbst. Daher komt
es, daß wir in der Gesichtsbildung
**
eines Zor
nigen, eines Neidischen, eines Stolzen, und eines
Eigennützigen so viel häsliches finden; und daß
hingegen die Anmuth in derjenigen, welche zärtli
che, gefällige und liebreiche Neigungen ausdrückt,
uns so sehr entzückt.
18
19
(Erstes
Buch.)
158 Das Gefühl der Ehre und Schande,
Wir sehen, wie viel Einflus dieser morali
sche Ausdruck der Gesichtsbildung auf den natür
lichen Trieb unter beyden Geschlechtern hat. Kön
te ein Mensch zu seiner vollen Reife gelangen, ohne
die mindesten moralischen Begriffe zu haben (wofer
ne dieses bey andern, als Jdioten, möglich ist):
so würde vielleicht dieser Trieb auf keine andre Art
bey ihm wirken, als bey den Thieren. Wir neh
men wahr, daß die Schönheit uns zuerst vortheil
hafte Begriffe von der Verfassung des Gemüths
beybringt; und, wenn die nähere Bekantschast die
se Begriffe bestätiget: so empfinden wir eine inni
ge Hochachtung, ein volles Verlangen nach einer
freundschaftlichen Vereinigung. So bewundern
wir Witz, ein gutes Herz, Klugheit, Gefälligkeit,
Ehrbarkeit, eine Herrschaft über die unedlen Be
gierden, zu deren Befriedigung uns der natürliche
Trieb aufmuntert. Daher komt es, daß die Lei
denschaft der Liebe das Gemüth in allen liebens
würdigen Tugenden vollkommener macht.
Wenn ein Volk, welches die Vortheile nicht
hoffen darf, die seine Anführer zur Absicht haben,
dennoch einen heftigen Eifer für eine gewisse Par
tey zu erkennen giebt: so rührt dieses daher, weil
es eine gewisse
moralische Würde, eine gewisse
Gerechtigkeit der Sachen, eine gute Gesinnung
der anführenden Personen, sich vorstellt.
(Unsre Freundschaft gründet sich
nicht auf den Eigennutz.)
Es ist ungerecht, wenn man behaupten will,
daß alle unsre Freundschaft sich auf den Eigennutz
gründe, wenn wir nur mit gelehrten, gefälligen
und liebreichen Personen einen vertraulichen Um
und ihre Gleichförmigkeit. 159(Fünfter Abschnitt.)
gang pflegen, hingegen unwissende, menschenfeind
liche und eigennützige Leute fliehen. Es ist wahr,
der Umgang mit den erstern ist lehrreich, angenehm
und sicher; mit den leztern aber unnütz, unan
genehm und gefährlich. Aber ist deswegen eine
jede Freundschaft, ein jeder vertraulicher Umgang,
eine blosse Verstellung und Heucheley? fühlt man
niemals eine innere Hachachtung gegen gewisse Cha
racter, und ein Wohlwollen gegen die Personen,
welche sie besitzen? Verlangen wir allemal nur
Unterricht, nur Vergnügen, nur Gewinn, so wie
wir einen Lehrmeister in der Absicht bezahlen, uns
eine Kunst zu lehren; einen Virtuosen, uns zu be
lustigen; einen Ackersmann, uns eine Arbeit zu
verrichten? Verhalten wir uns gegen unsre
Freunde nur äusserlich verbindlich und gefällig, da
mit wir unsre Vortheile nicht verlieren mögen?
Fühlt nicht hingegen jedermann eine innere Hoch
achtung eine innere Wohlgewogenheit gegen tu
gendhafte Bekanten, welche auch alsdenn, wenn er
von ihnen getrennt ist, und keine Hoffnung mehr
hat, sie wieder zu finden, immer noch fortdauert?
Wenn kein solches moralisches Gefühl,
keine Empfindung der Ehre in uns vorhanden wä
re, wenn wir, wie einige einsehende Männer
behaupten wollen, einzig und allein eigennützig
wären: so würde das menschliche Leben ganz etwas
anders seyn, als uns die tägliche Erfahrung lehrt,
ein trauriger, liebloser, kaltsinniger, ver
drieslicher Zustand von Verstellung und
Argwohn.
(Erstes
Buch.)
160 Das Gefühl der Ehre und Schande,
Es ist nöthig, hier anzumerken, daß, unge
achtet wir durch frühzeitige Vorurtheile, welche
uns die äusserlichen Sinne beybringen, darauf ein
gerichtet werden, Dinge, welche nicht Gegenstände
des einen oder des andern sind, für nichts wirk
liches zu halten, und alles, was wir nicht auf diese
Art empfinden können, für Erdichtungen und Ein
bildungen anzusehen; wir dennoch bey einer Auf
merksamkeit, auf das innere Gefühl unserer Her
zen, wahrnehmen, daß dasjenige, dessen Wirklich
keit am unläugbarsten ist, unser wahres Glück
oder Elend; die Anständigkeit und Würde, welche
uns allein die vollkommenste Zufriedenheit mit uns
selbst gewähren kan, in deren Betrachtung wir andre
lieben, hochachten und bewundern, und sie für vor
treflich oder glücklich ansehen, oder zu unsern
Freunden wählen; daß dieses alles Eigenschaften
von einer höhern und edlern Art sind, als daß sie
durch diejenigen Kräfte, welche vornehmlich dem
Körper zu dienen bestimmt sind, erkant werden
sollten.
VI. Einige argwohnen, daß das moralische
Gefühl und die Empfindung der Ehre nicht natür
lich seyn könten, weil unter den verschiedenen Na
tionen so unterschiedene und einander so entgegen
gesezte Begriffe von dem, was moralisch ist, anzu
treffen wären. Allein, wenn man ihnen auch zu
giebt, daß der Geschmack verschieden sey, daß ver
schiedene Menschen und Völker gewisse Handlun
gen, unter verschiedenen Betrachtungen und Be
griffen, billigen und misbilligen: so beweiset dieses
und ihre Gleichförmigkeit. 161(Fünfter Abschnitt.)
doch blos so viel, daß ihre Empfindungen einan
der nicht gleich sind; nicht aber, daß ihnen weder
das moralische Gefühl, noch die Empfindung der
Ehre natürlich wären. Viele halten etwas für
wohlschmeckend, welches für andere einen unange
nehmen Geschmack hat; wer wollte aber deswegen
läugnen, daß der Sinn des Geschmacks uns na
türlich ist?
Allein die Gleichheit des moralischen Gefühls ist
weit grösser, als die Gleichförmigkeit des sinnlichen
Geschmacks. Die verschiedenen Gründe, wodurch
verschiedene Personen ihren Beyfall und ihre Ver
werfung rechtfertigen, werden uns, bey einer ge
nauen Prüfung, zu einerley ursprünglichen Be
griffen, vom moralischen Guten und Bösen, zu
rückleiten.
Wenn die Menschen, in allen Nationen, ge
wisse Handlungen billigen und retten wollen: so
pflegen sie eine Richtung derselben auf die Glück
seligkeit anderer, eine liebreiche Absicht von einem
kleinern oder grössern Umfange, einige grosmüthige
Neigungen, oder einige Gesinnungen, welche mit
denselben natürlicher Weise verknüpft sind, anzufüh
ren. Wollen wir ein unvernünftiges Verhalten
entschuldigen: so sagen wir, die handelnde Person
habe eine gute Absicht gehabt: sie habe die übeln
Folgen nicht vorhergesehn: oder sie habe eine solche
Veranlassung dazu gehabt, daß selbst ein Mann
von einer gefälligen oder gerechten Gemüthsart sich
nicht anders verhalten haben würde. Wenn wir
ein übles Verhalten tadeln und verwerfen wollen:
(Erstes
Buch.)
162 Das Gefühl der Ehre und Schande,
so zeigen wir, daß aus demselben alle entgegenge
sezte Neigungen und Gesinnungen sich veroffenba
ren, als Grausamkeit, Zorn, übertriebener Eigen
nutz, oder ein Mangel an solchen liebreichen Nei
gungen, welche, bey allen Menschen insgesamt, er
wartet werden. Wenn wir ein Verhalten, ohne Be
ziehung auf diese bösen Neigungen, oder auf den Man
gel der guten, blos als unvorsichtig, misbilligen: so
geschieht es zuweilen aus einer guten Gesinnung
gegen die handelnde Person, oder aus einem
Mitleiden mit ihr, ob wir gleich ihre geringen Fä
higkeiten, ihre Faulheit, Einfalt und Trägheit
verachten; und wir werden durch die Gedanken
besänftiget: „daß der arme Mensch keine bösen
Absichten gehabt und auch andern keinen Schaden
zugefügt habe.“ Dieses ist oft eine falsche Ent
schuldigung, weil das gemeine Beste, wenn sich eine
Person unfähiger macht, ihm zu dienen, eben so
wohl darunter leidet, als die besondern Freunde
dieser Person.
Ja wir werden finden, daß die Menschen zu
weilen entweder nach einer wahren oder nach einer
falschen Meinung das Urtheil fällen, daß eine
Handlung einige von den Eigenschaften oder Ab
sichten habe, welche die natürlichen Gegenstände
des Beyfalls sind. Wir können uns oft wirklich
ohne Grund einbilden, daß gewisse Handlungen ei
ne gute Wirkung auf das gemeine Beste haben,
oder, daß sie aus guten Neigungen herkommen,
oder, daß die Gottheit sie gebietet, und daß sie ihr
angenehm sind; und in dieser Einbildung werden
und ihre Gleichförmigkeit. 163(Fünfter Abschnitt.)
sie von uns gebilliget. Es ist unsre Vernunft, die dem
moralischen Gefühl einen falschen Begrif vorstellt.
Der Jrrthum liegt in der Meinung oder im Ver
stande; nicht aber im moralischen Gefühl. Alles,
was dasselbe billigt, ist wirklich gut; obgleich die
Handlung diese Eigenschaft nicht haben kan. In
Sachen, die unsern Vortheil betreffen, wählen
und billigen wir zuweilen dasjenige, was uns am
Ende Nachtheil bringt. Niemand schliesst daraus,
daß wir, in der Selbstliebe, oder der Billigung
unsers eigenen Vortheiles, uns selbst unähnlich
wären. Durch einen gleichen Jrrthum in Anse
hung der moralischen Eigenschaften gewisser Hand
lungen kan weder das moralische Gefühl bestrit
ten, noch bewiesen werden, daß es sich nicht allemal
ähnlich sey. Die Leidenschaften der Zuschauer und
der handelnden Personen verhindern, daß die mo
ralische Natur derjenigen Handlungen, welche den
Leidenschaften ihren Endzweck erreichen helfen, nicht
genau geprüfet wird. Wollust, Wuth und Rache,
reissen die Menschen mit Ungestüm in den Unter
gang, welchen ein ruhiger Mann sieht und vermei
det. Allein dieses beweiset nicht, daß die Men
schen in Ansehung ihres moralischen Gefühls
oder ihrer Selbstliebe einander unähnlich
wären.
Der Beweis, daß entweder gar kein mora
lisches Gefühl in den Menschen angetroffen wer
de, oder daß es doch von einer grossen Verschieden
heit sey, kan anders nicht geführet werden, als
wenn dargethan wird, daß ganze Völker oder eine
(Erstes
Buch.)
164 Das Gefühl der Ehre und Schande,
grosse Anzahl von Menschen entweder alle Hand
lungen, welche ihren eigenen Vortheil nicht zu be
treffen scheinen, für gleichgültig halten; oder daß
sie an Grausamkeit, Verrätherey, Undankbarkeit,
ohne Anlas verübten Mordthaten und Martern,
wenn dieselben nicht sie selbst betreffen, eben so
viel Vergnügen finden als an dem Gegentheil:
daß sie dieselben für eben so anständig und liebens
würdig halten, als die Menschenliebe, das Mit
leiden, die Freygebigkeit, die Treue: daß sie das
Verbrechen des Tarqvins<Tarquin>, oder des Decemvirs,
Claudius, eben so sehr billigen, als das Verhalten
des Scipio gegen seine gefangne Spanierin.
Allein, solche Nationen sind uns selbst von Leuten,
welche Reisen in die entferntesten Länder gewagt
haben, noch nicht entdeckt worden.
(Die Ursa
chen der Ver
schiedenheit des Beyfalls und des Ta
dels.)
VII. Die vornehmste Ursache von der Ver
schiedenheit des Beyfalls sind folgende drey. 1. Die
verschiedenen Begriffe von der Glückseligkeit, und
den Mitteln, sie zu befördern. Nationen, welche
(Verschie
dene Begrif
fe von Glück
seligkeit.) mit den Verbesserungen, deren das Leben durch
Kunst und Fleis fähig ist. unbekant sind, und un
ter welchen die gemeinen Nothwendigkeiten des Le
bens leicht erhalten werden können, finden keine
Gelegenheit, Kunst und Fleis dadurch in Aufnahme
zu bringen, daß sie einem jeden das Eigenthum
an den Früchten seiner Arbeit versichern wollen.
Ja, sie können es für keinen Schaden ansehen,
wenn den Menschen dasjenige, was sie sich durch
Kunst erworben haben; der Vorrath, welcher ih
nen nicht nöthig ist, oder der Ueberflus, der sie wol
und ihre Gleichförmigkeit. 165(Fünfter Abschnitt.)
lüstig und träge machen kan, entzogen wird; der
Diebstahl kan dahero unter ihnen für nichts uner
laubtes angesehen werden. Wenn einer Nation
unbekant wäre, wie nützlich es ist, daß die Väter,
wegen ihrer Abkömlinge, in Gewisheit sind, oder
wenn sie kein Verlangen nach dieser Gewisheit trü
ge: so würde sie in denjenigen Verständnissen, wo
von gesittetere Nationen glauben, daß sie der Ge
sellschaft höchst nachtheilig sind, nichts moralisches
Böses wahrnehmen. Aber keine Nation ist hierin
nen unempfindlich gewesen.
In einigen gesitteten Staaten sind Gesetze(Die Ursa
chen barbari
scher Gesetze,)
eingeführet, welche wir für barbarisch und gottlos
halten. Aber wenn die Gründe derselben, oder die
Vorstellungen, unter welchen man sie billigt, in Er
wägung gezogen werden: so finden wir allemal,
daß eine Absicht auf das gemeine Beste darunter
liegt. Ohne Zweifel giebt es einige wenige Exem
pel, daß Gesetzgeber, aus einem übertriebenen Eifer
für ihre eigne Grösse, oder für die Grösse ihrer Na
tion, ungerechte Gesetze gemacht haben, welche sich
durch nichts moralisches empfehlen. Dieses be
weiset nur, daß zuweilen unser Gefühl des Rechts
durch verschiedene Triebe unterdrückt werden kan.
Allein wie viele unsinnige Meinungen sind ange
nommen worden! Wie viele seltsame Jrrthümer,
wie viele Ungleichheiten hat man nicht in der Kraft
zu schliessen entdeckt, welche an dem menschlichen
Geschlechte so bewundert und für die unterscheidende
Kraft desselben erkant wird! Die meiste Ver
schiedenheit in unsern moralischen Empfindungen,
(Erstes
Buch.)
166 Das Gefühl der Ehre und Schande,
in unserm Beyfall und Tadel, entstehet von den wi
dersprechenden Vernunftschlüssen, welche von dem
Einflus der Handlungen auf das gemeine Beste,
oder von den Neigungen, aus welchen sie herflies
sen, gemachet werden. Das moralische Gefühl
scheint allemal einerley unmittelbare Gegenstände,
einerley Neigungen und Gesinnungen, unverän
dert zu billigen und zu misbilligen; ob wir gleich
über gewisse Handlungen, welche für Beweise ge
wisser Gesinnungen gehalten werden, sehr verschie
dene Urtheile fällen. Und doch soll der Verstand,
in welchem alle diese Jrrthümer sich eräugen, die
natürliche höchste Kraft seyn; das moralische
Gefühl aber soll es, wegen der Verschiedenheit
des Beyfalls, nicht seyn; und gleichwohl entsteht
dieselbe aus der Verschiedenheit der Urtheile.
(Verschiede
ne Syste
men.)
2. Die zweyte Ursache der Verschiedenheit
des Beyfalls liegt in den grössern oder kleinern
Systemen, welche sich die Menschen vorstellen,
wenn sie die Absichten gewisser Handlungen betrach
ten. Einige sehen blos auf ihr Vaterland, und
auf den Vortheil desselben; ohne die übrigen Men
schen in Betrachtung zu ziehen. Andre haben
noch eingeschränktere Systemen; nur eine Partey,
eine Secte oder Cabale. Aber wenn wir unsre
Betrachtungen nach der Vorschrift der Wahrheit
und Gerechtigkeit erweitern, und den Bau der
menschlichen Seele bemerken, welcher bey allen
Nationen einerley ist; so werden wir finden, daß
es keiner an gutgearteten Menschen fehlt, welche
eben diese zärtliche Neigungen gegen Anverwandte,
und ihre Gleichförmigkeit. 167(Fünfter Abschnitt.)
Freunde und Wohlthäter; eben dieses Mitleiden
gegen Unglückliche; eben diese Bewunderung und
Liebe einer vollkommenen Tugend, eben diese eifrige
Besorgnis für ihr Vaterland besitzen, welche wir
unter uns so hoch schätzen. Wir müssen in uns
ein heiliges Band der Natur finden, welches uns
auch an Fremde verknüpft, und ein Gefühl der
Billigkeit, des Mitleidens und des Wohlwollens,
welches wir allen schuldig sind. Menschen von
geringer Aufmerksamkeit sind ihre Landsleute, oder
Anhänger der einzige schätzbare Theil des menschli
chen Geschlechts. Alles ist bey ihnen billig, was
zu ihrem Vortheil gereicht, ob es gleich andern
nachtheilig ist. Hier entsteht die Verschiedenheit
des Beyfalls wiederum aus verschiedenen Meinun
gen über eine Sache. Wären gewisse Nationen
oder Seeten<Secten> im vollkommensten Grade gottlos,
grausam, und giengen sie nur auf solche Unter
nehmungen um, welche alle Menschen in ewiges und
zeitliches Elend stürzen müssen, wären sie dabey un
ter einer solchen Gewalt von Zauberey, daß derselben
keine Vernunftschlüsse widerstehen könten: so wür
de eine gewaltsame Vertilgung dieser Ungeheuer
durch Feuer und Schwerd kaum getadelt werden
können. Aus einem solchen Gesichtspuncte pfle
gen alle Verfolger, welche gewisse Grundsätze ver
theidigen, diejenigen anzusehen, die sie Ketzer nen
nen; und aus dieser Ursache bringen sie andern
einen allgemeinen Abscheu gegen dieselben bey.
Aehnliche Begriffe machen sich einige kleine
Secten, von einander, und daher verlieren sie
die Empfindung des moralischen Bösen, wel
(Erstes
Buch.)
168 Das Gefühl der Ehre und Schande,
ches in ihrer Feindseligkeit und Verfolgung
liegt.
(Verschiede
ne Meinun
gen von den Geboten Gottes.)
3. Die dritte Ursache, welche eine Verschie
denheit der Urtheile über gewisse Handlungen ver
anlasst, und die eben so oft, als die andern, vor
komt, ist die Verschiedenheit der Meinungen von
demjenigen, was Gott geboten hat. Die Men
schen handeln zuweilen aus einem Verlangen nach
Belohnungen, oder aus einer Furcht vor Bestra
fungen, ihrem moralischen Gefühl entgegen,
und gehorchen dem, was sie für einen göttlichen
Befehl erkennen. Sie können dieses auch aus an
dern eigennützigen Leidenschaften thun. Sie kön
nen einige dunkle Begriffe von Pflicht und Ver
bindlichkeit haben, welche von demjenigen, was ih
re Herzen billigen würden, wenn die Vorstellung
des göttlichen Befehls nicht vorhanden wäre, un
terschieden sind. Eine lange Gewohnheit und die
Verknüpfung gewisser Begriffe macht hierbey einen
starken Eindruck in die Seelen der Menschen.
Aber wenn unter verschiedenen Nationen verschie
dene Begriffe von den Gegenständen des göttlichen
Befehls vorhanden sind: so wird der Gehorsam
oder Ungehorsam gegen Gott mit so starken mora
lischen Farben und Bildern vorgestellet, daß sie
nothwendig auch bey den unveränderlichsten
moralischen Fähigkeiten, einen verschiedenen
Beyfall und Tadel veranlassen müssen. Gott
wird überall für einen guten und weisen Geist, für
den Urheber unsers Lebens und alles des Guten,
das wir geniessen, erkant. Den Gehorsam müs
sen wir unter der höchsten Art der Dankbarkeit, der
und ihre Gleichförmigkeit. 169(Fünfter Abschnitt.)
Liebe der moralischen Vortreflichkeit, und als et
was, das auf das allgemeine Beste einen vortheil
haften Einflus hat, billigen: und der Ungehorsam
mus von uns unter den entgegengesezten Begrif
fen gemisbilligt werden. Wer also gegen dasje
nige, was er für Gottes Befehl hält, aus der Be
trachtung eines zeitlichen Vortheils oder eines sinn
lichen Vergnügens, oder in der Absicht, andre zu
einem gleichen Verhalten zu verführen, ungehor
sam ist; mus für äusserst undankbar, sinnlich, ei
gennützig oder grausam gehalten werden. Wenn
in Ansehung desjenigen, was Gott gebietet, ver
schiedene Meinungen überhand nehmen: so ist es
unvermeidlich, daß nicht eine Verschiedenheit im
Beyfall und Tadel, welche sich auf diese Meinung
gründet, wahrgenommen werden sollte; obgleich
die natürlichen unmittelbaren Gegenstände des Lo
bes und Tadels bey allen Menschen eben dieselben
sind. Dieses erklärt die verschiedenen Gebräuche
bey dem Gottesdienst, die verschiedenen Begriffe
von Heiligkeit und Ruchlosigkeit, und den grossen
Abscheu, welchen einige Nationen gegen gewisse Ge
wohnheiten haben, welche andere für unschädlich
und gleichgültig halten, weil sie von keinem Ver
bot derselben etwas wissen.
Diese Betrachtungen erklären hinlänglich,(Verschiede
ne Gebräu
che beym Gottesdienst und Beariffe<Begriffe> von der Gott
losigkeit.)
warum die Aufopferung der Menschen und andere
dergleichen ungeheure Gebräuche gebilliget werden;
ungeachtet es wahrscheinlich ist, daß oft solche Men
schen, welche von der Gütigkeit ihrer Götter nur
eine geringe Ueberzeugung hatten, blos aus Furcht,
(Erstes
Buch.)
170 Das Gefühl der Ehre und Schande,
ohne allen moralischen Beyfall, dergleichen Gebräu
chen gefolgt sind. Es lässt sich gleichergestalt aus
diesen Betrachtungen erklären, warum Blutschan
de und Vielweiberey unter einigen Nationen ver
abscheuet wird, bey welchen doch ihre schädlichen
Folgen nur wenigen bekant sind; und daß sie hin
gegen bey andern Völkern für gesetzmässig gehal
ten werden.
Niemand bilde sich ein, als ob Handlungen,
(Jrrthümer sind oft Ver
brechen.) welche aus falschen Meinungen von gewissen Vor
fällen, oder von den Geboten Gottes, herfliessen,
nur unerhebliche Vergehungen wären, und einen
Character nur einem geringen Tadel aussetzen kön
ten. Wenn der Jrrthum aus keiner bösen Nei
gung, und aus keinem beträchtlichen Mangel einer
guten Neigung herrühret: so ist die Handlung
noch zu entschuldigen. Allein viele Jrrthümer, in
welche wir in Ansehung der Meinungen von der
Verehrung Gottes, oder von der Liebe unsrer Ne
benmenschen, verfallen, sind Beweise eines grossen
Mangels an der Liebe der moralischen Vortreflich
keit, dem gerechten und edlen Verlangen, Gott zu
kennen, zu verehren, und ihm zu vertrauen, wel
ches zu einem guten Character erfordert wird;
oder sie sind Beweise eines grossen Mangels an
Menschenliebe, wenigstens an der allgemeinen und
edlern Art derselben. Wenn diese Neigungen leb
haft sind: so müssen sie die Menschen ermuntern,
in Ansehung ihrer Pflichten und der Einrichtung
ihres Verhaltens, grossen Fleis und Vorsicht anzu
wenden; und sie müssen folglich dieselben zu rich
und ihre Gleichförmigkeit. 171(Fünfter Abschnitt.)
tigen Urtheilen in wichtigern Sachen führen, weil
für einen jeden, der aufrichtig und achtsam ist, in
der Natur eine hinlängliche Ueberzeugung zuberei
tet liegt. Niemand kan genugsame Menschenlie
be und Rechtschaffenheit besitzen, welcher glauben
kan, daß die Aufopferung der Menschen, oder die
Verfolgung seiner Nebengeschöpfe wegen gewisser
Grundsätze in der Religion, welche der Gesellschaft
keinen Nachtheil bringen, Pflichten seyn können,
die Gott angenehm sind.
VIII. Daraus, daß in uns ein moralisches
Gefühl vorhanden ist, darf man nicht folgern,
daß wir angebohrne Begriffe von den verschiede
nen HandlungeuHandlungen; oder angebohrne Meinungen
von ihren Folgen und ihrem Einflus auf die Ge
sellschaft haben. Wir entdecken dieselben durch
Beobachtungen und Schlüsse, und wir ziehen dar
aus oft sehr entgegengesezte Folgerungen. Die
Gegenstände dieses Gefühls sind keine äusserlichen
Bewegungen oder Handlungen, sondern die innern
Neigungen und Gesinnungen, welche wir aus den
wahrgenommenen Handlungen, vermittelst der
Kraft zu schliessen, folgern. Diese unmittelbaren
Gegenstände der Seele können oft einerley seyn,
ungeachtet die äusserlichen Handlungen einander
gesezt sind. Wie gewisse Verwundungen und
Verstümmelungen entweder aus Has oder aus
Liebe geschehen können: also bewegt uns die Liebe,
zuweilen den Gegenstand derselben schmerzhaft zu
züchtigen, zuweilen aber ihm Vergnügen zu ver
schaffen. Und wenn die Menschen, bey Beurthei
(Erstes
Buch.)
172 Das Gefühl der Ehre und Schande,
lung der Handlungen, verschiedene Meinungen von
diesen Neigungen annehmen: so wird einer diesel
ben loben, und der andre tadeln. Sie werden aber
diese verschiedenen Meinungen von den Neigungen,
aus welchen die Handlungen herrühren, alsdenn
annehmen, wenn sie darüber, ob die Handlungen
auf das Beste oder auf den Nachtheil der Gesell
schaft oder einzelner Personen gerichtet sind, ver
schiedene Urtheile fällen. Derjenige, welcher ein
zig und allein, oder doch vornehmlich auf die guten
Absichten der Handlungen aufmerksam ist, wird die
schädlichen Wirkungen derselben nicht gewahr wer
den, sondern sich einbilden, daß sie aus tugendhaf
ten Neigungen herfliessen, und er wird sie solcher
gestalt billigen. Hingegen wird ein andrer, der
mehr auf die schädlichen Wirkungen derselben auf
merksam ist, den Schlus machen, daß sie aus den
entgegengesezten Neigungen ihren Ursprung ha
ben, und er wird sie folglich verwerfen.
(Warum['] es nöthig ist, die
Verknüpf
fung der Tu
gend mit dem Eigen
nutz zu be
trachten.)
Wenn bey Festsetzung der Gründe der Sit
tenlehre, nichts weiter erfordert würde, als eine
theoretische Untersuchung, welche Neigungen tu
gendhaft sind, welches Verhalten Beyfall verdie
net, und was hingegen für lasterhaft zu halten sey:
so würde die Erklärung, welche wir bisher von der
Beschaffenheit unsers
moralischen Gefühls ge
geben haben, hierzu hinlänglich seyn. Da dassel
be nicht allein bestimmt, was tugendhaft und la
sterhaft ist, sondern auch die verschiedenen Grade
dieser Eigenschaften in den verschiedenen Arten der
Neigungen und Handlungen festsezt: so könten wir
und ihre Gleichförmigkeit. 173(Fünfter Abschnitt.)
nunmehro, zu einer nähern Betrachtung der Pflich
ten des Lebens, fortgehen, und unsre Kraft zu
schliessen zu der Entdeckung anwenden, was für
besondere Neigungen und daraus fliessende Hand
lungen einen vollkommenen Beyfall verdienen, und
nicht nur den Vortheil einiger Theile des ganzen
Systems befördern, sondern auch, neben dem all
gemeinen Besten, vollkommen bestehen können; was
für Neigungen und Handlungen, selbst solche, wel
che unter die liebreichen gehören, und auf den Vor
theil einzelner Theile abzielen, dem allgemeinen
System schädlich seyn können; und auf diese Art
könten wir, aus dem moralischen Gefühl, und
der grosmüthigen Bestimmung der Seele, die be
sondern Gesetze der Natur herleiten. Allein da
wir einen starken Hang zu unsrer eigenen Glückse
ligkeit und viele besondere eigennützige Begierden
und Neigungen haben, und da diese oft so heftig
sind, daß sie dem moralischen Gefühl nicht un
mitttelbar unterworfen werden können, so sehr wir
uns auch der Würde desselben und des wichtigen
Einflusses, welchen es auf unser Glück oder Elend
hat, bewust sind; da oft ein von Unruhe begleite
ter starker Verdacht in uns entstehen kan, als ob
wir, wenn wir dem Antrieb unsrer liebreichen Nei
gungen und dem moralischen Gefühl
folgen
wollten, unserm Vortheil entgegen handeln, und
etwas verabsäumen würden, wodurch unsre Glück
seligkeit mehr befördert werden könte, als es durch
die innere Zufriedenheit mit uns selbst, und durch
den Beyfall, den uns andere zugestehen, geschiehet:
so ist es zu Bestätigung der Gründe der Sittlich
(Erstes
Buch.)
174 Unsre Gewalt über Empfindungen,
keit, zu Entfernung der Hindernisse, welche von den
eigennützigen Trieben herrühren, und dazu, daß die
Seele den Entschlus fassen möge, auf dem Wege,
welchen ihr das moralische Gefühl
empfiehlt,
standhaft fortzugehen, höchstnothwendig, eine ge
naue Vergleichung aller menschlichen Vergnügun
gen anzustellen, und daher zu bestimmen, welche
davon unsre grösste Glückseligkeit ausmachen.
Der sechste Abschnitt,
In wie weit die verschiedenen Empfindun
gen, Begierden, Leidenschaften und Nei
gungen in unsrer Gewalt sind.
(Worinnen die Glückse
ligkeit be
steht.)
I.
Die höchste Glückseligkeit eines Wesens be
steht, in dem vollen Genus aller Vergnü
gungen, die seine Natur begehrt, und deren sie fä
hig ist. Oder, wenn die Freuden, welche seine Na
tur zulässt, von einer grossen Mannichfaltigkeit
sind, wenn sie zu verschiedenen Arten gehören, die
zuweilen nicht neben einander bestehen können, wenn
einige davon höher und dauerhafter sind, als die
übrigen: so besteht seine höchste Glückseligkeit in
dem unwandelbarsten Genus der stärkern und dau
erhaftern Vergnügungen, und auch zugleich der
geringern Belustigungen, in so weit diese, mit dem
vollen Genus der edlern, bestehen können. Da wir
nicht alle unangenehme Empfindungen von uns
abwenden können, und da es unter denselben ver
schiedene Arten und Grade giebt: so müssen wir
uns wider stärkere und dauerhaftere Arten und wi
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 175(Sechster Abschnitt.)
der höhere Grade derselben in Sicherheit setzen, und,
wenn es zu dieser Absicht nothwendig ist, geringere
Arten und Grade derselben erdulten, oder einige
kleinere Vergnügungen aufopfern.
Um uns zu diesem Verhalten geschickt zu ma
chen, ist es nöthig, zuförderst eine genaue Untersu
chung anzustellen, auf was für Art unsre verschie
denen Neigungen und Begierden unter unsrer Ge
walt stehen, und in wie weit gewisse Betrachtun
gen oder eine gewisse Gewöhnung unsrer selbst, auf
unsre Erkäntnis des Guten oder Bösen, des Glücks
oder Elends in den verschiedenen Gegenständen, ei
nen Einflus habe.
1. Gleichwie die ruhigen Begierden und(Wie die Be
gierden un
srer Gewalt
unterworfen sind.)
Abneigungen der Seele natürlicher Weise von un
sern Meinungen über das Gute und Böse in den
Gegenständen derselben, herrühren: also stehen sie,
mit den Graden des wahrgenommenen Guten oder
Bösen, in Verhältnis. Die eigennützigen Begier
den nach einem besondern Gute werden blos, ver
mittelst des ruhigen ursprünglichen Triebes, zur
höchsten Glückseligkeit; und durch die Kraft zu
schliessen und zu vergleichen, welche den Werth der
verschiedenen Gegenstände der Begierden entdecket,
unsrer Gewalt unterworfen. Durch die Ver
besserung unsrer Meinungen von ihrem Wer
the, werden die verschiedenen Begierden in ei
nem gehörigen Verhältnisse erhalten. Vermit
telst des andern ursprünglichen Triebes, welcher die
allgemeine Glückseligkeit, im weitesten Umfange,
zum Gegenstande hat; und durch eine gleiche An
(Sechster Abschnitt.)
176 Unsre Gewalt über Empfindungen,
wendung des Verstandes bey Vergleichung des
Werths der Gegenstände, welche wir für andere be
gehren, können wir die verschiedenen liebreichen
Neigungen und Begierden in Ordnung bringen.
Denn sobald wir ein grösseres Gut wahrnehmen,
sobald ist das ruhige Verlangen nach ihm stärker,
als nach einem geringern Gute, welches daneben
nicht bestehen kan, und welches wir entweder für
uns selbst, oder für andere zu erlangen wünschen.
Hier zeigt das moralische Gefühl
eben
falls seine Gewalt. Da die verschiedenen einge
schränktern Neigungen oft einander entgegen sind,
oder da einige von ihnen neben den allgemeinen
Neigungen gegen ganze Gesellschaften, oder gegen
das ganze menschliche Geschlecht nicht bestehen kön
nen: so bestimmt das moralische Gefühl durch
den stärkern Beyfall, welchen es den allgemeinern
ertheilt, diejenige Neigung, welche die Oberhand
behalten soll, und bestätiget diese edlere Neigung
durch unser natürliches Verlangen nach der
moralischen Vortreflichkeit.
Die unruhigen Begierden und besondern Lei
denschaften, sowohl die eigennützigen als grosmü
thigen, werden auf eben diese Art beherrscht. Sie
entstehen natürlicher Weise bey gewissen Gelegen
heiten, und zwar mit grosser Heftigkeit. Sie in
Ordnung zu erhalten und einzuschränken ist eine
gewisse Fertigkeit nöthig, welche durch wiederholtes
Nachsinnen undfleissige<und fleissige> Uebung erlangt wird. So
lange wir ruhig sind, müssen wir fleissig erwägen,
wie viel Gefahr es bringt, wenn wir etwas gleich
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 177(Sechster Abschnitt.)
bey dem ersten Anblick aus Uebereilung für gut
oder böse halten; wir müssen auf unsre ehemaligen
Erfahrungen, in uns selbst, und auf dasjenige, was
wir an andern wahrgenommen haben, zurückgehen,
und uns erinnern, daß oft höhere und dauerhaf
tere Vergnügungen dadurch verlohren worden,
wenn wir uns einer erregten Begierde oder Leiden
schaft unbedachtsam überlassen haben; daß dauer
haftes Elend und ein innerer Schmerz auf einige
vorüberfliehende Belustigungen gefolgt sind; daß
Scham, Elend und Betrübnis die Wirkungen ei
nes unbändigen Zornes gewesen; daß die Men
schen durch eine übertriebene Furcht oder durch ihre
Abneigung gegen Arbeit und mühsame Verrichtun
gen, sich Unehre und Verachtung zugezogen haben.
Auf diese Art werden wir uns gewöhnen, gegen
alles, was wir nicht geprüft haben, mistrauisch zu
seyn, und alle Vorsicht anzuwenden, sobald wir
den Aufruhr einer unruhigen Leidenschaft fühlen.
Wenn solchergestalt die ruhigen Triebe durch öfte
res Nachsinnen gestärkt, und die Macht der Leiden
schaften geschwächt worden; alsdenn haben wir die
wahre Freyheit und die Herrschaft über uns selbst
erlangt. Die ruhigen Kräfte werden das Ansehn,
zu welchem ihre natürliche Würde sie bestimmt hat,
behaupten und anwenden, und unsre Vernunft
wird sich üben, die voreiligen Urtheile über das
Gute und Böse zu verbessern, und den wahren
Werth der verschiedenen Gegenstände unserer Be
gierden und Leidenschaften zu prüfen.
(Erstes
Buch.)
178 Unsre Gewalt über Empfindungen,
(Ursachen, warum wir den Gegen
ständen einen falschen Werth bey
legen[=])
II. Zu diesem Vorsatz ist es nöthig, daß
wir die gewöhnlichen Ursachen anmerken, warum
wir hintergangen werden, und den Gegenständen
einen falschen Werth beylegen. Dergleichen sind
1. Die Stärke des Eindrucks und die Hef
tigkeit der Begierden, welche durch gegenwärtige
(Die Gegen
wart solcher Dinge, die in die Sinne fallen.) und sinnliche Dinge erregt werden, diejenigen un
gerechnet, welche von Gegenständen, die nicht in
die Sinne fallen, oder noch künftig sind, und
die uns der Verstand und die Ueberlegung vor
stellet, entstehen können. Nur ein fleissiges
Nachsinnen kan diesem Uebel abhelfen. Unsere
jüngern Jahre verwenden wir fast ganz auf die
sinnlichen Gegenstände; wenige können die An
strengung der Seele aushalten, welche erfordert
wird, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Ge
stände, die im Verstande sind, richten und die Em
pfindungen des Herzens untersuchen wollen. Die
jenigen Kräfte, welche am meisten geübet werden,
nehmen zu. Die oftmaligen Regungen der Be
gierden verknüpfen mit ihren Gegenständen gewisse
dunkle Begriffe einer hohen Glückseligkeit, welches
durch die Stärke einiger Empfindungen, wenn die
Begierde heftig ist, bestätiget wird. Wenige wenden
gnugsamen Fleis an, diese Vergnügungen mit andern
zu vergleichen, oder auf die kurze Dauer dieser Em
pfindungen, und auf die darauf folgende Sätti
gung, Schaam und innere Beängstigung Acht zu
haben. Und doch fällt es unserer Vernunft leicht,
einzusehen, daß die Dauer eines Vergnügens eben
sowohl, als die Stärke desselben, in Betrachtung
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 179(Sechster Abschnitt.)
gezogen werden mus; und daß der Zustand der
Seele, welcher auf die Befriedigung der unvernünf
tigen Begierde folgt, eben sowohl in Rechnung zu
bringen ist, als die vorüberfliehende Belustigung.
2. Wenn man der Einbildungskraft verstat(Die Aus
schweifung der Einbil
dungskraft.)
tet, sich zu sehr mit solchen Gegenständen zu be
schäftigen, welche uns die Hofnung eines hohen
Vergnügens beybringen; so werden dadurch unsre
Leidenschaften erhitzt, und unser Urtheil wird auf
die Seite solcher Gegenstände gebracht. Das
Vergnügen wird zwar hierdurch nur um ein weni
ges grösser; ja unsre Lust wird dadurch oft vermin
dert, weil sie selten, mit der vorhergegangenen Er
wartung, übereinkomt, und also die Mine einer
Widerwärtigkeit hat. Allein, wenn unsre aus
schweifende Einbildungskraft sich alle Freuden und
Vortheile gewisser Stände, eine gewisse Hoheit in
Reichthum und Ansehen vorstellt; so werden unsre
Begierden nach denselben heftiger, und unsre Be
griffe entwerfen uns das Bild einer Glückseligkeit, die
weit höher ist, als wir sie wirklich finden werden.
Und diese unordentliche Einbildungskraft ermangelt
niemals, uns den Schmerz, welchen eine Wider
wärtigkeit nach sich ziehen wird, zu vergrössern.
3. Allein keine Ursache unmässiger Begier(Verknü
pfungen ge
wisser Be
griffe.)
den oder falscher Urtheile über den Werth ihrer Ge
genstände ist gewöhnlicher, als eine ungegründete
Verknüpfung gewisser Begriffe, welche wir entwe
der durch den Unterricht, oder unsern gewöhnlichen
Umgang erhalten haben, und vermöge welcher wir
uns Glückseligkeit, ja sogar Tugend und moralische
(Erstes
Buch.)
180 Unsre Gewalt über Empfindungen,
Vollkommenheit, oder das Gegentheil derselben, in
solchen Gegenständen einbilden, die mit ihnen we
nige Verwandschaft haben. Selten werden die
Gegenstände so, wie sie sind, ohne alle Verände
rung, der Seele vorgestellt. Reichthum und An
sehen sind wirklich von grossem Nutzen; nicht nur
in Ansehung der natürlichen Bedürfnisse und Ver
gnügungen des Lebens, sondern auch weil sie uns
in den Stand setzen, andern Gefälligkeiten zu erzei
gen. Aber wie oft werden nicht mit denselben Be
griffe von sonderbaren Fähigkeiten, von Weisheit,
von moralischer Vortreflichkeit und von weit hö
hern Freuden, als sie uns verschaffen können, ver
knüpft! Diese bezaubern viele Menschen so sehr,
daß sie ihren natürlichen Endzweck vergessen, und
dieselben um ihrer selbst willen, zu lieben und darauf
stolz zu seyn anfangen. Sie verabscheuen einen
niedrigen Stand als etwas verworfenes, und elen
des, und glauben nicht, daß darinnen moralische
Würde und Ehre angetroffen werden könne. Ei
nige natürliche Vergnügungen werden ebenfalls
weit über ihren Werth geschätzet, und das über
mässige Verlangen nach ihnen beunruhiget die
Seele.
(Aberglau
ben.)
4. Auch der Aberglaube, welcher uns durch
die Erziehung beygebracht wird, verursacht einen
ungegründeten Abscheu gegen die unschuldigsten
Lehren und Gebräuche, indem man mit denselben
Begriffe von Ruchlosigkeit, Feindschaft gegen
Gott, und Bosheit des Herzens verknüpfet;
nnd<und> die entgegengesetzten Lehren und Gebräuche, die
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 181(Sechster Abschnitt.)
um gar nichts besser sind, zu Kennzeichen von Got
tesfurcht, Liebe, Heiligkeit und Eifer für die
Seelen der Menschen, macht. Daher entstehet,
in den Herzen der übereilten Zeloten aller Ar
ten, ein Has gegen diejenigen, welche von ihnen ab
gehen; und der Geist der Verfolgung mit allen
grausamen Leidenschaften, welche der menschlichen
Natur schon so lange zum Vorwurf gereicht ha
ben, selbst in derjenigen Religion, welche nur
Liebe und Sanftmuth einflössen sollte.
III. Es ist sehr nöthig, diese verschiedenen(Alle Men
schen fühlen die verschie
denen ur
sprünglichen
Begierden, Vergnügun
gen und Schmerzen[=])
Ursachen der falschen Urtheile über den Werth der
Gegenstände unserer Begierden und der verschiede
nen Vergnügungen des Lebens anzumerken; weil
kaum einige Menschen leben, welche niemals einen
Trieb zu einer oder der andern dieser verschiedenen
Vergnügungen haben sollten; und weil man nicht hof
fen kan, daß man die entgegengesezten Uebel niemals
erfahren werde. Das Vergnügen und der Schmerz
der äusserlichen Sinne werden von allen, welche
natürliche Kräfte haben, in gewissen Graden em
pfunden, und müssen Verlangen und Abscheu er
regen. Der Antrieb der Begierden ist auch un
vermeidlich: sie kommen nach einem gewissen Still
stand zurück, und man kan den unruhigen Em
pfindungen anders nicht entgehen, als wenn man
sie mit ihren natürlichen Gegenständen befriedigt.
Allein, vermöge der gütigen Einrichtung der Natur
können solche Befriedigungen, welche die Unruhe
der Begierden abwenden, allemal erlangt werden;
und wenn einige moralische Gründe die Befriedi
(Erstes
Buch.)
182 Unsre Gewalt über Empfindungen,
gung verhindern: so begleiten höhere moralische
Freuden diese Enthaltsamkeit, welche den Verlust
vollkommen ersetzen. Selten zieht der körperliche
Schmerz einen grossen Theil des menschlichen Lebens
an sich. Weise Männer wissen Mittel vorzukehren, die
allemal ihre Wirkung thun: und wenn dieses nicht ist:
so können sie doch, mitten unter dem Schmerz, sich
Gedult und Trost verschaffen.
(Andere Be
gierden sind schwerer zu befriedigen als die Triebe.)
Es ist schwerer, andre unruhige Begierden zu
befriedigen, welche von der Voraussetzung einer
grossen Glückseligkeit in gewissen Vergnügungen
entstehen. Hätten wir uns an keine solche Vor
aussetzungen oder an keine solche dunkle Begriffe
gewöhnt: so würde uns der Mangel dieser Ver
gnügungen nicht unglücklich gemacht haben. Mit
den Trieben hingegen ist es ganz anders beschaffen.
Wenn wir unsre Meinungen ändern, und unsere
verworrene Einbildung zurecht bringen können: so
hören entweder die Begierden, und die damit ver
knüpften Unruhen gar auf, oder sie werden schwä
cher. Die Begierden machen das Leben um einen
grossen Theil unglücklicher, als die Triebe. Von
dieser Art sind die Begierden nach Reichthum, An
sehen, nach einer prächtigen Lebensart, nach Ruhm;
und der Abscheu gegen das Gegentheil derselben ist
von gleicher Natur. Unsre Meinungen haben auf
unsre Neigungen gegen andre, und auf unsre lieb
reichen Begierden, einen eben so grossen Einflus,
als auf unsre eigennützigen. Was wir für ein
grosses Gut ansehen, müssen wir für andre, die wir
lieben, innigst begehren; und wir müssen über alle
Widerwärtigkeiten unruhig werden.
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 183
(Sechster Abschnitt.)
Wenn nun diese Meinungen wahr und na
türlich sind: so können wir sie nicht ändern, und
wir verlangen es auch nicht. Vernunft und
Nachdenken werden sie bestätigen. Allein, ei
nige Meinungen und dunkle Begriffe, welche unsre
Begierden erregen, sind falsch und phantastisch:
und die Verbesserung derselben befreyet uns von
vielen Schmerz und Unruhen. Einige Vergnü
gen sind immer in unsrer Gewalt, welche auch für
die höchsten gehalten werden müssen. Woferne die
ses wahr ist: so ist es unser höchster Vortheil, da
von völlig überzeugt zu seyn; damit unsre stärk
ren Begierden nach solchen Dingen erregt werden
mögen, welche gewis erhalten werden, und uns die
edelsten Vergnügungen verschaffen können.
Ueberhaupt, je grösser wir uns ein Gut oder
ein Uebel vorstellen, desto stärker ist unser Verlan
gen oder unsre Furcht, desto grösser ist unsre Be
kümmernis, so lange der Ausgang zweifelhaft
ist, und desto grösser wird unser Kummer bey ei
nem Unglück, und unsre erste Entzückung bey einem
glücklichen Erfolg seyn: allein, wenn die vorher
gegangene Einbildung falsch ist: so verschwindet
diese Freude bald, und sie verwandelt sich in Un
ruhe. Auf der andern Seite wird der Kummer
über den unglücklichen Erfolg stark verbleiben,
wenn die falsche Einbildung durch die Erfahrung
des Vergnügens nicht verbessert wird. Dieses be
weiset, wie richtig es sey alle unsre Begriffe von den
Gegenständen des Verlangens und Abscheues wohl
zu prüfen. Wir sollten solchergestalt bey Bestim
(Erstes
Buch.)
184 Unsre Gewalt über Empfindungen,
mung des Werths unsrer sinnlichen Vergnügungen,
alle fremde Begriffe von moralischer Würde, Frey
gebigkeit, Anständigkeit, Gutherzigkeit, von densel
ben absondern, und vielmehr diese Eigenschaften
auf eine weisere und tugendhaftere Art, ohne wol
lüstige Gastmale und ohne ein verschwenderisches
Leben zu erkennen geben. Diese Nebenbegriffe er
regen das Verlangen nach Pracht und Ueber
flus, und sind die Ursachen einer immerwähren
den ängstlichen Unruhe.
(Verknüpfte Begriffe sind schwer zu trennen.)
IV. Begriffe, welche einmal auf diese Art fest
verknüpft sind, verursachen in der Seele eine
dauerhafte Unruhe; und eine völlige Ueberzeugung
des Verstandes wird, ohne ein langes Nachsin
nen und viele Uebung, die Verknüpfung nicht auf
heben können. Es sind nur dunkle Vorstel
lungen und keine überlegte Schlüsse, welche der
Seele des Wollüstigen, des Geizigen, des Stol
zen, des Liebenden, in ihren geliebten Gegenständen,
eine bewundernswürdige Vortreflichkeit, welche
mit ihren Begierden in Verhältnis stehet, vorstel
len. Eine lange Nachsicht, wiederholte Re
gungen der Begierden in einer Seele, die von an
dern Gegenständen abgezogen ist, die Lebensart die
Gesichtszüge, und der Ton der Stimme, welche man
an Menschen von dergleichen Gesinnungen, in dem öf
tern Umgang mit ihnen, bemerkt hat, verknüpfen
hohe Begriffe von Glückseligkeit, so fest mit der ge
wünschten Befriedigung, daß eine lange Aufmerk
samkeit und Ueberlegung nöthig ist, die verworrene
Einbildung in Ordnung zu bringen.
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 185
(Sechster Abschnitt.)
Eine völlige Ueberzeugung, daß die Tugend
vortreflicher und wichtiger sey, als andre Vergnügun(Richtige. Begriffe von der Tugend sind zur Glückselig
keit noth
wendig.)
gen, wenn wir anders von denselben richtige Begriffe
haben, mus uns allemal vielen Vortheil verschaf
fen. Die Meinung wird die genaueste Prüfung
aushalten, wie wir hernachmals zeigen wollen;
und dieses Vergnügen ist unsrer Gewalt. Allein,
die ungleiche Bewunderung einiger Arten von ein
geschränkteren Tugenden, und einiger moralischen
Gegenstände einer niedern Art, dergleichen blose
Tapferkeit, ein Eifer, für die Wahrheit und für ein
besonders System von Lehrsätzen der Religion sind,
werden die Menschen zu bösen Neigungen und zu
abscheulichen Handlungen verleiten, wenn sie die
edlern Gegenstände, welche einen allgemeinen gu
ten Einflus haben, ganz aus den Augen setzten.
Keine natürliche Empfindung oder Begierde ist ohne
Nutzen, wenn wir richtige Begriffe davon haben;
allein sind dieselben falsch: so können einige von
den besten Neigungen und Empfindungen schädlich
werden. Unser moralisches Gefühl
und die
liebreichen Neigungen führen uns an, die bösen zu
verwerfen, und ihren Absichten zu widerstehen;
ja ihre gänzliche Ausrottung zu wünschen, wenn
wir wahrnehmen, daß sie den Verlust anderer,
die besser sind, als dieselben, unvermeidlich nach sich
ziehen. Diese Grundtriebe nebst dem Zorn und
Unwillen, welcher in uns gegen dasjenige, was
böse zu seyn scheinet, natürlicher Weise entstehet,
können uns zu einem überlegten Has und Abscheu
vieler Menschen, die wir fälschlich für lasterhaft
halten, verleiten, und Anlas geben, daß wir ihnen
(Erstes
Buch.)
186 Unsre Gewalt über Empfindungen,
eben so, wie sie uns, auf eine boshafte Vernichtung
andern umzugehen scheinen.
(Die Ver
besserung unsrer Mey
nungen schwächt viele Be
gierden.)
Wenn unsre Meinungen und unsre Einbil
dungskraft zurechtgebracht worden sind: so werden
die natürlichen Triebe und Begierden zwar immer
noch übrig bleiben, und von einiger Unruhe be
gleitet werden; allein einige stärkere werden ge
schwächt, und dagegen andere verstärkt werden.
Die einfachern Befriedigungen der Triebe, und
solche, welche am leichtesten zu erlangen sind, kön
nen uns, wenn wir auf eine gute Art damit um
zugehen wissen, eben soviel Vergnügungen und
Freude verschaffen, als irgend einige andre. Die
Vergnügungen der Einbildungskraft können uns
ungemein angenehm seyn, und doch kan über den
Mangel derselben kein Verdrus in uns entstehen.
Viele von diesen Vergnügungen bieten sich allen
dar, und erfordern keinen eigenthümlichen Besitz,
worunter diejenigen gehören, welche wir über die
vortreflichen Schönheiten der Natur und einige
Schönheiten der Kunst empfinden. Diese sind
auch weder die einzigen noch die höchsten Ver
gnügungen.
(Die sym
patheti
schen Em
pfindungen sind unver
meidlich.)
V. Das sympathetische Vergnügen und Mis
vergnügen, mus in einem oder dem andern Grade
auf uns wirken, und wir sind auf keine Art ge
schickt, es zu verhindern. Wir müssen in Gesell
schaft leben, und wir haben den Beystand andrer
nöthig, deren Glück oder Elend, deren Vergnügen
oder Misvergnügen wir nothwendig gewahr wer
den müssen. Das ganze menschliche Geschlecht
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 187(Sechster Abschnitt.)
fühlt die ehelichen und verwandschaftlichen Nei
gungen; und eine ausserordentlich gute Gemüths
art, die wir an andern bemerken, erregt in uns eine
innige Liebe und Freundschaft. So müssen wir die
sympathetischen Freuden und Schmerzen von höhe
rer Art empfinden. Hierbey müssen wir ebenfalls
über unsre Meinungen und Einbildungen wachen,
damit unsre Seele nicht von einem eiteln Verlan
gen nach geringen vorüberfliehenden und unnöthi
gen Gütern für andere entflammet oder von Be
trübnis über geringe und erträgliche Widerwärtig
keiten, die ihnen zustossen, niedergeschlagen wer
den möge. Allein, wenn wir nicht die Einbil
dungskraft unsrer Freunde zu verbessern suchen; so
werden wir immer Gelegenheit zu Sympathien
haben. Alles Unglück ist, so lange es währet, für
denjenigen, der es erfährt, etwas wirkliches. Wer
sich einbildet, unglücklich zu seyn, ist es in der That
so lange, als diese Einbildung dauert.
Wenn die Wahl die Bande der Liebe knüpfet:
so ist eine vorgängige genaue Prüfung des Cha
racters der Gesinnungen und der Begriffe der Per
sonen von den wichtigsten Folgen. Bey einer stär
kern Verbindung mit Personen von richtigen Ge
sinnungen und einer gebesserten Einbildungskraft
können wir uns einen reichlichen Antheil von gesel
ligen Freuden versprechen, und wir haben nur ein
geringes Misvergnügen zu befürchten, weil die
Glückseligkeit dieser Personen weniger ungewis
ist, und von äusserlichen Zufällen weniger
abhängt.
(Erstes
Buch.)
188 Unsre Gewalt über Empfindungen,
Da die menschliche Natur von keinen noth
(Es giebt kei
ne nothwen
digen Ursa
chen zur Bos
heit.) wendigen Ursachen angetrieben wird, die Bos
heit zum lezten Endzweck zu machen: so wird eine
ruhige Seele bey einer aufmerksamen Betrachtung
der Gemüthsarten, der Meinungen und der wahren
Quellen aller Handlungen anderer Menschen wirk
lich viele Veranlassungen zu Mitleiden und Be
trübnis, allein nur wenige zu Zorn, Unwillen und
Neid, und gar keine zu einer vorsätzlichen Bosheit
finden. Und so können wir von den Unruhen
und dem Ungemach der menschlichen Neigungen
und Leidenschaften vollkommen frey seyn. Die Men
schen sind wirklich vielen Schwachheiten, unbedacht
samen Vorurtheilen, einem unmässigen Verlangen
nach eigenem Vortheil, starken sinnlichen Begier
den und heftigen Neigungen gegen eingeschränktere
Systemen, welche es nicht verdienen, ausgesetzt;
sie sind dem Zorn über scheinbare Beleidigungen,
die man ihnen selbst, oder andern von ihnen gelieb
ten Personen zufügt, unterworfen: allein sie sind
nicht darauf eingerichtet, ohne einige Veranlas
sung, und ohne alle Hofnung eines Eigennutzes,
boshaft zu seyn. Sie äussern vielmehr einige mo
ralische Begriffe, und sie sind mit einigen Arten
liebreicher Neigungen versehen. Viele von ihren
tadelhaftesten Handlungen werden durch einige un
rechte Begriffe von ihren Pflichten veranlasset,
oder die handelnde Person hält sie für unschuldig,
und sie sind Wirkungen einer parteyifchen<parteyischen> und an
sich rühmlichen Neigung, welche eine Stärke er
langt hat, die ihr nicht zukomt, indem eine allge
meinere entschlummert ist.
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 189
(Sechster Abschnitt.)
VI. Sobald als man die Neigungen anderer
wahrnimmt, und über seine eigenen nachdenkt; so(Moralische Eigenschaf
ten haben auf das gan
ze menschli
che Geschlecht
Einflus.)
bald müssen die moralischen Eigenschaften auf die
Seele einen Einflus haben. Keine Erziehung,
keine Fertigkeit, keine falsche Meinung, selbst keine
gezwungene Nachahmung, kan es verhindern. Ein
Lucrez, ein
Hobbes, ein Bayle können sich von den
Empfindungen der Dankbarkeit, von dem Lobe und
der Bewunderung gewisser sittlicher Eigenschaften,
und von dem Tadel und Abscheu anderer nicht los
arbeiten. Dieses Gefühl verhilft denjenigen,
welche ihm Gehör geben, zu einem Ueberflus an
innern Vergnügen. Unsre eigene Gemüthsart,
unsre eignen Handlungen, können immerwährende
Quellen von Freuden seyn, so oft wir darüber Be
trachtungen anstellen. Allein, wenn man parteyi
sche Begriffe von Tugend und Gerechtigkeit unbe
dachtsam unterhält, und weder allgemeine Absich
ten noch wahre Meinungen von dem Werth der
Personen und Sachen hat: so kan die Bestrebung
nach moralischen Eigenschaften, Misfallen und in
nere Unruhe veranlassen. Falsche Begriffe von
der Tugend können weniger dauerhaft seyn, als an
dre Jrrthümer. Personen, welche dadurch beleidigt
worden sind, werden selten unterlassen, sie aus
einander zu setzen; und Zuschauer, welche durch
unsre Leidenschaften und Vortheile nicht verblendet
sind, werden ihr Misfallen zu erkennen geben.
Und so werden unsre ungegründeten Freuden und
die Zufriedenheit mit uns selbst, der Schaam und den
innern Verweisen geschwind weichen.
(Erstes
Buch.)
190 Unsre Gewalt über Empfindungen,
(Das Gefühl der Ehre äus
sert sich bey jederman.)
Das Gefühl der Ehre mus ebenfalls Ver
gnügen oder Misvergnügen veranlassen, nachdem
die Welt, welcher wir bekant sind, ihre Urtheile
über unser Verhalten fällt: und da wir die Mei
nungen anderer nicht in unserer Gewalt haben: so
können wir nicht versichert seyn, allem Tadel zu ent
gehen. Wir können aber, als würdige Richter,
den Werth der Menschen, nach ihren Eigenschaf
ten, bestimmen, und ihnen entweder Lob oder Ta
del zuerkennen; und so können wir unsre Ehrbe
gierde auf das Lob weiser und tugendhafter Män
ner einschränken. Der Beyfall unserer eigenen
Herzen und der Beyfall Gottes
verschaft uns ein
Vergnügen höherer Art, als die Lobeserhebungen
der Menschen sind. Wir können dem Verlangen
nach dieser geringern Belustigung Einhalt thun,
wenn sie neben der höhern nicht bestehen kan.
(Das Ver
langen nach Reichthum
und Ansehen ist allgemein.)
VII. Auch das Verlangen nach Reichthum
und Ansehen hat auf die Seele einen Einflus, wenn
sie wahrnimmt, daß es ihr augenscheinlicher Vor
theil seyn würde, ein jedes ursprüngliches Verlan
gen zu befriedigen. Diese Bestrebung kan in ei
ner gebesserten Seele ruhiger und mässiger seyn, so,
daß ein Erfolg, der ihrer Erwartung zuwider ist,
ihr keinen grossen Schmerz verursachen wird. Al
lein, wenn man nicht nur die Begriffe von äusser
lichen Beqvemlichkeiten<Bequemlichkeiten> und Vergnügungen oder
von einem Vermögen, andern zu dienen, sondern
auch von allen schätzbaren Fähigkeiten, und der mo
ralischen Würde, mit Reichthum und Ansehn ver
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 191(Sechster Abschnitt.)
knüpft; wenn man sich vorstellt, daß Niederträch
tigkeit und Elend mit der Armuth und einem ge
ringern Stande verbunden sey; wenn man den na
türlichen Nutzen dieser Dinge übersicht, und wenn die
ganze Seele von der Absicht voll ist, reicher und
angesehener zu werden: so mus eine ängstliche Un
ruhe und Ungedult alle Freuden des Lebens verbit
tern und vergiften.
(Wie die ein
gebildeten
Begierden entstehen.)
Wenn sich die Seele von ihren natürlichen
Bestrebungen und Vergnügungen entfernt: so
müssen eingebildete an ihre Stelle treten. Wenn
die Menschen, aus Trägheit und Abneigung gegen
die gehörigen Bemühungen, an Erreichung anstän
diger Absichten verzweifeln; wenn einige Zufälle
ihre Seelen von den uns natürlichen Neigungen
gegen Abkömlinge, Verwandten, und gegen das
Vaterland abgezogen haben: so wird ein Verlan
gen nach einer Art von Hoheit, von Belustigung
und Vergnügen, bey einer gänzlichen Unfähigkeit
zu allen würdigen Beschäftigungen sie zu gewissen
Bestrebungen antreiben, welche in den Augen ihrer
Mitbrüder von gleicher Trägheit, Unfähigkeit
und Verderbnis, unter den dunkeln Begriffen von
Anständigkeit, Freygebigkeit, Geselligkeit und Ar
tigkeit rühmlich geworden sind. Wie könte man
es sonst erklären, warum junge Leute so viele Jah
re mit Jagen, Spielen, Trinken, Müssiggang
und albernen Unterredungen und Ceremonien in öf
fentlichen Zusammenkünften und Lustbarkeiten
zubringen.
(Erstes
Buch.)
192 Unsre Gewalt über Empfindungen,
(Einige Ver
gnügungen sind einander entgegenge
sezt und kön
nen nicht ne
beneinander bestehen.)
VIII. Es ist klar, daß unsre Natur unfähig
ist, die höchsten Vergnügungen aller Arten auf ein
mal zu geniessen, oder nach ihnen allen zugleich zu
trachten. Weder die Vergnügungen selbst, noch
die Mittel, dazu zu gelangen, können alle neben ein
ander bestehen. Ein hohes Wohlgefallen an eini
gen, ist dem Geschmack an andern zuwider. Sinn
lichkeit und Trägheit sind den höhern Vergnügun
gen, welche von der Beschäftigung entstehen, ge
rade entgegengesezt. Die Bestrebungen nach Wis
senschaft und Geschicklichkeit in schönen Künsten
vertragen sich nicht mit dem Geitz, der Sinnlich
keit und einigen Arten von Stolz. Eben so ver
hält es sich mit den Bestrebungen nach der Tugend.
Ja die höhern Vergnügungen verschiedener Arten,
als die Vergnügungen der Tugend und Ehre, wer
den durch das Bewustseyn noch mehr erhöhet, daß
wir andere geringere Bestrebungen und Vergnü
gungen denselben aufgeopfert haben.
(Wenige Vergnügun
gen sind ge
wis.)
Es ist gleichergestalt offenbar, daß wir in
unserm gegenwärtigen Zustande kein Vergnügen als
gewis ansehen können, welches von äusserlichen
Dingen abhängt, die alle unzählichen Zufällen un
terworfen sind. Die edlen Vergnügungen der
Gottesfurcht und der Tugend sind unveränderlich
und von dem Glück unabhängig. So viel gewisse
Vergnügungen uns auch eine tugendhafte Ge
müthsart in den Stunden der Ueberlegung ver
schaft; so führt dieselbe doch die Menschen aus sich
selbst heraus, und macht sie gegen das allgemeine
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 193(Sechster Abschnitt.)
Beste und dem Vortheil anderer empfindlich, diese
aber sind unsrer Gewalt nicht unterworfen. Es
ist ein grosser Schmerz, wenn ein tugendhaftes
Vorhaben mislingt, ungeachtet die Gemüthsart
allemal Beyfall erhalten wird. Wir sind hierin
nen, wie in allen andern Dingen der Vorsehung
unterworfen. Gleichwie diese uns ehemals unsre
empfindenden Kräfte und ihre Gegenstände gegeben
hat: also gebietet sie darüber sowohl als besonders
über die Glückseligkeit oder das Elend anderer, wel
che die lezten Gegenstände der tugendhaften Nei
gungen sind. Dieses zeiget hinlänglich, daß die
Gottheit aus dieser Ursache sowohl, als aus vielen
andern, der höchste Grund unsrer vollkommensten
Glückseligkeit seyn mus; weil wir, ohne die feste
Ueberzeugung, daß ihre Güte, Weisheit und All
macht beständig beschäftigt sind, die Glückseligkeit
der Gegenstände unsrer edelsten Neigungen zu befe
stigen, niemals sicher seyn, noch eine wahre Hei
terkeit und Ruhe der Seele geniessen können.
Wir würden die unwidersprechlichen Be(Ohne Re
ligion ist kei
ne Ruhe möglich.)
weise des Daseyns der Gottheit und ihrer morali
schen Vollkommenheiten hier nicht am unrechten
Orte anführen; nicht nur, weil die feste Ueberzeu
gung hiervon unsre erste und vornehmste Pflicht
ist, sondern auch, weil die Gottheit und ihre Vor
sehung den Grund unsrer Ruhe und höchsten
Glückseligkeit ausmachen. Allein, da aus der Be
schaffenheit der menschlichen Natur, aus der
moralischen Regierung, von der uns unser
eignes Gefühl überzeugt, und aus der ganzen Ein
(Erstes
Buch.)
194 Unsre Gewalt über Empfindungen,
richtung unsrer Seele, alle die liebreichen und
grosmüthigen Neigungen zu billigen, welche die
moralische Vollkommenheit GOttes nachahmen,
die stärksten Beweise in dieser Sache hergenom
men werden: so müssen wir nachhero die Gesin
nungen und Pflichten der Gottesfurcht, als den
höchsten Grad der Glückseligkeit und moralischen
Vortreflichkeit betrachten.
(In wie fern unsere Bemühun
gen von ei
nerley Wir
kung sind.)
IX. Was die andern Vergnügungen, welche
ungewis sind, anbetrift: so ist zwar keine reine un
vermischte Glückseligkeit zu erreichen; allein unsre
Bemühungen sind doch nicht ganz fruchtlos. Wir
haben bereits bemerkt, daß eine vorhergehende gros
se Erwartung, ungeachtet sie die ersten Entzückun
gen über den glücklichen Erfolg und über die Ent
fernung der vorhergegangenen ängstlichen Unruhe,
vermehret, dennoch die darauf folgenden Vergnü
gungen vermindert, einen widrigen Ausgang noch
schmerzhafter macht, und veranlasst, daß ein Un
glück, welches, seiner Natur nach, nur geringe ist,
uns unerträglich wird. Wenn unsre Begriffe von
diesen ungewissen Gegenständen klein, und unsre
Begierden mässig sind: so wird dadurch unsre
dauerhafte Empfindung des Vergnügens an dem
erreichten Gegenstand verstärket, und die Empfin
dung der Widerwärtigkeit geschwächt.
So haben der Mässige, der Bescheidene, der
Sittsame, der Demüthige, eben so geschärfte Em
pfindungen als andre, und geniessen alles Gute in
allen sinnlichen Gegenständen und in der Ehre.
Enthaltsamkeit und Zurückhaltung, welche Forde
Begierd. Leidensch. und Neigungen. 195(Sechster Abschnitt.)
rungen der Tugend sind, verderben keine Empfin
dungen oder Begierden. Die Mässigung im
Glück, die Ehrbarkeit, die Demuth, die Bescheiden
heit, kleine Begriffe von der Glückseligkeit in sinn
lichen Gegenständen, hindern die Empfindung der
Freude über erhaltene Vortheile nicht. Menschen
dieser Art haben eine Vernunft, die ruhig ist, und
sich nur beschäftigt, ihnen die erwünschten Befrie
digungen zu verschaffen, und, bey einem widrigen
Erfolg, andere vorzüglichere Vergnügungen zu fin
den. In dieser ungewissen Welt ist ihr Glück mit
eben so vielen Freuden verknüpft, als das Glück an
derer. Und mitten im Unglück,
Si quis, quae multa vides discrimine tali
Si quis in aduersum rapiat casus ve deus ve
*
(Eine leb
hafte Em
pfindung der Unbeständig
keit in menschlichen Dingen ist
höchstnütz
lich.)
ist der Unterschied offenbar. Solche Widerwär
tigkeiten stossen den entzückten Bewunderern äusserli
cher Dinge eben sowohl zu, als andern. Der eine
kennet noch andre Quellen, sich glücklich zu machen;
er sahe solche Zufälle voraus; der Verlust ist ihm
erträglich. Der andre ist seiner Güter be
raubt, und ihr fragt noch, was ihm fehlt?
So nöthig ist die beständige Betrachtung der Un
gewisheit in den menschlichen Vorfallenheiten;
der Zufälle, welchen wir unterworfen sind; der ei
gentlichen Quellen der Linderung, und der andern
Vergnügungen, die wir immer in unsrer Gewalt
haben können. Dieses schwächt keine wahre
Freude über einen glücklichen Vorfall, sondern
20
(Erstes
Buch.)
196 Vergleichung
hebt die unrichtige Verknüpfung gewisser Begriffe
auf, und verbessert die Einbildungskraft; stärkt
die Seele, und befreyet sie von dem Jrrthum und
der Bestürzung, welche unzubereitete Gemüther
zerstreuen, und sie der Güter berauben, die in ih
rer Gewalt sind.
Der siebende Abschnitt,
Die verschiednen Arten von Vergnügen, und
die entgegengesezten Arten von Misver
gnügen, werden verglichen, um ihren Ein
flus auf die Glückseligkeit zu
bestimmen.
I.
Um zu entdecken, worinnen unsre wahre
Glückseligkeit besteht, müssen wir die ver
schiedenen Vergnügungen des Lebens, und die ver
schiedenen Arten von Elend mit einander verglei
chen, damit wir unterscheiden lernen, welche Ver
gnügungen wir aufgeben, und welche unangenehme
Empfindungen wir ertragen müssen, wenn wir die
höchste und seligste Belustigung erlangen, und die
beschwerlichsten Trübsalen vermeiden wollen.
(Der Werth der Vergnü
gungen be
steht in ihrer Würde und Dauer.)
Was die Vergnügungen einer Art anbe
langt; so ist es klar, daß ihr Werth in einem aus
ihrer Stärke und Dauer zusammengesezten Ver
hältnis besteht. Bey Bestimmung der Dauer se
hen wir nicht allein auf die Beständigkeit des Ge
genstandes, oder darauf, daß er in unsrer Gewalt
bleibt, oder auf die Dauer der Empfindungen,
welche er uns verschaft, sondern auch auf die Be
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 197(Siebender Abschnitt.)
ständigkeit unsrer Einbildung oder unsers Wohlge
fallens; denn sobald diese aufhören: sobald ist das
Vergnügen vorüber.
Wenn wir die Vergnügungen verschiedener
Arten vergleichen: so bestimmen wir ihren Werth
nach der Dauer und der Würde der Art zugleich.
Wir haben bey einigen Arten ein unmittelbares Ge
fühl einer Würde,
*
einer Vollkommenheit oder be
glückenden Eigenschaft, welchem keine Stärke der
geringern Arten gleichkomt, wenn sie auch so lange
dauerten, als wir nur wünschen können. Keine
Stärke oder Dauer giebt den äusserlichen Empfin
dungen eine Würde, welche sie nur dem Vergnügen
über die Verbesserung der Seele, durch Künste und
Wissenschaften, ähnlich machte; noch viel weniger
kan sie dieselben dem Vergnügen, welches aus tu
gendhaften Neigungen und Handlungen entspringt,
gleich setzen. Wir werden niemals anstehen, über
die Glückseligkeit oder Vollkommenheit anderer
Menschen also zu urtheilen, woferne keine unge
stüme Regungen der Begierden und Leidenschaften
unsre Urtheile verderben, wie dieses oft in Ansehung
unsrer selbst geschieht. Dieses innere Gefühl einer
gewissen Würde macht, daß die Vergnügungen und
Uebungen einiger Arten, wenn sie gleich nicht die
höchsten in dieser Art sind, weit mehr vortrefliches
haben, und uns weit glücklicher machen, als die
stärksten und dauerhaftesten Vergnügen der nie
dern Arten. Bey einigen höhern ist die Dauer
von keiner so grossen Wichtigkeit als bey den nie
21
(Erstes
Buch.)
198 Vergleichung
dern. Die Ausübung der Tugend auf eine kurze
Zeit, wenn nicht Laster darauf folgen, ist von ei
nem ungleich grössern Werthe, als die dauerhaften
sinnlichen Vergnügungen. Nichts vernichtet die
Vortreflichkeit und Vollkommenheit des Zustandes
so sehr, als eine entgegengesezte Eigenschaft von eben
derselben Art, welche den ersten Character verun
staltet. Die besondere Glückseligkeit des tugend
haften Mannes, wird, durch den Schmerz oder ei
nen frühen Tod, nicht so sehr geschwächt, als das
Glück eines, der sich seinen sinnlichen Begierden
überlässt; obgleich dieselben auf seinen ganzen Zu
stand, wenn man ihn in dem Zusammenhang aller
Vergnügungen und Leiden betrachtet, einigen Ein
flus haben. Die Betrachtung eigener hoher
Freuden, die uns eine künftige öftere Erinnerung
verschaffen wird, ist nicht dasjenige, was der Seele
die Tugend empfiehlt. Wir fühlen einen Trieb,
einen Eifer nach der Vollkommenheit, nach wür
digen Neigungen und Handlungen, und empfin
den ihre unmittelbare Vortreflichkeit ohne alle Ach
sicht<Nachsicht> auf künftige Vergnügungen von langer
Dauer; obgleich kein Zweifel ist, daß diese Ver
gnügungen, welche eben so sicher sind, als unser
Daseyn, bey der Bestimmung, wie wichtig die Tu
gend in Ansehung unsrer Glückseligkeit sey, in Be
trachtung gezogen werden müssen.
Wenn wir durch die Stärke der Empfin
dungen und Vergnügungen, in einem allgemeinern
Verstande, den Grad anzeigen, in welchem sie unsre
Glückseligkeit befördern: so besteht der verglichene
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 199(Siebender Abschnitt.)
Werth derselben in einem zusammengesezten Ver
hältnis ihrer Stärke und Dauer. Allein um die
grosse Verschiedenheit der Arten beständig vor Au
gen zu haben, und einigen Einbildungen, als ob
die stärkern Empfindungen der geringern Arten,
mit der gehörigen Dauer, unsre Glückseligkeit voll
kommen machten, zuvorzukommen; wird es besser
seyn, den Werth der Vergnügungen nach ihrer
Würde und Dauer zu bestimmen, so, daß die
Würde die Vortreflichkeit der Art, wenn die Ver
gnügungen verschiedener Arten verglichen werden,
und die Stärke der Empfindungen, wenn wir
Vergnügungen einer Art vergleichen, bedeutet.
II. Obgleich die obenerwähnten verschiedenen(Die Ver
schiedenheit des Ge
schmacks bey den Men
schen.)
ursprünglichen Kräfte allen Menschen natürlich
sind: so pflegen doch viele, durch Gewohnheit, ver
knüpfte Begriffe, Erziehung und durch Meinungen
verleitet, nur nach den Vergnügungen einer Art zu
streben; und sie achten andre nicht, welche von
Leuten von entgegengesetzten Gesinnungen unge
mein hochgeschätzet werden. Einige sind den sinn
lichen Belustigungen mehr ergeben; andre überlas
sen sich mehr den Vergnügungen des Verstandes.
Einige streben nach Reichthum und Ansehen, andre
nach moralischen und geselligen Freunden, und nach
Ehre. Reichthum und Ansehn habe einige wenige
getreue Verehrer, welche sie, um ihrer selbst willen,
anbeten: eine grössere Anzahl verehret sie blos als
dienstbare Geister, als Vermittler mit einigen hö
hern Gottheiten, dergleichen Vergnügungen,
Ehre und Gutthätigkeit sind.
(Erstes
Buch.)
200 Vergleichung
(Diese mus geprüfet wer
den.)
Verschiedene Menschen haben also einen ver
schiedenen Geschmack. Was einer als die höchsten
Belustigungen bewundert, wird ein anderer ver
achten. Müssen wir nicht diese Verschiedenheit
des Geschmacks prüfen? Sind alle Personen, alle
Ordnungen von Wesen gleich glücklich, wenn eine
jede diejenigen Vergnügungen erhält, die ihr am
meisten gefallen? Auf diese Art kan das geringste
Thier, die kleinste Insecte eben so glücklich seyn, als
der weiseste Held, Patriot, oder Freund seyn kan.
Dasjenige, was ein Thier so glücklich macht, als
es in der niedrigen Ordnung, darinnen es sich be
findet, werden kan, mus einer andern Ordnung,
welche feinere Empfindungskräfte und edlere Be
gierden hat, nur verächtlich vorkommen. Wesen
von diesen höhern Ordnungen sind sich bewust, was
für eine hohe Würde in ihren besondern Vergnügun
gen, deren niedrige Ordnungen unfähig sind, lie
get, und was für einen wichtigen Einflus dieselben
auf die Glückseligkeit haben. Die Natur hat also
die verschiedenen Ordnungen durch verschiedene Em
pfindungskräfte von einander abgesondert, so, daß
nicht alle von einerley Gegenständen ihre Glückse
ligkeit erreichen können; und sie sind nicht alle gleich
glücklich, wenn eine jede alle Begierden und Em
pfindungen, die sie hat, befriedigen kan.
Die höhern Ordnungen in dieser Welt sind
wahrscheinlicher Weise, aller Empfindungen der nie
drigen Ordnungen, fähig, und können dieselben be
urtheilen. Allein die niedrigen wissen nichts von
den Vergnügungen der höhern. Ja in den ver
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 201(Siebender Abschnitt.)
schiedenen Altern des Lebens gewinnt eine jede einen
verschiedenen Geschmack und andere Begierden.
Wir sind uns in unsern reifern Jahren bewust, daß
die Glückseligkeit unsrer Freunde, unsrer Familien,
und unsers Vaterlands ungleich edlere Gegenstände
unsrer Bestrebungen sind, und daß sie uns ein, dem
Verhältnisse nach, weit edleres Vergnügen ver
schaffen, als das Spielwerk, welches ehemals eine
hinlängliche Unterhaltung für uns war, da wir
noch nichts bessers kanten. GOtt hat jeder Ord
nung, und jedem Alter des Lebens in einer Person
besondere Kräfte und einen besondern Geschmack zu
getheilt. Eine jede ist glücklich, wenn ihr Ge
schmack alle Befriedigungen erhält, deren er fähig
ist. Allein, wir sind uns unmittelbar bewust, daß
eine Befriedigung vortreflicher ist, als die andere,
wenn wir beyde genossen haben. Und alsdenn
macht uns unsere Vernunft und Erfahrung ge
schickt, die Wirkungen und Folgen und die Dauer
derselben zu beurtheilen. Eine kan vorüberfliehend
seyn, und nachhero ein grosses Elend verursachen,
obgleich das gegenwärtige Vergnügen stark seyn
kan; eine andere kan dauerhaft und sicher seyn,
und weder Sättigung noch Schaam, noch Ekel,
noch eine innerliche Unruhe nach sich ziehen.
Höhere Wesen können durch göttlichere Fä(Welche Menschen am besten ur
theilen kön
nen.)
higkeiten und eine vollkommenere Erkäntnis beur
theilen, welches die edelsten sind, ohne alle Arten
genossen zu haben. Sie können eine anschauende
Erkäntnis der Vollkommenheit, und ein gewisses
Maas derselben haben, nach welchem sie die niedri
(Erstes
Buch.)
202 Vergleichung
gern, ihnen unnütze, Arten empfinden können.
Allein unter den Menschen sind diejenigen die besten
Richter, welche durch ihre Empfindungen und Be
gierden, die in einem natürlichen lebhaften Zustan
de sind, die meiste Erfahrung erlangt haben. Man
hat niemals behauptet, daß gesellige Neigungen, die
Bewunderung der moralischen Vortreflichkeit, das
Verlangen hochgeachtet zu werden, mit der Mässi
gung, welche die Begleiterin und Aufseherin derselben
ist, die Bestrebungen nach Wissenschaft, eine natürli
che Thätigkeit; einige Empfindungen oder Begier
den verminderten. Man kan dieses oft mit Rechte,
der Ueppigkeit, Wollust und Trägheit schuld geben.
Die höchsten sinnlichen Vergnügungen werden von
denjenigen empfunden, welche alle Kräfte ihres
Körpers und ihrer Seele zu geselligen tugendhaften
Pflichten beständig anwenden, und die natürlichen
Begierden zu der ihnen bestimmten Zeit wiederkom
men lassen. Solche Leute sind unstreitig die besten
Richter aller Vergnügungen, nach dem Grundsatz,
welchen Aristoteles so oft einschärft: „Der Tugend
hafte ist am geschicktesten, alle Dinge zu beurthei
len und ihren Werth zu bestimmen.“
(Der Laster
hafte kan sel
ten richtig urtheilen.)
Allein es könte billig die Frage aufgeworfen
werden, ob Menschen, welche den sinnlichen Belu
stigungen, oder dem Vergnügen der Einbildungs
kraft, oder dem Reichthum und Ansehn zu sehr er
geben sind, hinlänglich geschickt seyn können, in
dieser Sache zu urtheilen. Diese Bestrebungen
werden wirklich selten lange fortgesetzet, ohne daß
man einen Begrif von ihrer Unschuld, oder von ei
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 203(Siebender Abschnitt.)
ner Pflicht und moralischen Verbindlichkeit damit
verknüpft. Eine lange Gewohnheit verunstaltet
zuweilen den natürlichen Character und die natürli
chen Kräfte. Menschen, welche eine Fertigkeit
im Laster erlangt haben, empfinden selten grosmü
thige Neigungen, gesellige Freuden und das Ver
gnügen einer wahren unparteyischen gleichförmigen
Güte. Böse Fertigkeiten schwächen die geselligen
Empfindungen und den Wohlgefallen an der Tu
gend. Und dem ungeachtet geben diese Menschen
bey gewissen Gelegenheiten ihre Achtung gegen die
Tugend zu erkennen.
III. Nachdem wir dieses voraus geschickt ha
ben, müssen wir nunmehro zuförderst die verschie
denen Arten von Vergnügungen, in Absicht auf
die Würde und Dauer; und auf gleiche Art die
ihnen entgegengesezte Leiden miteinander verglei
chen; und alsdenn die verschiedenen Gemüthsarten
oder Character, in Absicht auf die innere Befrie
digung, gegeneinander halten.
Die Vergnügungen der äusserlichen Sinne(Die sinnli
chen Vergnü
gungen sind die geringsten)
können in zwo Classen eingetheilet werden; nämlich in die Vergnügungen der Zunge und in diejenigen,
welche die Vereinigung beyder Geschlechter gewährt.
Diese zwo Arten werden sinnliche
genennet.
So angenehm auch die Vergnügungen der(Vergnügun
gen der Zun
ge.)
Zunge für die Kinder seyn mögen; so müssen doch
dieselben von Leuten, welche nachdenken, und einige
andere Belustigungen genossen haben, für die nie
drigsten und verächtlichsten Freuden gehalten wer
(Erstes
Buch.)
204 Vergleichung
den. Die angenehme Empfindung, welche wir
fühlen, wenn der Körper Unterhalt nöthig hat,
kan sehr stark seyn; sie komt von einer weisen Ein
richtung her, und soll uns antreiben, für unsern
Körper die gehörige Sorge zu tragen. Die Lin
derung dieser unangenehmen Empfindung kan an
fangs mit einer starken Lust verknüpft seyn. Al
lein das eigentliche Vergnügen des Geschmacks, die
wirkliche Belustignng<Belustigung>, mus von allen denjenigen,
welche über die Thiere erhaben sind, als verächtlich
angesehen werden. Die Verschiedenheit des Ver
gnügens, in Absicht auf die verschiedenen Arten von
Speisen, ist so gering, daß dasjenige, welches die
Heftigkeit des Hungers und Durstes verschaft,
weit grösser ist. Die ausgesuchtesten und lecker
haftesten Speisen werden einem, der sich gesättigt,
obgleich nicht überladen hat, kaum soviel Vergnü
gen gewähren, als die geringste Kost einem andern,
der starke Lust zum Essen empfindet, nachdem er
eine Zeitlang nichts zu sich genommen, und viel
Bewegung gehabt hat, verschaffen wird; wenn
auch gleich kein solcher Schmerz vorhanden war,
welcher neben Freude und Munterkeit nicht hätte
bestehen können. Wenn also die Linderung einer
so angenehmen Unruhe mehr Vergnügen verschaft,
als der Genus der ausgesuchtesten Speisen, vor
welchem sie nicht vorhergegangen ist: so mus das
wirkliche Vergnügen sehr unbeträchtlich seyn. Es
ist vergebens, wenn man dadurch, daß man diesem
Trieb zuvorkomt, oder ihn durch allerhand Anrei
zungen verstärkt und verlängert, das Vergnügen
zu befördern denkt; eben dieses gilt auch von allen
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 205(Siebender Abschnitt.)
gekünstelten Bemühungen, Uebung und Enthalt
samkeit ausgenommen, so lange nicht der natür
liche Trieb selbst zurückkehrt. Die grösten Epi
kurer haben dieses erkant, wenn Geschäfte oder Be
lustigungen ihnen zufälliger Weise Gelegenheit ga
ben, die Erfahrung davon zu machen.
Es würden alle Menschen hierinnen über(Die Ursa
chen des Jrr
thums, eine
Vermischung moralischer Vergnügun
gen.)
einkommen, wenn diese Vergnügungen nicht mit
andern von einer sehr verschiedenen Natur vermengt
würden. Nicht nur eine wohleingerichtete Haus
haltung, Kunst, Schönheit und Ordnung, und
Pracht in den Zimmern, sondern auch moralische
Eigenschaften, Freygebigkeit, die Mittheilung des
Vergnügens, Freundschaft, und die Absicht, sich um
andre wohl verdient zu machen, werden in unsrer
Einbildung mit den erwähnten Vergnügungen
verknüpft. Nehmt die Sinnlichkeit aller dieser
entlehnten Reizungen hinweg, und betrachtet ei
nen, welcher die Lust, die im Essen und Trinken
liegt, einsam und vor sich geniesset: so wird sie euch
insgesamt niedrig und verächtlich vorkommen.
Man stelle sich vor, daß jemand sein ganzes
Leben in einem ununterbrochenem Genus dieses
Vergnügens zubringe; daß bey ihm die Lust zu essen
und zu trinken, der gegenwärtigen Ordnung der
Natur zuwider, immer gleich stark bleibe; allein daß
an ihm keine geselligen Freuden oder Neigungen,
keine feinere Empfindungen, keine Uebung der Kräf
te des Verstandes sich äusserten: so wäre dieses ein
Leben, welches noch unter dem Zustande mancher
unvernünftigen Thiere seyn würde. Jhr Trieb
(Erstes
Buch.)
206 Vergleichung
zur Nahrung erlaubt ihnen eine Zwischenzeit zu
Vergnügungen von einer geselligen Natur und zur
Bewegung; und wenn sie dieselbe auf diese Art
zubringen: so verrathen sie alsdenn bey dem Ge
nus des Futters eine grössere Lust.
(Die Dauer ist gering.)
Auch die Dauer dieser Empfindungen ist un
beträchtlich. Die Güte Gottes ist zwar so gros,
daß die Mittel, den Trieb zur Nahrung zu befrie
digen, leicht erhalten werden können: und wir sind
solchergestalt im Stande, durch eine gute Einrich
tung, uns oft die höchsten Vergnügungen dieser
Art zu verschaffen. Allein der Trieb wird bald be
friediget, und äussert sich nur nach einem langen
Zwischenraume wieder. Gekünstelte Reizungen
desselben können zwar eine unnatürliche Begierde
erregen; aber die Befriedigung derselben ist mit ei
nem geringen Vergnügen verknüpft. Dieses ist
eine wirkliche Verderbnis und Krankheit; und,
wenn fie<sie> lange anhält, so verursacht sie eine Schwach
heit im Körper, und hindert alle Vergnügungen.
Wenn man Pracht und Verschiedenheit verlangt:
so wird die Einbildungskraft eigensinnig und unbe
ständig, und die Gegenstände werden ungewis.
Dieses Verlangen kan uns zu einem grössern Auf
wand verleiten, als es unser Vermögen zulässt, und
es kan stärker werden, indem die Mittel zur Be
friedigung desselben abnehmen.
(Eben dieses ist von den Freuden der Liebe wahr.)
Einige von diesen Betrachtungen vermin
dern auch den Werth der andern Art von sinnlichen
Vergnügungen, welche von der Befriedigung eines
unruhigen Triebes, der uns mit den unvernünfti
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 207(Siebender Abschnitt.)
gen Thieren gemein ist, eben so sehr abhängen, als
das wirkliche Gute an sich selbst gering und unbe
trächtlich ist. Wenn man sich die Empfindung al
lein, ohne Liebe oder Hochachtung moralischer Ei
genschaften, ohne Absicht auf die Mittheilung des
Vergnügens, ohne die Gedanke, geliebt zu seyn,
vorstellt: so wird dieselbe dem Vergnügen nicht
gleichkommen, dessen einige unvernünftige Thiere
von einer feinern Art, sich bewust zu seyn scheinen.
Und alsdenn ist dieses Vergnügen flüchtiger als al
le andere. Gewohnheit, Verschiedenheit und An
reizungen bringen die Seele in einen beklagens
würdigen Zustand, in eine ungedultige Hitze; sie
machen dieselbe unfähig, sich selbst zu beherrschen,
und zu verbessern; sie stürzen dieselbe in eine Scla
verey, welche ihr alle Aufrichtigkeit, Rechtschaffen
heit und alles Gefühl der Ehre entzieht. Zu die
sem allen komt noch eine seltsame Einbildungskraft,
das Misvergnügen über widrige Zufälle, welchem
solche ausschweifende Begierden ausgesezt seyn müs
sen; und daß nach der vorüberfliehenden Empfin
dung kaum etwas übrig seyn kan, das einem, wel
cher nicht alles männliche Gefühl der Tugend ver
lohren hat, angenehm seyn könte. Die Erinne
rung an vergangene sinnliche Vergnügungen ver
hilft uns zu keiner Empfindung eines Verdienstes
oder einer Würde, zu keiner Ursache der Selbst
zufriedenheit, und kaum verschaft sie uns eine Art
von Freude, ausser der niedrigen Hofnung, dieses
sinnliche Vergnügen zu wiederholen, welche die Be
gierde, nach Verlauf einiger Zeit, wiederum ein
wenig lebhaft machen kan. Die Erinnerung dar
(Erstes
Buch.)
208 Vergleichung
an kan uns bey keinem Ungemach, Verdrus,
Schmerz oder Kummer, bey keiner innerlichen Un
ruhe der Seele oder äusserlichem Unglück aufrich
ten. Wir nennen die Natur dieser Vergnügun
gen sinnlich, und die innern Empfindungen unsrer
Herzen überzeugen uns sattsam, daß die höchste
Glückseligkeit der menschlichen Natur in ganz an
dern Vergnügungen von einer edlern und dauerhaf
tern Art bestehen mus.
(Widerle
gung der Ein
würfe, wel
che von dem
jenigen, was man an aus
schweifenden
Menschen bemerkt, her
genommen werden.)
IV. Es geschiehet oft, daß viele Menschen
dergleichen Vergnügungen allen andern vorziehen,
und die Bemühung um sinnliche Belustigungen
das einzige Geschäft ihres Lebens seyn lassen; daß
also ihre ganze Seele von einer natürlichen Nei
gung zu denselben eingenommen ist, und daß die
Macht derselben stärker zu seyn scheint, als das
moralische Gefühl und die grosmüthigen Nei
gungen.
Diesen Argwohn aus dem Wege zu räumen,
wollen wir uns erinnern, daß die beständige Be
mühung um sinnliche Belustigungen meistentheils
von der Meinung, als ob dieselben unschuldig wä
ren, begleitet werden. Unser
moralisches Gefühl,
unsre sympathetischen Empfindungen, und unsre
liebreichen Neigungen werden denselben selten ent
gegengesezt werden, oder mit ihnen in Streit ge
rathen; auch nicht in den Seelen der Menschen, die
der Sinnlichkeit am meisten ergeben sind. Wenn
die Menschen, ohne diesen Begrif der Unschuld, von
ihren Begierden, zu sinnlichen Belustigungen hin
gerissen werden: so sind sie, nach der Befriedigung,
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 209(Siebender Abschnitt.)
in einem beklagenswürdigen Zustande, und fühlen
die bittersten Verweise ihres Gewissens. Auch
diejenigen, welche vorsätzlich Ausschweifungen be
gehen, haben einige scheinbare Gründe in Bereit
schaft, auf welche sie eine betrügerische Vorstellung
von der Unschuld ihrer Belustigungen bauen.
Ja einige moralische Begriffe, dergleichen die
Mittheilung des Vergnügens, Liebe, Freundschaft,
die Absicht, sich um andre verdient zu machen, und
von ihnen geliebt zu seyn, sind, machen den vor
nehmsten Reitz der sinnlichen Belustigungen aus.
Dieses äussert sich in dem üppigen und unmässigen
Leben solcher Leute, die nicht bis unter die unver
nünftigen Thiere hinabgesunken, und keiner allge
meinen Verachtung unterworfen sind. Man be
merkt es auch in den unkeuschen Leidenschaften, und
daher komt es, daß ihre Gegenstände sich durch eini
ge Begriffe von moralischen Vollkommenheiten,
von Gutartigkeit, Freundlichkeit, Gefälligkeit, Witz
und Verbindlichkeit empfehlen. Diejenigen hin
gegen, welche von grosmüthigen Neigungen und
von der Liebe der Ehre und moralischen Vortref
lichkeit zu einem tugendhaften Wandel angeführet
werden, verachten die sinnlichen Belustigungen, öf
fentlich; und weder einige dunkle Einbildungen noch
die Hofnung, von Verdrus und Misvergnügen be
freyt zu seyn, empfehlen sie ihrer Wahl. Die äusserli
chen Uebel, Beschwerlichkeit, Aufwand und Ermat
tung, werden eben so sehr verachtet, als die Anlockun
gen zu Ruhe und Vergnügen: die moralischen Eigen
schaften sind, vermöge ihrer eigenthümlichen Macht,
(Erstes
Buch.)
210 Vergleichung
über sie erhaben. In dem Wollüstigen wird das
moralische Gefühl selten überwunden; die Be
lustigungen scheinen ihm unschuldig, oder die So
phisterey der Leidenschaften vermindert die Schuld
so sehr, daß er nur ein geringes moralisches Uebel
zu begehen glaubet, wenn er das höchste sinnliche
Gut erlangen kan; und die schwächsten moralischen
Neigungen werden durch die stärksten sinnlichen
Triebe überwunden; oft durch Beyhülfe einiger
falschen moralischen Vorstellungen.
(Die sinnli
chen Belusti
gungen be
stehen neben der Tugend.)
Wir müssen hier auch anmerken, daß nicht
alle sinnliche Belustigungen dem moralischen Ver
gnügen entgegengesezt sind. Es giebt eine gewisse
gemässigte Nachsicht gegen die sinnlichen Begier
den, die vollkommen unschuldig, und hinlänglich
ist, den unruhigen Trieb zu befriedigen. Diese
Nachsicht kan durch eine weise Einrichtung eben so
stark seyn, als irgend eine Art sinnlicher Belusti
gungen, und sie kan so gar die moralischen beför
dern. Der Mässige, und derjenige, welcher, nach
einer Beherrschung seiner selbst, in seinem ledigen
Stande, bey seiner Verehlichung, eine weise Wahl
getroffen hat, können eben so hohe sinnliche Be
lustigungen geniessen, als andre. Wenn wir die
Tugend empfehlen wollen: so dürfen wir nicht
voraussetzen, daß sie allen Befriedigungen der Sin
ne entgegen sey; ob gleich die Kraft derselben in
unsern Herzen so unaufhörlich wirksam erhalten
werden sollte, daß sie alle Begierden, die ihr zufäl
liger Weise entgegen seyn möchten, unterdrücken
könte. Die angenehme Herrschaft der Tugend ge
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 211(Siebender Abschnitt.)
währt uns solche Vergnügungen, welche die höch
sten in ihrer Art sind; oder wenn dieses nicht ge
schieht: so ersezt sie den Verlust durch den innern
Beyfall, wegen einer solchen Enthaltsamkeit und
Selbstbeherrschung. Wie reichlich wird nicht durch
den Beyfall, den Freundschaft, Treue und die Be
mühung, sich um andre verdient zu machen, er
hält, und durch die Erwiederung der unveränder
lichen Neigungen eines würdigen Herzens; der
Mangel der unregelmässigen, schandbaren, verwir
renden und unangenehmen Leidenschaften und Aus
schweifungen ersezt, welchen sich Personen überlas
sen, die weder eine moralische Würde, noch bestimm
te und unwandelbare Neigungen besitzen.
V. Wir kommen nunmehro auf die Vergnü(Das Ver
gnügen der
schönen Kün
ste und Wis
senschaften übertrift die
sinnlichen Vergnügun
gen an Wür
de.)
gungen der Einbildungskraft in der Pracht, in
äusserlichen anständigen und ordentlichen Einrich
tungen und in der Wahrnehmung der Schönheit
und Harmonie, zu welchen wir noch die Belusti
gungen, welche schöne Künste und Wissenschaften
gewähren, rechnen können. Hier geht keine unru
hige thierische Begierde vorher, deren Befriedigung
das Vergnügen erhöhen könte; und doch wird
man unmittelbar finden, daß diese Vergnügungen
höher sind, als die sinnlichen, und daß sie uns von
unsrer Natur mehr empfohlen werden. Wenn der
Antrieb der Begierde unangenehme Empfindungen
verursacht: so wird sich dieses Vergnügen so lange
verzögern, bis diese unangenehme Empfindung aus
dem Wege geräumt worden; besonders wenn man
nicht befürchten darf, daß sie bald wiederkommen
(Erstes
Buch.)
212 Vergleichung
werde. Allein das Anschauen schöner Gestalten,
die sinnreichen Werke der Kunst, und die vollkom
menern Werke der Natur, die Belustigung an der
Harmonie und an der Nachahmung der schönen
Künste, die Entdeckung der unveränderlichen Be
ziehungen und Verhältnisse der Gegenstände des
Verstandes, verschaffen uns würdigere Vergnügun
gen, welche über alle sinnlichen weit erhaben sind,
wenn die sinnlichen allein, ohne entlehnte Reizun
gen einer höhern Natur, betrachtet werden. Die
se männlichern Vergnügungen sind unsrer Natur
gemässer, und sie werden allemal hochgeachtet und
gebilligt, wenn wir über die Bestrebungen anderer
urtheilen.
(Sie sind auch dauer
hafter.)
Diese Vergnügungen übertreffen die sinnli
chen auch in der Dauer. Sie können einen gros
sen Theil unsers Lebens einnehmen, ohne uns zu
sättigen, oder Ekel zu verursachen, da der Genus
derselben etwas selbstständiges ist, und von der Be
friedigung einer vorhergegangenen unruhigen Em
pfindung nicht abhängt. Sie sind die anständigen
Uebungen der Seele, so lange keine höhere Pflich
ten, der Gesellschaft oder der vernünftigen Fröm
migkeit, eine andre Beschäftigung von ihr verlan
gen. Sie haben etwas von der dauernden Natur
der Seele, und sind nicht so vorüberfliehend, als
alle Belustigungen, welche blos den sterblichen Kör
per angehen. So oft uns also wichtigere Pflich
ten der Tugend einige Zeit erlauben; so oft können
wir dieselbe auf die angenehmste und anständigste
Art mit der natürlichen oder bürgerlichen Geschichte,
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 213(Siebender Abschnitt.)
mit der Geometrie, Astronomie, Dichtkunst, Male
rey, und Musik oder andern Beschäftigungen in
den schönen Künsten zubringen. Einige von den
angenehmsten unter diesen Vergnügungen erfor
dern nichts Eigenthümliches, und es können uns
niemals Gegenstände fehlen. Wenn die Gewohn
heit das Vergnügen an den bekanteren Schönhei
ten der Natur schwächt: so kan uns der innere
Bau derselben neue Belustigungen verschaffen, und
die Schätze der Natur sind unerschöpflich.
Die Gegenstände von dieser Art, welche et
was Eigenthümliches erfordern, sind ungewisser,
die Bestrebung nach ihnen ist beschwerlicher und
ängstlicher, und die Einbildung unbeständiger,
weil ein langer Besitz den Gefallen daran vermin
dert. Die Einbildungskraft hat hier eine Ein
schränkung nöthig, damit sie nicht, vermittelst der
verknüpften Begriffe, von einer moralischen Wür
de und Freygebigkeit, in eine ausschweifende Be
wunderung gerathe, und uns zu unzählichen Bestre
bungen nach solchen Dingen verleite, die zu unserer
Glückseligkeit nicht wesentlich sind.
VI. Die sympathetischen Vergnügungen, wel(Die sympa
thetischen
Vergnügun
gen sind stark.)
che wir über das Glück anderer empfinden, stehen
mit den liebreichen Neigungen, die wir für diesel
ben unterhalten, in Verhältnis. Unsere Natur ist
dieser Neigungen ungemein fähig; besonders der
stärkern Arten derselben, gegen Abkömlinge, Aeltern,
Anverwandten, Wohlthäter, oder Leute von ausser
ordentlichen Verdiensten; gegen Secten, Parteyen,
und das Vaterland. Sie verschaffen uns mehr Be
(Erstes
Buch.)
214 Vergleichung
schäftigung, und haben auf das Glück oder Elend
unsers Lebens einen grössern Einflus.
Vergleicht diese mit andern: betrachtet die
Freude des Herzens über ein ansehnliches Glück,
oder über die erhabene Tugend eines, den wir herzlich
lieben, eines Kindes, Bruders oder Freundes;
über einen Ruhm oder Vortheil, den unsre Par
tey oder unser Vaterland, oder eine würdige Sache,
welcher wir uns annehmen, oder ein bewunderter
Character, erlangt hat; oder darüber, daß sie einer
befürchteten Gefahr entgangen sind. Wenn eine
herzliche Zuneigung vorhanden ist: so sind diese
Freuden ungleich grösser, als irgend einige von den
vorhergehenden. Welches Vergnügen der Sinne
oder der Einbildungskraft würden wir nicht verges
sen, um diese Freuden zu erhalten? Oft haben
Menschen darüber, daß sie einer befürchteten gros
sen Gefahr entgangen sind, eine so grosse entzücken
de Freude empfunden, daß sie für die Natur zu hef
tig gewesen ist, und traurige Folgen gehabt hat:
wir haben mehr Beyspiele, daß auch die sympatheti
schen Freuden solche Wirkungen gehabt haben.
Und wenn einigen Gemüthsarten, nach der Erfah
rung eines Unglücks, das Leben unerträglich wird:
so findet man noch mehrere, welche es über das Un
glück anderer eingebüsset haben. Die Vergnügun
gen müssen von einer solchen höhern Art seyn,
welche alle Mühe und Arbeit, die für Abkömlinge
und Freunde unternommen wird, auch in den ge
ringsten Charactern angenehm machen können.
Der Ueberflus an allen Dingen, die man selbst
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 215(Siebender Abschnitt.)
nicht nöthig hat, schwächt den Fleis der Menschen
nur wenig.
Diese Vergnügungen dauern so lange, als
die Person geliebt und glücklich ist. Ein neuer
glücklicher Zufall, den wir selbst, oder unsre Freun
de erfahren, rühret uns stärker, als Vortheile, die
wir lange besessen haben. Allein, so lange die Nei
gung vorhanden ist, so lange bleibt auch das Ge
fühl, und die sympathetischen Freuden werden uns
niemals ekelhaft. Wenn die Neigungen sich auf
falsche Meinungen von den Verdiensten der Per
sonen, oder von dem Werth der Sachen gründen;
so können dieselben von keiner Dauer seyn, und die
sympathetischen Freuden werden verloren, und zie
hen Ekel und Unwillen nach sich. Allein, die vor
nehmste Ursache des Unbestands in dieser Art von
Glückseligkeit, ist die Ungewisheit des Schicksals
derjenigen, die wir lieben; denn ihr Elend mus
uns die stärkste Bekümmernis verursachen. Hierin
nen hängen wir ganz von der Vorsicht ab.
Alles was wir thun können, uns einen Vor(Die Ueber
zeugung von der Vorse
hung ist der einzige Grund der Sicherheit.)
rath von Freuden dieser Art zu verschaffen, bestehet dar
innen, daß wir die Verdienste der Personen und den
Werth der Sachen genau untersuchen, und dadurch
unsern stärkern Neigungen auf die höheren Ver
dienste der Menschen von einer wahren Rechtschaf
fenheit und gebesserten Einbildungskraft richten,
deren Glückseligkeit weniger unbeständig ist, als an
derer. Wir müssen eine feste Ueberzeugung von
der Weisheit und Güte der Vorsehung haben, und
die allgemeinsten Neigungen ausüben. Je stärker
(Erstes
Buch.)
216 Vergleichung
unsre allgemeine Wohlgewogenheit seyn mus, wenn
das Glück aller Menschen uns die höchste Freude
verschaffen soll; desto grösser mus auch unsre Be
trübnis über ein allgemeines Elend seyn. Allein,
eine feste Ueberzeugung, daß eine gütige Vorsicht
das Ganze, auch mitten unter scheinbaren Uebeln
und Unordnungen, auf das beste regiere, kan diese
Neigungen sicher machen, und uns einen Ueberflus
an höhern Freuden verschaffen. Hiervon werden
wir im Verfolg reden.
(Moralische Vergnügun
gen gehören unter die höchsten, de
ren unsre Natur fähig
ist.)
VII. Die vierte Classe der Vergnügungen
sind die moralischen, welche aus dem Bewust
seyn guter Neigungen und Handlungen entsprin
gen. Diese Freuden sind von den sympathetischen
unterschieden, die von der Glückseligkeit anderer ent
stehen, zu welcher unsre Neigungen und Handlun
gen nichts beygetragen haben. Allein, unsre Nei
gungen und Handlungen selbst können uns auch
ohne alle Absicht auf den Zustand anderer nicht gleich
gültig seyn, wenn wir auf sie aufmerksam sind.
Wenn wir unsre ganze Seele liebreich und gütig
finden: so müssen wir dadurch den angenehmsten
innern Beyfall erlangen; und eine höhere Freude
entstehet alsdenn, wenn wir diese Neigungen in der
Ausübung wohlthätiger Pflichten zu erkennen ge
ben. Diese Freuden sind die wichtigsten und höch
sten in Absicht auf die Würde und Dauer.
(In Anse
hung ihrer Würde.)
Wie weit sind nicht die höchsten Belustigun
gen der Sinne oder auch der Einbildungskraft und
einer tiefsinnigen Erkäntnis, unter der unwandel
baren Freude, welche aus dem Bewustseyn eines
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 217(Siebender Abschnitt.)
guten Herzens entspringt; unter dem hohen Bey
fall, welchen man in sich selbst fühlt, wenn man
seinem Vaterland oder seinen Freunden einige wich
tige und nützliche Dienste geleistet hat; und unter
der ergötzenden Gedanke, sich um das menschliche
Geschlecht wohl verdient, und seines Beyfalls wür
dig gemacht zu haben? Die liebreichen Neigungen
lassen das Herz ruhig; wir empfinden einen in
nern Wohlgefallen an ihnen, und wir unterhalten
dieselbe unsre ganze Lebenszeit mit der grössten Freu
de. Allein unsre Natur ist zu mehrern geschickt,
als zu unthätigen Neigungen. Es ist mit der
Uebung unsrer Kräfte eine hohe Glückseligkeit ver
knüpft; und je edler die Kraft ist, desto glücklicher
sind wir, wenn wir sie üben. Wenn die tugend
haften Unternehmungen gelingen: so entsteht von
dem Bewusstseyn eines guten Herzens, von dem
geselligen Gefühl bey dem Schicksal anderer, von
der erwarteten Liebe und dem Beyfall aller Menschen,
besonders von dem Wohlgefallen unsers Schöpfers,
ein Zusammenflus von so reinen Freuden, die alle
andre Vergnügungen übertreffen. Wenn unsre
Bemühungen mislingen: so fehlen uns die sym
pathetischen Freuden, und wir werden von Mitlei
den gerührt; allein die andern Quellen von Ver
gnügungen bleiben. Die moralischen Belustigun
gen können die Betrübnis über das Elend einer
geliebten Person, oder über den unglücklichen Aus
gang einer Sache, welcher wir uns angenommen
hatten, mildern. Wären wir uns nicht bewust,
daß wir, so viel uns betrift, wohl gehandelt haben:
so würde uns diese Betrübnis unerträglich seyn.
(Erstes
Buch.)
218 Vergleichung
Die Einbildungskraft kan damit wohl beste
(Diese Ver
gnügungen
sind die dau
erhaftesten.) hen. Unser Geschmack an der Tugend nimmt durch
die Uebung zu, und die Gewohnheit macht ihn im
mer angenehmer. Die Erinnerung ist allemal er
götzend, und macht das Vergnügen dauerhaft,
wenn richtige Begriffe von der Tugend, von dem
Verdienste der Personen, und von dem Werth der
Sachen vorhanden gewesen. Die Schöpfung ver
schiedener Ordnungen von Wesen, der Unterschied
des Zustands, welcher bey einer Art derselben an
getroffen wird, und daß einige mehr, andere
weniger vollkommen sind, hat wahrscheinlicher
Weise auch diesen Endzweck, daß es den edlern
Seelen niemals an Gelegenheiten fehlen soll, ihre
tugendhaften Gesinnungen gegen andre, die entwe
der weniger vollkommen, oder weniger glücklich
sind, als sie, auf eine angenehme Art in Uebung zu
bringen. Diese Freuden übertreffen die Macht,
welche das Glück über uns hat, so lange die Men
schen gesunde Seelen haben. Ein niedriger Stand,
eine beschwerliche Lebensart oder äusserliches Unge
mach können uns unfähig machen, andern die wichtig
sten Dienste in äusserlichen Dingen zu leisten; al
lein sie können uns weder die innern guten Regun
gen des Herzens rauben, noch uns verhindern, die
jenigen Handlungen, zu welchen unsere Fähigkei
ten uns geschickt machen, zu unternehmen; und die
ses ist die höchste Tugend.
(Richtige Begriffe von der Tugend
sind noth
wendig.)
Unüberlegte Bewunderungen einiger par
teyischer moralischer Eigenschaften, und einige ge
ringere Neigungen, ohne richtige Begriffe von
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 219(Siebender Abschnitt.)
dem Verdienst der Personen und dem Werth der
Sachen, können uns zu einem Verhalten verleiten,
welches uns, bey einer bessern Erkäntnis, beschämet
und den Vorwürfen unsers Gewissens aussetzet.
Allein, wenn wir durch Nachsinnen und Ueberle
gung richtige Begriffe von der Tugend und dem Ver
dienst, und von den sichersten Mitteln Gutes zu
thun, erlangt haben: so sind die tugendhaften
Handlungen, welche die natürlichen Bestrebungen
vernünftiger und geselliger Wesen sind, und ihre
höchste Glückseligkeit befördern, allemal in unserer
Gewalt.
Unter diesen moralischen Vergnügungen, ver
dienen die Freuden der Religion und Ehrfurcht ge
gen GOtt besonders bemerkt zu werden, welche in
der Classe der moralischen Belustigungen die höch
sten von allen sind. Allein, da dieselben von ganz
anderer Natur sind, als die übrigen moralischen
Vergnügungen: so sollen sie aus Ursachen, die wir
schon oben angeführt haben, im Verfolg besonders
betrachtet werden, und wir werden zeigen, daß sie,
vor allen andern, den wichtigsten Einflus auf eine
unveränderliche und erhabene Glückseligkeit haben.
IX. Da die Vergnügungen der Ehre, welche(Die Ver
gnügungen
der Ehre sind sehr stark.)
von dem Beyfall der Achtung und der Dankbar
keit anderer entstehen, natürliche Folgen der Tu
gend sind; so müssen sie, wenn sie sich auf die
selbe gründen, unter die angenehmsten Empfin
dungen der Seele, gerechnet werden. Die
se Freuden der Ehre und Tugend, und die sympa
(Erstes
Buch.)
220 Vergleichung
thetischen Freuden stehen in einer natürlichen Verknü
pfung, und wir haben nicht nöthig, eine zu genaue Ver
gleichung zwischen ihnen anzustellen. Sie werden
durch einerley Verhalten erreichet, und wenn sie
zusammenkommen: so sind keine Worte stark ge
nug, die Glückseligkeit, welche man alsdenn genies
set, auszudrücken. Die sympathetischen Freuden
können, in einigen Herzen voll zärtlicher Neigun
gen, stärker seyn; und Menschen, die in öffentlichen
Bedienungen geschäftig sind, können von dem Be
wustseyn der Tugend und einer verdienten Ehre
mehr gerührt werden. Sind sie aber alle drey
vereiniget, werden sie von der festen Ueberzeugung
begleitet, daß ein gütiger GOrt sey, welcher unsre
Gemüthsart billiget, und die allgemeine Ordnung
und Glückseligkeit in Sicherheit erhält: so mus
unser Zustand der unaussprechlichen ruhmvol
len Freude am nähesten kommen, auf welche wir,
als auf die höchste Vollkommenheit vernünftiger
Wesen, hoffen.
(Und grosser Dauer.)
Die wahre Ehre ist auch dauerhaft, und
gleichet nicht den sinnlichen Ergötzungen, welche,
wie der Schatten einer Wolke, vergehen, und keine
Spur hinter sich zurücklassen. Der Beyfall und
die Hochachtung anderer, wenn sie sich auf die Tu
gend gründen, können, wahrscheinlicher Weise, so
lange, als das Leben, währen, und uns überleben:
und der Beyfall Gottes wird von ewiger Dauer
seyn. Die Bestrebungen nach einem allgemeinen
Ruhme, wegen ausserordentlicher Fähigkeiten und
Tugenden, können wirklich mislingen, mit Be
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 221(Siebender Abschnitt.)
schwerlichkeit verknüpft seyn, und übertrieben wer
den. Gemeine Tugenden, oder auch die höchsten
Tugenden in niedrigen Ständen, werden nicht den
allgemeinen Beyfall der Nationen erhalten. Aber
ein weiser und tugendhafter Mann, kan sowohl in
einer eingeschränktern als in einer weitern Sphäre
allemal eine solche Ehre erlangen, die ihm grosse
Freude verschaft. Und ein gutgeartetes Herz, wel
ches von einer Vorsehung, die alle Dinge bemerkt,
überzeuget ist, versichert sich des ewigen Beyfalls
des besten Richters.
X. Gegen diese erhabenen Freuden verdienen(Die Vergnü
gungen wel
che Scherz und Frölich
keit gewäh
ren, sind
mit der Tu
gend ver
wandt.)
die Vergnügungen, welche uns Scherz und Frö
lichkeit gewähren, nur eine geringe Betrachtung.
Und dennoch verachten auch Kinder gegen sie die
sinnlichen Belustigungen, welche von ihnen man
che Reizungen entlehnen, ohne die dieselben verächt
lich und schandbar seyn würden. Sie machen die
andern Ergötzungen angenehmer, und durch sie
erholen wir uns von den ernsthaften Geschäften.
Die edlern Freuden haben etwas geseztes, strenges,
und feyerliches. Aber das menschliche Leben mus
seine Erquickungen haben. Wenn Scherz und
Frölichkeit einen Werth haben sollen: so müssen sie
ihn allemal von der Tugend erhalten. Denn nur
zu einer Seele, die ganz liebreich und ruhig, und
von Zorn, Has, Neid und Gewissensangst be
freyet ist, finden Scherz und Frölichkeit einen freyen
und offenen Weg. Diese Vergnügungen sind alle
mal gesellig, und fliehen die Einsamkeit. Sie sind
die schätzbarsten, wenn sie mit Liebe, Wohlwollen
(Erstes
Buch.)
222 Vergleichung
gegen andere, und einer erwiederten Hochachtung
verbunden sind.
(Reichthum und Ansehn machen tu
gendhafte Menschen glücklicher als andre.)
Da Reichthum und Ansehn kein unmittelba
res Vergnügen verschaffen, sondern nur Mittel
sind, Vergnügungen zu erlangen: so können sie nur
in so weit einen mehr oder weniger wichtigen Einflus
auf unsre Glückseligkeit haben, in so weit der Be
sitzer sie zu solchen Vergnügungen anwendet, wo
durch dieselbe mehr oder weniger befördert wird.
Ein Tugendhafter also, welcher sie zu edelmüthigen
und tugendhaften Unternehmungen anwendet, hat
von ihnen edlere Vergnügungen zu gewarten, als
diejenigen, welche sie zu den Belustigungen der Ein
bildungskraft oder zu einer prächtigen Lebensart an
wenden; und doch ist dieses allemal anständiger,
als wenn sie blos zu sinnlichen Ergötzungen ange
wendet werden. Wenn sie, aus gewissen verwor
renen Vorstellungen, nicht auf ihren natürlichen
Endzweck gerichtet, sondern blos, um ihrer selbst
willen, begehrt werden: so entstehen daraus der
Geiz und die Ehrsucht, mitleidenswürdige und un
ersättliche Begierden, die allen Menschen verhasst
sind; und Leute solcher Art haben von allem, was
sie erlangen und besitzen, nicht das mindeste Ver
gnügen.
(Die Befrie
digung bös
artiger Lei
denschaften verschaft nur Vergnü
gungen, die
weder Wür
de noch Dauer haben)
XI. Was die andern vermeinten Vergnügun
gen anbetrift, welche die Befriedigung der Leiden
schaften des Zorns, der Bosheit, des Neids, und
der Rache begleiten sollen: so ist gewis, daß keine
geringe Freude mit dieser Befriedigung verknüpft
ist, wenn die Leidenschaften stark sind. Allein
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 223(Siebender Abschnitt.)
gleichwie Wohlwollen, Hochachtung, Liebe, Dank
barkeit, und eine jede liebreiche Neigung natürliche
und ursprüngliche Vergnügungen sind, welche die
Seele ruhig lassen: also ist die wahrgenommene
Glückseligkeit einer unschuldigen Person, eine Ver
anlassung zu einer reinen unvermischten Freude,
welche, von keiner Linderung eines vorhergegangenen
Schmerzes, entstehet. Wenn die Person unglück
lich gewesen ist, und unser Mitleiden erregt hat:
so empfinden wir über ihren glücklichern Zustand
noch eine andre Freude, welche von der Entfernung
unsers sympathetischen Schmerzes ihren Ursprung
hat. Allein das Elend eines andern ist natürli
cher Weise demjenigen, der es wahrnimmt, un
angenehm; es mus ihm also nur durch einen Zu
fall angenehm werden; durch einen vorhergegange
nen Zorn oder Neid; durch eine befürchtete Belei
digung, oder eine Hinderung der Vortheile einiger
von ihm geliebten Personen.
Diese Leidenschaften einer unfreundlichen Art(Diese Leiden
schaften sind
nicht ohne allen Nutzen.)
sind keine unnützen Theile in unsrer Natur. Wenn
wir eine Beleidigung oder einen Verlust befürchten,
der entweder uns, oder andere, die wir lieben, be
treffen soll: so entsteht der Zorn natürlicher Weise
und ermuntert uns zur Vertheidigung. Wenn
Personen, welche wir nicht hochachten, andern, die
höhere Verdienste besitzen, vorgezogen werden: so
entsteht in uns ein anständiger Widerwillen. Ein
gleicher Widerwillen nimmt uns gegen alle diejeni
gen ein, welche auch nicht die geringsten morali
schen Eigenschaften besitzen. Eine gewisse Nach
(Erstes
Buch.)
224 Vergleichung
sicht kan diese Leidenschaften verstärken und zu Fer
tigkeiten machen. Die Empfindungen, welche sie
begleiten, sind eine ursprüngliche Unruhe und Quaal;
und das allgemeine Beste erfoderte, daß wir bey ge
wissen Gelegenheiten denselben eben sowohl, als
dem körperlichen Schmerz ausgesezt werden musten.
Die liebreichsten Gemüthsarten haben einige kurze
Anfälle davon gehabt, und sie haben empfunden,
wie unruhig diese Augenblicke vorübergehen. Wenn
solche Leidenschaften stark und dauerhaft sind, und
in Has, vorsätzliche Bosheit und Neid ausarten:
so mus das Elend sehr gros seyn. Es ist also kein
Wunder, wenn die Entfernung desselben ein be
trächtliches Vergnügen verschaft; und dieses ge
schieht dadurch, wenn die gehasste oder beneidete
Person unglücklich ist. Aber diese unruhige Freu
de ist, auch so lange sie dauert, mit den ange
nehmen sympathetischen Freuden, mit der Empfin
dung einer verdienten Liebe und Hochachtung, oder
mit der innern Zufriedenheit über die Verzeihung,
wenn kein allgemeiner Vortheil Bestrafung erfor
dert, nicht in Vergleichung zu bringen. Und als
denn hört diese bösartige Freude sobald auf, als die
Leidenschaft befriedigt ist, da uns das Elend eines
noch so sehr gehassten Gegenstandes nicht lange
vergnügen kan. Wenn wir nachdenken: so ist die
se Freude auch niemals ein Gegenstand unsers Bey
falls, wir mögen sie nun selbst empfunden, oder
an andern wahrgenommen haben; ja sie zieht ge
meiniglich innere Unruhe, Reue und Bekümmer
nis nach sich. Die unruhige Seele kan an dem
Elend anderer kein Vergnügen haben; ob sie sich
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 225(Siebender Abschnitt.)
gleich, sobald es ein öffentlicher Vortheil erfordert,
darüber zufrieden giebt. Wir können nur alsdenn
wünschen, die Rache zu verlängern, wenn wir wahr
nehmen, daß lasterhafte Thaten ohne Unterlas wie
derholet werden, oder, wenn von der Furcht, welche
uns beunruhiget hatte, noch etwas zurück geblieben
ist. Und dieses ist eine Ursache, warum der Tapfere
nicht grausam ist. Diese bösartigen Vergnügun
gen verhalten sich also gegen ruhige und liebreiche
Freuden eben so, wie sich die Löschung des bren
nenden Durstes in einem Fieber, oder die Sätti
gung eines kranken hungrigen Magens, gegen das
Vergnügen verhält, welches uns angenehme Spei
sen und Getränke gewähren, wenn wir gesund sind,
und den Trieb zu essen und zu trinken, in seiner na
türlichen Stärke fühlen.
XII. Wir können, in Ansehung dieser verschie(Unser mo ralisches Ge
fühl bestimmt den Werth der Neigun
gen und Ver
gnügungen, nachdem sie das allgemei
ne Beste be
fördern.)
denen Vergnügungen, bemerken, daß unsre Seelen,
in der gütigsten Absicht, dergestalt eingerichtet sind,
daß wir, nach einer ruhigen Ueberlegung, den Werth
derselben nach dem Einflus bestimmen, welchen sie
auf die Glückseligkeit des ganzen Systems haben.
Diejenigen, welche blos die Sicherheit und die thie
rische Befriedigung eines einzelnen Wesens
angehen, werden für die niedrigsten gehalten; und
solche, welche von einem allgemeinen Nutzen sind,
und die Menschen antreiben, andern zu dienen,
werden höher geachtet, und zwar in verschiedenen
Graden, nachdem sie mehr oder weniger allgemein
sind. So schätzen wir die Vergnügungen der schö
nen Künste, und solche Uebungen des Körpers oder der
(Erstes
Buch.)
226 Vergleichung
Seele hoch, welche für einige einen natürlichen Nu
tzen haben können. Die partheyischen eingeschränk
tern Neigungen sind angenehm; allein gleichwie
die unveränderlichen, ruhigen und allgemeinen Nei
gungen von grösserm Nutzen sind: also gewähren
sie uns auch mehr Vergnügen, sowohl in der Ue
bung selbst, als bey der Erinnerung, wenn nur ei
nige Aufmerksamkeit und Ueberlegung vorhanden
ist. Wir sehen also, daß das moralische Gefühl
solche Eigenschaften am meisten billiget und em
pfiehlt, welche am meisten auf das allgemeine Be
ste abzielen, und zu gleicher Zeit der handelnden
Person, wenn sie nachdenkt, die edelsten Vergnü
gungen verschaffen. Und so erkennen wir durch
eine genaue Betrachtung unsrer Beschaffenheit, daß
die zwo grossen Bestimmungen
unsrer Natur
vollkommen wohl neben einander bestehen, und
durch ähnliche Mittel befriediget werden können.
Wir werden diese Folgerung durch eine Verglei
chung der verschiedenen Arten von Schmerz oder
Misvergnügen noch gewisser machen.
(Verglei
chung der verschiedenen
Arten von Misvergnü
gen.)
XIII. Wir kommen nunmehro auf die Ver
gleichung der verschiedenen Arten von Unruhe und
Schmerz oder Misvergnügen. Es ist unmittel
bar einzusehen, daß die verschiedenen Arten von
Misvergnügen mit dem Vergnügen in keinem ge
nauen Verhältnis stehen. Blos körperliche Ver
gnügungen sind die niedrigsten und schwächsten,
und dennoch kan der körperliche Schmerz sehr hef
tig seyn. Allein wir können hieraus nicht folgern,
daß derselbe das grösste mögliche Elend sey, wie
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 227(Siebender Abschnitt.)
einige behauptet haben. Bey dem Schmerz mus,
wie bey dem Vergnügen, sowohl die Art, als die
Stärke, in Betrachtung gezogen werden. Die Er
haltung des Körpers erforderte diese feste Verknüp
fung mit der Seele, und die Empfindungen, wel
che Folgen seiner Schmerzen sind, musten sehr stark
seyn, so, daß sie zuweilen schwächere Seelen ganz
einnehmen, und dieselben ungeschickt machen, auf
andre Dinge aufmerksam zu seyn. Allein die
Seele nimmt in sich wahr, daß sie kein Opfer einer
Pflicht billigen kan, welches der Entfernung eines
körperlichen Schmerzens gemacht wird; und daß
das moralische Uebel immer etwas schlimmers ist.
Einige Arten von Schmerz haben eine Eigenschaft,
welche der Würde, wovon wir geredet haben, ganz
entgegen ist, und welche sie zu Ursachen eines grös
sern Elends macht, als irgend ein körperlicher
Schmerz seyn kan, er sey auch noch so stark, als
er wolle. Dieses vermindert nicht den Werth ei
ner Person, und bringt auch keinen solchen verwor
fenen elenden Zustand hervor, als das Bewustseyn
moralischer Uebel, die hassenswürdiger sind, und
Gewissensangst und einen Abscheu vor uns selbst
veranlassen. Wir schliessen anders, wenn wir Per
sonen von gemeiner Tugend, in der Absicht, einer
Marter zu entgehen, alle Bande der Zuneigung,
Pflicht und Ehre zerreissen, und sie, bey einer sol
chen Versuchung, ihre Freunde und ihr Vaterland
verrathen sehen.
Allein in solchen Fällen wird der höchste kör(Die Ursa
chen des Jrr
thums in die
ser Sache.)
perliche Schmerz mit einigen niedrigern sympathe
tischen Schmerzen bey einer schwächern Zuneigung,
(Erstes
Buch.)
228 Vergleichung
oder mit geringern moralischen Eigenschaften ver
glichen, da doch die höchsten von beyden Arten mit
einander verglichen werden sollten, um ihre Wich
tigkeit zu finden. Einer, der keine hohe Tugend
besizt, verräth seinen Freund oder sein Vaterland,
in Angelegenheiten, die er zu ihrer Sicherheit nicht
für schlechterdings nothwendig hält, und deren Ent
deckung ihr Unglück nicht gewis nach sich zieht;
wenn dagegen seine Martern gegenwärtig sind,
und durch keinen andern Weg vermieden werden
können. Der Fall sollte von Leuten von hoher
Tugend angenommen werden, deren Marter ein ge
wisses unvermeidliches Unglück für ihre Freunde
oder für ihr Vaterland seyn würde. Herzhafte
Männer haben in dergleichen Fällen alle Martern
ausgestanden; und solche, die es nicht können, füh
len doch, daß sie unrecht gehandelt haben, und sie
misbilligen ihre eigne Wahl, nach welcher sie lieber
ein moralisches Uebel haben begehen, als den höch
sten Schmerz ertragen wollen. Es äussert sich
darinnen eine sehr feine Einrichtung in unsrer Na
tur; daß Menschen von einigem Nachsinnen, wel
che sich die Martern als die grössten Uebel vorstel
len, dennoch erwarten, daß man dasjenige, was
man für seinen eigenen höchsten Vortheil hält,
durch die Erdultung des grössten Elends dem ge
meinen Besten aufopfere; und daß solche Men
schen dieses für ein natürliches Verhalten ansehen,
und demselben einen hohen Beyfall zugestehen.
Dieses bestätiget dasjenige, was wir oben von einer
ruhigen Bestimmung gegen das gemeine Beste ge
sagt haben, welche sich auf keinen eigenen Vortheil
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 229(Siebender Abschnitt.)
der handelnden Person, er sey so gros, als er wolle,
bezieht; und daß dieser Bestimmung alle andere in
in unsrer Natur unterworfen seyn müssen.
Wir wollen gemeinere Fälle anführen. Wie
oft pflegen nicht Anverwandte, Freunde, Patrioten
die grössten Leiden auszustehen, um dadurch andere
von ähnlichen Leiden zu befreyen? Die eigene Em
pfindung des Hungers, des Ungemachs, der Wun
den und des körperlichen Schmerzens ist erträgli
cher, als das sympathetische Gefühl, vermöge dessen
wir dieses alles mit andern zugleich leiden. Und
bey den verwandschaftlichen Neigungen wird sich
selten eine Absicht auf Pflicht, Ehre und Vergel
tung finden. Einige Verbrechen sind so abscheu
lich, daß auch Leute von gemeinen Charactern lieber
Martern erdulden, als sie begehen, und willig ihr
Leben in Gefahr setzen würden, um sich derselben
nicht schuldig zu machen.
In den Fällen, da die Pflicht der Marter
nachgiebt, ist das eigene Uebel gegenwärtig, gewis
und fühlbar; der öffentliche Nachtheil hingegen ist
abwesend, ungewis und vielleicht vermeidlich. Die
moralische Schändlichkeit wird durch die Grösse der
Versuchung vermindert, und die Kraft des mora
lischen Gefühls wird auf diese Art schwächer.
Wenn die Tugend den Schmerz besiegt: so zeigt er
sich in seiner vollen Stärke, allein er wird durch
liebreiche Neigungen, und durch den Abscheu vor
allem, was niederträchtig ist, überwältigt. Nehmt
an, daß beyde Empfindungen, ohne alle Linderung,
in ihrer vollen Stärke sind. Wird man lieber die
(Erstes
Buch.)
230 Vergleichung
ärgsten Verbrechen, ohne eine solche Nothwendig
keit, welche die Schuld vermindert, begehen; oder
lieber den Zustand eines Menschen erwählen, der
von dem Podagra oder dem Stein so grausam ge
martert wird, als ihn irgend ein Tyrann martern
würde?
Man setze Fälle, wie man sie in den alten Fa
beln antrift. Es habe jemand, auf eine falsche
Nachricht, welche nur eine verdorbene, erhizte, un
gestüme und grausame Gemüthsart für wahr an
nehmen können, eine unbekante Person durch Mar
tern umgebracht, und er erfahre hernachmals, daß
diese Person sein zärtlicher Vater, oder sein gehor
samer Sohn, oder sein edelmüthiger Freund, oder
sein redlichgesinnter Bruder gewesen: welcher kör
perliche Schmerz könte der Gewissensangst und dem
sympathetischen Schmerz, der hieraus entstehen
würde, gleich gesezt werden? und doch wird hier
das Verbrechen durch die Unwissenheit vermindert.
Wenn einige Menschen aus einem innern Gram
sich selbst umgebracht haben: so hatten sie ihre
Verbrechen gemeiniglich aus Unwissenheit, Unvor
sichtigkeit oder einigen wüthenden Leidenschaften be
gangen; welche alle Verminderungen der Schuld
sind. Was für eine Marter müsste es seyn, wenn
Menschen, wissentlich und ohne alle Veranlassung,
sich gleicher Verbrechen schuldig gemacht hätten, und
hernach wiederum ein gewisses Gefühl der Tugend
erlangten? Allein es ist schwer, Menschen zu fin
den, die so schuldig sind. Unsre Natur ist solcher
Verbrechen nicht fähig, und wenn sie es ist: so
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 231(Siebender Abschnitt.)
ist das moralische Gefühl
unwiederbringlich
verloren.
Nehmt die sympathetischen Empfindungen
allein. Wo ist der grosse Unterschied, in dem Un
glück, wenn wir selbst Martern ausstehen, und
wenn wir Augenzeugen von den Quaalen eines ge
liebten oder einzigen Kindes, oder eines zärtlichen
Vaters sind, oder wenn wir sie noch einem schmäh
lichern Schicksal ausgesezt sehen? Wollte Gott,
ich hätte für dich sterben können, ist bey sol
chen Gelegenheiten kein verstellter Wunsch.
In Betrachtung des Zustandes derjenigen,
die wir lieben, kömt uns das moralische Uebel alle
mal grösser vor, als der körperliche Schmerz.
Wird jemand lieber wünschen, daß sein Sohn oder
sein Freund sich, ohne alle Rettung, allen Lastern
und allen Niederträchtigkeiten ergeben, aber dage
gen von Schmerz befreyt seyn, und an sinnlichen
Vergnügungen Ueberflus haben möge: oder wird
er lieber wollen, daß er den grössten Quaalen bey
einer heldenmüthigen That ausgesezt sey, und ein
lebhaftes Gefühl der Rechtschaffenheit und Selbst
hochachtung und die sympathetischen Freuden bey
dem Glück alles desjenigen, was ihm lieb ist, bey
behalte?
Die natürliche Kraft der menschlichen Seele,
dem Schmerz zu widerstehen, würde sich weit mehr
äussern, wenn nicht die heftigern Arten desselben
gemeiniglich von dem Schrecken des Todes begleitet
würden. Entfernet diese Furcht; so wird ihn die
Seele weit leichter ertragen können. Bey einigen
(Erstes
Buch.)
232 Vergleichung
unangenehmen Begebenheiten, und den damit ver
knüpften Zufällen, welche das Leben nicht in Ge
fahr setzen, können die Menschen, ohne alle Beküm
mernis des Geistes, ja zuweilen mit einer Art von
Frölichkeit, einen sehr heftigen Schmerz ertragen
und verachten.
(Der kör
perliche Schmerz kan
von langer Dauer seyn.)
Der Schmerz in den äussersten Theilen des
Körpers kan von langer Dauer seyn. Aber alle
körperliche Schmerzen sind von dem moralischen
Misvergnügen darinnen unterschieden, daß sie kein
Gefühl eines Uebels zurück lassen, wenn die unange
nehme Empfindung aufhört. Das Andenken an
dieselben hat mehr Angenehmes als Widriges,
wenn man ihre Wiederkunft nicht befürchten darf.
Die Seele wird dadurch oft gebessert, weil die Er
fahrung ihr mehr Stärke und Muth giebt. Wenn
man in einer rühmlichen Sache Schmerzen aus
gestanden hat: so bleibt dieses allemal ein Anlas zu
Freude und Ruhm.
(Durch die Einbil
dungskraft
erhalten wir mehr Ver
gnügen als Schmerz.)
XIV. Unsre höhern Empsindungen<Empfindungen>, durch wel
che wir die Vergnügungen der Einbildungskraft
erhalten, lassen weit weniger Schmerz, als Ver
gnügen zu, wenn die Seele in einer guten Verfas
sung ist. Die Häslichkeit und Gebrechlichkeit des
Körpers kan der Person, die so unglücklich ist, sehr
unangenehm seyn; und auf gleiche Art kan die Nie
derträchtigkeit und der Mangel der Anständigkeit
und einer ordentlichen Lebensart denjenigen, welche
ein hohes Verlangen darnach tragen, und Begrif
fe von Glückseligkeit damit verbinden, Misvergnü
gen verursachen. Allein es gehet vor dieser Ein
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 233(Siebender Abschnitt.)
bildung eines grossen Gutes in den Gegenständen
kein unruhiger Antrieb vorher, wie vor den Be
gierden, und die Verbesserung dieser Einbildungen
kan allen Schmerz aus dem Wege räumen, be
sonders, wenn edlere Freuden den Mangel dieser
Vergnügungeu<Vergnügungen> ersetzen. So bringen Schönheit,
Harmonie, sinnreiche Werke der Kunst, und ge
schickte Nachahmungen aller Arten, wirklich hohe
Vergnügnngen<Vergnügungen> hervor; dahingegen die Häslich
lichkeit der äusserlichen Gegenstände, Mishelligkeit,
schlechte Nachahmungen oder ungeschickte Werke der
Kunst kein anderes Misvergnügen verursachen, als
die geringe Art desselben, welche von einer fehlge
schlagenen Erwartung in einer Sache, die im
menschlichen Leben keinen Nutzen hat, entstehet.
Die Wissenschaft wird von dem angenehmsten Ver
gnügen begleitet; allein, der Mangel derselben
bringt eher kein Misvergnügen hervor, als bis ein
hohes Verlangen darnach und eine Bewunderung
derselben, oder die Furcht, daß dieser Mangel uns
zur Schande gereichen werde, vorhanden ist. Die
unangenehme Empfindung, welche von dem Man
gel eines prächtigen und wohleingerichteten Lebens
entstehet, ist auch bey einer erhitzten Einbildungs
kraft erträglicher, als der körperliche Schmerz, oder
das sympathetische Misvergnügen, oder das Gefühl
einer moralischen Schändlichkeit und Unehre; und
dieses rührt von einer weisen und gerechten Ein
richtung her, da diese andern Empfindungen die Ab
sicht haben, die Menschen für Uebeln, welche dem
ganzen System schädlicher sind, zu bewahren.
Wenn zuweilen einige Menschen, durch einen
(Erstes
Buch.)
234 Vergleichung
unmässigen Aufwand auf äusserliche Pracht und
Schönheit, ihre Freunde, Familien, oder ihr Va
terland, manchen Uebeln aussetzen: so werden die
entfernten Widerwärtigkeiten anderer nicht vermu
thet, oder nicht erwogen; man hoft auf neue Freun
de, auf eine Unterstützung; auf eine vortheilhafte
Beförderung, welche man durch die Freundschaft
der Grossen zu erhalten denkt; die nahen Uebel
werden nicht befürchtet, und die Schuld wird nicht
bemerkt.
(Die sym pathetischen und mo
ralischen Schmerzen sind die höch
sten.)
XV. Die sympathetischen, und die moralischen
Schmerzen, welche von der Gewissensangst und der
Unehre entstehen, sind die höchsten, welche unsre
Natur zulässt, so wie die ihnen entgegengesetzten
Freuden die höchsten sind: und sie können das Le
ben ganz unerträglich machen. Das Elend einer
geliebten Person ist, so lange es dauert und be
merkt wird, ein unablässiger Schmerz für den Zu
schauer. Wenn es durch den Tod aufhört: so
währet die schmerzhafte Erinnerung in einem em
pfindlichen Herzen noch lange fort, bis etwa Ge
schäfte die Gedanken davon abwenden, oder ein tie
fes Nachsinnen Trost gewährt. Die sicherste
Zuflucht in solchen Fällen kan man zu der gütigen
Vorsehung und zu der Ueberzeugung nehmen, daß
für alle würdige Gegenstände unsrer liebrei
chen Neigungen eine künftige Glückseligkeit be
stimmt ist.
(Warum wir begierig sind, tragi
sche Be
gebenheiten anzusehen.)
Es ist vergebens, wenn man behaupten will,
daß alle Sympathie ein Vergnügen mit sich führe,
welches über den Schmerz erhaben sey. Alsdenn
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 235(Siebender Abschnitt.)
würden wir nicht geneigt seyn, den Zustand des Ge
genstandes zu verändern. Es ist wahr, wir sind
begierig, unglückliche Begebenheiten anzusehen,
und wir sind für die Trauerspiele eingenommen;
und doch ist das wahrgenommene Elend die einzige
Ursache des empfundenen Elends. Allein, es ist in
uns ein natürlicher Antrieb vorhanden, welcher uns
nöthiget, ein solches Unglück anzusehen, welches
dem Leidenden Erleichterung verschaft. Und wir
können diesen Antrieb zurückhalten, wenn wir vor
aus sehen, daß es keine guten Folgen haben wird.
Wir wollen uns nicht darüber verwundern, daß
wir einen Antrieb zu etwas fühlen, wovon wir we
der Vergnügen noch die Entfernung unsers eigenen
Schmerzens hoffen können. Bemerken wir nicht
nach dem Tode eines geliebten Freundes, wenn wir
ihm nicht mehr dienen, noch sympathetische Freuden
mit ihm empfinden können, daß die quälenden Ge
danken von seiner Todesangst, von seinen letzten
Seufzern, ganze Wochen, Monate und Jahre
lang in unsre Seelen zurückkehren. Unsre Bemü
hungen, die schmerzhaften unnützen Gedanken zu
vertreiben, sind lange fruchtlos. Wenn diese Be
mühungen oft und mit Lebhaftigkeit wiederholet
werden: so können sie endlich dieselben vertreiben;
allein, wenn wir nicht auf unsrer Hut sind: so
kommen sie wieder, und quälen uns. Kan diese
Empfindung mit einem Vergnügen verknüpft
seyn, da wir, wenn wir darüber nachdenken, uns
ihrer zu erwehren suchen, und uns wider sie, als
wider eine Qvaal, bewafnen; und da sie in zärtli
(Erstes
Buch.)
236 Vergleichung
chern Leibesbeschaffenheiten, körperliche Schwach
heiten hervorbringt?
(Das Ver
gnügen an Trauerspie
len.)
In Trauerspielen ist eine lebhafte Nachahmung
der Sitten, und der heroischen Tugenden, welche
wider das Schicksal streiten, anzutreffen; es wer
den edle Gesinnungen und Neigungen darinnen
ausgedrückt. Unsre sympathetischen Empfindun
gen von jeder Art werden in Uebung gesetzt; und
Mitleiden und Schrecken entstehen bey Widerwär
tigkeiten, von welchen wir wissen, daß sie erdichtet
sind. Kan man sagen, daß das Schrecken ein hö
heres Vergnügen mit sich führe? und doch tragen
wir zuweilen nach Geschichten Verlangen, die uns
erschrecken. Allein wenn die Nachahmungen in
der Bilderhauerkunst, Mahlerey und Musik uns
so sehr gefallen, daß wir Ungemach und Hunger
erdulten, um uns länger damit beschäftigen zu kön
nen: so ist es kein Wunder, wenn solche edle Nach
ahmungen der Sitten uns ergötzen, ungeachtet wir
eine unangenehme Unruhe der Sympathie, mit
eingebildeten Leiden, empfinden? Was für ein Ver
gnügen haben wir, wenn wir in einem Kranken
hause sind, oder ein wirkliches Aechzen vernehmen;
und also zwar genugsamen Anlas zu Mitleiden
bekommen, aber keine solche Tugenden entdecken?
Wenn man vergessen sollte, daß das Unglück in
dem Trauerspiel erdichtet ist: so wird der Schmerz
zu nehmen; allein die liebenswürdigen Tugenden
und die edlen Gesinnungen erfüllen die Seele mit
einem höhern Vergnügen.
unsrer verschiedenen Vergnügungen. 237
(Siebender Abschnitt.)
Die Gewissensangst ist die höchste Quaal(Die Gewis
sensangst ist die grösste und dauer
hafteste Qvaal<Quaal>.)
und sie macht das Leben und alle seine Vergnügun
gen verhasst. Dieses bezieht sich nicht, gleich den
äusserlichen Empfindungen, auf einen Körper, auf
ein materialisches System, welche seine Unordnun
gen anzeigt, die innere Würde hingegen, welcher je
mand sich selbst, oder seinen Freund hochachtet,
niemals schwächt. Wir scheinen uns bewust zu
seyn, daß der Körper nicht die Person; nicht das
Selbst
ist, das wir hochschätzen; und das seine
Unordnungen und sein Verfall die Vortreflichkeit
oder Würde eines vernünftigen Wesens nicht ver
mindern kan. Wir fühlen, daß das moralische
Uebel die unmittelbare Erniedrigung dieses
Selbst
ist. Es macht unsre innerste Natur uns und an
dern, die sie kennen, ekelhaft und verhasst.
Diese Empfindungen sind nicht vorüberei
lend; die Erinnerung ist allemal schmerzhaft. Sie
sind
*
weniger unangenehm, so lange die ungesättig
te Leidenschaft in ihrem Ungestüm fortfährt; ihre
Heftigkeit äussert sich alsdenn erst, wenn das Ver
brechen begangen ist. Sie nagen die Seele lange
Zeit, und hören nicht auf, wenn nicht etwa die
Gewohnheit diese Kraft unwirksam macht, und
die Menschen sich allem, was niederträchtig ist,
preis geben. Und auch hier kan eine beträchtliche
Widerwärtigkeit oder Gefahr, welche eine Zeitlang
deuden lasterhaften Leidenschaften Einhalt thut, das
22
(Erstes
Buch.)
238 Vergleichung
moralische Gefühl wieder erwecken, und die
Quaal erneuern.
(Unehre ist ein grosses Un
glück.)
XVI. Unehre und Vorwürfe, die wir ver
dient haben, sind ein grosses Unglück. Allein
wenn wir sie ungerechter Weise ertragen müssen,
und wenn unsre eigenen Herzen unser Verhalten bil
ligen: so ist der Schmerz nicht so heftig, und wir
können ihn uns auf verschiedene Art erträglich ma
chen. In dem letztern Falle ist das Uebel weniger
dauerhaft, da die Wahrheit oft, wenn wir es am
wenigsten erwarten, an den Tag komt. Der all
wissende GOtt weis, daß man uns unrecht thut,
und der weisere Theil der Menschen, mit welchen
wir zu thun haben, wird unsre Unschuld endlich ein
sehen, und wir können versichert seyn, daß sie mit
uns Mitleiden haben werden. Die Vorwürfe sind
gemeiniglich grössere nnd<und> empfindlichere Uebel, als
die meisten körperlichen Schmerzen, und sie können
von langer Dauer seyn. Sie überwiegen die sinn
lichen Vergnügungen bey solchen Leuten, die sich
denselben nicht ganz ergeben haben. Sie zu entfernen,
würden viele Menschen alle Ergötzungen der Sinne
dahin geben; und viele haben das Leben selbst gewagt.
Nach dieser unparteyischen Untersuchung un
serer verschiedenen Arten von Vergnügen und Mis
vergnügen, wird uns nunmehro die Erklärung von
dem höchsten Guten und Uebel, welche die alten
Cyrenaiker und Epikuräer und auch einige neuere
Weltweisen gemacht haben, sehr unnatürlich vorkom
men, wenn sie die körperlichen Empfindungen für
den Ursprung und die lezten Beziehungen von bey
den ausgeben.
der Gemüthsarten und Character. 239
(Achter Abschnitt.)
Der achte Abschnitt.
Eine Vergleichung der verschiedenen Ge
müthsarten und Character, in Absicht
auf Glückseligkeit oder Elend.
Der Argwohn, als ob die Ausübung aller geselligen
Neigungen und edelmüthigen Pflichten der
Tugend unserm eigenen Vortheil zuwider sey, wird
durch dasjenige, was wir, von den hohen Vergnü
gungen der sympathetischen und moralischen Nei
gungen, bereits gesagt haben, sattsam zu widerlegen
seyn. Allein das Unvernünftige in diesem Arg
wohn wird noch deutlicher werden, wenn wir be
trachten, was für Neigungen, unter den verschie
denen Arten derselben, welche die Mannichfaltigkeit
der Character ausmachen, an sich selbst die ange
nehmsten Vergnügungen sind, und die Seele in
den ruhigsten und heitersten Zustand versetzen.
Gleichwie alle Empfindungen und Neigun(Alle unsre Neigungen haben in dem ganzen Sy
stem ihren Nutzen.)
gen, wovon wir oben geredet haben, Theile unsers
inwendigen Baues sind: also hat jede ihren natür
lichen Nutzen, entweder für uns selbst, oder für
das System, wovon wir ein Theil sind. Die mo
ralische Güte besteht zwar vornemlich in den geselli
gen und liebreichen Neigungen, die uns aus uns
selbst herausführen. Allein die eigennützigen oder
auf uns selbst gerichteten Neigungen, haben, wenn
sie in gewissen Schranken gehalten werden, eine na
türliche Bestimmung, nicht nur das Beste der ein
zelnen Person, sondern auch das allgemeine Beste
befördern zu helfen; und ohne dieselben ist keines
(Erstes
Buch)
240 Vergleichung
in seiner Art vollkommen. Und da die Glückselig
keit eines ganzen Systems sich auf das Glück der
einzelnen Wesen gründet: so ist es nothwendig, daß
jedes die eigennützigen Neigungen in demjenigen
Grade besitze, welche der beste Zustand erfordert,
und wodurch die Beförderung des gemeinen Be
stens nicht gehindert wird.
(Die beste Einrichtung eines We
sens.)
Die vollkommenste und weiseste Einrichtung
eines vernünftigen Systems ist diejenige, wenn der
Grad der eigennützigen Neigungen, welche dem ein
zelnen Wesen den grössten Vortheil verschaffen, ne
ben dem Vortheil des ganzen Systems bestehen kan;
und wenn der Grad der grosmüthigen Neigungen,
welcher dem System den grössten Vortheil ver
schaft, neben der grössten Glückseligkeit des einzel
nen Wesens bestehet, oder dieselbe befördert. Ein
geringeres Wesen kan zwar den Vortheilen eines
höhern Wesens ganz unterworfen seyn, und Nei
gungen besitzen, welche einzig und allein auf diese
Vortheile abzielen. Allein in den edlern Systemeu<Systemen>
würde es ein Fehler seyn, wenn wirklich die beyden
grossen Endzwecke eines jeden vernünftigen We
sens, das persönliche Vergnügen, und die allge
meine Glückseligkeit, neben einander nicht bestehen
könten, und wenn zwischen den Neigungen, wel
che auf dieselben gerichtet sind, ein unversöhnlicher
Zwist vorhanden wäre.
(Keine natür
lichen Nei
gungen sind schlechter
dings böse.)
Keine von unsern Neigungen kan in jedem
Grade schlechterdings böse genennet werden. Und
doch kan ein gewisser hoher Grad, welcher über das
Verhältnis gegen die übrigen hinaus ist, auch so
der Gemüthsarten und Character. 241(Achter Abschnitt.)
gar in unsern grosmüthigen Neigungen, laster
haft seyn, oder doch wenigstens eine grosse Un
vollkommenheit ausmachen, die sowohl dem einzel
nen Wesen, als dem ganzen System nachtheilig ist.
Zu gleicher Zeit ist die grösste Stärke einer Art
nicht an sich selbst nothwendig böse; ja sie kan un
schuldig seyn, wenn die andern Neigungen eine
Stärke erreicht haben, die mit dieser Art, und mit
der Würde ihrer verschiedenen Naturen und der
Bestrebungen auf welche sie gerichtet sind, in Ver
hältnis steht. Allein, wenn die Seele nicht fähig
genug ist, diesen hohen Grad andrer Neigungen zu er
reichen: so können einige von den eigennützigen, und
viele von den grosmüthigen übertrieben seyn. Das
ruhige allgemeine Wohlwollen, das Verlangen nach
der moralischen Vortreflichkeit, die Liebe GOttes
und die Ergebung in seinen Willen, können nie
mals übertrieben werden: da sie keine einzige par
teyische gute Neigung, in sofern sie nützlich ist,
noch eine billige Absicht auf den eigenen Vortheil
ausschliessen. Allein, die eingeschränktern Neigun
gen, auch die von der grosmüthigen Art, können
ihr gehöriges Ziel überschreiten, und andere Nei
gungen einer bessern Art ausschliessen und überwäl
tigen; wie wir dieses an der verwandschaftlichen
Liebe, dem Mitleiden und dem Eifer für eine Par
tey wahrnehmen. Die moralische Schändlichkeit
bestehet nicht in der Stärke dieser Neigungen, son
dern in der Schwachheit anderer, die von einem
grössern Umfange sind, in Absicht auf ihre Würde
und ihren höhern Nutzen.
(Erstes
Buch.)
242 Vergleichung
Es ist noch deutlicher, daß die eigennützigen
(Das Uebel besteht in
dem Mangel des Verhält
nisses.) Neigungen übertrieben und lasterhaft seyn können.
Allein, wir müssen auch anmerken, daß es, in Be
trachtung des Endzwecks der Natur, einen zu nie
drigen und mangelhaften Grad derselben geben kan.
Wenn ein Geschöpf, welches Gefahren ausgesetzt,
und doch weder von der Natur noch durch Kunst
bewafnet ist, ohne Furcht wäre, und, indem es an
dern Dienste leistet, für seine eigene Sicherheit kei
ne Sorge trüge: so würden wir zwar diese Ge
müthsart nicht für lasterhaft halten können; allein,
sie ist doch offenbar unvollkommen, dem einzelnen
Wesen selbst schädlich, und dem System unnütz.
In den niedrigen Ordnungen bemerken wir die wei
se Einrichtung der Natur, welche den männlichen
Geschöpfen, nebst ihrer Stärke und ihren Waffen,
auch Muth gegeben, und ihn hingegen den weibli
chen versagt hat, wenn ihn nicht die Vertheidigung
ihrer Jungen erfordert. Starke gesellige Leiden
schaften, eine geringe Aufmerksamkeit auf sich selbst,
nebst einem heftigen Verlangen nach Ehre, bey
Menschen von geringen Fähigkeiten, wird eine
Ausschweifung auf der einen, und ein Mangel auf
der andern Seite seyn. Aehnliche grosmüthige
Neigungen, bey Menschen von grossen Fähigkeiten,
nebst einer gehörigen Vorsicht, werden von grossem
Nutzen seyn, und in einem richtigen Verhältnis
stehen. Gesellige Neigungen und ein Wohlgefal
len an einigen feinern Vergnügungen der Einbil
dungskraft, welche einige Character ruhig lassen,
und keine Pflichten des Lebens ausschliessen, kön
nen andere ohne Nutzen elend, und alle
der Gemüthsarten und Charactea. 243(Achter Abschnitt.)
ihre andern Theile oder Fähigkeiten unbrauchbar
machen.
II. Nachdem wir gezeigt haben, daß die gesel(Neigungen zu geselligen und morali
schen Ver
gnügungen, sind die vor
theilhafte
sten.)
ligen und moralischen Vergnügungen, nebst den
Vergnügungen der Ehre, die höchsten sind: so müs
sen wir noch kürzlich zeigen, daß die Neigungen,
welche auf solche Gegenstände, die mit diesen Ver
gnügungen in Verbindung stehen, gerichtet sind,
wenn sie in dem gehörigen Verhältnis, gegen ihre
Würde und ihren Nutzen in dem System erhalten
werden, einem jeden einzelnen Wesen am vortheil
haftesten sind; und daß die eigennützigen Leiden
schaften, wenn sie stark sind, und neben den gros
müthigen nicht bestehen können, einem jeden einzel
nen Wesen nachtheilig und schädlich sind.
Unsre Natur ist einer solchen Bestrebung
nach moralischen und geselligen Freuden fähig, wel
che überhaupt geschickt ist, alle andere Begierden
zu überwinden, und die Menschen zur Verachtung
alles körperlichen Vergnügens und Misvergnü
gens anzuführen. Wir sehen hiervon Beyspiele
nicht nur unter gesitteten Menschen, und unter sol
chen, deren Begriffe von der Tugend, durch eine
gute Erziehung, befestiget worden, sondern auch so
gar unter Barbaren und Räubern. Aus einem
Trieb der Ehre, aus Dankbarkeit, aus dem Eifer
für eine Partey, aus einer Ahndung erfahrner Be
leidigungen, können sie sich mit Freuden allem Un
gemach unterwerfen, und Tod und Quaalen
verachten.
(Erstes
Buch.)
244 Vergleichung
Setzet einen in den grössten Ueberflus an
sinnlichen Vergnügungen; allein lasst ihn über ein
Unglück seines Freundes, über eine Gefahr, welche
seiner Partey bevorsteht, über die Beschuldigung
einer Niederträchtigkeit und Verrätherey, einige ge
sellige oder moralische Unruhe fühlen: so wird ihm
für den sinnlichen Vergnügen ekeln, und er wird
Wunden und Tod gering schätzen. Er verachtet
einen, der ihm sagt, „er solle seine sinnlichen Ver
gnügungen immer fort geniessen, es möge seiner
Partey, seinem Freunde, seinem Character zustos
sen, was da wolle.“ Er findet in sich selbst hö
here Quellen der Handlungen, welche zugleich hö
here Quellen von Glückseligkeit oder Elend sind.
Weil also die geselligen und moralischen Ver
gnügungen die höchsten sind: so mus derjenige Ge
schmack, so müssen diejenigen Neigungen und Hand
lungen, welche uns eine unterbrochene Reihe sol
cher Vergnügungen verschaffen, und uns wider ihr
Gegentheil in Sicherheit setzen können, die natür
lichsten Mittel zur höchsten Glückseligkeit seyn, und
das tiefste Elend von uns entfernen. Diese höch
sten Vergnügungen sind entweder mit diesen Nei
gungen und den daraus fliessenden Handlungen ver
knüpft, oder sie sind natürliche Begleiterinnen und
Folgen derselben.
(Gesellige Neigungen verschaffen
das meiste Vergnügen.)
Haben wir den Zustand der Seele empfun
den, wenn sie mit den liebreichen Neigungen der
Liebe, des Wohlwollens, der Dankbarkeit, und der
geselligen Freude erfüllet ist? Was fühlen wir,
wenn wir diesen Neigungen, mit Eifer und einem
der Gemüthsarten und Character. 245(Achter Abschnitt.)
glücklichen Erfolg, gemäs gehandelt haben; wenn
wir einem Freunde gedienet, einen Elenden getrö
stet, Traurigkeit in Freude und Dankbarkeit ver
wandelt, unser Vaterland beschützet, und viele
Menschen sicher und glücklich gemacht haben? Ei
nem jeden wird seine Empfindung sagen, daß die
ser Zustand allen andern vorzuziehen ist. Die La
sterhaften selbst, welche der Sinnlichkeit ganz erge
ben zu seyn scheinen, sind von solchen Gesinnun
gen und Neigungen nicht leer. Sie haben ihre
Freundschaften, ihren Trieb zur Ehre, ihre Par
teyen; sie mögen nun so seltsam seyn, als sie wol
len. Einige Vergnüguugen<Vergnügungen> dieser Art, einige
gesellige Neigungen und unvollkommene Tu
genden, sind ihre höchsten Belustigungen. Es ist
die allgemeine Stimme der Natur, daß da, wo die
se Freuden mangeln, keine Glückseligkeit vorhanden
sey. Und da die Sinnlichkeit die menschliche Na
tur nicht hinlänglich beschäftigen und befriedigen
kan: so müssen, wenn die geselligen Neigungen un
terliegen, die Neigungen einer entgegengesetzten
Art, Menschenfeindschaft, Eigensinn, Argwohn und
Neid entstehen, welche das unmittelbare Elend
und fruchtbare Quellen desselben sind.
Obgleich die geselligen Neigungen darauf ge(Sie erfor
dern aber Glauben an die Vorse
hung und Vertrauen auf dieselbe.)
richtet sind, das Elend anderer, und die sympathe
tische Traurigkeit abzuwenden: so müssen wir doch,
wenn es nicht gelingt, einen Grad einer gewissen
grosmüthigen Unruhe empfinden. Hier müssen
wir zu den höhern Betrachtungen unsre Zuflucht
nehmen, daß es eine weise und gütige Vorsicht gebe,
(Erstes
Buch.)
246 Vergleichung
daß es, unsrer Pflicht und der moralischen Vor
treflichkeit, gemäs sey, uns der höchsten Weisheit
und Güte gänzlich zu überlassen, und uns in der
Hofnung gewis zu machen, daß solche Uebel, wel
che durch unsre besten Bemühungen nicht abgewen
det werden können, von unserm allgemeinen Va
ter, zu den besten Endzwecken bestimmt sind. Un
sre sympathetischen Schmerzen werden oft durch ge
ringere Vermuthungen, als diese sind, gelindert,
wenn wir wahrscheinliche Hofnung haben, daß
dasjenige, was unser Mitleiden erregt, künftig zu
einem höhern Vortheil derjenigen, die wir lieben,
ausschlagen wird. Dieses Vertrauen, diese Zuver
sicht, diese Hofnung, welche sich, auf eine feste Ue
berzeugung von der göttlichen Güte, gründet, müs
sen durch ein beständiges Nachsinnen, in einer sol
chen Stärke und Lebhaftigkeit erhalten werden, daß
[daß] sie alle eingeschränkte Neigungen unterdrü
cken, und die Seele, in ihren geselligen Leiden,
aufrichten können. Wir wollen hiervon im Ver
folg reden.
Wenn die geselligen Neigungen in der
Absicht, unsre geselligen Schmerzen zu verhindern,
oder zu mildern, ausgerottet, oder geschwächt wer
den sollten: so würden auch alle geselligen, und die
meisten von unsern moralischen Freuden vertilgt
oder geschwächt werden müssen. Auch die Unter
drückung der eingeschränkten Neigungen, ist einem
menschlichen Character nachtheilig. Der natür
lichste und vollkommenste Zustand, dessen unsre
Seelen gegenwärtig fähig zu seyn scheinen, ist der
der Gemüthsarten und Character. 247(Achter
Abschnitt.)
jenige, wenn alle natürliche Neigungen, Begier
den und Empfindungen, in einem gehörigen Ver
hältnis gegen die Würde des Gegenstands, darauf
sie gerichtet sind, lebhaft erhalten werden, so,
die niedrigern immer unter der Gewalt der höhern
bleiben, und niemals die Erlaubnis erhalten, den
Endzweck, für welchen Gott sie bestimmt hat, zu
vernichten, noch einer der zwo grossen Bestim
mungen unsrer Seelen, nämlich der Beförderung
der Glückseligkeit und Vollkommenheit unsrer eige
nen Person und des ganzen Systems, sich entge
gen zu setzen.
III. Es ist klar, daß die unfreundlichen Nei(Alle un
freundliche Neigungen sind unange
nehm.)
gungen und Leidenschaften, ursprünglich unange
nehm sind. Die Natur zeigt sattsam, daß sie
nicht der ordentliche Zustand der Seele seyn können.
Die Grade derselben, welche unschuldig, ja dem
System nothwendig sind, werden von unangeneh
men Empfindungen begleitet, und können, auf eine
gewisse Zeit, nur einen geringen Beyfall erhalten.
Dergleichen ist der Zorn, selbst derjenige, welcher
zur Vertheidigung unsrer selbst und unsrer Freunde,
und zur Abwendung einer Verunehrung nothwen
dig ist: dergleichen ist die vorsätzliche Züchtigung
des Unbescheidenen und des Schmähsüchtigen, die
auf keine andre Bestrafung, sondern blos auf die
Sicherheit, welche die Gesellschaft erfordert, abzie
let: dergleichen ist der gerechte Unwillen gegen
Menschen, welche glücklicher sind, als sie verdie
nen. Dieses alles sind unangenehme Neigungen,
und sie haben wenig liebenswürdiges in sich. Von
(Erstes
Buch.)
248 Vergleichung
dem eigeunützigen<eigennützigen> Verlangen, über andre erhaben
zu seyn, und von der Eifersucht oder dem heftigen
Verlangen, einige schätzbare Eigenschaften im höch
sten Grade, zu besitzen, ist eben dieses wahr. Die
se Neigung kan unschuldig seyn, und sie ist für ei
nige Gemüthsarten eine sehr nützliche Ermunterung:
allein sie ist gemeiniglich unangenehm; und es ist
in dieser heftigen Begierde, in Vergleichung mit
andern vortreflich zu seyn, keine moralische Schön
heit vorhanden, welcher das ruhige Herz Beyfall
ertheilen könte.
(Sie sind nur vorüberei
lende Re
gungen.)
Ausser den unangenehmen Empfindungen,
welche diese Leidenschaften begleiten, ist es auch klar,
daß sie in ihren Gegenständen solche Veränderun
gen hervorbringen, welche die Leidenschaft selbst en
digen, und entgegengesezte Regungen von Reue und
Mitleid hervorbringen, wenn die Gegenstände so
weit heruntergesezt sind, daß wir aufhören, Ue
bels von ihnen zu befürchten, oder wenn sie zu einer
aufrichtigen Bereuung alles desjenigen, was in
ihnen lasterhaft und beleidigend war, gebracht wor
den sind; dahingegen die liebreichen Neigungen,
welche wir allezeit billigen, auf solche Endzwecke
abzielen, die uns Vergnügen gewähren, und die
Neigungen verlängern und stärken. Wohlwollen
und Mitleiden zielen auf die Glückseligkeit ihrer Ge
genstände ab, und diese, wenn sie erlangt worden ist,
verursacht der handelnden Person ein dauerhaftes
Vergnügen: und Gefälligkeiten, welche würdigen
Gegenständen erwiesen werden, vermehren unsre
Liebe zu ihnen. Dieses beweist, daß die erste Art
der Gemüthsarten und Character. 249(Achter
Abschnitt.)
von Neigungen nur für vorübereilende zufällige
Bewegungen; die leztern hingegen für dauerhafte
wesentliche Eigenschaften der Seele angesehen wer
den müssen.
Wir haben, für die unfreundlichen Neigun
gen, bestimmte Namen, wenn sie entweder aus
schweifen, oder ohne gerechte und hinlängliche Ur
sachen entstehen und zur Gewohnheit werden; näm
lich, Bosheit, Rache, Neid, Ehrgeiz oder
Stolz. Allein wir haben für die unschuldigen
Grade keine solche besondern Namen. Daher ha
ben sich einige fälschlich eingebildet, daß einige un
srer natürlichen Leidenschaften in allen Graden schlech
terdings böse wären.
Allein diese unfreundlichen Neigungen, wel
che auch alsdenn, wenn sie für unschuldig gehalten
werden müssen, unangenehm sind, wurden uns, theils
zum Vortheil eines jeden einzelnen Wesens, theils
aber zum Besten des Systems, eingepflanzt.
Gleichwie die äusserlichen Sinne, durch die ange
nehmen Empfindungen ein einzelnes Wesen von dem
glücklichen Zustand des Körpers und den ordentli
chen Vergnügungen unterrichten; und hingegen
dasselbe durch unangenehme Empfindungen vor dem
jenigen, was seinen Untergang nach sich ziehen kön
te, warnen: also empfiehlt das moralische Ge
fühl, in Absicht auf das gemeine Beste, der han
delnden Person, und auch jedem Zuschauer, ver
mittelst eines angenehmen Beyfalls, alle liebreiche
Neigungen und Handlungen; und schreckt hingegen
durch einen unangenehmen Widerwillen und durch in
(Erstes
Buch)
250 Vergleichung
nere Verweise die handelnde Person von solchen Nei
gungen ab, die dem System schädlich sind; den
Zuschauer aber ermuntert es, durch einen unange
nehmen Trieb des Zorns und Unwillens, sich ih
rem Vorhaben zu widersetzen.
Diese Leidenschaften des Zorns, der Ahndung
und des Unwillens bringen, auch wenn sie unschul
dig und nützlich sind, unangenehme Empfindungen
hervor; und dieses beweist eben sowohl, als die
vorhergehende Anmerkung, daß sie nicht bestimmt
sind, die beständigen Eigenschaften der Seele zu
seyn; sie sollen nur bey gewissen Vorfällen entste
hen, wenn etwas, das dem einzelnen Wesen oder
dem System schädlich ist, abgewendet werden soll.
Sie sind eine Art unangenehmer Arzeneymittel wi
der Unordnungen, und keine natürliche Speise: sie
wurden uns eingepflanzt, um uns gegen Beleidi
gungen zu sichern, und, in so fern sie blos hierzu
angewendet werden, sind sie für unschuldig anzuse
hen. Gleichwie nun der Trieb zur Nahrung ver
dorben seyn mus, wenn uns für natürlichen Spei
sen ekelt, und wenn wir hingegen nach etwas, das
nicht nahrhaft ist, lüstern sind; gleichwie unser
Cörper nicht in seinem gehörigen Zustande, sondern
krank seyn mus, wenn ihm die gesunde Luft, oder
die nothwendige Kleidung beschwerlich wird: also
mus auch unsre Gemüthsart sehr verdorben seyn,
wenn wir zornig werden, ohne einen Schaden oder
Beleidigung erlitten zu haben; wenn wir gegen ei
nen Gegenstand, der nichts moralisches böses in sich
hat, von Abscheu und Feindseligkeit eingenommen
der Gemüthsarten und Character. 251(Achter Abschnitt.)
sind; oder wenn wir eine verdienstvolle Person um
ihr Glück beneiden; oder wenn wir gegen einen
unschuldigen Theil des Systems, welcher zu einem
geselligen Leben und einer Reihe guter Dienstleistun
gen bestimmt ist, und dadurch erhalten wird, übel
gesinnt sind.
Es ist dahero unser Vortheil, wenn wir das
Verdienst der Personen und den Werth der Sachen
wohl untersuchen, und die unfreundlichen Neigun
gen in Schranken halten, da sie auch alsdenn,
wenn sie für unschuldig gehalten werden, unange
nehm, und zu Ausschweifungen so geschickt sind, daß
sie, auch in ihren mässigen Graden, etwas Bösem sehr
ähnlich sehen, und daher wenig gebilliget werden.
Die ruhigern Neigungen der Seele, welche entweder
auf den Vortheil eines einzelnen Wesens, oder auf
das Beste des Systems abzielen, richten allemal
mehr aus, als die unruhigen Leidenschaften, so nütz
lich auch diese leztern in Seelen seyn können, wel
che nicht gewohnt sind, nachzudenken. Es ist also
zu wünschen, daß wir unser Leben diesen sichern
Anführern anvertrauen, und uns vor allen un
freundlichen heftigen Bewegungen hüten mögen,
welche meistentheils gefährlich sind.
IV. Wenn die geselligen Neigungen, an sich(Die Unvoll
kommenhei
ten unsrer liebreichen Neigung sind von
zweyerley Art.)
selbst, und ihren Folgen nach, die edelsten Ver
gnügungen sind: so ist klar, daß die ruhigen und
allgemeinen die besten dieser Art seyn müssen, wenn
sie in ihrer vollen Lebhaftigkeit sind, und ihre na
türliche Kraft anwenden, die eingeschränktern Nei
gungen zu regieren und in Ordnung zu erhalten.
(Erstes
Buch.)
252 Vergleichung
Unsre liebreichen Neigungen sind zweyerley
Unvollkommenheiten unterworfen. Die eine äus
sert sich alsdenn, wenn sie sich blos auf einen Theil
beziehen, ohne daß wir gegen die übrigen Theile
üble Gesinnungen haben; die andre aber, wenn zu
der Zeit, da starke liebreiche parteyische Neigun
gungen, gegen einige wirksam sind, gegen an
dre, unfreundliche und feindselige Neigungen
entstehen.
(Sie sind nicht von dem weite
sten Umfan
ge.)
In dem ersten Falle werden Menschen von
geringer Ueberlegung niemals das allgemeinste ru
hige Verlangen nach dem Vortheil anderer fühlen,
welche die höchste moralische Vollkommenheit ist;
und doch werden sie, so weit es ihre Absicht unb<und> die Sphäre ihrer Handlungen zulässt, liebreiche Ge
sinnungen haben, ohne gegen jemanden übelgesinnt
zu seyn. Diese Gemüthsart ist wirklich vortref
lich, und von den meisten Menschen kan nicht mehr
erwartet werden: es ist auch nicht mehr nöthig, da
sehr wenige im Stande seyn können, den allgemein
sten Vortheil zu befördern. Es ist keine unge
rechte Partheylichkeit, wenn die Menschen gemeini
glich den stärkern Banden der Natur, der Dank
barkeit und den Regungen einer innigen Hochach
tung ihrer würdigen Freunde folgen; woferne sie
nur keine Pflichten gegen andre verabsäumen, und
diesen eingeschränktern Neigungen Einhalt thun, so
bald sie gewahr werden, daß dieselben einem allge
meinern Vortheil entgegen sind.
(oder sind auf eine unge
rechte Art parteyisch.)
Eine gefährliche Parteylichkeit ist es, wenn
die Menschen starke Neigungen gegen einen kleinen
der Gemüthsarten und Character. 253(Achter Abschnitt.)
Theil haben, und hingegen andre eben so schätzbare
Theile des Systems, welche ihnen bekant, und in
nerhalb der Sphäre ihrer Handlungen sind, gar
nicht in Betrachtung ziehen; oder wenn sie entwe
der ohne gar keine, oder doch ohne gnugsame natür
liche Veranlassungen, und ohne alle Absicht auf das
gemeine Beste, gegen die andern Theile boshafte
Gesinnungen hegen. Diese geselligen, obgleich par
teyischen Neigungen geben oft Anlas zum Vergnü
gen; allein die Verabscheuung derselben kan viel
unangenehme Empfindungen verursachen. Wenn
die liebreichen Neigungen auf eine so sonderbare
Art angewendet werden: so sind sie von geringem
Werth: sie müssen unbeständig seyn, und der inne
re Beyfall mus verschwinden, wenn darüber nach
gedacht wird. Der Gegenstand, welcher vorher
bewundert wurde, kan nachhero gemisbilliget und
verabscheuet werden, vermöge eben des Eigensinns,
der ihn erst angenehm machte. Mit diesen parteyi
schen Neigungen ist wenig Vergnügen verknüpft;
und was für einen Werth hat die Liebe, wenn keine
genugsame Ursache dazu vorhanden ist? Was für
Genugthuung verschaft uns die Gegenliebe solcher
Lieblinge, bey deren Wahl wir die Vernunft nicht
zu Rathe gezogen haben? Die allgemeine Wohlge
wogenheit hingegen, und die eingeschränkten auf
natürliche Ursachen gegründete Neigungen, welche
die billige Zuneigung gegen andre nicht ausschliessen,
müssen ein volles Vergnügen und das Bewustseyn
gewähren, uns um alle wohl verdient gemacht zu
haben; da solche Neigungen das allgemeine Beste
befördern.
(Erstes
Buch.)
254 Vergleichung
Der ungerechte Abscheu, welcher aus einem
(Die Gefahr eines unge
gründeten Abschenes<Abscheues>.) irrenden Gewissen und falschen Begriffen von Re
ligion und Tugend, die uns Aberglaube und ei
ne üble Erziehung beygebracht haben, herrühret,
mus uns in unzähliche Widerwärtigkeiten verwi
ckeln. Wenn die Menschen nicht allem Nachsin
nen entsagt haben: so müssen sie eine schmerzhafte
Gewissensangst und ein inneres Misvergnügen
fühlen. Ein Scheinheiliger, ein Verfolger, ein
Räuber, welcher aus einer Art von Pflicht, die er
in seinem Gewissen seiner Partey oder seinem Sy
stem schuldig zu seyn glaubt, dem natürlichen Mit
leiden und den deutlichsten Vorschriften der Gerech
tigkeit widerstrebt, kan nur niedrige und eingeschränk
te Vergnügungen haben. Was sind die Dienste,
die wir einer Partey oder einer Sache leisten, wenn
wir keine gewisse Ueberzeugung von dem Werth
derselben haben, und dem Vortheil vieler andern
entgegen handeln? Was ist es, wenn wir einem
Geiste gefallen, von dessen moralischen Vollkom
menheiten wir keinen richtigen und zusammenhan
genden Begrif haben? Der Streit zwischen allen
ursprünglichen Trieben der Menschlichkeit und die
sem falschen Gewissenstriebe, mus erschrecklich seyn.
Die Ueberlegung mus in uns den quälenden Arg
wohn erregen, daß alles böse sey. Alles dauerhaf
te Vergnügen mus verloren seyn, oder die Men
schen müssen Vernunft und Nachdenken verbannt
haben.
Man bringt einen Freund um, aus einem fal
schen Triebe zur Ehre. Mitleiden und Gewissens
der Gemüthsarten und Character. 255(Siebender Abschnitt.)
angst folgen unmittelbar darauf. Können nicht
bey Verfolgungen, bey der Grausamkeit, welche
von dem Eifer für eine Partey herrühret, die Ver
antwortungen der Leidenden, das Urtheil der Welt
oder der verfolgten Partey, ein inneres Schrecken,
eine innere Angst hervorbringen, wenn man auch
alle Mühe angewendet hat, sich derselben zu ent
schlagen? Was ist es, Tausende zu beleidigen, um
von Tausenden verabscheuet zu werden? Wie schwer
ist es, ein Vorhaben zu rechtfertigen, das mit der
Menschlichkeit streitet? In was für einem Zustan
de werden wir in einer gelassenern Zukunft seyn,
wenn unser gegenwärtiger Ehrgeitz, unser hitziger
Eifer für eine Partey abnehmen wird, und wenn
wir sehen werden, daß unser Verhalten in Verbre
chen und in Grausamkeit gegen Unschuldige bestan
den, und Gott und alle tugendhafte Menschen be
leidiget hat? Eine gutgeartete Seele wird glau
ben, daß sie sich vor solchen ungegründeten Mei
nungen und Vorurtheilen, die fähig sind, sie wider
ihre Nebenmenschen aufzubringen, nie zu sehr in
Acht nehmen könne.
V. Wir wollen nunmehro die Gemüthsarten,(Die eigen
nützigen Lei
denschaften wenn sie zu stark sind,
machen uns unglücklich.)
bey welchen einige oder alle eigennützige Leidenschaf
ten zu heftig sind, betrachten. Dergleichen sind
besonders die Liebe zum Leben und zum sinnli
chen Vergnügen, das Verlangen nach Eigen
nutz, oder nach den Mitteln, sich Vergnügen und
die Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, das
Verlangen nach Ansehn, Ruhm und Ruhe.
(Erstes
Buch.)
256 Vergleichung
In einem gewissen mässigen Grade können
alle diese Leidenschaften neben den geselligen Nei
gungen, in ihrer ganzen Stärke, bestehn. Allein
da wir oben bewiesen haben, daß das Gute oder die
Glückseligkeit, auf welche sie abzielen, niedriger als
diejenige ist, welche von den geselligen Neigungen
entstehet: so müssen sie denselben und den Bestre
bungen nach der Tugend, weichen. Wenn sie ihr
bestimmtes Ziel überschreiten: so werden sie Zag
haftigkeit, oder Kleinmüthigkeit, Schwelgerey
oder Wollust, Geitz, Ehrsucht, Eitelkeit und
Faulheit genennet.
(Die Liebe zum Leben.)
Die Liebe zum Leben, welche ihr geseztes Ziel
überschritten hat, ist ein grosses Elend. Das Le
ben ist in manchen Fällen nicht werth, erhalten zu
werden; und die Verlängerung desselben auf eine
gewisse Zeit, kan uns theuer zu stehen kommen.
Ohne Zweifel kan, unter gewissen Umständen, der
Tod von einer Person, um ihrer selbst willen, sehn
lich gewünscht werden; andern kan er willkommen
seyn, wenn er ihren theuersten Freunden die Frey
heit verschaft, und sie können dasjenige ernstlich
ausschlagen, was andre an ihrer Stelle erwählt ha
ben würden. Die Liebe zum Leben veranlasst, daß
einige wider ihren eigenen Vortheil handeln, und
Feinde ihrer selbst werden. Die Furcht des To
des verfehlt oft ihren eigenen Endzweck; sie über
liefert uns der Gefahr, an statt sie abzuwenden, und
sie beraubt uns der Gegenwart des Geistes, durch
welche standhafte Menschen die Mittel zur Sicher
heit ausfindig machen.
der Gemüthsarten und Character. 257
(Achter Abschnitt.)
Die Leidenschaft selbst ist Elend. Zaghaftigkeit
in sich zu fühlen, und mit unaufhörlichen Schrecken
umgeben zu seyn, ist ein wahres Unglück. Es ist
niemand frey von Gefahr. Die stärkste Leibesbe
schaffenheit ist vor harten Krankheiten nicht sicher.
Die Furcht des Todes wird das ganze Leben und
alle Vergnügungen, auch bey den glücklichsten Um
ständen, vergiften. Sie wird die Menschen bey ge
wissen Gelegenheiten zu dem niedrigsten Verhalten
zwingen, und dem Herzen eine so elende Gestalt ge
ben, daß wir den Anblick desselben nicht aushalten
werden; wenn wir vor das Leben, welches ein unge
wisser Genus ist, und am Ende doch aufgegeben
werden mus, alle edelmüthige und liebenswürdige
Gesinnungen, welche uns dasselbe allein werth hät
ten machen sollen, dahingegeben haben.
VI. Die sinnlichen Leidenschaften sind, wie(Die sinnli
chen Belusti
gungen ma
chen uns un
glücklich.)
wir oben gezeigt haben, auf die niedrigsten Ver
gnügungen gerichtet, und wenn sie überhand neh
men: so machen sie den verworfensten Character
aus. Es ist nichts in diesen Vergnügungen, das
wir billigen können, wenn wir nachdenken. Ja,
es wird eine lange Gewohnheit erfordert, der na
türlichen Empfindung der Schaam Einhalt zu
thun, wenn wir uns diesen Belustigungen ohne
Zurückhaltung überlassen. Unsre Einbildungskraft
mus moralische Begriffe mit ihnen verknüpfen, da
mit uns die Bestrebungen nach denselben anständig
vorkommen, und damit wir den unangenehmen
(Erstes
Buch.)
258 Vergleichung
Verweisen der
*
natürlichen Schamhaftigkeit
welche bestimmt ist, diese niedrigen Begierden in
Schranken zu erhalten, entgehen mögen.
Wenn Leidenschaften dieser Art unmässig sind,
so haben sie die gefährlichsten Folgen. Sie schwä
chen die Gesundheit des Körpers und der Seele, und
hindern alle männliche Verbesserungen: die Ver
schwendung der Zeit, die Weichlichkeit, die Faulheit,
und tausend unordentliche Leidenschaften vermin
dern die natürliche Stärke der Tugend, und ma
chen uns unfähig, uns selbst zu beherrschen. Der
schädliche Einflus, welchen die Ausschweifungen in
der Liebe auf die Gesellschaft haben; das bittere
Elend, welches sie unsern theuresten Anverwand
ten verursachen; das Unglück und die Unehre, wel
chem diese verrätherische Liebe ihren Gegenstand
aussezt, müssen bey der geringsten Aufmerksamkeit
in die Augen fallen, und sie müssen die grausamste
Gewissensangst verursachen, wenn noch einiges
Gefühl von Tugend und Menschlichkeit zurück ge
blieben ist. Wir übergehen die Verwüstung, wel
che diese Leidenschaft in der Ehrbarkeit, Rechtschaf
fenheit und Sittsamkeit unsrer Natur anrichtet,
mit Stillschweigen. Mus es also nicht unserm
Vortheil entgegen seyn, solche heftige Leidenschaften
zu haben?
23
der Gemüthsarten und Character. 259
(Achter Abschnitt.)
VII. Da der Reichthum zu Befriedigung(Der Geitz ist
eine elende Leidenschaft.)
unsrer Begierden von grossen Nutzen seyn, das
Beste einer einzelnen Person befördern, und uns zu
Leistung mancher Gefälligkeiten geschickt machen
kan: so ist es kein Wnnder<Wunder>, daß alle diejenigen
reich zu seyn wünschen, welche ihre Betrachtungen
nicht auf den gegenwärtigen Augenblick einschrän
ken. Ein mässiges Verlangen darnach ist un
schuldig, und weise, und kan zu den besten Absich
ten dienen; und der Besitz mus denjenigen, welche
ihn zu gefälligen und tugendhaften Absichten an
wenden, viel Vergnügen gewähren. Allein wenn
das Verlangen heftig, und nur auf eigennützige
Endzwecke gerichtet ist, oder, vermöge einiger dun
keln Begriffe von Würde und Ansehn, blos auf die
Vermehrung der Glücksgüter abzielet: so ist die
Gemüthsart eben so unglücklich, als unvernünftig,
und der Person selbst, welche sie besizt, weit be
schwerlicher, als sie es ihrem Nächsten seyn kan.
Die natürlichen Begierden sind leicht zu befriedi
gen. Ein mässiges und sparsames Leben kan an
Vergnügen der grösten Schwelgerey gleich kom
men. Die Begierde reich zu seyn, ohne Absicht
auf Vergnügen oder Freygebigkeit, ist eine unange
nehme, unersättliche, unruhige und misvergnügte
Leidenschaft. Diejenigen, die sich mit der Vorstel
lung einer hohen Würde und Glückseligkeit schmei
cheln, welche ihre Nachkommen vermittelst desjeni
gen, was sie ihnen sammlen, erlangen werden, pfle
gen gemeiniglich, durch ihr Beyspiel und ihren Un
terricht, so viel möglich, aus den Seelen derselben
alle angenehme und anständige Eigenschaften aus
(Erstes
Buch.)
260 Vergleichung
zurotten; und wenn die Unterweisung ihre Wir
kung nicht thut: so gerathen ihre Nachkommen
durch das häsliche Beyspiel, welches fie<sie> ihnen ge
ben, in die Versuchung, die entgegengesezten Aus
schweifungen zu begehen; und die Hofnung eines
gemächlichen Ueberflusses und Wohllebens unter
drückt nicht nur allen Eifer, sich in anständigen
Künsten und Wissenschaften vollkommen zu ma
chen, sondern sie erweckt auch die Lust, alle Aus
schweifungen zu begehen.
(Ehrsucht macht un
glücklich.)
Eben dieses kan von den Begierden nach An
sehen und Ehre gesaget werden. Ein mässiger
Grad ist unschuldig und nützlich; allein wenn sie
zu heftig werden: so sind sie unruhig, dem einzel
nen Wesen unangenehm, der Gesellschaft oft schäd
lich, und verletzen gemeiniglich die heiligsten Bande
der Pflicht und Menschlichkeit, und machen das
Herz zu allen guten Regungen unfähig. Das Ver
langen, wegen Rechtschaffenheit und moralischer
Würde hochgeachtet zu werden, ist einer jeden tu
gendhaften Gemüthsart natürlich; und es ermun
tert die Menschen, das zu seyn, was man an ihnen
hochachten soll; welches der kürzeste Weg zum
wahren Ruhm ist. Ja das Verlangen, schätzba
re Fähigkeiten in einem hohen Grade zu besitzen, ist,
so lange es mässig bleibt, unschuldig, und unsrer
Beschaffenheit sehr zuträglich. Allein es kan so
heftig werden, daß es sich in eine immerwährende
Quaal verwandelt, und die Quelle der verworfen
sten und elendesten Leidenschaften wird. Alle aus
serordentliche Verdienste werden alsdenn Neid, Has
der Gemüthsarten und Character. 261(Achter Abschnitt.)
und Schmähsucht rege machen. Die Seele wird
unruhig, heftig, eifersüchtig, verläumderisch wer
den, sie wird leicht aufzubringen seyn, und nicht
die mindeste Geringschätzung ertragen können, sie
wird allen unangenehm, und von allen verachtet
werden. Keine Leidenschaft kan ihren Endzweck
mehr verfehlen, als die Eitelkeit; und nichts ist
verhasster und verächtlicher, als der Stolz, nichts ist
hingegen liebenswürdiger, als Bescheidenheit und
Demuth.
VIII. Nichts ist der Ehrsucht so sehr entge(Faulheit und Trägheit
macht un
glücklich.)
gen, als die Liebe zur Ruhe. Dieselbe ist, so lange
sie mässig bleibt, ebenfalls unschuldig, und nütz
lich, wie das Verlangen zu schlafen, wenn man sich
ermüdet hat. Allein wenn sie in eine beständige
Faulheit ausartet, den geselligen Neigungen nicht
statt giebt, und alle mühsame Unternehmungen flie
het: so mus sie der Seele alle wahre Würde, alles
gesellige Vergnügen, alles Gefühl des Verdiensts,
alle Hofnung hochgeachtet zu werden, rauben. Der
hinfällige sieche Zustand eines Körpers, der aller
Bewegungen unfähig ist, äussert sich in der Ge
sichtsfarbe, und in der geschwächten Lust zum Essen
und Trinken.
Eine schlimmere Unordnung befällt eine See
le, welcher die natürliche Uebung in den geselligen
Pflichten des Lebens fehlt. Sie mus ekelhafte
Stunden haben, sie mus die Verachtung befürchten,
sie mus eifersüchtig seyn, und sie kan keine Leiden
schaft in ihrer Gewalt haben. Die Folgen, in
Absicht auf den eigenen Vortheil, sind klar. Den
(Erstes
Buch.)
262 Vergleichung
Trägen können keine Geschäfte von statten gehen;
sie sind keiner Verrichtung selbst gewachsen, und
sie dürfen entweder auf den Beystand andrer nicht
hoffen, weil sie denselben nicht verdient haben, oder
durch ihre eigene Unthätigkeit machen sie, daß alle
Beyhülfe vergebens ist.
Die Ausschweifungen der eigennützigen Lei
denschaften sind also ein gewisses Elend. Sie vol
lenden den Character, den man eigennützig nennt,
und der alle Verachtung verdient, und keine von den
edelsten Freuden des Lebens kennt. Da die Ge
müthsart Schande bringt: so verleitet sie zu einem
heuchlerischen und verstellten Verhalten; die na
türliche Redlichkeit und Ausrichtigkeit geht verloren,
und Mistrauen, Argwohn und Neid treten an ihre
Stelle. Mit jedem Tage werden wir begieriger
auf Vortheile, die uns von unsern Nebenmenschen
trennen, und die geselligen Neigungen werden un
terdrückt. Zuletzt wird die Gemüthsart völlig elend
und hassenswürdig.
(Woher die ungeheuren
Leidenschaf
ten entste
hen.)
IX. Einige ausserordentliche und seltene Bey
spiele von den unmässigsten Ausschweifungen dieser
eigennützigen Leidenschaften sind diejenigen, welche
in der gemeinen Sprache, mit einem ziemlich richtigen
Ausdruck, ungeheuer und unnatürlich genennet wer
den; allein es scheint, als wenn einige Schriftsteller
denselben diese Beywörter in der Meinung beygelegt
hätten, als ob sie eine ganz besondere Art ausmachten.
Dergleichen sind, wenn die Menschen an Martern an
drer Vergnügen zu haben, oder andere, ohne alle Ver
anlassung, beleidigen zu wollen, oder von Frechheit, un
der Gemüthsarten und Character. 263(Achter Abschnitt.)
natürlichen Lüsten, von einem ausgelafsenen<ausgelassenen> Stolz'
einer zügellosen Tyranney und Menschenfeindschaft
eingenommen zu seyn scheinen. Dieses sind blos
die Ausschweifungen solcher Leidenschaften, welche
uns die Natur eingepflanzt hat, die aber ohne genug
samen Anlas, vermittelst falscher Meinungen, oder
dunkler Einbildungen, und durch eine lange Nach
sicht und öftere Anreizung zu einer unmässigen Hö
he gestiegen sind. Jedermann sieht, daß dieser
Fall, bey einem unmenschlichen Triebe der Wollust,
vorkomt, wenn die natürliche Leidenschaft unbän
dig worden ist. Eigensinn und Neugier macht, daß
die Menschen oft alle Ausschweifungen versuchen.
Wenn die Gemüthsart, ihrer natürlichen Be(Tyranney)
schaffenheit nach, oder aus andern Ursachen, wild
und mürrisch ist, wenn die Seele lange Zeit, durch
Widerstand oder einige befürchtete Beleidigungen,
aufgebracht und gereizet worden, und wenn keine
hinlängliche Ueberlegung dazwischen komt, das
Wachsthum der Leidenschafteu<Leidenschaften> zu hindern: so ent
steht eine erstaunliche Feindseligkeit und Grausam
keit. Man wird sich leicht einbilden können, wie
es zugeht, daß eine langwierige Selbstzufrieden
heit und Ehrsucht, welcher keine Ueberlegung Ein
halt gethan hat; ein öfterer Zorn, welcher von
den Hindernissen, die gemeiniglich stolzen Geistern
im Wege sind, entstehet; und die beständigen Ur
sachen eines Mistrauens, welches ihr eigenes Ver
halten begleitet; diese abscheuliche Mischung von
Eifersucht, Wuth, Grausamkeit und Unterdrückung
aller freyen und tugendhaften Menschen, die man
in Tyrannen wahrnimmt, hervorbringen kan.
(Erstes
Buch.)
264 Vergleichung
Betrachtet das angenommene freye Wesen,
(Frechheit.) den Unwillen über den Einhalt, welcher ausschwei
fenden Menschen von den Gesetzen gesitteter Gesell
schaften gethan wird, den Abscheu, welchen sie von
ihren eingezogenen Nebenmenschen zu gewarten ha
ben, das pralerische Verlangen, für herzhaft ange
sehen zu seyn; und sie werden euch die erschreckliche
Freyheit erklären, die man in vielen Charactern
antrift.
(Grausam
keit.)
Gesittete und an die stärksten menschlichen
Empfindungen gewöhnte Völker haben, durch eine
falsche Meinung von der Gemüthsart der übrigen
Menschen, und durch abgeschmackte Begriffe, von
ihrer eigenen Würde und Vortreflichkeit, verleitet,
von diesen Menschen geglaubt, daß sie geschaffen
wären, Sklaven zu seyn. Andere haben in den er
staunlichen Unternehmungen der Kunst und des
Muths so viel Unterhaltung gefunden, daß sie,
ungerührt von dem Unglück, welches ihnen vor Au
gen schwebte, einem Schauspiel voll hoher Ergö
tzung beyzuwohnen dachten, wenn sie Fechtern zusa
hen, die darauf umgiengen, einander zu töden.
Wir wissen alle, was für Begriffe, bey dem ge
meinen Haufen, in Ansehung der Ketzer, gewöhn
lich sind. Wir kennen den Hochmuth vieler Got
tesgelehrten und Geistlichen. Wir wissen, wie
sehr ihre stolze Eitelkeit aufgebracht wird, wenn
sich jemand untersteht, in Grundsätzen der Religion
von ihnen abzugehen, und weiser seyn zu wollen,
als sie. Wenn dieser Uebermuth durch den Genus
eines gewissen Ansehns und einer Verehrung, die
der Gemüthsarten und Character. 265(Achter Abschnitt.)
ihnen der Pöbel ertheilt, lange Zeit Nahrung be
komt: so nimmt er ausserordentlich zu; und man
kan dadurch erklären, wie solche Leute, und ihre
blinden Verehrer die grausamsten Martern wirklich
unschuldiger MeuschenMenschen, welchen die Gestalt der
Ruchlosigkeit und Bosheit augedichtetangedichtet worden, mit
Freuden ansehen. Es ist unnöthig, den Ursprung
anderer unmenschlicher Eigenschaften zu erklären.
Da wir bereits das Elend gezeigt haben,
welches die geringern Ausschweifungen dieser eigen
nützigen und bösartigen Leidenschaften begleitet: so
ist es klar, daß die ungeheurern Ausschweifungen
uns noch elender machen müssen.
Wir haben bisher betrachtet, welche Neigun
gen der Seele und was für eine Gemüthsart, in
Absicht auf die Vergnügungen dieser Welt und auf
unsre Nebengeschöpfe, die Quellen der höchsten
Freude sind. Es ist noch übrig, daß wir einen
andern Gegenstand der Zuneigung in einer jeden
vernünftigen Seele, ausführlich betrachten, wel
cher vermöge desjenigen, was wir bey unsrer vor
herigen Untersuchung bereits bemerkt haben, den
wichtigsten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben
mus, nämlich die Gottheit, den
Geist, welcher
dieses Ganze beherrscht: und hier müssen wir alle
Quellen der Vergnügungen, deren unsre Natur
fähig ist, in Erwägung ziehen. Unser morali
sches Gefühl wird hier auch seinen höchsten Ge
genstand finden, da dasselbe, seiner Natur nach,
nicht nur die Seele geneigt macht, alle moralische
(Erstes
Buch.)
266 Die Pflichten gegen Gott
Vortreflichkeit hochzuachten und zu verehren, son
dern auch in dieser Verehrung und den daher entste
henden Neigungen eine Schuldigkeit und moralische
Vortreflichkeit empfindet.
Der neunte Abschnitt,
Die Pflichten gegen Gott, und die richti
gen Begriffe von seiner Natur.
Unsere Betrachtungen über die Pflichten gegen
Gott lassen sich auf zween Puncte zurückbrin
gen, nämlich: welches sind die richtigsten Begrif
fe von der göttlichen Natur? und welche Nei
gungen und welche Ehrfurcht sind diesen Begriffen
gemäs, und was für Vergnügen oder Glückselig
keit verschaffen sie der menschlichen Seele?
(Richtige Begriffe, und daß eine
Gottheit sey.)
Wenn wir von der Gottheit richtige Begrif
fe erlangen wollen: so müssen wir vorher von ihrem
Daseyn überzeugt seyn. Die Welt ist allemal dar
innen einig gewesen, daß entweder ein höherer
Geist sey, welcher grosse Erkäntnis und Macht
besitze, und den Angelegenheiten der Menschen vor
stehe, oder daß mehrere Geister von diesen Voll
kommenheiten seyn müssen. Es ist kein Zweifel,
daß nicht eine von Geschlechtern zu Geschlechtern
fortgepflanzte Erzählung vieles dazu beygetragen
habe, diese Ueberzeugung auszubreiten. Die Er
fahrung einiger Uebel von unbekanten Ursachen, die
Furcht vor denselben, und das Verlangen einer
weitern Beschützung gegen sie, wenn alle sichtbare
Kräfte dazu nicht hinlänglich gewesen, mögen ei
nige Menschen auf diese Untersuchung gebracht ha
und Begriffe von seiner Natur. 267(Neunter Abschnitt.)
ben. Die natürliche Begeisterung und Bewunde
rung, welche aus der Betrachtung der grossen und
schönen Werke der Natur entstehet, können die
Neugier andrer gereizt haben, ihren Ursprung zu
untersuchen: und dieses ist wahrscheinlicher Weise
der allgemeinste Bewegungsgrund gewesen. Al
lein die Gewisheit einer Lehre hängt nicht von dem
Bewegungsgrund, zur Untersuchung derselben, ab,
sondern von der Gültigkeit der Beweise; und der
Werth derselben wird nach der Wichtigkeit des Ein
flusses, den sie auf unsre Glückseligkeit haben, be
stimmt. Eitelkeit oder Geitz können einige bewo
gen haben, die Geometrie zu erlernen; allein nie
mand wird, aus dieser Ursache, die Wissenschaft
selbst verachten, oder sie für weniger gewis oder
nützlich halten. Wir werden die vornehmsten Be
weisthümer des Daseyns der Gottheit kürzlich an
führen. Die ganze natürliche Erkäntnis oder na
türliche Geschichte ist eine Sammlnng<Sammlung> der unwider
sprechlichsten Beweise derselben.
II. Ueberall, wo wir unsre Augen oder Gedan(Beweise von dem
Bau der Welt.)
ken hinrichten, kommen uns mehr Beweise von
Absicht, Ordnung, Kunst und Macht, entgegen,
als unsre Einbildungskraft sich vorstellen kan. Die
erstaunlichsten Kreise, die grössten Weltkörper, wel
che sich, in einer ununterbrochenen Ordnung, mit
grosser Geschwindigkeit, bewegen: Kräfte, die sich
allenthalben, in Welten, die so gros sind, als diese
Wohnung der Menschen äussern: ein Ganzes, dessen
Weite und Grösse unsre Einbildungskraft und un
sre Nachforschung übersteigt. Allein so weit als
(Erstes
Buch.)
268 Die Pflichten gegen Gott
uns unsre Bemerkungen führen, finden wir in der
zweckmäsigsten Einrichtung aller Theile zu ihren ver
schiedenen Bestimmungen und in dem Zusammen
hang und der Abhängigkeit der, dem Raume nach,
unterschiedenen Dinge unter und von einander, die
deutlichsten Spuren von Uebereinstimmung und ei
ner regelmäsigen Absicht. Die Erde für sich al
lein, würde eine tode unthätige und unnütze Mas
se seyn; aber sie wird durch die Sonne belebt: sie
wird mit unzähligen Saamen befruchtet, welcher
durch Wärme und Nässe und durch die andern
fruchtbaren Ursachen in der Erde und Luft, sich in
Theile von bewnndernswürdiger<bewundernswürdiger> Schönheit ausbrei
tet und entfaltet, und in unzählige regelmäsige
Gestalten von verschiedenen Ordnungen vom niedri
gen Moos an, bis zur erhabenen Eiche, hervor
bricht. Und alles dieses ist zur Nahrung oder zu
anderm Gebrauch für Wesen von höhern Ordnun
gen, welche mit der Kraft sich zu bewegen und zu
empfinden, und mit Vernunft, begabt sind, also
eingerichtet worden.
(Von dem Bau thieri
scher Körper)
In den thierischen Körpern von unzählichen
Arten, in dem regelmäsigen Bau ihrer vielen Thei
le, Gebeine, Muskeln, Häute, Nerven, Adern,
entdeckt sich eine neue bewundernswürdige Kunst.
Dieser wundervolle Bau äussert sich nicht blos in
wenigen Beyspielen, sondern in einem jeden der
unzählichen einzelnen Geschöpfe einer jedweden Gat
tung, welche einander alle in ihrem Bau gleich
sind, und die verschiedenen Kräfte nnd<und> angebohr
nen Triebe ihrer Art besitzen, die zur Erhaltung und
und Begriffe von seiner Natur. 269(Neunter Abschnitt.)
Fortpflanzung der Gattung nöthig sind. Was für
feine und regelmäsige Gliedmassen haben sie nicht,
ihre Speise zu unterscheiden, zu sich zu nehmen, zu
zermalmen, hinunter zuschlucken, zu verdauen; und
die Nahrung durch alle ihre Theile zu verbreiten!
Welche Verschiedenheit, welche kunstvolle Einrich
tung findet sich in den Gliedern, die zur freywilli
gen Bewegung, und zu ihrem Vergnügen, zu ihrer
Beschützung und Vertheidigung dienen!
Gleichwie die Pflanzen ihren wundervollen
Saamen hervorbringen, der dazu besonders einge(Und ihre Fortpflan
zung.)
richtet ist, daß er von den Winden an die gehöri
gen Oerter verweht werden kan: also sind die Thiere
mit angebohrnen Trieben zu gleichem Endzweck ver
sehen. Es entstehen neue Gestalten, welche mit
den Geschöpfen, die sie zeugen, von einer Art sind;
und wenn es nöthig ist: so ist in den Brüsten der
Mütter ein heilsamer Saft zubereitet, wodurch sie
genährt werden. Die Jungen haben einen ange
bornen Trieb, die Quellen ihrer Unterhaltung zu
suchen, und die Alten sind durch einen ähnlichen
Trieb geneigt, sie ihnen darzubieten. Eine zärtliche
Vorsorge dauert in den Alten so lange, als die Jun
gen Beschützung nöthig haben, und so lange die Al
ten denselben beystehen können; und diese Vorsor
ge hört auf, wenn sie nicht weiter nöthig ist. Und
damit nichts Ueberflüssiges, nichts ohne Absichten,
vorhanden sey; so findet man, daß, wenn die Jungen
gewisser Arten keine solche Nahrung, und keine sol
che Beschützung nöthig haben, in den Alten we
der solche Säfte zubereitet, noch ihnen solche Trie
(Erstes
Buch.)
270 Die Pflichten gegen Gott
be eingepflanzt worden sind; wie man dieses bey
vielen Arten von Fischen und Insecten antrift.
(Verknü
pfung der Sonne und
der Atmo
sphäre mit der Erde und den thieri
schen Kör
pern.)
III. Die Erde und alle ihre Schönheiten hän
gen von der Sonne ab. Sie liegt von ihr in der
bequemsten Entfernung: eine nähere oder entfern
tere Lage würde sie zu einer weniger bequemen
Wohnung machen. Die Augen der Thiere sind,
mit der bewundernswürdigsten Kunst, zu dem Gra
de des Lichts, und zu den ihnen eigenen Beschäfti
gungen eingerichtet: ein stärkeres Licht würde
schmerzhaft und schädlich, und ein schwächers ohne
Nutzen seyn. Jhre Lungen, ihre Ohren, ihr Blut,
sind der umgebenden Luft, ihrer Schwere und or
dentlichen Bewegungen gemäs. Dieses nachge
bende, pressende heilsame Flüssige, ist das Mittel
des Lebens, des Athemholens, des Umlaufs des
Bluts, der Stimme, welche Begierden und Em
pfindungen zu erkennen giebt, und der Befriedigung
ihres Geschmacks an der Harmonie.
Die Thiere auf dem Lande haben ohne Un
terlas frisches Wasser nöthig. Der Umfang des
Oceans, welcher selbst mit Einwohnern, die, für die
dieses Element, eingerichtet sind, angefüllet ist, ist
so gros, die Hitze der Sonne ist so heftig, daß täg
lich unendlich viel Dünste, ihrer Salztheile entla
den, emporsteigen, und in der Luft schweben, bis
sie zu dick werden, und in fruchtbaren Regen her
abfliessen, oder, wenn sie in ihrer Bewegung an
Hügel oder Berge stossen, Quellen und Bäche ver
schaffen, welche wieder in den Ocean zurückgehn,
wenn sie vorher grosse Striche Landes gewässert ha
und Begriffe von seiner Natur. 271(Neunter Abschnitt.)
ben. So ist alles voll Kraft, Thätigkeit und re
gelmäsiger Bewegung, alles ist zu dem Nutzen des
lebenden und empfindenden Theils der Schöpfung
mit der grössten Weisheit und Kunst eingerichtet.
IV. Die verschiedenen Classen der Pflanzen(Diese Din
ge hängen
weder von der Kunst der Menschen, noch von an
dern sichtba
ren Ursachen ab.)
und Thiere sind diesen wundervollen Bau weder
ihrer eigenen Weisheit, noch der Weisheit derjeni
gen, von welchen sie abstammen, schuldig. Keine
ihnen bekante Kunst hat den materialischen Bau,
noch die innere Einrichtung ihrer Kräfte und Trie
be, noch die Bequemlichkeiten ihrer Wohnungen
hervorgebracht. Diese unermesliche Weisheit und
Macht, mus sonst wo anzutreffen seyn; in einem
andern Wesen. Wollte man die Welt für ewig
halten: so könte man eben auf keine andere Art
schliessen. Die Wirkungen, die augenscheinlichen
Beweise von Weisheit, würden, auch bey dieser
Voraussetzung, zu allen Zeiten vorhanden seyn. Zu
allen Zeiten würde also eine Weisheit und Macht,
die über die menschliche erhaben ist, in einem an
dern Wesen wohnen. Wenn dieses bewunderns
würdige Ganze einen Anfang hat: so liegt diese
Wahrheit noch deutlicher vor Augen.
Die Menschen haben viele Kräfte, und brin(Zwo Arten von Hand
lungen, mit, oder ohne, Absicht.)
gen viele Veränderungen hervor. Wir können
unsre Fähigkeit, dieselben hervorzubringen, auf
zwoerley Art, anwenden. Bey der einen haben
wir keine besondere Wirkung zum Endzweck; als
wenn wir etwas unachtsam aus der Hand fallen las
sen. Bey der andern haben wir gewisse überdach
te Wirkungen zur Absicht, und wir richten unsre
(Erstes
Buch.)
272 Die Pflichten gegen Gott
Bewegungen nach diesem Vorhaben ein. Durch
die erste Art von Handlungen, wird kaum jemals
etwas regelmäsiges, gleichförmiges, etwas, das zu
einem Endzweck eingerichtet ist, hervorgebracht
werden. Duech<Durch> die andere bringen wir regelmä
(Die ganze Natur be
weist Ab
sicht.) sige und wohleingerichtete Dinge hervor. Nun ist
aber die ganze Natur, eine jede Veränderung und
alles andre, was man in den Thieren von Zeit zu
Zeit wahrnimmt, von dieser letztern Art, regelmä
sig, gleichförmig und künstlich, und so, daß es sich
allemal ähnlich bleibt, eingerichtet: und daher
schliessen wir mit Recht auf eine ursprüngliche ord
nende Weisheit und Kraft.
Hätten wir einige Merkmale, daß die Kraft
oder die Kunst, welche die Dinge ordnet, in den
Dingen selbst wohnte: so würden wir vielleicht zu
einer ersten Ursache nicht zurückgehen. Aber wo
her komt dieser Zusammenhang, diese Uebereinstim
mung, und Gleichheit? Woher komt es, daß die
verschiedenen Gattungen, und die einzelnen Wesen
derselben, von einander, und daß alle diese wiederum
von der Erde, der Atmosphäre und der Sonne ab
hängen? Woher ist diese wohleingerichtete Woh
nung? Es mus entweder unter den verschiedenen
Einsichten der Theile ein Verständnis vorhergegan
gen seyn, oder es mus alles von einem regierenden
Wesen herkommen. Wir haben keinen Grund,
in den Theilen selbst eine solche Weisheit anzuneh
men, die ihre Einrichtung hätte hervorbringen
können; also müssen wir schliessen, daß ein höherer
alles-ordnender Geist vorhanden sey.
und Begriffe von seiner Natur. 273
(Neunter Abschnitt.)
Dieser Geist mus seiner Natur nach selbst
erst und ursprünglich
seyn; und hier kan die
Frage nicht statt finden: woher ist er entstanden?
Die Ordnung der Natur beweist, daß Weisheit
und Allmacht allemal da gewesen sind; wenn man
nicht etwa annehmen will, daß, in einem gewissen
Zeitpuncte, das Daseyn, ohne eine schon vorhandene
Ursache, seinen Anfang nehmen können; oder, daß
ein von allen Kräften, Gedanken, und von aller
Weisheit leeres Wesen, in einem gewissen Zeitpunct,
ohne Beyhülfe eines mächtigen und weisen Wesens,
sich auf einmal zu Macht und Weisheit erheben kön
nen; oder, daß ein von Macht und Weisheit lee
res Wesen diese Vollkommenheiten andern mitthei
len können; alle diese Voraussetzungen sind unver
nünftig. Wenn es also für gewis und unwidersprech
lich gehalten werden mus, daß eine ursprüngliche
Weisheit und Macht, die so hoch ist, als wir uns
nur vorzustellen fähig sind, vorhanden sey: wo sol
len wir glauben, daß sie wohne? Ist in diesem
grossen materialischen System ein weiser Geist
vorhanden, welcher das Ganze belebt und bewegt,
einige Theile von sich, um gewisser Endzwecke wil
len, zu besondern Geistern macht, und dieselben,
durch einige Neigungen gegen sie und gegen das
Ganze, immer regiert; wie die Stoiker annahmen,
welche viele Pflichten der Frömmigkeit und der
Menschheit so eifrig lehrten? Oder ist ein Geist
vorhanden, welcher ein einfaches und unzusammen
gesetztes, ein, von allen theilbaren, veränderlichen
und beweglichen Wesen, unterschiedenes Wesen ist;
wie die Platoniker annahmen? Die grossen Pflich
(Erstes
Buch.)
274 Die Pflichten gegen Gott
ten der Frömmigkeit, der Grund unsrer Hofnun
gen, und die Bewegungsgründe zur Tugend beste
hen bey jedem dieser beyden Systemen; allein, das
erstere hat unbeantwortliche Einwürfe aus der Me
thapysik wider sich.
(Die mora
lischen Ei
genschaften des höchsten Geistes.)
V. Wenn das Daseyn der höchsten uneinge
schränkten Kunst und Macht ausser Zweifel gesetzet
worden: so ist alsdenn der moralische Character
dieses höchsten Geistes, oder die Bestimmungen sei
nes Willens gegen andre Wesen, welche fähig sind,
glücklich oder elend zu seyn, in Erwägung zu zie
hen. Und hierauf mus sich alle Frömmigkeit und
alle Freude in der Religion gründen.
Woferne wir nach demjenigen, was wir in
uns fühlen, oder, nach unsern Begriffen von der
Vortreflichkeit und Vollkommenheit, von dem
höchsten Wesen, urtheilen können: so müssen wir
uns in einer Gottheit eine empfindende Kraft,
die unserm moralischen Gefühl ähnlich ist, vor
stellen, wodurch sie, an gewissen Neigungen und
Handlungen, in sich einen gewissen Beyfall empfin
det, welche sie den entgegengesetzten nicht zugesteht.
Eine solche Kraft, mus die Glückseligkeit, auf die
edelste Art, erhöhen, und sie kan in einem allmäch
tigen Geiste, neben einer jeden Vollkommenheit
oder Quelle des Vergnügens, wohl bestehen. Die
letzten Bestimmungen oder Neigungen des göttli
chen Wesens, welche von ihm selbst gebilliget
werden können, müssen entweder ein Verlangen
nach seiner eignen Glückseligkeit; oder ein Ver
langen nach der grössten allgemeinen Glückseligkeit
und Begriffe von seiner Natur. 275(Neunter Abschnitt.)
oder ein Verlangen nach dem allgemeinen Elend,
seyn. Das Verlangen nach seiner eigenen Glück
seligkeit kan nicht die einzige letzte Neigung oder
Bestimmung seyn; weil das Verlangen, nach der
Glückseligkeit andrer von ihm selbst unterschiedener
Wesen, eine andre Quelle einer reinen erhabenen
Glückseligkeit seyn mus, welche von der erstern
zwar unterschieden ist, aber doch neben ihr in einer
Seele vollkommen bestehen kan, welche es in der
Gewalt hat, dieses Verlangen, auf das vollkom
menste, zu befriedigen, ohne dabey eine andre Quel
le von Glückseligkeit zu verstopfen. Der Beyfall
und das Wohlgefallen an diesen liebreichen Bestim
mungen mus von der Gottheit ganz ausgeschlos
sen seyn, wenn nicht eine solche ursprüngliche Be
stimmung in ihr vorhanden ist. Und man kan sich
nicht vorstellen, daß dem höchsten Geist eine
Quelle reiner Vergnügungen, die mit jeder andrer
Art von Vortreflichkeit bestehen, fehlen könne,
weil wir doch in andern Wesen, welche die Weis
heit des urspünglichen Wesens hervorgebracht hat,
solche Quellen von Glückseligkeit bemerken.
Das letzte Verlangen nach dem allgemeinen
Elend, kan nicht für die gebilligte Bestimmung
der Gottheit angenommen werden, und man kan
sich eine solche Neigung nicht als ursprünglich und
wesentlich vorstellen; weil in dem höchsten Geiste
kein ursprüngliches Gefühl, keine empfindende Kraft
seyn kan, welche diesem Verlangen gemäs wäre.
Die Gottheit mus Kräfte haben, wodurch sie die
Glückseligkeit umittelbar empfindet. Aber der
(Erstes
Buch.)
276 Die Pflichten gegen Gott
ursprüngliche und allmächtige Geist, kan kei
ne Empfindung von Elend, ja keinen Begrif davon
haben, ausser was ihm seine Käntnis der empfin
denden Kräfte, die er seinen eingeschränkten Ge
schöpfen verliehen hat, und die Gesetze der Empfin
dungen, welchen dieselben von ihm unterworfen
worden sind, entdecken. Man kan dasjenige nicht
für den Gegenstand eines ursprünglichen Verlan
gens annehmen, dessen Begrif man nicht durch ei
ne ursprüngliche Empfindungskraft erhält, welche
denselben unmittelbar darbietet.
Gleichwie überdieses alle unfreundliche Be
stimmungen des Willens, dem Geiste, darinnen sie
wohnen, Unruhe und Elend verursachen: also ist
die Vernichtung ihrer Gegenstände, und folglich
auch die Vernichtung ihrer selbst, eine natürliche
Folge derselben. Eine vorsätzliche Bosheit mus
auch alsdenn, wenn ihr Gegenstand noch vorhan
den ist, unruhig seyn, und sie kan blos, durch eine
gänzliche Hinwegschaffung desselben, beruhiget wer
den, auf welche die Neigung aufhört. Der Zorn
geht darauf um, seinen Gegenstand so elend zu ma
chen, daß er zulezt eine vollkommene Reue hervor
bringen, und also das moralische Uebel oder die mo
ralische Schändlichkeit entfernen mus, welche den
zornigen Unwillen erregt hatte; oder der Zorn bringt
seinen Gegenstand so weit herunter, daß aller Wi
derstand des Vortheils, und, mit ihm zugleich, die
von ihm erregte Leiden schaft<Leidenschaft> aufhört. Mit dem
Neid ist es eben so beschaffen, und wenn sein Vor
satz erfüllt ist: so mus er ebenfalls aufhören.
und Begriffe von seiner Natur. 277(Neunter Abschnitt.)
Alle edelmüthige liebreiche Neigungen hingegen, sind
ihrer Natur nach, dauerhaft, bringen Glückseligkeit
hervor, und vergnügen in ihrer Dauer. Das Mit
leiden will das Elend seines Gegenstands entfernt
haben, und dadurch wird sein eigener begleitender
Schmerz entfernt; allein die Liebe und das Wohl
wollen bleiben bey dieser Veränderung, unge
schwächt. Es ist daher klar, daß die unfreundli
chen Neigungen in einem Geiste, der allmächtig,
die Quelle von allem, und der oberste Regent von
allem ist, nicht für ursprünglich gehalten wer
den können; sondern daß ein ursprüngliches
Wohlwollen und eine Neigung zur Mittheilung
der Glückseligkeit, seine wesentliche, beständige und
unveränderliche Eigenschaft seyn mus.
Man kan auch eine ursprüngliche
Bestim
mung gegen das allgemeine Elend in der Gottheit
um deswillen nicht voraussetzen, weil dieses weder
mit der Beschaffenheit aller vernünftigen Ge
schöpfe, die sie hervorgebracht hat, und in welchem
keine solche Bestimmung gefunden wird; noch mit
dem grossen Grad von Glückseligkeit, den man im
menschlichen Leben antrift, bestehen kan. Die
Allmacht würde gewis, durch das höchste allge
meine Elend, ihre Neigungen völlig befrie
digt haben.
Wir nehmen in uns selbst wahr, daß alle
unfreundliche Gesinnungen, deren wir fähig sind,
von unsrer Schwäche herrühren, wenn wir einen
erlittenen Verlust oder Schimpf gewahr werden,
oder wenn wir befürchten, daß uns dergleichen be
(Erstes
Buch.)
278 Die Pflichten gegen Gott
vorsteht; oder wenn wir Hindernisse finden, die un
serm eigenen Vortheil, oder dem Vortheil derjeni
gen, welchen wir gutes wünschen, zuwider sind.
In dem Geiste, der ursprünglich allmächtig
und die Ursache des Daseyns aller Dinge ist, kan
weder Schwachheit noch Bedürfnis, noch ein Streit,
zwischen seinem eigenen Vortheil, und dem Vortheil
seiner Geschöpfe, gefunden werden. Wenn diese
tiefsinnigern Betrachtungen keine Genüge leisten:
so lasst uns zu andern fortgehn, die leichter, und
von den Wirkungen der göttlichen Weisheit und
Macht hergenommen sind.
(Verweise von den Wiekun
gen<Wirkungen> der gött
lichen Macht)
VI. Wenn wir von der Absicht eines Werks,
welche wir nur einigermassen verstehen, urtheilen:
so können wir allemal den natürlichen und ei
gentlichen Endzweck oder die Wirkungen
der Uebereinstimmung und des Zusammenhangs
entdecken. Wir unterscheiden dieselben von zufäl
ligen Wirkungen, welche dasselbe hervorbringen
kan, oder welche nothwendige Folgen von ihm seyn
können, ob sie gleich unter dem Endzweck, den sich
der Verfertiger vorgesetzt hatte, nicht begriffen sind.
Die vortreflichste Bildsäule kan jemanden verletzen,
wenn sie auf ihn fällt; das regelmässigste und be
quemste Haus mus dem Einwohner die Aussicht nach
dem Himmel und auf die Erde mehr einschränken, als
das freye Feld; und die Erhaltung desselben mus
ihm einige Unruhe und einigen Aufwand verursa
chen. Durch den gütigsten und weislich einge
richteten Lauf der Sonne, mus an einigen Orten
manches Ungewitter entstehen. Einige Uebel kön
und Begriffe von seiner Natur. 279(Neunter Abschnitt.)
nen mit den Mitteln, das höchste Gut zu erlangen,
so wesentlich verknüpft seyn, daß die Allmacht
einigen Wesen das letztere ohne die erstern nicht ge
währen kan. Dergleichen Uebel müssen also, in
einer, von der vollkommensten Güte, hervorgebrach
ten Welt, vorhanden seyn. Die Güte des Urhe
bers eines Systems, in welchem sich einige Uebel
finden, kan dahero zulänglich bewiesen werden,
wenn die natürliche Absicht des Baues gut und wei
se ist, und wenn die Uebel blos, vermöge der Ge
setze, nach welchen das höchste Gut erlangt wird, er
folgen müssen. Diese Betrachtung wird unge
mein bestätiget, wenn wir finden, daß ein grosses
und erhabenes Vergnügen oder Glück, vermittelst
der Beschaffenheit und der Ordnung in der Natur,
genossen wird. Geschöpfe, welche das unmittel
bare Anschauen des Schöpfers nicht geniessen, und
von dem ganzen Plan und allen seinen Theilen kei
ne vollständige Eekäntnis<Erkäntnis> haben, können keine meh
rere Gewisheit erwarten; und sie sollten sie auch
nicht verlangen.
Der ganze wundervolle Bau, den wir be(Die Ein
richtung des Ganzen ist gut.)
merken, hat die Erhaltung des Lebens, das Vergnü
gen, die Glückseligkeit, dieser oder jener Wesen, zur
Absicht. Die äusserlichen Sinne der Thiere em
pfehlen Dinge, welche heilsam sind, und verwerfen
die schädlichen: und auf gleiche Art empfehlen die
feinern Empfindungskräfte einem jeden dasjenige,
was sowohl dem System, als dem einzelnen Wesen
Nutzen bringt; und gegen alles, was ihm schädlich
ist, entsteht ein natürlicher Widerwillen. Die
(Erstes
Buch.)
280 Die Pflichten gegen Gott
ganze innere Beschaffenheit der Neigungen, und
das moralische Gefühl, wovon wir oben gehan
delt haben, ist offenbar auf das gemeine Beste ein
gerichtet, und wir beziehen uns hier dahin. Ei
nige Arten von Thieren sind einigen andern gänz
lich unterworfen, und die Kräfte und angebohrnen
Triebe der höhern können den untern zum Schaden
gereichen; allein sie sind für diejenigen, in welchen
sie sich befinden, Mittel zu Erhaltung des Guten.
Die Wirkungen derselben, in Ansehung der untern
bestehen wirklich darinnen, daß sie dieselben des Da
seyns geschwinder berauben; allein sie verlieren ihr
Leben auf keine schlimmere Art, als sie es durch ei
nen natürlichen Tod verloren haben würden: ja
die Geschwindigkeit des gewaltsamen Todes ist für
ein Geschöpf, welches keine Gedanke von der Zu
kunft hat, dem beschwerlichen Tode, welchen wir
natürlich nennen, weit vorzuziehen. Und viele von
dieser niedern Art würden eben so bald, aus Mangel
des Unterhalts, umkommen, wenn nicht die Natur
für eine Todesart, die ihnen erträglicher ist, als der
Hunger, gesorgt hätte. Ein ursprüngliches bö
ses Wesen würde seine Kunst in Werkzeugen der
Marter; in Theilen, die keinen andern Endzweck
hätten; in Begierden und Empfindungen, welche,
auch in einem mässigen Grade, ordentlicher Weise
unnütze und schädliche Wirkungen gehabt haben
würden; in einem ungedultigen Verlangen nach
dem, was weder Vergnügen noch Vortheil ge
währen könte; in überflüssigen Theilen, die weder
zum Leben noch zu Handlungen nöthig, und nur
beschwerlich und quälend seyn würden; in Nei
und Begriffe von seiner Natur. 281(Neunter Abschnitt.)
gungen, die, durch einen verdorbenen Geschmack ge
billigt, der Gesellschaft schädlich wären, angewen
det haben.
Wenn wir die ganze Natur, so weit als sich(Die Ein
würfe dawi
der sind
Früchte der Unwissenheit.)
unsre Erkäntnis erstreckt, betrachten: so finden wir,
daß die ganze Einrichtung gut ist. Die Einwürfe
der Epikuräer, und einiger neuern, kommen von
ihrer Unwissenheit her. Wir finden, daß die ver
meinten Unregelmässigkeiten, die sie anführen, ent
weder unvermeidliche Folgen eines Baues, oder
solcher Gesetze sind, wodurch Vortheile erreicht wer
den, welche diese Unregelmässigkeiten weit überwiegen;
oder sie sind zuweilen die eigentlichen und natürlichen
Mittel, diese Vortheile zu erhalten. Wir finden, daß
der weite Ocean, der so oft für unfruchtbar gehal
ten wird, ein nothwendiges Behältnis des Was
sers ist, welches alle Thiere auf dem Lande nöthig
haben; und daß er selbst mit seinen Geschöpfen
bevölkert ist, zu deren Unterhaltung er überflüssi
ge Mittel in sich hält, von welchen auch die Men
schen eine grosse Beyhülfe erhalten. Die Berge
dienen theils zur Weide, zu Früchten und Getrai
de; theils verschaffen sie Regen, Brunnen und
Bäche. Die Stürme entstehen von Ursachen,
welche die nothwendigsten zum Leben sind, nämlich
von der Aufsteigung der Dünste, vermittelst der
Sonne, und von der Bewegung derselben in der
Luft. Die Sorgfalt, die Aufmerksamkeit, die
Arbeit, welche den Menschen zu ihrer Unterhal
tung obliegt, stärken sowohl die Seele, als den Kör
per. Ohne dieselben würde die Erde eine dürre
Wüsten seyn; aber durch dieselben wird sie zu einer
(Erstes
Buch.)
282 Die Pflichteu gegen Gott
angenehmen fruchtbaren Wohnung: und sie sind
die natürlichen Ursachen der Gesundheit und des
vernünftigen Verhaltens. Es ist allemal unser
Vortheil, daß wir kein solches Paradies voll Träg
heit haben, als, nach der Erdichtung der Poeten, im
goldenen Weltalter gewesen seyn soll.
*
24
und Begriffe von seiner Natur. 283
(Neunter Abschnitt.)
VI. Allein, sagen einige Schriftsteller, wenn
wir auch zugeben, daß die Einrichtung des Ganzen(Warum ein allmäch
tiger Gvtt<Gott> das Uebel zulässt.)
gut ist; so sage man uns doch, wenn Gott allmäch
tig ist; warum sind wir so arme Geschöpfe, daß
wir in unserm Leben so oft vom Schmerz niederge
schlagen, und sowohl von unsern eigenen Leiden
schaften, als von den Beleidigungen anderer, so
(Erstes
Buch.)
284 Die Pflichten gegen Gott,
oft gequälet werden? Endlich verfällt unser gan
zes Gebäu, und wir überlassen mit grossen Schmer
zen unsre Plätze unsern Nachfolgern von gleicher
Art. Warum sind wir so schwache Geschöpfe?
Warum ist diese Folge von Geschlechtern? Warum
sind unsre Seelen sowohl in der Erkäntnis, als in
der Tugend so unvollkommen? Sollten wir nicht
und Begriffe von seiner Natur. 285(Neunter Abschnitt.)
eine grössere Fähigkeit des Verstandes besitzen, und
sollte unter unsern Neigungen nicht ein besser Ver
hältnis vorhanden seyn?
Diese Schwierigkeiten zu beantworten, lasst(Verschiede
ne Ordnun
gen sind in dem besten System nothwendig.)
uns in Erwägung ziehen, daß die beste mögliche
Verfassung eines unermeslichen Systems empfin
dender Wesen, eine Verschiedenheit von Ordnun
gen, deren einige vollkommener und glückseliger
sind als andere, nothwendig erfordert. Einige
Ordnungen von Wesen können, auch ohne gesellige
Handlungen, überflüssige Freuden empfinden. Allein
wir wissen aus der Erfahrung, daß es Wesen von
hohen Ordnungen giebt, deren grösste Vergnügun
gen in liebreichen Neigungen und in der Anwen
dung ihrer Kräfte zu Gutthätigkeiten, die aus die
sen Neigungen herfliessen, bestehen. Ja es ist uns
unmöglich, uns eine höhere Art von Freuden vor
zustellen. Das Bewustseyn des Wohlwollens ge
gen andere, wenn es gleich unthätig bleibt, ist mit
vielem Vergnügen verknüpft; aber eine höhere
Freude begleitet die Ausübung dieser Neigung in
wohlthätigen Handlungen. Warum wollen wir
anstehen, diese Gemüthsart für das höchste Ver
gnügen in unsrer Natur anzunehmen, da unsre
Seelen zu empfinden scheinen, daß sie es ist? Sie
würde aber von unsrer Natur fast gänzlich ausge
schlossen seyn, wenn keine Unvollkommenheit, kein
Bedürfnis, kein Schmerz und kein moralisches Uebel
in der Natur vorhanden wäre. In einem Zustan
de einer unthätigen Freude, die von keiner Unlust
unterbrochen wird, kan unter gutgesinnten glückli
(Erstes
Buch.)
286 Die Pflichten gegen Gott
chen Wesen, eine gesellige Freude und Hochachtung
statt finden. Allein, wo kein Uebel vorhanden ist,
da können keine liebreichen Handlungen ausgeü
bet werden.
(Die Er
fahrung des Uebels er
höht die Em
pfindung des Guten.)
Wir wollen die sehr gemeine Bemerkung mit
Stillschweigen übergehen, daß unsre Empfindun
gen vieler hoher natürlicher und moralischer Freu
den, durch die Wahrnehmung oder Erfahrung der
entgegengesetzten Uebel, ungemein erhöhet wird.
Unter den Menschen ist das ganze tugendhafte Le
ben, welches, wie wir bewiesen haben, das höchste
Vergnügen gewährt, ein Streit mit natürlichen
oder moralischen Uebeln. Die Freygebigkeit kan
da nicht ausgeübt werden, wo kein Bedürfnis vor
handen ist; keine Tapferkeit findet da statt, wo man
keine Gefahr fürchten darf; Dankbarkeit und Ver
zeihung, oder freundschaftliche Vermahnungen und
Erinnerungen, Erdultung und Vergeltung des
Bösen mit Guten müssen unbekant seyn, sobald
ein Geschöpf des moralischen Uebels unfähig ist.
Solche liebenswürdige Handlungen, deren Anden
ken ewig angenehm seyn mus, können entweder
nicht statt finden, oder das Daseyn moralischer
Uebel ist nothwendig. Ja, weder Gedult, noch
Ergebung in den Willen Gottes, noch Vertrauen
auf denselben, kan in einem System ausgeübet wer
den, wo kein Elend vorhanden ist. Wenn also die
höchsten Vergnügungen, die wir uns vorstellen
können, in dem allgemeinen Ganzen vorhanden
seyn sollen: so müssen, mit ihnen zugleich, einige Ue
bel vorhanden seyn. Ja, wie sollen wir uns das
und Begriffe von seiner Natur. 287(Neunter Abschnitt.)
Leben der höchsten Ordnungen vorstellen, wenn keine
niedrigen vorhanden sind; wenn kein Gutes, keine
liebreichen Handlungen, ausgeübet, keine Uebel ab
gewendet, keine ermangelnden Güter mitgetheilet
werden? Können wir uns etwas glückseligers,
etwas, das der Gottheit angenehmer ist, vorstel
len, als wenn sie das Gute dürftigen Geschöpfen
verschiedener Ordnungen, mittheilen kan? Und
musste sie nicht, durch die höchste Gütigkeit, bewo
gen werden, den verschiedenen höhern Ordnungen
zu solchen göttlichen Uebungen und Freuden Gele
genheiten darzubieten, und sowohl niedrige Ordnun
gen zu erschaffen, als auch den verschiedenen einzel
nen Wesen einer Gattung verschiedene Fähigkeiten
und Vollkommenheiten zu geben, daß sie auf diese Art
ihre guten Neigungen in wohlthätigen Handlungen
ausüben können.
Wenn also die vollkommenste Gütigkeit den(Die voll
kommenste Gütigkeit
mus alle Ordnungen so einrich
ten, daß das
Gute die Ue
bel über
wiegt.)
Urheber der Natur veranlasset hat, verschiedene
Ordnungen von Wesen zu erschaffen, und einige
von ihnen manchen Uebeln und Unvollkommenhei
ten zu unterwerfen: so mus eben diese Gütigkeit
erfordern, daß dieser Plan der Schöpfung sich auch
bis auf die niedrigsten Wesen erstrecke, in welchen
das Gute die ihnen zugetheilten Uebel überwieget,
weil die Erschaffung solcher niedriger Wesen das
Daseyn höherer Wesen, die nur das vollkommenste
Ganze zulassen kan, nicht aufhebt. Das Loos ei
ner grossen Unvollkommenheit musste also wohin
fallen. Die Menschen können sich darüber, daß sie
in keiner höhern Ordnung sind, mit eben so wenigen
(Erstes
Buch.)
288 Die Pflichten gegen Gott
Rechte beklagen, als die Thiere, daß sie nicht Men
schen wurden.
(Dieses wird durch die Erfah
rung bestä
tigt.)
Sehen wir dieses nicht durch die Erfahrung
bestätigt? Wir haben keinen Grund, zu glauben,
daß diese Erde Wesen von höherer Ordnung, als
die Menschen, ernähren könte. Eine Kugel dieser
Art kan in dem System nothwendig seyn; und sie
muste solche Einwohner haben, oder öde bleiben.
Ausser allen den Menschen, die sie unterhält, hat
sie auch noch für niedrige Wesen Raum und Nah
rung. Wir finden, daß alle Oerter mit solchen
lebendigen und empfindenden Wesen angefüllet sind,
als sie unterhalten können. Die untern nehmen
das ein, was für die obern sich nicht schicket, oder
was von ihnen nicht geachtet wird. Lasst uns auf
gleiche Art zu den höhern Ordnungen hinaufsteigen:
es können ihrer so viel seyn, als das beste System
des Ganzen zulässt; und doch sind in diesem gros
sen Hause unsers Vaters viele Wohnungen,
welche für höhere Wesen sich nicht schicken, und
doch zu gut sind, öde zu bleiben; und sie werden
von Menschen und niedrigern beseelten Geschöpfen
bewohnt. Dieses war ihr Platz, oder sie hätten in
dem System nicht daseyn dürfen. Diese Erde kon
te keine Körper unterhalten, die vor dem Verfall
sicher gewesen wären; und wenn dieser Verfall
komt: so verlieren wir unsre heftigen Begierden
und den Genus der Güter des Lebens. Der Schau
platz ekelt uns; wir verlassen ihn, und treten un
sern Platz neuen Zuschauern ab, deren lebhaftere
Empfindungen und Begierden und Kräfte ihnen
denselben angenehmer machen.
und Begriffe von seiner Natur. 289
(Neunter Abschnitt.)
VII. Allein die Menschen werden sich noch
weiter beklagen: warum giebt es so strenge Gesetze
der Empfindung, die uns solchen heftigen Schmer
zen, so manchem sympathetischen Kummer und ei
ner solchen innern Unruhe unterwerfen? warum
haben wir solche wütende Leidenschaften? Kan nicht
eine allgegenwärtige unendliche Macht, den
allgemeinen Lauf der Natur, zum Besten des Un
schuldigen und Tugendhaften, unterbrechen? Es
kan ja keine Verschiedenheit der Geschäfte die Gott
heit ermüden oder zerstreuen.
Wir antworten auf alles dieses: Es ist zu(Die stren
gen Gesetze der Empfin
dung sind nothwendig.)
Erhaltung des Lebens nothwendig, daß gewisse Ein
drücke von aussen, und gewisse unangenehme Em
pfindungen von innen den beseelten Geschöpfen
Schmerz verursachen müssen. Wäre es nicht auf
diese Art eingerichtet: wie wenige würden sich, in
der Hitze ihrer Leidenschaften, vor Abgründen,
Wunden, Verbrennungen, Beschädigungen, und
einer gefährlichen Enthaltung von der Speise, hü
ten. Wie könten wir die Unordnungen gewahr
werden, und uns vor demjenigen, was sie vergrös
sern würde, in Acht nehmen? Dieses Gesetz ist er
wachsenen und verständigen Menschen schlechter
dings nothwendig; wie vielmehr mus es also jun
gen und unvorsichtigen Leuten unentbehrlich seyn?
Wir können uns auch über dieses Gesetz um des wil
len, weil es zu heftige Empfindungen wirkte, nicht
beklagen, da sie dem ungeachtet nicht allemal ihren
Endzweck erreichen. Die Empfindung des Poda
gra, des Steins, des Fiebers und qvälender<quälender>
(Erstes
Buch.)
290 Die Pflichten gegen Gott
Schmerzen nicht alle Menschen von den Lastern zu
rück, welche diese Martern
*
veranlasst haben.
(Die gesel
ligen und moralischen
Empfindun
gen sind es auch.)
Können wir uns mit grösserm Rechte wider
andre Gesetze auflehnen, die uns dem Mitleiden
und einer innern Unruhe unterwerfen? Sind sie
nicht die wohlgemeinten Erinnerungen und Ermah
nungen des allgemeinen Vaters, die er uns mit
einem gewissen Ernste giebt, um uns von allem,
was uns oder unserm Nebengeschöpfen schädlich
seyn könte, abzuhalten, nnd<und> uns dagegen zu er
muntern, daß wir ihnen beystehen sollen? Oder
sind sie nicht zuweilen natürliche Züchtigungen,
wenn wir den Pflichten, die uns gegen diese weit
läuftige Verwandschaft obliegen, in einigen Stü
cken zuwider gehandelt haben?
(Die Gese
tze können nicht ge
hemmt wer
den.)
VIII. Was die Hemmung dieser Gesetze zum
Besten der Unschuldigen anbelangt, welche vermöge
25
und Begriffe von seiner Natur. 291(Neunter Abschnitt.)
derselben manchen Widerwärtigkeiten, als Unge
wittern, Feuersbrünsten, Schiffbrüchen, und Be
schädigungen der Gebäude, bey welchen allen kein
Unterschied statt findet, ausgesetzt sind: so lasst uns
in Erwägung ziehen, daß die beständige Hemmung
oder Hinderung der allgemeinen Gesetze, wenn sie
Uebel verursachen, welche kein gegenwärtiges höhe
res Gutes unmittelbar befördern; die Regierung
der Welt nach verschiedenen sich unähnlichen Vor
schriften, und nicht nach unveränderlichen Regeln
oder Gesetzen; unmittelbar alle Ueberlegung und
Achtsamkeit der Menschen, und alle vorsichtige
Handlungen unnütz machen würden. Es könten
weder einige Entwürfe, andern Wohlthaten zu er
zeigen, noch eine gewisse überdachte Einrichtung,
unsern eigenen Vortheil zu befördern, statt finden,
weil wir keine beständigen und natürlichen Mittel
finden würden, dieses auszuführen.
*
Ja, alle
dergleichen Bemühungen würden vergeblich und
fruchtlos seyn, weil weder geschickte Mittel vor
handen, noch einige Handlungen nöthig seyn wür
den, wenn wir fänden, daß, ohne unser Zuthun,
alles Uebel abgewendet, und das Gute erreicht wer
26
(Erstes
Buch.)
292 Die Pflichten gegen Gott
den könte. Auf diese Art würde also alle thätige
Tugend ausgeschlossen werden.
Oder soll sich die Kraft dieser Gesetze nur
alsdenn, wenn die Wirkung unschädlich, oder nütz
lich ist, äussern, und sollen sie hingegen allemal,
wenn dieselbe schädlich ist, ruhen? Hierdurch wür
den alle Handlungen der Menschen vergeblich wer
werden. Fasten und Arbeiten würden alsdenn
keinen Tugendhaften schwächen und ermüden; und
keiner würde einige Kälte empfinden, ungeachtet
er unbekleidet wäre. Ja, unsre wahren Freuden
würden einen grossen Theil ihrer Anmuth, welcher
von Erfahrung des Schmerzens herkomt, verlie
ren. Die Ruhe ist nur nach einer Abmattung an
genehm; und die Speise hat alsdenn den besten
GeschackGeschmack, wenn man hungrig ist. Und alle thäti
ge Tugenden müsten für gänzlich überflüssig gehal
ten werden.
Oder sollen die Gesetze nur alsdenn ruhen,
wenn Gott vorher sieht, daß von den Uebeln, wel
che dieselben nach sich ziehen, kein Gutes entstehet;
und sollen sie hingegen, wenn etwas Gutes aus ihnen
erfolgt, ihre Wirkung behalten? Dieses kan in
und Begriffe von seiner Natur. 293(Neunter Abschnitt.)
der That seyn, ob wir gleich das Gute nicht einse
hen, welches von solchen Uebeln entsteht. Allein,
ist es nöthig, daß die Gesetze gehemmt werden,
wenn von den Uebeln, die sie nach sich ziehen, kein
gegenwärtiges sichtbares höheres Gutes entstehet?
Müssen Schwachheiten und Schmerzen, welche
Kinder, oder andere Unschuldige befallen, verhütet
werden, sobald GOtt vorhersieht, daß niemand,
aus einem tugendhaften Triebe, sich ihrer annehmen
wird noch kan?
„Viele Uebel, sagt man, veran
lassen weder denjenigen, der sie erfährt, noch an
dre, zu Ausübung der Tugend. Viele Beleidi
gungen wirken die Tugenden der Gedult, der
Selbstverläugnung und der Verzeihung nicht, son
dern sie ziehen bittere Ahndungen und ein langes
Gefolge von Widerwärtigkeiten nach sich. Die
Gesetze der Natur sollten in solchen Fällen ruhen,
und nur in andern ihre Wirkung äussern.“
Allein, wenn wir wahrnähmen, daß der Lauf der
Natur immer zum Besten derjenigen, welchen niemand
beystehet, geändert würde: so würde alle Beyhülfe
überflüssig seyn. Die Menschen würden in diesen
Unterlassungssünden fortfahren, damit diese Gna
de noch mächtiger werde. Der Tugendhafte
würde beständigen Beleidigungen und Uebeln aus
gesetzt seyn; denn sie würden ihm Gelegenheit ge
ben, Gedult, Selbstverläugnung nnd<und> Verzeihung
auszuüben; hingegen würde der Verstockte, der
Uebermüthige und Stolze immer in Sicherheit
bleiben. Und warum sollten die Menschen sich be
mühen, ihre Leidenschaften zu beherrschen, wenn sie
(Erstes
Buch.)
294 Die Pflichten gegen Gott
nähmen, daß die schlimmsten ihnen keinen Nach
theil brächten?
Oder soll der Lauf der Natur zum Schaden
der Lasterhaften seine völlige Wirkung behalten,
und sich allemal, den Tugendhaften zum Besten,
ändern? Auch alsdenn würde die Sorgfalt für
den Tugendhaften thöricht seyn, und die ange
nehmsten Tugenden würden entbehrt werden kön
nen. Oft ist auch die Glückseligkeit der Tugend
haften mit dem Glück andrer zu sehr verknüpft.
Müssen alle ihre Familien und Freunde, und ihr
Vaterland beschützt werden? Wenn dieses ist:
was sollen wir alsdenn die Ordnung der Natur
nennen, deren Erkäntnis unsre Handlungen ein
richten soll? Die Abweichung müsste eben so ge
mein seyn, als der ordentliche Lauf. Und alsdenn
würden die Tugendhaften weder Geduld, Selbst
verläugnung und Standhaftigkeit ausüben, noch
ihre Vortheile GOtt und dem gemeinen Wesen
aufopfern können, wenn sie auf diese Art von
den Streichen des Schicksals nicht getroffen
würden.
Endlich, wenn es einem gütigen GOtt
anständig war, eine Ordnung von Wesen zu er
schaffen, deren vornehmste Vergnügungen, in der
Lebhaftigkeit und Uebung ihrer liebreichen Neigun
gen, und in moralischen Vergnügungen, bestehen
sollten: so musten verschiedene Ordnungen von
Wesen seyn, die Welt muste durch allgemeine, und
zu keiner Zeit veränderliche Gesetze regieret, und
und Begriffe von seiner Natur. 295(Neunter Abschnitt.)
viele besondere natürliche und moralische Uebel mu
sten zugelassen werden.
IX. Da nun der einzige scheinbare Grund des(Das Sy
stem der Ma
nichäer ist ohne Grund.)
Systems von zwey unabhängigen Wesen, einem
guten und einem bösen, die Vermischung ist, wel
che wir in der Welt vom Guten und Bösen wahr
nehmen: so mus diese Voraussetzung ohne allen
vernünftigen Grund seyn, nachdem wir sattsam be
wiesen haben, daß eine solche Vermischung noth
wendig die Absicht der höchsten Gütigkeit seyn müsse.
Fänden wir einige vollkommen gute Wesen, und
andre, die vollkommen böse wären; so möchte eini
ge Vermuthung vorhanden seyn, daß zwey höchste
einander entgegengesetzte Wesen daseyn müssten.
Oder entdeckten wir einige Gesetze, die einzig und
allein zum Bösen, und andre, die zum Guten, be
stimmt wären; so würde dieses eine zweyte Vermu
thung abgeben können. Allein, daß zwey Gei
ster, die entgegengesetzte Absichten haben, in einem
vermischten System allemal mit einander überein
stimmen sollten, lässt sich nicht denken. Nun zeigt
uns aber die ganze natürliche Geschichte das Gegen
theil dieser Vermuthungen; kein Wesen ist schlech
terdings böse; kein Gesetz ist vorhanden, welches
nicht für ein höheres Gute bestimmt wäre. Hier
bey müssen wir uns auf alle alte und neue Bemer
kungen über die Beschaffenheit unsrer Natur
beziehen.
Entgegengesetzte Absichten in zwo Ursachen(Zwey ent
gegengesetzte höchste We
sen, können keine Wir
kungen her
vorbringen.)
von gleicher Kunst und Macht, können keinen Bewe
gungsgrund zulassen, sie zur Hervorbringung einer
(Erstes
Buch.)
296 Die Pflichten gegen Gott
Welt zu vereinigen; weil jede wissen müste, daß
die Kunst und Macht der andern ihr eben soviel
Schaden bringen würde, als sie durch ihre eigene
Kunst und Macht, sich Vortheile verschaffen
könte.
Nach dieser Voraussetzung müsten wir an
den Werken der Natur eben so böse Absichten wahr
nehmen, als wir gutes und nutzliches finden.
Allein, dieses wird durch die Erfahrung widerlegt.
In den Werken der Natur ist keine ursprüngliche,
vorsätzliche und unaufgeforderte Bosheit anzutref
fen; sondern wir bemerken bey vielen Gelegenhei
ten eine freywillige unbelohnte und unverdiente Zu
neigung, in zärtlichen Verwandschaften, in der
Hochachtung tugendhafter Character, welche uns
keinen Vortheil verschaft haben; oder in dem Mit
leiden gegen Unbekante. Wir finden kein ur
sprüngliches oder natürliches Vergnügen an dem
Elend anderer; dasselbe vergnügt niemals, wenn
wir nicht einige grosse moralische Uebel in der lei
denden Person, oder einige Hindernisse unsers eige
nen Vortheils wahrgenommen haben. Man fin
det kein moralisches Gefühl, welches dasjenige,
was dem gemeinen Besten nachtheilig ist, billigt;
sondern in allen vernünftigen handelnden Wesen,
treffen wir das Gegentheil an, ein moralisches
Gefühl, welches alle Wohlgewogenheit, Men
schenliebe und Gutthätigkeit billigt. Gewis, die
Kunst einer bösen Gottheit müste sich in einigen
Werken, welche eine ursprüngliche Bestimmung zu
Schaden und Unglück hätten, entdeckt haben.
und Begriffe von seiner Natur. 297
(Neunter Abschnitt.)
X. Allein wenn man zugiebt, daß die Ein
richtung der Natur, ohne Ausnahme, gut ist, da(Das Gnte<Gute> ist im menschli
chen Leben überwiegen
der.)
bey aber ein Uebergewicht des Uebels in dieser Welt
wahrzunehmen glaubt, wie einige gute Leute, bey
ihren melancholischen Beschwerden, über das mensch
liche Leben, behauptet haben; so wird dieses immer
einen unruhigen Argwohn in der Seele zurücklas
sen. Dieser gegenwärtige Zustand ist, ausserhalb
einer Offenbarung, der einzige Grund unsrer Ver
muthungen, die wir in Ansehung andrer Welten
und einer Zukunft haben. Wenn das Elend hier
die Oberhand behält: so ist es zwar wahr, daß
auch in diesem Falle die Gottheit
vollkommen gut
seyn könte, in sofern dieses Elend eines Theiles, zu
einem höhern Guten in dem Ganzen, nothwendig
wäre; allein alsdenn würden wir ihre Gütigkeit,
aus ihren Wirkungen, nicht vollkommen einsehen
können. Der Fall ist unterdessen ganz anders.
Die Glückseligkeit überwiegt das Elend, auch in
dieser gegenwärtigen Welt; und dieses macht alle
Beweise, die wir nur erwarten oder verlangen kön
nen, vollständig.
Was erstlich das natürliche Gute anbelangt:(Das natür
liche Gute behält in dem Ganzen die Ober
hand.)
so sind die Vergnügungen der Sinne und die Be
friedigungen der Begierden ungemein häufig, hin
gegen sind die heftigen Empfindungen des Schmer
zens selten. Sie werden nicht leicht einige Mona
te, in einem Leben von siebenzig oder achtzig Jah(Die Ver
gnügungen der Sinne.)
ren, dauren. Die schwächern Körper, welche den
selben am meisten unterworfen sind, machen nicht den
hundertsten Theil des menschlichen Geschlechtes aus.
(Erstes
Buch.)
298 Die Pflichten gegen Gott
Wenn das körperliche Vergnügen, seiner Natur
nach, gering und vorübereilend ist: so ist es auch
der körperliche Schmerz. Ist die Empfindung
vorüber, und wir befürchten nicht die Zurückkunft
derselben: so ist alles Uebel verschwunden, und das
Andenken an dasselbe fängt an, uns zu vergnügen.
Betvachtet<Betrachtet> die öftere Zurückkunft unserer Vergnü
gungen; und ihre Dauer wird euch ungleich grös
ser vorkommen. Sie sind, in ihrer Art, fast eben
so stark, als einige Schmerzen, welchen wir ausge
sezt sind. Diejenigen, welche beyde erfahren ha
ben, werden sich von hohen sinnlichen Vergnügun
gen, durch keine Furcht, vor den darauf folgenden
Schmerzen, abschrecken lassen. Die heftigern
Schmerzen, welche selten sind, können nicht in Be
trachtung kommen, wenn wir die öftere Wieder
kehr wirklich hoher Vergnügungen dagegen halten.
Wenn einige Menschen in ihren frühen Jahren
umkommen: so ist wahrscheinlicher Weise der
Schmerz, den sie fühlen, weder so stark, noch so
langwierig, als derjenige, welchen Leute von reiferm
Alter empfinden: und er wird auch nicht durch
Furcht und Angst vermehret.
(Vergnü
gungen der Einbil
dungskraft und Sym
pathie.)
In den Vergnügungen der Einbildungs
kraft und der Erkäntnis liegt ein sehr grosser Vor
rath vom Guten, welcher nur einen geringen Ab
gang leidet, da kaum ein Schmerz ihnen eigentlich
zuwider seyn kan: und die dauerhaftern Freuden
über eine den Unglücklichen erzeigte Hülfe, und über
das Glück geliebter Personen, überwiegen die
Schmerzen der Sympathie. Wir übergehen das
und Begriffe von seiner Natur. 299(Neunter Abschnitt.)
Vergnügen, welches mit dem Beyfall, den diese
Gemüthsart selbst erhält, verknüpft ist; und die
freudenvolle Hofnung, daß über alle würdige Ge
genstände unsrer Zuneigung eine gütige Vorsicht
wache. Es ist offenbar, daß der sympathetische
Schmerz eine nothwendige und weise Einrichtung
der Vorsehung ist, damit wir geneigt seyn möch
ten, die Glückseligkeit anderer zu befördern, und sie
gegen das Uebel zu beschützen.
In Absicht auf das moralische Uebel scheint(Die Schwierig
keit in Anse
hung des mo
ralischen Gu
ten und Bö
sen.)
die Schwierigkeit grösser zu seyn. Allein eine Per
son, die ganz und gar keine Tugend besizt, ist eben
so selten, als eine, die von allen Lastern frey ist.
Gott hat wirklich aus den liebreichsten Absichten,
einen hohen Begriff von der Tugend in unsre Her
zen gepflanzt, nach welchem wir unsre Urtheile über
dieselbe einzurichten pflegen. Wir verlangen eine
Unschuld ohne Ausnahme, und eine lange Ausü
bung wohlthätiger Handlungen, um einen Character
für gut zu halten. Zwo oder drey lasterhafte Hand
lungen machen ihn sogleich verhasst. Nur wenige
Beyspiele von Betrug, Diebstahl, Gewaltsamkeit,
Undankbarkeit, Ueppigkeit stürzen einen Character
in einen fast unersetzlichen Verlust; ob gleich das
übrige Leben unschuldig ist, und obgleich diese Hand
lungen, unter grossen Versuchungen, oder aus keiner
übeln Absicht, begangen, sondern durch eine eigennü
tzige Leidenschaft oder eine heftige Begierde oder auch
durch eine rühmliche parteyische Zärtlichkeit, der
gleichen man für eine Familie empfindet, veranlas
set worden sind. Es werden wenige Menschen
(Erstes
Buch.)
300 Die Pflichten gegen Gott,
seyn, in deren Leben wir nicht hundert Handlungen,
die nicht nur unschuldig sind, sondern auch aus ei
ner rühmlichen Zuneiguug<Zuneigung> herfliessen, gegen eine,
die von einer boshaften Absicht herkomt, finden soll
ten. Verwandschaftliche Liebe, Freundschaft,
Dankbarkeit, der Eifer für Parteyen und das Va
terland, nebst den natürlichen
Begierden und Be
strebungen nach den Mitteln der Selbsterhaltung,
sind die gemeinsten Quellen der menschlichen Hand
lungen. Und selten werden die Laster der Men
schen aus etwas anders herrühren, als aus diesen
Bewegungsgründen, wenn sie vielleicht zu stark
geworden stnd<sind>, als daß sie durch edlere und allge
meinere Neigungen, oder durch die Beobachtung
der Regeln, welche das Beste der Gesellschaft er
fordert, in Schranken gehalten werden könten.
Wir finden in unsern Herzen ein Maas der Tu
gend, das wir nicht erreichen können; dahero müs
sen wir uns alle, vor den Augen Gottes, für schul
dig erkennen. Und doch sind die geringern Tugen
den so gemein, daß das menschliche Leben nicht
nur ein sicherer, sondern auch ein angenehmer Zu
stand ist.
Obgleich dieser Umstand in unsrer Natur,
daß das Maas des moralischen Guten so gros ist,
der Seele einen nachtheiligen Begrif von der Ver
derbnis unsers Geschlechts beybringen kan: so ist
er doch sehr nothwendig und nützlich, da er uns
von allem, was schimpflich und lasterhaft ist, zu
rückhält, und uns zu einer mächtigen Ermunte
rung dient, auf dem Wege nach der Vollkommen
und Begriffe von seiner Natur. 301(Neunter Abschnitt.)
heit beständig fortzuwandeln. Wir würden ohne
dieses Maas keinen Begrif von der Vollkommen
heit haben, und es könte in der menschlichen Seele
der Vorsatz gar nicht statt finden, in der Tugend
zuzunehmen. Allein da wir in so wenigen die
vollen Wirkungen hiervon wahrnehmen: so scheint
dieses kein geringes Merkmal zu seyn, daß wir ent
weder ehemals in einem höhern Stande der Voll
kommenheit gewesen sind, oder daß uns ein solcher
Stand noch bevorsteht. Wären wir nicht zu ei
nem solchen Stande bestimmt: so würde von dem
uns eingepflanzten Maas der Tugend eben so we
nig eine Ursache angegeben werden können, als von
der Anlegung grosser Magazine, und von der An
schaffung vieler Artillerie, wenn keine Kriegszu
rüstungen nöthig sind.
XI. Dieses Uebergewicht des Guten im(Eine Beru
fung auf die
menschlichen Herzen.)
menschlichen Leben zu bestätigen, lasst uns in Er
wägung ziehen, daß die Menschen, bey einer mögli
chen Voraussetzung, eben so gewis angeben kön
nen, was sie verlangen würden, als bey wirklichen
Begebenheiten. Man stelle sich vor, daß ein Arz
neymittel erfunden würde, welches, ohne alle
Schmerzen, die Seele und den Körper in einen fort
daurenden Schlaf bringen, oder alle Gedanken und
das ganze Daseyn auf ewig aufheben könte. In
einem hohen Alter, oder bey grossen Widerwärtig
keiten möchten vielleicht einige wenige den Gebrauch
dieses Arzneymittels wählen, um, durch den Ver
lust aller Güter, allem Uebel zu entgehen; aber
unter Tausenden würde es nicht einer thun: und
(Erstes
Buch.)
302 Die Pflichten gegen Gott,
die wenigen, welche es thun möchten, haben vor den
Monaten, in welchen sie die Vernichtung wählen
würden, ganze Jahre zugebracht, in welchen sie
das Leben erwählt hätten. Viele von ihnen haben
ihren Antheil des Lebens genossen; sie würden be
reit seyn, es zu verlassen, wie ein gesättigter Gast
eine volle Tafel verlässt. Was ist es also, wenn
auch einer, nach einem angenehmen Leben von vielen
Jahren, endlich auf die wenigen ihm noch übrigen
Monate den Tod vorziehen sollte? Wofern das Ur
theil der Jugend, wenn alle Empfindungen, Be
gierden und Leidenschaften lebhaft sind, und freu
denvolle Hofnungen die Einbildungskraft erhitzen,
den Werth des Guten im menschlichen Leben zu hoch
bestimmen kan: so kan auf der andern Seite
das Urtheil bejahrter Personen, wenn alle Kräfte
schwach sind, und das genossene Vergnügen aus
dem Gedächtnisse fast vertilgt ist, ebenfalls sehr
parteyisch seyn. Menschen von einem mittlern Al
ter, welche die Beschaffenheit des Lebens wahrneh
men, welche sich an die Freuden der Jugend erin
nern, und an andern den Zustand des hohen Alters
bemerken, sind unstreitig die besten Richter. Nicht
einer unter Tausenden würde alle Freuden aufge
ben, um alles zu vermeiden, was er fürchtet. Es
ist eine sehr grosse Undankbarkeit der Menschen, daß
sie sich bestreben, den Werth aller Gaben Gottes her
abzusetzen, und hingegen alle Uebel, die uns befallen, zu
vergrössern. Sollte Mercur, wie in der alten Fabel,
auf ihr Verlangen, zu ihnen kommen, wenn sie voll
Unwillen ihre Last abgenommen hätten: so würden
sie ihn geschwind ersuchen, nicht ihre Seelen an
und Begriffe von seiner Natur. 303(Neunter Abschnitt.)
den Lethe zu führen, sondern ihnen zu helfen, daß
sie ihre Bürde wieder auf den Rücken nehmen
könten.
Bey dieser Streitigkeit führen einige alle Ruch(Die Ursa
chen des Jrr
thums hier
innen.)
losigkeiten und alle Widerwärtigkeiten an, die sie gese
hen, und wovon sie gehört oder gelesen haben. Krie
ge, Mordthaten, Seeräubereyen, Zerstörungen der
Städte, Verheerungen ganzer Länder, grausame Hin
richtungen, Kreuzzüge, die heilige Inquisition; alle
Betrügereyen und Bosheiten, die vor Gerichte vor
gehen; alle Verderbnis, Falschheit, Verstellung,
Undankbarkeit, verrätherische Verkleinerungen,
Lästerungen und Ausschweifungen an Höfen; als
ob diese die gemeinsten Beschäftigungen des mensch
lichen Geschlechts wären, oder als ob ein grosser
Theil der Menschen vermöge ihres Berufs zu diesen
Dingen versehen wären. Die Gefängnisse und
Hospitäler, die Wohnungen der Verbrecher und
Kranken, waren niemals so volkreich, als die
Städte, worinnen sie stehen: sie enthalten kaum
den tausenden Theil eines Staats. Miltons Be
schreibung eines Krankenhauses mus das härteste
Herz rühren: allein wer wird die Gesundheit eines
Volks nach einem Krankenhause beurtheilen? Pflan
zen oder beseelte Geschöpfe, die unnatürlich gebildet
sind, werden lange Zeit zur Unterhaltung der neugieri
gen aufbehalten; die Seltenheit macht, daß wir
uns mit der Betrachtung derselben beschäftigen und
gerne davon reden. Allein Millionen regelmässige
Gestalten sind, gegen eine unregelmässige, vorhan
den; sie sind so gemein, daß sie weder Aufmerk
(Erstes Buch.)
304 Die Pflichten gegen Gott,
samkeit noch Bewunderung rege machen. Wir be
halten eine lebhafte Erinnerung an eine harte
Krankheit oder Gefahr, welcher wir entgangen sind,
an ein schreckliches Unglück, oder an einen Betrug:
unsre Seelen werden von Kriegen, Blutvergiessen,
Ermordungen, Seuchen, durchdrungen: sie ver
gessen die ungleich grössere Anzahl derjenigen, wel
che diesen Uebeln entgangen sind, und die gewöhn
liche Ruhe des Lebens geniessen. Diejenigen, wel
che diese Uebel erfahren, haben selten grössere
Schmerzen, als diejenigen sind, welche einen na
türlichen Tod begleiten, und sie machen nicht den
vierzigsten Theil des menschlichen Geschlechts aus.
Kaum fünf mal hundert tausend Menschen sind in
einem Jahrhunderte der Brittischen Geschichte,
durch diese Uebel umgekommen; und vierzigmal so
viel sind denselben, auch in den schlimmsten Zeiten,
entgangen.
(Das Mit
leiden ist die Ursache un
srer unrich
tigen Ur
theile.)
Das natürliche Mitleiden macht, daß wir
diese grosse Widerwärtigkeiten so sehr fühlen und
uns daran erinnern. Wir wünschen allen Gutes;
wir verlangen, aus einem noch feinern Triebe,
den glücklichen Zustand des allgemeinen Ganzen;
und wir fühlen, bey jeder Erfahrung des Gegentheils,
ein tiefes Misvergnügen, wenn wir auch in An
sehung unserer selbst nichts zu fürchten haben.
Diese schätzbaren Triebe in unsrer Natur solten in
unsern Herzen für die Gütigkeit des höchsten We
sens mehr reden, als diese Erfahrung des Uebels
für das Gegentheil reden kan, wenn es auch so gros
wäre, als sie oft von einer melancholischen Bered
samkeit geschildert werden.
und Begriffe von seiner Natur. 305
(Neunter Abschnitt.)
Die Geschichten, welche von Kriegen, Em
pörungen, Mordthaten, Hinrichtungen, den ver(Die Ge
schichte öfnet uns nur eine
Aussicht in einen sehr kleinen Theil des
Lebens.)
dorbenen Sitten und der Falschheit der Höfe erzäh
len, schweigen von der ungleich grösseren Anzahl
von Menschen, welche, in einer sichern Verbor
genheit, ihr Leben mit den natürlichen Geschäften
und Vergnügungen der Menschen, tugendhaft und
unschuldig zubringen. Wir lesen von den Hand
lungen der Grossen, der Menschen, welche allen
Versuchungen des Geizes und der Ehrsucht ausge
sezt gewesen, welche über das gemeine Loos einer
anständigen Arbeit und Emsigkeit, mit Seelen, die,
von ihrer Kindheit an, durch ihre vortheilhaften
Glücksumstände, und ihre, von Schmeicheley und
Ueppigkeit, erregte Leidenschaften, verdorben worden,
emporgestiegen sind. Die angenehmen geselligen
und unschuldigen Beschäftigungen des grössten
Theils der Menschen sind keine Gegenstände der
Geschichte; nicht einmal die ordentliche regelmäsige
Verwaltung eines Staates in Beschützung des
Volks und der Ausübung der Gerechtigkeit. Die
Geschichte bleibt bey critischen Zeiten, bey den
Krankheiten des Staats, bey Partheyen und Ver
schwörungen, und den darüber entstandenen Unei
nigkeiten, bey Empörungen, auswärtigen Krie
gen und ihren Ursachen, stehen. Diese Gefahren, ihre
Ursachen und die dawider angewendeten Mittel müs
sen, zum Gebrauch der künftigen Zeitalter, unverges
sen bleiben; und ihre Seltenheit, in Vergleichung
mit den natürlichen Beschäftigungen des geselligen
Lebens, macht sie unterhaltender. So erzählen
die medicinischen Schriftsteller nicht die angenehmen
(Erstes
Buch.)
306 Die Pflichten gegen Gott,
Vergnügungen und Beschäftigungen in der Gesund
heit. Die Ursachen, die Zufälle und die Vorbe
deutungen der Krankheiten, ihre critischen Abwechs
lungen, die Wirkungen der verschiedenen Arzeney
mittel, sind die eigentlichen Gegenstände ihrer Ab
handlungen.
(In niedri
gern Stän
den sind die Menschen eben so glück
lich als in höhern.)
Menschen von hohem Stande, die zur Ru
he und Weichlichkeit gewöhnt sind, können sich
den arbeitsamen Stand niedriger Menschen, als
eine elende Sklaverey vorstellen, weil er ihnen
so vorkommen würde, wenn sie, bey der gegen
wärtigen Beschaffenheit ihrer Seele und ihres Kör
pers, zu demselben heruntergesetzt werden solten.
Allein in den niedrigern Ständen ersezt die Stärke
des Körpers, die lebhafte Neigung zu essen, eine
sanfte Ruhe nach der Arbeit, mäsige Begierden,
und eine geringe Kost allen Mangel an sinnlichen
Vergnügungen. Und die liebreichen Neigungen,
erwiederte Liebe, gesellige Freuden, Freundschaft,
verwandschaftliche und kindliche Pflichten, morali
sche Vergnügungen, und einiges Gefühl der Ehre
von einem kleinen Umfange, finden in niedrigern
Ständen eben sowohl statt, als in höhern; und al
le diese Neigungen sind gemeiniglich in denselben
aufrichtiger.
(Wie Men
schen von un
vollkomme
nen Einsich
ten, das Ganze beur
theilen kön
nen.)
XII. Wie kan ein Wesen, welches zu unvoll
kommen ist, die ganze Verwaltung dieses Ganzen
in allen seinen Theilen und seiner ganzen Dauer,
mit allen Verknüpfungen der verschiedenen Theile,
einzusehen, von dem höchsten Geist und seinen
Absichten urtheilen? Wir sehen, daß besondere Ue
und Begriffe von seiner Natur. 307(Neunter Abschnitt.)
bel zuweilen zu Erlangung eines höhern Gutes
nothwendig sind, und daß sie also, von einer gü
tigen Einrichtung, herrühren. Wir sehen auch,
daß manche Vergnügungen und Vortheile höhere
Uebel verursachen. Es können dahero, auf bey
den Seiten, noch Verknüpfungen und Absichten
vorhanden seyn, die uns unbekant sind. Wir kön
nen deswegen von keiner Begebenheit das Urtheil
fällen, daß sie in dem Ganzen, entweder schlechter
dings gut, oder schlechterdings böse sey. Wie ur
theilet ein weises und gehorsames Kind von den
Neigungen seiner Aeltern? Oder wie urtheilet man,
in reifern Jahren, von den Absichten seines Arztes,
wenn man in der Arzeneykunst selbst ein Fremdling
ist? Das Kind wird zuweilen in seinen Vergnü
gungen eingeschränket, es wird gezüchtiget, und
zu mühsamen Uebungen und zum Fleis angehalten;
der Kranke empfängt ekelhafte Arzeneyen, und
mus schmerzhafte Operationen ausstehen. Allein
das Kind findet überall liebreiche Absichten; viele
Vergnügungen und Bequemlichkeiten werden ihm
verschaffet; es erhält einen beständigen Schutz und
Unterhalt; es hat die Vortheile eingesehen, die
bey vielen Gelegenheiten aus der Einschränkung
und Zucht entstehen; es findet, daß seine Kräfte
und seine Erkäntnis zunehmen, und daß seine Ge
müthsart verbessert wird. Der Kranke hat gefun
den, daß die Wiederherstellung der Gesundheit zu
weilen eine Wirkung ekelhafter Arzeneyen gewesen
ist. Eben so ist es in der Natur. Ordnung, Ru
he, Gesundheit, Freude, Vergnügungen, über
wiegen in dieser grossen Familie alle Uebel, die wir
(Erstes
Buch.)
308 Die Pflichten gegen Gott
wahrnehmen. Die Menschen sind alle für die Er
haltung ihres Lebens besorgt, ob es gleich bey kei
nem ein unvermischter Zustand seyn kan. Wir kön
nen keine Vermuthungen haben, daß ein Vortheil
des höchsten Geistes dem Vortheil seiner Geschöpfe ent
gegengesezt sey, da nicht einmal dergleichen Vermu
thungen, wider die Absichten der tugendhaftesten
Menschen, in uns streiten. Solten wir denn ge
gen die Gottheit, in unsern Schlüssen, nicht eben
so billig seyn, als wir gegen unsere Nebengeschöpfe
zu seyn verbunden sind, wenn sich auch gleich ein
kleiner scheinbarer Streit äussern solte.
(Wenn Gott gut ist; so ist er voll
kommen gut.)
XIII. Weil denn die ganze Einrichtung der
Natur, welche auf das Gute unmittelbar abzielet,
und das daraus entstehende Uebergewicht der Glück
seligkeit, beweiset, daß der höchste Geist ein güti
ges und liebreiches Wesen sey: so mus da, wo eine
wirkliche Gütigkeit anzutreffen ist, das Verlangen
nach einer grössern Glückseligkeit stärker seyn, als
nach einer kleinern; und da, wo hinlängliche
Kraft vorhanden ist, mus dieses Verlangen zu seiner
Erfüllung kommen. Wenn Gott allmächtig und
weise ist: so ist alles gut: die beste Ordnung herrscht
in dem Ganzen: kein Uebel wird zugelassen, wenn
es nicht zu Erreichung eines höhern Gutes erfor
dert wird, oder wenn es nicht ein unzertrennlicher
Gefährte oder eine unvermeidliche Folge derjenigen
Einrichtung ist, welche von der gütigsten Absicht
herrühret, und auf die grösste Glückseligkeit und
Vollkommenheit des Ganzen abzielet.
und Begriffe von seiner Natur. 309
(Neunter Abschnitt.)
Es ist eine Vermessenheit, wenn man eine
umständliche Nachricht verlangt, wie jedes Uebel(Es ist un
vernünftig gen beson
dern End
zweck eines jeden Uebels wissen zu wollen.)
zur Beförderung eines höhern Gutes nothwendig
seyn kan. In dem besten möglichsten System,
müssen einer unvollkommen Erkäntnis, viele Dinge
unauflöslich seyn. Die Endzwecke und Ver
knüpfungen müssen ihr verborgen seyn, so wie man
ches Verfahren eines Vaters in dem Hauswesen,
oder eines Arztes in gewissen Krankheiten, dem
Kinde und dem Kranken ein Geheimnis seyn kan.
Es ist genug, daß wir erkennen, die natürliche Ab
sicht in der ganzen Einrichtung der Natur, in soweit
wir sie, einsehen, sey gut; daß die Glückseligkeit
das Elend überwiege, und unser Zustand wün
schenswerth sey. Alle neue Entdeckungen vermeh
ren hierinnen unsere Ueberzeugung, indem sie uns
in demjenigen, was wir vorhero für eine Unvoll
kommenheit ansahen, weise Absichten entdecken.
Ein billiges Gemüth mus den Schlus machen,
daß dieses eben der Fall bey gewissen Theilen sey,
deren Bestimmung uns unbekant ist. Die ängst
lichen Bemühungen der Menschen in dieser wich
tigen Sache helfen dieses bestätigen, da sie die na
türliche Verfassung der Seele beweisen, vermöge
welcher sie wünscht, daß alles in dem Ganzen gut
seyn möge. Dieses ist eine von den deutlichsten
Spuren unsers liebreichen Schöpfers, die in unsre
Herzen eingedrückt sind. Diese Wahrheit mus
von allen angenommen werden, wenn nicht Eitel
keit, eine Begierde, besonders zu seyn, und eine tiefe
Einsicht zu verrathen, oder die Neigung zu wider
sprechen, das Herz eingenommen haben.
(Erstes
Buch.)
310 Die Pflichten gegen Gott,
XIV. Man füge allem diesen noch bey, daß die
(Die Hof
nung eines künftigen Zustandes ist
allgemein.) überwiegende Güte, welche wir in der Verwaltung
der Natur wahrnehmen, uns zu einer Hofnung
führt, welche auf einmal alle Einwürfe aus dem
Wege räumt, daß nämlich alle Seelen, die morali
scher Empfindungen, einer Untersuchung der Ord
nung im Ganzen, einer eifrigen Bestrebung, die
selbe und ihren Urheber zu kennen, und einer weis
sagenden Empfindung des Daseyns nach dem Tode,
fähig sind, in einem künftigen Zustande ewig le
ben werden. Die Kraft zu denken und zu überle
gen, welche auf vergangene und künftige Zeiten,
und auf den Zustand andrer eben sowohl, als auf
unsern eigenen, sich erstreckt, und allgemeine Nei
gungen und moralische Empfindungen zu Begleite
rinnen hat, machen alle Ordnungen von Wesen,
die damit begabt sind, eines ungleich grössern Glücks
oder Elends fähig, als die unvernünftigen Thiere
seyn können. Wenn die Dauer der Menschen
ewig ist, und durch die Mittel, die uns in diesem
Leben am meisten beglücken, eine glückliche Unsterb
lichkeit erlangt werden kan: so sind die Uebel, wel
che uns in den wenigen Jahren unsers sterblichen
Zustands begegnen, keiner Betrachtnng<Betrachtung> werth; sie
verdienen nicht einmal mit der Glückseligkeit, die
auf sie folgt, verglichen zu werdeu<werden>.
(Die Seele scheint von der Materie unterschie
den zu seyn.)
Die verwegensten Epikuräer haben niemals
versucht, Beweise zu geben, daß ein künftiger Zu
stand unmöglich sey. Viele, die sich die Seele als
materialisch vorstellen, haben einen solchen Zustand
geglaubt. Menschen aller Alter und Nationen
und Begriffe von seiner Natur. 311(Neunter Abschnitt.)
haben auf diesen Zustand gehoft, ohne von dem
mindesten Vorurtheil für ihn eingenommen zu
seyn. Diese Meinung ist den Menschen natür
lich, und das, was ihr Schöpfer verordnet hat,
mus sie unterhalten. Dieses wird durch die Be
weise nicht wenig bestätiget, wodurch gezeigt wird,
daß dasjenige, was in uns denkt, schliesst und
Neigungen hat, kein theilbares System verschiede
ner Wesen seyn könne, wie jeder Theil der Mate
rie ist. Die Einfachheit und Einheit des Be
wustseyns kan nicht von den verschiedenen Beschaf
fenheiten herkommen, die in einer Zusammenfügung
verschiedener Körper, die, dem Raume nach, un
terschieden sind, angetroffen werden.
*
Die Thä
tigkeit der Seele verträgt sich auch nicht mit der
leidenden Natur der Materie. Wir fühlen, daß
unsre Glückseligkeit oder unser Elend, Verdienste
und Vollkommenheiten, oder ihr Gegentheil, um
welcherwillen wir uns selbst, oder andre, hochach
ten oder geringschätzen, Eigenschaften sind, die nicht in
die Sinne fallen, und weder mit dem Körper und
seinen Theilen einige Verwandschaft haben, noch an
den Veränderungen, die den Körper befallen, Theil
nehmen.
27
(Erstes
Bnch.)
312 Die Pflichten gegen Gott
Die Natur und die Ordnung unsrer Empfin
dungen beweist diesen Unterschied. Erstlich stellen
uns die äusserlichen Empfindungen Gegen
stände vor, welche von diesem Selbst ganz und
gar unterschieden sind, und mit ihm keine weitere
Verwandschaft haben, als daß sie wahrgenommen
werden. Die Veränderungen ihres Zustandes in
einen bessern oder schlimmern, ändern in dem Zu
stande der wahrnehmenden Person nichts. Die
zwote Art von Empfindungen, nämlich die Em
pfindungen des körperlichen Schmerzens und
Vergnügens, gehen dasselbe ein wenig näher an.
Der Zustand des empfindenden Selbst wird durch
diese Empfindungen entweder ruhig oder unruhig
gemacht. Allein, die Natur hat es auf eine Art,
die sich nicht erklären lässt, geordnet, daß diese Em
pfindungen an die Theile des Körpers oder an den
Ort, den sie ehemals einnahmen, verknüpft sind;
und man stellt sich den Zufall als etwas vor, das
den Körper angeht, und die Würde der Seele nicht
verändert. Lasst die Anatomisten
von Bewe
gungen reden, die sich durch die Nerven bis zu dem
Gehirn, oder zu einer Drüse, dem Sitz der Seele,
fortpflanzen: wenn der Finger abgelöset wird: so
wird der Schmerz eben so gewis, als er überhaupt
empfunden wird, in dem Finger, oder an dem Or
te, da der Finger war, empfunden. Die Natur
hat es so eingerichtet, daß ein Zufall, der den Kör
per betrift, die moralische Vortreflichkeit der em
pfindenden Person weder vernichten, noch schwä
chen kan; wenn auch gleich die Empfindungen sol
che Zufälle anzeigen, welche die Vernichtung des
und Begriffe von seiner Natur. 313(Neunter Abschnitt.)
ganzen Körpers nach sich ziehen. Ja, einige Em
pfindungen dieser Art erhöhen vielmehr die persön
liche Würde; und hingegen wird dieselbe durch ei
nige Empfindungen des Vergnügens geschwächt.
Allein, es giebt eine dritte Art von Empfindungen,
wenn wir uns bewust sind, daß wir Wissenschaft,
ein gutes Herz, Treue, Rechtschaffenheit, eine Nei
gung, andern Gefälligkeiten zu erzeigen, einen Ab
scheu gegen sinnliche Vergnügungen, eine Aufmerk
samkeit auf das allgemeine Wohl besitzen. Wir
fühlen, daß dieses unmittelbare Eigenschaften dieses
Selbst, und die persönlichen Vollkommenheiten
sind, in welchen die ganze wahre Würde desselben
besteht; gleichwie die Schande desselben in den ent
gegengesetzten Eigenschaften liegt. Wir kennen
diese Eigenschaften, und ihre Nahmen eben sowohl,
als Dinge, die in die Sinne fallen: wir fühlen,
daß sie mit dem Körper in keiner Verknüpfung ste
hen, und weder Theile, noch Ausdehnung, noch Fi
gur haben, noch einen Raum einnehmen. Die
Natur hat uns also von einem Geiste, der von dem
Körper unterschieden ist, und denselben beherrscht,
indem er ihm Bewegungen vorschreibt, einen eben
so deutlichen Unterricht gegeben, als sie uns unter
richtet hat, daß unsre Körper von den äusserlichen
Gegenständen unterschieden sind. Ja, sie unter
richtet uns von einem grössern Unterschiede, von der
Unähnlichkeit des Wesens; da alle Eigenschaften
der Seele von einer ganz andern Art sind, als die
Eigenschaften der Materie; und da alle Wesen blos
durch ihre Eigenschaften erkant werden.
(Erstes
Buch.)
314 Die Pflichten gegen Gott
XV.
GOtt hat durch die Einrichtung unsrer
(Beweife<Beweise> eines künfti
gen Znstan
des<Zustandes>.) Natur, und durch das uns mitgetheilte morali
sche Gefühl
sattsam zu erkennen geben, daß er
sich der Sache der Tugend, und der allgemeinen
Glückseligkeit annimmt. Die Tugend wird, bey
vielen Gelegenheiten, in dieser Welt unterdrückt und
niedergeschlagen. In solchen Fällen machen uns
unsre besten Eigenschaften um andre bekümmert,
und die Tugend sezt uns zuweilen den grössten äus
serlichen Uebeln aus. Wir müssen von der Güte
Gottes hoffen, daß der Rechtschaffene und Un
glückliche eine Vergeltung erhalten, und daß der
Beleidigende und Unterdrückende Ursache haben wer
de, seine Widerstrebungen wider den Willen einer
gütigen Gottheit zu bereuen. Gott hat kei
nen Mangel an Macht; keinen Neid, keine übeln
Gesinnungen. Sollen Wesen von solchen edlen
Kräften, die es in den Vollkommenheiten, welche
Gott billigt, so weit gebracht haben, und die Un
sterblichkeit verlangen und hoffen, ihre anständig
sten Hofnungen fehl schlagen fehen<sehen>? Jhre Hof
nungen, welche, zu einem vollkommenen Vergnügen
an der Tugend, in dieser Welt nothwendig sind,
weil sie ohne dieselben, bey dieser Ungewisheit der
menschlichen Begebenheiten, sowohl von ihrem eige
nen Zustande, als von dem Zustande der theuersten
und würdigsten Gegenstände ihrer besten Neigun
gen, wenig Freude erwarten können. Soll der
Plan dieses Ganzen, der in allen andern Betrach
tungen so vortreflich ist, in einem Theile, wodurch
er erst ganz vollkommen wird, mangelhaft seyn?
Beschuldiget nicht diese Voraussetzung Gott einer
und Begriffe von seiner Natur. 315(Neunter Abschnitt.)
Grausamkeit und Ungerechtigkeit, da er gewollt
hat, daß die Tugend die höchste Glückseligkeit, und
das Laster das grösste Elend seyn soll? Sollen
wir von der ursprünglichen allmächtigen Güte
nichts weiter erwarten, als was wir, selbst bey ei
nem Menschen, für einen geringen Grad der Tugend
halten, nämlich blos die Ausübung des Guten,
welche nöthig ist, um der Beschuldigung einer Un
gerechtigkeit zu entgehn? Wie weit wird dieselbe
von der überfliessenden Gütigkeit vieler edelmüthi
gen Menschen übertroffen? Und wie wenig
stimmt dieses mit dem Verhalten der milden Hand
überein, die alles, was da lebt, mit Wohlge
fallen sättiget?
Wenn es in dem Ganzen vernünftige han
delnde Wesen giebt, welche des Abfalls von ihrer
Rechtschaffenheit fähig sind, welche den menschli
chen Begebenheiten zusehen, welche, von der Ver
ordnung der Gesetze, Bewegungsgründe zu der Be
ständigkeit nöthig haben: wenn solche Wesen das
äusserliche Glück der Gottlosen wahrnehmen, wenn
das verhärtete Gewissen derselben keine innern
Vorwürfe empfindet, wenn sie in dem Ueberflus
aller Vergnügungen, die sie nur wünschen, leben,
und, frey von aller künftigen Bestrafung, in ei
nem Augenblick in das Grab hinabgehn: wie sehr
mus dieses unvollkommene Zuschauer zu Ausübung
des Lasters ermuntern? Mus nicht eine solche
Freyheit von der Strafe der Uebertreter das Ansehn
und die Macht der göttlichen Gesetze vernichten?
Gemüther von edlern Empfindungen sehen wirklich,
(Erstes
Buch.)
316 Die Pflichten gegen Gott
daß die Lasterhaften die höchsten Vergnügungen
des Lebens verloren haben; allein die Lasterhaften
haben keinen Geschmack daran, sie bedauern den
Verlust derselben nicht, und taumeln in ihren Lü
sten fort. Kan eine solche Freyheit von der Be
strafung mit den weisen Endzwecken der Regierung,
mit der Verbesserung und Sinnesänderung derjeni
gen, welche in einem hohen Grade lasterhaft waren,
wohl übereinstimmen? Was für Wirkungen kön
nen sie haben, wenn die Menschen sich für keiner
Zukunft zu fürchten brauchen?
Wenn man ein noch unvollendetes Gebäude
sieht, dessen verschiedene Theile eine ungemeine Kunst
verrathen, an welchem aber noch ein anderer Theil
fehlt, um es vollkommen und bequem zu machen;
wenn für diesen Theil Raum gelassen worden, und
auch einige Anzeigen vorhanden sind, daß man die
Vollendung des Baues zur Absicht gehabt hat:
wird nicht alsdenn ein billiger Zuschauer den
Schlus machen, daß dieser ermangelnde Theil auch
in dem Plan des Baumeisters enthalten war, ob
gleich einige Ursachen die Vollführung gehindert
haben? Dieses ist der Fall in der moralischen
Welt. Der Bau ist vortreflich, aber noch nicht
vollendet. Wir bemerken, daß Raum für einen
weitern Bau vorhanden ist, und wir finden von
der Absicht, ihn zu vollenden, hinlängliche Merkma
le in dem Verlangen und den Hofnungen aller Al
ter und Nationen, in unserm natürlichen Gefühl
der Gerechtigkeit, und in unsern edelsten und allge
meinsten Neigungen gegen andre, und gegen das
und Begriffe von seiner Natur. 317(Neunter Abschnitt.)
Ganze; und sollen wir auch nicht zu der Kunst, der
Güte, und dem unerschöpflichen Reichthum des
grossen Baumeisters, Vertrauen und Hofnung
haben?
Da die Ueberzeugung von der Güte Gottes
der grosse Grund unsrer Glückseligkeit und die vor
nehmste Stütze der Tugend ist: so haben wir uns
bey dieser Materie lange aufgehalten, ob wir gleich
mehr die Qvellen<Quellen> der Ueberzeugung angezeigt, als
sie in ihr völliges Licht gesetzet haben. Wir müs
sen die andern Eigenschaften des höchsten Geistes
noch kürzlich berühren, damit nicht einige irrige
Meinungen von denselben die tiefe Verehrung und
Bewunderung, die wir seiner Vortreflichkeit schul
dig sind, schwächen möge.
XVI. Alle diejenigen Gründe, welche bewei(Die andere Eigenschaft
Gottes. Ein Geist.)
sen, daß ein denkendes Wesen eine, von der Mate
terie unterschiedene Substanz sey, beweisen auch,
daß Gott ein Geist, und nicht die grosse materiali
sche Masse dieses Ganzen ist; da alle Beweise sei
nes Daseyns, Beweise von einer ursprünglichen
Kraft zu denken, von Weisheit, Bewustseyn, Thä
tigkeit, und von Neigungen, und folglich von solchen
Kräften sind, die mit der Natur der Materie sich
nicht vertragen. Indem wir ihn einen Geist nen
nen, müssen wir nicht in den Gedanken stehen, als
ob er mit der menschlichen Seele, von gleicher Art,
und nur grösser sey. Obgleich alle denkende We
sen, der Art nach, von der Materie unterschieden
sind: so können doch unzählbare Ordnungen oder
Arten von Geistern seyn, welche alle wesentlich von
(Erstes
Buch.)
318 Die Pflichten gegen Gott,
einander unterschieden sind, von dem niedrigsten
Geiste des Lebens in dem geringsten Thiere an, bis
zur unendlichen Gottheit.
(Unendlich.)
Ferner, was ursprünglich und selbstständig
ist, kan seiner Natur nach, weder durch seine eige
ne Wahl, noch durch den Willen einer vorhergehenden
Ursache, auf einen besondern endlichen Grad der
Vollkommenheit, oder auf die Vollkommenheiten
einer Art, mit Ausschliessung der übrigen, einge
schränket seyn. Kein möglicher Grund, keine mög
liche Ursache kan angegeben werden, warum es die
se Arten und diese Grade, und nicht vielmehr andre,
besitzen solle. Wir sehen aus den Wirkungen, daß
die ursprünglichen Vollkommenheiten weit über
unsre Einbildungskraft erhaben sind, und es war
kein vorgängiger Wille, keine vorhergehende Wahl
eines Wesens vorhanden, durch welche es, auf eine
Art oder einen Grad, hätte können eingeschränket
werden können. Dieses führt uns zu der Vorstel
lung eines ursprünglichen gränzenlosen Oceans aller
Vortreflichkeit und Vollkommenheit, woraus alle
eingeschränkte Vollkommenheiten hergeleitet wor
den sind.
(Einzig.)
Eben diese Betrachtungen führen uns an, uns
das ursprüngliche Wesen als einzig, und als un
zusammengesezt von verschiedenen Wesen oder Thei
len, vorzustellen. Kein möglicher Grund, keine
Ursache kan angegeben werden, warum eben diese
Anzahl ursprünglicher Geister, und nicht viel
mehr eine andre vorhanden seyn müsse. Keine
Wirkungen sind anzutreffen, welche mehrere voraus
und Begriffe von seiner Natur. 319(Neunter Abschnitt.)
sezten, und nicht durch eine ursprüngliche Ursache
erklärt werden könten. Ja alle Verknüpfungen,
die Abhängigkeit der Theile von einander, die Gleich
heit des Baues, in Dingen, die weit von einander
entfernt sind, führen uns zu der Einheit der Absicht
und Macht. Dieses beweist genugsam, wie un
gegründet die Vielgötterey ist, woferne jemals
einige die Mehrheit ursprünglicher Geister ge
glaubt haben. Die weisern Heyden
hatten eine
andere Vielgötterey; und unter dem gemei
nen Volke entstand sie von der Meinung, als ob
die Gottheiten
schwach und unvollkommen, und
der Zerstreuung und Verwirrung durch eine Men
ge von Sorgen unterworfen wären, und, gleich den
Menschen, beunruhiget würden, wenn sie zu viel un
ternähmen. Ein allmächtiges und allwissen
des Wesen kan, ohne Mühe und Verwirrung, al
les regieren.
Die ununterbrochene Macht, welche sich, in al(Allgegen
wärtig.)
len Theilen des Ganzen, äussert, und die uneinge
schränkte Natur des ursprünglichen Wesens
führt uns auf die Vorstellung, daß er eine solche
Allgegenwart und Unermeslichkeit besitzen müs
se, wie sie zu einer allgemeinen Erkäntnis und Hand
lung erfordert wird. Und derjenige, welcher ur
sprünglich ist, mus auch ewig seyn.
XVI. Aus der Macht, Weisheit und Güte(Gott ord
net alles
durch seine Vorsehung.)
schliessen wir, daß Gott eine allgemeine Vorsorge
ausübet. Einem Wesen, welches diese Vollkom
menheiten besizt, kan der Zustand eines Ganzen,
voll so vieler Geschöpfe, die fähig sind, glücklich
(Erstes
Buch.)
320 Die Pflichten gegen Gott,
oder elend zu werden, nicht gleichgültig seyn. Die
Güte mus dasselbe bewegen, seine Macht und Weis
heit in der Regierung des Ganzen, welche auf den
besten Endzweck, die allgemeine Glückseligkeit, ab
zielet, zu erkennen zu geben. Wir können uns kei
ne Uebung seiner Kräfte vorstellen, die Gott anstän
diger und würdiger wäre, oder ihm mehr Vergnü
gen brächte.
(Die Güte ist die Ursa
che der
Schöpfung.)
Was für ein andrer Bewegungsgrund zur
Schöpfung kan vorhanden seyn, als ein Verlan
gen, Vollkommenheit und Glückseligkeit mitzuthei
len? Man kan sich nicht vorstellen, daß Gott die
Ehre, welche ihm Geschöpfe erzeigen, die unendlich
weit unter ihm sind, zu seinem lezten Endzweck ma
chen könne. Alles Verlangen nach Ehre sezt vor
aus, daß vorhero etwas vortrefliches wahrgenom
men worden, oder daß eine Bestimmung seiner
Natur, oder eine Neigung, der wesentliche Gegen
stand seines Beyfalls sey: und was für eine andre
Bestimmung können wir für den Gegenstand sei
nes höchsten Beyfalls annehmen, als eine voll
kommene Güte, die ihn immer veranlasst, die Glück
seligkeit mitzutheilen. Diese Bestimmung mus
ihn bewegen, seine eigenen Vortreflichkeiten seinen
vernünftigen Geschöpfen, durch seine Werke zu ent
decken, damit er auf diese Art für sie die Quelle der
höchsten Glückseligkeit, der edelste Gegenstand ih
rer Betrachtung und Verehrung, ihrer Liebe, Ach
tung, Hofnung und festen Zuversicht und das beste
Vorbild zu ihrer Nachahmung seyn möge. Gott
entdeckt seine Vollkommenheiten, um seine Geschöpfe,
durch die Erkäntnis und Liebe derselben, glück
und Begriffe von seiner Natur. 321(Neunter Abschnitt.)
lich zu machen; und nieht<nicht> in der Absicht, durch ihr
Lob und ihre Bewunderung sich eine neue Glückse
ligkeit zu verschaffen.
Die Weisheit und Güte Gottes beweist(Die Heilig
keit der Gott
heit.)
uns seine moralische Reinigkeit und Heiligkeit.
Da er unabhängig, allmächtig und weise ist: so
kan ihm nichts fehlen. Er kan keine Privatab
sichten haben, die dem allgemeinen Guten zuwider
wären; er kan auch keine niedrigen Begierden und
Leidenschaften haben. Dieses sind die Anreizun
gen zum moralischen Uebel alle, die wir uns vor
stellen können. In Gott kan keine davon, und
überhaupt nichts statt finden, das der allgemeinen
Güte, an welcher er den höchsten Wohlgefallen ha
ben mus, entgegen seyn könne.
Sein Verhalten gegen seine Geschöpfe mus(Die Ge
rech-tigkeit<Gerechtigkeit> Gottes.)
seiner Güte und Weisheit gemäs seyn. Seine
Gesetze müssen gut und gerecht seyn, und mit dem
Vortheil und der Vollkommenheit des Ganzen
übereinkommen. In ihm kan keine parteyische
Zärtlichkeit gegen unwürdige Lieblinge angetroffen
werden, welche neben dem allgemeinen Guten, oder
dem heiligen Ansehn seiner Gesetze, nicht bestehen
kan. Keine Privatabsichten können die Vollzie
hung ihrer Verordnungen hemmen, so lange sie der
allgemeine Vortheil und die Unterstützung der Ma
jestät dieser Gesetze erfordert. Es ist keine unge
rechte Parteylichkeit, daß einige Menschen viele Vor
theile vor andern empfangen haben. Wir haben
oben gezeigt, daß dieses die beste Ordnung und Har
monie des Ganzen erfordern kan. Dieses sind die
(Erstes
Buch.)
322 Die Verehrung der Gottheit.
natürlichen Begriffe von der Gerechtigkeit in einem
moralischen Beherrscher. Eine mit Weisheit
verknüpfte Güte mus den Beherrscher zu einem
solchen Verhalten bestimmen, welches das Ansehn
und den Einflus seiner Gesetze auf das allgemeine
Beste unterstützen kan.
Der zehnte Abschnitt.
Die Neigungen und Pflichten und die
Ehrfurcht gegen Gott.
(Welche Neigungen der göttli
chen Voll
kommenheit gemäs sind.)
I.
Bey der Betrachtung der verschiedenen Ver
gnügungen unsrer Natur haben wir die
öftere Gelegenheit gezeigt, welche den Menschen vor
komt, zu der göttlichen Vorsehung ihre Zuflucht zu
nehmen, um ihre Vergnügungen sicher zu stellen,
und, mitten unter den Wiederwärtigkeiten dieses
Lebens, welche entweder uns selbst, oder die Gegen
stände unserer zärtlichsten Neigungen befallen, die
Ruhe der Seele zu befestigen. Wir haben in dem
vorhergehenden Abschnitt den grossen Grund unsrer
Glückseligkeit, das Daseyn und die moralischen
Vollkommenheiten Gottes und seine Vorsicht fest
gesezt. Es ist noch übrig zu betrachten, was uns
gegen die Gottheit, von der eine jede aufmerksame
Seele so überflüssig überzeugt seyn mus, für Neigun
gen und Pflichten obliegen.
(Dieses wird durch das morali
sche Ge
fühl erkant.)
Hierbey ist unser moralisches Gefühl
von
grösserm Nutzen, als bey irgend einer andern Gele
genheit. Es bestimmt nicht nur die Neigungen,
welche diesen Vollkommenheiten gemäs sind, son
Die Verehrung der Gottheit. 323(Zehnter Abschnitt.)
dern es empfiehlt und gebietet sie auch als solche, die
zu einem guten Character schlechterdings erfordert
werden; und es verdammt den Mangel derselben
eben so wohl, als die Abwesenheit der Neigungen
gegen unsre Nebengeschöpfe. Ja es zeigt, daß die
Neigungen gegen Gott, aus einer heiligern Ver
bindlichkeit, herrühren müssen. Das moralische
Gefühl selbst scheint der besondre Theil unsrer Na
tur zu seyn, welcher am meisten geschickt ist, diese
Uebereinstimmung einer jeden vernünftigen Seele
mit der grossen Quelle unsers Wesens und aller
Vollkommenheiten, zu befördern, da es alle mora
lische Vortreflichkeit unmittelbar billigt, die Seele
mit der Liebe derselben erfüllt, und dieser Liebe, als
der höchsten Vortreflichkeit der Seele, Beyfall
giebt. Diese Liebe ist in dem System von unge
meinem Nutzen, weil die Bewunderung und Liebe
der moralischen Vollkommenheit ein natürlicher
Bewegungsgrund zu der Ausübung aller Tu
genden ist.
Die Verehrung, welche wir den göttlichen(Die Ver
ehrung ist entweder in
nerlich oder äusserlich.)
Eigenschaften schuldig sind, ist entweder innerlich
oder äusserlich. Die erstere besteht in den Empfin
dungen und Neigungen der Seele; die leztere aber
in dem natürlichen Ausdruck derselben.
Unsre Pflicht, in Absicht auf die natürlichen(Was wir den natürli
chen Voll
kommenhei
ten schuldig sind.)
Eigenschaften Gottes, ist, durch öftere Betrach
tungen die höchste Bewunderung dieses unermes
lich grossen ursprünglichen Wesens, von wel
chem alle andre abstammen, in uns rege zu machen
und zu unterhalten; und alle niedrige Vorstellun
(Erstes
Buch.)
324 Die Verehrung der Gottheit.
gen, welche unsre Ehrfurcht vermindern könten,
alle Begriffe von der Gottheit, als ob sie einge
schränkt, körperlich, einer thierischen oder menschli
chen Gestalt ähnlich sey, und nur einen gewissen
Ort einnehme, alle Meinungen von ihr, welche ih
rer unendlichen Macht und Vollkommenheit und
ihrem ursprünglichen unabhängigen Daseyn wider
sprechen, von uns zu entfernen.
(Die Nei
gungen, wel
che wir den moralischen Vollkomen
heiten<Vollkommenheiten> schul
dig sind.
Liebe, Ach
tung und Ehrfurcht.)
II. Eine gebührende Aufmerksamkeit auf die
moralischen Eigeschaften<Eigenschaften> mus die höchste mögliche
Achtung und Liebe und Dankbarkeit in uns rege
machen. Eine unwandelbare Güte von dem wei
testen Umfange ist der unmittelbare Gegenstand
des Beyfalls, der Liebe und Achtung. Wenn Weis
heit und Macht mit ihr verbunden sind: so errei
chen Liebe und Achtung und Bewunderung die höch
ste Stufe. Sie müssen die eifrigste Bemühung zu
gefallen, die grösste Sorgfalt, alle Beleidigungen
zu vermeiden, hervorbringen, und in dem Bewust
seyn einer Uebereinstimmung mit dem Willen eines
Wesens, welches solche Vollkommenheiten besizt, die
höchsten Vergnügungen gewähren. Wenn wir
uns bewust sind, daß wir ihn beleidigt haben: so
müssen sie unsre Seelen nicht nur mit der Furcht
der Strafe, sondern auch mit innerer Unruhe, mit
aufrichtiger Schaam und Betrübnis, und mit ei
nem Verlangen nach der Besserung, erfüllen.
(Vertrauen und Erge
bung in den
Willen Got
tes.)
Eine feste Ueberzeugung von diesen göttlichen
Vollkomenheiten<Vollkommenheiten> erzeugt Vertrauen, die Uebergebung
in seinen Willen, und eine Geneigtheit, sich allem, was
die Vorsehung geordnet hat, gänzlich zu unterwerfen,
Die Verehrung der Gottheit. 325(Zehnter Abschnitt.)
in der gewissen Ueberredung, daß alles auf das Beste
geordnet sey, und auf die grösste Glückseligkeit des
Ganzen sowohl, als eines jeden tugendhaften Men
schens, abziele. Die uneingeschränkteste Güte mus
den besten Zustand des Ganzen verlangen; die All
wissenheit mus die Mittel entdecken; und die All
macht mus sie anwenden. Ein jedes Ding wird
in dem Orte, den Gott ihm angewiesen, oder ein
zunehmen erlaubt hat, schätzbar; wo nicht allemal
an sich selbst, doch durch den Glauben, und die Ue
berzeugung, daß es zu den Absichten der unendlichen
Güte und Weisheit nöthig sey. Wir wissen, daß
die Absichten der Gottheit zum Theil durch die thä
tigen Tugenden edelmüthiger Menschen ausgefüh
ret werden, und daß in diesen Tugenden ein grosser
Theil ihrer höchsten Vollkommenheit und Glückse
ligkeit besteht. Unsre Abhängigkeit von der gött
lichen Macht und Güte wird dahero keine von un
sern liebreichen und tugendhaften Unternehmungen
hindern, sondern uns vielmehr durch die angeneh
me Hofnung eines glücklichen Erfolgs, aufmun
tern und unterstützen. Eben diejenige Zuversicht,
eben dasjenige Vertrauen, welches wir in Abficht<Absicht>
auf uns selbst und unsern eignen Vortheil, ausü
ben, müssen wir auch in Ansehung derjenigen, wel
che uns, durch tugendhafte Verbindungen, lieb sind,
oder in Absicht auf eine würdige Sache, die uns
oder andre betrift, ausüben; daß sie nämlich in
diesem Leben glücklich von statten gehen, oder zu der
künftigen Ehre und Glückseligkeit derjenigen, die
sich ihrer angenommen haben, gereichen werde.
(Erstes
Buch.)
326 Die Verehrung der Gottheit.
III. Richtige Begriffe von der Schöpfung
(Dankbar
keit und De
muth gegen Gott, und Mitleiden
gegen unsern Nächsten.) und Vorsehung Gottes müssen die höchsten Em
pfindungen der Dankbarkeit hervorbringen, müssen
alle Eitelkeit, vor seinem Angesicht, und alle Ver
achtung anderer unterdrücken, und wahre Demuth
erzeugen. Alles Gute, das wir geniessen, alle
Belustigungen der Sinne, alles Vergnügen an der
Harmonie und Schönheit, sind alles Wohlthaten,
die uns Gott erwiesen hat. Seiner Macht sind
wir unser Wesen, diese Gegenstände, und die Em
pfindungskräfte, wodurch wir sie geniessen, schul
dig. Wenn wir unsre Thätigkeit zu der Verbesse
rung dieser Gegenstände, oder zu Ausbildung un
sers eigenen Geschmacks anwenden: so war es Gott,
der uns alle unsre Kräfte, alle unsre Geschicklichkeit
verliehen, und uns zur Uebung derselben Gelegen
heiten dargeboten hat, und der uns dafür so ange
nehm belohnet. Alle Freuden, die wir in einer
erwiederten Liebe empfinden, alle Vortheile, welche
wir von dem Beystand unsrer Nebengeschöpfe er
halten, sind wir Gott schuldig, welcher die Seele
des Menschen erschaffen, ihr solche Neigungen mit
getheilet, und sie alles desjenigen, was nur in ihr der
Gegenstand der Liebe seyn kan, fähig gemacht hat.
Er gab allen beseelten Geschöpfen, Thieren und
Menschen, ihre Kräfte, Sinnen, Triebe und Nei
gungen. Er knüpfte die Seelen der Menschen mit
den zärtlichen und geselligen Banden zusammen,
welche die Triebfedern aller liebreichen Handlungen
sind. Die äusserlichen Vortheile, welche wir ein
ander, durch unsre thätigen Tugenden, verschaffen,
hätte uns Gott, durch seine Macht, unmittelbar
Die Verehrung der Gottheit. 327(Erster Abschnitt.)
mittheilen können, ohne daß unsre Handlungen da
bey nöthig gewesen wären; allein seine Gütigkeit
war so gros, daß er uns einen Theil des göttlichen
und würdigen Vergnügens, andern Gutes zu thun,
geniessen lassen wollte; und durch die Ausübung
unsrer liebreichen Neigungen, und durch das mora
lische Gefühl, theilen wir dasselbe mit ihm. Die
Freuden, welche wir fühlen, wenn wir von unsern
Nebengeschöpfen geehrt werden, sind auch seine Ga
ben, weil er uns dieses Gefühl der moralischen Vor
treflichkeit, und dieses natürliche Vergnügen, wel
ches wir über den von andern erhaltenen Beyfall
empfinden, eingepflanzet hat.
Alle Vergnügungen der Erkäntnis, alle Wir
kungen der Kunst, sind wir demjenigen schuldig, der
uns mehr gelehrt hat, als die Thiere auf dem
Felde, und uns weiser gemacht hat, als die
Vögel unter dem Himmel. Jhm sind wir
schuldig, daß wir die Schönheiten, die liebreichen
Absichten und die Weisheit in seinen Werken ent
decken, und auf diese Art die Spuren seiner Weis
heit und Güte verehren können. Jhm sind wir
schuldig, daß wir die moralischen Schönheiten, die
Neigungen und das Verhalten, welches ihm gefäl
lig ist, und der göttlichen Schönheit am nächsten
komt, einsehen; daß wir seine Vollkommenheiten
entdecken und sie wahrnehmen; und daß unsre
Seelen, durch ein gänzliches Vertrauen auf ihn und
auf seine Vorsorge, einer sichern Ruhe geniessen
können. Durch die Vernunft, mit welcher er uns
begabt hat, unterhält er sich mit uns, versichert
(Erstes
Buch.)
328 Die Verehrung der Gottheit.
uns seines Wohlwollens, und giebt uns die lieb
reichsten Vermahnungen. Vermittelst der uns
eingepflanzten Neigungen der Achtung, Liebe und
Dankbarkeit, macht er uns fähig, Freundschaft mit
ihm zu pflegen. Also ist unsre ganze Glückselig
keit und Vortreflichkeit ein Werk seiner Güte.
Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem
Nahmen
sey Ehre.
(Die Uebung dieser Nei
gungen ist uns, nicht Gott, nöthig.)
IV. Es wird umsonst behauptet, „daß diese
ehrfurchtsvollen Neigungen, vergeblich und unnütz
wären, weil Gott ihrer nicht bedürfe, und weil sie
seine Glückseligkeit nicht vermehren.“ Sie sind
die vornehmsten Vergnügungen vernünftiger See
len, im Glück ihre höchste Freude, und im Unglück
ihre angenehmste Zuflucht. Das vernünftige Herz
giebt sich selbst keinen Beyfall, wenn sie ihm feh
len; oder, wenn es sie nicht seinen vornehmsten
Freuden vorzieht. Ohne Liebe, Freundschaft,
Dankbarkeit ist das Leben ein trauriger ekelhafter
Zustand. Diese Neigungen, wenn sie erwiedert
werden, sind desto angenehmer, je vortreflicher ihre
Gegenstände sind. Was für eine unwandelbare
und entzückende Freude mus ein Leben begleiten, wel
ches in einer beständigen Empfindung der göttlichen
Gegenwart, in der höchsten Liebe, Bewunderung
nnd<und> Dankbarkeit, in der festen Ueberzeugung, daß
man von demjenigen, der unendlich vollkommen
und allmächtig ist, geliebet und geschützet werde,
zugebracht wird.
Die Verehrung der Gottheit. 329
(Zehnter Abschnitt.)
Was kan, ohne dieses Vertrauen auf Gott,
sicher genennt werden? Unsre Körper, und alle
äusserliche Dinge, sind offenbar ungewis, und der
Wohlstand unsrer Freunde und aller Gegenstände
unsrer liebreichen Neigungen ist es ebenfalls. Auch
ihre Tugenden, ob sie gleich unter die dauerhaf
testen Dinge des Lebens gehören, sind vor der
Veränderung nicht sicher. Einige Zufälle können
ihrer Vernunft und ihren Tugenden nachtheilig
seyn. Nur eine Seele, die sich auf Gott, mit ei
nem festen Vertrauen auf seine Vollkommenheiten,
überlässt, kan sich endlich alles Glück ver
sprechen.
In einer jeden guten Gemüthsart müssen ge
wisse Neigungen, wenn ihre natürlichen Veranlas
sungen vorhanden sind, entstehen, sie mögen nun
entweder auf den Zustand des Gegenstandes einen
Einflus haben, oder nicht. Ob wir gleich unser
eigenes Unvermögen gewahr werden, oder keine
Gelegenheit haben, andern Gutes zu erzeigen, oder
erkäntlich zu seyn: so mus uns doch eine Gemüths
art verhasst seyn, in welcher keine Liebe und Hoch
achtung grosser Vollkommenheiten, und keine Dank
barkeit für erhaltene Wohlthaten anzutreffen ist.
So mus in einem gutgearteten Herzen über den
Wohlstand einer geliebten Person, Freude entste
hen, ob es gleich dazu nichts beytragen kan, und
das Unglück dieser Person mus in ihm Traurigkeit
hervorbringen, ob es sich gleich ausser Stande sieht,
dasselbe zu entfernen oder zu mildern. Der Man
gel dieser Neigungen, wenn so starke natürliche Ur
(Erstes
Buch.)
330 Die Verehrung der Gottheit.
sachen vorhanden sind, mus eine Verderbnis der
Seele verrathen, welche wir, sobald wir darüber
nachdenken, verabscheuen müssen. Diese Neigun
gen scheinen unsre Seelen der Gottheit nahe zu
bringen, und uns die Vortreflichkeit mitzutheilen,
wodurch ihre Werke ihr ähnlich werden; und eine
jede reine Seele fühlt ihre Gewalt.
(Es ist ohne dieselbe keine
gewisse Ruhe oder Glück
seligkeit, vor
hand)
Ja, ohne einen lebhaften Begrif von der
Vorsehung Gottes, ohne eine beständige Ergebung
in seinen Willen, und einem freudigen Vertrauen
auf seine Güte, worinnen die Gottesfurcht vornehm
lich besteht, müssen unsre edelsten Neigungen, uns
in dieser ungewissen Welt, unangenehmen sympa
thetischen Bekümmernissen aussetzen. Allein, eine
feste Ueberzeugung von einem allmächtigen, allwis
senden und allgütigen Vater, der in diesem Sy
stem alles auf das beste ordnet; der geneigt ist, dem
Tugendhaften zulezt eine unveränderliche Glückse
ligkeit zu gewähren, so viel Uebels ihm auch in
in diesem Leben begegnen mag; der weiter kein Ue
bel zulässt, als was die vollkommenste Einrichtung
erfordert, oder nothwendig mit sich bringt; eine
Ueberzeugung von allen diesem, mit ähnlichen unein
geschränkten Neigungen in unsern Seelen, mus
uns, in allen unsern zärtlichen Besorgnissen, den
stärksten Trost gewähren, und unsre Herzen dahin
bringen, alles dasjenige, was die höchste Weisheit
und Güte verordnet oder zulässt, entweder mit
Freuden anzunehmen, oder uns doch wenigstens
in aller Gelassenheit dabey zu beruhigen. Wenn
unsre Freunde oder Lieblinge gegenwärtig unglück
Die Verehrung der Gottheit. 331(Zehnter Abschnitt.)
lich sind: so erfordert dieses die beste Regierung
dieses Staats; weit mehrere von unsern Brüdern
und Mitbürgern, die eben so grosse Tugenden besi
tzen, sind immer glücklich. Sie haben ihre theuren
Freunde, die sich mit ihnen erfreuen; ihre Neigun
gen sind eben so zärtlich und liebenswürdig, ihre
Tugenden sind eben so schätzbar, als die Neigun
gen und Tugenden unsrer Freunde. Wenn die
unsrigen in Kummer und Traurigkeit leben: so
sind andre, die gleiche Zärtlichkeit und Tugend be
sitzen, vergnügt. Ein Geschlecht vergehet, und das
andre stehet auf. Das Ganze bleibt immer; und
immer so fruchtbar an Tugend Freude und Glückse
ligkeit. Von dem kurzen uns bekanten Zeitraum
können wir auf das künftige Elend derer, welche izt
unglücklich sind, keinen Schlus machen. Wir wis
sen nicht, was der immerwährende Lauf der Zeiten
denjenigen Personen bringen wird, deren Widerwär
tigkeiten und Laster wir beklagen. Die Gedanken
von einer ewigen Zukunft, unter einem gütigen
Gott, machen, daß uns alles heiter, frölich und
herrlich vorkomt.
Eine beständige Absicht auf Gott in allen(Fromme Neigungen
erhöhen alle Tugend und Freude.)
unsern Unternehmungen und Vergnügungen, wird
jeder Tugend eine neue Schönheit geben, indem sie
dieselbe zu einer Handlung der Erkäntlichkeit und
Liebe gegen ihn macht; sie wird unsre Freude, bey
allen angenehmen Begebenheiten, erhöhen, wenn
wir daraus seine Güte deutlich erkennen werden;
sie wird uns eine göttlichere Reinigkeit und Einfalt
des Herzens verschaffen, uns alle unsre tugendhaf
(Erstes
Buch.)
332 Die Verehrung der Gottheit.
ten Gesinnungen, als von Gott in unsre Herzen
gepflanzt, vorzustellen, und alle unsre wohlthätigen
Handlungen, für unsre eigentlichen Beschäftigun
gen, und für die natürlichen Pflichten, wozu der in
seinem Ganzen uns angewiesene Stand uns ver
bindet, und für Gefälligkeiten, die wir diesem
grossen Vaterlande schuldig sind, anzusehen. Unsre
Seelen werden von der eitlen Absicht, von Men
schen Ehre und Belohnungen zu erlangen, und von
aller stolzen Verachtung unsrer Nebengeschöpfe, die
nicht gleichen Antheil an seiner Güte haben, zurück
gebracht, und unsre niedrigen Leidenschaften des
Zorns und Unwillens werden, in seiner Gegenwart,
unterdrückt werden. Unsre Herzen werden vornehm
lich nach seinem Beyfall trachten, und wir werden
unsern Endzweck erreichen, wenn wir die uns ob
liegenden Handlungen, mit Treue und voll Dank
barkeit gegen unsern grossen Schöpfer, verrichten;
es mögen andre sich gegen uns bezeigen, wie sie nur
wollen. Die Jrrthümer, die Unvollkommenhei
ten, die Beleidigungen und Verunglimpfungen,
oder die Undankbarkeit anderer, werden wir für
Veranlassungen der Vorsehung halten, die Tugen
den auszuüben, mit welchen uns
Gott begabt hat.
Wir werden glauben, daß wir uns dadurch, vor sei
nem allsehenden Ange<Auge>
und vor dem innern Gefühl
unsrer eigenen Herzen, mehr Beyfall zuwegebringen,
als durch die leichtere Ausübung der Tugend, wel
cher keine Hindernisse im Wege stehen.
Gleichwie also die ruhige und uneingeschränk
teste Bestimmung der Seele gegen die allgemeine
Die Verehrung der Gottheit. 333(Zehnter Abschnitt.)
Glückseligkeit, keinen andern Mittelpunct der Ruhe
und Freude haben kan, als die ursprüngliche unab
hängige allmächtige Güte: also kan die Seele, oh
ne die Erkäntnis und ohne die innigste Liebe
und Verehrung derselben, ihre eigene unveränder
lichste und höchste Vollkommenheit und Vortref
lichkeit nicht erreichen: und unser moralisches
Gefühl, welches ein natürliches Vergnügen an
der moralischen Vortreflichkeit empfindet, kan sich
mit keinem vollkommenern Gegenstande beschäfti
gen, als mit dem Wesen, welches die höchste Voll
kommenheit und alle ursprüngliche Vortreflichkeit
besizt, und die Quelle aller Vollkommenheiten an
derer Wesen ist.
IV. Die äusserliche Verehrung ist der natür(Die Grün
de der äusser
lichen Ver
ehrung.)
liche Ausdruck dieser frommen Empfindungen und
Neigungen. Die bekantesten Gründe dazu sind die
se: die Uebung und der Ausdruck aller Empfin
dungen und Neigungen macht einen tiefen Eindruck,
und befestigt dieselben in der Seele. Ferner,
Dankbarkeit, Liebe und Achtung sind Neigungen,
die nicht verborgen bleiben wollen, wenn sie lebhaft
sind; wir sind von Natur geneigt, sie auszudrü
cken, wenn sie auch ihrem Gegenstand keine neue
Glückseligkeit verschaffen. Es ist offenbar unsre
Pflicht, die Tugend und Glückseligkeit unter andern
auszubreiten: unsre Verehrung Gottes in der
Gesellschaft, unsre dankbare Erzählung seiner Wohl
thaten, unsre Erklärung seiner Natur und Voll
kommenheiten, der Ausdruck unsrer Bewunderung,
Achtung, Dankbarkeit, und Liebe stellt den Gemü
(Erstes Buch.)
334 Die Verehrung der Gottheit.
thern anderer die eigentlichen Bewegungsgründe zu
ähnlichen Neigungen vor, und ist, vermöge einer
Mittheilung, die in allen unsern Leidenschaften
wahrgenommen wird, auf die Erregung dieser Nei
gungen in andern, gerichtet. Die auf diese Art
in einer Gesellschaft ausgebreitete Gottesfurcht,
ist die mächtigste Abhaltung vom Bösen, und
sie giebt jeder geselligen Neigung, jeder Verbind
lichkeit zu liebreichen Handlungen, eine neue Stärke.
(Der na
türliche Aus
druck der
Gottesfurcht)
Der natürliche Ausdruck besteht in einer Un
terrichtung andrer von den Vollkommenheiten Got
tes und von der Natur der Gottesfurcht und Tu
gend, der grossen Endzwecke seiner Gesetze; in Lob
und Dank, in Gebet, in Zuversicht und einer Er
gebung in seinen Willen, wodurch wir zu erkennen
geben, daß wir seine Vorsicht, für die Quelle al
les Guten ansehen; in einem Bekäntnis unsrer
Sünden und Unvollkommenheiten; in der Erbit
tung seiner verzeihenden Gnade, und seines Bey
stands zu der künftigen Besserung unsers Lebens.
Wir können noch die feyerliche Anrufung desselben,
als des Zeugens und Rächers aller Falschheit, in un
sern Betheurungen und Versprechungen, hinzufügen,
so oft dieselbe nöthig ist, entweder einige wichtige
Rechte unsrer Mitbürger zu befestigen, oder densel
ben ein Vertrauen auf unsre Rechtschaffenheit bey
zubringen.
(Alles die
ses wird zu unserm
Wachsthum in der Tu
gend und)
V. Die Glückseligkeit Gottes kan durch un
ser Lob, unsre Bewunderung, unsern Dank, nicht
vermehret werden; unser Bekäntnis kan ihn von
nichts unterrichten, das er nicht schon wissen solte;
Die Verehrung der Gottheit. 335(Zehnter Abschnitt.)
und unsre ungestümen Bitten ändern nichts in dem,
was er zum Besten des Ganzen beschlossen hatte.(Vollkom
menheit er
fordert.)
Unsre Schwüre machen ihn nicht aufmerksamer,
oder mehr geneigt, die Gerechtigkeit auszuüben,
und sie geben ihm kein neues Recht zur Bestrafung.
Die Anbetung, das Lob, der Dank, das Gebet,
vermehren unsre eigene Gottseligkeit, Liebe, Dank
barkeit, unsern Abscheu vor dem moralischen Uebel,
unser Verlangen nach dem, was wahrhaftig gut
ist, und unsre Ergebung in seinen Willen. Wenn
diese Gefinnungen<Gesinnungen> und Neigungen in uns lebhaft
sind: so sind wir auf das vollkommenste zubereitet,
alles zeitliche Glück zu vermehren, und wir können
vermöge der Güte und Gnade der göttlichen Vor
sicht, darauf hoffen. Die Anrufung Gottes bey
Eidschwüren, welche auf eine gewissenhafte Art und
in wichtigen Gelegenheiten geschieht, mus uns das
tiefste Gefühl von unsrer Verbindlichkeit, redlich
zu seyn, und von dem Verbrechen der Falschheit
einprägen; und dieses giebt unsern Mitbürgern die
grösste Sicherheit, die wir durch Worte geben kön
nen. Alle diese Neigungen und Gesinnungen wir
ken auf uns selbst, und keinesweges auf die Gott
heit, oder ihre Absichten, welche, von Ewigkeit
her, alle Veränderungen in unsern moralischen Ei
genschaften, die selbst auch unter die Gegenstände
ihrer ewigen Weisheit und Macht gehören, vor
hergesehn hat.
Es ist eine unnöthige Untersuchung, ob eine(Der Ein
flus der Re
ligion auf die menschliche Gesellschaft.)
Gesellschaft von Atheisten
bestehen könne? und ob
ihr Zustand schlimmer oder besser sey, als der Zu
(Erstes
Buch.)
336 Die Verehrung der Gottheit.
stand der Menschen, die einem schändlichen Aber
glauben zugethan sind? Die wahre Religion erhö
het sowohl die Glückseligkeit einzelner Personen als
ganzer Gesellschaften. Wenn ihr die Religion hin
wegnehmt: so nehmt ihr die stärksten Bande, die
edelsten Bewegungsgründe zur Redlichkeit und zu
einer fertigen Ausübung aller geselligen Pflichten,
hinweg. Es ist offenbar, daß einige Systemen
von Lehrsätzen der Religion, worinnen viel elender
Aberglauben anzutreffen ist, doch dem ungeachtet
viel nützliche Gebote, Vorschriften und Bewegungs
gründe enthalten können, die in den Seelen derje
nigen, welche mit den abergläubischen Gebräuchen
nichts zu schaffen haben, gute Wirkungen hervor
bringen. So werden im Pabstthum viele, von
den besten moralischen Grundregeln, und die Lehre,
von den künftigen Belohnungen der Tugend, bey
behalten, und sie ermuntern viele zu den tugend
haftesten Handlungen; dahingegen andre, durch
die abergläubischen politischen Grundsätze, welche
auf die Erhebung der Geistlichen und auf die Skla
verey der übrigen Menschen, der Seele und dem
Körper nach, abzielen, zu den schrecklichsten Grau
samkeiten verleitet werden.
Es ist der Mühe nicht werth, zu bestimmen,
ob dergleichen Aberglauben von schlimmern Wir
kungen ist, als die Atheisterey. Er kan für
Menschen in gewissen Ständen solche Wirkungen
haben; allein er kan den übrigen keinen beträchtli
chen Schaden zuziehen. Eine Gesellschaft von
Atheisten hat man niemals gesehn. Man gebe
Die Verehrung der Gottheit. 337(Zehnter Abschnitt.)
zu, daß der Aberglauben von schlimmern Folgen
sey, als die Gottesläugnung; dieses gereicht der
Religion zur Ehre. Der beste Zustand der Reli
gion ist ungleich glückseliger, als irgend eine Be
schaffenheit der Atheisterey; und das Verderben
der besten Dinge hat die gefährlichsten Folgen. Die
Uebernehmung in nahrhaften Speisen ist schädli
cher, als wenn die Speisen weniger nahrhaft sind:
verdorbene Weine sind schädlicher, als schlechtes
Wasser. Es liegt vernünftigen Seelen ob, nach
allen Glückseligkeiten einer wahren Religion zu stre
ben, und sich vor aller Verderbnis derselben zu hü
ten, ohne zu untersuchen, was für Bewegungs
gründe zu gewissen Tugenden übrig bleiben möch
ten, wenn der traurige elende Gedanke statt finden
könte, daß die Welt unter keiner Vorsicht stehe,
sondern dem Ungefähr, und einer blinden absichtlo
sen Nothwendigkeit überlassen sey. Eine verderbte
Religion ist höchstschädlich; aber eine reine und
wahre Religion ist der sicherste Grund aller Glück
seligkeit.
Der eilfte Abschnitt,
Der Beschlus dieses Buchs, welcher den
Weg zu der höchsten Glückseligkeit un
srer Natur zeigt.
Nachdem wir die verschiedenen Quellen der Glück(Die Sum
me der
menschlichen Glückselig
keit.)
seligkeit, deren unsre Natur fähig ist, be
trachtet, und gefunden haben, daß diejenigen Ver
gnügungen, welche aus unsern eigenen Neigungen
und Handlungen entstehen, die edelsten und dauer
(Erstes
Buch.)
338 Die höchste Glückseligkeit
haftesten sind, nicht aber die Empfindungen, welche
wir von äusserlichen Dingen empfangen, die den
Körper betreffen, und wobey wir uns nur leidend
verhalten müssen; nachdem wir auch die verschie
denen Neigungen und Handlungen verglichen ha
ben, welche entweder gegen unsre Nebenmenschen,
in kleinern oder grössern Systemen, oder aber ge
gen die Gottheit ausgeübet werden, deren Natur
und grosse Absichten in der Verwaltung des Gan
zen, wir uns zu entdecken bemüht haben: nachdem
wir gefunden haben, daß, da unser moralisches
Gefühl allen allgemeineren Neigungen gegen un
sre Nebenmenschen einen höhern Beyfall ertheilt,
als den eingeschränktern Neigungen und Leiden
schaften, diese allgemeinern Neigungen auch edlere
Quellen von Vergnügungen sind, und daß unsre
Liebe der moralischen Vortreflichkeit, unsre Erkänt
nis, Verehrung und Liebe der Gottheit, welche wir
uns als vollkommen gut, weise und mächtig, und
als die Quelle aller Güter, vorstellen müssen; eine
gänzliche Ergebung in ihren Willen und ihre Vor
sorge, die Quelle unsrer erhabensten Glückseligkeit,
der grosse Grund aller unsrer Ruhe und Sicher
heit seyn mus: so ist es nunmehro klar, daß unsre
höchste und vollkommenste Glückseligkeit, vermöge
der Lehre der weisesten Männer in allen Altern
*
, in
der vollständigen Ausübung dieser edlern Tugenden,
besonders der Liebe gegen Gott, der gänzlichen
Ergebung in seinen Willen, und aller untern Tu
28
unsrer Natur. 339(Eilfter Abschnitt.)
genden, welche den höhern nicht entgegen sind;
und in dem Genus desjenigen äusserlichen Wohl
standes, welchen wir, ohne die Tugeud<Tugend> aufzugeben,
erreichen können, bestehen müsse.
II. Die Art zu leben also, welche uns das(Das morali
sche Ge
fühl
und die zwo ruhigen Be
stimmungen kommen
überein in Empfehlung)
moralische Gefühl empfiehlt, und die, durch alle
billige Betrachtungen unsers wahren Vortheils, be
stätiget wird, mus eben diejenige seyn, welche die
grosmüthige und ruhige Bestimmung
empfehlen würde, eine beständige Bemühung, die
allgemeinste Glückseligkeit, welche nur in unsrer
Gewalt ist, zu befördern, und so viel gute Pflich(Der Gerech
tigkeit.)
ten auszuüben, als wir Gelegenheit haben, wenn
dieselben keinem allgemeinern Vortheil des Sy
stems zuwider sind; eine Geneigtheit, allgemeinere
und wichtigere Pflichten denjenigen vorzuziehen,
welche eingeschränkter, und nicht so wichtig sind;
und eine sorgfältige Enthaltung von allem, was
ein unnöthiges Elend in diesem System veranlas
sen würde. Dieses ist die Tugend der Gerech
tigkeit, welche die Alten zu der höchsten Tugend
machen, auf welche die übrigen alle sich gründen.
Sie kan auch unsre Pflichten gegen Gott ein
schliessen.
Da die sinnlichen Vergnügungen die niedrig(Der Mässig
keit.)
sten sind, und am geschwindesten vorübereilen, und
da das Verlangen nach ihnen, vermittelst der un
gestümen Gewalt einiger unser thierischen Leiden
schaften, die Menschen gemeiniglich von der Bahn
der Tugend ableitet: so mus es von der höchsten
(Erstes
Buch.)
340 Die höchste >Glückseligkeit
Wichtigkeit seyn, uns von ihrer Niederträchtigkeit
zu überzeugen, uns in der Herrschaft über uns selbst
und über diese niedrigern Begierden, auf diejenige
Art, festzusetzen, welche wir oben, bey der Betrach
tung der Natur dieser Vergnügungen, erklärt ha
ben. Es ist gleichergestalt nothwendig, durch eine
anhaltende Ueberlegung, den wahren Werth der
feinern Vergnügungen der Einbildungskraft, zu
bestimmen, damit sie, weil sie weit geringer sind,
als die moralischen und geselligen Vergnügungen,
denselben weichen, so oft sie mit ihnen in unsrer
Wahl zusammenkommen. Dieses ist die Tugend
der Mässigkeit.
(Der Stand
haftigkeit.)
Es mus ebenfalls nöthig seyn, den Werth
dieses Lebens und die verschiedenen Arten von Uebeln,
welchen wir ausgesetzt sind, richtig zu beurtheilen.
Wenn moralische Uebel, und einige sympathetische
Leiden schlimmer sind, als äusserliche, und uns, wie
wir oben gezeigt haben, mitten im Ueberflus ande
rer Dinge, verunehren und unglücklich machen
können; wenn das Leben, von der besten Seite be
trachtet, nur ein ungewisser Besitz ist, den wir
verlieren können: so werden wir etwas gewahr
werden, das furchtbarer ist, als der Tod, und wir
werden Gründe finden, aus welchen es bey gewis
sen Gelegenheiten unser Vortheil seyn kan, unser
Leben zu wagen. Wenn der Tod alle Gedanken
völlig endigte: so würde zwar alles Gute aufhö
ren; allein, es könten auch keine Uebel weiter
erfolgen.
unsrer Natur. 341
(Eilfter Abschnitt.)
-- --
num triste videtur
Quicquam? nonne omni somno securior extat
?
Da wir aber auch nach dem Tode, unter einer güti
gen Vorsehung, daseyn werden; so ist dieses ein herr
licher Bewegungsgrund zur Standhaftigkeit in ei
ner jeden würdigen Sache. Was für eine Stärke der
Seele mus nicht diese Hofnung jedem Tugendhaften
bey der Furcht vor dem Tode, oder vor einigen Uebeln,
die ihn befördern, verleihen? Dieses ist die drit
te Tugend.
Die Klugheit ist die Fertigkeit, auf die
Natur der verschiedenen Gegenstände, welche un
sre Begierden erregen können, aufmerksam zu seyn.
Sie führt uns zu einer genauen Untersuchung an,
wie wichtig sie an sich selbst sind, und was für Fol
gen sie entweder in Ansehung der grössern besondern
Glückseligkeit des einzelnen Wesens, oder in Ab
sicht auf die Glückseligkeit des Systems, haben
können. Diese Tugend wird einigermassen von der
Uebung der andern drey vorausgesetzet, und sie
wird gemeiniglich in der Ordnung zuerst genennet:
ob gleich die Gerechtigkeit die höchste ist, aus wel
cher die andern alle herfliessen. Wir wollen uns
aber hierbey nicht aufhalten. Die eigentlichen
Betrachtungen, und die Mittel, diese vier Tugen
den zu erlangen, müssen aus demjenigen zu erken
nen seyn, was oben von der Vergleichung der ver
schiedenen Arten von Guten und Uebel, und von
den höchsten Vergnügungen unsrer Natur gesagt
worden ist.
(Erstes
Buch.)
342 Die höchste Glückseligkeit
III. Viele werden durch unbedachtsame Vor
(Jrrthümer.) urtheile abgehalten, ihre Seelen zu bilden, und sie
zu allen Tugenden geschickt zu machen. Wir wer
den von der schimmernden Ehre verblendet, welche
gewisse grosse glückliche Unternehmungen in höhern
Ständen begleitet. Wir können zugeben, daß
diese Tugenden das edelste Vergnügen gewähren,
allein sie sind zu hoch, als daß viele sich zu ihnen
emporheben könten. Ja, so gar Personen von ho
hem Stande verzagen, wenn sie keine unumschränk
te Gewalt besitzen. Die Gemüthsbeschaffenhei
ten und die Thorheiten, oder die verderbten Ein
bildungen anderer, verhindern alle ihre guten Ab
sichten. Sie werden unwillig, wenn ihnen diesel
ben fehlschlagen, und hören auf, sich nach der Tu
gend zu bestreben, weil sie an dem schätzbaren Ver
gnügen, das sie begleitet, verzweifeln.
Die Seele wider dieses Vorurtheil zu be
wafnen, müssen wir uns erinnern, daß die Wirk
lichkeit und Vollkommenheit der Tugend, und die in
einer ruhigen Seele darüber entstehende Zufrieden
heit, nicht von dem äusserlichen Fortgang, sondern
von der innern Verfassung der Seele abhängt.
Auch mitten in der Ungewisheit, ob unsre Unter
nehmungen gelingen, und ob wir Ehre dadurch er
langen werden, oder nicht, in der Ausübung der
Tugenden, die das allgemeine Beste, oder, wenn wir
diese nicht in unsrer Gewalt haben, derjenigen, die
eingeschränktere Vortheile befördern, beständig fort
zufahren; ein gütiges Verhalten zu beobachten, un
unsrer Natur. 343(Eilfter Abschnitt.)
geachtet man weis, daß es verborgen bleiben wird;
sich dem Willen des höchsten Geistes ohne
Ausnahme zu überlassen; mit dem uns zugetheil
ten Loos vergnügt zu seyn; alle neidische Regungen,
und alle Gedanken, die sich wider die Vorsehung
empören, zu unterdrücken; den festen Entschlus zu
fassen, so lange, bis dieser sterbliche Theil von uns
in die Erde hinabsinken wird, von der er genom
men ist, auf der Bahn, die uns Gott und die
Natur vorgezeichnet hat, standhaft fortzuwandeln;
alles dieses mus, in den Augen des allsehenden
Geistes, und nach dem Urtheil eines jeden
weisen Mannes, edler und erhabner seyn, als die
glänzendern Tugenden eines guten Glücks. In
diesen entdeckt man weniger Reinigkeit und Ein
falt, weil die reitzende Vorstellung der Ehre und
gewisser Vortheile in dieser Welt, einen grossen An
theil an den Neigungen haben, oder für die han
delnde Person die vornehmsten Bewegungsgründe
gewesen seyn können.
Wenn wir zweifeln, ob wir Ehre erlan
gen, und ob wir alles Gute, das wir zur Absicht
haben, auszuüben fähig seyn werden: so ist es eine
erhabene Beschäftigung für die Seele, stets so viele
vernünftige und gesellige
Handlnngen<Handlungen> auszuüben,
als in ihrem Vermögen steht; alle ihre Pflich
ten sorgfältig zu beobachten, und das übrige
Gott zu überlassen. Wer sagt uns, was für
ein grössers Gut zu erreichen ist, wenn alle tu
gendhafte Menschen ihre Kräfte auf diese Art
(Erstes
Buch.)
344 Die höchste Glückseligkeit unsrer {et cetera}.
anwenden, ungeachtet sie ungewis sind, ob ihnen
ihre Unternehmungen gelingen werden, und unge
achtet sie vielleicht voraussehen, daß sie sich der
Gefahr einer Misdeutung und Verläumdung
aussetzen? Oder, wie viel schlimmer würde es
um alles stehen, wenn alle Tugendhafte sich von
diesen Besorgnissen zurückhalten liessen, und nachlässig
würden? Wenn die Tugend, durch die Ueber
windung äusserlicher Gefahren und Hindernisse,
rühmlicher wird; so mus auch die Ueberwindung
dieser innerlichen Abhaltungen, und die auf keine
Ehre, auf keinen öffentlichen Beyfall, gegründete
Beständigkeit, die Verschmerzung der Undank
barkeit derjenigen, welchen wir gedient haben,
und die Zufriedenheit mit dem stillen Zeugnis un
srer Herzen, und mit der Hofnung des göttlichen
Beyfalls, den Werth der Tugend ungemein erhö
hen. Auf diese Art kan die erhabenste Vortref
lichkeit, und die daraus entstehende Glückseligkeit
und innere Freude, auch bey den widrigsten Schick
salen, erreicht werden; und kein Stand des Le
bens ist von dem Genus des höchsten Gutes aus
geschlossen.
Ende des ersten Buchs.
[voriger Abschnitt] 1/21 [nächster Abschnitt]
4
*
Man sehe die tuscula
nischen Fragen des
Cicero im dritten und vierten Bu
che nach. Virgil sagt:
Hinc metuunt, cupiuntque,
dolent gaudentque
------
Von den Stoikern, den ge
schwornen Feinden der Lei
denschaften, wurde selbst
der Gottheit die β^%/{ου}λησις
und %)ευλάβεια und χαρὰ,
im vollkommensten Grade
beygelegt. Aber alle diese
waren von einer höhern
Gattung, als die unruhigen
Leidenschaften. Von dieser
Eintheilung wird hernach
weiter gehandelt.
5
*
Dieses hat Plato im
neunten Buche von der
Re
publik und
Aristoteles in
der Sittenlehre sehr wohl
beschrieben.
6
*
Aristoteles nennt im
vierten Abschnitt seiner Poe
tik den Menschen ζ%;ωον
μι- μητικώτατον.
7
*
Im dritten Buche von
der Republik.
8
**
Plutarch im Leben
des Lykurgs.
9
***
Man sehe die Unter
suchung im dritten Ab
schnitt des ersten Buchs.
10
*
Wenn man dieselben
alle zu Empfindungen der
äusserlichen Sinne machen
und läugnen wollte, daß es
eine von denselben unter
schiedene Empfindungskraft
gebe: so würde man eben
sowohl behaupten müssen,
daß das Vergnügen der
Geometrie oder Perspectiv,
sinnlich wären, weil wir
durch die Sinne den Be
grif von Figur empfan
gen.
11
*
Man sehe den Zu
schauer im 412 Stück, und
die Untersuchung über die
Schönheit.
12
*
Man sehe den zwey
ten Abschnitt, der Un
tersuchung über die Tu
gend.
14
*
im fünften Abschnitt des ersten Buchs der Sittenlehre.
15
*
Wir verstehen durch
die Selbstliebe blos das
Verlangen nach unserer
eigenen Glückseligkeit.
Weil das Wort Liebe oft
für Hochachtung ge
braucht wird, so haben
sich einige eine allgemeine
Selbsthochachtung vor
gestellt, oder ein Bestre
ben, den moralischen Cha
racter und die Vollkom
menheiten andrer, unsern
eigenen nachzusetzen; wel
ches der deständigenbeständigen Erfah
rung derjenigen, die beschei
den und gegen sich selbst
mistrauisch sind, gerade
widerspricht.
16
*
Das Verhältnis, ge
gen unsre eigene höchste und
edelste Vergnügungen, wel
ches uns die besten Schrift
steller des Alterthums, und
Lord Schaftesbury ange
geben haben, bestehet darin
nen, „daß wir aus einem
Bewustseyn der innern
Freude und Würde der Tu
gend, welche alle andre
Vergnügungen übertrift,
„den Entschlus fassen, uns
allen edlen und grosmüthi
gen Bewegungen unsrer
Herzen zu überlassen, und
die niedrigen Vortheile
dieses Lebens zu verach
ten.“ Sie bilden sich aber
dabey keineswegs ein, daß
wir, auf den Befehl unsers
Willens, neue Neigungen in
uns hervorbringen könten,
welche uns die Natur nicht
eingepflanzt und mit ihren
eigentlichen Ursachen ver
knüpft hat. Sie glauben
auch nicht, daß alle grosmü
thige Neigungen aus einer
Betrachtung eines eigenen
Vortheils herrühre. Die
sem Begrif widersetzen sie
sich mit dem grössten Eifer
und den stärksten Gründen.
17
*
Eine umständliche Un
tersuchung dieser Beschaf
fenheiten würde uns von
unserm gegenwärtigen Vor
haben zu weit entfernen.
Wir müssen uns dahero
auf die Erklärungen des
moralischen Gefühls be
ziehen.
18
*
Man sehe die Untersu
chung über die Schönheit.
19
**
Appetitus qui longius
euagantur
-- a quibus non
modo animi perturbantur
verum etiam corpora. Lioet
ora ipsa cernere iratorum,
aut eorum, qui libidine ali- qua, aut metu commoti sunt,
aut voluptate nimia gestiunt.
Cic. de Offic. L. I. c. XXIX.
21
*
Man sehe oben den zehnten § des vierten Abschnitts.
22
*
Quum scelus admittunt, superest constantia. Quid fas
Atque nefas, tandem incipiunt sentire, peractis
Criminibus. Juu. Sat. 13.
23
*
Humiliorum appetitu- um moderator pudor
, ist der
Ausdruck des Cicero. Das
Wort wird wirklich oft in
einem weitläuftigern Ver
stande für unser morali
sches Gefühl genommen;
und α%)ιδὼς wird von den
Griechen in eben diesem Um
fange gebraucht.
24
*
Man vergleiche die
Einwürfe des Lucrez wider
den Bau der Erde, welche
er in folgender Stelle vor
trägt, mit unsern gegen
wärtigen Entdeckungen in
der natürlichen Historie:
Quodsi iam rerum ignorem primordia quae sint,
Hoc tamen ex ipsis coeli rationibus ausim
Confirmare, aliisque ex rebus reddere multis,
Nequaquam nobis diuinitus esse paratam
Naturam rerum: tantum stat praedita culpa.
Principio, quantum coeli tegit impetus ingens
Inde auidam partem montes, siluaeque ferarum
Possedere, tenent rupes, vastaeque paludes,
Et mare, quod late terrarum distinet oras.
Inde duas porro prope partes feruidus ardor
Assiduusque geli casus mortalibus aufert,
Quod superest arui, tamen id natura sua vi
Sentibus obducat, ni vis bumana resistat,
Vit caussa valido consueta bidenti
Ingemere, {et} terram pressis proscindere aratris.
Si non foecundas vertentes vomere glebas,
Terra%:ique solum subigentes cimus ad ortus:
Sponte sua nequeant liquidas existere in auras:
Et tamen interdum magno quaesita labore,
Cum iam per terras frondent, atque omnia slorent,
Aut nimiis torret feruoribus aetberius sol,
Aut subiti perimunt imbres, gelidaeque pruinae;
Flabraque ventorum violento turbine vexant.
Praeterea genus borriferum natura ferarum,
Humanae genti infaustum, terraque marique
Cur alit, atque auget? cur anni tempora morbos
Important? quare mors immatura vagatur?
Tum porro puer, vt saeuis projectus ab vndis
Nauita, nudus bumi iacet, infans, indigus omni
Vitali auxilio: cum primum in luminis oras
Nixibus ex aluo matris natura profudit:
Vagituque locum lugubri complet, vt aequum est
Cui tantum in vita restet transire malorum.
At variae crescunt pecudes, armenta, feraeque:
Nec crepitacula eis opu' suntnec cuiquam adbibenda est
Almae nutrieis blanda atque infracta loquela:
Nec varias quaerunt vestes pro tempore coeli.
Denique non armis opus est, non moenibus altis
Queis sua tutentur, quando omnibus omnia large
Tellus ipsa parit, naturaque daedala rerum.
L. V. v. 195 -
236.
Virgil vertheidigt die
Vorsehung, wegen des müh
seligen Zustandes der Men
schen, in dieser schönen
Stelle:
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pater ipse colendi
Haud facilem esse viam voluit, primusque per artem
Movit agros, curis acuens mortalia corda,
Nec torpere graui passus sua regna veterno.
Ante Jouem nulli subigebant arua coloni:
Nec signare quidem aut partiri limine campum
Fas erat. in medium quaerebant: ipsaque tellus
Omnia liberius, nullo poscente, ferebat.
Ille malum virus serpentibus addidit atris
Praedarique lupos iussit, pontumque moueri:
Mellaque decussit foliis, ignemque removit
Et passim riuis currentia vina repressit:
Vt varias vsus meditando extunderet artes
Paullatim, {et} sulcis frumenti quaereret berbam;
Vt silicis venis abstrusum excuderet ignem:
Tunc alnos primum sluuii sensere cauatas:
Nauita tum stellis numeros et nomina fecit
Pleiadas Hyadas, claramque Lycaonis Arcton
Tum laqueis captare feras, et fallere visco,
Inventum, et magnos canibns circumdare saltus.
Atque alius latum funda jam verberat amnem,
Alta petens: pelagoque alius trabit bumida lina.
Tum ferri rigor, atque argutae lamina serrae:
( Nam primi cuneis scindebant fissile lignum) Tum variae venere artes. labor omnia vincit
Improbus, et duris urguens in rebus egestas.
L. I. Georg. 121 -
146.
25
*
Man könte diese ge
meine Betrachtung für hin
länglich klar und gewis hal
ten; allein Θερσίτης δ' %)ετὶ
μ%;{ου}νος %)αμετροε{;;}πὴς
%)εκο- λῴα.
Bayle sagt uns in
seiner Reponse à un Pro-
vincial, ch. 77. „daß wir
eine ordentliche Empfin
dung des Vergnügens ha
ben würden, wenn alles
gut wäre: und daß uns
eine fühlbare Verminde
rung dieses Vergnügens
unsre Gefahren sattsam
angekündiget haben wür
de.“ Wir finden aber, daß
noch stärkere Ankündigun
gen der heftigsten Schmer
zen, nicht allemal von
Schwelgerey und Unmäs
sigkeit abhalten, und auch
selbst Leute von einem ge
wissen Alter nicht vorsich
tig genug machen. Was
wird also unvorsichtige und
junge Leute abschrecken?
Diese Verminderung, wo
von er redet, könte wirk
lich hinlänglich seyn, wenn
die Menschen so albern wa
ren, und auf weiter nichts,
als auf die von ihm voraus
gesezte Empfindung merkten.
26
*
Wir wollen dieses noch
deutlicher machen. Wenn
keine bestimmten Gesetze
vorhanden wären: so wür
de niemand versuchen, sich
zu bewegen. Die Bewe
gung würde nicht auf sei
nen Willen folgen, oder sie
würde wenigstens seiner
Absicht nicht gemäs seyn;
oder sie würde eben so oft
mislingen, als von statten
gehen. Wir könten von
keinem Versprechen ande
rer abhängen, und keinen
Fortgang unsrer Arbeiten
hoffen. Die Speise wür
de oft aufhören, uns Un
terhalt zu geben, und der
Mangel derselben würde
uns weder Schmerz ver
ursachen, noch den Tod be
fördern. Die Körper wür
den in ihrem Stande der
Ruhe oder Bewegung nicht
verharren, und ihre Theile
würden nicht zusammen
hängen. Niemand würde
bauen, pflanzen, säen, oder
uns mit Kleidung versehen.
Wenn auch die Welt blie
be: so würden wir doch
keine Ordnung in ihr wahr
nehmen. Gift würde uns
Nahrung geben, und Wun
den würden uns zuweilen
Vergnügen machen.
27
*
Aristoteles im ersten
Buche von der Seele, und
Clarke haben diesen Beweis
aus unserm Bewustseyn,
daß bey der grossen Menge
von Empfindungen, Urthei
len, Neigungen, Begierden,
das empfindende und han
delnde Wesen eins ist, mit
vielem Nachdruck angefuh
ret, Man sehe auch Bax
ters scharfsinniges Buch
über diese Materie.
28
*
Dieses ist die Be
schrelbung des
Aristoteles:
Ενέργεια κα%)τ %)αρετην
%)αριϛήν %)εν βίῳ τελείῳ.