Das Ebenbild. Eine Fabel des la Motte.
Die Welt ist voller falscher Beurtheiler. Man zeige ihnen ein gutes
Stück: ihre unwissende Kühnheit schreibt es, kraft ihres Ansehens, einem
Stümper zu. Sie finden darinne weder Geschmack, noch Stärke, noch
Richtigkeit. Es misfällt ihnen bald hier, bald dort etwas. Sie schimpfen
und verdammen alles im Namen der neun Musen. Ach! meine Herren,
das thut der Stolz, und nicht der feine Geschmack. Nur eure Unwissen
heit, ihr sogenannten Kenner, ist Schuld daran.
Ein gewisser Mensch wollte sich malen lassen. Ein jeder will ein
mal in seinem Leben gemalet seyn. Es ist der Eigenliebe eigenthümlich,
daß sie Ebenbilder liebt. Diese Kunst, welche uns abmalet, scheinet uns
auch zu vervielfältigen. Das ist nicht unsere einzige Thorheit. Als das
Ebenbild fertig war, wollte unser Mann das Urtheil seiner Freunde,
in der Malerey erfahrner Leute, darüber vernehmen. Betrachtet es, sagte
er, und seht, ob ich getroffen bin, und ob es meine Gestalt ist. Gut,
sagte der eine, man hat Euch schwarz gemalt, und Ihr seyd doch weiß.
Der andere sprach: Was für ein verdrehtes Maul! Die Nase steht nicht
am rechten Orte, setzte ein dritter hinzu. Ich möchte wohl wissen, ob
Ihr solche kleine und finstre Augen habt? Und wozu dienen denn diese
Schatten? Kurz, Ihr seyd es nicht, es muß ganz anders gemalet werden.
Der Maler schreyt vergebens dawider; umsonst ärgert er sich. Auf diesen
Rathschluß muß er wieder anfangen zu malen. Er arbeitet und verbessert,
es gelingt nach seinen genommenen Maaßregeln, und er wollte dieses
mal sein ganzes Vermögen drauf setzen, daß es vollkommen getroffen
wäre. Die Kenner werden wieder zusammen beruffen, und sie verdammen
noch einmal das ganze Stück. Das Gesicht, heißt es, ist zu lang, die
Backen sind eingefallen, die Haut ist runzlicht, Ihr seyd schmutzig und
wie ein Mann von sechzig Jahren gemalt; und, ohne Schmeicheley, Ihr
seyd jung und schön. Nun gut, sagte der Maler, ich muß es noch ein
mal machen. Ich verspreche es euch recht zu machen, oder ich will meinen
Pinsel darüber verbrennen. Als die Kenner weg waren, sagte der Maler
zu dem, der sich malen ließ: Wenn ich Eure Freunde bey ihrem rechten
Namen nennen darf, so sage ich Euch, daß sie privilegirte Unwissende
sind; und wenn Ihr erlauben wollt, so will ich sie morgen ertappen.
Ich will eben so ein Bild, aber ohne Kopf, malen, und an dessen Stelle
sollt Ihr Euren Kopf hinhalten. Laßt sie morgen wieder kommen; es
soll alles fertig seyn. Ich bin es zufrieden, antwortet jener. Lebt wohl,
bis auf morgen. Der Schwarm dieser Kunstverständigen versammlete sich
den Tag darauf wieder. Der Maler zeigte ihnen das Bild ein wenig
von ferne, und sagte: Nun, gefällt euch dieses besser? Was dünkt euch?
Wenigstens habe ich den Kopf von neuem mit großem Fleiße gemalet.
Warum laßt Ihr uns wieder ruffen? sagten diese. Warum zeigt Ihr
uns diesen unausgearbeiteten Entwurf noch einmal? Wenn wir es auf
richtig sagen sollen, er ist es ganz und gar nicht; Ihr habt es noch
schlimmer gemacht. Ihr irret euch, meine Herren, sprach der Kopf; ich
bin es selbst.