Text

Le Joueur [Auszug]

1) Le Joueur, in drey Aufzügen. Nach dem Entwurfe des äl tern Riccoboni den 6ten December 1718. zum erstenmale aufgeführt.

Der Beyfall, welchen dieses Stück erhielt, war ein hinlänglicher Beweis, daß dieser Charakter, welchen Regnard bereits so glücklich auf das Theater gebracht hatte, auch noch von einer andern Seite, mit nicht geringerm Glücke, vorgestellt werden können. Der neue Spieler war in allen seinen Handlungen Spieler, und der Zuschauer erkannte ihn durchgängig darinn. Sein Bedienter war der einzige, dem die herrschende Leidenschaft seines Herrn für das Spiel bekannt war; seine Gebieterin selbst wußte von dieser seiner Schwachheit nichts; sie bildete sich vielmehr ein, daß er sein einziges Vergnügen an der Weltweisheit und an den schönen Wissenschaften habe, und daß er es nur aus Bescheidenheit und Wohlstand nicht eingestehen wolle. Dahin deutete sie denn auch alle Handlungen, die etwa seine wahre Meynung hätten verrathen können. Die Verwicklung des Stücks war einfach
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und voller Handlung, deren Feuer sich bis an das Ende vermehrte. Die Fabel war folgende. In dem ersten Aufzuge ist der Spieler auf dem Puncte sich zu verheyrathen, und der Oheim seiner Braut kömmt mit dem Notarius, ihn den Heyrathscontract unterzeichnen zu lassen. Der Notarius ver langt seine Bezahlung von ihm, da er aber alles die vorhergehende Nacht verloren hat, so weis er ihn in der Geschwindigkeit nicht besser los zu werden, als daß er ihm eine goldene Tabatiere verspricht, und ihn also sehr zufrieden fortschickt. Kaum ist der Notarius weg, so kömmt ein Schuldner, der ihn um fünf und zwanzig Pistolen mahnet, die er ihm ehedem geliehen. Eine neue Verwirrung, und neue Compli mente; doch der Schuldner bleibt hartnäckig und läßt sich nicht ab weisen; was ist also zu thun? Der Spieler giebt ihm seinen Hey rathscontract zum Unterpfande, und verspricht ihm, daß er ihn vor allen andern von der Mitgift bezahlen wolle. Kurz darauf meldet man seine Gebieterin bey ihm an; und weil er von ihr für keinen Spieler angesehen seyn will, so steckt er geschwind ein Spiel Karten, welches auf dem Tische lieget, zu sich in die Tasche. Indem er aber das Schnupftuch herauszieht, reißt er zum Unglücke einen Teil der selben mit heraus, welche seiner Gebieterin vor die Füsse fallen, die doch im geringsten keine üble Auslegung davon macht, sondern ihn mit dem Gebrauche, den Gelehrte gemeiniglich von den Karten machen, auf eine verbindliche Weise entschuldiget. Und für einen Gelehrten hält sie ihn in allem Ernste. In dem zweyten Aufzuge giebt er seiner Gebieterin ein Festin, und eben als der Ball seinen Anfang nehmen soll, kömmt ein See officier von seinen Freunden dazu. Dieser Mensch hat ganz und gar keinen Geschmak am Tanzen, und beredet den Spieler unvermerkt, in ein Seitenzimmer mit ihm zu gehen, um eine Viertelstunde mit ein ander da zu doppeln. Unser Spieler, der jetzt ziemlich bey Gelde ist, und das Spiel weit mehr, als seine Gebieterin liebt, bittet sie, den Ball unterdessen immer zu eröfnen, mit der Versicherung, daß er den Augenblick bey ihr seyn wolle. Er hält ihr auch wirklich Wort, kömmt aber in einer solchen Verwirrung und mit so wilden Augen wieder zurück, daß man leicht errathen kann, er müsse alles verloren haben.
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Seine Gebieterin, die nichts weniger, als die wahre Ursache seiner Verwirrung und Unruhe vermuthet, zwingt ihn, in diesem peinlichen Zustande eine Menuet mit ihr zu tanzen. Er weigert sich vergebens; sie führt ihm zur Ursache an, daß ihm das Tanzen am allerersten den philosophischen Streit wieder aus dem Kopf bringen werde, den er ohne Zweifel eben itzt mit seinem Freunde, dem Seeofficier, gehabt habe. Der Spieler, um die wahre Ursache seiner Verwirrung zu ver bergen, giebt seiner Gebieterin also die Hand; da aber seine Zer streuung gar zu stark ist, so unterbricht er nicht selten den Tanz und ist bloß mit seinem Verluste beschäftiget. Bald sagt er seinem Be dienten, dem Harlequin, etwas ins Ohr, welches denn nicht selten Verwünschungen seiner selbst sind; bald sucht er überall in seinen Taschen, ob er gar nichts übrig behalten: und endlich überläßt er sich dem Unglücke, das ihm zugestossen, so sehr, daß er zum Schlusse der Menuet ganz allein auf dem vordersten Theile des Theaters tanzet, indem seine Gebieterin ganz hinten gleichfalls allein tanzet, welches zu einem sehr lächerlichen Theaterspiele wird. Kaum aber hat sich der Spieler aus dieser Verwirrung herausgerissen, als er in eine an dere verfällt. Harlequin, den er vor seinem Verluste zu dem Tracteur geschickt hatte, um ein grosses Abendessen, nach dem Balle zu bestellen, bringt ihm die traurige nachricht, daß der verdammte Tracteur eher durchaus nichts hergeben will, bis seine alte Rechnungen bezahlt wären; alles was er habe ausrichten können, wäre dieses, daß er den Tracteur mit hergebracht, um selbst mit ihm zu sprechen. Der Tracteur kömmt: der Herr und der Bediente bitten ihn leise und thun ihm alle mögliche Versprechungen; er bleibt unerbittlich. Seine Gebieterin wird unterdessen ungeduldig, siehet nach ihrer Uhr und findet, daß sie stehen geblieben ist; sie giebt sie dem Spieler, um von ihm zu erfahren, ob sie wirklich nicht gehe. Der Spieler nimt sie und wendet sich wieder zu dem Tracteur, um ihm, wo möglich, noch zu bewegen; dieser aber, als er die Uhr sieht, fragt ihn geschwind, ob er sie ihm zum Unter pfande geben wolle? der Spieler hält diesen Einfall für eine Ein gebung, und sieht sich auf einmal aus seiner Verwirrung. Er giebt ihm die Uhr sogleich, wendet sich zu seiner Gebieterin, und sagt ihr, daß ihre Uhr wirklich stehen geblieben sey; wenn sie es aber für gut
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befände, so wolle er sie diesem Manne (indem er auf den Tracteur zeiget) mit geben, welcher ohne Zweifel der geschickteste Uhrmacher in dem ganzen Reiche sey. Das junge Frauenzimmer ist es zufrieden, und der Spieler läßt die Uhr dem Tracteur mit den Worten, daß er sie morgen früh nur wieder bringen und seine Bezahlung sogleich dafür erhalten solle. In dem ersten Auftritte des dritten Aufzuges sieht man den Spieler voller Verzweiflung; nachdem er sich so lange zwingen müssen, und sich nun allein befindet, fängt er sein übles Glück, nach aller Bequemlichkeit, an, zu verwünschen und zu verfluchen. Harlequin, als ein redlicher Diener, nimt sich die Freyheit, ihm wegen seiner Auf- führung Vorstellungen zu machen; allein er fällt ihm so gleich ins Wort, und versichert auf das theureste, daß er nunmehr fest beschlossen habe, niemals wieder zu spielen; nach diesem Entschlusse fühle er sich auch wieder in der vollkommensten Ruhe; in eben dem Augenblicke aber verrathen seine Gebehrden und seine Augen eine inner Verzweiflung, die seinem Vorgeben widerspricht. Unterdessen nimt er sich doch vor, um die müßige Zeit, die er sonst auf das Spiel verwandt, anderwerts anzuwenden, sich auf die Poesie zu legen. Nachdem er die verschiedenen Gattungen derselben erwogen, so wählt er die dramatisch komische, weil ihm sowohl die Vortheile, als das Vergnügen in die Augen stechen, die ein Verfasser nothwendig geniessen müsse, dessen Werke öffentlich aufgeführet werden, und den Beyfall des Publicums erhalten. Um seinen Geist nun immer darauf vorzubereiten, so befiehlt er dem Harlequin, ihm ein poetisches Werk zu hohlen. Harlequin bringt ihm eines, welches den Titel führt: der Spieler, ein Lustspiel des Herrn Regnard. kaum aber hat Lelio, so heißt unser Spieler, die Augen auf diesen Titel fallen lassen, als er es zornig wegwirft, und die Unverschämtheit der Schriftsteller verwünscht, die sich, einen so wackern Mann, als ein Spieler sey, auf die Bühne zu bringen, unterstehen dürfen. In eben dem Augenblicke kömmt der Bruder seiner Gebieterin zu ihm und fragt, ob er ihm nicht die Zahlung eines Wechselbriefes von vier tausend Livres vorstrecken könne. Lelio be kömmt die Gedanken, daß er sich mit diesem Wechselbriefe vielleicht um so viel eher wieder helfen könne, da sich eben neue Spieler bey ihm eingefunden haben; er macht sich also kein Bedenken dem Mario, dem Bruder seiner Braut, zu versprechen, daß er es mit Vergnügen
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thun wolle, und indem er den Wechsel vor sich hat, läßt er sich auch sogleich in das Spiel ein. Der Gläubiger, der in dem ersten Aufzuge vorgekommen, und dem er seinen Heyrathscontract zum Unterpfande gegeben, kömmt zu dem Mädchen der Flaminia, und fragt sie, ob ihre Gebieterin wirklich den Lelio heyrathe. Er läßt sich übrigens nicht lange bitten, ihr zu sagen, daß ihm Lelio, zur Versicherung einer be trächtlichen Summe, den Heyrathscontract eingehändiget habe. Violette giebt sogleich ihrer Gebieterin davon Nachricht; diese aber, die noch immer für den Lelio eingenommen ist, will es nicht glauben, und kömmt auch eher nicht aus ihrem Irrthume, als bis sich der Tracteur wieder einstellt, sich entdeckt, ihr die Geschichte des Lelio erzehlt, und ihn für den entschlossensten Spieler erklärt. Endlich wird sie völlig davon überzeugt, als sie zwey Spieler aus dem Hause des Lelio kommen sieht, die das Silberzeug und die Stoffe, welche sie ihrem Bräutigam geschenkt, mit sich wegtragen. Sie entschließt sich den Tracteur zu be zahlen, um ihre Uhr wieder zu haben, und verspricht den beyden Spielern, das Silberzeug und die Stoffe einzulösen. Lelio kömmt dazu, voller Verzweiflung wegen seines neuen Unglücks, und findet sich zwischen seiner Gebieterin, dem Oheim und dem Mario, den er um den Wechsel so schändlich gebracht hat. Jeder nimmt von ihm auf die empfindlichste Art so wie es sein unordentliches Leben verdienet, Abschied; und er bleibt stumm und ohne Verantwortung da stehen. Zu seinem Glücke kömmt noch ein Freund dazu, der ihn aus dieser Verwirrung reißt; er sey, sagt dieser Freund, im Begriffe sich einzuschiffen und nach Peru zu gehen, und komme also, von ihm Abschied zu nehmen. Lelio ant wortet ihm kein Wort, sondern hohlet seinen Degen, seinen Mantel und seinen Hut, und bietet sich ihm zu Reisegefährten an. Der Freund ist es sehr wohl zufrieden; sie gehen also mit einander ab, nachdem Lelio vorher von dem Harlequin, dem er das Wenige, das ihm noch übrig geblieben, läßt, Abschied genommen, und ihn gebeten, seine Gläubiger zu versichern, daß er sie in Peru nicht vergessen wolle.


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