Text
Deß Leimenden Antwort.
HOchgeehrte gute Freunde/
vertrawte liebe Gesellen/ nach dem jhr an stat der hochlöblichen
Fruchtbringenden Gesellschafft/ mir als dem geringsten unter euch die hohe
fürnehme Ehr angethan/ und ein verdeutschtes Buch/ darinnen einem meines [A
iij r] Tauff Namens allerhand nützliche Lehren vorgeleget werden/
1 im abgewichenen Jahr zugeschrieben/ hab ich
mich schüldig erkant/ auch willig befunden/ mein danckbares Gemüth in etwas
zu beweisen/ hiermit dessen eine kleine Anzeige zu thun. Bedancke mich
demnach zum aller höchsten/ daß jhr bey einem so löblichen Werck meiner/ als
deß wenigsten eingedenck sein wollen/ vnd die Wahl dieser Zufertigung/ einer
der ersten Früchte unsers wolgemeinten Fürhabens/ auff mich fallen lassen:
deß Verzugs meiner bißher angestandnenen Antwort halben/ bitte ich ümb
Verzeihung/ auß || [
145] Vrsachen/ das jhr hochverständig leichtlich zu
ermessen/ wie angezogene so viel vnd schöne Vnterweisungen von einem meines
Zunamens/ in so kurtzer Zeit/ wegen mancherley mit hauffen zufallenden
Anliegen/ damit er seiner Art und Natur nach/ stetig behafftet und
angefochten/ nicht mögen ergründet werden. Mir nun/ auff ewer Begehren ein
Gnügen zu thun/ hat ein anders nicht einfallen wollen/ als von dem jenigen
zu melden/ so mein Name und Gemelde/
2 bey dieser löblichen Gesellschafft/ mit sich
bringet. Vnd ob es zwar außwertigen fremd und seltzam möchte fürkommen/ das
ich dergleichen Namen erwehlet/ so getröste ich mich doch deß Vrtheils in
ewrem Schreiben gesetzet/ darinnen
a jhr gnugsam zuverstehen
gebet/ wie man dem Guten alleine anzuhangen und anzukleben/ dahin dan
n euch der beste und meiste Leim meines theils
gerichtet sein sol. Zu ergetzung aber/ und damit jhr und menniglich die
Eigenschafft dieser von mir angenommenen Frucht recht einnehmen und fassen
möget/ sol hier angezeiget werden:
b Erstlich/ wie diese Frucht
deß Mispels oder Känsters/
3 und wo sie wächset: Fürs ander/ wie
der Vogel-Leim davon zugerichtet wird: Fürs dritte/ worzu
c
dieser Leim zu gebrauchen: Vnd fürs vierdte/ wie diß Wort zwar in einen
andern Verstandt gezogen/ aber sich doch dessen Bedeutung fast niemand
entschlagen kan/ und derjenige alleine [A iij v] der Glücklichste/ welcher
seinen Leim am besten zugebrauchen und anzulegen weis.
1. Der Mispel oder Känster nun wächst auff allerhand Bäumen/ doch
meistentheils auff denen so da Alt seyn: die Bäwme darauff er gefunden wird/
sind nachfolgende mit Namen: Apffell/ Birn/ Haseln und Eichbäwme/ Linden und
Bircken/ als wol der alte starcke Dornbusch. Er erzeuget sich von dem
Vogelschmeiß der grossen Krammetvogel. Dann wann sie allerhandt VogelBeer/
von denen sie jhre Nahrung haben/ wie auch von den weissen Beerlein so in
dem Känster erwachsen/ gefressen/ auff vorgemelte Bäwme herumb fliehen/ und
jhren Schmeiß darauff fallen lassen/ so wachset daraus/ vornemblich aber aus
den noch überbliebenen und nicht gantz verdaweten Körnlein oder Beeren/ der
Mispel/ oder Känster. Es ist auch gläublich/ das der fast abgestorbene Bawm
durch diesen schleimigen/ doch warmen schmeiß/ seine wachsende Krafft zum
theil wieder erlanget/ hierzu gleichsam gedünget/ angefeuchtet/ und dann der
gleichen natürlichen Außtrieb desto eher mit hülffe darzu bequemlichen
Wetters/ heraus kommen lässet. Allhier aber wird nur von dem/ so auff den
Aepffeln und Birnbäumen wächset/ und wie derselb zu bereitung deß
Vogel-Leims angewendet wird/ eigentliche Meldung geschehen: Dann was so wol
dieses als anderer Bäwme Mispel natürliche Bezeichnung/ Eigenschafft/ Krafft
und Wirckung ist/ wie sie zur Artzney gebraucht werden/ oder worzu sie
sonsten gut seind/ solches ist billich den Naturkündigern und Aertzten/
deren Beruff und Ampt dergleichen Geheimnüsse der Natur zu wissen mit sich
bringet/ anheim zu weisen/ kan auch ins künfftige mit Raht und zu thun
derselben weitleufftiger außgeführet werden.
2. Wiewol nun aus andern Gewächsen/ sonderlich aber dem Stechpalmen/ oder
Walddisteln (deß Grünen unse[A iiij r]rer Gesellschafft Gemälde)
4
der VogelLeim auch zugerichtet wird/ so ist doch der/ so aus dem Apffel und
Birn || [
146] Mispel gemacht/ der beste für allen andern/ ja der in
allem Wetter/ Winter und Sommers-zeit am meisten helt: Seine
Zubereitung
5 ist
diese: Man nimmet die dickesten Stengel deß vollkommenen Känsters/ ohne die
Blätter/ so darzu nicht taugen/ und lesset dieselben/ wann sie zuvor in
einem Tiegel geröstet/ oder in etwas erwärmet/ und mit wenigem Leinöhl fort
und fort der notturft nach angefeuchtet/ auff einer Stampmüle wol stossen/
und sie also/ wie man mit dem Rübesaat/ Lein und andern dergleichen Samen zu
thun pfleget/ wol klopffen und schlagen/ das darauß der Safft gehet/ oder
ein Oel gepresset wird/ welches der Leim an jhm selbsten ist: Vnd da er wol/
wie gemeldet/ sonderlich aber der Farbe halten sol/ muß er alßdann mit ein
wenig Terpentin nebst dem Leinöhl angemacht
6 werden.
3. Vnd dieses Leims Gebrauch erkläret sein vorgesatzter Name/ dann er
allerley gattung Vögel groß und klein/ zu fahen/ auffgehoben und angewendet
wird. Wie nun deß Geflügels eine grosse Menge/ also ist auch die Weise/ sie
mit dem Leim zu fahen/ mancherley. Die/ welche dem Namen am nähsten kommet/
ist die Leimstange/ so in der länge eines langen Spießes/ auff ein achtzehen
werg Schu/
7 den grossen Hopfstangen an der Stärcke fast
gleich/ darinnen werden auff beyden Seiten die Leimruten so fein dichte und
wol bestrichen/ in sonderbare durchgebohrte Löcherlein/ zwey Ellen von unden
auff die höhe/ fest eingestäckt/ und die Vögel mit einem Kautzen/ und deß
Vogelstellers oder Leimstänglers gepfeiffe herzu gelocket. Die Leimstange
wird vom Vogelsteller durch das Holtz auff der Achsel getragen/ ist unden
mit einem spitzen Eisen und Tritt beschlagen/ auff das er sie/ wo Vögel
verhanden/ in das Erdreich desto baß eintretten kan/ hat darneben das
Keützlein
8 in der Handt/ auff einen niedriegen spitzen
Stecklein/ oben [A iiij v] mit einem auffgenäheten Küßlein versehen/
ruhend.
b Da er nun Vögel vermercket/ setzet er die
Stange für eine
n Bawm abwärts ein/ das Keutzlein
unden vor/ welches an einem Fuß einen langen starcken Bindtfaden angebunden/
den windet er mit einer Schnurrollen ab/ und leget sich ausser der Witterung
vom wind hinter einen Strauch/ mit einem Blat im Munde/ und verstelleter
Stim
me/ die Vogel herzu lockend/ und das
Keutzlein zu außbreitung der Fliegel/ als wann sichs wehren wolte/ mit dem
Faden anziehende. Die närrischen Vögel/ so dem Kautzen von Natur
gehässig/
9 vermeinende denselben zuvertilgen/ da
sie doch wenig Vermögen darzu haben/ kommen mit hauffen an/ stechen von
allen Ecken ringsher auff jhn/ und weil sie nichts nähers als die Leimstange
darauff zu sitzen und zu ruhen finden/ fallen sie unvorsichtig gleich auff
dieselbe/ und bleiben also elendiglich daran bekleben und behengen:
b der Vogelsteller aber hat ümb seine Mühe die
Lust und den Nutzen darvon/ und werden auff diesem Weidewerg
10 allerhandt Vogel groß und klein/ als
Schnerren/
11 Amseln/ Trusseln/
PfingstVogel/
12 Blaw- und
d Grünspecht/
Holtzschreyer.
13 Dann von kleinen
Vögeln: Meisen/ Stiglitz/ Zeising/ Henffling/ Nachtigaln/ Rothkelchen/
Bachsteltzen/ Wipstertzen/
14 und andere mehr gefangen: Ja
es hat sich wol zugetragen/ das zufälliger weise ein Eichhorn/ da es von
einem Bawm auff den andern springen und hüpffen wollen/ und die Leimstange/
darzwischen stehend/ angetroffen/ daran behengen blieben/ und nicht loß
kommen mögen. || [
147] Dieser Vogelfang gehet an zu ende deß
Brachmonats/ nach dem Fest Johannis deß Täuffers/
15 wann die Vögel außgehecket/
16 und die Alten mit
den Jungen herümb fliehen/ wehret auch fortan den gantzen Sommer hindurch
biß in den Herbst.
Ferner ist noch eine andere Art mit dem Leim die Meisen absonderlich zu
fangen/ und wird ein Meisensprüe
17 ge[A v r]nandt/ nicht mit der Eule/ aber nur an einem
darzu bereiteten Ort/ mit sonderen darzu auffgeworffenen Flederwischen:
18 wie auch eine andere
in Welschland zur Herbstzeit gebräuchlich/ und in einem niedrigen Büschlein/
darinnen in der mitten ein selbbewachsenes Hüttlein/
19 und vielerhand
Lockvögel/ zugerichtet/ worauff die groben Vögel/ mit kleinen Leimruthen/
wann sie darauff fallen/ sich fangen und wann sie die Ruhten außgezogen/ bey
der erden herüm
bflatternde leichtlich mit Händen
können ergriffen werden. Weil aber die erste Art zu dem lustigen versta
nd deß LeimName
ns/ mehr als
diese un
d andere sich reimet/ als wil ich es für
dißmal hierbey bewende
n/ derer Beschreibu
ng anstehe
n lassen/ un
de zu de
n
unterschiedene
n Bedeutunge
n deß Name
ns schreitten.
Setze daneben abermals beyseit den Tischer/ Sattler/ Buchbinder und andern
Leim und Kleister/ welcher ob er schon ebener gestalt ein anhängiges und
klebriges thun ist/ so ist er doch so hoch und edel als der VogelLeim nicht
zu achten/ sintemal jener von keinem lebendigen Thiere zugleich mit
entstehet/ und sonsten von wegen allerhandt allzufest anhafftender
Vnreinigkeit/ die nicht leichtlich abgehet/ billich von allen Adelichen
Hertzen gemieden und gehasset wird/ darentgegen dieser aus vorgemelter
Vrsachen seines Vorzugs/ und weil man sich seiner gar bald mit einem reinen
klaren Brunnen Wasser entbrechen kan/
20 der Lust und Nutzens darbey
zu geschweigen/ fürnemblich zu lieben/ loben und zu preisen/
4. Weiter/ den namen deß Leimenden/ den ich mir erwehlet/ belangende/ und was
etwa
f von dem Leim und Leimen für ein lustiger und
kurtzweiliger Verstand und Meynung erwachsen/ sollet jhr wissen/ das ich
eben in diesem verdeutschten und mir zugeschriebenem Buch dergleichen
gefunden/ da in dem fünfften Gespräch/ deß Zweiges gedacht wird/ den alle
Menschen ins gemein haben/
21 welcher sonder
zweiffei in der Bedeutung auch einer von [A v v] diesem/ Leimkänster oder
Mißpel gewesen/ und daher nicht unbillich ein Leimzweig zu nennen. Ja ihr
wollet euch unbeschwert berichten lassen/ wie dieser Leimzweig bey allen
Ständen so tapffer und weidlich/ gleich durchgehend/ sich finden lesset.
Dann es Leimen ja Potentaten/ Fürsten und Herren/ da sie friedlich leben
könten/ und doch Krieg haben wollen: Es Leimen alle Gelehrten/ welche die
jenige für närrisch achten/ so offte am wenigsten jrren: Es Leimen meist
alle Geistlichen und Pfaffen/ von wegen deß thörichten Ehrgeitzes und
auffgeblasener Hoffart/ so bey jhnen ist: Es Leimen alle Soldaten/ die zum
Tode ümb ein schnödes geringes Geldt in vollen bügen
22 lauffen: Es Leimen alle Kauffleute/
sintemal sie jhren Zweck und Ende auff das vergengliche Goldt setzen: Ja der
Leimet auch/ der mit einem grossen Schatz vieles Geldes und Gutes seine
Thorheit vermeinet zu überleime
n oder zu zudecken.
Mit der Leimstange lauffe
n alle blinde Verliebten/
dan
n sie seind nur d
er
Leute || [
148] Affenspiel: Ja wer da lebet der Leimet/ aber noch mehr
d
er jenige/ der seinen Leim allzu sehr verdecken
und verbergen wil. Ebener gestalt Leimet der/ so da vermeinet/ er habe nicht
etw
as von diesem Narren oder leim zweig. Es
Leimet der gemeine Pöfel/ und alle Handwercksleute/ die von den Reiche
n Hülffe und
g Gaben hoffen. Es Leimen
Knechte und BawersLeute/ die jhren Herren zur Lust noth leiden. Ja es Leimet
beydes wer jmmer in Freuden und Wollust lebet/ und der sein närrisches Thun
auff dieser Welt zu sehr beweinet/ oder belachet. Es Leimet der/ so sich zu
sehr bemühet/ den Vndanckbaren und Mißgünstigen zu gefallen zu seyn. Wie
auch der so andere tadelt/ und seine eigene Werck nicht erweget? Ja wer
lieber ümb frembde Sachen/ als seine eigene Thorheit wissen wil. Es Leimet
der/ welcher zu viel gläubet und liebet/ und der/ so keinen Glauben und
Liebe hat. Ein Leimstengler ist der/ so sich selbst berüchtiget/ andern
damit eine Ehre anzuthun/ und Nutzen zu schaffen. [(A vj)r] Ja der Leimet
auch/ so da vermeinet
h seinen Jrrthumb mit dem Leim zubedecken.
Es Leimet der/ so nimmer auff seine Sachen gedencket/ und der/ so mit
allzuviel Gedancken sein Gehirn schwächet. Es Leimet der/ so das seinige
ohne einzige Maß verschwendet/ und hernacher zum Spottvogel wird. Aber gar
ein schlimmer nicht tügender
23 Leim ist
das/ wann einer die Boßheit mit der Thorheit vereiniget. Es Leimen alle
Jungfrawen/ die jhren Liebhaberen ein Tod seyn / und doch den Mantel nach
jedem Wind hengen. Es Leimen die Hoffleute/ so zu Hoff jhr Leben zubringen/
darmit sie hernacher in einem Sawwinckel in Noth und Elend sterben. Ja es
Leimet der/ so da hoffet bey dieser Welt ein rechtschaffenes Vergnügen
mitten in dieser thörichten Leymerey zu haben. Dieweil dann hierdurch der
gantzen Welt
i bekandt ist/ daß ein jedweder dergleichen
Zweig deß Leims oder Thorheit hat/ wie hette ich mich dann als der wenigste
davon außschliessen sollen/ Ja ich habe viel mehr dadurch an Tag geben
wollen/ das der Leim so gar böse nicht ist/ wann er nur zu rechter Zeit und
nicht zur Vnzeit gebraucht wird/ ja kein lebendiger Mensch sich dessen
entschlagen könne: Derhalben dan
n der Grüne gantz
verständig das Wort Nicht ohne Leim/
24 an sich genommen. Wil sonst
mit meiner Antwort der hochlöblichen Gesellschafft nicht lenger verdießlich
sein/ weniger anjetzt gedencken/ waß massen in den alten Geschichten
vielfältige Beyspiel gefunden werden/ das auch bey hohen und tapfern Leuten
zu zeiten es das ansehen gewonnen/ als wann dieselben Geleimet/ und zum
Beschluß alleine noch dieses hinzu gefüget haben/ das wir vns billig dahin
allesampt befleissigen sollen/ weil wir doch in diesem leben ohne den Mangel
deß angebornen Leims nicht sein können/ derselbe nur zum guten/ und Nutz
damit zu schaffen möge angefeuchtet/ sonsten aber alle verdrießliche
Vnfläterey/ darunder ich den andern Leim/ ausser diesem/ setzen thu/ abge[(A
vj v)] schaffet/ sein und bleiben. Solches ist unserer Gesellschafft Zweck
und durchaus gemeß/ und ich werde mich gegen die selbe mit aller
Bereitwilligkeit jederzeit erfinden lassen. Geben in meinem Leimstüblein/
den ersten
Aprilis/ im
Jahr 1621.
Ewer allezeit unterdienstlicher guter Freund und Gesell/
Der Leimende.