Text

230430
Curt Dietrich aus dem Winckel an die Fruchtbringende Gesellschaft
[Inhaltsverzeichnis]
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230430

Curt Dietrich aus dem Winckel an die Fruchtbringende Gesellschaft


Stellungnahme zu 210401. Vgl. 200125. Die lobende Erwähnung des Gesellschaftsnamens und Mottos Aus dem Winckels (Der Grüne, FG 35) in einem Schreiben Jost Andreas' v. Randow (Der Leimende, FG 22) an eine Gruppe von Mitgliedern der FG veranlaßt den Grünen, nach zweijährigem Zögern Randow seinen Dank nicht privat abzustatten, sondern die Ehrung in einem Brief an die Gesellschaft zu erwidern. Das (mehrdeutige) Wort Leim, das auch im Motto Aus dem Winckels (s. Anh. I u. II) vorkommt, soll die Menschen zur Selbsterkenntnis und Klugheit führen. Der Gesellschaftsname des Grünen gibt Anlaß zu allegorisierenden Reflexionen über seine Impresenpflanze (Stechpalme), die von deren Bezeichnung, von botanischen und medizinischen Eigenschaften und von der Verwendung im Haushalt und beim Falkenfang ihren Ausgang nehmen.

Beschreibung der Quelle

Q[F. Ludwig, Hg.]: Der Fruchtbringenden Gesellschafft | Abgegangenes Schreiben |
An den | Leimenden | Vnd dessen Antwort | An die gantze Gesellschafft. | auch | Des Grünen darauff erfolgter | Send-brieff. | [Holzschnitt-Vignette] | M. DC. XXIII. Bl. [Avj]v - [Aviij]r. - HAB: Lo Kapsel 9 (2).

Anschrift

AFehlt. Vgl. 200125.
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Sendt-brieff deß Grünen

An Die Fruchtbringende gesellschafft.
Vber sein genommenes Gemählde und Wort.1


HOchgeehrte gute Freunde Vertrawte Liebe gesellen: Es hat der Leimende in seinem Leim bericht/ gegeben am ersten Aprill deß 1621. Jahrs/ meines Namenß und worts mit sonderlichen Lob und ruhm gedacht/2 dannenhero ich verursachet worden/ den sachen in meinem wenigen Verstande nach zu sinnen/ auch in etwaß angestanden gegen wehme ich mich danckbar hierunder bezeigen solte/ entweder gegen jhne/ den Leimenden besonders/ nach dem solch mein Lob-gedechtniß durch ihn ans tageliecht kommen/ oder aber gegen die gantze Hochlöbliche Fruchtbringende gesellschafft/ deren es zugeschrieben worden/ ist also dannenhero von mir wie wol ein zweyjähriger verzug meines stilschweigens/ doch entlichen auch dieser schluß erfolget/ ich würde besser thun/ wann [(Avij)r] ich das gemeine dem sonderbahren vorzöge/ und gegenwertiges danckschreiben an hoch und vorgedachte gantze Gesellschafft abgehen liesse/ do dann nicht köndte unterlassen werden/ zugleich seines Lobwürdigen geselligen Edlen gemüths/ welches dann allezeit einem anderem zu seinem preiß und Ehren behülfflich ist/ zugedencken/ und jhme lieber insgemein vor menniglich/ als in seiner gegenwart alleine/ sein gebührendes lob hinwieder zugeben/ ja man hette mich vielleicht für gar zu Grün achten und schetzen mögen/ wann ich lenger meine gebühr hindangesetzet oder gar stillgeschwiegen hette.
Wolle demnach so wol die gantze Löbliche Gesellschafft/ als insonderheit der Leimende negst behöriger dancksagung/ vor die mir wiederfahrne Ehr und ruhms/ jhnen nicht zu wieder sein lassen/ das ich auß solcher anleitung etwas vom Leim insgemein/ doch kürtzlich/ und dann von meiner genommenen Frucht und Leim insonderheit/ die notturfft andeute.
Wie wol nun in vorangezogener schrifft der lustige verstandt deß Leimworts genugsam auß/ und durch alle Stände fast hindurch geführet worden/ so wil mich doch bedüncken dieses darbey außgelassen sey/ d weil der erste und alle nachfolgende Menschen ihrer jrdischen art nach/ von dem Leim3 jhren Anfang Vrsprung und herkommen haben/ ein jedweder sich so viel destoweniger seiner Leymerey und Leimarten zu vberheben/ sondern im zurückdencken desto vorsichtiger damit vmbgehen solle/ auff das er nicht darinnen verjrret/ verwickelt und gantz verklebet bleiben/ und also demselben zwar kennen/ auch gebrauchen/ aber nicht mißbrauchen möge/ und weil diese erinnerung von meiner einfalt nicht übel auffgenommen werden kan/ do ich daß andere alles den hochverständigen der Natur und weißheit kündigern anheim stelle/ so wil ich nun ferner zu dem vor mich gehabten zweck schreiten. [(Avij)v] || [185]
Den Namen deß Grünen habe ich mir genommen/ weil die gestalt dieses gestreuchs der Stechpalmen oder Waldtdiesteln/ sonsten an etlichen ortten Teutschlandes auch Hulst4 genandt/ im Stengel und den blettern/ die auff dem rande stachlicht/ inwendig aber glat/ ausser den beerlein so es tregt/ welche Lichtroter farbe seind/ gantz und stetig Grün ist/ darnebenß im wort andeutende/ d wir in hohen sachen von wegen deß Jrrdischen Leims/ dessen kein Mensch ohne ist/ nur gar zu frisch kalt und Grün seindt/ und nimmer zur rechten vollkommenen reiffe in diesem jrdischen Lebena gelangen können. Auff die Natur krafft wirckung und gebrauch dieses Baums aber wieder zu kommen/ so solb derselbe als die Naturkündiger5 schreiben/ warmer und feuchter natur sein/ Jm Leibe werden die bletter sehr wieder das seiten stechen und husten zu pulver zerstossen/ und im trunck eingegeben gebraucht. Also treiben auch die beer dieses gewechses/ wenn deren zehen oder zwölffe eingenommen/ denen so das grimmen haben/ den zähen schleim auß dem Leibe. Von aussen ist sein gebrauch also/ wenn jemandt verrenckte oder verhärte glieder hette/ der siede diese Wurtzel und bähe den gebrästen damit/ so zerweicht und zerlöset es die harte beulen am gantzen Leibe. Die bletter sonderlich da sie jung werden von dem schaffviehe/ ob sie schon stachlicht gar gierig gessen/ und außgeklaubt/ an den beeren suchen die Vögel jhre Narung.
Wie den insonderheit das anmutige waldt vögelein die Nachtigal/ welche sonderzweiffel dannenhero/ das auch sie deß nachts alzugleich jhren gesang mit dichtet/ den namen hat/ zu diesem gestreuch eine grosse beliebung trägt/ und unter seinen schatten jhr verlohrnes gespiel mit hefftigen klagen wieder an und zu sich locket. Man pfleget auch die bletter an die ortc vmbher zu hencken/ wo Speckseiten oder gesaltzen Fleisch hanget/ dann sie mit jhren stacheln den Meussen wehren/ das sie nicht darzu kommen mögen.6 Damit aber [(Aviij)r] der Leimende hier nebst nicht in den wahn verbleiben möge/ er sey mit seinen Vogel-Leim alleine der beste/ so verachte ich zwar solchen nicht/ besonders zu kleinen gevögell/ habe aber dieses dabey meiner noturfft nach vermelden sollen/ das der Leim so von den abgescheiten rinden dieses Baums auff nach folgende masse zugerichtet wird/ viel fester/ zäher/ an sich ziehender auch haltender/ ja edler ist/ sintemal damit die vornembste besten Beißfalckend 7 gefangen werden/ und wil ich also dem Leimenden als einem Liebhaber des Weydewercks zu sonderbahrer gegen-dancksagunge die bereitung dieses Falckenleims hiermit gelehret haben/ das er nemblich die abgeschelte rinde mit den bletteren in die Erde an einen feuchten ort biß an den zwölfften Tag vergrabe/ und wann solches zusammen verfaulet/ zerstosse/ in reinem Wasser wasche/ und waß zähe und schleimicht bleibet/ zu solchen Vogel Leim gebrauche. Es geben auch etliche vor/ wann man in diese stauden/ weil sie noch jung sein/ weise Rosen peltzet oder propffet/ solche etwas Grünlicht werden sollen.8
Auß welchem allen dann nicht allein jedermenniglich zu sehen/ das dieses von mir genommene Gewächs nicht ohne sonderbahren Nutzen/ fruchten und bedeutung ist/ sondern auch die gantze Hochlöbliche Gesellschafft mein gutes || [186] gemühts jhr und jederman williglich zu dienen verhoffentlich zu spüren/ in dero Genaden und gunst ich mich zum aller fleissigsten mit meinem armen doch wolgewilten Leim befehle. Geben auß meinen Grünen Waldtstübelein/ den letzten April. Jm jahr/ 1623.

Ewer
allezeit unterdienstlicher guter Freundt und Gesell/
Der Grüne.

230430I

Angaben zur Imprese Curt Dietrichs aus dem Winckel , 1622.1

Text


35.
C. D. A. D. W. Der Grüne . Stechpalm oder Walddisteln Nicht ohne Leim.
sampt jhren Beerlein.

230430II

Imprese und Reimgesetz Curt Dietrichs aus dem Winckel , 1624.1

Text


35.

Der Grüne. Stechpalm oder Walddisteln. Nicht ohne Leim.
Hülst ist ein kleine Staud/ die jmmer fort gantz grünet/
Wiewol sie stachlich ist/ das Schaaff sich doch erkühnet/
Vnd klaubt die blätter rab/ sie giebt sehr guten Leim/
Jch bin genent der Grün/ hab auch den Leim daheim:
Wenn er zu starck wolt seyn/ so kan man jhn befeuchten/
Vnd mit der tugend werth/ hell jederman vorleuchten/
Auff daß man grün und new frucht bringe hübsch und fein/
Damit auch nutze den/ so sonst stets Leimend seyn.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Lebeu Druckfehler.
b fol Druckfehler.
c otr Druckfehler.
d Beißsalcken Druckfehler.
e dancksaung Druckfehler.

Kommentar
1 Impresenbild und Motto, vgl. unten Anhang I und II.
2 S. 210401, Text Bl. [A vj]r.
3 Lehm. Goetze, 149.
4 DW IV.2, 1902: „m., ilex aquifolium, stechpalme. ahd. hulis ist von ruscus, dem mäusedorn gebraucht [...], der seit uralter zeit zu zäunen || [187] verwendet wurde, der name scheint mit rücksicht darauf (als hüllender, einschliessender) gewählt, auch nhd. ruscus huls [...]; daneben taxus huls, hulsbaum, verderbt holczbaum [...]; mit angetretenem t zufrühest niederländisch: hulst ruscus silvestris, [...] hulst führen norddeutsche dichter in die Schriftsprache ein [...].” Weitere Belege zu 'huls' bei Benecke-Müller-Zarncke I, 122.Schmeller I, 1096; Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Begr. u. angelegt v. Anneliese Bretschneider. Bd. 2, Neumünster 1984, 744; Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Hgg. Karl Schiller, August Lübben. Bd. 2, Bremen 1876, 331.
5 S. Pier Andrea Mattioli: Kreutterbuch Deß Hochgelehrten vnd weitberühmbten Herrn D. Petri Andreæ Matthioli [...] gemehret/ vnd verfertiget/ Durch Ioachimum Camerarium (1627: Franckfurt am Mayn 1626), Bl. 46: „Dieser Baum ist warmer vnd feuchter Natur. [...] Etliche loben die Bletter sehr wider das Seitenstechen/ vnd Husten/ So man sie zu Pulver stößt/ vnd zu trincken gibt. Die Beer dieses Gewechs X. oder XII. eyngenommen/ treiben den jenigen/ so den Grimmen haben/ den zähen Schleim auß dem Leibe. [...] So jemand verrenckte oder verhärte Glieder hette/ der siede diese Wurtzeln/ vnd bähe den Gebresten damit/ es hilft/ denn es zerweicht vnd zerlöset treffenlich wol die hart Beulen am gantzen Leibe. [...] Die Vögel suchen jhre Nahrung an diesen Beeren.”
6 Mattioli, Bl. 46v: „Diese Bletter pflegt man zu hencken an die Stricke/ daran Speckseiten oder gesaltzen Fleisch hanget/ denn mit seinen Stacheln wehren sie den Mäusen/ daß sie nicht darzukönnen.”
7 Zur Beizjagd abgerichtete Falken.
8 Mattioli, Bl. 46r: „Auß seiner Rinden machen etliche Vogelleim also: Sie vergraben die abgescheite Rinde mit den Blettern in die Erde an einem feuchten Ort/ biß an den zwölfften Tag/ alsdann wann sie verfaulet ist/ stossen sie es/ vnd waschens in seinem Wasser/ was zähe vnd schleimicht bleibt/ das brauchen sie für Vogelleim. Wenn man in diese Stauden/ dieweil sie jung seynd/ weisse Rosen peltzet/ sollen sie etwas grünlecht werden.” Vgl. Hieronymus Bock: Kreutterbuch [...] vbersehen [...] Durch [...] Melchiorem Sebizivm. (Straßburg 1577: Josias Rihel; Reprint Grunwald b. München 1964), Bl. 376 v.

K I
1 Gesellschaftsnummer, Initialen, Gesellschaftsname, Beschreibung des Impresenbilds und „Wort" Aus dem Winckels im GB 1622.

K II
1 GB 1624, Bl. [Biiij]r: Gesellschaftsnummer, Gesellschaftsname, Beschreibung des Impresenbilds, Motto und Reimgesetz (älteste Fassung des Gedichts) Aus dem Winckels . Vgl. die Interpretation des Reimgesetzes in Conermann II, 87f.
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