Die Zeitgenossen haben das Wirken der Fruchtbringenden Gesellschaft (1617- nach 1680) mit großer
Erwartung, viel Lob, aber auch manchem Tadel begleitet — wie dies der ersten,
größten, bedeutendsten und wohl auch umstrittensten deutschen Sprachgesellschaft
gemäß war. Bestrebungen der Renaissance und Reformation fortführend hatte sich
die Sozietät, ähnlich wie andere europäische Akademien der frühen Neuzeit, der
Aufgabe einer neuen nationalen und christlichen Kultur verschrieben. Sie hatte
sich damit auf einen friedlichen Wettstreit der Volkssprachen eingelassen und
zwar zu einer Zeit, welche von langen Kriegen, lähmendem Konfessionshader und
tiefen sozialen, politischen und geistigen Umbrüchen gezeichnet war. Die
Gesellschaft, welche Fürsten, Adlige, Räte, Gelehrte und Dichter von
unterschiedlicher Konfession und Parteizugehörigkeit und von ständisch, regional
und national verschiedener Herkunft zu verbinden strebte, konnte in Anbetracht
solcher Verhältnisse nicht nur eindrucksvolle Leistungen zeitigen, sondern mußte
ihre Energien auch in flüchtigen Erörterungen, überzogenen Projekten und
schließlich in hohlen Zeremonien erschöpfen. Das baldige Verschwinden der
Gesellschaft aus dem öffentlichen Bewußtsein ist indessen nicht allein damit
erklärt. Die Neubestimmung der sich einer Nationalkultur stellenden Aufgaben und
die Verbreiterung der sozialen Trägerschicht in der Aufklärung und Goethezeit,
aber auch die spätere Verengung des nationalen oder regionalen Horizonts, aus
dem die bildungsmäßigen und gesellschaftlichen Gemeinsamkeiten Alteuropas
zunehmend entschwanden, beseitigten in der Folgezeit wesentliche Voraussetzungen
für ein Verständnis der Fruchtbringenden Gesellschaft. Für eine schöpferische
Auseinandersetzung mit dem ethisch und pädagogisch, literarisch und
wissenschaftlich ambitionierten Vorhaben der Akademie waren somit historische
Leitvorstellungen nicht mehr verfügbar, welche in der zugleich national und
gesamteuropäisch eingestellten geistigen Perspektive der Gesellschaftsmitglieder
einst auf den Punkt gebracht waren. Das drückt sich — wie auch bei anderen
Bestrebungen der frühen Neuzeit folgenreich für die Forschung und das
kulturgeschichtliche Bewußtsein — nicht zuletzt in den wenigen unkritischen und
unvollständigen Editionen der Gesellschaftsbriefe und im Verzicht auf die
Aufarbeitung einer großen Anzahl von relevanten Akademie- und Kulturdokumenten
aus. Mit dieser kritischen Ausgabe verfolgen die Herausgeber daher das Ziel, zum
ersten Mal möglichst alle in Angelegenheiten der Fruchtbringenden Gesellschaft
geschriebenen Briefe und wichtigen Akademiearbeiten zu erschließen und das Leben
der Sozietät in ihren bildlichen Ausdrucksformen und in Zeugnissen aus ihrem
historischen Umfeld zu dokumentieren. Die erste Reihe der || [10] Edition,
gegliedert nach den Amtszeiten der drei in Köthen
(1617-1650), Weimar (1651-1662) und
Halle an der Saale (1668-1680) residierenden Oberhäupter, erfaßt in
zeitlicher Reihenfolge die in Sachen der Fruchtbringenden Gesellschaft
gewechselten Briefe und als Beilagen künstlerische Zeugnisse, Akademiearbeiten
und repräsentative Texte aus dem Umkreis der Gesellschaft, d. h. literarische
und wissenschaftliche Werke, Statuten, Listen, Berichte, Gutachten,
Gelegenheitsschriften, Gedichte, Schreiben und andere Materialien. Die
ermittelten Briefe sollen vollständig veröffentlicht werden. Der Umfang und die
Anzahl der überlieferten Beilagen, auch das unterschiedliche Interesse am
jeweils vorliegenden Stück, verlangen dagegen eine Beschränkung auf die für die
Bestrebungen der Fruchtbringenden Gesellschaft repräsentativen oder im
Einzelfall wichtigen Kunstobjekte und Texte. Wenn die Herausgeber den Versuch
unternehmen, möglichst alle Briefe der Forschung verfügbar zu machen, veranlaßt
sie doch die Überlieferung der Quellen zu einer einschränkenden Bemerkung: Da
die Fruchtbringende Gesellschaft insgesamt 890 Mitglieder umfaßte, andere
Sozietäten als Pflanzschulen der Akademie galten und sich auch Frauen und andere
Zeitgenossen an den Arbeiten der Sozietät beteiligten oder darüber äußerten, ist
der Kreis der möglichen Beiträger zum Gesellschaftswerk so groß, daß letzte
Gewißheit über die Erfassung aller Materialien wohl nie gewonnen werden kann.
Dies gilt um so mehr, als die Herkunft der Beiträger aus unterschiedlichen
Ständen, aus fast allen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches und aus anderen
Ländern Europas zu einer Zerstreuung der Quellen und Überreste in vielen
Archiven, Bibliotheken, Museen und privaten Sammlungen geführt hat. Die zweite Reihe der Ausgabe, die nach den drei Perioden gleichfalls in drei
Abteilungen gegliedert wird, bringt wichtige Werke der Gesellschaft zur
Veröffentlichung und dokumentiert die Bildung der Mitglieder und Mitarbeiter,
die Rezeption der Akademie im 17. und 18.
Jahrhundert und die Verflechtung der Gesellschaft mit dem Leben
anderer Sozietäten, des Staates, der Stadt, der Kirche und des Bildungswesens.
In den Aufgabenbereich dieser Reihe fällt die Veröffentlichung von ausgewählten
Quellen der Köthener ratichianischen Bildungsreform, die Publikation von
Gesellschaftsbüchern, die Erschließung von Bibliotheken wie der Fürst Ludwigs von Anhalt-Köthen und die
Edition von Zeugnissen des höfischen Kulturlebens — z. B. des
Nachlaßverzeichnisses dieses Fürsten und der am Hallenser Hof Herzog Augusts von Sachsen-Weißenfels
aufgeführten Dramen. Eine vordringliche Aufgabe stellt die biographische und
bibliographische Erfassung der in der Weimarer und in der Hallenser Periode
aufgenommenen Mitglieder dar, insbesondere derjenigen, die trotz einer
beachtlichen Produktivität von der Literaturwissenschaft übersehen wurden.
Weiterhin soll eine Sammlung von Urteilen und anderen Zeugnissen der
Rezeptionsgeschichte die Grundlage für die Erforschung der Fortune dieser
Akademie schaffen. Den Editionen werden einige Hilfsmittel eher darstellenden
Charakters beigegeben — in Ergänzung früherer Forschungsarbeiten vor allem eine
dokumentierte Geschichte der Köthener fürstlichen Druckerei einschließlich einer
Bibliographie raisonnée und ein alle Mitglieder erfassendes Lexikon. || [11] Im Vordergrund der editorischen Tätigkeit stehen die Briefe und Beilagen mit den
repräsentativen kleinen Akademiearbeiten, da sie die Grundlage für alle weitere
Forschung bilden müssen. Da hauptsächlich für den Zeitraum von etwa 1637 bis 1662 bereits
Quellenpublikationen vorliegen, versuchen die Herausgeber zunächst die größten
Lücken durch Veröffentlichung der Texte aus der frühen Köthener und der
Hallenser Periode der Fruchtbringenden Gesellschaft zu schließen, bevor sie die
entsprechenden Quellen der Zwischenzeit erheblich vermehrt edieren. Ausgewählte
größere Akademiearbeiten und historische Dokumente sollen in lockerer Folge
erscheinen, jedoch nach Möglichkeit in geringem zeitlichen Abstand zu den ihnen
chronologisch entsprechenden Bänden der Briefe und kleinen Beilagen. Die Edition wahrt im Rahmen des verfügbaren Zeichenvorrats die Schreibweise der
Quellen, beschreibt oder reproduziert graphische Besonderheiten jedoch nur,
falls ihnen eine für den Sinn oder Ausdruck wichtige Absicht des Schreibers oder
Setzers zugrundeliegt. Über die Beschaffenheit der Quelle, deren
Aufbewahrungsort und über die Erstellung des Editionstextes geben eigene
Abschnitte bei jedem publizierten Text Auskunft. Vgl. Näheres in der [↗] . Der Erläuterung
der Briefe, Beilagen, Akademiearbeiten und sonstigen Quellen der beiden Reihen
dient in der Regel ein ausführlicher Sachkommentar, der nur bei einigen großen
Werken zugunsten einer einleitenden Darstellung entfallen muß. Eine genaue
Inhaltsangabe begleitet jeden Brief. Sie dürfte in Anbetracht der vielen
fremdsprachigen oder vom Kanzleideutsch geprägten Schreiben dem Benutzer die
Orientierung erleichtern, kann aber auch in vielen Fällen den Kommentar
entlasten. Herausgabe der Quellen und Zeugnisse der Fruchtbringenden Gesellschaft erfolgt
im Auftrag der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, die sich unter der Leitung
ihres Direktors Prof. Dr. Drs. h. c. Paul Raabe dankenswerterweise zur
Unterstützung dieses Vorhabens im Rahmen einer Arbeitsstelle verpflichtet hat.
Unser Dank gilt ebenfalls der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch die
Gewährung einer großzügigen Sachbeihilfe die Inangriffnahme der Arbeiten
ermöglicht hat.