Text

Interim. Ein neues Lied (1548)
bearbeitet von Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Die Autoren

1.1 Cyriacus Schnauß

Der Autor des Liedes „wider das Interim“ gibt sich in Form eines Akrosti-
(5)chons selber zu erkennen. Es handelt sich um den Coburger Apotheker und
Drucker Cyriacus Schnauß (1512–1571). Bereits im Jahre 1538 bewarb sich
Schnauß um die frei gewordene Stelle eines Apothekers in Coburg, die ihm
der Rat jedoch über mehrere Jahre hinweg verweigerte. 1540 zog er dennoch
nach Coburg und eröffnete 1543 trotz der Weigerung des Rates seine Apo-
(10)theke. Als der Rat ihm daraufhin das Geschäft sperren ließ, wandte sich
Schnauß an Herzog Johann Ernst von Sachsen-Coburg, der im Vorjahr von
Kurfürst Johann Friedrich in die Herrschaft über die wettinischen fränki-
schen Gebiete eingesetzt worden war, und konnte so die Duldung und Aner-
kennung durch die ernestinische Stadt erreichen. 1544 eröffnete er eine eige-
(15)ne Druckerei, in der vornehmlich Lieder und Gedichte veröffentlicht wur-
den, die teilweise auch von ihm selbst stammten. Schnauß gilt allerdings als
kein besonders guter Dichter. Ihm soll es vor allem darum gegangen sein, die
Sache der Reformation durch den Druck zu befördern.1

1.2 Johannes Bauerschmidt


(20)Die drei letzten Strophen geben mit Johannes Bauerschmidt, geboren 1526
einen Freund des Apothekers und Druckers Schnauß zu erkennen, der offen-
sichtlich ebenfalls an der Abfassung des Liedes beteiligt gewesen ist. Er
stammte aus Creußen, einer kleinen Stadt in der Fränkischen Schweiz, und
war der älteste Sohn des Creußener Schulmeisters und Stadtschreibers Hein-
(25)rich Bauerschmidt. Er studierte ab dem Wintersemester 1551 in Jena, wurde
1555 in seiner Heimatstadt Diakon, 1560 Pfarrer und Superintendent. 1580
unterzeichnete er zusammen mit den anderen Geistlichen der Stadt Creußen
die Konkordienformel.2

2. Inhalt


(30)Die Schrift ist in vier Teile gegliedert: eine vorangestellte Liedstrophe „ Wi-
der das Interim“, das „mit heyliger Schrifft wolgegründte“ Lied, die Ausle-
gung des Wortes „Interim“ und den Rekonversionseid. Dem Lied ist eine
einleitende Strophe vorangestellt, die unter Anspielung auf die Äsopfabel
„Die Hündin und das Stück Fleisch“ vor einer Annahme des Interims in
(35)evangelischen Gebieten warnt, durch die nichts gewonnen, aber alle Errun-

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-
genschaften der Reformation verloren würden. Das Lied selbst umfasst 18
Strophen, die sich inhaltlich mit der evangelischen Haltung zum Augsburger
Interim beschäftigen. Es ruft dazu auf, am Evangelium festzuhalten und
nicht den Lügen des Interims zu glauben, das Michael Helding, Julius von
(5)Pflug
und Johann Agricola jetzt ans Licht gebracht hätten. Besondere Kritik
erfährt Agricola, da er einst für das Evangelium eingetreten, jetzt aber wie-
der von ihm abgefallen sei. Gott werde ihn einst dafür bestrafen, dass er um
finanziellen Gewinns willen sein Wort verraten habe. Agricola wird den Le-
sern als warnendes Beispiel vor Augen gestellt: Wenn der Teufel sogar einen
(10)Doktor der Theologie betören könne, wie leichtes Spiel habe er dann erst mit
einfachen Christen! Das Lied erinnert an die eschatologische Verantwortung
jedes Christen seinem Schöpfer gegenüber und ruft zur Standhaftigkeit gera-
de in Verfolgungszeiten auf.
Im Anschluss an das Lied folgt eine akrostichische Auslegung des Wortes
(15)„Interim“, das über lange Zeit hinweg die verborgene Maxime des Papstes
gewesen, jetzt aber an den Tag gekommen sei: „Ihr Närrischen Teutschen,
Eur Reich Ist Mein“. Das Augsburger Interim wird so als machtpolitisches
Instrument der Unterdrückung deutscher Territorien durch Rom gedeutet,
bewerkstelligt durch das Religionsdiktat des Augsburger Interims, mit dem
(20)der Papst die Herrschaft in Deutschland anstrebe.
Der letzte Teil der Schrift enthält einen Rekonversionseid, den evangelische
Pfarrer bei der Einführung des Augsburger Interims in einigen Fällen wohl
schwören mussten; dabei sollten sie öffentlich erklären, dass sie von der hei-
ligen römischen Kirche zur lutherischen Ketzerei abgefallen seien. Sie hätten
(25)überdies ihren Priesterstand mit einer ungültigen Eheschließung beschmutzt
und die Sakramente nicht nach der Ordnung der römischen Kirche gereicht.
Doch jetzt, so das Eidesformular, seien sie wieder zur Erkenntnis der Wahr-
heit gekommen, würden sich zur römischen Kirche bekennen und alle Ket-
zereien verdammen, besonders die lutherische. In Zukunft wollten sie die
(30)schärfsten Gegner aller Ketzereien sein, unterwürfen sich darum wieder dem
römischen Kirchenrecht und beglaubigten diese Überzeugung mit ihrer Un-
terschrift. Der Rekonversionseid ist an das Lied angefügt, um die Gefahr zu
unterstreichen, die mit dem Augsburger Interim allen Christen drohte. Es
ging für Schnauß dabei um nichts weniger als um die totale Vernichtung der
(35)Reformation, die es mit allen Mitteln zu verhindern galt.

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3. Ausgaben

Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: INTERIM• || Ein newes vnd || mit Heyliger Schrifft wolge= || gründets
Lied Wider das schne heuchlische || vn gladstreichende Ketzlein /
(5)gnant / Jnterim. || sampt der außlegung des selbigen worts etc. || Darbey.
|| Der erschrcklich / Teuflisch / Antichristisch || Romanistisch vnnd
recht Bapistisch Eyde / || So den armen Pristern (welche das || reyne
wort Gottes verschweeren || vnd das Jnterim an nemen || mssen)
auffglegt wird. || Ht dich (frůmer Christ) für den Katzen / || Die forn
(10)lecken vnd hindten Kratzen etc.
[4] Blatt 4° (VD 16 B 841)
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Ye 3531 [benutztes
Exemplar]
Coburg, Landesbibliothek: Rara I (56, 158)
(15)Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek: Theol.4 1032-1033 (15) R
Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek: d. D. qt. K 123
B: INTERIM• || Ein newes vnd mit Heiliger || Schrifft wolgegrntes Lied /
Wieder || das schne heuchelische vnnd || gladstreichende Ketzlein / ||
genant / || INTERIM. || Auff die weise / Christ vnser Herr || zum Jordan
(20)kam etc. || Ht dich (fromer Christ) fr den Katzen / || Die forn lecken
vnd hindten Kra= || tzen.
etc. [4] Blatt 4° (VD 16 B 839)
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Ye 3533
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 925.17 Theol. (28)
(25)C: INTERIM. || Ein neüwes vnd mit heyli= || ger Schrifft wolgegrüntes
Lied / wider || das schne Heuchelische vnd Glad= || streichennde
Ketzlin / genannt INTERIM. || Auff die weyse / Christ vnser Herr ||
Zum Jordan kam / &c. || Ht Dich (frommer Christ) vor den Katzen / ||
Die forn Lecken vnnd hinden Kratzen.
[4] Blatt 4° (VD 16 B 838)
(30)Vorhanden:
Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek: 8 P
GERM II, 3923 (4) RARA
München, Bayerische Staatsbibliothek: 3 an: 8 P GERM II, 3923
D: INTERIM. || Ein neüwes vnd mit heyli= || ger schrifft wolgegrüntes
(35)Lied / wider || das schne heuchelische vnd glad= || streichende Ketzlin /
genant || INTERIM. || Auff die weyse / Christ vnser Herr || zum Jordan

kam / &c. || Ht dich (fromer Christ) vor den Katzen / || Die forn lecken
vnnd hinden kratzen. [4] Blatt 4° (VD 16 B 840)
Vorhanden:
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Ye 3535
(5)München, Bayerische Staatsbibliothek: P.o.germ. 1687-30
Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 79. L. 136
Eine unkommentierte Edition des „neuen und mit Heiliger Schrift wohlge-
gründten Liedes“ aus dem Jahre 1870 liegt vor in: Philipp Wackernagel, Das
deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhun-
(10)derts. Bd. 3, Leipzig 1870 (Nachdruck: Hildesheim 1990)
, 942–944 (Nr.
1131). Alle vier Auflagen sind ohne Erscheinungsort und Angabe einer Offizin er-
schienen, wurden aber allem Anschein nach alle bei Cyriacus Schnauß in
Coburg gedruckt.3 Das Titelblatt von Ausgabe A rahmt eine bildliche Dar-
(15)stellung der ewigen Verwerfung der Papstanhänger. Der Druck enthält über-
dies im Vergleich zu den weiteren Ausgaben ein einstrophiges Lied „Wider
das Jnterim“ mit Notentext, eine „Entschlüsselung“ des Wortes „Interim“
und den Rekonversionseid im Anhang als Mehrtext. Zudem weist A zu fast
jeder Liedstrophe im Marginaltext Fundstellen bei Agricola und Schriftzitate
(20)auf, deren Anzahl in den weiteren Auflagen auf vier beschränkt worden ist.
Der Liedtext verweist selber auf die Marginalien4 und gibt in A deutlich den
fränkischen Raum als Entstehungsort zu erkennen.5 Die Liedstrophen erfuh-
ren mit Auflage B eine gründliche Revision, bei der sprachliche und rhyth-
mische Glättungen vorgenommen wurden.6 Diese Textform wurde ebenfalls
(25)in C und D verwandt. Damit hat A als Erstauflage zu gelten. Einige sprach-
liche Beobachtungen sprechen dafür, C zeitlich nach B anzusetzen.7 Die
Ausgestaltung mit einer texteinleitenden schmückenden Initiale in D mag
darauf hinweisen, dass diese Auflage nach C entstanden ist. Druck C und D
zeigen in unterschiedlicher Ausführung jeweils eine Katze vor einem Kissen
(30)auf dem Titelblatt als Illustration des Warnverses „Hüt Dich, frommer
Christ, vor den Katzen, die vorn lecken und hinten kratzen“. Als Erschei-
nungsjahr ist bei A 1548 anzunehmen,8 bei den weiteren Auflagen gibt es

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nichts, was einem Erscheinen ebenfalls im Jahr 1548 entgegenstünde. Der
Rekonversionseid fand 1548 noch zwei weitere Ausgaben, die aber keine
inhaltlichen Abweichungen aufweisen.9 Auf eine Textkritik wird darum ver-
zichtet. Die Edition bietet den Text der Erstauflage A. Vermutlich sind die
(5)beiden Separatausgaben des Rekonversionseides unabhängig vom Lieddruck
entstanden. Sie gehen wohl auf ein von altgläubiger Seite benutztes Formu-
lar zurück. Bei den späteren Auflagen des Liedes ließ man allem Anschein
nach den Eid fort, weil er nicht notwendig zum Lied gehörte, durch ander-
weitige Veröffentlichungen inzwischen bekannt geworden war und keinen
(10)Neuigkeitswert mehr hatte.

Kommentar
1  Vgl. zu den biographischen Angaben Höfer, Coburger Buchdruck, 7–11. 38f; Reske, Buch-
drucker
, 139; Emil Weller, Die Lieder gegen das Interim, in: Ser. 23 (1862), 289.
2  Vgl. zu den biographischen Angaben Simon, Bayreuthisches Pfarrerbuch, 402.
3Höfer, Coburger Buchdruck, 38f. weist alle vier Drucke der Offizin des Cyriacus Schnauß zu.
4  Vgl. die Formulierung in A, A 2v: „Volgtt baldt, ehe dann es wird zu spath, vnnd leßt euch
selbst zuliebe Von gantzem Hertzen mit Verstandt die Schrifft, verzeychnet hie am Randt, mit
fleiß von Wortt zu Wortten. Lernet an diesen ortten Streittn wider Hellisch Pfortten.“
5  Vgl. etwa die Formulierung in A, A 3v: „wenge“ , die in den weiteren Auflagen nach „wenige“
geändert wurde.
6  Vgl. die Textkritik im Editionsteil.
7  Hatte Auflage B, A 2v, die süddeutsche Lesart „verleust“ noch aus A, A 2v, übernommen, so
wird sie in C, A 2v, und D, A 2v, mit „verlürt“ an die entstehende Hochsprache angeglichen.
8  Vgl. die Aufforderung zum Hören auf A 1v: „Das achtvndviertzigst Jar vernym.“
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