Text

Von Grickel Interim (1548)
bearbeitet von Hans-Otto Schneider
[Inhaltsverzeichnis]

|| [887]

[A 1v:] [1] Herr Grickel,1 lieber Domine,
von wannen kumpta jr her?
Man solt euch sagen: „Parcite,
wer der frum Grickel wer!“2

(5)[2] Du hast ein schne new gepurt
mit dir von Augspurg bracht;
wie bistu doch so gar vorhurt,
hast nie an Got gedacht.3

[3] Du bringst mit dir ein neues lex,
(10)ein nequam in der haut,4
vnd bist ein rechter narrifex,5
darzu des teuffels braut.

[4] Du bist ein toller esselskopff,
man hrt die eselstim,
(15)denn du nar vnd heiloser tropff
kumpst mit dem Jnterim.

[5] Man wirt dich forthin nennen
„magister Jnterim“,
ein ieder wirt dich kennen
(20)bey deiner eselstim.

[6] Wiltu vns reformiren
– Wie kumstu doch darzu? –
vnd wilt die leut uexiren?6
Der narr7 lest dir kein ruhe.b

|| [888]

a Marginalie am linken Rand
[7] Du bist gleich wie der Bariehu
beim Landtuogt Sergio,9
der leidig geitz10 lest dir kein rhu,
wie auch dem Julio.11

(5)[A 2r:] [8] Zu Meintz dem fladenweiher12
hastu gestanden bey;
es machen vffd einer leier
der bsen buben13 drey.14

[9] Wo ist doch Witzel15 bliben,
(10)das er nite bey euch war?
Nhun hat f er dochf geschriben
lenger den zwentzigk jar.

[10] Er macht ein reformation,
zu Lupnitz16 ists geschehen,

|| [889]

die sol sein auß den bunden schon,17
wir mchten sie gerne sehen.

[11] Der Babst ließ einen streichen,18
der Grickel war nitg faul:
(5)„Du wirst mir nit entweichen!“,
er fast in mit dem maul.

[12] Vom Jnterim, Eisleben,19
vom bebstlichen gestanck
wolt er vns auch gern geben,
(10)desh im der Teuffel danck.

[13] Er ist vom Euangelio
gefallen wol zehenmal,
drumb i wirt er cumi Diabolo
leidenj hellische quall.

(15)[14] Er kan sein hertz nichtk stillen,
tracht tag vnd nacht nachl geldt,
vmb eines groschen willen
verrietm die gantze welt.

[15] Die Marck20 wirt er verrhaten,
(20)wert jhr erfaren all,
mit seinen bsen [A 2v:] thaten
er ist vol bitter gall.21

|| [890]

[16] Er ist ein rechter Simonist,22
ein falscher prediger,
drumb felt er zu dem Antichrist,23
der grosse lgener.

(5)[17] Er ist der rechte Elimas,24
dauon S. Lucas schreibt,
der sein gespt on alle mas
n mit vnserm hern gotn
b Marginalie am linken Rand
treibt.

[18] Judas vmb dreißig silberling
(10)Christum verraten hat,
darumb er sich auch selbst erhing
vnd folgtp des Teuffels rhat.26

[19] Was wirt dir denn geschehen
fur dein verreterey?
(15)Das wirstu noch wol sehen,
die straff nahtq sich herbei!

[20] Dir ist nicht wol zu raten,
man hats gar offt versucht,
hast Christum offt verrhaten,
(20)bist ewiglich verflucht.

|| [891]

[21] Er schempt sich nichtr zu ligen,27
denn er der warheit schondt,s 28
das sich die balcken bigen;29
er ist sein nhun gewondt.

(5)[22] Die warheit hat er verloren
vnd findt sie nimmermehr,
die lgen auserkoren,
ist jm ein grosse ehr.

[23] Erbar let zu uerspotten,
(10)hat er [A 3r] beflissen sich
mit seinen losen zoten,30
das kan er meisterlich.

[24] Er schreibt sich „visitator
totius Marchie“,
(15)ja wol ein viltzitator,31
die hoffart thut jm wehe!t 32

[25] Was solt der esel visitiren?
Er ist ein rechter fantast;33
die Marck wil er verfren,
(20)ist jhr ein schwereu last!

[26] Grickel kan nicht studiren,
er ist vol34 tag vnd nacht,

|| [892]

noch will er reformiren,
vom Babst hat er die macht.

[27] Grickelnv das hellische fer
schon aus den augen dringt,
(5)das lachen wirt jm ther,35
wiewol er darnach ringt.

Marginalien

Textapparat
a  kompt: B, C.
b  ru: C.
c c-c Nicht in B. In C im fortlaufend gesetzten Text zwischen den beiden Strophen [6] und [7]
eingefügt.
d  auff: C.
e  nicht: C.
f f-f doch er: C.
g  nicht: C.
h  dz: C.
i i-i kumpt er zum: C.
j  wirt leiden: C.
k  nit: C.
l  noch: C.
m  vexirt: C.
n n-n mit vnsern Herr Gott: C.
o o-o Nicht in B. In C im fortlaufend gesetzten Text zwischen den beiden Strophen [17] und [18]
eingefügt.
p  folget: C.
q  nahet: C.
r  nit: C.
s  schand: C.
t  wee: C.
u  grosse: C.
v  Grickel:

Kommentar
1  Zu der Namensform, deren sich schon Luther bediente, vgl. Kawerau, Agricola, 3–5.
2  „Verschont uns mit dem angeblich ach so zuverlässigen und getreuen Agricola!“ Vgl. Art.
parcere, in: Habel/Gröbel, 274; Art. fromm 1) und 4), in: DWb 4, 240–242.
3  Anspielung auf ein anderes Spottgedicht: „Wie das newgeborne hurenkind INTERIM zw
Augspurg getaufft wird“. Vgl. auch zum Inhalt dieses Liedes: Kawerau, Agricola, 299, Anm. 1.
4  ein Nichtsnutz durch und durch. Vgl. Art. Haut, in: Goetze, 117.
5  einer, der Narrheiten begeht, wohl auch andere zu Narren macht. Vgl. das Sprichwort „Ein
Narr macht viele Narren“, Art. Narr 12.1, in: TPMA 8 (1999), 397 (Nr. 898–909).
6  quälen.
7  Der Narr in dir. Vgl. Art. Narr 6), in: DWb 13, 358f; Art. Schalk II.2.f), in: DWb 14,
2071–2073.
8  Vgl. Act 13,6–12.
9  Am Hof des römischen Statthalters Sergius Paulus in Paphos auf Zypern lebte ein jüdischer
Magier namens Barjesus bzw. Elymas, der die Evangeliumsverkündigung der Missionare Paulus
und Barnabas zu hindern versuchte, wie in Acta 13,6–12 berichtet wird. Setzte man den
kurbrandenburgischen Hofprediger Agricola in Parallele zum christentumsfeindlichen Hofmagier
Barjesus/Elymas, so könnte man gehofft haben, in seinem zunächst übel beratenen, schließlich
aber doch zum Glauben gelangenden Herrn eine Entsprechung zu Kurfürst Joachim II. von
Brandenburg zu finden.
10  die Geldgier. Vgl. Art. Geiz 4.b), in: DWb 5, 2814f.
11  Gemeint ist höchstwahrscheinlich Julius von Pflug, siehe Anm. 14.
12  Spottname der (Weih)bischöfe, von der Weihe des Ostergebäcks. Vgl. Art. Fladenweiher, in:
DWb 3, 1708; Art. Fladensegner, in: Goetze, 86.
13  Schurken. Vgl. Art. Bube 5), in: DWb 2, 460f.
14  Drei Schurken spielen gemeinsam auf einer Drehleier, sie bilden eine Interessengemeinschaft.
Agricola hatte mit dem Mainzer Weihbischof Michael Helding und dem Naumburger Bischof
Julius von Pflug den Vorentwurf für das Interim geliefert.
16Witzel war 1525 evangelischer Pfarrer zu Wenigenlupnitz in Thüringen gewesen und dort in
die Bauernaufstände verwickelt worden. Trotz seines Bemühens, mäßigend unter den Aufständi-
schen zu wirken, war er seines Amtes enthoben worden, weil er sich nicht gescheut hatte, den

|| [889]

Gutsherrn Dietrich von Farnrode wegen dessen Lebenswandels öffentlich zu rügen; vgl. Ute
Mennecke-Haustein, Art. Witzel, Georg, in: TRE 36 (2004), 257–260; Nikolaus Paulus, Art.
Witzel, in: WWKL² 12 (1901), 1726–1730.
17  beispielhaft schön. Vgl. Art. Ausbund, in: DWb 1, 840f.
18  furzte. Vgl. Art. streichen A.4.d), in: DWb 19, 1194.
19Johann Agricola, nach seinem Herkunftsort auch Islebius oder Eisleben genannt.
20  Mark Brandenburg. Agricola war ab 1540 Hofprediger des Kurfürsten Joachim II. von Bran-
denburg und seit 1543 Generalsuperintendent der Mark. Vgl. Kawerau, Agricola, 235f.
21  voller Bitterkeit, Bosheit. Vgl. Art, Galle 1.e), in: DWb 4, 1185. Angesichts des anschließen-
den Verses vgl. Act 8,23.
22  Simonist meint hier nicht einen Käufer oder Verkäufer kirchlicher Ämter oder Handlungen,
sondern jemanden, der das Evangelium als Handelsware betrachtet und es im Zweifel an den
Meistbietenden verrät; ursprünglich nach Simon Magus, vgl. Act 8,9–24.
23  darum schlägt er sich auf die Seite des Antichrists, betätigt sich als Parteigänger des Teufels.
Als leibhaftiger Antichrist wurde von protestantischer Seite vielfach der Papst betrachtet; vgl.
etwa Cranachs Darstellung des apokalyptischen Tieres und der babylonischen Hure mit der
Tiara, der dreifachen Papstkrone, in den Holzschnitten zu Luthers Septembertestament 1522,
WA.DB 7, 503. 515. Vgl. Grisar/Heege, Kampfbilder II; Schmidt, Illustration der Lutherbibel,
Abb. 51 und 59.
24  Vgl. Anm. 9.
25  Vgl. Act 13,6–12.
27  lügen.
28  Er schont die Wahrheit, indem er keinen Gebrauch von ihr macht.
29  Lügen, dass sich die Balken biegen = unverschämt stark lügen. Vgl. Art. Balke, in: DWb 1, 1089f.
30  nichtsnutzigen derben Scherzen. Vgl. Art. lose II.4), in: DWb 12, 1183f; Art. Zote, in: DWb
32, 123–126.
31  Verbindung aus ‚Visitator‘ und ‚Filtz = Tölpel‘. Vgl. Art. Filz 4), in: DWb 3, 1632f. Kawerau,
Agricola
, 238, schreibt: „Viel-Citator“.
32  Er ist so hochmütig, dass es ihm selbst wehtun müsste.
33  Schwärmer, Narr. Vgl. Art. Fantast, in: DWb 3, 1319f.
34  betrunken. Vgl. Art. voll 9), in: DWb 26, 560–564. Kawerau, Agricola, 298, zitiert eine
briefliche Äußerung des Johannes Brenz gegenüber Veit Dietrich: „Ich höre, daß Eisleben dem
Interim zugestimmt hat. Und das wundert mich nicht. Denn welchen nüchternen Gedanken
vermag ein Mensch, der immer trunken ist, zu fassen?“
35  Er hat nichts zu lachen. Vgl. Art. theuer I.6), in: DWb 21, 369f.
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