Text

Wider das Interim (1549)
bearbeitet von Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

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|| [A 2r:] Oft wenn ich gelesen habe Jn der Heiligen schrifft der Jden Abgt-
terey,1 habe ich mich vber die masse verwundert vnd entsetzt, auch schier
nicht gleuben knnen, das so viel Leute, ehe denn man sichs versehen, von
so hellem Liecht Gttlicher warheit gefallen, falsche Lehr vnd Gottesdienst
(5)angenommen. Jtzund aber sehen wir leider mit grossem hertzleidt, wie der
Adel vnnd Pawer, Frsten vnnd Stedte, welchen Christus, wie Paulus saget,
fr die augen gemalet war,2 dahinfallen vnnd sich dem Antichrist vnnd
Teuffel opffern, das sichs gleich ansehen lest, als weren sie nicht bey gutter
vernunfft, sondern vom Teuffel besessen. Vnd das solchs von jhnen3 nicht
(10)mit vnwarheit geredt wird, mus jderman bekennen, der da bedencket, das
etliche mechtige Herrn vnnd Frsten tausentmal geneigter vnnd vleissiger4
sein, das Interim anzurichten, denn sie vormals gewesen, da sie das Euange-
lion annamen vnnd dem volck zu predigen erleubten.
Wolan, es fare zum Teuffel, wer da will! Jch byn des gewis, das mein Herr
(15)Jhesus Christus lebet vnnd gleube festiglich, er wird sich krtzlich5 mit sei-
ner grossen, mechtigen krafft vnnd Herrligkeit dermassen sehen lassen, das
die Scharhanssen6 wnschen vnnd sagen werden: „Ach hetten wir lieber mit
dem lblichen gefangenen Churfrsten7 Christum besten- || [A 2v:] digk beken-
net denn mit den Jnterimisten triumphiret.“ Jedoch, so noch etliche weren,
(20)die bey Christlicher warheit zu vorharren gedencken, wollen wir zu dersel-
bigen sterckung vnnd zur schmach den abtrnnigen maulchristen etliche ar-
gument, frnemlich wider die Meß auffs allerkrtzte als wir knnen, erzelen
Vnd anfenglich ein wenigk von den Opffern sagen. Die Papisten vnnd Jnte-
rimisten plaudern viel von Opffern vnd wollen dadurch jhre Meß erhalten,
(25)geraten auch entlich in die narheit vnd blindheit, das sie der Heiden opffer
billichen vnd zum behelff, jhre Meß damit zu bestettigen, fren.8 So war ist
das gemeine sprichwort: „Wer eine lgen schmcken will, der bedarff
andere sieben fette vnd wolgemeste darzu.“9 Wir aber, so die ware rechte

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Christliche Lehr von den opffern wissen, knnen vorstendlich vnd krtzlich
dauon lehren, wollen derhalben diesen bericht thun.
Nachdem vnser Vater Adam gefallen vnd durch seinen vngehorsam die sn-
de auff alle menschen vnd der todt durchgedrungen,10 hat Gott alsbaldt dem
(5)Menschlichem geschlecht zugesagt, das durch des Weibes samen solt der
schlangen der kopff zutretten,11 das ist: Snde, Todt vnd alle macht des
Teuffels zurstret vnd zunicht gemacht werden. Mit welcher verheissung
Gott verkndiget hat, es wrde einer nicht || [A 3r:] von Mannes, sondern
Weibessamen geborn werden, der den menschen durch sein blut Gott vor-
(10)snen, von allem jammer, darein er gefallen, erlsen vnnd zur erbschafft
ewiges lebens widderbringen wrde. Diese verheissung hat Gott im Paradiß
gethan vnnd darnach offt erneuert, hat auch geordnet mancherley opffer, die
gleich wie ein finger auff Christum gewiesen, vnd das Gesetz gegeben, vnter
welchem, wie Paulus zun Galatern am iij. Capittel saget,12 gleichwie vnter
(15)einem zuchtmeister das menschliche geschlecht gebet vnd verwaret gewe-
sen ist, biß das die verheissung erfllet vnd der same kommen ist. Nun aber
Gott seine verheissung gegeben, sind wir nicht mehr vnter den satzungen
vnnd schatten von dem, das zuknfftigk war,13 noch vnter dem zuchtmeister,
sondern haben Christum selb. Welchs leiden vnnd verdienst, so wir mit dem
(20)glauben fassen vnnd vns zueignen, so empfahen wir vergebung der snden,
heiligen Geist vnd ewiges leben. Vnnd auff das wir ja dis dester fester vnd
bestendiger gleuben, hat er vns gegeben sein wort vnnd Sacrament, durch
welche er vns seinen gttigen gnedigen willen erkleret vnnd wir vnsern glau-
ben vben vnd stercken sollen. So nun, wie Paulus zun Galatern vnnd He-
(25)breern vnnd sonst an andern rtern mehr nach der lenge lehret,14 alle Cere-
monien vnnd Figuren des alten Testaments auffgehaben, auff || [A 3v:] das wir
deste mehr Christum selbst annemen, so wolt ich gerne von den Papisten
vnnd Jnterimisten aus der Heiligen schrifft hren, mit welchem grund odder
schein sie solche eusserliche Ceremonien, Opffer vnd Gottesdienst, welche
(30)des Babsthumbs voll gewesen, widder in die Kirchen einfren wollen. Diß
sey gesagt von den opffern mit einschliessung des ersten Arguments widder
die Meß.
Folget das ander argument: Alle Gottesdienst, one vnd widder Gottes wort
aus menschlicher andacht gestifftet, sind Abgttisch. Die Papistische Meß ist
(35)one vnd widder Gottes wort. Darumb ist sie ein lautter Abgtterey. Das sie
one Gottes wort ist, beweise ich mit diesem grunde: Jn dem Abentmal des
Herrn hat Christus nichts eingesetzt denn allein die Communion odder
niessung des Leibs vnnd Bluts Jhesu Christi. Welchs aus der Euangelisten

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historien klerlich erscheinet vnd ferner aus den worten Pauli erkleret wird:
j. Chor. xj.15 So knnen die Jnterimisten auch das geringste nicht ertichten,
wie Christus in seinem Abendmal die Meß solt gestifftet haben, damit sie
sich nicht selber inn die backen hawen16 vnnd lgen straffen. Denn das ist
(5)vnwiddersprechlich war: Da Christus sein Leib vnd Blut denen, die mit jhme
zu tisch sassen, reichet, spricht er: „Nemet hin, esset! Nemet hin vnnd
trincket!“ Diese || [A 4r:] wort seint jhe klar vnnd deutlich genug geredt vnd
werden gesagt von dem dingk, so den Communicanten gereichet wird. Der-
halben knnen noch sollen sie von nichts anders vorstanden vnd genommen
(10)werden wider17 dauon sie geredt sein, als nemlich von dem Leib vnd Blut
vnsers Herrn Jhesu Christi, so die gleubigen in der niessung des Sacraments
empfahen. Jch wil allhie trotz bieten dem Eißleben, Pflug18 vnnd andern
Jnterimisten, das sie etwas hiewider reden, vnd weiß frwar, wenn sie gleich
fr19 schreien vnd liegen20 mit allen jhren gesellen zurbersten sollten, das sie
(15)dennoch nichts, das nur ein kleinen schein der warheit haben mocht, erfr-
bringen wrden. Wollen sie aber etwas anders daraus machen denn Christus
beuohlen hat, so ist dasselb im grund nichts anders denn Brod vnd Wein.
Denn, wie oben gemelt, die wrter „nemet hin, esset. Das ist mein Leib“,
„Nemet hin, trincket. Das ist mein Blut“ sollen vnd mssen von keinem
(20)andern ding verstanden werden wider von dem, das vns in der einsetzung des
Abentmals gegeben vnnd von vns in der Communion empfangen wirt.
Weil denn, wie offt gesagt, die wrter „Das ist mein Leib“ etc. nicht knnen
vorstanden werden als allein von dem Leib vnnd Blut Jhesu Christi, welches
die gleubigen in der Communion empfahen, wenn sie sich gleich mit jhrem
(25)lgentichten zu tode drber marterten, so ist es ja ein teuffelische, vnsinnige
vormessenheit21 vnnd || [A 4v:] verachtung Gottes des Allmechtigen, das sie –
welchs gleichwol die Papisten in jhren Canonibus noch nie gethan haben –
schlecht Brod, welches von jhnen geopffert wird, Gottes Sohn nennen vnnd
anstat des waren Heilandes vnd einigen opffers Jhesu Christi ein newen
(30)Christum vnd opffer daraus machen drffen. Das aber die Messe widder
Gottes wort sey, ist aus diesem fundament zu mercken: Die wrter „Esset,
trincket. Thut solchs zu meinem gedechnis“ ziehen sie mit gewalt, wider des
Herrn Christi befehl, widder die helle klare außlegung des heiligen Apostel
Pauli auff ein ander werck. Christus spricht, wir sollen sein Leib essen vnnd

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trincken vnnd seiner dabey gedencken.22 So sprechen sie: „Nein, wir sollen
jhn opffern.“ Jst das nicht den gleubigen das Abentmal des Herrn verendert
vnnd verdamlich gemacht. Denn, wie Paulus spricht, wers nicht isset vnnd
trincket zum gedechtnis des Herrn, der isset vnd trincket jhm das gericht.23
(5)Das aber die Jnterimisten die geschicht odder Historien des Melchisedechs
allegiren,24 kan niemandt verfren denn wer sich selbst mutwilligk wil
verfuren lassen. Denn die wort Gen. xiiij25 gedencken gar keines opffers.
Dazu, wenn solch groß geheimnis – wie die Jnterimisten frgeben – darin
verborgen were, halt ich wol, es hets vns S. Paulus in der Epistel an die
(10)Hebreer, da er weitleufftigk diesen text handelt,26 nicht verschwiegen.
|| [B 1r:] Was belanget den text Malachiae,27 ist denena leicht zu verstehen, die
da wissen, das das heilige Euangelion von Christo damals fast in gantz Asia
durch den Propheten Daniel vnd andere Gottfrchtige Jden war außge-
breittet. Solche ausbreitung vnd Predigt des Euangelij nennet der Prophet ein
(15)Opffer Vnnd redet nicht vom zuknfftigen Opffer der Papisten, sondern von
kegenwertigen, die bereit die Heiden thaten, zelt also die Geistliche opffer28
kegen29 dem Leiblichen, vnreinen, gottlosen opffer der Jdischen Priester,
die Gottes wort felschten vnnd vntreulich lereten. So er aber diese Jdische
opffer mit den heilosen Gotslesterlichen Messopffern – wie die Papisten
(20)daruon plaudern – gegeneinander gehalten hette, wrde er one zweifel nicht
der Jden, sondern der Papisten opffer geschendet vnd verworffen haben.
Das dritte Argument: Es ist ein gewisse anzeigung,30 das die Meß ein lautter
menschen tandt vnnd Teuffels fndlein ist, dieweil jhrer wider Christus noch
die Apostel gedencken, so sie doch sonst mit grossem ernst vnnd vleis alle
(25)ntige stcke Christlicher Lehr getrieben also, das sie den Knechten vnnd
Megden, wie die in jhrem beruff leben sollen, vorgeschrieben. Were die Meß
bey jhren zeiten ein solch seligk opffer gewesen, wie die Jnterimisten
geiffern, – die, so von geringem vleissigk die Christen vormanet, wrden
viel weniger der grossen vnnd nttigsten stck vorgessen haben. || [B 1v:]

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Derhalben auch viel ernstlicher die Meß der Kirchen ehrlich zu halten
befohlen. Aber dauon find man inn jhren schrifften kein wrtlein, on das sie
des Herrn Christi befehl halten vnd vleissigk von der niessung des Leibs vnd
Bluts Christi lehren. Hieher gehret auch, das vnser Herr Gott ernstlich
(5)gebeut, das wir widder zur rechten noch zur lincken von seinem wort
wancken sollen.31
Zum vierden: Wenngleich die Christen das Abentmal des Herrn nach seiner
einsetzung in der Communion recht empfahen, dennoch kan es frnemlich
vnd eigentlich kein opffer, ya auch kein danckopffer genennet werden. Denn
(10)die werck, die Gott den menschen erzeiget,32 als das er vns geschaffen hat,
erneeret, erhelt vnnd ewiges leben zusagt, knnen mitnicht opffer genennet
werden, sondern vnsere werck, die wir Gott erzeigen zum zeugnis, das wir
jhn fr den rechten Gott bekennen vnnd ehren, dieselbigen werden opffer
genennet, als da sind gewesen der Leuiten opffer vnd das vorsneopffer
(15)vnsers Heilands Jhesu Christi, da er sich dem Himlischen Vatter fr vnsere
snd am stam des Creutzes geopffert hat. Die Communion aber ist ein
werck, darmit sich vnser Herr Gott gegen vns gnedigk erzeiget. Denn gleich-
wie der diener im namen Jhesu Christi teuffet, absoluirt vnd mit dem Heili-
gen Euangelio trstet, also reichet er vns an Christi stat auch sein Leib vnd
(20)Blut also, das wirs von jhm in der Communion empfangen vnd nicht, wie in
der Meß geschicht, opffern || [B 2r:] sollen, vnd solches bringen die wort des
Abentmals selbst klerlich mit sich, die also lauten, das der Herr Jhesus jhnen
sein Leib vnd Blut gereichet vnnd zugleich beuohlen habe, das sie nur hin-
nemen vnnd geniessen sollen, das es aber vnserm Herrn Gott zu opffern sey,
(25)wirt nirgent in der Heiligen schrifft beuohlen.
Derhalben gleicherweis, wie es nicht mein werck odder opffer ist, wenn
mich der Priester an Christi stat teuffet, absoluiret vnd mir vorgebung der
snde vorkndiget, also kan das hochwirdige Sacrament des Altars, das mir
der Priester reichet, auch nicht mein opffer genennet werden, ja die Papisten
(30)wissens selbst wol, das Sacramentum vnnd Sacrificium nicht ein ding ist.
Denn vnter so viel Sacramenten, die sie erzelen, drffen sie keines ein Sacri-
ficium odder opffer nennen denn allein das hochwirdige Sacrament des
Altars. Mchte derhalben gern die vrsach solches vnterscheids von den Pa-
pisten hren, das sie so eben die Communion zu einem opffer machen, so
(35)doch die andern Sacramenta nicht Sacrificia odder opffer genennet werden.
Das aber die Communion von den Altuettern „Eucharistia“ ward genennet,
ist darumb geschehen, das allezeit auff die empfahung des Hochwirdigen
Sacraments des Altars ein gemeine dancksagung der Kirchen gefolget ist.33

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Denn diese Ceremonien wrde bey den Alten schier gleicher weiß begangen,
wie sie jtzund in || [B 2v:] vnsern Kirchen gewnlich gehalten wird.34 Wer kan
aber nicht vorstehen, das dieser nam Eucharistia odder dancksagung sich
auff das Sacrament des Altars nicht eigentlich reumet? Denn auff solche
(5)weiß konte wol eines jglichen Christen malzeit „Eucharistia“ geheissen wer-
den, darumb das er vor vnnd nach der speise Gott dem Herrn fr seine
wolthat dancket. Vber das so mag ein yglich gemein gebet vnd dancksagung
der Kirchen mit recht „Eucharistia“ genennet werden, wenngleich keine aus-
teilung odder darreichung des Sacraments darbey geschicht. Derhalben, so
(10)das kein opffer mag genennet werden, wenn die Christen nach einsetzung
des Herrn Christi das Hochwirdige Sacrament des Altars empfahen, wieviel
weniger kan die schentliche papistische Meß ein opffer sein, welches werck
gewinsts35 halben one vnnd widder Gottes wort vnd des Herrn Christi einset-
zung von Heilosen menschen, ja von dem Teuffel selbst, in die welt gebracht
(15)ist. Ferner wollen wir auch etwas sagen von dem Gotteslesterlichen Canone,
auff welchen die Papistische Mess gegrndet ist.

Widder den Canonem.

Es kan niemandt beweisen, das der Canon36 von Christo odder von Aposteln
odder von einem Concilio odder von einem frommen, gottfrchtigen, geler-
(20)ten Man, der etwan ein groß || [B 3r:] ansehen in der Christlichen Kirchen
gehabt, gestellet vnd geordnet sey. Denn, wie Gregorius in seinem Register
schreibet,37 so ist er zusamen getragen vnd -gerafft von einem, den er vor-
echtlich „scholasticum“ nennet vnnd keines ehrtittels wirdigk achtet. Viel
weniger kan niemand mit warheit sagen, das er bald nach der Aposteln vnd
(25)rechtschaffen, christlichem Bischoffen tod gehalten. Denn dis ist offenbar,
das bey Fnffhundert yar die Kirche one den Canonem gewesen.38 Das aber
die Jnterimisten sich mit des heiligen Ambrosij Bcher „De Sacramentis“39

|| [759]
schtzen wollen,40 da thun sie wie die lgener vnd verfrer pflegen, sintemal
jhnen wol bewust, das dem heiligen Ambrosio diese Bcher von den geler-
ten nicht werden zugeschrieben.41 Vber das alles so seint mancherley Cano-
nes in Lateinischer vnd Griechischer sprache, die nicht miteinander stim-
(5)men.42 Daraus klerlich erscheinet, das keiner aus denselbigen Canonibus
wider von Christo noch von der Kirchen gestifftet sey.
Von des Canons vorstand vnd meinung: Am ersten teil fr der Consecration,
weil da noch nichts – wie die Papisten selbs bekennen – denn Brod vnd
Wein auff dem Altar ist, lautet der Canon vnd ist auch seine meinung, das
(10)der Meßpfaff dieselbige gaben vnd geschenck opffere fr die heilige Kirche
zu erlsung der seelen || [B 3v:] vnd begere fr solche opffer Heil, wolfart,43
gesuntheit vnd erlsung von ewiger verdamnis.44 Lieber, wer ist hie so star45
blindt, der die schreckliche lesterung Gttlicher Maiestet nicht sihet? Denn
anstat des allerheiligsten Opffers vnsers Herrn Jhesu Chrjsti wirdt schlecht46
(15)Brodt vnnd Wein gesetzt. Vnnd solch Brodt vnd Wein wirdt dem theueren
Blut Jhesu Christi, fr vns am Creutze geopffert, gleich geachtet, als hette
Christus nicht genug fr der welt Snde gethan vnd ein ewige erlsung auff
einmal erworben, wir msten auch ein new Opffer von nott wegen erdencken.
Zum andern bittet der Meßpfaff, Gott wolle jhm vnd der Kirchen gnedig
(20)sein, jhn fr allem bsen behten vnnd schtzen vmb der heiligen Aposteln
vnnd Merterer verdinst vnd frbit willen,47 gedencket mit keinem wort des

|| [760]

einigen waren mitlers Jhesu Christi, durch welchen wir ein zugangk haben
zu Gott dem Vater, inn welches Namen wir auch alles bitten sollen. Alhie
wirt zum andernmal des mitlers Jhesu Christi ampt geschendet vnnd gelestert
vnd andere Mitler auffgeworffen. Es schmcke vnnd lindere solche, wer da
(5)will, so muß ehr doch entlich mit schanden bestehen. Ehr kan nicht frber,
muß zuuor bekennen, das der Lehr des heiligen Geists entgegen. Denn es ist
nur ein einiger mitler zwischen Gott vnnd Menschen, welcher ist Jhesus
Christus.48
Zum dritten, als nun der Meßpfaff wein vnd || [B 4r:] Brodt geopffert vnnd,
(10)wie ehr vermeint, durch solch opffer Gott versnet, so bittet ehr weiter, das
diß Brod vnnd Wein erst der Leib vnnd Blut Christi werde,49 wil abermal
opffern. Diß ist die dritte klegliche verdamliche lesterung Gottes. Denn das
Abentmal des Herrn wirt alhie geendert vnnd auff ein ander werck getzogen
widder die ffentliche einsetzung vnsers Herrn Jhesu Christi, welchs ebenso-
(15)wol ein Snde, ja viel ein grssere Gotteslesterunge ist als wenn man Gottes
wort zur zeuberey mißbraucht.
Zum vierden, nachdem der Meßpfaff die wort des Abentmals gesprochen,
lautet abermal der Canon vnd ist im grund seine meinung, das der Pfaff diese
reine, heilige, vnbefleckte hostien Opffere.50 Ach, das euch verblendte vnse-
(20)lige leute Gott bekere! Lieber, saget vns an, aus was51 macht vnnd befelh
thut jhr solchs? Jch weis zwar wol, das jhr nicht mit einem Pnctlein der
heiligen Schrifft euch schtzen knnet. Doch saget her, was jhr wisset, wir
wollens hren. Jhr drffet vns aber die obberrten sprche nicht frbringen.
Denn auff dieselben haben wir droben gnug geantwort. So seint noch vieler
(25)gelerten Bcher verhanden, die diese sprche verstendlich gnug auslegen.52
Derhalben thut jhr solchs auß Teufflischer vermessenheit vnnd boßheit, one
vnd widder Gottes Wort, dafr jhr Gott dem Allmechtigen am Jngestem
tage grosse rechenschafft geben werdet.
Zum Fnfften bittet der Pfaff, Gott wolde || [B 4v:] dieser Hostien gnedig
(30)sein.53 Hie wolt ich gerne von den Papisten vnnd Jnterimisten hren, weil sie
selber sagen, das die Hostie der ware Leib vnsers Herrn Jhesu Christi sey
oder, wie sie ytzund noch viel vnuerschempter dauon reden, der einige Son
Gottes, den sie Gott dem Vater frstellen, ob sie tzwischen Gott vnnd Chris-
tum seinen Son mitler sein, sintmal sie fr Christum bitten vnnd jhn dem
(35)Vater versnen wollen, oder aber ob Christus der Mittler sey tzwischen jhn

|| [761]

vnnd Gott seinem Vater. Es muss ja gar ein alber,54 vnuerstendiger mensch
sein, der alhie abermal nicht mercket die schreckliche lesterung Gttlicher
Maiestet vnd die grobe, greiffliche, vnuerschempte lgen des Teuffels.
Zum sechsten bittet der Pfaff, Gott wolle dis opffer ansehen vnd jhm also
(5)gefallen lassen wie jhm gefallen hat das opffer Abels vnnd Abrahams.55 Jst
es war, wie die Jnterimisten gleuben vnnd sprechen, sie opffern den Sohn
Gottes, so ists vber die maß ein grsser vnuerstand vnnd greuliche Gottesles-
terung, das sie bitten, Gott wolle jhm die opfferung seines lieben Sohns also
gefallen lassen wie jhm angenem vnd gefelligk gewesen des Abels opffer.
(10)Denn wer weis nicht, das jhm doch sonst sein eingeborner natrlicher Sohn
tausentmal lieber ist, dieweil eben vmb des Sohns willen jhm alle Creatur im
Himmel vnd Erden gefallen.
Zum siebenden bittet der Pfaff fr die Tot- || [C 1r:] den,56 welchs in der schrifft
nicht befohlen, vnnd ist der Lehr vom glauben gar entgegen. Wer an Chris-
(15)tum gleubet, der kompt nicht ins gericht, sondern ist vom tode zum leben
hindurchgedrungen, Johannis v.57
Zum letzten vnd beschlus widder den lesterlichen Canon: Weil die Sacra-
ment Gottes ordnung vnd Testament sein, die kein Creatur widder im Him-
mel noch auff Erden zu endern oder auff ein andern brauch vnnd werck
(20)widder die einsetzungk zu ziehen macht hat,58 so ist der gantze Canon Gott-
loss, welcher im Abentmal des Herrn ein ander werck one vnd widder Gottes
wort einfret, vnnd wenn auch gleich nur ein danckopffer vorstanden wrde,
welchs doch die Jnterimisten im grund nicht meinen, sondern grbeln vnnd
suchen jhren grewel, die Papistischen Mess damit zu erhalten vnnd zu beste-
(25)tigen. Dis hab ich von der schrecklichen vnnd vnleidlichen lesterung des
Canons auff dismal anzeigen wollen. Denen nun dieser grewel nicht zu
hertzen gehet vnnd groß dncket, die fragen gewisslich gar nicht nach Gott
odder jhrer seelen seeligkeit.
Jch achts fr vnntig, jhre falsche glosen zu verlegen.59 Denn diese bestie
(30)des Canons ist so grausam vnd vnfletigk, das jhr scheutzlich gestalt von
keinem schmuck kan bedeckt vnd gezieret bleiben. Solchs mus jederman
sagen, der dis schrecklich thier nur einmal recht angesehen hat. || [C 1v:] Dazu
dienet vnd hilfft vns nicht ein wenig, das Er60 Eißleben, so jtzund der vor-
nemste vnter den Jnterimisten ist, fr etlichen jaren selber widder die Meß
(35)vnnd den Canon geschrieben.61 Wiewol er negst, da mit jhm ein recht Christ-

|| [762]
-
licher, frommer vnnd gelerter Frst in kegenwertigkeit seines Gnedigsten
Herrn von dem Interim, Meß vnd Canon disputiret Vnd jhm der Hochge-
dachte Frst vorgeworffen, das er selb widder den Canon geprediget vnd
geschrieben, diese vnbeschlieffene grobe antwort geben: Es sey geschehen in
(5)jener zeit, da die Papisten nicht recht von der Meß hielten vnnd noch in
jhrthumb steckten. Nun sie aber im rechten vorstant vnnd wege weren,
mchte man den Canon wol one snde lesen vnd behalten. Darauff jhm der
lbliche Herr geantwortet: Jst der Canon zuuor Gottloß vnnd Abgttisch
gewesen, als jhr dawidder geschrieben habt, seind auch die Papisten jtzund
(10)bekeret vnd auff rechter ban, so wirt hierauß folgen, das der Gottlose Canon,
weil er nun widder jhre rechte meinung streitet, muß entweder abgethan
odder ja gebessert werden. Wollen sie aber jhren Gottlosen Canonem vnge-
endert behalten, so geben sie damit an tag, das sie noch in voriger Abgt-
terey zu verharren gedencken, vnnd jhr handelt derhalben nicht auffrichtigk,
(15)wollen nicht sagen, wie einem treuwen Seelsorger geziemet, das jhr die
gemeine Gottes ergert vnnd zum abfall reiner Lehr vrsach gebt in dem, da jhr
saget, die Papisten seint durch euch zu Christo bekeret. || [C 2r:] Es ist auch
der Hochgedachte Frst darauff kommen, das er gesagt, vns dncket die
wort vnd meinung des Canons lauten vnd bedeuten noch nichts anders denn
(20)wie vnnd was sie fr xx jaren vnd damals, da jhr darwidder geschrieben,
gelautet vnnd bedeutet haben. Derhalben ist damals der Canon Gottloß
gewesen, so wirt er jtzund nichts besser sein. Er ist vnnd bleibt der alte
Canon vnd behelt seinen vorigen schmack,62 jr werd vielleicht den mund
verwenet63 haben, das so euch zuuor bitter geschmackt, jtzund euch eittel
(25)zucker vnd honigk dncket.64

|| [763]

Bald nach dieser disputation hat sich Eisleben bey etlichen seinen gesellen
berhmet, er habe einen grossen Beer gefangen, vnd diese seine verblmbte
rede hat er selbs erkleret vnd gesprochen, er hette den Frsten vberwunden
vnd auff seine meinung gebracht. Es darff nicht wort. Er ist ein trefflicher
(5)jeger, dieweil er so leichtlich hohe Adler vnd grosse beren fangen kann.65
Aber der tolle verblente jeger sihet leider nicht, das er selber von eim andern
gefangen ist, der jhn bald auff ein ewige fleischbanck zur ewigen mater
fren vnd legen wirt. Hieraus sihet man, wie ein verzweiffelter vnuer-
schempter heuchler vnd bube er sey. Wiewol dis noch viel ein gewisser an-
(10)zeigung ist seines lgen- vnd lestergeists, das er sich vnterstehet, aus vnsers
lieben Herrn Vaters, seliger gedechtnis, Doctoris Martini Luthers Bcher
allen grewel des Babsts zu verthedigen, so doch der thewre man Gottes in
seinem gantzen leben nichts an- || [C 2v:] ders gethan, denn das er sich widder
den Antichrist gesetzt. Jch bit dich, christlicher leser, was meinstu, das man
(15)von eim solchen losen Man halten sol vnd denen, die jhn wie einen Engel
vnnd newen Gesetzgeber vom Himmel gesand auffnehmen, ehren vnd
preisen? Es hat nicht on vrsach vnd snderlich bedencken vnser lieber Vater,
Doctor Martinus, diesen vnartigen, schedlichen menschen gleich als ein
gemeine vorgifftung gemieten, da er vermerckt, was er im schilde frete. Es
(20)leben noch glaubwirdige Menner, die fr etlichen jaren bey Doctor Martino
kurtz fur seinem abscheid mit andern gelerten, frommen Mennern gewesen
vnd aus seinem waren mund gehret haben, da etliche Eißleben entschl-
digen wollten, das der liebe Vater zorniglich geantwort: Was wolt jhr mir
viel Eißleben entschldigen? Eißleben wird vom Teuffel getrieben, der jhn
(25)gar eingenommen. Jr werdet wol erfahren, was er nach meinem todt fr ein
lerm wirt anrichten.66 Diese vnsers lieben Vaters weissagung, wie warhaff-

|| [764]
-
tigk sie sey erfllet, lernt vns die erfarung. Denn dis Interim kmpt frnem-
lich aus der Margk,67 welchs leichtlich zu beweisen ist. Denn erstlich ist zu
Franckfort an der Oder ein Magister vnnd sonderlicher alter freund des
Eißlebens,68 der bekennet ffentlich, das sich schon fr v jaren Eißleben
(5)gerhmet, er wiesse radt vnd that, wie man der streittigen Religionsachen
knde abhelffen vnd die Lehr vergleichen. || [C 3r:] Dazu, da er frm jare auff
den Reichstag kegen Augspurgk ziehen vnd zu Berlein69 auff den wagen
steigen solt, hat er sich hren lassen, er ziehe nun dahin als ein reformator
gantzes deutschen Landes.70
(10)Ferner hat er von Augspurgk an seine bekante geschrieben, er habe dem
Euangelio ein groß breit fenster auffgethan – ja freilich nicht, das es in die
Kirche gelassen odder da es schon gekommen vnd gepredigt wirt, darinne
bleibe, sondern das es vberal außgetrieben wrde –, er habe den Bapst refor-
miret, den Keyser bekeret vnd Lutherisch gemacht. Nun wirt glden zeit
(15)sein, das Euangelion sol in aller Bischoffen Lender vnd in gantz Europa
geprediget werden etc.71 Letzlich aber, als er von Augspurgk gereiset, hat er
im heimzuge Doctor Glatio72 zugeschrieben: Non solum adfui compositioni
interim, sed etiam praefui.73 Zu Dessaw aber hat er sich fr einem warhaff-
tigen, bestendigen Man gerhmet, wie er viel guts zu Augspurgk gestifftet
(20)vnnd außgerichtet het, auch vnter andern seinen lblichen thatten erzelet,
was er fr gunst vnd gnad bey Keyserlicher Maiestet erlanget. Der Keyser
habe jhm geschanckt fnffhundert Kronen, der Ferdinandus fnffhundert
Thaler. Vber solche verehrung vnd geschenck habe jhm auch der Keyser
durch einen Bisschoff zugesagt, er wolle seine tchter mit grosser ehrlichen
(25)morgengabe außsteuern, wenn sie sich werden verehlichen.74 Also kan der

|| [765]

Judas sein lohn, so er fr die verretterey des Herrn || [C 3v:] Christi empfan-
gen, selber nicht verschweigen, muß sich seiner lblichen thatten rhmen.
Dis hab ich darumb vom Eißleben anzeigen wollen, auff das jederman ws-
te, was von diesem mameluck75 vnd dem gantzen Interim zu halten sey, vnd
(5)welchem man diese zurstrung, verfolgung vnnd jamer der Kirchen billich
zuschreibet.
Wir wollen auch ein wenig sagen von der vorrede, die man fr der Meß le-
sen sol, vnnd etlichen seinen argumenten, damit er seine lesterung gedenckt
zu erhalten. Er hat ein sophistische vorrede gestellet, mit welcher er widder
(10)wil den armen gewissen ein liebe machen zur Bapistischen Meß. Nun seint
viel streffliche vnnd vnleidliche stck, darinnen wir wollen aber auff dißmal
nur iij anzeigen. Zum ersten ists ein greiffliche lgen, das er sagt, er stelle
nach Christi gebot Gott dem Vater seinen Sohn fr.76 Denn dis gebot wirt in
keiner schrifft gelesen, weil die wort des abentmals des Herrn allein zur
(15)communion gehren, wie der Apostel Paulus j. Corinth. xj genugsam bezeu-
get.77 Zum andern ists ein grosse vnnd den Christen vnleidliche Gottesleste-
rung, das er Brot vnd Wein darff den Leib vnnd Blut Christi nennen.78 Denn
die wrter „nemet hin, esset, trincket“ etc. gehren allein auff die com-
munion der gleubigen vnd sonst auff kein ander werck, wie oben genugsam
(20)erkleret ist. So nu jemand aus dem abentmal des Herrn etwas anders wil
machen || [C 4r:] widder die einsetzung des Herrn, der verendert die ordnung
Christi, thut widder seinen willen. Darumb seint jhm nun die wrter Christi
nicht krefftigk vnnd heilsam. Derhalben ists gewis, das die Papisten opffern,
anbeten vnd vmbtragen, das ist im grund nichts anders denn lautter Brot vnd
(25)Wein vnd ist, wie gesagt, ein grosse lesterung, das sie solch Brot vnnd Wein
den Sohn Gottes drffen heissen. Zum dritten wirt das gedechtnis des leidens
vnsers Herrn Christi von der gleubigen communion oder niessung seins
Leibs vnd Bluts in ein gauckelwerck gewandelt, welchs dem Abentmal ein
raub Gttlicher ehr ist, vnnd kan nicht geschehen one gefahr der Gottfrchti-
(30)gen.

Contra Islebij Argumenta.

Das er frgibt, man mchte wol etliche geringe mangel vnd jrthumb, ob sie
gleich widder die schrifft sein vmb fried vnnd außbreitung des Heiligen
Euangelij willen leiden, widder annemen vnnd vnangefochten bleiben lassen,

|| [766]

darauff ist erstlich vnsere vnd anderer antwort, das mehr denn ein vnuer-
schempte lgen ist, da er sagt, durchs Interim werde das Euangelion weitter
geprediget werden. Denn das Interim ist fast inn allen puncten dem Euangel-
io entgegen. So wirts auch in keiner Papistischen Kirche angericht.79 Denn
(5)die Papisten habens zuuor in jhren Kirchen. Daher kmpts, das sie es nicht
Interim, sondern Iterum heissen vnnd das aus vnsern Kirchen Christus
widderumb durch dis Buch außgetrieben wirt. || [C 4v:] Zum andern, so seinds
nicht so geringe stck, wie er treumet, die man sol eingehen, sondern die
wichtigsten vnd nttigsten artickel vnsers Christlichen glaubens von verge-
(10)bung der snden, rechtfertigung des menschen, vom einigen waren mitler,
vnserm Herrn Jhesu Christo, vom Abentmal des Herrn, welche alle in dem
Buch vertunckelt vnd gefelschet werden. Zum dritten: Weil er das exempel
Mosi vnd der Apostel frwendet,80 ist zu wissen, das ein grosser vnterscheid
ist zwischen Eißleben, Mosi vnd den Aposteln. Denn die gewiß den Heiligen
(15)Geist vnd zeugnis gehabt, das sie in der Lehr nicht irren knnen. Eißleben
aber hat offt grblich, nicht in kleinen, sondern grossen artickeln geirret vnd
widderruffen.81 Mit was ernst ers aber gethan, wirt er am Jngsten tag recht
flen. Denn Gott lest sich nicht wie die menschen effen.82 Zum vierden: So
ists auch gar viel ein anders, wenn man etliche mangel ein zeitlang duldet
(20)nots halben odder sonst vmb etwas guts willen, gleichwie Moses vnd die
Apostel gethan haben. Denn so man – wie jtzt im Interim geschicht – Gesetz
machet, auff das ffentliche Gotteslesterung fr heilig ding vnd Gottesdienst
gehalten, dasjhenige aber, so recht vnnd Gott wolgefellig ist, fr jrthumb
vnnd ketzerey verworffen vnnd verfolget werde. Zum fnfften ist es viel ein
(25)ander ding, so man mit denen, die sich von gantzem hertzen der warhafftigen
Lehr beuleissen83 ein zeitlang inn || [D 1r:] etlichen dingen gedult hat, gleich-

|| [767]
-
wie Moses vnd die Apostel offtmals dem volck Gottes etwas zu gut hielten.
Denn so man etwas nachlest denen, die jhren gantzen vleis dahin richten,
auff das Gttliche Lehr gantz vnnd gar vortilget werde. Zum sechsten ist ein
grosse, mechtige vnterscheid darzwischen, ob etwas zu erbawung oder zu
(5)vorstrung der Kirchen frgenommen werde. Der Apostel decret de suffoca-
to et sanguine84 dienete zu Christlicher einigkeit, auff das die Predige des
heiligen Euangelij dester frderlicher vnnd weiter ausgebreitet wrde. Aber
durch das Gotlose Interim werden die Christlichen kirchen zerstrewet vnd
verstret, wie solchs die erfarung außweiset, nicht one grosse bekmmernis
(10)aller frommen Christen. Vnd es ist hoch vonnten, das man alle diese vnter-
scheid vleissigk in acht habe, auff das jrthumb vermieden wrde.

Folgen die frnemsten Argument Er85 Eißlebens,
mit welchen er sein Interim schmcken wil.

Er spricht: Moses hat widder Gottes gebot die beschneidung vierzigk jar
(15)nachgelassen vnnd den scheidbrieff geben.86 Die Apostel haben Gesetz ge-
ordnet vom Blut vnd erstickten.87 Sanct Paulus hat ein heidnisch gelbd ge-
than.88 Darumb mgen wir auch den widdersachern vnnd feinden des Euan-
gelij, wens gleich widder Gottes wort ist, etwas nachgeben. || [D 1v:] Wenn
jemand alhie Eißleben fragete, was jhn dncket, ob er odder sonst ein ander
(20)seins gleichen knte vnnd drffte die Tauffe xl yar nachlassen oder obs recht
were, wenn man widder den scheidbrieff geben wolt, da wrde er, halt ich –
so er anders noch bey sinnen ist –, darauff antworten, es wer beides vnrecht,
wenn mans wolte anrichten. Jst jhm nun dieses nicht zugelassen, welches
Moses vnd die Aposteln gethan haben, viel weniger wirt jhm was anders,
(25)welches er demselbigen gemeß vnd ehnlich achtet, zuthun gebren. Moses
hat nicht aus seinem gutdncken die beschneidung nachgelassen, sondern
die not, welche offt viel gutte Gesetz bricht, hat jhn dazu verursacht vnd
gedrungen. Denn der beschnittenen kunte man nicht, wie die natur erfordert,
in der wste warten vnd pflegen, weil sie teglich musten durch gebirg vnd
(30)wildnis reisen. Den scheidbrieff aber hat er jhn nicht gebotten als ein heilig
vnnd Gttlich ding, sondern on zweiffel aus Gottes willen auff etliche zeit
zugelassen. Es ist erstuncken – ich darff nicht sagen erlogen –, das Paulus
ein Heidnisch gelbd gethan. Denn von diesen gelbden ist genugsam
geschrieben: Numeri vj.89 So haben die Aposteln auch nichts newes
(35) || [D 2r:] geordnet,90 sondern haben aus viel wichtigen vrsachen, die jtzund zu

|| [768]

erzelen vnnttigk sein, die alte gebreuch vernewert, wie man aus der vorrede
des hochgelarten Herrn, vnsers lieben Praeceptoris Philippi Melanthonis
sihet vnd lernet, die man lateinisch findet in dem gesprech zu Worms gehal-
ten Anno xl.91 Doch warumb wil ich mich mit so eim verbosten, verstockten,
(5)gottlosen man in weitter gezenck begeben vnnd von so geringen sachen, wie
er vermeint, disputieren? Das gantze Euangelium Christj wirt im Interim
gefelschet vnnd nicht in die welt außgebreittet, sondern wo Christus zuuor ist
gepredigt, da wirt er jtzt ausgetrieben. Denn die rechtschaffene gelerten
trewen Prediger werden mit jhren Weibern vnd Kindern jtzt verjagt, etliche
(10)gefenglich eingezogen vnd getdtet.92 Das ander Buch, welchs sie ein refor-
mation93 genennet, vnd der Papisten grausames wten vnd toben zeuget ge-
nugsam an, was Eißleben durch sein lbliches reformieren fr nutz vnnd
frommen geschaffen hat Vnd wie weit das Euangelion vnter den Papisti-
schen Bischoffen gepredigt wirt, die da schreien, man sol das Interim nicht
(15)Interim, sondern Iterum heissen.
Damit wir aber ein ende machen, wollen wir zum beschlus das bekentnis vnd
vrteil vom || [D 2v:] Interim, die zween frtrefflichen Interimisten, hieran set-
zen. Julius Pflugk, da er negst zu Begaw etlicher falschen groben artickel
vberwiesen,94 hat er ffentlich in kegenwertigkeit vieler glaubwirdigen Men-
(20)ner bekennet vnnd gesaget, es sey leider war, das noch viel falsches vnnd
abgttisch in dem Interim stnde, vnd wenn mans annimpt, bestettiget wr-

|| [769]
-
de. Aber er sey des keine vrsach. Denn ein Hispanischer Mnch, Dominicus
de Soto
95 genant, habe das Interim verfelscht. Wiewol er nun weis vnnd
bekennen mus, das dis Interim voller Abgtterey stecket, jedoch helt er
allenthalben an, das mans annemen sol. So lieb vnnd theuer acht er die zeit-
(5)liche ehr, das er darber der ewigen vergisset.
Da der Eißleben von Augspurgk heim kommen ist vnnd ein lange disputa-
tion vom Interim mit dem Probst zu Berlin in gegenwerts anderer Predican-
ten gehabt, hat er entlich dem Brobst seine rechte hand geben vnnd gesagt,
es ist ja gewis war, wer das Interim helt, der ist ewigk des Teuffels. Vnnd im
(10)Predigen hat er das Interim offt also entschldigen wollen: Was belanget die
anruffung der heiligen, stehet im Interim, man mge wol sagen „heiliger
Petre, bitte fr mich!“ Dis aber wil ich nicht thuen vnnd jhr solts auch nicht
thuen. So kan vns diese Gottlose anruffung nicht irren vnnd schaden.96 All-
hie lachet vnnd spottet der || [D 3r:] Eißlebe beyde, Gott vnnd die Menschen,
(15)gleich, als were es recht, das man also heuchelt vnnd drfft97 nicht die lester-
liche anruffung der Heiligen straffen vnd verdammen.
Hieraus kanstu, christlicher leser, wol verstehen, was die Jnterimisten selber
von jhrem Interim halten. Weil sie nun bekennen, das dis Buch Gottlos ist
vnnd wers annimpt, das er des Teuffels sey, so sihe wol zu, der du bisher
(20)hast wollen ein Christ sein, mit was98 gewissen du die Gotteslesterung wider
annimpst vnnd von rechter Lehr vnd erkanter warheit abfellest. Jch wil jeder-
man hiemit treulich gewarnet vnnd vermanet haben, das so lieb jhm seine
seele seligkeit ist, so vleissigk er auch zu Gott vmb gnade ruffe, das er be-
stendigk bleibe im waren erkentnis vnnd bekentnis Jhesu Christi.
(25)Nicht weit von Bonna am Rein ist ein Prediger gewesen, der hat das Euange-
lion von Christo recht geprediget. Als er aber sich hat vberreden lassen vnd
das Interim angenommen, ist er darnach in verzweifflung gefallen vnd hat
sich selbst erstochen.99 Aus diesem exempel Gttliches zorns mgen alle
abtrnnige Jnterimisten lernen, das Christus noch lebet vnd in diesem vnd
(30)zuknff- || [D 3v:] tigen leben richten wirt die jhn fr den Menschen alhie
verleugnen. Denn er sagt: „Die mich ehren, die wil ich widder ehren. Die

|| [770]

mich bekennen fr den Menschen, die wil ich widder bekennen fr meinem
Himlischen Vater.“100 Vnser lieber Herr Jhesus Christus gebe, das wir nicht
in versuchung gefret werden.
Newlich ist ein abtrnniger Frst gewesen. Derselbige, da er lang mit einem
(5)Gottsfrchtigen Lehrer vber dem Canone gestritten hatte vnnd entlich nicht
abbrechen konte dem Geist der weißheit, welcher durch den mund der
trewen Lehrer redet, so sie fr Frsten vnd Herrn stehen, hat er jhn mit sol-
chen worten angefahren: „Jhr Lutherischen werdet doch nicht auffhren, bis
so lang das jhr vns abermals ein blutbad anrichtet.“ Diese vnnd andere
(10)dergleichen lesterwort der Gottlosen wollen wir dir, lieber Herr Christe, der
du ein richter vber die todten vnd lebendigen bist, heimstellen vnd bitten
dich, du wollest solche gifftigen schmehewort, die man auff vns, deine
Brder, leuget, zu deiner zeit nicht vngerochen101 lassen.
Ach lieber Herr Christe, wir fallen den widdersachern one vnterlas des
(15)friedes halben zu fssen! Wir bitten vnnd flehen demtigk, auff das sie vns
nur diese heilsame Lehr, die du dem Menschlichem geschlecht aus der schos
des || [D 4r:] Himlischen Vatters bracht vnnd offenbaret hast,102 vnuerfelschet
behalten mchten. Nichsts dester weniger mssen wir diejhenigen sein, die
nach vergiessung Christliches Bluts streben. Ach kum, lieber Herr Jhesu,
(20)kum bald103 vnd erklere mit deinem gerechten gestrengen gericht, welche
part104 lgen vnnd morth stiffte! Amen.
Spreche ein yeder Christ Amen.
Anno 1549.

Textapparat
a  Konjektur.

Kommentar
2  Vgl. Gal 3,1.
3  über sie. Vgl. Art. von 8), in: DWb 26, 748.
4  gründlicher. Vgl. Art. fleißig, in: DWb 3, 1767.
5  in Kürze, sehr bald. Vgl. Art. kürzlich 3.b.β), in: DWb 11, 2851.
6  Prahlhänse. Vgl. Art. Scharrhans 1), in: DWb 14, 2218f.
7  Gemeint ist Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, der am 24. April 1547 in der Schlacht bei
Mühlberg an der Elbe von den kaiserlichen Truppen besiegt und gefangen genomen worden war, in
einem Schaugericht zunächst zum Tode verurteilt und schließlich zu lebenslanger Haft begnadigt
wurde. Er verlor seine Kurwürde und einen Großteil seines Territoriums an Herzog Moritz von
Sachsen. Erst mit dem Fürstenaufstand und dem Passauer Vertrag von 1552 kam Johann Friedrich
wieder in Freiheit und kehrte nach Weimar zurück. Vgl. Wartenberg, Innerwettinisches Verhältnis,
in: Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst
, 155–167, bes. 155f.
8  anführen. Vgl. Art. führen I.29), in: DWb 4, 455. Vgl. Augsburger Interim XXVI, 136f.
9  „Ein Lügen muss man mit sieben andern Lügen schmücken.“, deutsches Sprichwort. Vgl.
Wander III, 255 (Nr. 54).
10  Vgl. Röm 5,12.
11  Vgl. Gen 3,15.
12  Vgl. Gal 3,24f.
13  Vgl. Hebr 10,1.
16  damit sie sich nicht selber Lügen strafen. Vgl. Art. Backe 5), in: DWb 1, 1064.
17  als. Vgl. Art. wi(e)der B.4), in: DWb 29, 880.
18  Gemeint sind der Brandenburger Oberhofprediger und Generalsuperintendent Johann Agrico-
la
, der aus Eisleben stammte, und der reformkatholische Bischof Julius von Pflug, beide Mitglie-
der der Endredaktion des Augsburger Interims. Vgl. Joachim Mehlhausen, Art. Interim, in: TRE
16 (1987), 230–233; Rabe, Entstehung des Augsburger Interims, 48–72.
19  dafür.
20  lügen.
21  Überheblichkeit. Vgl. Art. Vermessenheit, in: DWb 25, 869f.
24  anführen. Vgl. Art. allego, in: Georges I, 323f. Vgl. Gen 14,18; Ps 110,4. Vgl. Augsburger
Interim
XXII, 116–121. Bereits der Hebräerbrief nahm unter Bezug auf Ps 110,4 eine christliche
Adaption der alttestamentlichen Gestalt des Melchisedek vor, nach der er als Typus des ewigen
Priestertums Christi zu gelten hat. Als Vergleichspunkt wurde die Tatsache geltend gemacht,
dass von Melchisedek weder Vor- noch Nachfahren und weder Anfang noch Ende seines Lebens
angegeben sind. Vgl. Horst Balz, Art. Melchisedek III., in: TRE 22 (1992), 420–423.
25  Vgl. Gen 14,18–24.
26  Vgl. Hebr 7,1–28.
27  Vgl. das in Augsburger Interim XXII, 114 angeführte Zitat aus Mal 1,10f.
28  zeigt also die geistlichen Opfer an. Vgl. Art. zählen, in: DWb 31,47.
29  gegenüber. Vgl. Art. gegen 3.a), in: DWb 5, 2208.
30  ein zuverlässiger Hinweis. Vgl. Art. Anzeigung, in: DWb 1, 525.
31  Vgl. II Thess 2,2.
32  leistet. Vgl. Art. erzeigen, in: DWb 3, 1081.
33  Das Eucharistiegebet gehört mit zum frühesten Bestand der christlichen Abendmahlsfeier und
wurde wohl in Anlehnung an die Danksagung in jüdischen Mahlfeiern entwickelt. Vgl. Georg
Kretschmar, Art. Abendmahlsfeier I. 2.2.3, in: TRE 1 (1977), 240f.
34  Viele der reformatorischen Abendmahlsordnungen des 16. Jahrhunderts sahen nach dem
Empfang der Abendmahlselemente ein Dankgebet vor. Vgl. Alfred Niebergall, Art. Abendmahls-
feier III. 3., in: TRE 1 (1977), 291–294.
35  Gewinns. Vgl. Art. Gewinst, in: DWb 6, 6083.
36  Vgl. hierzu die Festlegung im Augsburger Interim XXVI, 136f, dass der Messkanon wieder-
hergestellt werden soll.
37  Vgl. Gregorius magnus, Registrum epistolarum IX, Ep. 12 (26): Ad Joannem Syracusanum
episcopum, in: PL 177, 957 (CChr.SL 140A, 587,31–34): „Et valde mihi inconveniens visum est,
ut precem quam scholasticus composuerat super oblationem diceremus, et ipsam traditionem
quam Redemptor noster composuit super ejus corpus et sanguinem non diceremus.“
38  Der Messkanon lag um 600 bereits fast ganz im Wortlaut des späteren Missale Romanum vor.
Im Laufe des 8. Jahrhunderts wurde er in den Bereich der „secreta“ eingeordnet, also vom
Priester im Altarraum für die Gemeinde unhörbar vollzogen. Die Parallele zum Eingang des alt-
testamentlichen Priesters in das Allerheiligste ist hier unübersehbar. Vgl. Hans Bernhard Meyer,
Art. Abendmahlsfeier II. 1., in: TRE 1 (1977), 279–287, hier: 279–281.
39  Vgl. Ambrosius, De sacramentis, in: PL 16, 435–482 (FChr 3, 76–202).
40  Vgl. die im Augsburger Interim XXII, 118f. 122f angeführten Zitate aus: Ambrosius, De
sacramentis IV, 3, 10–12, in: PL 16, 457f (FChr 3, 138,4–140,21); ebd. IV, 5,21–30, in: PL 16,
462–464 (FChr 3, 148,5–150,23).
41  Anfang des 16. Jahrhunderts wurde die bislang ungeteilt akzeptierte Autorschaft des Ambro-
sius
für „De sacramentis“ bestritten. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts gelang der Nachweis für die
Echtheit der Schrift, der heute von der überwältigenden Mehrheit der Forschung geteilt wird.
Vgl. FChr 3, 7–9.
42  übereinstimmen. Vgl. Art. stimmen D), in: DWb 18, 3095. Die Liturgien der Ost- und West-
kirche begannen schon sehr früh, voneinander abzuweichen. Maßgebend für die byzantinische
Kirche wurde die Liturgie der Stadt Konstantinopel, für das lateinische Abendland die der Stadt
Rom. Die Liturgien der Ostkirche, die Chrysostomus- und die Basiliusliturgie, kennen etwa die
Herabrufung des Heiligen Geistes auf die Abendmahlselemente. In der Westkirche fehlt dieses
Element. Überdies gab es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Fülle von unterschied-
lichen lateinischsprachigen Messformularen, die genetisch auf das gallikanische, mozarabische
und ambrosianische Liturgiegebiet zurückzuführen waren. Erst das Tridentinische Konzil setzte
im September 1562 eine Kommission ein, die eine Vereinheitlichung des Messtextes erarbeiten
sollte. Als Ergebnis präsentierte Papst Pius V. am 14. Juli 1570 das „Missale Romanum ex
decreto SS Concilii Tridentini restitutum“ als Einheitsliturgie der römisch-katholischen Kirche.
Flacius scheint eine zumindest im Messkanon mit dieser späteren Einheitsliturgie übereinstim-
mende Fassung vorgelegen zu haben, da er sich im weiteren Verlauf des Textes genau an deren
Wortlaut orientiert. Vgl. Georg Kretschmar, Art. Abendmahlsfeier I, in: TRE 1 (1977), 245–248.
263f; Alfred Niebergall, Art. Abendmahlsfeier III, in: TRE 1 (1977), 297f.
43  Wohlergehen. Vgl. Art. Wohlfahrt, in: DWb 30, 1112.
44  Vgl. Missale Romanum, 342.
45  schrecklich. Vgl. Art. starr, in: DWb 17, 911.
46  schlichtes, einfaches.
47  Vgl. Missale Romanum, 342.
48  Vgl. I Tim 2,5.
49  Vgl. Missale Romanum, 343.
50  Vgl. Missale Romanum, 344.
51  wessen. Vgl. Art. wer, was 2), in: DWb 29, 73f.
52  Vgl. etwa Martin Luther, Vom Missbrauch der Messe (1521), in: WA 8, 506–537; Philipp
Melanchthon, Loci theologici (1535), in: CR 21, 481–485.
53  Vgl. Missale Romanum, 344.
54  törichter. Vgl. Art. albern, in: DWb 1, 202.
55  Vgl. Gen 4,4; Gen 22,1–19. Vgl. Missale Romanum, 344.
56  Vgl. Missale Romanum, 345.
57  Vgl. Joh 5,24.
58  Vgl. Philipp Melanchthon, Loci praecipui theologici (1559), in: CR 21, 869 (MWA 2/2,
530,13–19).
59  Auslegungen zu widerlegen. Vgl. Art. Glosse 1), in: DWb 8, 210; Art. verlegen, in: DWb 25, 756.
60  Herr. Vgl. Art. Er, in: DWb 3, 692.
62  Geschmack. Vgl. Art. Schmack, in: DWb 15, 893f.
63  umgewöhnt. Vgl. Art. verwöhnen B.1), in: DWb 25, 2330.
64  Am 16. und 17. Dezember 1548 verhandelten die Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg
und Moritz von Sachsen in Jüterbog über den weiteren Umgang mit dem Augsburger Interim.
Außer den beiden Kurfürsten waren Georg III. von Anhalt-Dessau, der Naumburger Bischof
Julius von Pflug, als Vertreter der Universität Wittenberg Melanchthon, der Leipziger Theologe
Johannes Pfeffinger, der Dresdener Superintendent Daniel Gresser und Johann Agricola anwe-
send. Als Verhandlungsgrundlage dienten die Zellaer Artikel, auf die sich die Kursachsen am 22.
November 1548 verständigt hatten und die im wesentlichen identisch sind mit der Leipziger
Landtagsvorlage von Weihnachten 1548. Schnell war man sich einig über die Zugeständnisse an
die altgläubige Seite in Zeremonienfragen. Als Joachim aber die Frage anregte, ob nicht auch der

|| [763]

Messkanon im evangelischen Gottesdienst wieder eingeführt werden könnte, erhob sich von
kursächsischer Seite Protest. In der daraufhin stattfindenden engeren Beratung, bei der nur die
Fürsten und Agricola zugegen waren, fand der oben geschilderte Disput zwischen Georg III. und
Agricola statt. Kurbrandenburg übernahm als Ergebnis der Jüterboger Tagung die Zellaer Arti-
kel. Der Schulterschluss zwischen Kurbrandenburg und Kursachsen in der Interimsfrage war da-
mit erreicht. Vgl. hierzu: Kawerau, Agricola, 280–282, der über die Auseinandersetzung zwi-
schen Agricola und Georg III. in wörtlicher Übereinstimmung mit dem hier vorliegenden Text
berichtet, ohne seine Quelle zu benennen; Wartenberg, Augsburger Interim und Leipziger Land-
tagsvorlage, in: Politik und Bekenntnis
, 15-32, bes. 23–25; Waschbüsch, Alter Melanchthon, 97f.
65  Bär und Adler sind die beiden Wappentiere auf dem anhaltinischen und brandenburgischen
Wappen. Agricola rühmt sich also nach Flacius, in Jüterbog Georg III. von Anhalt und Kurfürst
Joachim II. von Brandenburg von seiner Meinung überzeugt zu haben. Vgl. Waschbüsch, Alter
Melanchthon
, 98.
66  Im Zuge der Auseinandersetzungen um das Augsburger Interim veröffentlichte Flacius 1549
eine Schrift, die Luther gegen Ende des zweiten Antinomistischen Streits gegen Agricola verfasst
hatte, erstmals im Druck. In einem kommentierenden Nachwort schilderte Flacius den Sach-
verhalt ausführlicher: Martin Luther, Ein Schrifft des Achtbarn vnd Ehrwirdigen Herren seliger
gedechtnis / Doctoris Martini Lutheri / wider den Eisleben / kurtz vor seinem end geschrieben /
vormals aber nie im Druck aussgangen […], [Magdeburg] 1549
(VD 16 L 5859), B 3r: „unser
Wirdiger in Gott Vater Seliger gedechtnis Doctor Martinus Lutherus hat kürtzlich vor seinem end

|| [764]

in gegenwarts des Doctor Pomers / Philippi / Creutzigers / Maioris /Jone / vnd D. Pauli Benedicti
also geredet / sehet euch fr. Es werden sich nach meinem tod vil Wolff herbey finden / die
werden des Herrn Christi Scheflein jemmerlich zu strewen vnd zureissen / Sondern aber htet
euch fr dem Eisleben / denn er wirt nicht allein vom Teufel geritten / Sonder der Teuffel wonet
selbs in jm“. Vgl. die Edition in WA 51, 443, 17–23.
67  Gemeint ist das Gebiet der Mark Brandenburg, das Kurfürstentum Brandenburg.
68  Gemeint ist wohl Andreas Musculus, der 1540 die Schwester der Frau Agricolas in Witten-
berg
geheiratet hatte und 1542 als Theologieprofessor nach Frankfurt/Oder gegangen war. Vgl.
Kawerau, Agricola, 27f.
69Berlin.
70  Ähnliche Motive machte Agricola während des Augsburger Reichstages geltend. Vgl. Kawe-
rau, Agricola
, 257f.
71  Vgl. den Bericht des Caspar Aquila über sein Treffen mit Agricola an Melanchthon vom 22.
Juli 1548, in: CR 7, 77–79, bes. 77 (MBW 5, 321f [Nr. 5232]).
72  Gemeint ist Caspar Glatz, Pastor in Orlamünde und ehemaliger Archidiakon an der Witten-
berger Schlosskirche. Vgl. Waschbüsch, Alter Melanchthon, 101.
73  Zur Mitarbeit Agricolas am Augsburger Interim vgl. unsere Ausgabe, Nr. 11: Alber: Ein
Dialogus (1548), S. 559. Anm. 4.
74  Kaiser Karl V. und sein Bruder König Ferdinand gaben Agricola nach dessen Angaben je 500
Taler als Geschenk für seine Mitarbeit an der Erstellung des Augsburger Interims. Das Verspre-
chen der beiden Habsburger, seine Töchter mit einer großzügigen Aussteuer zu versehen, wird
ebenfalls von Agricola tradiert. Vgl. Kawerau, Agricola, 257.
75  Abtrünnigen. Vgl. Art. Mameluck, in: DWb 12, 1518.
76  Vgl. Augsburger Interim XXII, 112–115, wo von einem unblutigen Opfer Christi vor Gott die
Rede ist.
78  wagt, den Leib und das Blut Christi zu nennen. Vgl. Art. dürfen 4), in: DWb 2, 1729. Vgl.
Augsburger Interim XXII, 118f, wo von einem unblutigen Darbringen von Leib und Blut Christi
in den irdischen Opferfeiern die Rede ist.
79Karl V. schränkte die Rechtsgültigkeit, die der am 15. Mai 1548 den Reichsständen vorgelegte
Text des Augsburger Interims bekommen sollte, auf die evangelischen Stände ein, da sich Wider-
stand von Seiten der altgläubigen geistlichen Stände angekündigt hatte. Am 14. Juni 1548 legte
er den geistlichen Ständen die „Formula reformationis“ vor, ein breit angelegtes und konkretes
Programm kirchlicher Reform, das ebenfalls beschlossen wurde und Rechtskraft erhielt. Vgl.
Rabe, Entstehung des Augsburger Interims, 85. 99–102. Es gab also gar keine Notwendigkeit, in
den altgläubigen Kirchen das Interim durchzusetzen.
80  In einem Gutachten, das Agricola 1548 für den kursächsischen Rat Christoph von Carlowitz
erstellte und das diesen für den Text des Augsburger Interims einnehmen sollte, wurden neben
Zitaten aus den Schriften Luthers, Melanchthons und Bucers auch Schriftbeweise angeführt. So
berief sich Agricola auf die Beschneidung des Timotheus durch Paulus (Act 16,3), sein Gelübde
in Kenchreä (Act 18,18), auf die Bestimmungen des Aposteldekrets (Act 15,13–20), auf die
Aussetzung der Beschneidung während der Wüstenwanderung durch Mose (Jos 5,5) und dessen
Erlaubnis, Ehen durch Scheidebrief aufzulösen (Dtn 24,1). Vgl. Kawerau, Agricola, 262f.
81  In den Jahren 1537 bis 1540 war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Luther und
Agricola um die Geltung des Gesetzes für Christen gekommen, die man als die zweite Phase der
antinomistischen Auseinandersetzungen – nach einer vorangegangenen Kontroverse zwischen
Agricola und Melanchthon – bezeichnen kann, in deren Verlauf Agricola einen förmlichen
Widerruf leistete. Vgl. hierzu Richter, Gesetz und Heil, 60–66; WA 51, 425.
82  äffen, hinters Licht führen, täuschen.
83  befleißigen, vertreten.
84  Vgl. Act 15,13–20.
85  Herr. Vgl. Art. Er, in: DWb 3, 692.
86  Vgl. Jos 5,5; Dtn 24,1.
87  Vgl. Act 15,13–20.
88  Vgl. Act 18,18.
89  Vgl. Num 6,1–21.
90  angeordnet. Vgl. Art. ordnen 3), in: DWb 13, 1329.
91  Vgl. Philipp Melanchthon, Praefatio, in: ACTA IN CONVENTV RATISBONENSI continen-
tia haec quae sequuntur. LIBRVM PROPOSITVM DElectis Collocutoribus. […], Wittenberg
1541
(VD 16 M 2387), A 2r–4v = Philipp Melanchthon, Praefatio in Acta Ratisbonensi (1541),
in: CR 4, 664–668. Diese Vorrede wurde im Kontext der Debatte um das Augsburger Interim in
deutscher Übersetzung in Magdeburg neu herausgegeben: Anton Otho, Die Vorrede Philippi vber
das Regenspurgische Interim / mit einer erklerung Anthonij Othonis / Pfarhers zu Northausen /
sehr lustig vnd nützlich zu lesen, [Magdeburg 1548]
(VD 16 M 2392) = Philipp Melanchthon,
Vorrede auf das fürgelegte Buch zu Regensburg (1541), in: CR 4, 728–734.
92  Zur Entlassung von Pfarrern kam es 1548 vor allem in Süddeutschland, wo kaiserliche Trup-
pen anwesend waren und entsprechenden Druck auf die Territorialherren ausüben konnten. Vom
Kaiser durch ein Edikt unter Druck gesetzt, entschloss sich Ulrich von Württemberg, das Interim
in seinem Herzogtum in vollem Umfang einzuführen. Im November 1548 ordnete er an, das
Interim von den Kanzeln herab verlesen zu lassen. Für den 11. November wurde eine allgemeine
Messfeier angeordnet. Pfarrer und Diakone, die nicht bereit waren, das Interim durchzuführen,
sollten entlassen werden. Von diesem Befehl waren ca. 300 bis 400 Württemberger Pfarrer be-
troffen, die ihren quittieren und zum Teil das Land verlassen mussten. Vgl. Kohnle, Folgen des
Interims, in: Politik und Bekenntnis
, 88f.
93  Zur „Formula reformationis“ und ihrer Wirkungsgeschichte im altgläubigen Bereich vgl.
Wolgast, Formula reformationis, in: Schorn-Schütte, Interim, 342–365.
94  Am 23./24. August 1548 verhandelte eine kursächsische Delegation in Pegau mit den beiden
Repräsentanten der altgläubigen Kirche im Kurfürstentum, den Bischöfen Julius von Pflug und
Johann VIII. von Maltitz, um mit ihnen zusammen eine Lösung der Frage nach dem Umgang mit
dem Augsburger Interim zu erarbeiten, die sich inhaltlich zwischen der Ablehnung durch die
kursächsischen Theologen und der kaiserlichen Forderung bewegen sollte. Inhaltlich war man
dazu bereit, der altgläubigen Seite in äußeren Dingen entgegen zu kommen, darüber hinaus aber,
d.h. in Lehrfragen, jedoch nicht. Vgl. Wartenberg, Melanchthon und die Interimspolitik, in:
Wittenberger Reformation und territoriale Politik
, 96.
95Domingo de Soto war Anfang März 1548 vom Kaiser nach Augsburg gerufen worden und
nahm an den Beratungen über das Interim teil. Er war beteiligt an der letzten Revision des
Augsburger Interims. Vgl. Rabe, Entstehung des Augsburger Interims, 82f. Zur Person de Sotos
vgl. Karl Josef Becker, Art. Soto, Domingo de, in: TRE 31 (2000), 476–478.
96  Im Februar 1549 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Johann Agricola und dem
Berliner Propst Georg Buchholzer über die Rechtfertigungslehre des Augsburger Interims, des-
sen Einführung im Kurfürstentum kurz bevorstand. Flacius ist der einzige Tradent der hier ge-
nannten Äußerungen Agricolas in diesem Kontext. Vgl. Kawerau, Agricola, 285.
97  bräuchte. Vgl. Art. dürfen 2), in: DWb 2, 1725.
98  welchem. Vgl. Art. wer, was, in: DWb 29, 72.
99Melanchthon berichtet ebenfalls von einem Pfarrer am Rhein, der sich aus Schmerz über die
Annahme des Augsburger Interims das Leben genommen habe. Vgl. Philipp Melanchthon an
Georg Buchholzer, 3. Oktober 1548, in: CR 7, 160f (MBW 5, 362 [Nr. 5311]). Vgl. hierzu
Waschbüsch, Alter Melanchthon, 41.
101  ungestraft. Vgl. II Kor 2,16.
102  Vgl. Joh 1,18.
103  Vgl. Apk 22,20.
104  Partei. Vgl. Art. Part 2), in: DWb 13, 146
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