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Brief 24

Priorin Mechtild Wilde im Kloster Lüne an Propst Nikolaus Schomaker in Lüneburg

6. Oktober 1505

Genesungsschreiben und Bitte um Aufnahme ins Testament — Get-well-soon letter and request to be included in the provost’s will

Kloster Lüne, Hs. 15, Lage 3, fol. 15r

Lateinisch und Niederdeutsch.

Priorin und Konvent schildern, in welche Betrübnis sie die Nachricht von der Krankheit des abwesenden Propstes gestürzt habe, aber ihre Trauer hat sich in Freude verwandelt, nachdem sie von dem Lüneburger Bürgermeister Jakob Schomaker gehört haben, dass er sich auf dem Weg der Besserung befinde. Dennoch bleiben sie besorgt, solange er sich in solcher Ferne aufhalte. Da ein persönlicher Besuch nicht möglich ist, hoffen sie, er möge ihre guten Wünsche empfangen und sie, als seine liebsten Töchter, in seinem Testament berücksichtigen.

The Prioress and convent express their sadness at learning that their absent provost has fallen ill; they have eaten the bread of tears day and night and have sought refuge in the Virgin Mary as abandoned daughters. However, their lament has turned to joy after the mayor of Lüneburg, Jacob Schomaker, a younger brother of the provost, had informed them that he was now recovering. Nevertheless, they will still tremble between hope and fear for as long as he is so far away and will only be joyful again when he is back. Since they cannot speak to him in person, they hope that he will accept their good wishes by letter and show them how he treats them as his favoured daughters by remembering the convent in his will. As they have lived together in perfect unity, they ask that he show them his love to the very end. In return, they promise to pray that Mary and the convent’s patron, St Bartholomew, return him to full health. They commend Christ to him as the best doctor for both body and soul. The provost, who had fallen ill on 29 September 1505, would never recover; he would receive the last rites on 26 January 1506 and die at the convent five days later. Although he remembered the Lüne nuns in his original will, they would be forced to enlist help from the mayors of Lüneburg to challenge a later will apparently made by the provost on his deathbed, in which he left his estate to several friends, chiefly among them Heinrich Boger, the writer of Letter 18, who would use his inheritance from the Provost to finance the printing of his ‘Etherologium’.

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[Lage 3, fol. 15r]

Prosperitatis sospitatisque optatam affluentiam crebris cum orationibus, reverende pater et domine, domine in unione divini amoris nobis precordialissime!

Lugubri fama comperta de egritudine reverentie vestre, „intraverunt aque amarissime tribulationis usquam ad animas nostras“,1 unde wo us armen elenden bedroveden kynderen heft to synne unde to mode west in recessu vestro, hoc illi constat, qui solus novit occulta cordis.2 Flere et lugere fuit opus nostrum et „lacrime fuerunt nobis panes die ac nocte“,3 unde wy en wusten nenen troͤst upp erden, wor we mochten recursum tho hebben in tam magna tribulatione, idcirco ad gremium matris misericordie ut filie desolate die ac nocte properavimus pro recuperatione vestre sanitatis interpellando. Et pius Jesus, qui non patitur suos temptari [Lage 3, fol. 15v] supra ida quod possunt sustinere,4 convertit luctum nostrum in gaudium,5 wente wy hebben ene nyge frolike bodeschopp van deme ersamen hern Jacob Schomaker borghermestere6 ghehord, dat juwe werdicheyt de gratia Dei beteringhe vornympt, unde wo groten trost und vroude wy bedroveden kyndere darvan hebben entfanghen, iß us unmoghelick to scrivende. Tamen adhuc fluctuamus inter spem et timorem,7 unde wy enkont us nequaquam gheven ad tranquillitatem mentis de wyle dat vestra reverentia us noch so verne iß, unde wan we juwe werdicheyt nü wedder hebben in curia nostra uti affectamus sitibundis cordibus, tunc gaudium nostrum erit perfectum.8

Et quia visitandi gratia paternitatem vestram oretenus [Lage 3, fol. 16r] alloqui heu non possumus,9 so bydde wy doch paternalem vestram caritatem in filiali dilectione, dat reverentia vestra pro gloria Dei et salute anime vestre ac pro utilitate nostri monasterii willen den guden willen opere perficieren, den gy to uns hebben, et quia de pregrandi fidelitate vestram magnam fidutiam gerimus et sine omni ambiguitate credimus et certe scimus, dat wy jo de alderlevesten synt pre cunctis caris amicis vestris, ex quo existimus membra vestra et spiritus noster vestro spiritui est conglutinatus,10 so hope we jo, dat paternitas vestra filias suas karissimas wille besorgen in testamento more pii patris,11 qui solet dimittere substantiam hereditatis filiis dilectis, unde alse wy aldus langhe cum vestra reverentia in undeelden gůden hebben ghewest, so beghere wy ok ex omni corde unde byddet unanimiter, [Lage 3, fol. 16v] dat gy hir jo willen vestram perpetuam memoriam maken, uti non diffidimus, uppe dat illa eximia caritas et maxima dilectio vestra erga nos ock moge openbaͤr werden, posteris nostris, ut semper verificetur illud Ewangelicum: „Cum dilexisset suos, usquam in finem dilexit eos.“12 Et quia nos inutiles filie paternitati vestre nil obsequi possumus exhibere, destinamus vobis prememoratam matrem misericordie orationibus licet aridis, que una cum filio suo dignetur reverentie vestre adesse materna visitatione. Assint et sancti angeli cum patrono nostro regali, sancto videlicet Bartholomeo inclito apostolo, hii omnes suppleant id quid nos optamus et minime possumus, maxime sospitatem ac salutem utriusque hominis vestre reverentie optinentes ad summi regis [Lage 3, fol. 17r] gloriam vestramque salutem nobis oviculis vestris ad solatium et diutinam utilitatem. Cum hiis brevibus recommendamus vestram reverentiam ei, qui est animarum similiter et corporum medicus, qui vos sanet et corroboret tempora per longeva.

Scriptis ex Lune octava sancti Michaelis archangeli anno Domini etc. Vob.13

Mechtildis famulatrix et totus conventus in Lune, filie vestre karissime.

Venerabili domini preposito Nicolao Schomaker presentatur.


Kritischer Apparat

a supra lin. überschüssig it

b in der Hs. VIo


Sachapparat

1 Ps 68,2.

2 Lc 16,15.

3 Ps 41,4.

4 1.Cor 10,13.

5 Est 13,17.

6 Jakob Schomaker d. Ä. (* 1435, † 9. Juni 1525) war, nach Hartwig, der zweite jüngere Bruder des Lüner Propstes Nikolaus Schomaker. 1456, nach der Rückkehr des Alten Rates, Sülfmeister und Barmeister, seit 1471 im Rat der Stadt Lüneburg, seit 1491 einer der Bürgermeister, 1492 Vorstand des Hospitals zum (Großen) Heiligen Geist, seit 1494 zweiter Vorstand des Nikolaihofes, 1512 Hauptmann von Lüdershausen auf Papenburg. Petersen, Die Stadt [2015], S. 509-510; 513; 516; 519; Witzendorff, Stammtafeln (1952), S. 113.

7 Laut ‚Amtsbuch der Sakrista‘, Lüne, Hs. 23, fol. 64r empfing der Propst am 26. Januar 1506 um 14 Uhr die Sterbesakramente und die beiden Bürgermeister Jakob Schomaker und Hartwig Stöterogge kamen nach Lüne, um die Neuwahl zu besprechen, vgl. Lüne, Hs. 23, fol. 64r. Der Propst starb am 1. Februar 1506, gegen 1 Uhr im Stadthof des Klosters in Lüneburg, Die Chronik, hg. von Stenzig (2019), S. 101. Er hatte schon seit 29. September 1505 krank gelegen: Item in ipso anno dominus prepositus Nikolaus Schomaker perexit Hyltensem, feria 4a post Egidii (3. September 1505), et ibidem cepit egrotare in febribus. In vigiliam Exultationis sancte Crucis (13. September 1505) veniebat re ad locum istum, et eadem febre erat gravatus usque Michaelis (29. September 1505). Et in eodem die perexit in civitatem Luneborch sedens in currum, ibique iacuit in tertiana usque quando migravit, in vigilia Purificationis Marie, vgl. Die Chronik, hg. von Stenzig (2019), S. 100.

8 Vgl. Io 1,4.

9 Der Brief als Ersatz für Mündlichkeit ist ein häufiger Topos. Vgl. u. a. Brief 223 (Lage 17, fol. 2v).

10 Vgl. Dt 10,15 und Einleitung Kapitel 1.2 und 2.1.

11 Das Testament des Propstes führte für die Lüner Nonnen noch zu Streitigkeiten. Ein erstes Testament hatte er schon am 1. Oktober 1505 aufgesetzt, einen Tag, nachdem er sich krank in die Stadt Lüneburg zurückgezogen hatte. Darin ist wunschgemäß das Kloster Lüne als Haupterbe eingesetzt, UB Lüne, Nr. 661. Am 29. Januar 1506, drei Tage nachdem er die Sterbesakramente empfangen hatte, änderte er sein Testament noch zugunsten seiner Freunde. In einer Krisensitzung im Kloster mussten die Bürgermeister versprechen, sich gegen die Gültigkeit dieser allerletztwilligen Verfügung zu verwenden, so steht es im ‚Amtsbuch der Sakrista‘, Lüne, Hs. 23, fol. 64v: Ipsa die, post nonam, convocavit domina priorissa matres et sorores usque ad V. C., et dixit de testamento quod fecit post unxionem suis amicis, claustro valde modicum, et statim iterum venerunt proconsules in armarium qui dixerunt quod testamentum secundum non ligaret, ipsi vellent disponere. Vgl. Hascher-Burger/Lähnemann, Liturgie (2013), S. 50 und Homeyer, Augenzeugenbericht (2004), S. 103-104, den Medinger Bericht über das Ableben des Propstes, als dessen Hab und Gut von der Priorin heimlich vor dem Zugriff der Verwandten in Sicherheit gebracht wurde. Zu den Freunden, die Schomaker besonders fördern wollte, gehörte der Dichter und Studienfreund Heinrich Boger aus Höxter. Aus seinem Nachlass finanzierte Schomaker den Druck von Bogers ‚Etherologium‘, einer Gedichtsammlung, die dem Lüner Propst gewidmet wurde. Der Band erschien 1506 bei Barkhusen in Rostock. Vgl. dazu Brief 18 (Lage 2, fol. 14v-Lage 3, fol. 1r) von Boger an Schomaker.

12 Io 13,1.

13 Propst Nikolaus Schomaker war bereits seit 29. September 1505 (Michaelistag) krank in der Stadt Lüneburg. Am 26. Januar 1506 verstarb er. Der vorliegende Brief kann daher nur vom 6. Oktober 1505, nicht wie hier angegeben 1506 datieren.

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