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Brief 178

Nonne im Kloster Lüne an höherstehende weibliche Person

undatiert

Trostbrief — Model letter of comfort

Kloster Lüne, Hs. 15, Lage 14, fol. 20r

Niederdeutsch.

Die Absenderin ermutigt die Empfängerin, sich an das Meer der Gnade zu begeben, wann immer sie traurig sei. Dies sei Maria nach dem Opfertod ihres Sohnes, der ihr jeden Sünder anempfohlen habe. Die Empfängerin könne sich vertrauensvoll an sie wenden; Maria sei das Paradies der blühenden Tugenden, die sie dem Sünder schenke. Beschreibung der Gnade Mariens mit Zitat des Bernhard von Clairvaux.

The nun encourages the recipient to put her trust in the Virgin Mary, the ocean of grace, whenever she feels sadness, emulating the words which Christ spoke on the cross reported in John 19.26 commending all sinners to her protection. The nun therefore encourages her recipient to turn to the Virgin Mary with confidence, since Mary is a paradise of blossoming virtues which she will grant to all sinners who turn to her. Mary is praised for the combination of her virtues using a paraphrase from St Bernard of Clairvaux’ Sermon for the Sunday in the Octave of the Assumption of the Blessed Virgin Mary, and is compared to a lily – an image of virginal purity and innocence evoked in Song of Songs 6 – , a violet and a rose.

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[Lage 14, fol. 20r]

Jesuma Christum, de eddelen, wolrukenden rodenb rosen des hemelschen paradyses, de dar even anbloyet unde nummer vorgheyt, vor enen fruntliken grot tovoren etc.!

Alderleveste [Nc, wan gy under tyden bedrovet synt unde ghudes trostes behovet, so gad vrigelken to dem mere der grundelosen myldicheyt,1 dat is de junchvrowelke moder Maria, de is warliken unse moder, nademe dat ere leve kynt Jesus Christus in synem grottesten lydende er bevalen heft, den armen sunder, do he hangede an deme holte des hilgen cruces, vorlaten van alle synen vrundend, do sprak he to er: „Vrouwe, see dynen sone“,2 alze ift he to er spreken wolde: „Maria, myn uterkoren moder, nu ike mod van dy ghescheden syn unde du van my, so hebbe ik doch nicht leversf an hemmelg edder an ertrike, men allene dat vorlarne scapeken, dat is de arme sunder, den bevale ik dy unde geve dy den to enem kynde.3 Desse soten word synt myh nu noch so versch, alze ift se de ersten hedde ghehord, unde darumme so kan se nenerleye wis uns vorwisen in unsen drofnissen ; hirumme gad vrigelken to er, se is de wunnighe lustighe rosengarde, den got sulven heft gheplantet unde ghetziret myd mannichvoldighen dogheden alze enen hemmelschen paradys, unde mang allen anderen blomen so trid de roke der drier blomen se alle over, welkere blomen Maria overvlodighen heft an sik ghehat, alze de witten lilien der rechten kuscheyt,4 de blawen fiolen der waren othmodicheyt unde de roden rosen der bernenden leve, unde desse sulven doghede mach se ok deme armen sundere geven, wan se wel, wo vaken dat se wel unde weme se wel, wente se so avervletendei [Lage 14, fol. 20v] in gnaden unde in barmherticheyt, dat se sikj nicht kan entholden, se mote dat ok by sik delen unde darumme secht sunte Bernardus: „O mynsche watk vruchtestu dy to Marien to ghande, du envinst nicht bitteres, nicht scarpes in er, wente se is overvlodighen vul myldicheyt, se is vul aller gnade, vul sachmodicheyt unde vul barmherticheytl; se is berede deme armen sundere to helpende, se openet den schod der barmherticheyt al den, de erer begheret; to er scholen komen alle, de dar trostes begheret, nicht allene de rechtverdighen, men ok de armen sunderem.5


Kritischer Apparat

a J in mg. als figürliche Intiale

b supra lin.

c fehlt in der Handschrift N

d vrunden korrigiert aus vyenden

e folgt gestrichen dy

f in der Hs. leuess

g in der Hs. hem

h y supra lin.

i folgt überschüssig in

j supra lin.

k folgt gestrichen wur

l in der Hs. barmhertich

m in der Hs. sudere


Sachapparat

1 Nicht identifziertes Zitat.

2 Io 19,26: Cum vidisset ergo Jesus matrem, et discipulum stantem, quem diligebat, dicit matri suæ: Mulier, ecce filius tuus.

3 Nicht identifiziertes Zitat.

4 Die Lilie as Sinnbild der jüngfräulichen Reinheit und der Unschuld. Ct 6,1-2: Dilectus meus descendit in hortum suum ad areolam aromatum, ut pascatur in hortis, et lilia colligat. Ego dilecto meo, et dilectus meus mihi, qui pascitur inter lilia. Maria wurde in der mariologischen Exegese des Hoheliedes mit der Braut gleichgesetzt: Schreiner, Maria (1994), S. 173-210.

5 Dies ist eine freie Paraphrase von Versatzstücken aus der Predigt zum Sonntag in der Oktav von Mariä Himmelfahrt: S. Bernardus Claraevallensis, Dominica infra octavam assumptionis B. V. Mariae, in: PL 183, Sp. 430: Quid ad Mariam accedere trepidet humana fragilitas? Nihil austerum in ea, nihil terribile: tota suavis est […]. Quod si, ut vere sunt, plena magis omnia pietatis et gratiae, plena mansuetudinis et misericordiae, quae ad eam pertinent inveneris; age gratias ei qui talem tibi mediatricem benignissima miseratione providit, in qua nihil possit esse suspectum […] Omnibus misericordiae sinum aperit, ut de plenitudine eius accipiant universi, captivus redemptionem, aeger curationem, tristis consolationem, peccator veniam, iustus gratiam […], .

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