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Brief 305

Nonnen im Kloster Lüne an ihren Beichtvater Heinrich Maß

29. November 1504

Überlegungen zur Wahl eines neuen Beichtvaters — Report to the ill confessor about the choice of a successor for him

Kloster Lüne, Hs. 15, Lage 22, fol. 2r

Lateinisch und Niederdeutsch.

Vgl. Brief 304 (Lage 22, fol. 1r-1v).

Die Absenderinnen drücken ihren Kummer über den schlechten Gesundheitszustand des angeschriebenen Beichtvaters aus. Sie hätten für ihn gebetet, nun aber von seinem Rücktritt erfahren. Nach dem Tod der Priorin wollen sie nicht auch ihn verlieren. Sie danken für seinen Vorschlag, den Pleban Johannes als Nachfolger zu wählen. Der Propst habe ihnen aber auch den Pleban von St. Lamberti und den bisherigen Lüner Kaplan Nikolaus Craßmann zur Auswahl empfohlen. Da Johannes nicht zu bekommen sei, wollten sie sich nun für Craßmann entscheiden, der ihrem Kloster bereits lange gedient habe.

The Lüne nuns are distraught at the news that their former confessor Heinrich Maß is not well and that he has given up his office, especially in light of the recent death of Prioress Sophia von Bodenteich on 2nd February 1504. On his advice they are inclined to appoint the cleric Johannes as his successor. But Provost Nikolaus Schomaker has put forward the name of two others, the cleric of St Lambert’s or the former chaplain of Lune, Nikolaus Craßmann. This has resulted in much worry. They do not want to disclose their affairs to strangers, as he knows well, and therefore, if they cannot have the priest Johannes, they would prefer not to take unknown priests but rather one like Craßmann who has already served the convent for several years. He is well known to the recipient and they would like to know what he makes of him.

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[Lage 22, fol. 2r]

[I]na Christo Jesu prehabite caritatis irrefragabilem perseverantiam cum adoptione totius sospitatis ac salutis!

Honorabilisb domine et precordialissime pater, infirmitas vestra plurimum nos cruciat,1 ipso teste, qui novit occulta cordis,2 et quanto vobis affectu condolemus isdem scit, qui omnium nostrum dolores in suo corpore pertulit. Denique nos misere et desolate filie vestre pro sanitate vestra omni cum diligentia die noctuque indigne fudimus preces ad patrem misericordiarum eiusque genitricem virginem Mariam, ac alios sanctos patronos imploravimus et huc usque fuimus in bona spe, quod omnipotens Deus, qui est spes desperatorum etc.,3 qui numquam deserit sperantes in,4 etiam miseriam et tribulationem nostram respexisset et „ luctus noster convertisset in gaudium“,5 sed heuc omnis spes noster deperiit,6 ex quo audivimus vos resignare officium, et quanto nostra precordia inde doloris vulnere transfixa sunt, calamus exarando prodere nequit. Et vere, vere infelices homines dici possumus, quia amisimus matrem nostram karissimam felicissimam7 et nunc a karissimo patre deliquimur, unde maximo dolore merito movemur et lacrime sunt nobis panes die ac nocte8 unde alse den paternitas vester us besorget heft unde gheraden ad dominum Johannem plebanum, dar synt wy alle wol to neget unde kont paternitatem vestram nummer [Lage 22, fol. 2v] to vullen danc, sed venerabilis dominus prepositus heft us II vore geven, scilicet dominum plebanum ad sanctum Lambertum et dominum Graßmann capellanum nostrum, dar scolde wy I van nemen, et sic angustie nobis fuerunt undique, wy moget use legenheit nicht gerne fromden luden apenbaer maken, uti nostis, also hebben wy secht, nu we dominum Johannem nicht hebben kont, nu moge wy ock ne fromden prestere nemen, sunder wy wilt lever blyven by enem, de usem Closter etlike jar heer denth heft unde rede wes van user legenheit weth, alze do Nikolaus Crasmann capellanus noster,9 quem bene nostis, dar hebben wy to koren, quod vestre paternitati significamus, flagitantes, ut amore Dei dignemini nostri memor esse in devotis vestris orationibus, ut omnipotens Deus, misertus tribulationis et angustie nostre, nobis succuret et omnia secundum suam divinam voluntatem ac animarum salutem disponat. Cui paternitatem vestrum in evum commendamus in vigilia sancti Andree apostoli.10


Kritischer Apparat

a Textergänzung in mg. durch Nolte mit Bleistift I

b folgt gestrichen pater

c folgt gestrichen ex quo


Sachapparat

1 Zum Austausch über Krankheitssymptome vgl. Bülters, Wissen (2022), Kap. III. 2.2, Heilkundliche Praxis im Klosternetzwerk.

2 1.Cor 14,25.

3 Collecta aus dem Totenoffizium: Deus, qui es vita viventium, spes morientium, et salus in te sperantium […].

4 Idt 13,17.

5 Est 13,17.

6 Heinrich Maß, der das Amt des Beichtvaters in Lüne seit 1490 ausgeübt hatte, ahnte, dass er seine gegenwärtige Krankheit nicht überleben würde – und sollte recht behalten, er starb am 27. Dezember 1504. Er wurde in der Lüneburger Franziskanerkirche St. Marien beigesetzt. Vgl. Anm. zu Brief 304 (Lage 22, fol. 1r).

7 Sophia von Bodenteich, die das Amt der Priorin im Zuge der Klosterreform von 1481 übernommen hatte, war am 2. Februar 1504 verstorben.

8 Ps 41,4.

9 Der Lüner Kaplan Nikolaus Craßmann wurde am 28. November 1504 zum Beichtvater gewählt. Die Chronik, hg. von Stenzig (2019), S. 53 berichtet über seine Wahl: Item eodem anno feria 2a Dicit Dominus electus est dominus Nicolaus Crasman in confessorem, a tota congregatione concorditer et unanimiter, qui fuit fidelis famulus noster in XVIII annum. Suam primam missam cantavit in die sancti Mathei apostoli, anno autem sacerdotii sui [supra lin.: XVIo] electus est in confessorem. In die sancti Barbare posuit se prima vice ad ordinem, et fuit noster confessor in XIII annum. In der Vorlage, dem ‚Amtsbuch der Sakrista‘ (Lüne, Klosterarchiv, Hs. 23, fol. 60v-61r), lautet die Notiz: Item dominus Nicolaus Crasman electus est in confessorem a tota congregatione unanimiter et concorditer V feria Dicit dominus. In die Barbare posuit se prima vice ad ordinem audiendo confessionem. Etiam fuit fidelis famulus noster in curia nostra in XVIII annum. Suam primam missam cantavit in die Mathei apostoli et ewangeliste, summa missa fuit de Matheo (cantrix accepit ad tertiam, et fuit summum Kyrie et Sanctus), anno autem sacerdotii sui XVI. Am 28. November 1504 war sein Vorgänger Heinrich Maß schon länger erkrankt, lebte aber noch. Er hatte vier Tage zuvor, am 31. Oktober, zum letzten Mal die Beichte gehört. Die Wahl verhinderte, längere Zeit ohne Beichtvater zu bleiben. Am Tag der hl. Barbara, dem 4. Dezember 1504, stand Craßmann zum ersten Mal für die Beichten der Nonnen zur Verfügung. Er war schon 18 Jahre geistlicher Prokurator des Klosters Lüne gewesen und hatte als solcher auf dessen Stadthof in Lüneburg residiert; in dieser Eigenschaft bezeugt er 1493 das Testament des damaligen Propstes Nikolaus Graurock, UB Lüne, Nr. 640, und 1504 die Wahl der neuen Priorin. Es war wohl schon länger vorgesehen, dass er in das Kloster Lüne wechseln sollte, denn am 21. September, dem Festtag des hl. Apostels und Evangelisten Matthäus, war er zum ersten Mal für die Kommunitätsliturgie eingeteilt worden, anstelle des Hebdomadarius hatte er die Konventmesse zelebriert und war wohl auch der Offiziant in Matutin, Laudes und Prim. Ab der Terz hatte dann die als Vorsängerin für die laufende Woche eingeteilte Nonne das Chorgebet angestimmt. Da die Nonnen die Horen auch ohne priesterlichen Offizianten rezitieren konnten, konnte währenddessen Craßmann in der Sakristei die liturgischen Gewänder für das unmittelbar folgende Hochamt anlegen; die Terz musste er dann später privatim nachholen. Die Formulierung suam primam missam meint nicht seine erste Messe überhaupt, da er schon 1488 oder 1489 geweiht war und im Gegensatz zur ‚Chronik‘ die Aufzeichnungen des ‚Amtsbuches‘ in der Regel nicht die Kenntnis der zum Tagesdatum künftigen Ereignisse voraussetzen, der 18-jährige Zeitraum der Priesterweihe also schon 1504 erfüllt gewesen sein muss. In dieser Messe wurde das Ordinarium (Kyrie, Gloria, Sanctus, Agnus Dei) nach der Melodie für die höchsten Feste gesungen – man könnte an die heutige römische Messe IV (Kyrie ‚Cunctipotens genitor Deus‘) denken. Auch im ‚Kurtzen Register‘, dem Anhang zum Anfang des 17. Jahrhunderts verfassten deutschsprachigen ‚Reformationsbericht‘ des Klosters Lüne ist die Wahl verzeichnet, Lüne, Klosterarchiv, A 10/15, S. 23, Text in: Brandis, Quellen (2004), S. 387: „Anno 1505 [tatsächlich 1504] ist wiederümb erwehlet worden zu unserem confessor (Beichtpater) Nicolaus Crasmann, und gelebet 18 Jahr, welcher Anno 1516 resigniret und abgedancket, und Anno 1517 gestorben und in vigilia Exaltationis [13. September 1517] auff unsem Kloster Kirchhofe begraben, deme gefolget und succediret Hinricus Renert“.

10 29. November.

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