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Brief 393

Elisabeth Garleghes im Kloster Lüne an ihre Schwester M

undatiert

Kondolenzbrief — Letter of consolation

Kloster Lüne, Hs. 15, Lage 30, fol. 15r

Niederdeutsch.

Die Absenderin sendet der ihrer Schwester M nach dem Tod deren Sohnes Maria zum Trost. Die Schwester soll, auch wenn die Liebe zwischen Mutter und Kind groß ist, sich in Gottes Willen geben, Menschen erst durch den Tod das Himmelreich erlangen zu lassen und sich freuen, dass sie mit dem jetzt verstorbenen Sohn und ihrer früher verstorbenen Tochter Anneke bereits zwei Engel im Himmel hat, die für sie bitten. Die Bibel bezeugt, dass getaufte Kinder direkt das ewige Leben erlangen, das Erwachsene sich erst verdienen müssen. Die Empfängerin möge ihre Kinder noch mehr lieben als zu Lebzeiten und sich dem Leben zuwenden, auf dass ihr Gott noch weitere Kinder schenkt. Wenn sie vom Schmerz überwältigt wird, möge sie an den Schmerz Mariens bei der Kreuzigung ihres Sohnes denken. Die Gottesmutter weiß, wie betrübte Mütter fühlen, also kann sie ihr ihr Leid klagen. Stellvertretende Entsendung Mariens und Anempfehlung an sie.

Sister Elisabeth Garleghes of Lüne consoles the recipient, presumably her sister, on the death of her son. Even if the love between mother and child is particularly close, may she concede her will to the decision of God, according to which humans after death reach heaven where the deceased now is. May she rejoice that she already has with him and her previously deceased daughter Anneke two angels in heaven who intercede for he. It is certain that baptised children immediately receive the eternal life which adults must work hard for to earn. May she now love her children even more than whilst they were alive and not anger God; she might have more children. If the pain overwhelms her she should think of the pain of Mary at the crucifixion. She knows how saddened mothers feel, so it is good to address one's lament to her. Elisabeth sends Mary in her place and commends the recipient to her.

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[Lage 30, fol. 15r]

Elisabeth Garleghes sorori Ma

Marien, de bedroveden moder, de myd erem yneghen unde alderlevesten sone so grote bittere pyne led in erem geiste in der tyd, do he so jammerliken ward vor eren moderken oghenb ghehanget an den galgen des cruces, den scrive ik vor enen medelidigen grot tovoren, myn alderleveste N, unde to enem sunderliken trost der droffnisse, dar du mede begrepen, na dem male, dat de leve almechtige God na synem gotliken willen dynen leven sone van hir namede, dat dy nicht to wytende is, dattu dy darumme bedrovest, wente de leve is naturliken twisken der moder unde deme kynde, so bydde ik dy doch fruntliken, dat du dy dar willest inne tovreden setten unde gevest dynen willen in den willen Godes, wente dyt heft dem leven Gode alzo behaget, dat he en wolde to sik halen in syner unscult in den hogen hemmel to der ewigen vroude unde salicheit, de he uns mit synem bitteren dode unde myd synem hilgen, duren blode heft wedderkoft, dar he en nu laven scal myd den leven hilgen engelen sunder underlad. Unde hirumme scholtu dy nicht bedroven van syner wegen, men du scholt dy vrouwen, dat du des [Lage 30, fol. 15v] werdich bist, dattu rede II engel hefst in dem hemmel, alze lutken Anneken unde N, unde desse beyden mogen dy nu dar vele ghude vorbydden by Gode dem heren, wente wy weten dat openbar uth der hilgen scrift, dat sodane cleyne kynderen, de ghedoft synt unde ghewassen in deme lydende Christi, wan de sterven, de komen sunder twivel van dessem in dat ewige levent unde krigen so den hemmel allene van gnade wegen ane eren vordenst,1 dat wy noch umme arbeyden moten unde den vordenen dor mannichvoldige droffnisse unde weddermod, de us hir under ogen steit; unde hefstu dyne leven kynderen lef heft in desem leven, alze dat ane twivel wol to loven is, so scolstu se ok noch vele lever hebben in erer sele unde so dy mit jum vrouwen der ere unde glorien, de se rede van Gode entfangen hebben unde du dor nicht meer vor se sorgen; de sote Jesus heft se wol beraden dy to gude, unde darumme scolstu dy ok darinne tovrede geven, so du besten kont, up dat du den leven God nicht vortornst, wente scolst leven, so mochtest, ifft Got [wilc, noch meer kynderen krigen.

Unde wan dy dat nud under tyden sur wert, dattu se byde in so korte tyden vorloren hefst, so scolstu averdenken dat grote lyden dee bedroveden moder hadde in erem ynegen sone, wente se hadde up erten nenen trost mer in em allene, unde sach dat vor eren ogen, wo jammerliken, dat he hanget ward van den bosen joden, de en so bitterlik seer geyselten, dat he van synem schedel wente up syne versen ene hele stelle nicht hadde in al synem licham, unde wo em de dornencrone ghedrucket in syn hovet, unde syne hande unde vote worden em dorgraven myd groten yseren neghelen unde syn syde [Lage 30, fol. 16r] ward em dorsteken myd enem scarpen spere; unde allent, wad de leve Jesus led in dem licham, dat led ock syne benediede moder in dem geiste myd em, unde darumme scolstu to er ghan unde clagen er dyn lydent; se heft dat wol vorsocht unde wet wol, wo den bedroveden moderen to synne is, unde darumme is se ok berede to trosten alle dejennen, de erer gnade begherende synt. Unde desse sote trosterinne aller bedroveden sende ik dy in myner stede vor enen sunderliken trost, de moge dy vrouwen unde trosten myd der soten melk erer moderliken gnade unde barmherticheit, up dat dy al dyn lydent licht unde sotef mote werden unde dattu vormyddest dyner dult motest vordenen de ewige grote vroude, de nummer nenen ende heft.

Des helpe dy unde us allen de sulve mylde moder der barmherticheyt. Amen.


Kritischer Apparat

a als Überschrift

b in der Hs. aghen

c fehlt in der Handschrift wil

d Lesart unsicher

e in der Hs. der

f davor überschüssig vnde


Sachapparat

1 Vgl. Nm 14,31, Dt 1,39, Mt 18,1-14, Mt 19,13-15 und Rm 9,11-12. Zur limbus puerorum-Theorie zum Schicksal ungetauft verstorbener Kinder vgl. Laarmann, Art. Limbus patrum, Limbus puerorum (1991), und zu rituellen ‚Wiedererweckungen‘ für eine nachgeholte Taufe in Spätmittelalter und Frühneuzeit, vornehmlich in Frankreich, Belgien und Österreich vgl. Gélis, Les entfants (2006).

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