Sammelhandschrift
Mainz, Benediktinerkloster St. Alban — 9. Jh., 1. Hälfte
Provenienz: Einträge: Bl. Ir im Interkolumnium: 1. Aldhelmus de laude virginitatis sanctorum virorum; 2. Concilium Aquisgranense II sub Ludovico; 3. Sententiae Isidori, id est Compendium Theologiae; wiederholt 44r: Concilium Aquisgranense II sub Ludovico, 64r: Isidori Sententiae (jeweils dieselbe Hand, auch in Cod. Guelf. 277 Helmst., Ir, nicht von Matthias Flacius, sondern vermutlich von einem Mitarbeiter oder Sekretär der Centuriatoren). Ir Signatur Nr. 21 der flacianischen Bibliothek. - Das Vorsatzblatt und die Teile A und B (Mainz, 9. Jh.) wurden laut der Inschrift auf Ir im 12. Jh., die Fuldaer Texte (Teil D und E) vermutlich bereits im 11. Jh. zusammen gefügt. Beide Teile gelangten zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Besitz von Matthias Flacius Illyricus, wobei nicht zu kläre ist, ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits zusammen gebunden waren. Flacius war nachweislich von 1554 in Mainz sowie 1556/57 und 1573 in Fulda, wo er sie erworben haben könnte (vgl. , 101f. und , 225–227). Auf 1r–43v befinden sich zahlreiche Rötelstiftkorrekturen und Unterstreichungen von Flacius' Hand. Der Basler Theologe Johann Jacob Grynaeus (1540–1617) verwendete die Handschrift, inklusive der Korrekturen von Flacius als Vorlage für seine zweite Auflage des Aldhelm-Textes (1569) in der "Monumenta sanctorum patrum orthodoxographa" (vgl. , Literaturberichte und Anzeigen, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 25 [1908], 173f.). Am 20.4.1597 erwarb Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg die Handschrift zusammen mit den übrigen Handschriften der Bibliothek des Matthias Flacius Illyricus. Über ihn gelangte sie in die Bibliotheca Julia in Wolfenbüttel. Hier ist sie im Gesamtkatalog von Liborius Otho (1614; Cod. Guelf. A Extrav. ) auf p. 296 (291) unter den Papalia Miscellanea erwähnt mit Aldhelmus de laude virginitatis sanctorum virorum. Ibidem Concilium Aquisgranense secundum, et Constitutiones eius. Ibidem Sententia Isidori est Compendium Theologiae, omnia manuscripta und besitzt die Signatur Y 29. 1618 gelangte die Handschrift von Wolfenbüttel nach Helmstedt, wo sie 1644 im Katalog der Helmstedter Universitätsbibliothek ( Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 2v) als Aldhelmi de laude Virginitatis sanctorum Virorum. Concilium Aquisgranense secundum Anno Domini DCCC XXXIII praesente Ludovico Imperatore. Isidori Hispalensis Sententiarum Libri tres, forn vnd hinten defect, ohne Bandt, omnia in membrana unter den Theologici in folio beschrieben wird. Auf dem VS die Helmstedter Signatur T. F. 30. Im Helmstedter Handschriftenverzeichnis von 1797 (Cod. Guelf. BA III, 51) aufgeführt unter der Signatur Nr. 47. Auf VS Inhaltsangabe von der Hand des Wolfenbütteler Bibliothekars C. P. C. Schönemann (am Schluss datiert: d. 25. Jul. 1828 C.P.C.S).
Pergament
Lagen: Aus 5 Teilen zusammengesetzt: A Bl. 1r–43v, B Bl. 44r–63v, C Bl. 64r–64v, D 65r–95v und 98r–191v, E 96r–97v. Vorsatzblatt: Ira-vb Homiliarfragment (Paulus Diaconus: Homiliarium Caroli Magni) und Bl. Ira-va Bedafragment (Beda Venerabilis: Homilia in litania maiore), Bl. Iva-b Augustinusfragment (Aurelius Augustinus: Tractatus CV in Johannem), Mainz, 9. Jh., 1. Hälfte, zu den Texten vgl. . IV–1+1 (7)! 4 IV (39). II (43). II+1 (48). II+1 (53). I+2 (57). IV–2 (63). IV–1+1 (71). 2 V (91). IV+I (101). 10 IV (181) Neuzeitliche Tintenfoliierung Bl. 1–43 (16. Jh.), anschließend, Bl. 44–181, moderne Tintenfoliierung. Das erste Blatt ungezählt.
Halbledereinband (18. Jh.) aus der Werkstatt des Buchbinders Anton Friedrich Wirck in Helmstedt.
STIL UND EINORDNUNG
Die vermutlich erst von Flacius im 16. Jh. zusammengefügte Sammelhandschrift enthält mit den Teilen A und B zwei in der ersten Hälfte des 9. Jh.in Mainz im Benediktinerkloster St. Alban geschriebene Texte, von denen beide mit bescheidenem Initialschmuck ausgestattet wurden. Die darauffolgenden, späteren Texte aus Fulda enthalten keinen Buchschmuck. Die paläographische Einordnung der Texte erfolgte von B. Bischoff (A-C, 9. Jh.; , 503f. Nr. 7329–7332) und H. Hoffmann (D und E, 11. Jh.; , 175f.). Die sparsame Initialornamentik der karolingischen Textteile A und B bestätigt diese Einordnung. Die einfachen Federinitialen in Teil A mit ihren spiralartigen Einrollungen und den Blattformen haben ihre Entsprechungen in einer Gruppe von Mainzer Handschriften aus dem frühen 9. Jh., deren Buchschmuck noch stark insular geprägt ist und in einer Mainzer Sedulius-Handschrift um üppige vegetabile Formen ergänzt wurde (Antwerpen, Plantin-Moretus-Museum, Cod. M. 17.4; zur Handschrift vgl. , 69, Nr. 1; , Nr. 43). Dort finden sich die in der Wolfenbütteler Handschrift verwendeten Palmettenblätter und Trifolien (35v). Die Initiale mit eingefügtem Seilband aus dem 2. Viertel des 9. Jh. (44r) hat ihre stilistische Entsprechung in der Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 68 Weiss., 22v und München, BSB, Clm 14345, 2r ( , 117f.,Nr. 230, Abb. V.). Beide zeigen die für die frühkarolingische Zeitstellung typischen, aus breitem Band bestehenden Flechtmotive (zur Gruppe vgl. , 72 Anm. 268).Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, Nr. 400 (Heinemann Nr.). — , 175f. — , Bd. 1,1.2, 526. — , 49A, 82, 102, 230. — , 20. — , Nr. 965. — , 503f. Nr. 7329–7332. — , 226. — , 524–532 (A
Mainz, Benediktinerkloster St. Alban — 9. Jh., 1. Hälfte
Schriftraum: 23 × 15 cm, einspaltig, 31 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Dieselbe Hand auch in der Wolfenbütteler Handschrift Cod. Guelf. 39 Weiss. (vgl. , 159). Glossen und Korrekturen von einer 2., zeitgleichen Hand. Neuzeitliche Marginalien und Interlinearkorrekturen (16. Jh.). Bischoff ordnet die Schrift nach Mainz (St. Alban) und datiert sie ins 9. Jh., 1./2. Viertel ( , 503 Nr. 7330). Leicht vergrößerte Satzmajuskeln. Zu den Textabschnitten einfache braune Initialen in Capitalis oder Unzialis.
INHALT
1r–43r : Prosa de virginitate cum glossis marginalibus et interlinearibus vulgari lingua scriptis ( 124A, 27–761; , 46 Nr. 89.3 und Suppl.; 1, 154 Nr. 4; , in Vorb.). 43r : Hymnus in honorem passionis Eulaliae beatissimae martyris ( , 126, 281f.; 5589). 43v leer.
AUSSTATTUNG
4 Federinitialen.Initialen: Zu Textabschnitten auf 8v, 20v, 34v und 35v Federinitialen (1,4–2 cm); auf 8v und 20v mit aufgerollten Serifen. Als Initialstammendungen auf 34v eine Knospe, auf 35v im Binnenfeld ein Trifolium und ein Palmettenblatt. Knospen- und Blattformen sind als Silhouette in schwarz ausgeführt.
Ergänzungen: Die Initiale auf 8v am Spiralauslauf durch Fleuronnéeansätze ergänzt. Der Q-Initiale auf 20v wurde eine Gesicht und ein Hut hinzugefügt (beide Initialergänzungen von einer späteren Hand, 13./14. Jh.).
B
Mainz, Benediktinerkloster St. Alban — 9. Jh., Mitte (nach 836)
Schriftraum: 22,5 × 14–15 cm, einspaltig, 28 Zeilen. Karolingische Minuskel von fünf Händen. Hand 1 44r–53v (sehr ähnlich der Hand im Teil A); Hand 2 54r–57v; Hand 3 58r–63v; Hand 4 und 5 62v Brief des Erzbischofs Bardo und Federproben auf 63v. Hand 1–3: Mainz, 9. Jh., 2. Viertel (ab 835; , Nr. 7331); Hand 5 und 6: Mainz, Mitte 11. Jh. Hand 5 ist der von Hoffmann bestimmten Hand C des Codex München, BSB, Clm 3736 ähnlich ( , 175f.). Vergrößerte Satzmajuskeln. Zu den Textabschnitten braune Initialen in Capitalis oder Unzialis.
INHALT
44r–62v Statuta concilii Aquisgranensis anno DCCCXXXVI habiti (Edition: 2,2,705–724 [sigle: G, Hs. 705 genannt]; Literatur: ). 62v : Epistula ad monachos Sancti Albani (Edition: Mainzer Urkundenbuch, Bd. 1: Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. [1137], bearb. von M. Stimming, Darmstadt 1932 [Arbeiten der Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen 4,1], 181f. Nr. 289, Hs. bezeichnet als Rep. font. 2). 63r leer. 63v Federzeichnungen und Schriftzüge, die aus dem vorangehende Brief entnommen worden sind (vgl. ).
AUSSTATTUNG
Eine Initiale.Initiale: Auf 44r, zum Textbeginn, eine unkolorierte Federinitiale, als Hohlbuchstabe (4 cm). Die obere Serife spiralartig eingerollt. Als Füllmotiv des Buchstabenstammes ausgespartes Seilband.
C
Westdeutschland — 9. Jh., 2. Viertel
Schriftraum: 22 × 14 cm, einspaltig, 29 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Der Text wurde, nach B. Bischoff, im 2. Viertel des 9. Jh., in einem nicht näher bestimmbaren westdeutschen Skriptorium geschrieben (
, Nr. 7332).INHALT
64r–64v Probationes pennae (enthält den Evangelientext Mt 26,39–71; genannt bei , 1072 Nr. 1572; das Fragment war nachträglich als Vorsatzblatt um die erste Lage von Teil D der Handschrift gelegt und mitgeheftet).
D
Fulda, Benediktinerkloster — 950–1025
Schriftraum: 22–23 × 12–13 cm, einspaltig, 26–30 Zeilen. Karolingische Minuskel von drei Händen. Hand 1 65r–66v, 92r–101v und 118r–125v; Hand 2 66v–91v, 102r–109v und 162v–181v; Hand 3 110r–117v und 126r–162r. Schreibernennungen auf 101v Stephanus, 125v quaternio VIII quem fecit Stephanus (Hand 1 - Stephanus). 145v–149r Nennung in Buchstabenreihen auf dem Fußsteg MAR–TI–NO PRO DEI TI–MO–RE und 150v–153r MAR–TI–NO [!] PEC[CATOR] RO–GO VOS (Hand 3 - Martinus). An einigen Stellen (87v, 88v–90r, 168v) marginale Einträge von einer Hand, die der Zeitstufe von Teil E entspricht (zur Händescheidung vgl. , in Vorb.). Rubrizierte Kapitelüberschriften in Unzialis. Vergrößerte Satzmajuskeln mit Majuskelstrich und/oder rot gefüllten Binnenfeldern. Zu Beginn der Kapitel einfache, 2–3zeilige rote, unverzierte Initialen. Buch II (98v) und III (140r) Incipit und Buchanfänge in schwarzer und roter Capitalis. Die Initiale auf 98v nachlässig gefüllt mit ausgesparter Wellenverzierung.
INHALT
65r–95v, 98r–181v : Sententiarum, libri III ( 83, 537–738; 111, 3–330; 1199; , 5164; ).
E
Fulda, Benediktinerkloster — 11. Jh., 2. Viertel
Schriftraum: 24 × 13 cm, einspaltig, 28 Zeilen. Karolingische Minuskel von einer Hand. Nach H. Hoffmann: Fulda, um 1030 (
, 175). Etwas vergrößerte Satzmajuskeln in Capitalis.INHALT
96r–97v : De ecclesiasticis officiis (cap. 2,17; . 83, 801–804; 113, 80–83; 1207)
Abgekürzt zitierte Literatur
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).